2.2.2 Literarkritik von Dtn 28,1-44
Die Literarkritik von Dtn 28,1-44 ist bis heute in ganz erheblichem Ausmaß von verschiedenen an das Kapitel herangetragenen Forschungsprämissen abhängig. So gingen etwa Hölscher und Steuernagel von einer weitgehenden Symmetrie von Segen und Fluch aus, woraufhin sie folgerichtig all das ausschieden, was ohne korrespondierende Entsprechung war.[1] Das Vertrauen in das
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[1] Vgl. Hölscher, Komposition, 221, sowie Steuernagel, Deuteronomium, 150: „Ferner legt die Beobachtung eines weitgehenden, ziemlich genauen Parallelismus der Segen- und Fluchsprüche in v 1-15.16-46 die Vermutung nahe, die diesen Parallelismus störenden Elemente seien später eingetragen."
beschriebene Verfahren ging in der Folge so weit, dass J. Hempel 1914 in Bezug auf Dtn 28 erklären konnte:[1]
„[D]ie Frage nach dem ursprünglichen Kern ist [...] abschließend gelöst, und zwar von Puukko, auf den ich nur verweisen möchte, da eine erneute Aufzählung der Gründe mir unnötig erscheint. Es verbleiben nach diesem die Verse 1a, 2a, 3-8a, 12-13a, 19-20a, 24-25a, 43-44."
Der erstmals von M. Noth fruchtbar gemachte Vergleich mit der keilschriftlichen Rechtsüberlieferung des Alten Orients, in der in der Regel der Fluch vor dem Segen dominiert, befreite von dem Zwang, in 28,1-44 flächendeckend parallele Formeln zu ermitteln.[2] Noth gelang zudem der Nachweis, dass die vagen Entsprechungen zwischen 28,7-14 und einzelnen Flüchen am einfachsten als das Ergebnis einer gezielten redaktionellen Angleichungsarbeit zu begreifen sind.[3] Hieraus folgt, dass die Symmetrie auf den Anfang des Kapitels (28,1-6.15-19) beschränkt ist und dementsprechend ausschließlich in diesem Bereich als literarkritisches Kriterium dienen kann. Die traditionsgeschichtliche Analyse der einzelnen Teilreihen soll später die Frage klären helfen, warum die Korrespondenz ursprünglich nur bei den Einleitungsformeln in 28,1f.15 und dem nachfolgenden Segen-Fluch-Formular in 28,3-6.16-19 vorliegt, danach aber aufgegeben ist.
Von formgeschichtlichen Vorgaben ist die Analyse von G. Seitz bestimmt, der sich bei der formalen Typologisierung der Flüche in Dtn 28 an der Arbeit über die altorientalischen und biblischen Flüche von D. R. Hillers orientierte.[4] Der Versuch, in Dtn 28 ursprüngliche Formen und Reihen zu rekonstruieren, machte weitreichende Eingriffe in den Text notwendig. Für Seitz stellt sich der Werdegang des ältesten Fluchteils daher folgendermaßen dar:[5]
„Am Anfang standen drei Reihen mit je sechs Gliedern: die 'ärür-Reihe (v. 16-19), die Plagenreihe (v. 20a*.21f.*.27f.35*) und die zweite Gegensatzreihe (v. 38-40.43f.). Diese Reihen wurden aufgefüllt durch die Einlagerung der ersten Gegensatzreihe (v. 29-34), durch einen Einschub in die zweite Gegensatzreihe (v. 41f.) und durch v. 23-26 und v. 36f., die neben den Naturkatastrophen vor allem Niederlage im Kampf und Deportation als Fluch nennen."
Wiederum nahm die Kritik an diesem Verfahren ihren Ausgang von Seiten der rechtsvergleichenden Forschung. Steymans zufolge zeigt sich an altorientalischen Texten, „dass die von Hillers analysierten Fluchgattungen nebeneinander in Sequenzen stehen, die literarkritisch als einfache Einheit zu bewerten sind, da die altorientalischen Schreiber sie in einem zusammenhängenden Arbeitsgang schufen, wobei sie verschiedene Traditionen und Formen
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[1] Hempel, Schichten, 252; vgl. die Übersicht bei Puukko, Deuteronomium, 225.
[2] Vgl. Noth, Fluch, 160-165; vgl. auch die Kritik bei Hillers, Treaty-Curses, 33.
[3] Vgl. Noth, Fluch, 159, der im Hinblick auf 28,7-14 feststellt: „Das, was im Segensabschnitt jetzt noch folgt, macht nämlich in Wirklichkeit viel stärker einen sekundären Eindruck als die Fortsetzung des Fluchabschnitts mit ihrem sehr konkreten Inhalt."
[4] Vgl. Seitz, Studien, 276-286.
[5] A.a.O., 289.
miteinander kombinierten".[1] Eine weitere häufig anzutreffende Prämisse ist schließlich die eines vor-dtr Ursprungs der Grundschicht von Dtn 28.[2] Da aber dem Urdeuteronomium für gewöhnlich das Stilmittel der
Historisierung in die Zeit am Vorabend der Landnahme abgesprochen wird, ergeben sich daraus Konsequenzen für die literarische Beurteilung der Einleitungsformeln (28,1f.15) sowie der Landnahmeformel in V. 21, einmal abgesehen von den Anspielungen auf das Babylonische Exil in 28,36f.[3]
Der knappe Überblick über wichtige Wegmarken der literar-, redaktionsund formkritischen Erforschung von Dtn 28 hat zeigen können, dass Fortschritte der literarischen Analyse nicht zuletzt durch eine Perspektivenerweiterung auf das altorientalische Vergleichsmaterial erzielt worden sind. Altorientalische Quellen zu Segen und Fluch können darüber hinaus für die Frage eine Rolle spielen, ab wann Redundanzen und Brüche in der Gedankenfolge als Indizien für literarkritisch relevante Kohärenzstörungen zu begreifen sind.[4] Methodisch fahrlässig wäre es allerdings, die Literarkritik aufgrund altorientalischer Vergleichstexte vorzunehmen, die als mögliche Vorbilder in Betracht kommen; in diesem Fall wären Zirkelschlüsse vorprogrammiert.[5]
a.) Die Einleitungssätze in Dtn 28,1f.15
Die Einleitungssätze in V. 1f und 15 stellen die parallel gestalteten Segensund Fluchformeln in V. 3-6 und 16-19 unter die Bedingung des Gehorsams bzw. Ungehorsams gegenüber der Stimme Jhwhs. Während V. 15 keinerlei Anzeichen eines literarischen Wachstums zu erkennen gibt, treten in V. 1f einige Ungereimtheiten zum Vorschein. So nimmt die Verheißung in V. 1b, Jhwh werde Israel über alle Nationen der Erde stellen, die allgemein gehaltene Ankündigung des Segens in V. 2a vorweg. Da sie zudem keine Entsprechung in V. 15 besitzt, scheint es sich um einen Nachtrag zu handeln.[6] Möglicherweise liegt er auf einer Ebene mit den thematisch verwandten Stellen 26,19 und 28,9b.10. Der
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[1] Steymans, Deuteronomium 28, 254; vgl. auch Braulik, Deuteronomium II, 203f.
[2] So schon Hölscher, Komposition, 222: „Diese Segens- und Fluchformeln sind ohne Zweifel ein ursprünglicher Bestandteil des deuteronomischen Gesetzes." Vgl. auch Noth, Fluch, 157, Anm. 5.
[3] Vgl. etwa die Beurteilung von 28,21 bei Steymans, Deuteronomium 28, 259: „Ein späterer Redaktor wollte die Verse 20-44 wohl durch Landnahmeformel [sic!] als Moserede in Moab historisieren."
[4] Dazu mahnt die Monographie zu den Vertragsflüchen von Hillers. Wenn dieser allerdings Dtn 28 einem einzigen Verfasser zuschreiben will, so verkennt er eine wichtige Eigenart biblischer Texte, die nicht Autoren-, sondern Traditions- bzw. Fortschreibungsliteratur darstellen; vgl. ders., Treaty-Curses, 40: „Deut 28 represents the combination and reworking by a single author of traditional curses known to him. It is composite, but not as the result of later scribal insertions. No part of it need be dated any later than the rest of Deuteronomy. The lists of curses of the Esarhaddon treaty, Sefire I, and the Ashurnirari treaty seem to be of this nature also. They give the impression of being composite, not because of late redactional activity, but because the scribes have combined a variety of traditional curses."
[5] Vgl. auch Krebernik, Deuteronomiumskommentar, 33.
[6] Vgl. auch Steuernagel, Deuteronomium, 150; Noth, Fluch, 158, Anm. 8.
ebenfalls in V. 15 fehlende Konditionalsatz in V. 2b ist eine Dublette zu V. 1a und folglich ebenfalls sekundär.[1] Es mag sein, dass der Zusatz in V. 2a, durch den die Bedingung in V. 1a von der eigentlichen Segensformel in V. 3ff weiter abgerückt worden war, seine Einfügung notwendig gemacht hat. Demnach waren die einleitenden Konditionalsätze in V. 1f und V. 15 ursprünglich im Wesentlichen parallel gestaltet: Auf eine die Konditionen benennende Protasis (V. 1a = V. 15a) sowie eine allgemein Segen bzw. Fluch ankündigende Apodosis (V. 2a = V. 15b) folgte eine ausgeführte Segens- bzw. Fluchformel (V 3-6 = V. 16-19).[2]
b.) Der Segen in Dtn 28,3-14
Dem einleitenden Bedingungssatz folgt in den V. 3-6 eine Reihe von Nominalsätzen, die jeweils mit dem Partizip passiv brwk „gesegnet" anheben und in der }rwr („verflucht")-Reihe in den V. 16-19 ein Gegenstück besitzen. Der Abschnitt ist im Wesentlichen einheitlich. Lediglich in V. 4 fällt die Wendung wpry bhmtk „und die Frucht deines Viehs" auf, die vor sgr 'lpyk w'strwt s'nk „der Wurf deiner Rinder und die Zucht deiner Schafe" überflüssig ist. In einer identischen Reihenbildung fehlt sie daher in dem korrespondierenden V. 18 sowie in Dtn 7,13. Da die Wendung in der Septuaginta zu Dtn 28,4 fehlt, hat diese entweder die ältere Lesart bewahrt oder den überflüssigen Zusatz später gestrichen. Die Ergänzung stammt vermutlich aus V. 11 (vgl. auch Dtn 30,9), wo aber die in V. 4 noch folgenden Ausdrücke für tierischen Nachwuchs berechtigterweise fehlen.
Die folgenden V. 7-14 sind formal weniger geschlossen als die brwk- Reihe und heben sich zudem aufgrund der paränetischen Formeln (vgl. V. 9b.13b.14) vom Vorangehenden ab. Auch hier liegen Entsprechungen zum Fluchteil vor. Allerdings gibt es gute Gründe, in den Korrespondenzen lediglich sekundäre Angleichungen an bestimmte Flüche zu sehen. So greifen V. 7f auf V. 25 und 20 zurück, wo die allgemeine Verfluchung und die Ankündigung der Kriegsniederlage in einer sinnigeren Reihenfolge er- scheinen.[3]
| V. 20 | |
| Allgemeine Fluchankündigung | |
| V. 25 | V. 7 |
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[1] Vgl. auch Steuernagel, Deuteronomium, 150; Noth, Fluch, 158, Anm. 9.
[2] So in Anlehnung an Noth, Fluch, 158: „Hier folgt auf einen die Voraussetzung bezeichnenden Vordersatz (V. 1a = V. 15a) und auf eine allgemeine Ankündigung der Segnungen bzw. VerBuchungen (V. 2a = V. 15b) eine Segens- bzw. Fluchformel [...]"
[3] Vgl. Seitz, Studien, 259.
| ytnk yhwh ngp Ipny 'ybyk bdrk 'hd ts1 'lyw wbsb'h drkym tnws lpnyw „Jhwh wird dich geschlagen vor deinen Feinden geben. Auf einem Weg wirst du gegen sie ausziehen, und auf sieben Wegen wirst du vor ihnen fliehen [...]" |
ytn yhwh 1t 1ybyk hqmym 'lyk ngpym lp- nyk bkrk 1"d ys1w 1lyk wbsb'h drkym yn- wsw lpnyk „Jhwh wird deine Feinde, die sich gegen dich erheben, geschlagen vor dir geben. Auf einem Weg werden sie gegen dich ausziehen, und auf sieben Wegen werden sie vor dir fliehen." |
| V. 8 | |
| Allgemeine Segensverheißung |
Die an das Volk gerichteten nationalen Verheißungen in V. 9b.10 stehen wie der Zusatz in V. 1b unter dem Verdacht, Angleichungen an Dtn 26,17-19 zu sein. V. 11a ist eine Dublette zu V. 4 (vgl. auch die Wiederholung von V. 18 in V. 51). Die Verheißung von Regen in V. 12a dürfte auf den entsprechenden Fluch in V. 23f zurückgehen, der rhythmisch gestaltet ist und im Parallelismus membrorum steht.[1] Im Hinblick auf die in den V. 12b-13a bezeugte Vorstellung, Israel werde vielen Völkern (gwym rbym) etwas „leihen" (lwh), hat schon M. Noth gesehen, dass der den Schutzbürger (hgr 'sr bqrbk) aufführende Fluch in V. 43f „sehr konkret und praktisch vorstellbar" sei, wohingegen die Entsprechung im Segensabschnitt „verallgemeinert und verflüchtigt" werde.[2]
V. 12b.13a
whlwyt gwym rbym w'th P tlwh wntnk yhwh lr's wP lznb
whyyt rq lm'lh wP thyh lm—h
„Und du wirst vielen Nationen leihen, aber du selbst wirst dir nichts leihen. Und Jhwh wird dich zum Haupt machen und nicht zum Schwanz, und du wirst nur immer hinaufsteigen und nicht hinab [...]."
V. 43f
hgr 1Sr bqrbk y'lh 'lyk m'lh m'lh
w1th trd m—h
m—h hw1 ylwk w1th l1 tlwnw
hw1 yhyh lr1s w1th thyh lznb
„Der Fremde, der in deiner Mitte (lebt), wird höher und höher über dich hinaufsteigen, aber du, du wirst tiefer und tiefer hinabsteigen. Er wird dir
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[1] Vgl. a.a.O., 259f.
[2] Noth, Fluch, 159. Vgl. zu Dtn 15,6 Veijola, Deuteronomium, 316, Anm. 1131.
Die Richtung der Abhängigkeit ergibt sich im Übrigen recht eindeutig aus der Beobachtung, dass der Terminus lwh „leihen" dem Privatrecht entlehnt ist,[1] seinen ursprünglichen Ort mithin in V. 43f hat, wo im Gegensatz zu 12b-13a auch tatsächlich private Verhältnisse angesprochen sind.[2]
Der Bedingungssatz in V. 13b bildet mit V. 2b eine Inklusion um den Segensabschnitt, der damit wie der Fluchabschnitt einen Schlusssatz erhält (vgl. V. 45f). Während die V. 7-13 in sich im Wesentlichen einheitlich sind, stellt V. 14, der eine Dublette zu V. 13b ist und sich aufgrund der pluralischen Anrede von seinem Kontext abhebt, wohl eine noch jüngere Zutat dar.[3]
Alles in allem scheinen die V. 7-13 dem ursprünglichen Segensabschnitt in den V. 1-6 später angehängt worden zu sein. Die Verse geben sich als das Ergebnis „einer späteren kompilatorischen Arbeit" zu erkennen, die von der Fluchvorlage abhängig ist.[4] Die Beobachtung, dass der Segensabschnitt vom Fluchabschnitt her korrespondierende Erweiterungen erfahren hat, macht es allerdings wahrscheinlich, dass eine „bereits vorhandene Anlage zur Korres- pondenz"[5] redaktionell fortgeschrieben worden ist. Dies ist ein weiteres Argument für die Ursprünglichkeit der Schicksalsalternative aus Segen und Fluch im Kernbestand von Dtn 28.
c.) Der Fluch in 28,16-44
In den Versen 16-19 gibt es keinerlei Indizien, die einen literarkritischen Eingriff rechtfertigen würden. Demgegenüber zeigen die Flüche in 28,20-44 vereinzelt Spuren literarischen Wachstums, wobei zu bedenken ist, dass gerade in diesem Teil verstärkt Traditionen aus dem altorientalischen Vertragsrecht rezipiert worden sind, deren Integration für manche Kohärenzstörungen verantwortlich sein könnte. Die in Frage kommenden Stellen sollen im Folgenden der Reihe nach besprochen werden.
(1.) In V. 20 wird in großer Einmütigkeit der den Fluch begründende Satz „wegen der Bosheit deiner Taten, mit denen du mich verlassen hast" (mpny r' m'llyk 'sr czbtny) als spätere Ergänzung ausgeschieden. Ausschlaggebend ist zunächst der in Dtn 28 einmalige Umschlag in die 1. Pers. Sg. in dem Relativsatz S czbtny, mit der sich Jhwh selbst zu Wort meldet. Des Weiteren fällt die Perfektform czbtny aus ihrem vom Imperfekt bestimmten Kontext heraus, während sie im jüngeren begründeten Fluchabschnitt (V. 45ff), der die Historisierung in die Zeit vor der Landnahme aufgibt, eine Parallele hat. Da die Formel mpny r' m'llyk für das Jeremiabuch kennzeichnend ist (vgl. Jer 4,4; 21,12; 26,3; 44,22; vgl. auch
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[1] S. Ex 22,24; Neh 5,4; Ps 37,21.26; 112,5; Spr 19,17; 22,7; Jes 24,2; vgl. zu den Belegen Kellermann, hwl, 492f.
[2] Vgl. Jeremias, Kultprophetie, 167.
[3] Vgl. auch Steymans, Deuteronomium 28, 367.
[4] Seitz, Studien, 275.
[5] A.a.O., 260.
23,2.22; 25,5), dürfte es sich um eine vom Jeremiabuch beeinflusste Glosse handeln.[1]
(2.) In V. 21 werden vereinzelt Zweifel an der Ursprünglichkeit der Landnahmeformel in V. 21bg angemeldet, wobei die Annahme einer vor-dtr Grundschicht in Dtn 28 im Hintergrund steht. Vers 21 lautet:
ydbq yhwh bk >t hdbr 'd kltw >tk m'l „Jhwh wird die Pest an dir hangen lassen, h'dmh S >th b smh Irsth bis er dich vernichtet hat aus dem Land,
in das du kommst, um es in Besitz zu nehmen."
Der Rekonstruktion von Seitz zufolge bestand der Vers primär aus einer allgemein gehaltenen Vernichtungsaussage. Die Territorialangabe in 21bbg sei dagegen später hinzugefügt worden, da die im Alten Testament 41mal bezeugte Wurzel klh pi in der Bedeutung „vernichten" lediglich in dem dtr Stück Ex 32,12 in Verbindung mit m'l h1dmh vorkomme.[2] Trennt man mit Seitz die Territorialangabe ab, bleibt allerdings offen, in welcher Hinsicht sich die Androhung der Vertilgung durch die Pest in V. 21 ('d kltw) von den entsprechenden Vernichtungsaussagen in den umliegenden Versen (V. 20: 'd hsmdk w'd 'bdk mhr; V 22: 'd 1bdk) unterscheidet, zumal V. 22 ebenfalls diverse Krankheiten aufführt. Mit Steymans dürfte die entscheidende Differenz in V. 21 zu der allgemeinen Fluchandrohung in V. 20 und dem Konglomerat an Plagen in V. 22 nachgerade in der von Seitz entfernten Territorialangabe bestehen: „Nimmt man dagegen hmdah l[m hinzu, so wird nicht mehr völlige Vernichtung ausgesagt, sondern nur die Entleerung eines Raumes durch die Pest."[3] Dem entspricht in semantischer Perspektive die Wahl der in Dtn 28 einmaligen Wurzel klh pi „vernichten", denn sie „bezeichnet nicht nur das Ende von etwas, sondern berücksichtigt auch den Weg dorthin und beschreibt das Ziel dieses Weges"[4], das in V. 21 eben darin besteht, die vom Fluch getroffenen Menschen von der 'dmh zu vertilgen. Dabei
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[1] So auch Seitz, Studien, 281; Steymans, Deuteronomium 28, 256f; Grätz, Wettergott, 105. Weitergehende literarkritische Eingriffe in V. 20 werden von Steymans, Deuteronomium 28, 260, mit Recht zurückgewiesen. Wenn Grätz, Wettergott, 106, vorschlägt, den verbleibenden V. 20aba nicht zuletzt aufgrund seiner allgemein gehaltenen, zentrale Anliegen der nachfolgenden Flüche vorwegnehmenden Gestalt „als eigens komponierten Auftaktvers der folgenden Fluchsequenz" zu begreifen, so spricht dies keinesfalls zwingend gegen die Ursprünglichkeit des Verses, da auch die Verfasser der Grundschicht von Dtn 28 einen Auftaktvers für die folgenden Flüche mit Jhwh als Subjekt komponiert haben könnten; diese Frage wäre dann eher im Rahmen der Traditionskritik zu verhandeln.
[2] Seitz, Studien, 281.
[3] Steymans, Deuteronomium 28, 258.
[4] Helfmeyer, hlk, 170. Für die literarhistorische Verortung der Grundschicht von Dtn 28 ist die Beobachtung von Interesse, dass das im Deuteronomium ungebräuchliche (vgl. lediglich Dtn 7,22) Verb klh pi „vernichten" mit Bezug auf Israel im Alten Testament in der Regel im Zusammenhang mit dem Ersten Gebot begegnet, vgl. Ex 32,12; 33,5; Lev 26,44; Num 25,11; Jos 24,20; Jer 9,15; Ez 43,8f: „Vor allem der Abfall von JHWH durch Götterverehrung ist der Grund für die (mögliche) Vernichtung Israels." (ebd.)
stellt der nachfolgende Relativsatz 'sr 'ih b smh Irsth klar, dass es sich bei der 'dmh um das Verheißungsland handelt, das demnächst unter Josua in Besitz genommen werden soll. Die Frage ist allerdings, ob die mit der Landnahmeformel in V. 21bg gegebene Interpretation ursprünglich ist, was bedeuten würde, dass schon der Grundbestand der Fluchsequenz ganz offensichtlich eine Historisie- rung auf das Israel vor der Landnahme enthalten hätte. Eben diese Konsequenz lässt Steymans an der Ursprünglichkeit der Formel zweifeln. Nicht zuletzt der mit der Mose-Fiktion einhergehende Perspektivenwechsel, der in Dtn 28,20-44 einmalig sei, spreche ihm zufolge gegen die Ursprünglichkeit von V. 21bg.[1] Hier ist allerdings schon einzuwenden, dass die von Steymans behauptete Einmaligkeit der Historisierung bereits voraussetzt, dass auch der Vorverweis auf die Königszeit in V. 36aa ([hmlk] 'sr tqym 'lyk) redaktionell ist, ganz abgesehen von den einleitenden Bedingungssätzen in V. 1 und V. 15, die Mose als Sprecher von Segen und Fluch implizieren. Die These birgt aber noch ein anderes Problem. Nach der Abtrennung der Landnahmeformel bezieht Steymans folgerichtig 'dmh in der Wendung m'l h'dmh nicht länger auf das Verheißungsland, sondern ganz allgemein auf die Erdoberfläche, wobei er zusätzlich auf den auf diese Weise freigelegten Antagonismus von Todessphäre (dbr)[2] und Lebenssphäre ('dmh) verweist: „hmda bezeichnet dann nicht das Land Israel, sondern die Erdoberfläche, den Bereich der Lebenden."[3] Der Bezug auf das Verheißungsland verdanke sich dagegen einer späteren Hand:[4]
„Der Zusatz der Landnahmeformel interpretierte hmda später zum Siedlungsgebiet Israels um. Nun ist der Bereich, in dem den Verfluchten ein Ende gemacht wird, nicht mehr der Erdboden, sondern das in Besitz zu nehmende Palästina."
Die von Steymans vorgelegte Rekonstruktion von V. 21 scheint auf den ersten Blick zu überzeugen.[5] Eine nähere Betrachtung des im Alten Testament recht breit belegten Theologumenons einer angedrohten Vertilgung von der 'dmh spricht jedoch gegen die allgemeine Interpretation derselben. Von der 'dmh vertilgt zu werden, insofern es sich bei 'dmh um die Erdoberfläche handelt, wird im Alten Testament nämlich an keiner Stelle schlicht mit m'l h'dmh, wie Steymans dies für 28,21 postuliert, sondern ausschließlich mit der komplexeren Wendung m'lpny h'dmh gebildet (vgl. Gen 6,7; 7,4.23: m"h. Ex 32,12: klh pi. Dtn 6,15;
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[1] Vgl. Steymans, Deuteronomium 28, 257.
[2] Vgl. zu dbr als einer für Mensch und Tier tödlichen Seuche Mayer, rbd, 133. 2Sam 24,13f verdeutlichen, dass dbr in besonderer Weise als von Gott gewirkte Strafe verstanden wurde (vgl. auch Num 14,12).
[3] Steymans, Deuteronomium 28, 258.
[4] Ebd. - Dass die Landgabeformel in Jer 24,10bb ([h'dmh] 'sr niiy lhm wl'bwiyhm) die Vorlage der Formel in 21bg gewesen sei (so Steymans, Vertragsrhetorik, 102, Anm. 44), ist schon wegen der geringen terminologischen Übereinstimmungen unwahrscheinlich. Bei der Besprechung von V. 37 wird sich überdies herausstellen, dass bezüglich Jer 24 die Richtung der Abhängigkeit - wenn überhaupt - prinzipiell umgekehrt verlaufen ist. Und auch in diesem Fall ist eher denkbar, dass Jer 24,10 das in Dtn 28,21 vorgefundene dbr „Pest" zur typisch je- remianischen Trias „Schwert - Hunger - Pest" ausgebaut hat, als dass umgekehrt in Dtn 28,21 gekürzt worden wäre.
[5] Ihr folgt z.B. Grätz, Wettergott, 106.
2Sam 14,7; 1Kön 13,34: smd hi. Jer 28,16: sl" pi. Zef 1,2.: 'sp. 1Sam 20,15; Zef 1,3: krt hi).[1] Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang der Beleg in Ex 32,12, der zwar ebenfalls das Verb klh pi gebraucht, aber im Gegensatz zu Dtn 28,21 nicht von Vertilgung aus dem Verheißungsland, sondern, was sich aus dem geographischen Kontext der Erzählung eindeutig ergibt, von der Erdoberfläche spricht, wobei erwartungsgemäß nicht m'l h'dmh, sondern m'l pny h'dmh verwendet wird. Der im Alten Testament anzutreffende differenzierte Gebrauch der Wendung m'l (pny) h'dmh spricht folglich gegen eine Ausscheidung der Landnahmeformel in V. 21bg. Im Einklang mit der dtr Geschichtstheologie ist in Dtn 28,21 vielmehr der Besitz des verheißenen Landes an die Bedingung des Gebotsgehorsams geknüpft: „Auf Untreue und Ungehorsam, namentlich auf den Abfall zu fremden Göttern, reagiert JHWH durch Vertilgen von der 'adämäh ."[2]
(3.) In V. 22 ist ein textkritisch relevantes Problem anzusprechen. In einer Reihe von insgesamt sieben Menschen- bzw. Pflanzenkrankheiten bietet MT an fünfter Stelle br,x,b;W „und mit dem Schwert". Weil MT sich schlecht in den Zusammenhang einfügt,[3] sollte mit der Vulgata (et aestu) als Textzeugen br,xob.W „und mit Dürre" vokalisiert werden (vgl. Hag 1,11). Die gegebene Vokalisa- tion der Masoreten steht im Zusammenhang mit weiteren euphemistischen Texteingriffen in Dtn 28[4] und dient hier vermutlich dem Zweck, einen Anklang an den Gottesberg Horeb zu vermeiden:[5]
„Die Vokalisation br,xo hätte in diesem Fluchkontext zu sehr an den (deuteronomisch/ deuteronomistischen) Gottesberg gemahnt, so dass auf eine unproblematischere, in Plagenreihen häufig belegte Wendung zurückgegriffen wurde."
(4.) In dem Fluch V. 25f erweckt V. 25b (whyyt lz'wh Ikl mmlkwt h'rs „und du wirst zum Schrecken für alle Königreiche der Erde werden") - wie die Sätze mit
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[1] Vgl. auch die Zusammenstellung der Belege bei Plöger, hmda, 101.
[2] A.a.O., 104. Steymans, Deuteronomium 28, 258f, sieht in der Vorstellung, dass JHWH Israel im Verheißungsland durch die Pest ein Ende bereitet, einen „etwas merkwürdigen Gedanken": „Die Stämme jenseits des Jordan oder die Israeliten in anderen Ländern bleiben unbehelligt." Dazu ist zu sagen, dass im Deuteronomium über die Grenzen des verheißenen Landes bekanntlich unterschiedliche Auffassungen bestehen; immerhin schließt der theologische Gebrauch der Ausdrücke 'dmh/'rs zumindest nach Dtn 1-3 die Stämme im Ostjordanland ein (vgl. etwa }rs in Dtn 3,18 und zur Sache Weinfeld, Promised Land, 67-70). Was aber „Israeliten in anderen Ländern" betrifft, so stehen diese zwar vermutlich den Verfassern von Dtn 28 vor Augen, sie haben aber mit Sicherheit keinen Platz in der dtr Fiktion einer bevorstehenden Landeroberung. Im Übrigen träfe der Vorwurf der Merkwürdigkeit nicht nur den vermeintlichen Redaktor von V. 21bg, sondern die dtr Landtheologie in toto, denn die Rede von der Vertilgung Israels aus dem Land der Verheißung ist ja keinesfalls auf Dtn 28,21 beschränkt (vgl. zu dieser Vorstellung, verbunden mit der Wendung m(l h'dmh: Dtn 28,63; 29,27; Jos 23,13.15; 1Kön 9,7; 14,15; vgl. auch 2Kön 17,23; 25,21; 2Chr 7,20; Jer 24,10; 52,27; Am 7,11.17).
[3] Vgl. schon Steuernagel, Deuteronomium, 152.
[4] Vgl. Tov, Text, 50 und 226.
[5] Grätz, Wettergott, 100.
analogen Konstruktusverbindungen in V 1 (kl gwyy h'rs) und V. 10 (kl 'my h'rs) - Zweifel an seiner Ursprünglichkeit. Nach Steymans unterbricht V. 25b den Zusammenhang zwischen der militärischen Niederlage (V. 25a) und dem Tierfraß an den Leichen (V. 26) - eine „sonst im AT zusammengehörende Motivverbindung"[1] (vgl. 1 Sam 17,46; Jer 19,7; 34,20; Ez 39,4). Ein weiteres Argument ergibt sich aus einem Überblick über die Verbformen der in Dtn 28,21-29 zusammengestellten Flüche mit Jhwh als Subjekt.
| Vers |
Verbform
|
Subjekt | |
| 20 | yiqtol-x | + nominaler Abschluss | Jhwh |
| 21 | yiqtol-x | + nominaler Abschluss | Jhwh |
| 22 | yiqtol-x | + nominaler Abschluss | Jhwh |
| 23 | w-qatal-x | ||
| 24 | yiqtol-x | + nominaler Abschluss | Jhwh |
| 25 | yiqtol-x | Jhwh | |
| 25b | w-qatal | ||
| 26 | w-qatal-x | + nominaler Abschluss | |
| 27 | yiqtol-x | + nominaler Abschluss | Jhwh |
| 28 | yiqtol-x | Jhwh | |
| 29 | w-qatal | + nominaler Abschluss |
G. Seitz hat erkannt, dass die Handlungsketten der Flüche mit Jhwh als Subjekt jeweils mit yiqtol-x-Formen beginnen und mit einer w-qatal(-x)-Form ergänzt enden, die einen weiteren Aspekt des Fluchgeschehens nachschickt:[2]
„An mehreren Stellen sind die Flüche des besprochenen Typus durch anders formulierte Unheilsankündigungen durchbrochen. Betrachtet man diese dazwischenstehenden Fluchdrohungen, dann haben sie unter sich gemeinsam, dass sie im perfectum consecutivum formuliert sind und jeweils eine Weiterführung oder Erläuterung des durch die ,Flüche bei Jahwe' Angedrohten bringen."
Dabei erscheinen nach dem Auftaktfluch in V. 20 regelmäßig zwei yiqtol-x- Sätze mit Jhwh als Subjekt gefolgt von einem w-qatal(-x)-Satz. V. 25b fällt durch einen weiteren w-qatal-Satz aus diesem Schema heraus. Der Halb- vers unterbricht somit nicht nur inhaltlich, sondern auch syntaktisch den Zusammenhang von V. 25a und V. 26. Da die Formel in diesem Wortlaut ansonsten ausschließlich in der jeremianischen Überlieferung erscheint (vgl. Jer 15,4; 24,9; 29,18; 34,17),[3] ist es wahrscheinlich, dass sie aus dem Jeremiabuch in die Fluchsequenz eingedrungen ist.[4] Die Authentizität von Dtn 28,26 bleibt davon allerdings
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[1] Steymans, Deuteronomium 28, 259.
[2] Seitz, Studien, 279.
[3] Die Wendung „zum Schrecknis für alle Königreiche der Erde" (lz'wh Ikl mmlkwt h'rs) ist Teil des deuterojeremianischen Idioms, vgl. Stipp, Konkordanz, 44 und 81.
[4] Vgl. auch Steymans, Deuteronomium 28, 259. Thiel, Redaktion 1, 257f, plädiert dagegen für ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis.
unberührt.[1]
(5.) V. 29b hat in V. 33b eine Parallele und steht daher in Verdacht, nachgetragen zu sein. Das von Grätz genannte Argument, V. 29b sei sekundär, da die Wurzel 'sq in der Regel materielle Unterdrückung meine, überzeugt indes nicht.[2] Zunächst ist festzustellen, dass die Wurzel 'sq auch ganz allgemein „dem ,Rechttun' entgegengesetzt"[3] werden kann. Sodann: Wenn die in etwa gleich lautenden Aussagen V. 29b und V. 33b einen Rahmen um die antithetische Reihe V. 30-33a bilden, dann ist zu erwarten, dass sich der Rahmen auf die eingeschlossenen Inhalte bezieht. Die Verse 30-33a thematisieren aber ganz deutlich materielle Unterdrückung. Folglich ist V. 29b nicht weniger passend als V. 33b. Die Entscheidung, V. 29b von seinem vorangehenden Kontext zu lösen, zwingt Grätz zu weiteren Eingriffen, da V. 29b nicht von V. 30-33 bzw. 34 zu trennen sei. Deshalb spricht er im Anschluss an Seitz dem ganzen Abschnitt 29b-34 die Ursprünglichkeit ab.[4] Die Abtrennung der V. 29b-34 würde allerdings mit
V. 29ab, wl' tslyh 't drkyk „und du wirst keinen Erfolg haben auf deinen Wegen", eine Ankündigung hinterlassen, die eine treffende Einführung in die Reihe der folgenden Nichtigkeitsflüche darstellt: Die antithetischen Flüche berichten nämlich in der Tat davon, dass den diversen Aktivitäten der Erfolg versagt bleibt. Der Zusammenhang zwischen V. 30-33a und V. 28f ist darüber hinaus auch dadurch gegeben, dass im Alten Orient Blindheit und Rechtlosigkeit eng beieinander liegen.[5] Die Nichtigkeitsflüche (V. 30-33a) könnten somit regelrecht als (zeitgleich entstandene) Explikation der V. 28f gedacht gewesen sein.
(6.) V 35b, mkp rglk w'd qdqdk „von deiner Sohle bis zu deinem Scheitel", hinkt nach und ist in seiner Globalität nur schlecht mit dem auf konkrete Körperstellen bezogenen Rest des Verses zu vereinbaren.[6] Die Redewendung (vgl. 2Sam 14,25) ist möglicherweise hinzugefügt worden, weil die in V. 35a begegnende Verbindung von nkh und bs"yn r' an die Plagen des Hiob erinnert hat (vgl. Ijob 2,7: wyk 't 'ywb bs"yn r' mkp rglw 'd qdqdw).
(7.) In den Versen 36f wird vielfach aufgrund der Anspielung auf das Exil eine jüngere Zutat vermutet.[7] Auch Hölscher, der das Urdeuteronomium in die Exilszeit datiert, spricht dem Grundbestand die Anspielungen auf das Exil ab: „[D]er Urdeuteronomiker ist viel zu geschmackvoll, um so aus der Rolle zu fal-
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[1] Vgl. die ausführliche Begründung bei Steymans, Vertragsrhetorik, 101; anders Grätz, Wettergott, 107.
[2] A.a.O., 107f.
[3] Gerstenberger, qX[, 444.
[4] Grätz, Wettergott, 108; vgl. Seitz, Studien, 289.
[5] Vgl. Weinfeld, Traces, 420f.
[6] Vgl. auch Plöger, Deuteronomium, 154, Anm. 88.
[7] Vgl. etwa Puukko, Deuteronomium, 224.
len."[1] In der jüngeren Forschung werden zudem inhaltliche Widersprüche zum Kontext gegen die Ursprünglichkeit der Verse angeführt.[2]
„Die Zäsur ist an dieser Stelle besonders auffallend, weil v. 37 auf die Deportation Bezug nimmt, die sich anschließenden Flüche aber weiterhin von der Voraussetzung ausgehen, dass Israel in seinem Land wohnt, Gärten und Felder bestellt (v. 38-40) und der Fremdling in seiner Mitte lebt (v. 43). Erst recht macht v. 41 deutlich, dass Israel noch im Land ist, da der Fluch gerade darin besteht, dass Söhne und Töchter in die Gefangenschaft müssen."
Es ist allerdings zu fragen, ob eine logische Gedankenfolge in solch traditionsgeschichtlich disparatem Material überhaupt zu erwarten ist. Der Vergleich mit anderen altorientalischen Fluchformeln zeigt, dass diese Forderung in dieser Textsorte überspitzt ist.[3] Das geht im Übrigen schon aus Dtn 28 selbst hervor. Legte man dort an anderen Stellen einen derart hohen Maßstab an, dann dürften nach V. 20 keine weiteren Flüche folgen, da das Volk bereits vertilgt wäre. Auch V. 34 würde nach V. 28f keinen Sinn machen, da der bereits mit Blindheit Geschlagene schlecht über das, was er sieht, wahnsinnig werden kann.[4] Nun hat Steymans im Hinblick auf V. 36b (w'bdt sm 'lhym 'hrym 's w'bn „und du wirst dort anderen Göttern dienen - Holz und Stein") zusätzlich auf ein Argument tendenzkritischer Natur hingewiesen: Der dort angedrohte Götzendienst werde „nicht als Sünde, sondern wie in den sicher exilischen Versen Dtn 4,28; 28,64 als Strafe gedeutet".[5] Dem ist zuzustimmen, und es ist darüber hinaus zu beachten, dass die in der Verbindung 's w'bn „Holz und Stein" (vgl. Dtn 4,28; 28,64; 29,16; 2Kön 19,18; Jes 37,19; Ez 20,32) zum Ausdruck kommende Betonung der Materialität auf ein vorangeschrittenes Stadium der Entwicklung des Monotheismus verweist:[6] Mit Händen gemachte Götter stellen im Gegensatz zu den im Dekalog (vgl. auch Dtn 13) genannten 'lhym '"rym keine Gefahr mehr dar. Die Wendung 's w'bn setzt vermutlich sogar schon die Götzenpolemik bei Deuterojesaja voraus (vgl. Jes 40,19f; 44,12-20; 46,6f).[7] Es sprechen demnach gute Gründe für eine sehr späte Entstehung von V. 36b, so dass die Herausgeber der BHS gar vorschlagen, den Halbvers als in den Text eingedrungene Randglosse zu streichen, obgleich ihn alle Textzeugen bieten.[8] Das Problem ist aber m.E. literarkritisch zu lösen. Für einen Nachtrag spricht nämlich neben dem tendenzkritischen Argument auch, dass die Flüche mit Jhwh als Subjekt in aller Regel mit einer yiqtol-x-Form beginnen und durch eine w-qatal(-x)- Form
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[1] Hölscher, Komposition, 222.
[2] Seitz, Studien, 287; vgl. Steymans, Deuteronomium 28, 259f; Grätz, Wettergott, 109.
[3] Vgl. Hillers, Treaty-Curses, 32f.
[4] Vgl. auch die unlogische Abfolge der Ereignisse in Jer 24,9f.
[5] Steymans, Deuteronomium 28, 259.
[6] Vgl. dazu auch Aurelius, Götter, 165, der im Deuteronomium anhand des Ausdrucks 's w'bn eine „allmähliche, fast unmerkliche Entwicklung des Fremdgötterverbots zum Bilderverbot und zum Monotheismus" nachverfolgt.
[7] Zu einer möglichen Abhängigkeit der dtr von der dtjes Monotheismusvorstellung s. Labahn, Wort Gottes, 265.
[8] S. den Apparat der BHS.
entfaltet werden.[1] In V. 36f unterbricht aber V. 36b die regelhafte Abfolge. Demnach lässt der Einwand, V. 36b sei aus inhaltlichen Gründen sehr spät anzusetzen, nicht zwingend auf den sekundären Charakter des ganzen Fluches schließen; es reicht vielmehr aus, lediglich V. 36b aus den vorgetragenen inhaltlichen und syntaktischen Gründen als Glosse anzusehen.[2]
Was die so genannte „Katastrophenformel"[3] in V. 37 angeht, so hat Steymans behauptet, der Vers stamme wie V. 21bg und V. 25b aus Jer 24,8-10.[4]
Die beiden Stellen lauten im Vergleich:
Dtn 28,37 whyyt lsmh Imsl wlsnynh bkl h'mym 'sr ynhgk yhwh smh
Jer 24,9 wnttym [...] l"rph wlmsl Isnynh wlqllh bkl hmqmwt 'sr 'dyhm sm
Gegen Steymans ist einzuwenden, dass ausgerechnet die beiden Ausdrücke, die Dtn 28,37 und Jer 24,9 gemeinsam haben, msl und snynh, alles andere als typisch jeremianisch sind.[5] Sie sind im Jeremiabuch allein an dieser Stelle belegt, weshalb H. Weippert vermutet, dass Jer 24,9 „erst sekundär um das Begriffspaar lXm und hnynX erweitert wurde".[6] Um von der umgekehrten Richtung der Abhängigkeit auszugehen, ist es aber gar nicht notwendig, das Begriffspaar aus dem Vers zu entfernen. Denn während Thiel das Kapitel der dtr Redaktion zuschlägt,[7] hat H. J. Stipp mit überzeugenden Argumenten dargelegt, dass es sich bei Jer 24 um einen nach-dtr Text handelt, der das dtr Idiom imitiert.[8] Dies würde erklären, warum die Reihe in Jer 24,9 neben typisch jeremianischen Termini auch solche aus dem dtr Sprachmilieu aufgreift. Im Gegensatz zu Dtn 28,25b scheint die Richtung der Abhängigkeit also in diesem Fall vom Deuteronomium in das Jeremiabuch verlaufen zu sein. Während die Katastrophenformel selbst authentisch zu sein scheint, könnte der die Aussage von V. 36a (ywlk yhwh 'ik ...) wiederholende Relativsatz 'sr ynhgk yhwh smh „zu denen Jhwh dich führen wird" nachgetragen sein, weil die Glosse in V. 36b die Katastrophenformel zu weit von V. 36a entfernt hatte.
Das entscheidende Ergebnis der Aufbauanalyse besteht darin, dass der Fluchteil des Kapitels in wenigstens drei großen Schüben nach hinten gewachsen ist (V 15-
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[1] Vgl. oben S. 188.
[2] Das Phänomen einer nachgetragenen Fremdgötterpolemik begegnet auch in 2Kön 19,18, wo 's w'bn ebenfalls glossiert worden sind, vgl. Würthwein, Könige 2, 425f.
[3] Vgl. zu den Belegen Stipp, Konkordanz, 158f.
[4] Vgl. zuletzt Steymans, Vertragsrhetorik, 102, Anm. 44.
[5] Vgl. zu msl Dtn 28,37; 1Kön 9,7; 2Chr 7,20; Ps 44,15; Ez 14,8; Mi 2,4 und zu snynh Dtn 28,37; 1Kön 9,7; 2Chr 7,20.
[6] Weippert, Prosareden, 189, Anm. 365. Die Begriffe "rph und qllh sind im Jeremiabuch häufig bezeugt ("rph: 24,9; 29,18; 42,18; 44.8.12; 49,13; qllh: Jer 24,9; 25,18; 26,6; 29,22; 42,18; 44,8.12.22; 49,13).
[7] Thiel, Redaktion 1, 253-261.
[8] Vgl. Stipp, Probleme, 242-246. Eine nach-dtr Verortung von Jer 24 ist schon von Pohlmann, Studien, 20-31, angemahnt worden, der das Kapitel einer golaorientierten Bearbeitung zuschreibt; vgl. auch Schmid, Propheten, 345.
44; 45-57; 58-68[69]). Das gleiche Verfahren konnte auch für den Segensteil nachgewiesen werden (V. 1-6; 7-14). Dem entspricht die literar- kritische Untersuchung insofern, als die in 28,1-6.15-44* zu Tage geförderte älteste Schicht lediglich geringfügige Nachinterpretationen erfahren hat, wobei folgende Zusätze zu vermerken sind: V. 1b; 2b; 20bbg; 25b; 35b; 36b; 37bb. Im Hinblick auf die im Folgenden zu verhandelnde Verortung des Kapitels im Gesamtzusammenhang des Deuteronomiums sei schon einmal festgehalten, dass sich die Hinweise auf eine Historisierung des Deuteronomiums am Vorabend der Landnahme in den Einleitungssätzen sowie in V. 21b und 36a nicht literar- kritisch entfernen lassen, vielmehr einen integralen Bestandteil der ältesten Gestalt von Dtn 28 bilden.
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