3.1.4 Der Hofschreiber Schafan und die Joschijanische Reform nach 2Kön 22f
In 2Kön 22f kann sachlich ein Fund- (22,3-20) von einem Reformbericht (23,1-24) unterschieden werden.[1] Die Perikope ist in der alttestamentlichen Forschung in erster Linie wegen ihres möglichen Quellenwertes für die Joschijanische Reform von Interesse, wobei die verschiedenen literarkritisch bzw. religionsgeschichtlich orientierten Rekonstruktionsversuche in aller Regel allein in Kap. 23 auf verwertbares Quellenmaterial stoßen.[2] Da hier jedoch die Frage nach den Trägerkreisen der Joschija-Perikope im Mittelpunkt steht, soll nachfolgend allein der für die Fragestellung weit relevantere Fundbericht in 22,3-20 besprochen werden,[3] dessen Inhalt rasch erzählt ist: König Joschija von Juda schickt in seinem achtzehnten Regierungsjahr (622) den Hofschreiber Schafan zum Priester Hilkija, der eine Instandsetzung des Jerusalemer Tempels in die Wege leiten soll. Bei dieser Gelegenheit informiert Hilkija den Schreiber über ein im Tempel aufgefundenes Gesetzbuch (spr htwrh). Nachdem Schafan das Buch erst einmal selbst gelesen hat, geht er zum König und trägt es diesem vor. Als König Joschija den Inhalt hört, zerreißt er seine Kleider und beauftragt unter anderem Hilkija, Schafan und dessen Sohn Ahikam, Jhwh über die Folgen der Worte für ihn selbst, das Volk und ganz Juda zu befragen. Daraufhin suchen die Hofbeamten die Prophetin Hulda auf, die ihnen ein zweiteiliges Orakel erteilt: In seinem ersten Teil wird Jerusalem und seinen Bewohnern wegen der Missachtung des Ersten Gebots Unheil angekündigt; im zweiten Teil wird dem König ein friedliches Ende und ein ehrenvolles Begräbnis verheißen, weil er sich vor Jhwh gedemütigt hat.
Was die literarische Beschaffenheit von 2Kön 22,3-20 angeht, so besteht ein weitgehender Konsens darin, in dem Bericht keinerlei vor-dtr Quellenmaterial zu erblicken.[4] Der erzählfiktive Charakter des Fundberichts erhellt insbesondere aus der Beobachtung, dass der die Kontingenz des Buchfundes herausstreichende Instandsetzungsauftrag in 22,3-7 sehr wahrscheinlich von der parallelen Episode
[HR=3][/HR]
[1] Die Abgrenzung der Berichte wird in der Forschung uneinheitlich gehandhabt (vgl. das forschungsgeschichtliche Referat bei Albertz, Religionsgeschichte 1, 309, Anm. 8). Ich folge der Gliederung von Hardmeier, König Joschija, 100f, der die episodischen Berichte treffend als res gestae bezeichnet. - Vgl. zu den Rahmenteilen a.a.O., 87-100.
[2] Vgl. aus religionsgeschichtlicher Perspektive Uehlinger, Kultreform, 70-85, der hinter verschiedenen in 2Kön 23 aufgeführten Maßnahmen eine „Purgierung des Jerusalemer Staatskults bzw. Residenzheiligtums von obsolet gewordenen Ritualen" (a.a.O., 80) sieht. Hardmeier, König Joschija, 133-145, gelangt aufgrund einer detaillierten literarischen Analyse zu einem ähnlichen Ergebnis. Er rekonstruiert in 23,4-15* ein Annalenexzerpt, das ursprünglich diverse Beseitigungs- und Reinigungsmaßnahmen des Residenzkultes in Jerusalem aufzählte.
[3] Die Beschränkung auf 22,3-20 stellt keine literargeschichtliche Entscheidung dar. Auf den hinter dem Fundbericht stehenden dtr Verfasserkreis dürften auch weitere Partien aus 2Kön 22f zurückgehen. Richtig ist auch, dass die Auffindungserzählung letztlich in der Bundesschlussszene in 23,1-3 gipfelt, vgl. Lohfink, Gattung, 321f.
[4] Während Würthwein, Könige 2, 446-452, mit mehreren dtr Schichten rechnet, vertritt Hard- meier, König Joschija, 102-115, die Einheitlichkeit der Erzählung.
in 12,10-17 abhängig ist, da er hier einzig dem Ziel dient, „den Schreiber des Königs mit dem Priester zusammenzubringen, damit dieser ihm das Gesetzbuch übergeben kann".[1] Für die Beurteilung von 2Kön 22,3-20 als „dtr Konstrukt aus exilischer Retrospektive"[2] sprechen ferner etliche Anspielungen auf das dtr redigierte Deuteronomium. Vorausgesetzt sind allem voran das Fremdgötterverbot (vgl. 22,17) und die Schicksalsalternative in Dtn 28 (Segen bei Gehorsam/Fluch bei Ungehorsam; vgl. 22,15-20).[3] Vor allem aber die Bezeichnung der gefundenen Urkunde als spr htwrh (vgl. 2Kön 22,8.11 mit Dtn 28,58.61; 29,20; 30,10; 31,26; vgl. auch 2Kön 23,2.3.21 mit Dtn 28,69; 29,8.20), die unmissverständlich klarstellt, dass mit dem Gesetzbuch nichts anderes als das Deuteronomium gemeint ist, spricht für die Kenntnis des dtr Deuteronomiums.[4]
Die Querbezüge machen deutlich, dass die Joschija-Perikope 2Kön 22f auf diese Weise einem doppelten Ziel dient: Auf der einen Seite stilisiert sie König Joschija zum „einzigartigen, idealen König einer Epoche, die ansonsten als ganze rettungslos durch die Sünden von Jerobeam bis Manasse gezeichnet ist (23,26b) und auf die Katastrophe von 587 zuläuft";[5] auf der anderen Seite stellt sie eine Empfehlung des Deuteronomiums in seiner exilischen Gestalt dar, in der es als spr hbryt (23,2) die materiale Grundlage des Bundes zwischen Jhwh und Israel ist. Fragt man von dieser Zielbestimmung aus nach den verantwortlichen Trägerkreisen, so fällt auch hier sogleich die entscheidende Rolle auf, die dem Schreiber Schafan im Zusammenhang mit der Auffindung des Gesetzbuches zukommt:[6]
„Wenn in 2 Kön 22 mit achtmaliger Nennung offenkundig absichtsvoll der Name des Staatsschreibers Schafan eingeprägt wird, kann man fragen, ob hier nicht ein besonderes Band zwischen diesem Mann, dem aufgefundenen Buch und seinem Programm angedeutet werden soll."
Die prominente Rolle, die der Hofschreiber im Fundbericht einnimmt, lässt Folgerungen sowohl für die erzählte Zeit als auch für die Erzählzeit zu. Im Hinblick auf erstere gilt: Auch wenn die in 2Kön 22,3-20 berichteten Ereignisse offensichtlich frei erfunden sind, so legt die im Text hergestellte Verbindung zwischen Schafan und dem Gesetzbuch doch nahe, dass der Hofschreiber und sein Sohn direkt an den national-religiös gesinnten Reformmaßnahmen Jo- schijas beteiligt waren.[7] Sollten diese Maßnahmen in irgendeiner Weise mit
[HR=3][/HR]
[1] Würthwein, Könige 2, 358; vgl. auch Hardmeier, König Joschija, 103.
[2] A.a.O., 113f.
[3] Vgl. zu weiteren Berührungen mit dem dtr Deuteronomium (speziell dem Paradigma von Dtn 9,7ff) sowie deuterojeremianischer Phraseologie a.a.O., 105-111.
[4] Vgl. a.a.O., 104: „Es handelt sich um die mit, die Mose nach Dtn 31,9 im Anschluss an den Vortrag niedergeschrieben und nach 31,26 als hrwth rps neben der Lade verwahren ließ."
[5] A.a.O., 114.
[6] Stipp, Jeremia, 8. Stipp äußert darauf mit Recht den in eine Frage gekleideten Verdacht: „War er ein führender Vertreter der im Alten Testament so folgenreichen deuteronomistischen Bewegung?" (a.a.O., 8f)
[7] Die Annahme, dass einzelne Erzählzüge und Handlungsträger den geschichtlichen Ereignissen entsprechen, gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn erkannt ist, dass „der Erfindungsgabe der dtr Editoren für die Darstellung der spätvorexilischen Zeit Grenzen gesetzt [sind], insofern die dtr Editoren der ersten Ausgabe des DtrG in der Exilszeit unter ihren Adressaten auch Zeitzeugen hatten" (Gertz, Tora, 250).
einem vorexilischen Deuteronomium in Verbindung gestanden haben,[1] ergäbe sich automatisch ein eng umgrenzter Verfasserkreis, der sich überdies mit der gut begründeten These deckt, nach der sich schon das älteste Deuteronomium gelehrten Schreiberkreisen verdankt.[2] Was die Folgerungen für die Erzählzeit angeht, so ist zu bedenken, dass in 2Kön 22,3-20 etliche Querbezüge in die exilische Jeremiaüberlieferung und vor allem zu den Nachträgen in Jer
36 festzustellen sind.[3] Insbesondere bei der Betrachtung von Jer 36 hatte sich eine Entstehung im Milieu der auch in exilischer Zeit noch einflussreichen Schafanfamilie nahe gelegt. Somit ist zu fragen, ob in 2Kön 22,3-20 möglicherweise Mitglieder der Schafaniden ihrem Eponymen, dem Hofschreiber Schafan ben Azalja, in (spät)exilischer Zeit ein Denkmal setzen wollten.[4]
Im Hinblick auf eine mögliche Spaltung des exilischen Deuteronomismus, nach der die national-religiöse Trägerschaft des DtrG den exilischen Tra- denten der Jeremiaüberlieferung, die im Umfeld der Schafanfamilie lokalisiert werden, feindlich gegenübergestanden hätten, ist nun von Bedeutung, dass in 2Kön 22f* der Hofschreiber Schafan innerhalb des DtrG in friedlicher Koexistenz neben den in 2Kön 18f* zu Wort kommenden Jeremiageg- nern als entscheidende Person der Erzählung in Erscheinung tritt. Aufgrund dieser Sachlage wird man mit Hardmeier Jer-D und DtrG „[w]ahrscheinlich [...] für synchrone dtr Komplementärbildungen nach 547/539 zu halten haben, die bei nur geringen Sprach- und geschichtstheologischen Unterschieden in engster Korrespondenz zueinander entstanden sind. Beide buchstabieren in komplementärer Weise die Möglichkeiten einer Schicksalswende und eines Neuanfangs im Lande, beide mit mehr oder weniger royalistischen Tendenzen."[5]
Die aufgeführten Beispiele haben gemein, dass sie die judäischen Funktionseliten im Allgemeinen und den Stand der Hofschreiber im Besonderen mit dem Deuteronomium als der Tora Jhwhs in Bezug setzen, wobei Ansätze aufscheinen,
[HR=3][/HR]
[1] In diesem Sinne interpretiert Hardmeier, König Joschija, 115, die Perikope: „Die geschichtlich als solche wohl richtige Erinnerung, dass z.Zt. Joschijas eine Art Reformverfassung in Gestalt eines vorexilischen Deuteronomiums eingeführt wurde, wird in 2Reg 22 aus einer dtr Retrospektive festgehalten."
[2] Vgl. oben S. 294.
[3] Nach Hardmeier, König Joschija, 114, stehen im Hintergrund von 2Kön 22,3-20 „vermutlich die Modelle und Traditionen der Verhaltenstypologien der letzten Könige Judas aus der Zeit Zidkijas, die in Jer 21,11-22,30* + 23,5f.* und Jer 36* vorgeprägt und durch Jer-D weiterentwickelt wurden [...]".
[4] Vgl. zur Entstehungszeit des DtrG Gertz, Tora, 281f.
[5] Hardmeier, König Joschija, 115.
die auf das spätere Schriftgelehrtentum zulaufen.[1] Die in den
Tendenzerzählungen[2] zu Tage getretenen königskritischen Anwandlungen der judäischen Funktionseliten fügen sich in die im königszeitlichen Juda auch sonst zu beobachtenden machtpolitischen Konstellationen, in denen der König auf der einen Seite ohne Zweifel die Spitze der Hierarchie darstellt, aber auf der anderen Seite als machtpolitische Gegengewichte die hohen Beamten (srym) und den Landadel (m h'rs) zu berücksichtigen hatte (vgl. Jer 44,21).[3] R. Kessler stuft das vorexilische Juda in Anlehnung an S. Talmon von daher als „partizipatorische Monarchie" ein.[4] Vor allem die srym agieren - insbesondere im Jeremiabuch - gegenüber dem König erstaunlich selbständig (vgl. Jer 38,5). Zu den kritischen Tönen der Beamten im Jeremiabuch fügt sich Lachisch-Os- trakon VI, aus dem hervorgeht, „dass s'ärim in Jerusalem gegen die Interessen des Königs handeln".[5] Einen entscheidenden Machtfaktor stellen in diesem Zusammenhang auch die Beamtenfamilien dar.[6] Vor diesem Hintergrund ist es gut vorstellbar, dass die spätvorexilisch religionspolitisch agilen Hofbeamten, sofern sie nicht deportiert worden sind, in den ersten Jahrzehnten des Exils weiterhin aktiv waren.
[HR=3][/HR]
[1] Vgl. Dearman, Servants, 411: „Indeed they are scribes, but the role for many of them in the scripural accounts is the reading, preservation, and interpretation of YHWH's word." (kursiv im Original) - Vgl. zu der These, dass die Deuteronomisten als Vorläufer der Schriftgelehrten zu begreifen sind, Veijola, Deuteronomisten.
[2] Obgleich alle Texte in einem begrenzten Zeitraster entstanden sind, ergeben sich doch ganz nebenbei auch Konsequenzen für die Redaktionsgeschichte des Deuteronomiums. Während nämlich die spätvorexilische Erzählung in 2Kön 18f* in V. 22 zwar das Urdeuteronomium mit der Zentralisationsforderung, aber noch nicht die bundestheologischen Erweiterungen mit dem Ersten Gebot zu kennen scheint (in den ironischen Rabschakereden, in denen wesentliche zeitgenössische Theologumena des Jhwh-Glaubens lächerlich gemacht werden [vgl. 2Kön 18,22.32-35], wäre der Bund zwischen Jhwh und Israel ein gefundenes Fressen gewesen, hätte es die Bundesvorstellung schon gegeben), setzt die (spät)exilische Joschija-Perikope in 2Kön 22f diese bereits voraus. Die Ausbildung der Bundesvorstellung scheint demnach zeitlich zwischen den beiden Erzählungen stattgefunden zu haben.
[3] Vgl. dazu Kessler, Staat, 161-207.
[4] Vgl. a.a.O., 204-207, mit dem Zitat a.a.O., 205f: „Genauer wird man also die Herrschaftsform Judas als eine ,partizipatorische Monarchie4 bezeichnen müssen, bei der Beamtenaristokratie und Landadel an der königlichen Macht partizipieren und ein Gegengewicht zu ihr bilden."
[5] A.a.O., 172.
[6] Vgl. a.a.O., 194: „Die Existenz solcher Beamtenfamilien zeigt, dass die Macht des Königs nicht autokratisch ausgeübt wird. Indem über Generationen hinweg bestimmte Familien hohe Staatsämter bekleiden, besteht ein Gegengewicht mit hoher eigenständiger Bedeutung. Man kann hier durchaus von einer Aristokratie sprechen. Ihr Eigengewicht zeigt sich daran, dass offenbar mit einem Thronwechsel keineswegs automatisch auch die höchsten Beamten ausgewechselt werden. So haben noch im fünften Jahr Jojakims (Jer 36,9) wichtige Mitglieder der Schafan-Familie hohe Staatsämter inne, und in einem konkreten Konflikt stehen sie in Opposition zum König (Jer 26,24; 36)." Einflussreiche Beamtenfamilien sind auch im assyrischen Reich der Sargonidenzeit ein entscheidender Machtfaktor, so dass diesbezüglich gar der Vergleich mit der Mafia gewagt wird, vgl. Vogelzang, Learning, 23f.
Die judäische Funktionselite als Trägerschaft der
dtr Bundestheologie
Das anhand der biblischen Tendenzerzählungen ermittelte Trägermilieu fügt sich gut zu der These eines zweistufigen Rezeptionsprozesses, nach der ein ju- däischer Treueid die vertragsrechtlichen Vorstellungen und Sprachformen für die Ausbildung der Bundestheologie beigesteuert hat. Wenn nämlich Angehörige der judäischen Funktionseliten als Trägerkreis der bundestheologischen Texte wahrscheinlich zu machen sind, ist in diesem Milieu in Analogie zu den Verhältnissen im neuassyrischen Reich mit einer direkten Kenntnis der Treueide zu rechnen. Dafür sprechen zahlreiche Anspielungen auf ade-Texte im assyrischen königlichen Briefverkehr.[1] Mit den in den Briefen genannten ade - Texten sind ganz offensichtlich diejenigen Treueide gemeint, die die jeweiligen Briefverfasser, hohe assyrische Beamte, auf den König geleistet haben. Dabei werden gelegentlich auch einzelne Bestimmungen oder Flüche der Treueide wiedergegeben. Auffällig ist der Befund, dass in den Briefen neben einzelnen Flüchen und kleineren Fluchreihen[2] hauptsächlich das Anzeigegebot eine Rolle spielt,[3] das in der politischen Praxis das zentrale Problem benannt zu haben scheint. Damit haben die assyrischen Beamten aber exakt die gleichen Vertragsrechtselemente rezipiert, wie sie in Dtn 13* und 28* Eingang gefunden haben: Das Anzeigegebot (Dtn 13*) und Fluchreihen (Dtn 28*). Obgleich die in den assyrischen Briefen begegnende Formel „in den ade steht geschrieben .. ,"[4] sicherstellt, dass die Treueide in schriftlicher Form niedergelegt waren, muss doch offen bleiben, ob die Beamten eigene Abschriften besaßen, von denen sie abgeschrieben haben, oder ob nicht eher davon auszugehen ist, dass sie einen solch existenziell wichtigen Text, der überdies phraseologisch weitgehend geprägt war, auswendig beherrscht haben, so dass die vertragsrechtlichen Gebote und Flüche in den Briefen aus dem Gedächtnis reproduziert sein dürften. Überträgt man diese Beobachtung auf Juda, dann sind vergleichbare Textkenntnisse auch bei den judäischen hohen Beamten vorauszusetzen, die aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls auf ihren König vereidigt waren.[5] Bildeten diese die Trägerschaft der dtr Bundestheologie, dann bestünden auch hier die beiden Möglichkeiten, dass sich die Vertragsrechtselemente in Dtn 13* und 28* entweder eigenen
Abschriften, die möglicherweise in Privatarchiven[6] existiert haben könnten und in die Exilszeit hinübergerettet worden wären,[7] oder - wahrscheinlicher
[HR=3][/HR]
[1] Vgl. dazu o. S. 43-49.
[2] Vgl. SAA XVI 126: 19-23; XVIII 143: r. 2-7; 24: 12ff.
[3] Vgl. SAA VIII 316: r. 12-16; X 90: r. 17-20; 199: 16-20; 286: r. 6-9; XVI 59: r. 17; 60: 11f;
71: r. 2ff; XVIII 81: 3-7; 83: 1-4.
[4] Vgl. SAA X 199: 19; XVI 126: 19; XVIII 81: 3f; 83: 3.
[5] Vgl. dazu o. S. 291f.
[6] Vgl. dazu Hardmeier, Wahrhaftigkeit, 125, Anm. 14.
[7] Es ist ziemlich sicher anzunehmen, dass im Jerusalemer Palastarchiv Abschriften von „politischen" Verträgen, seien es (Vasallen-)Verträge mit anderen syrisch-palästinischen Königen oder dem assyrischen - bzw., seit 605, dem babylonischen - Großkönig, seien es Treueide, die dem judäischen Herrscher die Gefolgschaftstreue der Beamtenschaft sowie der Bevölkerung garantierten. Was nach der Zerstörung von Palast und Tempel mit den Archiven geschehen ist, ob sie rechtzeitig geborgen werden konnten oder verloren gegangen sind, lässt sich nicht mehr beantworten. Das in diesem Zusammenhang gerne vorgetragene Argument, die Rezeption der „Tagebücher der Könige von Israel" bzw. „Juda" im (spät)exilischen DtrG setze das Überleben der königlichen Archive voraus, ist nicht in jedem Fall zwingend. So kommt Hardmeier mit seiner These eines vor-dtr Annalenwerks aus der Zidkijazeit gut ohne die Annahme von dem DtrG zeitgleichen königlichen Annalen aus, denn „[d]ie Exzerpte, Bezugnahmen und Quellenverweise waren schon Bestandteil des Annalenwerkes in der Zidkijazeit, als die königlichen Archive noch zur Verfügung standen" (Hardmeier, Annalenwerk, 181). Auf das Problem der „verspäteten" Rezeption der vertragsrechtlichen Vorstellungen und Sprachformen im Deuteronomium bezogen, kommt Hardmeier zu dem Schluss, dass neben den erwähnten Exzerpten aus den Königsannalen „durchaus auch die judäische Version eines [assyrischen? CK] Loyalitätseides vermutet werden kann, von dem Dtn 13* inspiriert ist" (Hardmeier, Rezension, 1034).
- dem Gedächtnis der Verfasser verdankten.[1]
Beide Szenarien sind in der frühen Exilszeit denkbar.[2] Denn entgegen dem vorherrschenden biblischen Bild einer völligen tabula rasa im Juda und Jerusalem nach 587 sprechen sowohl die babylonische Deportationspraxis[3] als auch die babylonischen Gepflogenheiten im Umgang mit eroberten Gebieten[4] eine andere Sprache.[5] Verschont blieb speziell der benjaminitische Norden mit Mizpa als (unzerstörtes) Verwaltungszentrum,[6] wo die Babylonier den Schafanenkel Gedalja als Statthalter einsetzten (vgl. Jer 41). Da Gedalja, der vielleicht schon unter Jojakim als Palastvorsteher (Jsr 'l hbyt) gedient hatte, den verbliebenen judäischen Hofstaat bei sich hatte (Jer 41,10), ist mit der Möglichkeit zu rechnen, dass er auf lange Sicht als Vasallenkönig
[HR=3][/HR]
[1] Aufgrund der Einsichten in die solide Ausbildung der Schreiber erscheint eine Rezeption der „politischen" Verträge bzw. Treueide in der Exilszeit aber auch dann als möglich, wenn die Archive mit den einschlägigen Texten nicht mehr vorhanden gewesen sein sollten. Was Carr im Hinblick auf schriftliche Traditionen aus der vorexilischen Zeit äußert, ließe sich cum grano salis auch auf die vertragsrechtlichen Traditionen, die in der Exilszeit in das Deuteronomium Eingang gefunden haben, übertragen: „The written form of such traditions probably were lost amidst the destruction of Jerusalem. Nevertheless, because of the oral-written character of the ancient educational system, a fairly exact form of such writings were retained in the minds of Israelite scribal masters, masters who then could both reproduce and augment the tradition in light of intense dislocation and crisis." (Carr, Response, 11; vgl. zu seiner Theorie einer oral- written education ders., Tablet, 156ff).
[2] Die These, nach der judäische Hofbeamte in nachstaatlicher Zeit für die Bundestheologie verantwortlich zeichneten, ist bereits von Kaiser erwogen worden (vgl. ders., Theologie 2, 49, Anm. 108).
[3] Vgl. dazu Albertz, Exilszeit, 65-97, und Berlejung, Geschichte, 151-153. Dem Konsens zufolge wurden in den drei Deportationen von 598/7, 587/6 und 582 ca. 20% der Bevölkerung deportiert (vgl. a.a.O., 151).
[4] Vgl. dazu Lipschits, Policy.
[5] Vgl. Barstad, Myth, bes. 47-55 u. 77-82, sowie ders., Major Challenges.
[6] Knauf, Land, 134: „Mizpa blieb Verwaltungs- und Bet-El Kultur-, wenn nicht sogar Kultzentrum." Vgl. zum archäologischen Befund auch Albertz, Exilszeit, 67.
installiert werden sollte.[1] Auch in Jerusalem ist nach 587 nicht mit einem totalen Abbruch zu rechnen. Kleinfunde in den Gräbern von Ketef Hinnom machen deutlich, dass die Stadt in der Exilszeit weiterhin bewohnt war, u.a. von einer begüterten Oberschicht.[2] Selbst in kultischer Hinsicht bedeutete das Exil keineswegs einen Endpunkt.[3] Im Hinblick auf die möglichen Trägerkreise der Bundestheologie ist vor allem auf das differenzierte Bild zu verweisen, das die Erzählüberlieferung Jer 39-43 zeichnet. Demnach richteten die Sieger ihre Deportationsmaßnahmen danach, wer zuvor auf ihrer Seite stand und wer nicht.[4] Weggeführt wurden vornehmlich Mitglieder der anti-babylonisch gesinnten national-religiösen Fraktion. Das heißt aber umgekehrt, dass die pro-babylonischen Parteigänger Jeremias, unter ihnen Mitglieder der judäischen Funktionselite, den Deportationen entgingen. So weiß das Jeremiabuch zu berichten, dass die um Gedalja versammelte probabylonische Fraktion nach dessen Ermordung durch den Davididen Jischmael (vgl. Jer 41,2)[5] zwar zunächst nach Ägypten geflohen, jedoch zum Teil wieder nach Juda zurückgekehrt ist (vgl. Jer 43,5-7 u. 44,14.28).[6]
Ertrag
Ausgehend von dem traditionsgeschichtlichen und literarhistorischen Befund in Dtn 13* und 28*, nach dem auf der einen Seite neben genuin judäischen und neuassyrischen auch westlich-aramäische Traditionen zu identifizieren sind und auf der anderen Seite eine Entstehung der Kapitel nach 587 wahrscheinlich ist, war es die doppelte Zielsetzung des vorliegenden Kapitels, erstens der These einer literarischen Abhängigkeit der Deuteronomiumskapitel von einem konkreten assyrischen Text eine weniger statische Rezeptionstheorie entgegenzustellen,
[HR=3][/HR]
[1] Vgl. Lohfink, Gattung 336.
[2] Vgl. Berlejung, Geschichte, 151.
[3] Vgl. Berlejung, Notlösungen; vgl. zu Bethel als neuem Kultzentrum in exilischer Zeit Blenkinsopp, Bethel.
[4] Vgl. auch Berlejung, Geschichte, 154.
[5] Wahrscheinlich der Anlass der dritten Deportation im Jahre 582 (vgl. Albertz, Exilszeit, 83; anders, Stipp, Gedalja, 164f).
[6] Vgl.auch Hardmeier, Wahrhaftigkeit, 125, Anm. 14.
die auch den aramäischen Einflüssen gerecht wird, und zweitens das Phänomen einer „verspäteten" Rezeption plausibel zu machen, insofern aramäische und neuassyrische Traditionen erst in der Zeit der babylonischen Oberherrschaft über Juda in das dtr Deuteronomium aufgenommen worden sind. Dem Befund in Dtn 13* und 28* wird man am ehesten gerecht, wenn man von einem zweistufigen Rezeptionsprozess ausgeht, wie er sich im Alten Testament auch für das deu- terojesajanische Heilsorakel und die priesterschriftliche Imago Dei-Metapher nahe legt. In all diesen Fällen scheinen Vorstellungen und Sprachformen der altorientalischen Königsideologie zuerst im Umfeld des (israelitisch-)judä- ischen Königtums rezipiert worden zu sein, bevor sie in nachstaatlicher bzw. nach-königlicher Zeit einem rein „religiösen" Gebrauch zugeführt wurden.
Im Fall der Rezeption des altorientalischen Vertragsrechts gibt die biblische Schriftprophetie zu erkennen, dass seit dem 8. Jh. in Israel und Juda mit einer Akkulturation von Vorstellungen und Sprachformen der aramäischen und neuassyrischen Vertragsrechtstradition zu rechnen ist. Diese erste Rezeptionsstufe ist vor dem Hintergrund zahlreicher Interdependenzen im altorientalischen Vertragsrecht zu sehen, deren schönstes und augenfälligstes Beispiel die Entlehnung des aramäischen terminus technicus für „Vertrag" 'dy im Akkadischen und Hebräischen ist.[1] Als Kontaktmedien und Kontaktträger können einerseits die internationale Textgattung des Vasallenvertrags selbst und andererseits der international vernetzte Berufsstand der Schreiber namhaft gemacht werden, deren weitgehend standardisierte Ausbildung etliche Textparallelen zu erklären vermag (geprägte Fluchgattungen; gemeinsame Schädlingsreihen in Vertragsflüchen und lexikalischen Listen). Waren aber ausweislich der biblischen Schriftprophetie aramäische und assyrische Vertragsrechtstraditionen im vor- exilischen Israel und Juda bekannt, so liegt es - nicht zuletzt angesichts der traditionsgeschichtlichen Gestalt der den judäischen Gegebenheiten geopolitisch nächst liegenden aramäischen Sfire-Inschriften - nahe, dass diese einen Einfluss auf das israelitische und judäische „politische" Vertragswesen gehabt haben. Für die Existenz judäischer (interner) Verträge sprechen sowohl die Verhältnisse in anderen altorientalischen Gesellschaften als auch vereinzelte Anspielungen im Alten Testament (vgl. z.B. 2Kön 11,17*).
In der zweiten Rezeptionsstufe sind die über einen längeren Zeitraum eingesickerten und mit der Zeit als Eigen akzeptierten vertragsrechtlichen Vorstellungen und Sprachformen nach dem Ende des judäischen Königtums 587 auf die Gott-Mensch-Beziehung übertragen worden. Als Trägerkreis der im dtr Deuteronomium erstmals greifbaren Bundestheologie kommt nach der erzählpragmatischen Auswertung verschiedener so genannter „historischer Tendenzerzählungen" aus dem Umfeld des Deuteronomismus am ehesten die judäische Funktionselite (Hofbeamte und Hofschreiber) in Frage - ein Personenkreis, der nach dem Zeugnis neuassyrischer Quellen auf den König vereidigt war und seinen Treueid im Wortlaut rekapitulieren konnte.
[HR=3][/HR]
[1] Vgl. dazu o. S. 97-105.
No Comments