SCHLÜSSEL ZUR MACHT
Im alten China nannte man das »geben, bevor man nimmt« - die Gabe macht es dem anderen schwer, das Nehmen zu erkennen. Sie ist ein Kniff mit unendlichem praktischem Nutzen. Jemandem offenkundig etwas wegzunehmen ist selbst für Mächtige gefährlich. Das Opfer wird auf Rache sinnen. Genauso gefährlich ist es, einfach darum zu bitten, egal wie höflich Sie das auch tun: Solange der andere sich keinen Vorteil davon verspricht, kann er Ihnen Ihr Begehren übel nehmen. Lernen Sie zu geben, bevor Sie nehmen. Das bereitet den Boden, nimmt einem künftigen Begehren die Schärfe oder bewirkt einfach eine Ablenkung. Dabei kann Ihre Gabe in verschiedener Form daherkommen: als tatsächliches Geschenk, als großzügige Geste, als freundlicher Gefallen, als »ehrliches« Eingeständnis oder was immer gerade nötig ist.
FRANCESCO BORRI, GRAND-SEIGNEURALER CHARLATAN
Francesco Giuseppe Borri aus Mailand, der 1695, also noch im 17. Jahrhundert, starb, nimmt... jenen besonderen Typus des abenteuernden Charlatans vorweg... des grandseigneuralen Charlatans... Seine Glanzperiode aber begann, als er sich in Amsterdam niederließ. Dort hatte er viele Bediente und sechsspännige Equipagen und ließ sich Medico Universale nennen... Die Patienten strömten ihm zu, aus Paris ließen sich Kranke in Tragsesseln bis nach Amsterdam bringen. Borri nahm von niemandem Bezahlung, verteilte große Summen unter die Armen, erhielt selbst niemals durch die Post oder durch Wechsel Geld. Da er dennoch mit solchem Aufwand lebte, glaubte man ihn unbedingt ihm Besitze des Steines der Weisen. Plötzlich war der Wohltäter auch aus Amsterdam verschwunden und hatte Geld und Diamanten, die ihm anvertraut waren, mitgenommen.
DIE MACHT DES CHARLATANS VON GRETE DE FRANCESCO, 1937
Häufig reicht eine einzelne ehrliche Handlung nicht aus. Was Sie benötigen, ist ein ehrlicher Ruf, der auf einer Reihe solcher Gesten basiert. Diese können durchaus zusammenhanglos sein. Sobald der Ruf etabliert ist, lässt er sich, genau wie der erste Eindruck, nicht so leicht erschüttern.
Im alten China beschloss der Herrscher Wu von Cheng, sich das immer mächtiger werdende Königreich Hu einzuverleiben. Ohne etwas von seinen Plänen zu verraten, verheiratete er seine Tochter mit dem Herrscher von Hu. Dann berief er sein Kabinett ein und fragte seine Minister: »Ich habe vor, einen Feldzug zu unternehmen. In welches Land sollten wir einmarschieren?« Wie er erwartet hatte, antwortete einer seiner Minister: »Hu sollte angegriffen werden.« Wu wurde scheinbar böse und sagte: »Hu ist jetzt unser Schwesterstaat. Warum schlägst du vor, dass wir ihn angreifen?« Wu ließ den Minister wegen seines unzeitgemäßen Ansinnens hinrichten. Davon erfuhr der Herrscher von Hu. Angesichts dieses sowie weiterer Beweise für Wus Ehrlichkeit und der Verbindung durch die Heirat baute er keine Verteidigung gegen Cheng auf. Wenige Wochen später marschierten Soldaten aus Cheng in Hu ein, eroberten das Land und gaben es nie wieder frei.
Ehrlichkeit ist eine sehr gute Möglichkeit, die Wachsamen zu entwaffnen, aber nicht die einzige. Jede noble, scheinbar selbstlose Handlung dient diesem Zweck. Mit am besten ist vielleicht Großzügigkeit. Wenige Menschen können einem Geschenk widerstehen, selbst wenn es von ihrem schlimmsten Feind kommt. Deshalb ist es häufig der perfekte Weg, andere zu entwaffnen. Ein Geschenk lockt das Kind in uns hervor, das auf der Stelle seine Schutzschilde fallen lässt. Obwohl wir die Handlungen anderer oft in einem sehr zynischen Licht betrachten, erkennen wir selten das machiavellistische Element bei einem Geschenk, bleiben uns die tiefer liegenden Motive verborgen. Ein Geschenk ist das perfekte Objekt, um eine Täuschung darin zu verstecken.
Diese Taktik muss mit Vorsicht angewandt werden: Wenn die Leute sie durchschauen, entwickeln sie statt Dankbarkeit und Wärme vehementen Hass und tiefes Misstrauen. Spielen Sie nicht mit dem Feuer, solange Ihre Geste nicht aufrichtig und herzlich wirkt.
Symbol: das Trojanische Pferd. Ihre Tücke ist in einem wundervollen Geschenk verborgen, dem Ihr Feind einfach nicht widerstehen kann. Die Mauern fallen. Einmal eingedrungen, folgt die Zerstörung.
Garant: Als Herzog Hsien von Chi sich den Staat Yü aneignen wollte, beschenkte er zuerst den Herrscher von Yü mit Jade und Pferden. Und als Graf Chih sich Ch'ou-yu einverleiben wollte, beschenkte er zuerst den Herrscher mit großen Kampfwagen. Deshalb heißt es: »Willst du jemandem etwas nehmen, mußt du ihm zuerst etwas geben.« (Han Fei-tzu, chinesischer Philosoph, 3. Jh. v. Chr.)
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