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V. Die Rezeption des altorientalischen Vertragsrechts in Dtn 13* und 28*

Problemstellung
Die traditionsgeschichtliche Analyse von Dtn 13* und 28* hat gezeigt, dass Vorstellungen und Sprachformen des altorientalischen Vertragsrechts in die Kapitel Eingang gefunden haben. Schließt man Dtn 5,1-6,3* - ein Komplex, der Dtn 13* und 28* vorgelegen haben dürfte - in die Betrachtung mit ein, so ist deutlich, dass die Vertragsmetapher von Anfang an als Interpretament des Ersten Gebots diente. In Dtn 13* und 28* konnten entgegen dem derzeitigen Forschungstrend neben neuassyrischen auch spezifisch aramäische Traditionen identifiziert werden, wobei hinsichtlich der Bestimmbarkeit der Abhängigkeiten verschiedene Grade der Evidenz zu Tage getreten sind. Der westlichen bzw. aramäischen Tradition sind mit großer Wahrscheinlichkeit die folgenden Elemente an die Seite zu stellen:
der Aufbau und die Anredeform der drei Stipulationen in Dtn 13*;
die paronomastischen Infinitive in Dtn 13,(6*.)10aa.16a;
der Fall der abgefallenen Stadt in Dtn 13,13-19*;
das Segen-Fluch-Formular in Dtn 28,1-6*.15-19 (bestehend aus konditionalen Einleitungssätzen [mit smr „bewahren"] und einer parallel gestalteten Segen-Fluch-Formel);
die Gattung der Nichtigkeitsflüche in Dtn 28,30f.38-41;
einzelne Motive, die in das Umfeld des strafenden Wettergottes gehören (Wassermangel und Ernteausfall [28,23f.38-41]; Insektenfraß [28,38f.42]).
Der neuassyrischen Tradition verdanken sich mit einem hohen Maß an Sicherheit:
die dem Akkadischen entliehene Formel dbr srh „Falsches reden" in Dtn 13,6*;
die Themenabfolge der Flüche in 28,25-34* (Kriegsniederlage und Leichenfraß - Hautkrankheit [ grb ] - Blindheit/Rechtlosigkeit - Kriegsniederlage und Preisgabe der Lebensgrundlagen), die die assyrische Götterreihe Sin - Samas - Ninurta - Venus/Istar als Vorbild hat, wie sie komplett in EST §§ 39-42 belegt ist.

Weniger offensichtlich ist die (oft postulierte) assyrische Herkunft der Prophetengestalten in Dtn 13,2-6*, deren agitatorisches Auftreten aber immerhin rein formal gut der Situation der Prophetie im neuassyrischen Reich der Zeit Asarhaddons entspricht, sowie des Tötungsgebots in Dtn 13,10aa, das die drastischen Maßnahmen zum Schutz altorientalischer Herrscherdynastien aufgreift. Beide Bestimmungen wären jedoch auch in Vertragstexten der levan- tinischen Klientelkönigtümer denkbar, deren Machthaber sich sicherlich mit ähnlichen Problemen der Herrschaftssicherung konfrontiert sahen.

Als weiteres Ergebnis der Textanalysen ist - neben der traditionsgeschichtlichen Mischgestalt der Kapitel - festzuhalten, dass Dtn 13* und 28* exilisch-dtr Ursprungs sind. Die exilische Datierung der Kapitel konnte im vorangehenden Kapitel durch redaktionsgeschichtliche Beobachtungen sowie den Vergleich mit anderen Vertragskonzepten bekräftigt werden. Ausgehend von diesem traditionsgeschichtlichen und literarhistorischen Befund soll nun im vorliegenden Kapitel der Versuch einer Rekonstruktion des Rezeptionsprozesses erfolgen, an dessen Ende die Ausbildung der Bundestheologie stand. Hieraus ergibt sich eine doppelte Problemstellung:

(1.) Die traditionsgeschichtliche Mischgestalt der Kapitel 13* und 28* widerrät der These einer literarischen Abhängigkeit von einer neuassyrischen Vorlage, sei es ein Juda auferlegter Vasallenvertrag im Allgemeinen oder sei es der Sukzessionsvertrag Asarhaddons (EST) im Besonderen. In diesem Punkt gilt es, der Abhängigkeitsthese ein weniger statisches Alternativmodell gegenüberzustellen, das auch den aramäischen Einflüssen gerecht wird.

(2.) Aufgrund der in dieser Arbeit vertretenen exilischen Datierung der Kapitel soll versucht werden, die - in Bezug auf die altorientalischen Referenztexte - „verspätete" Rezeption der vertragsrechtlichen Elemente in Dtn 13* und 28* plausibel zu machen, die eben in einer Zeit auftauchen, in der die dahinter stehenden traditionsgeschichtlichen Vorbilder keine „politische" Rolle mehr spielten und vielleicht auch nicht mehr verfügbar waren.

Im Hinblick auf das Problemfeld einer „verspäteten" Rezeption der neuassyrischen Vertragsrechtselemente hat M. Nissinen richtig gesehen, dass man „mit einer allmählichen, religiös-sozialen Akkulturation rechnen [muss], die es ermöglichte, begriffliche und gedankliche Strukturen der neuassyrischen Vertragsinstitution der israelitischen Tradition anzupassen, als eigen anzunehmen und inhaltlich zu modifizieren."[1] Nach der hier vorgelegten Analyse ist mit einem analogen Akkulturationsprozess auch in Bezug auf die aramäischen Traditionen zu rechnen.[2] Für die Lösung des Zeitproblems ist zu beachten,
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[1] Nissinen, Prophetie, 181.
[2] Vgl. zum Begriff der Akkulturation Blum, Überlegungen, bes. 2-5. Von den a.a.O., 13, genannten Erscheinungsformen kommen im vorliegenden Fall am ehesten die Typen „freie Akkulturation" und „Anpassungs-" bzw. „Akkulturationsdruck" in Frage.

dass die „verspätete" Rezeption der „politischen" Vertragsvorstellung eine Analogie in den im vorangehenden Kapitel vorgestellten Beispielen für eine Entgrenzung ursprünglich dem Königtum vorbehaltener Konzepte hat.[1] Im Fall des deuterojesajanischen Heilsorakels und der priesterschriftlichen Imago Dei- Metapher sind Sprachformen und Metaphern der Königsideologie nach dem Ende des judäischen Königtums in „königslose" Kontexte überführt worden. Da möglicherweise die Imago Dei-Vorstellung, sicherlich aber prophetische Heilsorakel nach ihrer möglichen Rezeption in Israel und Juda in vorexilischer Zeit zunächst im judäischen Königtum beheimatet waren, bevor sie nach 587 entsprechend modifiziert werden konnten, ist der „religiöse" Gebrauch der Königsorakel sowie der Imago Dei-Metapher in Deuterojesaja und der Priesterschrift näherhin als ein zweistufiger Rezeptionsprozess beschrieben worden. Sieht man die Vertragsmetapher im dtr Deuteronomium in Analogie zum deuterojesaja- nischen Heilsorakel oder der priesterschriftlichen Imago Dei-Metapher, so stellt sich der zweistufige Rezeptionsprozess in diesem Fall wie folgt dar: In der israe- litisch-judäischen Königszeit sickerten seit dem 8. Jh. vor dem Hintergrund vermehrter diplomatischer und militärischer Kontakte aramäische und assyrische Vertragsrechtstraditionen ein, die in der Folge vermutlich auf das judäische Vertragsformular eingewirkt haben. Nach der Katastrophe von 587 ermöglichte das Ende des judäischen Königtums die Überführung der „politischen" Vertragskonzeption, die ursprünglich die Beziehung zwischen dem König und seinen Untertanen regelte, auf die direkte Gott-Volk-Beziehung. Das folgende Schema stellt die dtr Bundesvorstellung neben die beiden anderen Beispiele für zweistufige Rezeptionsprozesse im Alten Testament:

  Deuterojesajanisches Heilsorakel Gottebenbildlichkeit des Menschen nach P dtr Bundestheologie
Mögliche altorientalische Vorbilder Aramäische bzw. gemeinaltorientalische Königsorakel Ägyptische bzw.
assyrische Königsprädikation
Aramäische und assyrische Vasallenverträge
1. Stufe: Königszeit Judäische
Königsorakel
Judäische
Königsprädikation (?)
Judäische Treueide (?)
Mögliche alttesta- mentliche Reflexe Jes 7*; 8*; 2Sam 7*; 1Kön 11,31-39* Ps 2,7 (?) 2Kön 11,17* Prophetie
2. Stufe: Exilszeit Übertragung auf „Israel" Übertragung auf den Menschen schlechthin Übertragung auf
Jhwh allein
Alttesta- mentliche Belege Dtjes passim Gen 1,26-28 Dtn 5*; 13*; 28*


Am besten dokumentiert ist der zweistufige Rezeptionsprozess im Fall der deuterojesajanischen Heilsorakel für „Israel": Als Quellen für potentielle altorientalische Vorbilder stehen zahlreiche neuassyrische, aber auch aramäische Königsorakel bereit; den „politischen" Gebrauch der Orakel im Kontext des judäischen Königtums belegen Texte wie Jes 7* und 8*; der „religiöse" Gebrauch der Orakel in nachköniglicher Zeit ist schließlich bei Deuterojesaja breit bezeugt. Will man den Rezeptionsprozess im Fall der Vertragsmetapher nachzeichnen, so fehlt ein entscheidendes Glied in der Kette der Quellentexte. Vorhanden sind die potentiellen altorientalischen Vorbilder, nämlich aramäische und neuassyrische Vasallenverträge; vorhanden ist auch das Ergebnis der zweiten Rezeptionsstufe, nämlich die ausgebildete dtr Bundestheologie. Es fehlt jedoch das entscheidende Zwischenglied in Form judäischer „politischer" Vertragstexte. Aber auch in diesem Punkt erlauben, wie sich zeigen wird, versteckte Hinweise in der Bibel sowie der Vergleich mit einschlägigen altorientalischen Texten einige Rückschlüsse.

Die Vorgehensweise im nachfolgenden Kapitel gestaltet sich so, dass das Interesse zunächst der ersten Rezeptionsstufe gilt, wobei auf der einen Seite das Einsickern vertragsrechtlicher Vorstellungen und Sprachformen in der israeli- tisch-judäischen Königszeit anhand einschlägiger Spuren im Alten Testament aufgezeigt und auf der anderen Seite nach den vermittelnden Institutionen gefragt werden soll. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Frage nach dem Vorhandensein und der möglichen Gestalt judäischer Treueide einzugehen. Anschließend kommt die zweite Rezeptionsstufe in den Blick, in der Vorstellungen und Sprachformen des „politischen" Vertragsrechts im Deuteronomium als

Interpretament des Ersten Gebots dienen. Auch hier gilt dem potentiellen Trägerkreis die größte Aufmerksamkeit.

Die erste Rezeptionsstufe

Die Rezeption vertragsrechtlicher Vorstellungen und Sprachformen in Dtn 13* und 28* ist vor dem Hintergrund zahlreicher Interdependenzen im altorientalischen Vertragsrecht im 1. Jt. zu sehen, an denen die Königreiche Israel und Juda ausweislich der biblischen Schriftprophetie seit dem 8. Jh. partizipierten.

Interdependenzen im altorientalischen Vertragsrecht und die Rezeption
vertragsrechtlicher Vorstellungen und Sprachformen im

Alten Testament​


Die traditionsgeschichtliche Untersuchung der aramäischen Sfire-Inschriften wie des neuassyrischen EST hat ergeben, dass sich die westliche bzw. aramäische und die neuassyrische Vertragsrechtstradition wechselseitig beeinflusst haben. Der Einfluss der aramäischen auf die neuassyrische Vertragsrechtstradition ist insbesondere bei der sprachlichen Entlehnung des aramäischen terminus technicus für „Vertrag" 'dy sowie bei der Rezeption typisch westlicher Fluchgattungen über jeden Zweifel erhaben.[2] Umgekehrt erweisen sich die aramäischen Sfire-Inschriften als vielfach von der assyrischen Tradition geprägt, z.B. in Bezug auf das Vertragsformular oder die mit dem assyrischen Reichsgott Assur anhebende Götterliste.[3]

Wenn auch den zu Tage geförderten aramäischen Inschriften entsprechend aussagekräftige Monumentalinschriften in Israel/Palästina (bislang) nicht gefunden worden sind,[4] spiegelt doch die biblische Schriftprophetie seit dem ausgehenden 8. Jh. ein allmähliches Einsickern von Vorstellungen und Sprachformen des altorientalischen Vertragsrechts. Die etlichen Parallelen zwischen Vertragsflüchen und prophetischen Texten sind seit langem bekannt und sollen an dieser Stelle nicht noch einmal genannt werden.[5] Wie nicht anders zu erwarten, begegnen in der Prophetie Traditionen der an den diplomatischen Kontakten


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[1] Hierbei handelt es sich lediglich um geistesgeschichtlich analoge Fälle, die in keinerlei wechselseitigem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Ihre Gemeinsamkeit liegt darin, dass sie aus ein und derselben historisch-politischen Gegebenheit (dem Ende des Königtums in Juda) vergleichbare theologische Konsequenzen ziehen.
[2] Vgl. dazu o. S. 95 u. 97-102.
[3] Vgl. dazu o. S. 59-62.
[4] S. u. S. 290, Anm. 120.
[5] Vgl. dazu Fensham, Malediction; ders., Common Trends; und ausführlich Hillers, TreatyCurses, 43-79.

in erster Linie beteiligten Völkerschaften: nämlich der syrischen Aramäer und der mesopotamischen Assyrer. Für den nordsyrisch-aramäischen Bereich ist die in der biblischen Prophetie breit rezipierte Gattung der Nichtigkeitsflüche namhaft zu machen, deren Traditionsgeschichte von T Podella eingehend untersucht worden ist.[1] In jüngerer Zeit konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass mit den rezipierten Sprachformen oftmals auch gedankliche Eigenheiten des Vertragsrechts adaptiert worden sind. So identifizierte U. Rüterswörden in Amos 7 etliche inhaltliche Entsprechungen zu Flüchen in den aramäischen Sfire-In- schriften sowie dem neuassyrischen EST, wobei er in den Amos-Visionen das „Einfallstor für eine seinerzeit wohl neuartige Strafvorstellung"[2] erblickt:[3] [4]

„statt eines Tun-Ergehenszusammenhangs findet sich eine neuartige Strafvorstellung, wie sie im Alten Orient gängig ist: das Strafhandeln der Gottheit aufgrund eines Vergehens, das im Bereich des Vertragsbruchs situiert ist."

Ähnlich gelagert ist eine Beobachtung von B. Becking, der in Nah 3,7 eine „interpretatio israelitica"11 einer mesopotamischen Vorstellung offen legte, die im Adad-Fluch des EST belegt ist.[5] Die Idee von Jhwh als „judge acting in history"[6] verdanke sich somit ebenfalls dem altorientalischen Vertragsdenken.

Interessant ist nun die Tatsache, dass sich die seit dem 8. Jh. bezeugte Rezeption vertragsrechtlicher Vorstellungen und Sprachformen im Alten Testament bis in spätexilisch bzw. nachexilisch zu datierende Texte hinein verfolgen lässt. Zwei Beispiele einer „verspäteten" Rezeption im Umfeld der Priesterschrift und damit außerhalb des Deuteronomismus seien hier kurz vorgestellt:

(1.) Während der aramäische Ausdruck für „Vertrag" 'dy - wie oben dargelegt - seit dem 8. Jh. in Gestalt des akkadischen ade in Assyrien und Babylonien als Lehnwort bezeugt ist, erscheint er im Alten Testament vermutlich erstmals im Kontext des bundestheologischen Konzepts der Priesterschrift, wo er für den Dekalog als Inbegriff der „Bundesbestimmungen" Verwendung findet.[7] Gerade in diesem Fall ist mit einiger Sicherheit anzunehmen, dass die Entlehnung aus dem Aramäischen viel früher stattgefunden hat, als dies die Beleglage im Alten


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[1] Vgl. Podella, Notzeit-Mythologem, 438: „Die formale und inhaltliche wie auch die historischgeographische und kulturelle Nähe der atl. Prophetie des 8. und 7. Jh.s. v. Chr. zu den Ara- mäerstaaten Syriens lässt demnach vermuten, dass der Nichtigkeitsfluch nicht ursprünglich israelitisch ist, sondern von den nördlichen Nachbarn Israels übernommen wurde."
[2] Rüterswörden, Bundestheologie, 96-99, das Zitat 96.
[3] Ebd.
[4] Becking, Judge, 115.
[5] Als weiteren Beleg der Vorstellung zitiert Becking einen Abschnitt aus dem Gilgames-Epos,
vgl. a.a.O., 115.
[6] A.a.O., 116.
[7] S. dazu o. S. 102f.

Testament erwarten lässt. Auch wenn dies nicht zu beweisen ist, hat der Begriff vermutlich erst längere Zeit im „profanen" bzw. „politischen" Systembereich Verwendung gefunden, ehe er in der priesterschriftlichen Literatur in einen rein theologischen Gebrauch überführt worden ist.

(2) Ähnliches ist im Hinblick auf zahlreiche Flüche in Lev 26, dem Abschlusskapitel des Heiligkeitsgesetzes, zu vermuten, die keine Parallele in Dtn 28 besitzen, aber traditionsgeschichtlich der nordsyrisch-aramäischen Tradition nahe stehen.[1] Ein Paradebeispiel ist in dieser Hinsicht der Nichtigkeitsfluch in Lev 26,26, der nahezu wortwörtliche Parallelen in drei aramäischen Inschriften hat.[2] Der zeitliche Graben von ca. 200 Jahren, der zwischen dem jüngsten Beleg auf der aramäischen Bukän-Inschrift und dem Heiligkeitsgesetz klafft, legt auch hier die Annahme nahe, dass entsprechende Flüche in Israel und Juda bereits in vorexilischer Zeit geläufig waren.

2.2 Kontaktmedien und Kontaktträger: Vasallenverträge und
Schreiberschulen[3]

All diese Rezeptionsvorgänge auf dem Gebiet des Vertragsrechts sind vor dem Hintergrund breit belegter diplomatischer Kontakte der beteiligten mesopotamischen und levantinischen Staaten gesehen gut vorstellbar. Was die konkrete Vermittlung der Traditionen angeht, so spielen m.E. zwei Institutionen eine entscheidende Rolle: Einerseits die Praxis, internationale Beziehungen mit Hilfe von eidlich abgesicherten Abkommen auf eine rechtliche Basis zu stellen, andererseits der im Alten Orient stark vernetzte Berufsstand der Schreiber.

Vasallenverträge als Kontaktmedien​


Internationale Verträge, die häufig den traditionsgeschichtlichen „Stempel" beider am Vertragsschluss beteiligten Völkerschaften zu erkennen geben, können als vorzügliche Kontaktmedien gelten. So ist es etwa sicher kein Zufall, dass der einzige Beleg für die aramäischen Nichtigkeitsflüche in der akkadischen Literatur in einem Feldzugsbericht Assurbanipals zu finden ist, der an dieser Stelle wahrscheinlich aus einem Vasallenvertrag mit dem in der syrischen Wüste beheimateten arabischen Qedar-Stamm zitiert.[4] Auch Asarhaddons Vasallenvertrag mit Baal von Tyrus (SAA II 5) gibt in seinem Fluchteil neben dem vorherrschenden assyrischen auch phönikisches Lokalkolorit zu erkennen, womit
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[1] Vgl. Weinfeld, Deuteronomy, 124-126.
[2] Podella, Notzeit-Mythologem, 436, sieht in dem Fluch „eine Art missing link zwischen hebräischen, aramäischen und assyrischen Vorstellungen". - Vgl. dazu auch unten S. 286f.
[3] Vgl. zu dieser Terminologie o. S. 18.
[4] Vgl. dazu o. S. 65.

feststeht, dass „[d]er Vertragsabschluss [...] für beide Parteien eine Konfrontation mit der Götterwelt des jeweils anderen [bedeutete]".[1] Für die These, dass die Verbreitung völkerrechtlicher Verträge nebenbei einen „diplomatischen Synkretismus"[2] förderte, können weitere sprechende Belege beigebracht werden. Zu nennen ist hier etwa die sowohl aramäische als auch hethitische und insbesondere assyrische Götter(paare) aufführende Götterliste der aramäischen Inschriften von Sfire.[3] Aber auch die an das neuassyrische Reichspantheon angelehnte Fluchreihe in Dtn 28,25-34*, die die assyrische Götterreihe Sin - Samas - Venus/Istar - Ninurta voraussetzt, gehört wohl in diesen Zusammen- hang.[4]

Wenn im Alten Testament Gemeinsamkeiten einerseits mit aramäischen und andererseits mit neuassyrischen Vertragstexten zu identifizieren sind, so fügt sich dazu der Sachverhalt, dass für Israel und Juda (Vasallen-) Verträge gerade mit den aramäischen Nachbarstaaten wie mit dem neuassyrischen Großreich belegt bzw. zu postulieren sind. Mit Blick auf das größere Nordreich Israel lassen sich zahlreiche Kontakte mit Aramäerstaaten auf Vertragsebene namhaft machen. Für das 9. Jh. ist hier vor allem auf die direkten nördlichen Nachbarn, Aram-Damaskus[5] und "amat[6], zu verweisen. Im 8. Jh. folgten - z.T. unter israelitischer Ägide - gegen das nach Westen expandierende assyrische Reich gerichtete Koalitionen mit etlichen Aramäerstaaten, die wahrscheinlich ebenfalls auf vertraglicher Basis zusammengehalten worden sind. Wendet man sich dem kleineren Bruderstaat Juda zu, so ist zu vermuten, dass der im Entstehen begriffene Kleinstaat spätestens seit seiner ersten außerbiblischen Erwähnung in der aramäischen Inschrift von Dan[7] in die militärisch-diplomatischen

Kooperationen und Konfrontationen der levantinischen Staatenwelt einbezogen ist. Nach Ausweis der alttestamentlichen Historiographie ist es in diesem Zusammenhang auch zu Vertragsschlüssen gekommen (vgl. 1Kön 15,18f).

Was Verträge mit dem neuassyrischen Großreich angeht, so ist zu vermuten, dass den Königen von Juda als tributpflichtigen assyrischen Vasallen, nachdem man sich um 730 Tiglatpileser unterworfen hatte, allein im 7. Jh. vermutlich mehr als ein halbes Dutzend Verträge auferlegt worden sind. Nach der (erneuten)
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[1] Radner, Handelspolitik, 160f, Anm. 31. „Dabei sind die Flüche so individuell auf diese Gottheiten zugeschnitten, das [sic!] zumindest von Seiten des assyrischen Schreibers eine eingehende Beschäftigung mit den religiösen Vorstellungen des phönikischen Vertragspartners vorauszusetzen ist; gleiches gilt wohl auch für den tyrischen Schreiber." (ebd.)
[2] Albertz, Religionsgeschichte 1, 228, Anm. 1: „Der diplomatische Synkretismus zeigt sich besonders in den antiken Staatsverträgen, in denen die Götter beider Vertragspartner beschworen und zueinander in Beziehung gesetzt werden."
[3] Vgl. dazu o. S. 59-62.
[4] Vgl. dazu o. S. 216-228. Nach Steymans, Deuteronomium 28, 298, Anm. 3, reflektiert Hos 5,10-13 den mesopotamischen Gula-Fluch.
[5] Vgl. zu etlichen Vertragsschlüssen zwischen Israel und Aram-Damaskus Kottsieper, Inschrift, 492-496.
[6] Vgl. zu den Kontakten zwischen Israel und "amat Hutter, Widerspiegelungen, 429-432.
[7] Vgl. zu dieser Inschrift Dietrich, däwid.

Unterwerfung Hiskijas um 700 gaben nicht allein die Thronfolgeregelungen unter Sanherib und Asarhaddon, sondern darüber hinaus jede Thronbesteigung eines assyrischen Großkönigs sowie jeder Herrscherwechsel auf dem judäischen Thron Anlässe für neue Verträge ab. Da die Verträge den Vasallen in schriftlicher Form als so genannte —uppi ade („Vertragstafeln") ausgeliefert wurden, ist damit zu rechnen, dass zahlreiche assyrische Vertragstexte, vermutlich in aramäischer Übersetzung,[1] in Jerusalem vorhanden waren und im Staatsarchiv aufbewahrt wurden.

Fazit: Sowohl aramäische als auch assyrische (Vasallen-) Verträge dürften in Jerusalem im 8. und 7. Jh. bekannt und sehr wahrscheinlich im königlichen Archiv vorhanden gewesen sein.

Schreiber als Kontaktträger​


Als weiterer Faktor, der für Interdependenzen im altorientalischen Vertragsrecht geltend gemacht werden kann, ist auf Kontakte auf der Ebene der Schreibertradition aufmerksam zu machen. Vor der eigentlichen Beschäftigung mit dem altorientalischen Schreiberstand ist dieser jedoch von dem Phänomen einer allgemeinen Literalität zu unterscheiden. In der gegenwärtigen Forschung setzt sich zunehmend die Ansicht durch, dass in den städtisch geprägten altorientalischen Gesellschaften mit einer breit gestreuten grundlegenden Beherrschung des Mediums Schrift zu rechnen ist, wobei die Fähigkeit, zu lesen, noch einmal als größer einzuschätzen ist als diejenige, zu schreiben.[2] Von jenen Grundfertigkeiten im Umgang mit der Schrift grundsätzlich zu unterscheiden ist der Berufsstand der gründlich ausgebildeten und hochgradig spezialisierten professionellen Schreiber, der in diesem Zusammenhang allein von Interesse ist. Das Hauptaugenmerk gilt dabei der Ausbildung der Schreiber.

Die folgende Übersicht konzentriert sich aufgrund der zahlreichen und recht gut erschlossenen Quellen zu Schule und Schreiberausbildung geographisch im Wesentlichen auf Mesopotamien.[3] An geeigneter Stelle werden Nachrichten aus Ägypten und der Levante eingeschoben. Auch wenn sich die Verhältnisse in Mesopotamien nicht eins zu eins auf die levantinischen Kleinstaaten übertragen
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[1] Krebernik, Deuteronomiumskommentar, 35f.
[2] Vgl. zu Mesopotamien Wilcke, Überlegungen, 48f. Vgl. speziell für das neuassyrische Reich Parpola, Scribe, 320-322. Vgl. zu den davon leicht abweichenden Verhältnissen im spätvor- exilischen Juda Carr, Tablet, 112-122. Carr kommt a.a.O., 122, zu folgendem Ergebnis: ,,[T]he epigraphic evidence supports the biblical picture of a largely illiterate populace combined with a ruling class who had received a broader training that began with alphabetic knowledge but moved far beyond it."
[3] Dabei stütze ich mich für die altbabylonische Zeit auf Waetzoldt, Schreiber, 33-50, und für die neubabylonische Zeit auf Gesche, Schulunterricht, passim. Eine Zusammenfassung des mesopotamischen Schul- und Ausbildungssystems bietet Carr, Tablet, 17-46.

lassen, ist aufgrund der an Mesopotamien orientierten weitgehenden Einheitlichkeit der altorientalischen Schreiberausbildung dennoch eine prinzipielle Vergleichbarkeit gegeben.[1]

Informationen zu Schreibern und deren Ausbildung in Mesopotamien geben die aus nahezu allen Gebieten und Epochen überlieferten Schulübungen - Tontafeln, die von Schülern im Rahmen ihrer Ausbildung geschrieben wurden. Hinzu kommen Schulerzählungen aus altbabylonischer Zeit, die, obgleich sie gelegentlich satirisch überzeichnen, wichtige Einblicke in den Schulalltag erlauben.[2] Die Notwendigkeit, Schreiber (sum. DUB.SAR = akk. —upsarru = „Tontafelschreiber") auszubilden, war in Südmesopotamien mit der Entwicklung der Schrift um 3000 v. Chr. gegeben.[3] Die Schreiberausbildung erfolgte anfangs innerhalb der Familie, wobei der schriftkundige Vater entweder das eigene oder ein bei sich aufgenommenes Kind unterrichtete. Die Entstehung von Edubba'a (akk. bit —uppi [m]) bezeichneten Institutionen[4] verdankte sich höchst wahrscheinlich der komplexer werdenden Verwaltung unter der stark zentralisierten Regierung der dritten Dynastie von Ur am Ausgang des 3. vorchristlichen Jahrtausends, in der eine institutionell geschulte Beamtenschaft unabdingbar geworden war.[5] Das weit verbreitete Phänomen von Schreiberfamilien legt aber nahe, dass die „private" Schreiberausbildung auch in den folgenden Epochen nebenbei fortbestand, wobei nicht selten der Sohn seinem Vater im Amt nachfolgte.[6] Was die grobe Gliederung der Ausbildung angeht, so spricht sich Waetzoldt aufgrund der altbabylonischen Quellen, die von den neubabylonischen im Wesentlichen bestätigt werden,[7] für eine grundsätzliche Zweiteilung in eine „Elementarausbildung" und eine sich anschließende
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[1] Vgl. zu diesem Problem a.a.O., 113-115. Carr kommt aufgrund der Befunde in den levanti- nischen Kleinstaaten im 1. Jt. zu dem m.E. richtigen Schluss, „that small-scale kingdoms like Judah and Israel maintained scribal-textual systems, often emulating their bigger neighbors and borrowing parts of their systems while working in broader regional scribal traditions". (a.a.O., 114f)
[2] Vgl. zu den in den Erzählungen zum Ausdruck kommenden Bildungszielen Volk, Edubba'a,
11-30.
[3] Volk betont zu Recht, dass der „Zusammenhang von Schriftlichkeit und Schule als Schriftzeichen und deren Inhalte vermittelnde Institution [...] von Anbeginn des Schreibens an als Voraussetzung zu gelten [hat]" (a.a.O., 3).
[4] Der sumerische Terminus ist wohl am besten mit „Haus, das Tafeln zuteilt" zu übersetzen (vgl. ebd.). Nach Volk waren die Edubba'a genannten Institutionen „ein spezifischer Fall von ,Schule', indem sie ganz auf die Bedürfnisse des Palastes ausgerichtet waren" (a.a.O., 10).
[5] Vgl. Waetzoldt, Schreiber, 33. Etwa zeitgleich erscheinen auch in Ägypten die ersten Belege für Palast- und Tempelschulen; vgl. Fischer-Elfert, Schreiber, 62.
[6] Vgl. Waetzoldt, Schreiber, 41f; Volk, Edubba'a, 4, Anm. 21; van Soldt, Texts, 180-182; Lipinski, State Scribes, 162f. In Ugarit fand die Schreiberausbildung wohl grundsätzlich nicht im Palast, sondern in Privathäusern statt (vgl. van Soldt, Texts, 180).
[7] Gesche gliedert feiner, indem sie einen Elementarunterricht, zwei (schon spezialisierende) Schulstufen und eine berufsspezifische Fachausbildung unterscheidet (vgl. das Schema bei Gesche, Schulunterricht, 210).

„berufsorientierte Ausbildung in Form einer Famulatur" aus.[1] In der Elementarphase standen nach dem Erlernen der (sumerischen und akkadischen) Keilschriftzeichen zunächst lexikalische Listen und einfache Texte auf dem Plan.[2] Gelegentlich konnte sich nach der Elementarausbildung eine Art „Oberstufe" anschließen, in der bereits anspruchsvollere Literatur und verschiedene Gebrauchstexte behandelt wurden.[3] Zu den zentralen pädagogischen Mitteln im Schulunterricht zählten „einerseits Abschreiben, Wiederholung und Diktat und andererseits Auswendiglernen".[4] Insbesondere das Memorieren hat nach Auskunft der Schulerzählungen einen ungleich höheren Stellenwert eingenommen als im modernen Schulbetrieb. Zu den wichtigsten Unterrichtsmaterialien gehörten zweifellos die lexikalischen Listen, die als „Leitfossil für Schulen"[5] gelten können. Die Listen, die zum Teil bis in das 3. Jt. zurückgehen und im 1. Jt. oftmals kanonische Geltung besaßen, verzeichneten katalogartig Objekte der Erfahrungswelt.[6] Wenn Schüler in den Schulerzählungen damit prahlen, umfangreiche Listen memorieren zu können,[7] gibt das einen Eindruck von der zentralen Rolle der lexikalischen Listen im mesopotamischen Schulunterricht. Einen empirischen Beleg für die Annahme, dass lexikalische Listen wenigstens vom Lehrer aus dem Kopf memoriert werden konnten, stellen die überlieferten Listen aus Ugarit bereit, die nicht importiert, sondern vor Ort entstanden sind.[8]


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[1] Waetzoldt, Schreiber, 38. Eine auf die Grundausbildung folgende Fachausbildung für Schreiber
der höheren Verwaltung ist auch in Ägypten anzutreffen; vgl. Williams, Scribal Training, 216, sowie ders, The Sage, 26: „Further specialized education was necessary for those scribes who aspired to administrative positions in the government, temple, or army, or who sought a career in such areas as medicine, astronomy, sorcery, or dream interpretation."
[2] Vgl. Waetzoldt, Schreiber, 39.
[3] Vgl. a.a.O., 40.
[4] A.a.O., 36.
[5] Schretter, Schule, 461.
[6] Vgl. zu den Listen allgemein Jursa, Babylonier, 96-98.
[7] Vgl. Carr, Tablet, 24.
[8] Vgl. van Soldt, Texts, 175.

Nach Abschluss der Elementarausbildung, die ca. 8-10 Jahre in Anspruch nehmen konnte,[1] setzte der angehende Schreiber seine Ausbildung als Famulus bei einem professionellen Schreiber an Ort und Stelle seiner späteren Tätigkeit fort. Alles in allem begann der fertig ausgebildete Schreiber seine Laufbahn in der höheren Verwaltung somit wohl nicht vor dem 20. Lebensjahr.[2] Eine maßgebliche Zielgruppe der Fachausbildung waren die in der Palastverwaltung tätigen, juristisch geschulten Hofschreiber,[3] über deren wichtige Rolle am Königshof auf der einen Seite die wenigen Erwähnungen in Listen und anderen Texten und auf der anderen Seite die umfangreichen Tontafelfunde in den Königspalästen selbst Auskunft geben.[4] Hofschreiber sind unter dem Titel DUB.SAR.E.GAL seit der Ur-III-Zeit bezeugt, in der sie „indispensable for administration of the scale and complexity practiced in Mesopotamia" waren.[5] In der königlichen Verwaltung erledigten Hofschreiber nicht allein den alltäglichen administrativen Schriftverkehr, sondern betrieben darüber hinaus Traditionspflege, indem sie verschiedene das Königtum betreffende Textsorten (Rechtssammlungen, Eponymenlisten, Königslisten, Annalen etc.) kopierten und redigierten, aber auch, indem sie in dieser Sparte als Autoren tätig waren.[6] Hofschreiber kommen schließlich auch als anonyme Autoren von großen epischen Werken (etwa dem Tukulti-Ninurta- oder Gilgames-Epos) in Betracht.[7] Ein ganz wesentlicher


[HR=3][/HR]
[1] Vgl. Waetzoldt, Schreiber, 38, und Gesche, Schulunterricht, 219.
[2] Vgl. Waetzoldt, Schreiber, 41.
[3] Vgl. Gesche, Schulunterricht, 217: „Für die Schreiber von administrativen Texten und Urkun
den war die Ausbildung, die sie in der Schule erhalten hatten, nicht ausreichend. Sie benötigten eine fachlich orientierte Ausbildung, in der sie sich die praktischen Fähigkeiten zum Anfertigen der entsprechenden Texte aneigneten. Sie mussten nicht nur die in der Verwaltungssprache üblichen Formulierungen lernen, sondern auch, dass für unterschiedlichen Textgattungen jeweils unterschiedliche Tafeln verwendet wurden."
[4] Vgl. Sweet, Sage, 103: „Quite apart from this inner evidence of the presence of scribes in royal palaces, the material evidence of the hundreds of tablets excavated in palaces at sites such as Mari, Assur, Kal'u, and Nineveh make it quite clear that many scribes were employed in palace administration."
[5] Ebd. Nach der Personennamenliste Proto-Lu waren 18 verschiedene Spielarten von Hofschrei
bern in der königlichen Verwaltung der Ur-III-Zeit beschäftigt, unter ihnen ein DUB.SAR. LUGAL, der vermutlich als Privatsekretär des Königs fungierte (vgl. ebd.).
[6] Vgl. ebd.: „The palace is the obvious place where these texts were composed, and their exist
[7]ence witnesses to the activity of wise man - in this case experts skilled in the use of the wiritten word - at the royal court. The same place of origin may be posited for the several collections of laws for which Mesopotamia is famous, as also for lists of year-names, king lists, and eventually chronicles." In diesem Punkt entspricht der mesopotamische Literaturbetrieb im Palast in etwa dem ägyptischen „Lebenshaus" als Ort der Traditionspflege, das ebenfalls mehr war als „a mere scriptorium or library, although it was a center for the composition, preservation, study, and copying of texts" (Williams, Sage, 27; vgl. auch ders., Scribal Training, 220f).

Aspekt der Ausbildung bestand im Erwerb juristischer Kenntnisse.[1] Die zahlreich überlieferten Abschriften von (zum Teil außer Gebrauch stehenden) Rechtstexten, allen voran des bekannten Codex Hammurapi, der bis in spätbabylonische Zeit tradiert wurde, legen die Vermutung nahe, dass diese Texte zu Unterrichtszwecken kopiert wurden.[2] So dürfte sich auch das so genannte „Neubabylonische Gesetzesfragment", das mit Exzerpten aus diversen Rechtstexten beschrieben ist, eben dieser Ausbildungsphase verdanken.[3] Das Korpus der Modellverträge, die „dem Üben im Formulieren ganzer Verträge"[4] dienten, ist für die Bereiche des Kauf-, Pacht- und Pfandrechts sowie der Sklavenfreilassung belegt, z. T bis in die achämenidische Zeit.[5] Eine vergleichbare Ausbildung an Modellen von Staatsverträgen ist daher wahrscheinlich. Die einschlägige Terminologie wurde mit Hilfe von lexikalischen Listen wie der sumerisch-akkadischen Serie ana ittisu erworben, die eine Kompilation u.a. von Kontraktklauseln und juristischen Fachbegriffen vor allem des Schuld-, Ehe- und Prozessrechts darstellt.[6] Die verwaltungstechnische Phraseologie steuerte die lexikalische Liste ur5-ra = 'ubullu bei,[7] die, in großen Teilen, ein fester Bestandteil des mesopotamischen Schulunterrichts war.[8] H. Neumann hat schließlich anhand altbabylonischer Quellen darlegen können, dass im Rahmen der Schreiberausbildung neben den formalen juristischen Fertigkeiten auch „juristisch-dogmatisches Denken" vermittelt worden ist.[9]

In Bezug auf die These, dass Schreiber als Kontaktträger fungierten, ist ein weiterer Aspekt der altorientalischen Schreibertradition wichtig, nämlich ihre Internationalität. Der nationale Grenzen sprengende Charakter der altorientalischen Schreiberausbildung ist schon im 3. Jt. zu beobachten und nimmt in späterer Zeit mit der Verstärkung der internationalen Kontakte noch zu. Dabei dient von Anfang an die altmesopotamische Schule auch in den mesopotamischen Randgebieten (z.B. in Ebla) als „kulturelles Orientierungsmuster".[10] Bei seiner Verbreitung scheinen nach Auskunft der Quellen lexikalische Listen eine
[HR=3][/HR]
[1] Vgl. dazu Neumann, Prozessführung.
[2] Vgl. Gesche, Schulunterricht, 217.
[3] Vgl. ebd., Anm. 831; vgl. dazu auch Neumann, Prozessführung, 76f.
[4] A.a.O., 77.
[5] Vgl. a.a.O., 77f.
[6] A.a.O., 77.
[7] Vgl. ebd.
[8] Vgl. Gesche, Schulunterricht, 77.
[9] Neumann, Prozessführung, 92.
[10] Schretter, Schule, 461; für weitere Beispiele aus dem 3. und 2. Jt. s. a.a.O., 461-466. Vgl.
ausführlich Carr, Tablet, 47-61, der a.a.O., 61, die These wagt, „that the Mesopotamian scribal educational tradition was important not just in Elam, Ebla, Hatti, Nuzi, Alalakh, Amarna, Ugarit, Hazor, Aphek, and Megiddo but also in Israel". In den Kleinstaaten Israel und Juda, wo nicht vor dem 9. Jh. mit einer greifbaren Schreibertradition zu rechnen ist, scheint es mir allerdings wahrscheinlicher, dass die mesopotamische Schreiberausbildung nicht direkt, sondern über die aramäische Tradition vermittelt Einfluss ausgeübt hat.

zentrale Rolle gespielt zu haben.[1] Der Einfluss der mesopotamischen Schreibertradition nimmt im 2. Jt., als das Akkadische die überregionale Verkehrssprache wird, noch einmal erheblich zu. Dem Befund in 'attusa,[2] Ugarit[3] sowie in Amarna[4] zufolge waren die dort eingesetzten Schreiber mit dem Akkadischen wenigstens in Grundzügen vertraut. Dort gefundene Texte, die der mesopotamischen Schule entstammen, belegen die Orientierung an der mesopotamischen Schreiberausbildung.[5] Im 1. Jt. scheint einerseits die mesopotamische Schreibertradition weiterhin prägend zu sein, andererseits gewinnt das Aramäische als die lingua franca der zweiten Hälfte des Jahrtausends gegenüber dem Akkadischen seit dem 8. Jh. merklich an Boden.[6] Ein Indiz für dieses ambivalente Bild in neuassyrischer Zeit ist die Beobachtung, dass viele Urkunden in aramäischer Sprache weiterhin vom assyrischen juristischen Formular abhängig sind,[7] das Teil der Schreiberausbildung ist. Zahlreiche Hinweise legen im Hinblick auf das 1. Jt. weitreichende kulturelle Kontakte auf der Ebene der Schreibertradition nahe,[8] wobei jetzt die aramäische Tradition oftmals eine vermittelnde Funktion einnimmt. Aus assyrischen Quellen geht hervor, dass aramäische Schreiber am Hof des assyrischen Großkönigs in bedeutenden Positionen beschäftigt waren.[9] Assyrisch-aramäische Bilinguen machen einen regelrechten intellektuellen Diskurs der assyrischen und aramäischen Schriftgelehrsamkeit wahrscheinlich.[10] In den nordsyrischen Aramäerstaaten lassen sich vergleichbare Kontakte zwischen Aramäern und den vormaligen Luwiern bzw. Kanaanäern vermuten. Nach

W. Röllig bezeugen nordwestsyrische Texte einen stream of tradition4 [...], der phönizische wie aramäische Schreibertradition gleichermaßen prägte".[11] Die
[HR=3][/HR]
[1] Vgl. Schretter, Schule, 466.
[2] Vgl. Beckman, Mesopotamians.
[3] Vgl. van Soldt, Texts, 186, der im Hinblick auf die ugaritischen Schreiber allerdings lieber von „biscriptal" als von „bilingual" sprechen möchte. Vgl. auch Dietrich, Aspects.

[4] Vgl. zum Befund in Amarna Artzi, Studies, 139-155. Zu den Verhältnissen in der Levante vgl.
Demsky, Education, bes. 165-170, und van der Toorn, Cuneiform Documents, bes. 106.​

[5] Vgl. den Überblick bei Artzi, Studies, 153.
[6] Vgl. für etliche Belege und Beispiele, die diese These bestätigen, Röllig, Aramäer. - Während der assyrische König Sargon am Ausgang des 8. Jh. in einem Brief noch darauf beharrte, dass seine Verwaltungsbeamten mit ihm statt in aramäischer in akkadischer Sprache korrespondieren, scheint sich im 7. Jh. merklich das Aramäische als Verwaltungssprache durchzusetzen, da seitdem die Zahl der überlieferten Keilschrifttafeln im Briefverkehr signifikant zurückgeht (vgl. Parpola, Correspondence, XVI). Den Gebrauch des Aramäischen in der assyrischen Garnison in den Philisterstädten im 7. Jh. bestätigen entsprechende Funde, vgl. Naveh, Writing, 20.
[7] Vgl. Röllig, Aramäer, 184.
[8] Dezidiert nachgewiesen sind Kontakte auf der Ebene der Schreibertradition zwischen den be
nachbarten Königreichen Israel und Juda; vgl. Renz, Schrift, 51f.
[9] Vgl. Görke, Einfluss, 326f; vgl. zur Rolle der Aramäer in der Administration des neuassyrischen
Reiches auch Garelli, Importance.
[10] Vgl. Fales, Bilinguisme, 250.
[11] Röllig, Aramäer, 178; vgl. dazu auch Mayer, Politik, 71f.

eingangs formulierte These, dass die zusammengetragenen Informationen über den Schreiberstand cum grano salis auf Israel und Juda übertragen werden können, soll mit Hilfe des nachfolgenden Exkurses bekräftigt werden.

Exkurs: Hofschreiber in Israel und Juda

Im Alten Testament begegnet der Titel spr „Schreiber" zuerst in den davidisch- salomonischen Beamtenlisten (2Sam 8,16-18 bzw. 20,23-26 und 1Kön 4,1-6). Auch wenn das biblische Bild der frühen Königszeit in der gegenwärtigen Forschung zu Recht einer kritischen Dekonstruktion unterliegt,[1] werden doch die Listen mit hohen königlichen Beamten zumeist weiterhin als zeitgenössische Originalquellen betrachtet.[2] Neben der Erwähnung eines königlichen Schreibers (spr hmlk) in 2Kön 12,11f, der unter Joasch von Juda mit der Auszahlung von Spenden für Reparaturmaßnahmen am Jerusalemer Tempel betraut ist, spielt der Schreiberstand dann vor allem in religionspolitisch entscheidenden Krisenzeiten eine wichtige Rolle, nämlich zum einen im Zusammenhang mit der Joschijanischen Reform um 622 v. Chr. (2Kön 22f) und zum anderen angesichts der Bedrohung Jerusalems durch die Babylonier Anfang des 6. Jh. (2Kön 18f par Jes 36f; Jer 36f). Insgesamt ist festzustellen, dass sich alle biblischen Nachrichten von Schreibern aus vorexilischer Zeit auf Schreiber am Königshof beschränken.[3] Der Schreiber zählt dabei zu den srym, den hohen Beamten bzw. Ministern am Königshof.[4]

„Insofern ist der soper, auch wenn über seinen Aufgabenbereich aus den Quellen der frühen Königszeit kein Aufschluss gewonnen werden kann, nicht als einfacher Schreiber, sondern als Vorsteher der königlichen Kanzlei zu verstehen."

Neben dem Kanzleiwesen dürfte dem Hofschreiber auch die Traditionspflege sowie die Abfassung von Texten historiographischen Inhalts (z.B. königliche
[HR=3][/HR]
[1] Vgl. zu David und Salomo Dietrich, Königszeit, 94-201; Finkelstein/Silberman, Posaunen, 140-163, und speziell zum salomonischen Königtum Gertz, Erinnerung, 11-28.
[2] Vgl. z.B. Würthwein, Könige 1, 39 und 43; Dietrich, Königszeit, 169-175; Gertz, Erinnerung, 26. Allerdings gibt Niehr, rx, 867, zu bedenken, „dass die at.lichen Quellen in bezug auf Angaben hinsichtlich der Verwaltung im 10.-8. Jh. spätere Strukturen widerspiegeln und historisch nicht zuverlässig sind". Die anhand der Amarnabriefe gewonnene Erkenntnis, dass im spätbronzezeitlichen Palästina nicht jeder Fürstenhof einen eigenen Schreiber beschäftigte (vgl. Zwickel, Kommunikationsmöglichkeiten, 464f), meldet auch im Hinblick auf die bescheidenen administrativen Verhältnisse im Jerusalem der davidisch-salomonischen Epoche Zweifel an, die zudem durch den epigraphischen Befund genährt werden, nach dem sich eine eigentliche hebräische Schreibertradition nicht vor dem 9. Jh. belegen lässt (vgl. Renz, Schrift, 51).
[3] Vgl. auch Zwickel, Kommunikationsmöglichkeiten, 469. Dieses Bild bestätigen van der Toorn,
Cuneiform Documents, 100-105, für das spätbronzezeitliche Syrien-Palästina sowie Lipinski, Aramaeans, 504f, und Lemaire, Scribes, 253, für die zeitgleichen aramäischen, ammonitischen und moabitischen Nachbarstaaten Israels und Judas.
[4] Niehr, rps, 926. Vgl. dazu auch Rüterswörden, Königszeit, 85-89. Vgl. zu den srym in der Königszeit Niehr, rX, 866-873, der darauf aufmerksam macht, dass sich das Beamtentum in der frühen Königszeit erst allmählich aus der königlichen Hausverwaltung entwickelt hat.

Annalen) oblegen haben.[1] Der Dienstraum des Hofschreibers war wahrscheinlich die in Jer 36,10.20f erwähnte und in Palastnähe gelegene „Halle des Schreibers" (Iskt NN). Als königliche Kanzlei diente sie vermutlich zugleich der Aufbewahrung der Staatsarchive.[2]

Schon die Beamtenliste aus salomonischer Zeit, in der die beiden Hofschreiber Söhne des unter David amtierenden Schreibers sind (vgl. 1Kön 4,3 mit 2Sam 8,17; 20,25) legt auch in Juda eine Weitergabe des Berufswissens in Schreiberfamilien nahe (vgl. auch die Schreiberfamilien in 1Chr 2,55), wobei der Sohn gelegentlich die Amtsnachfolge des Vaters antritt. Eine Kontinuität ist dann in der späten Königszeit vor allem am Beispiel der „Schreiberdynastie" der Schafaniden nachzuweisen.[3] Die Tatsache, dass sämtliche im Alten Testament erwähnten Schreiber aus vorexilischer Zeit hohe Beamte am Königshof waren, darf allerdings nicht dazu verleiten, den Schreiberberuf auf diese Spitzengruppe einzuschränken. Neben den Hofschreibern gab es vermutlich gewöhnliche „Straßenschreiber", die im Dienst der zumeist analphabetischen Bevölkerung standen, sowie andere hierarchisch niedriger stehende Schreiber der Tempel- (vgl. die levitischen Schreiber in 1Chr 24,6 und 2Chr 34,13) oder Hofverwaltung, einmal abgesehen von Schreibern, die im Dienst von Armee (vgl. 2Kön 25,19 par Jer 52,25), Wirtschaft und Handel standen.[4]

Wie in anderen Gebieten des Alten Vorderen Orients sind auch in Palästina Inschriften zu Tage gefördert worden, die als mutmaßliche Schreibübungen mit der Schreiberausbildung in Verbindung zu bringen sind. Die Beobachtung, dass dabei Alphabete, Wort- und Briefschreibübungen, aber auch Übungen literarischer Texte zum Vorschein gekommen sind,[5] erinnert an den Befund andernorts. Die Verhältnisse im kleinen, abgelegenen Königreich Juda waren freilich sehr viel bescheidener als in den Großreichen in Mesopotamien oder Ägypten oder als in einem mächtigen syrischen Stadtstaat wie Ugarit.[6] Dennoch dürften sich einige Grunddaten der Schreiberausbildung mit aller gebotenen
[HR=3][/HR]
[1] Vgl. Rüterswörden, Königszeit, 88f.
[2] Vgl. Niehr, rps, 927; zu entsprechenden Schreiberkammern in Palastnähe in großen Städten des Nordreichs, in denen offensichtlich auch Wirtschafts- und Verwaltungstexte archiviert wurden, vgl. Zwickel, Kommunikationsmöglichkeiten, 475.
[3] Vgl. den „Stammbaum" der Schafaniden bei Dearman, Servants, 410, und Wahl, Entstehung, 380.
[4] Vgl. Lipinski, State Scribes, 163: „A clear distinction should be made between the ordinary street scribes, who helped the illiterate, and the subordinate scribes of the palace or temple administration, on the one side, and the scribes who formed a narrow circle of state officials, on the other."
[5] Vgl. die Zusammenstellung der mit dem Schulbetrieb in Zusammenhang stehenden Inschriften
aus Palästina bei Renz/Röllig, Handbuch II/1, 22-25. Vgl. zu den Verhältnissen in Juda auch Renz, Beitrag, 129, Anm. 16, mit dem Hinweis auf ein „möglicherweise als Schulübung einzustufende(s)" Ostrakon aus Arad, „das dann die Herstellung einer Königsinschrift zum Übungsgegenstand hätte".
[6] Differenzen ergeben sich auch aus den verschiedenen Schriftsystemen, vgl. Lipinski, State Scribes, 163f: „In contrast to Mesopotamia or Egypt, where the complicated systems of cuneiform signs, hieroglyphs or hieratic graphemes required a long apprenticeship, the simple alphabetic script used in Israel and Judah, as well as the numerals, could be learned in a short time, without any prolonged training in a school."

Vorsicht auf Juda übertragen lassen, über die man im Alten Testament selbst so gut wie nichts erfährt.

Vielfach wird angenommen, dass man sich die Ausbildung der für die Verwaltung notwendigen schriftgelehrten Beamten allein nach dem Famulussystem vorzustellen hat. Ob es darüber hinaus in vorexilischer Zeit Schulen in Jerusalem oder sogar im judäischen Umland gegeben hat, ist in der Forschung umstritten.[1] Eine überzeugende These, die zwischen Famulussystem und Schule vermittelt, hat D. W. Jamieson-Drake vorgelegt. Er kommt, nachdem er archäologische Daten zum Schriftgebrauch in Juda statistisch ausgewertet hat, zu dem Ergebnis, dass in dem politisch unbedeutenden Königreich erst seit dem 8. Jh., als der Übergang von einem so genannten „chiefdom" zu einem kleinen Staat vollzogen wurde,[2] mit einer professionellen Schreiberausbildung zu rechnen ist. Wenn es Schulen gegeben haben sollte, dann allein in Jerusalem, wo sie, mit dem Palast verbunden, der Ausbildung der Verwaltungsbeamten dienten.[3] Es spricht allerdings nichts dagegen, auch in der späten Königszeit nebenbei weiterhin mit einem familieninternen Schreibunterricht zu rechnen, wofür neben der Existenz der mit Palast und Tempel in Beziehung stehenden Schreiberfamilie der Schafaniden auch die Verhältnisse in anderen altorientalischen Gesellschaften sprechen.[4] Für die von Jamieson-Drake vorgeschlagene Spätdatierung der professionellen Schreiberausbildung spricht auch die Beleglage des Titels spr

„Schreiber" im Alten Testament:[5] Neben den 13 Vorkommen in den Vorderen Propheten (zu ihnen gehören streng genommen auch die drei Belege in Jes 36f, dem Seitenstück zu 2Kön 18f), von denen lediglich die Belege in den davidisch- salomonischen Beamtenlisten und der „Schreiber des Königs" in 2Kön 12 in die frühe Königszeit datieren, ist der Titel 12mal in Jeremia, 2mal in Ezechiel, 2mal in Ester, 1mal im Psalter und 20mal in Chronik und Esra/Nehemia und damit in
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[1] Vgl. zu den einzelnen Positionen Wanke, Lehrer, 51-56. Wanke selbst kommt a.a.O., 52, zu folgendem Ergebnis: „Geht man die angebotenen Belege und Argumentationsketten im einzelnen durch, dann ergibt sich, dass mit ihnen die Existenz eines institutionalisierten Schulwesens wenigstens im vorexilischen Israel nicht zwingend nachweisbar ist. Alle Belege und Tatbestände erklären sich ausreichend auch bei der Annahme von Famulaturen oder von Unterweisung in der Familie.' Zu einem vergleichbaren Ergebnis gelangt Grabbe, Priests, 171-174.
[2] Vgl. Jamieson-Drake, Scribes, 139.
[3] A.a.O., 147-150.
[4] Vgl. auch Schmid, Schreiber, 1002: „Wahrscheinlich wird man beide Annahmen [sc. Famulussystem und Schule, CK], die sich nicht ausschließen, kombinieren können, wie sich etwa aufgrund der eng mit Königshof und Tempel verbundenen Jerusalemer Schreiberfamilie der Schafaniden (vgl. 2Kön 22,3; Jer 36) nahe legt."
[5] Vgl. zur Herkunft des Substantivs spr Niehr, rps, 925, der sich für eine etymologische Ableitung von akk. säpirum „Anweisungsgebender" ausspricht, „wobei mit einem historisch oder soziologisch bedingten Bedeutungswandel zu , Schreiber' zu rechnen ist". Der von Rüters- wörden (Königszeit, 88, Anm. 129) erhobene Einwand, der Wechsel von akk. s zu hebr. 5 setze die neuassyrische Zeit voraus, wodurch die Belege in den davidisch-salomonischen Beamtenlisten zu einem Problem würden, hat seinerseits zur Voraussetzung, dass diese Belege tatsächlich die terminologischen Verhältnisse der frühen Königszeit spiegeln.

erster Linie seit dem 7. Jh. bezeugt.[1]

Summa summarum können mit R. F. Person die folgenden vier in der Forschung gebräuchlichen Argumente vorgetragen werden, die für eine professionelle Schreiberausbildung - sei es in regelrechten Schreiberschulen oder innerhalb einer Familie von professionellen Schreibern - im (spät)vorexilischen Juda sprechen:[2]

„(1) The Hebrew Bible itself contains three kinds of evidence: (a) narratives that describe the activity of professional scribes (for example, 2 Kgs 22:8-13), (b) the mention of the existence of source materials, which presumably would have come from the royal court, such as ,the Book of the Chronicles of the Kings of Israel' and ,the Book of the Chronicles of the Kings of Judah'; and (c) vocabulary reflecting the technical language of scribalism. (2) The administrative complexity of the institution of the monarchy required the service of professional scribes; therefore, in order to fulfill this need, scribal schools were established. (3) Scribal schools existed throughout the ancient Near East; hence, by analogy, ancient Israel may have also had scribal schools. (4) Archaeological evidence, especially epigraphic sources, increasingly suggests the existence of professional scribes who were trained with some amount of standardization."

ImAnschluss an diesen Exkurs soll der Ertrag der Einsichten in die antike Schreiberausbildung für die Interpretation der Interdependenzen im altorientalischen Vertragsrecht an zwei Beispielen deutlich gemacht werden:
[HR=3][/HR]
[1] Vgl. Niehr, rps, 925f.
[2] Person, Deuteronomic School, 70. Obgleich für die judäische Exilszeit aussagekräftige Quellen fehlen, scheint der nachexilische Befund gegen einen völligen Abbruch der Schreibertradition zu sprechen; vgl. Schams, Scribes, 312: „Thus the role of scribes from pre-exilic times and the general Near Eastern tradition of influential and educated scribes at royal courts and in the administration of empires continued in a non-monarchic context."

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(1.) Das erste Beispiel betrifft Reihungen von Schädlingen einerseits in Vertragsflüchen in den aramäischen Sfire-Inschriften, dem neuassyrischen EST sowie in Dtn 28 und andererseits in der lexikalischen Liste ur5-ra = 'ubullu. In Dtn 28,38-42* ist eine Folge von Nichtigkeitsflüchen jeweils mit einer Begründung versehen, in der die Ernteausfälle auf das Wirken von verschiedenen Schädlingen zurückgeführt werden. Die Inschriften von Sfire bezeugen in einer Fluchsequenz die gleichen Schädlinge in exakt der gleichen Reihenfolge:[1]

Die Tatsache, dass in beiden Texten sowohl die Terminologie als auch die Reihenfolge der Schädlinge übereinstimmt, könnte auf den ersten Blick auf eine wie immer zu bestimmende wechselseitige Abhängigkeit schließen lassen. Die Parallele erscheint jedoch in einem völlig anderen Licht, wenn erkannt ist, dass alle drei genannten Schädlinge auf Tafel XIV der schon mehrfach erwähnten lexikalischen Liste ur5-ra = 'ubullu[1] bezeugt sind,[2] auf deren Tafeln jeder Schreiber - sofern er diese nicht ohnehin in weiten Teilen auswendig beherrschte - zurückgreifen konnte, wenn er denn solcherlei Tierreihen bilden wollte.

Sf I A: 27f​
Dtn 28,38-42*​
ur5-ra = 'ubullu XIV[3]
'rbh​
'rbh​
erbu (Z. 227)​
twl'h​
tl't​
tultu (Z. 271ff)​
twy​
slsl​
dayye (Z. 359)​


Die bei einem Vergleich augenfälligen, recht umfangreichen Auslassungen zwischen den entsprechenden Worten in ur5-ra = 'ubullu können leicht mit dem oft
[HR=3][/HR]
[1] Zu den weiteren Themen der Liste s. Civil, Education, 302.
[2] Vgl. Tawil, Curse, 60: „[A]ll of these are crop-consuming insects listed in sequential order in the lexical texts."
[3] Vgl. Landsberger, Materialien, 26; 30; 65.

bezeugten Befund erklärt werden, dass für den alltäglichen Gebrauch nicht die 24 Tafeln mit ca. 9700 Einträgen zählende Liste in toto,93 sondern lediglich Exzerpte einzelner Tafeln angefertigt worden sind.94

In Z. 30 folgen in den Sfire-Inschriften nach der Rekonstruktion von H.

Tawil drei weitere Schädlinge. Der Satz lautet:

wysl"n 'lhn mn klmh 'kl b'rpd wbmh

„Mögen die Götter die Raupe, die Laus und den ,Fresser' gegen Arpad und sein Volk senden."

In § 85: 599f des neuassyrischen EST begegnet ein analoger Fluch:95

„.. mögen sie [sc. die Götter, CK] Heuschrecken (erbü), Läuse (kalmutu), Raupen (münu) und „Fresser" (äkilu) 600eure Städte, euer Land und euren Bezirk fressen lassen!"

Die lexikalischen Parallelen liegen wiederum auf der Hand:

Sf I A: 30​
EST § 85: 599f​
mn​
münu​
klmh​
kalmutu​
'kl​
äkilu​


Auch in diesem Fall macht Tawil auf die entsprechende Abfolge von akk. münu und äkilu in lexikalischen Listen (in ur5-ra = 'ubullu XIV Z. 276ff und Z. 279ff)96 und literarisch-astrologischen Texten aufmerksam.97

Am auffälligsten ist die Entsprechung bei einer weiteren Abfolge von Schädlingen in Sf I A: 31f. Nach der überzeugenden Rekonstruktion von Tawil werden hier drei Arten von Kleidermotten aufgeführt, ss, qml und ' [ss|, die wiederum auf Tafel XIV der lexikalischen Liste ur5-ra = 'ubullu belegt sind, wobei sie dort diesmal sogar in direkter Abfolge begegnen:98

Sf I A: 31f​
ur5-ra 'ubullu XIV99​
qml​
kalmat subäti (Z. 267)​
' [ $S]​
aSäSu (Z. 268)​
ss​
säsu (Z. 268a/269)​


von Schädlingen in ein und derselben Terminologie und in der entsprechenden Reihenfolge in ur5-ra ='ubullu bezeugt sind, macht deutlich, dass selbst frappierende lexikalische Parallelen nicht leichtfertig mit der These einer literarischen Abhängigkeit des einen Textes vom anderen erklärt werden sollten, sondern sich der weitgehend einheitlichen Schreiberausbildung, in der lexikalische Listen gebraucht und auswendig gelernt wurden, verdanken können.

(2) Das zweite Beispiel sind im Wortlaut nahezu identische Flüche auf aramäischen Inschriften aus Tell Fe'enye, Sfire, Bukän sowie im Alten Testament, die hinreichend mit Kontakten auf der Ebene der Schreiberschulen erklärt werden können. Die Flüche lauten:

wm'h nswn l'pn btnwr l"m w'l yml'nh

„Und hundert Frauen mögen in einem Ofen Brot backen, aber sie sollen ihn nicht füllen!"

(Tell Fe'erlye-Inschrift, Z. 22; 2. Hälfte 9. Jh.)[1]

wsb bnth yhpn bs— l"m w'l yml'n

„Und sieben seiner Töchter mögen in einem Ofen Brot backen, aber sie sollen ihn nicht füllen!"

(Sfire-Inschriften I A: 24; Mitte 8. Jh.)

wsb7' nsn y'pw btnr hd w'l yml^why

„Und sieben Frauen mögen in einem Ofen (Brot) backen, aber sie sollen ihn nicht füllen!"

(Bukän-Inschrift, Z. 6-8; spätes 8. Jh.)[2]

'sr nsym l"mkm btnwr did whsybw l"mkm bmsql w'kltm wl1 tsbw

„Zehn Frauen werden euer Brot in einem Ofen backen und euer Brot abgewogen herbeibringen, und ihr werdet essen, aber ihr sollt nicht satt werden!"

(Lev 26,26; spätes 6. Jh.?)

Im Hinblick auf die vorliegende Fragestellung ist der Beleg auf der Bukän- Stele am interessantesten, da dort dem judäischen Königreich vergleichbare sprachliche Verhältnisse vorauszusetzen sind. Die fragmentarische Stele ist in der Nähe des südöstlich des Urmiasees gelegenen Bukän und somit im man- näischen Gebiet zu Tage gefördert worden. Die aramäische Inschrift, die mit Hilfe der Paläographie in das späte 8. Jh. zu datieren ist,[3] bietet einen Teil der Schutzflüche, wie sie regelmäßig am Ende von Königsinschriften oder Staatsverträgen bezeugt sind. Angesichts der Abfassungssprache und des Fundortes stellt sich die Frage: Wie kommt eine in Aramäisch verfasste und mit geprägten aramäischen Sprachmustern versehene Inschrift in eine weit im Osten gelegene nicht-aramäische Kultur? Da die Stele aufgrund ihrer Größe kaum importiert sein
[HR=3][/HR]
[1] Die eigene Übersetzung basiert auf der Edition von Schwiderski, Inschriften, 194.
[2] Die eigene Übersetzung basiert auf der Edition von Schwiderski, Inschriften, 83.
[3] Vgl. Fales, Evidence, 133.

wird[1] und überdies den urartäischen Gott Haldi nennt,[2] ist davon auszugehen, dass die Inschrift nicht allein im Gebiet der Mannäer gefunden, sondern auch dort entstanden ist. Dies aber bedeutet, dass sich entweder ein aramäischer Schreiber am mannäischen Hof befand,[3] oder dass ein mannäischer Schreiber in einer aramäischen Schreiberschule gründlich ausgebildet worden ist.[4] Sprachliche Eigenheiten sprechen eher für letztere Möglichkeit.[5] Die Inschrift legt jedenfalls das Vorhandensein einer Gruppe nahe, „whose members were scribes, and perhaps officials and members of the state leadership, who adopted Aramaic for writing and as a language of culture".[6] Die Situation wäre dann mit der im Königreich Juda vergleichbar. Auch in Juda ist nach der Erzählung in 2Kön 18,13ff allein die Jerusalemer Führungsschicht in der Lage, Aramäisch zu verstehen, während das gemeine Volk auf der Stadtmauer auf Hebräisch angesprochen werden muss. Demnach könnte das Aramäische im mannäischen und judäischen Königreich im ausgehenden 8. Jh. als eine Art Kultursprache der Führungsschicht gedient haben. Die Nichtigkeitsflüche auf der Bukän-Inschrift beweisen, dass die aramäische Schreibertradition im 8. Jh. - neben der aramäischen Sprache - auch geprägte aramäische Sprachformen wie z.B. die Fluchgattung der Nichtigkeitsflüche in andere kulturelle und sprachliche Kontexte vermitteln konnte. Ähnliches ist für Juda zu postulieren (vgl. Lev 26,26).

Während die Rolle der aramäischen Schreibertradition im Fall der Verbreitung der typisch aramäischen Gattung der Nichtigkeitsflüche auf der Hand liegt, ist die Verbindung im Fall der Parallelen zu der Liste ur5-ra = 'ubullu weniger offensichtlich. Doch auch bei diesem Beispiel ist zu vermuten, dass die aramäische Schreiberausbildung mit den lexikalischen Listen einen „Exportschlager" der mesopotamischen Schreibertradition übernommen und weitergegeben hat. Die Übereinstimmungen in den Sfire-Inschriften mit ur5- ra = 'ubullu sprechen m.E. für den Gebrauch dieser prominenten Liste in der aramäischen Schreiberausbildung.[7] Wenn man bedenkt, dass ur5-ra = 'ubullu
[HR=3][/HR]
[1] Die Stele war mindestens 2m hoch und 80cm breit, vgl. Kottsieper, TUAT NF II, 312.
[2] Umstritten ist, ob auch die mannäische Hauptstadt Izirtu (z(tr) genannt wird, wie Lemaire, Inscription, 21f, vermutet. Fales, Evidence, 136-138, plädiert dagegen für den Personennamen Bs/z(tr, der auch in den Annalen Tiglatpilesers III. bezeugt ist.
[3] So Sokoloff, Inscription, 106.
[4] So Eph'al, Inscription, 118.
[5] Vgl. Kottsieper, TUAT NF II, 312, der nicht zuletzt angesichts der Unsicherheiten beim Gebrauch der Genera zu dem Ergebnis kommt, dass der Schreiber „sicher von Haus aus nicht aramäischsprachig" war.
[6] Eph'al, Inscription, 118. Wenn Fales, Evidence, 147, die Existenz einer aramäischen Inschrift im Mannäerreich mit der Annahme erklären will, die Inschrift sei Niederschlag einer antiassyrischen Koalition zwischen einem aramäischen (Mati'-'el von Arpad?) und einem mannäischen Herrscher, so wäre auch in diesem Fall vorauszusetzen, dass es unter den Mannäern Menschen gab, die die Stelen entziffern konnten.
[7] Aufgrund eines ähnlichen lexikalischen Vergleichs zwischen einer Aufzählung von häuslichen Einrichtungsgegenständen auf einer Tafel aus dem ägyptischen Achetaton mit ur5-ra = 'ubullu schließt Artzi, Studies, 141f, auf das dortige Vorhandensein der Liste.

für die Spätbronzezeit in Amarna[1], Hazor[2], Ugarit, 'attusa und Alala' belegt ist,[3] wobei eine beträchtliche Anzahl neben der akkadischen Spalte auch eine solche in der Landessprache enthalten,[4] erscheint es nicht abwegig, in einer Zeit der akkadisch-aramäischen Zweisprachigkeit in der neuassyrischen Epoche mit einer aramäischen Spalte zu rechnen. Die Gemeinsamkeiten zwischen Dtn 28,38-42 und Sfire I A könnten dann ein Indiz dafür sein, dass die Schreiberausbildung in Israel und Juda ihrerseits an der aramäischen Schreibertradition partizipierte, über die nebenbei eine ursprünglich mesopotamische Erfindung in andere Sprach- und Kulturkreise vermittelt worden ist.[5] Das Alte Testament selbst benennt einen möglichen Vermittlungsweg: Die in 2Kön 18,13ff erscheinenden judäischen Hofbeamten sind beim Erwerb ihrer aramäischen Sprachkenntnisse vermutlich mit der aramäischen Schreibertradition in Berührung gekommen.[6]

Beide vorgestellten Beispiele für Interdependenzen im altorientalischen Vertragsrecht deuten auf Kontakte auf der Ebene der (aramäischen) Schreibertradition hin. Da auch die Schädlingsreihe in Dtn 28,38-42 an der mesopotamischen Liste ur5-ra = 'ubullu orientiert zu sein scheint, liegt damit zugleich ein erstes Anzeichen dafür vor, dass auch die Verfasser der bundestheologischen Texte im Deuteronomium im Schreibermilieu zu suchen sind. Im Hinblick auf die eingangs formulierte doppelte Problemstellung stellt die Beobachtung, dass sich auch frappierende Parallelen hinlänglich mit Kontakten auf der Ebene der Schreibertradition erklären lassen, eine vielversprechende Alternative zu Thesen einer literarischen Abhängigkeit zwischen Deuteronomiumstexten und altorientalischen Vertragstexten bereit, die der traditionsgeschichtlichen Mischgestalt in Dtn 13* und 28* eher gerecht würde.[7]


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[1] Vgl. a.a.O., 142.
[2] Vgl. Tadmor, Text; vgl. zu dem Fund auch Demsky, Education, 162: „This find places the Canaanite scribal schools squarely within the ,stream of tradition'; they afforded the local student a classical literary education."
[3] Vgl. die Übersicht bei Artzi, Studies, 153.
[4] Vgl. wiederum den Befund in Ugarit (van Soldt, Texts, 198-203).
[5] Für Israel und Juda sprechen Lipinski zufolge neben den verschiedenen Zeugnissen der Listenwissenschaft auch der konstante Konsonantenbestand des Althebräischen für den Gebrauch von lexikalischen Listen (vgl. ders., State Scribes, 159f).
[6] Vgl. auch Carr, Tablet, 156f, der im spätvorexilischen Juda mit einem zweigleisigen Ausbildungssystem rechnet: „one track focusing on texts in the local language and another, more exclusive educational track focused on education in a foreign language and a highly limited corpus of foreign language texts." (a.a.O., 157)
[7] Auch Carr (a.a.O., 60f) sieht in biblischen Parallelen zu altorientalischen Vergleichstexten den Einfluss der Schreibertradition.