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GESETZ 35 MEISTERE DIE KUNST DES TIMINGS

WAS HEISST DAS?

Geben Sie sich nie den Anschein, in Eile zu sein. Hast verrät, dass Sie sich selbst - und die Zeit - nicht unter Kontrolle haben. Zeigen Sie immer Geduld, als wüssten Sie, dass letzten Endes alles zu Ihren Gunsten ausgeht. Spähen Sie den richtigen Moment aus. Erspüren Sie den Zeitgeist, die Trends, die Sie an die Macht bringen werden. Lernen Sie, sich zurückzuhalten, solange Ihre Zeit noch nicht gekommen ist, und entschlossen zuzuschlagen, wenn sie reif ist.

Zeit ist ein künstliches Konzept, das wir uns selbst geschaffen haben, um die Grenzenlosigkeit der Ewigkeit und des Universums besser zu ertragen, menschlicher zu machen. Da die Zeit also ein Konstrukt ist, können wir sie ein Stück weit gestalten, Tricks mit ihr spielen. Die Zeit eines Kindes ist lang und langsam, hat ungeheure Ausmaße; die Zeit eines Erwachsenen saust erschreckend schnell vorbei. Die Zeit hängt also von der Wahrnehmung ab, die wir, wie wir wissen, willentlich ändern können. Das ist das Erste, was Sie wissen müssen, wenn Sie die Kunst des Timings meistern wollen.
Drei Arten von Zeit sind es, mit denen wir umgehen müssen; jede stellt uns vor Probleme, die sich mit Können und Erfahrung lösen lassen. Erstens gibt es die lange Zeit: die ausgedehnte, jahrelange Art von Zeit, die wir mit Geduld und sanfter Lenkung meistern müssen. Sodann gibt es die forcierte Zeit: kurze Zeiträume, die wir zu einer Offensivwaffe umgestalten können, indem wir das Timing unserer Gegner durcheinanderbringen. Schließlich gibt es noch die Endzeit: die Spanne, innerhalb derer ein Plan schnell und tatkräftig zu Ende gebracht werden muss. Wir haben gewartet, den richtigen Moment abgepasst, und jetzt dürfen wir nicht zögern.
Lange Zeit. Wenn Sie das Tempo aus Angst oder Ungeduld forcieren, schaffen Sie ein Bündel von Problemen, die Sie beseitigen müssen, und letzten Endes brauchen Sie dafür viel länger, als wenn Sie sich Zeit genommen hätten. Wer sich beeilt, kommt manchmal schneller ans Ziel, doch überall können neue Gefahren entstehen, und die Eiligen sind ständig mit Krisenmanagement beschäftigt und müssen Probleme lösen, die sie sich selbst erst geschaffen haben. Im Angesicht der Gefahr ist es manchmal am besten, überhaupt nicht zu agieren - warten Sie ab, nehmen Sie bewusst das Tempo heraus. Im Lauf der Zeit werden sich Gelegenheiten ergeben, von denen Sie nicht einmal geträumt hätten.
Der Sultan [von Persien] hatte zwei Männer zum Tode verurteilt. Der eine, der wusste, wie sehr der Sultan seinen Hengst liebte, bot an, dem Pferd binnen eines Jahres das Fliegen beizubringen, wenn ihm dafür das Leben geschenkt würde. Der Sultan willigte ein, denn die Vorstellung gefiel ihm, der Reiter des einzi-gen fliegenden Pferds auf der Welt zu sein. Der andere Gefangene sah seinen Freund

ungläubig an. »Du weißt, dass Pferde nicht fliegen können. Wieso kommst du dann mit so einer verrückten Idee? Du schiebst das Unvermeidliche nur hinaus.« - »Nicht ganz«, sagte der [erste Gefangene]. »Ich habe mir vier Chancen ausgerechnet, die Freiheit zu erlangen. Erstens könnte der Sultan im Lauf des Jahres sterben. Zweitens könnte ich sterben. Drittens könnte das Pferd sterben. Und viertens... könnte ich dem Pferd das Fliegen beibringen!«
THE CRAFT OF POWER VON R. G. H. SIU, 1979
Sie verlangsamen nicht die Zeit, um länger zu leben oder den Augenblick auskosten zu können, sondern um beim Spiel um die Macht besser abzuschneiden. Wenn Ihr Verstand nicht mit ständigen Notfallmaßnahmen verstopft ist, blicken Sie weiter in die Zukunft. Des Weiteren können Sie dann besser den Ködern widerstehen, die andere für Sie auslegen, und Sie schützen sich so davor, ein weiteres ungeduldiges Opfer zu werden. Sich eine Machtbasis aufzubauen kann Jahre dauern; stellen Sie sicher, dass das Fundament fest ist. Seien Sie kein Strohfeuer - nur der allmählich und gründlich aufgebaute Erfolg hält an.
Forcierte Zeit. Der Trick beim Forcieren der Zeit besteht darin, das Timing anderer durcheinanderzubringen - sie zur Eile anzutreiben, sie warten zu lassen, ihnen ihren eigenen Rhythmus zu nehmen, ihre Wahrnehmung der Zeit zu verzerren. Indem Sie das Timing Ihres Gegners durcheinanderbringen, während Sie selbst Geduld bewahren, verhelfen Sie sich zu mehr Zeit, womit Sie das Spiel schon halb gewonnen haben.
Andere warten zu lassen ist eine höchst wirkungsvolle Art und Weise, die Zeit zu forcieren, solange sie nicht merken, was Sie vorhaben. Sie sind der Herr der Uhren, während die anderen im Fegefeuer schmoren - und zunehmend die Fassung verlieren, was Ihnen Gelegenheit zum Zuschlägen gibt. Der entgegengesetzte Effekt ist genauso wirkungsvoll: Treiben Sie Ihre Gegner zur Eile an. Beginnen Sie Ihre Händel mit ihnen langsam, und machen Sie dann plötzlich Druck, geben Sie ihnen das Gefühl, dass alles gleichzeitig passiert. Wer keine Zeit zum Nachdenken hat, begeht Fehler - also setzen Sie ihnen knappe Fristen.
Boden können wir zurückgewinnen, Zeit niemals.
NAPOLEON BONAPARTE, 1769-1821
Endzeit. Sie beherrschen das Spiel mit absoluter Könnerschaft - Sie warten geduldig auf den richtigen Moment, bringen Ihre Konkurrenten außer Fassung, indem Sie an ihrem Timing herumpfuschen -, doch all das bedeutet noch gar nichts, solange Sie nicht wissen, wie Sie eine Sache zum Abschluss bringen. Geduld ist nutzlos, solange Sie sie nicht mit dem festen Willen kombinieren, im richtigen Moment rücksichtslos über Ihren Gegner herzufallen. Warten Sie so lange, wie es nötig ist, aber wenn das Ende nahe ist, müssen Sie es rasch herbeiführen. Legen Sie ein großes Tempo vor, um Ihre Gegner zu lähmen.
Symbol: der Falke. Geduldig und still kreist er hoch oben am Himmel und sieht mit seinen scharfen Augen einfach alles. Die da unten merken nicht, dass er ihnen auf der Spur ist. Wenn der richtige Moment gekommen ist, stößt der Falke plötzlich mit einem Tempo herab, gegen das es keine Gegenwehr gibt; bevor die Beute bemerkt, was geschieht, wird sie in den schraubstockgleichen Klauen des Vogels bereits in den Himmel emporgetragen.
Garant: Der Strom der menschlichen Geschäfte wechselt: / Nimmt man die Flut wahr, führet sie zum Glück; / Versäumt man sie, so muss die ganze Reise / Des Lebens sich durch Noth und Klippen winden. (Julius Cäsar von William Shakespeare, 1564-1616)