VI. Ergebnis
Den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung bildeten zahlreiche formale und inhaltliche Parallelen zwischen dem Deuteronomium und altorientalischen Vertragstexten. Vor dem Hintergrund einer durch die Westexpansion der Assyrer seit dem 8. Jh. bedingten Zeit gesteigerter militärisch-diplomatischer Kontakte liegt es nahe, dass die Vorstellung, Jhwh habe mit Israel am Horeb einen Bund (hebr. bryt) geschlossen (vgl. Dtn 5,2), das konzeptionelle Vorbild und den theologischen Anstoß von den im Vorderen Orient breit belegten „politischen" Vertragstexten erhalten hat. Zu den relativ ältesten Texten, die die Rezeption vertragsrechtlicher Vorstellungen und Sprachformen im Alten Testament spiegeln, werden insbesondere die drei Fälle von Verführung zu Nachfolge und Dienst anderer Götter in Dtn 13 sowie das umfangreiche Segen-Fluch-Kapitel Dtn 28 gerechnet. Deshalb stand eine eingehende Analyse der beiden Deuteronomiumskapitel im Zentrum der vorliegenden Untersuchung. Vor dem Hintergrund der bisherigen vergleichenden Forschung zum Thema Bundestheologie sind im Einleitungskapitel der Arbeit drei Fragerichtungen formuliert worden, die in diesem abschließenden Kapitel noch einmal aufgegriffen werden sollen:
(1.) Woher stammen die in den bundestheologischen Texten rezipierten vertragsrechtlichen Vorstellungen und Sprachformen?
(2.) Wann ist die Bundestheologie ausgebildet worden?
(3.) Wie könnte der Rezeptionsprozess verlaufen sein, an dessen Ende die Bundestheologie stand?
Die drei Fragen können aufgrund der in dieser Arbeit vorgelegten Textanalysen wie folgt beantwortet werden:
(1.) Im Hinblick auf die Frage nach der Herkunft der in Dtn 13* und 28* rezipierten vertragsrechtlichen Vorstellungen und Sprachformen ist eine in der gegenwärtigen vergleichenden Forschung vorherrschende rein neuassyrische traditionsgeschichtliche Herleitung nicht haltbar. Dtn 13* und 28* bilden vielmehr ein Amalgam aus genuin judäischen, westlich-aramäischen und neuassyrischen Traditionselementen. Für Dtn 13* und 28* ergibt sich im Hinblick auf die Rezeption der beiden maßgeblichen Vertragsrechtstraditionen die folgende Übersicht:
Dtn 13*
| Elemente der westlich-aramäischen Tradition | Elemente der neuassyrischen Tradition |
| der Aufbau und die Sprachregelung der drei in Dtn 13* zusammengestellten Stipulationen die paronomastischen Infinitive in Dtn 13,(6*.)10aa.16a der Fall der zum Fremdgötterdienst verführten israelitischen Stadt in Dtn 13,13-19* |
- die dem Akkadischen entliehene Formel dbr srh „Falsches reden" in Dtn 13,6* die Prophetengestalten in Dtn 13,2-6* (?) das Tötungsgebot in Dtn 13,10aa (?) |
Dtn 28*
| Elemente der westlich-aramäischen Tradition | Elemente der neuassyrischen Tradition |
| - das Segen-Fluch-Formular in Dtn 28,1-6*.15-19 (bestehend aus konditionalen Einleitungssätzen [mit smr „bewahren"] und einer parallel gestalteten Segen-Fluch-Formel) die Gattung der Nichtigkeitsflüche in Dtn 28,30f.38-41 einzelne Motive, die in das Umfeld des strafenden Wettergottes gehören (Wassermangel und Ernteausfall [28,23f.38-41]; Insektenfraß [28,38f.42]) |
- die Themenabfolge der Flüche in Dtn 28,25-34* (Kriegsniederlage und Leichenfraß - Hautkrankheit [grb] - Blindheit/Rechtlosigkeit - Kriegsniederlage und Preisgabe der Lebensgrundlagen), die auf die assyrische Götterreihe Sin - Samas - Ninurta - Venus/Istar zurückgeht, wie sie komplett in EST §§ 39-42 belegt ist |
Dass die Gemeinsamkeiten zwischen Dtn 13* und 28* und den verschiedenen altorientalischen Vertragstexten nicht einfach parallelen Entwicklungen und somit dem Zufall geschuldet sind (coincidence), sondern eine Abhängigkeit einerseits von der westlich-aramäischen und andererseits von der neuassyrischen Vertragsrechtstradition spiegeln (uniqueness), ergibt sich nicht zuletzt aus den syntaktischen und terminologischen Entlehnungen (die paronomastischen Infinitive in Dtn 13*; die Formel dbr srh in Dtn 13,6*; das Wort grb in Dtn 28,27), den aufgegriffenen Gattungen (die Nichtigkeitsflüche in Dtn 28*) sowie der ursprünglich in Assyrien verankerten Fluchreihe in Dtn 28,25-34*. In diesen Zusammenhang gehören in jedem Fall auch die Entlehnungen des aramäischen terminus technicus für „Vertragsbestimmungen/Vertrag" 'dy ins Akkadische (ade) und Hebräische ('dwt), die entsprechende Interdependenzen im altorientalischen Vertragsrecht offenbaren.
Schon mit Blick auf diesen Befund ließ sich konstatieren, dass die ältere vergleichende Forschung mit ihrer These einer hethitischen Ableitung der Bundestheologie wenigstens partiell im Recht war, insofern die aramäischen
Vertragstexte ganz augenscheinlich in einer traditionsgeschichtlichen Verbindungslinie zu den Vasallenverträgen der hethitischen Großreichszeit stehen.
(2.) Die Frage der Entstehungszeit der Bundestheologie ist - dies hat nicht zuletzt die forschungsgeschichtliche Skizze offenbart - einzig und allein aufgrund textimmanenter Kriterien zu beantworten, da von jeder vermeintlichen external evidence bestenfalls ein terminus a quo zu erhoffen ist. Die literarische Analyse von Dtn 13 und 28 hat ergeben, dass schon die Kapitelkerne[1] Teil einer exilisch- dtr Überformung des Urdeuteronomiums sind. Dies zeigt vor allem eine kompositionsgeschichtliche Verortung der Kapitel im Buchganzen: Dtn 13* stört den vorgegebenen Zusammenhang der ältesten Zentralisationsgesetze in Dtn 12*.14-16* und ist zudem vom dtr Einschub in Dtn 5,1-6,3* - insbesondere vom Ersten Gebot in Dtn 5,6f.9a - inhaltlich und phraseologisch abhängig. In Dtn 28* legen nicht zuletzt Anspielungen einerseits auf die Fiktion einer am Vorabend der Landnahme erfolgten Verkündigung von Segen und Fluch mit Mose als Sprecher (Dtn 28,1f*.15.21.36a) und andererseits auf das babylonische Exil und die damit einhergehenden Deportationen (Dtn 28,32; 28,36 und das Geschick Jojachins; 28,41 mit der Formel hlk bsby) eine Interpretation der Flüche als vaticinia ex eventu und eine entsprechende exilisch-dtr Verortung des Kapitels nahe. Für eine Entstehung der Bundestheologie nach 587 spricht des Weiteren der Konkordanzbefund in den Prophetenbüchern (das so genannte „Bundesschweigen" der vorexilischen Prophetie) sowie die spezifische Konzeption des im Deuteronomium vorausgesetzten Bundesgedankens, die im Gegensatz zu allen anderen belegten altorientalischen Vertragskonzeptionen den irdischen König als Mittler zwischen Gott und Mensch auffälligerweise völlig übergeht.
(3.) Die Frage nach den Voraussetzungen und näheren Modalitäten der Rezeption fußt auf den vorangehend referierten literarhistorischen und traditionsgeschichtlichen Befunden in Dtn 13* und 28*. Ersterer spricht für eine Entstehung der Bundestheologie in der Exilszeit nach 587; letzterer macht eine Abhängigkeit sowohl von der westlich-aramäischen als auch von der neuassyrischen Vertragsrechtstradition wahrscheinlich, worin sich exakt die geopolitischen Konstellationen spiegeln, in denen sich das Königreich Juda im 8. und 7. Jh. vorfand (Nähe zu syrischen Aramäerstaaten; seit ca. 730 assyrischer Vasall). Die traditionsgeschichtliche Komplexität in Dtn 13* und 28* sowie die exilische Entstehung der Kapitel, die vor dem Hintergrund der erwähnten geopolitischen Konstellationen für eine „verspätete" Rezeption der aramäischen und neuassyrischen Traditionen spricht, erklärt sich am plausibelsten mit der
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[1] Vgl. zu den Rekonstruktionen insbesondere die Übersetzungen der Kapitel auf S. 168-170 und 245-247, in denen die Nachträge vom Grundtext kursiv abgehoben sind.
Annahme eines komplexen, mehrstufigen Rezeptionsprozesses.[1] [2] Dabei gelangten im Zusammenhang einer ersten Rezeptionsstufe in der israelitisch-ju- däischen Königszeit Vorstellungen und Sprachformen der westlich-aramäischen sowie der neuassyrischen Vertragsrechtstradition nach Israel und Juda. Spuren dieser allmählichen Akkulturation zeigen sich vor allem in der alttestamentlichen Prophetie, wo seit dem 8. Jh. vertragsrechtliche Vorstellungen (z.B. Jhwh als geschichtsmächtiger Richtergott) und Sprachformen (z.B. aramäische Nichtigkeitsflüche) zu Tage treten, die ihre traditionsgeschichtlichen Wurzeln im aramäischen und assyrischen Vertragsrecht haben. Als einschlägige Kontaktmedien und Kontaktträger dieser Rezeptions- und Adaptionsvorgänge können einerseits die den Vertragsparteien ausgehändigten Vertragstexte selbst und andererseits der für die Abfassung der Texte verantwortliche Schreiberstand vor dem Hintergrund seiner im Alten Orient stark vernetzten Ausbildung geltend gemacht werden. Indizien dafür sind einerseits die räumlich und zeitlich weite Verbreitung einer aramäischen Fluchreihe (Tell Fe'eriye, Sfire, Bukän, AT) sowie die Beobachtung, dass sich analoge Schädlingsreihen in den Sfire-In- schriften, dem EST und Dtn 28* mit einer gemeinsamen Abhängigkeit von der lexikalischen Liste ur5-ra = 'ubullu erklären lassen, die zu den gebräuchlichen
Instrumenten der altorientalischen Schreiber(schule) gehörte. Die ursprünglich fremden aramäischen und assyrischen Traditionselemente dürften in der Folge schon bald als Eigen akzeptiert worden sein und in das judäische „politische" Vertragswesen Eingang gefunden haben. Sowohl die Verhältnisse in anderen altorientalischen Königreichen als auch der biblische Befund (vgl. z.B. 2Kön 11,17*) legen nahe, dass es im vorexilischen Juda eine innerstaatliche Vereidigungspraxis gegeben hat. Obgleich einschlägige Quellen fehlen, die Aufschluss über die konkrete Gestalt der dabei zugrunde liegenden Vertragstexte geben könnten, dürften judäische Treueide aufgrund der geopolitischen Lage Judas eine vergleichbare traditionsgeschichtliche Mischgestalt gehabt haben wie z.B. die aramäischen Inschriften von Sfire, die ihrerseits ein Gemenge aus westlichen (aramäischen und [spät]hethitischen) und mesopotamischen (neuassyrischen)
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[1] Die These eines mehrstufigen Rezeptionsprozesses ist jüngst auch für den griechischen Kulturraum aufgestellt worden. Rollinger hat in einem materialreichen Aufsatz (ders., Verschriftlichung) die altorientalische (insbesondere neuassyrische) mit der homerischen Vertragspraxis verglichen, wobei er eine „weitgehende Übereinstimmung" (a.a.O., 409) aufdeckte: „In beiden Fällen sind die Verträge beschworene Übereinkünfte. Die Öffentlichkeit spielt eine wesentliche Rolle. Gotteszeugenschaft und Fluch stellen das Rückgrat des Vertrages dar. Darüber hinaus weist das den Vertragsabschluss begleitende Ritual signifikante Ähnlichkeiten auf." (ebd.) In den beiden abschließenden Kapiteln geht Rollinger auf die Frage nach den näheren Modalitäten der Rezeption des altorientalischen Vertragsrechts in den homerischen Epen ein. Aus der Beobachtung, dass neben den Gemeinsamkeiten auch signifikante Unterschiede zu erkennen sind, folgert er, „dass wir uns gewiss nicht einen mit dem neuassyrischen Vertragswesen vertrauten griechischen Schreiber vorstellen dürfen, der einen altorientalischen Vertrags
[2]text als Muster übernimmt, ihn übersetzt und diesen in Griechenland verbreitet" (a.a.O., 410). Gegen eine direkte Rezeption bzw. literarische Abhängigkeit von altorientalischen Vertrags
Traditionselementen darstellen. Da auch Dtn 13* und 28* einen entsprechenden traditionsgeschichtlichen Befund zu erkennen geben, sind judäische Vertragstexte als potentielle Vorlagen der Bundestheologie in jedem Fall mit in Betracht zu ziehen.
Die exilisch-dtr Herkunft von Dtn 13* und 28* legt sodann nahe, dass es im Zusammenhang einer zweiten Rezeptionsstufe nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeit in Juda (nach 587) zu einer Integration der bereits vorhandenen vertragsrechtlichen Vorstellungen und Sprachformen in die entstehende Bundestheologie gekommen ist, wobei die in allen überlieferten altorientalischen Vertragskonzeptionen bezeugte königlich-staatliche Vermittlung zugunsten der direkten Gott-Volk-Beziehung aufgegeben worden ist. Die Modifikation einer mit dem Königtum verknüpften Institution in nachstaatlicher Zeit ist im Alten Testament nicht analogielos. In vergleichbarer Weise konnten in exilisch-nach- exilischer Zeit die Gattung der Königsorakel auf das Volk „Israel" (so in Dtjes) und die Imago Dei -Metapher als Königsprädikation auf alle Menschen (so in P) übertragen werden.
Nimmt man diese zweite Rezeptionsstufe noch einmal näher in den Blick, so ist zu betonen, dass die Bundestheologie ihren literarhistorischen Quellort wahrscheinlich im dtr redigierten Deuteronomium hat. Dies aber wirft ein Schlaglicht auf den für die Bundestheologie verantwortlichen Trägerkreis. In so genannten „historischen Tendenzerzählungen" dtr Ursprungs, die in den zeitlichen Kontext der Katastrophe von 587 gehören (2Kön 18f*; Jer 36*; vgl. auch Jer 8,8f und 2Kön 22f*), setzt sich der Trägerkreis der Erzählungen, nämlich judäische Hofbeamte und insbesondere die Schreiberfamilie der Schafaniden, selbst in Szene. Dass speziell dieser Trägerkreis mit vertragsrechtlichen Vorstellungen und Sprachformen vertraut ist, zeigen zahlreiche neuassyrische Briefe, in denen die Funktionselite des assyrischen Königs wiederholt einschlägige Stipulationen und Flüche der Treueide paraphrasiert, mit denen sie auf den König vereidigt worden sind. Es mag sein, dass die Beamten eigene Abschriften ihrer Treueide besaßen; wahrscheinlicher ist aber, dass sie den Text im Wortlaut auswendig beherrschten. Entsprechende Textkenntnisse dürften auch bei der judäischen Funktionselite vorauszusetzen und noch in der Exilszeit abrufbar gewesen sein.
Die Frage, welche Art von Abhängigkeit die bundestheologischen Texte mit den altorientalischen Vertragstexten verbindet, ist vom literarhistorischen und traditionsgeschichtlichen Befund in Dtn 13* und 28* her zu beantworten. Die exilisch-dtr Herkunft der bundestheologischen Texte, die eine „verspätete" Rezeption der altorientalischen Vertragstexte voraussetzt, vor allem aber die Tatsache, dass in Dtn 13* und 28* sowohl westlich-aramäische als auch neuassyrische Traditionselemente identifiziert werden können, spricht gegen die These einer literarischen Abhängigkeit von einem bestimmten Vertragstext. So wird die gegenwärtig florierende These einer neuassyrischen (Übersetzungs-) Vorlage etwa dem starken westlich-aramäischen Einschlag keinesfalls gerecht. Dem in dieser Arbeit vorgetragenen Versuch, die Parallelen zwischen Dtn 13*
und 28* und dem altorientalischen Vertragsrecht mit einem zweistufigen Rezeptionsprozess zu erklären, bei dem die judäische Funktionselite und insbesondere der juristisch geschulte Schreiberstand eine zentrale Rolle spielten, kommt dagegen der Begriff der „traditionsgeschichtlichen Abhängigkeit" am nächsten.[1] Die Parallelen sind nicht das Ergebnis eines Abschreibe- oder gar Übersetzungsvorgangs, sondern verdanken sich einem mehrere Generationen währenden Re- zeptions- und Akkulturationsprozess, der in erster Linie von einem international vernetzten Schreiberstand getragen worden ist - einem Trägerkreis, der nach 587 nicht gänzlich von der (religions-)politischen Bühne verschwunden ist.
Abschließend möchte ich auf zwei Konsequenzen aufmerksam machen, die sich m.E. aus der in dieser Arbeit vertretenen Entstehungszeit der Bundestheologie nach 587 ergeben:
Die erste Konsequenz der exilischen Datierung von Dtn 13* und 28* ist die Möglichkeit, dass auch neubabylonische Vertragstexte als Modell der dtr Bundestheologie in Betracht kommen könnten. Dass babylonische Vasallenverträge nach Juda gelangt sind, steht dabei grundsätzlich außer Frage (vgl. z.B. Ez 17). Neuere Textfunde legen zudem nahe, dass die Babylonier die assyrischen Rechts- und Verwaltungsstrukturen weitgehend übernommen haben. Die in Dur-Katlimmu gefundenen Tontafeln[2], die „sowohl in ihrem Schriftduktus als auch in ihrer äußeren Form und in ihrem Formular typisch assyrisch [sind]"[3], stammen notabene aus dem zweiten und fünften Jahr Nebukadnezars II.[4] Von daher ist es überhaupt nicht ausgemacht, dass sich die babylonischen Vasallen- vertrüge grundlegend von den assyrischen unterschieden haben, weshalb die Parallelen zwischen dem Deuteronomium und den neuassyrischen Vertragstexten eine babylonische Einflussnahme nicht grundsätzlich ausschließen.[5] Ein Indiz dafür, dass das Deuteronomium dennoch (wenigstens indirekt, z.B. über
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[1] Vgl. auch Jeremias, Kultprophetie, 169.
[2] Vgl. zu den Tafeln Kühne, Tontafeln.
[3] Röllig, Einordnung, 132. - Der Fund stellt den alten Konsens, der den Fall Ninives im Jahr 612 für eine Art deadline der assyrischen Schrifttradition hielt (vgl. z.B. Dalley, Nineveh, 141: „It must be concluded that Assyrian cuneiform died out completely after the fall of Nineveh."), auf eine neue Grundlage.
[4] Der Gebrauch des assyrischen Formulars bei babylonischer Datierung bedeutet, „dass die alte Rechtsordnung bruchlos auf die neuen Verhältnisse übertragen wurde" (Röllig, Einordnung, 132). Vgl. auch Berlejung, Geschichte, 149f.
[5] Vor diesem Hintergrund ist Steymans' Versuch, aufgrund der Anspielung auf eine babylonische Vereidigung Zidkijas in Ez 17,13 im Jahr 597 zu einem terminus ad quem der Übertragung des EST in Dtn 28 zu gelangen, nicht ganz schlüssig. Seine Schlussfolgerung lautet: „Wer also nach 597 v. Chr. JHWH-Flüche nach mesopotamischem Vorbild gestalten wollte, hätte in dieser babylonischen Vereidigung den nahe liegenden Anknüpfungspunkt gefunden." (ders., Vorlage, 140f) - Da aber keine babylonischen Vertragstexte der betreffenden Epoche überliefert sind und dementsprechend niemand weiß, wie und ob sie sich von den assyrischen unterschieden haben, bewegen sich dergleichen Folgerungen auf äußerst dünnem Eis.
judäische Treueide) vom assyrischen und nicht vom babylonischen Vertragsrecht abhängig ist, ergibt sich aber immerhin aus der Abfolge der Fluchthemen Hautkrankheit - Blindheit/Rechtlosigkeit in Dtn 28,27-29, die aller Wahrscheinlichkeit nach an der assyrischen Götterabfolge Sin - Samas orientiert ist. In babylonischen Verträgen war die Reihenfolge aber traditionell eine andere (vgl. z.B. SAA II 1), und es ist anzunehmen, dass babylonische Götterlisten in diesem Punkt konstant blieben.
Eine zweite Konsequenz des hier vorgelegten Entstehungsmodells der Bundestheologie kann an dieser Stelle lediglich angedeutet werden. Sollte sich die exilische Datierung der Bundestheologie bewahrheiten, dann könnte der Gebrauch der Ehemetapher in Jer 2-6 als eine wichtige Voraussetzung der Vertragsmetapher gelten. J. Jeremias hat vorgeschlagen, die Ehemetapher im Jeremia- buch als Fortschreibung der Hurerei-Thematik bei Hosea zu begreifen, wobei bei Jeremia der Bezug auf die Außenpolitik viel deutlicher betont werde.[1] Die realpolitischen Bezüge werden noch markanter, wenn man mit C. Hardmeier in Jer 2-6* eine Vorlese-Rede sieht, die nach Zidkijas Bruch des babylonischen Vasallenvertrags 597 entstanden sei und eine Kritik der judäischen Aufstandspolitik beinhalte. Demnach beklagt der Prophet, indem er den mit Zidkijas Aufstandspolitik einhergehenden Vertragsbruch gegenüber den Babyloniern als Ehebruch beschreibt (vgl. Jer 2,36), eine „massive Vertrauens- und Loyalitätskrise zwischen JHWH und den Führungseliten in Jerusalem".[2] Wendet man sich vom Jeremiabuch wieder der dtr Bundestheologie zu, so wird deutlich, dass diese in ihrer Intension noch weit über die prophetische Ehemetapher hinausgeht. Gab in Jer 2-6* noch der „historisch-alltägliche Erfahrungsraum"[3] den Anlass für das Strafhandeln Jhwhs, wobei dem judäischen König als politischreligiösem Oberhaupt noch die entscheidende Funktion zukam, so konstruiert die Bundestheologie - jetzt am Königtum vorbei - die Vorstellung einer vertraglichen Beziehung zwischen Jhwh und „Israel". Stellt man die große Bedeutung der Jeremia-Überlieferung für den Deuteronomismus in Rechnung, so scheint es nicht ganz abwegig zu sein, in der jeremianischen Ehemetapher ein konzeptionelles und theologisches „Modell der Bundesvorstellung"[4] zu sehen.
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[1] Vgl. Jeremias, Einfluss, 139: „In der politischen Realität seiner Zeit ging es Jeremia vor allem um Judas illusionäre Hoffnung auf Ägypten; in 2,36 wird das Zuschandenwerden dieser Erwartung mit der zwischenzeitlich schon enttäuschten Hoffnung auf Hilfe durch Assyrien begründet und schon auf diese Weise das von Hosea überkommene Begriffspaar ÄgyptenAssyrien aufgebrochen."
[2] Hardmeier, Wahrhaftigkeit, 139.
[3] Hardmeier, Geschichte, 29: „Der historisch-alltägliche Erfahrungsraum ist somit zugleich der Schauplatz der Gott-Volk-Mensch-Beziehung und ihrer Geschichte."
[4] Zobel, Prophetie, 13, der freilich mit anderen chronologischen Verhältnissen rechnet; vgl. zum Verhältnis der beiden Metaphern auch Baumann, Liebe, 66-75, bes. 74f, sowie Hardmeier, König Joschija, 131, Anm. 74.
Aber wie dem auch sei: Die dtr Bundestheologie ist nach dem Textbefund in Dtn 13* und 28* der gewagte Versuch einer theologischen Deutung des Exilsgeschicks „Israels".[1] Er steht dabei im Dienst einer monolatrischen Interpretation des Jhwh-Glaubens: Auf die Übertretung des Ausschließlichkeitsgebots (Dtn 5,7.9a;13,3b.7b.14b) folgen Kriegund Deportationen (Dtn28,25f*.32.36f*.41).[2] Auch damit wird ein im Alten Orient geltendes Interpretationsmodell aufgegriffen, nach dem eine nationale Katastrophe als gerechte göttliche Strafe für einen gebrochenen Vertrag gedeutet wird.[3] Am Ende bleibt somit das leicht paradoxe Bild, dass ausgerechnet das auf das Zurückdrängen konventioneller staatlicher Strukturen (vgl. z.B. Dtn 17,14-20) und kulturelle Exklusion bedachte dtr redigierte Deuteronomium für die Durchsetzung seiner exklusiven Gotteskonzeption Anleihen bei konventionellen „politischen" Begründungsstrukturen und - traditionsgeschichtlich gesehen - nicht zuletzt bei den „Völkern ringsum" (Dtn 13,8 u.ö.) macht, die doch eigentlich religiös bekämpft werden sollen. Das Deuteronomium der Exilszeit ist damit unbeabsichtigt zu einem sprechenden Beispiel von kulturellen und sprachlichen Kontakten im Alten Vorderen Orient geworden.
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[1] Vgl. auch Groß, Zukunft, passim, sowie Kaiser, Theologie 3, 11-38.
[2] So gilt schon vom Kernbestand des Kapitels: „An Jahwes Recht wurde man schuldig, und Fluch ist jetzt Deutungskategorie von Volksgeschichte geworden." (Preuß, Deuteronomium, 154f)
[3] Vgl. zu dieser Art von Kausalität in hethitischen Quellen Malamat, Causality, und in assyrischen Quellen Weeks, Causality; für die levantinischen Kleinstaaten sei lediglich an die Rolle des seinem Land Moab zürnenden Reichsgottes Kamos auf der Mesa-Stele erinnert. - In diesen traditionsgeschichtlichen Zusammenhang gehört auch das Motiv der Strafgrunderfragung (vgl. zu biblischen und außerbiblischen Belegen Skweres, Strafgrunderfragung).
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