1.3 Traditionsgeschichtliche Analyse von Dtn 13*
In Dtn 13* haben ganz offensichtlich Forderungen Eingang gefunden, wie sie in Vertragsstipulationen altorientalischer Vasallenverträge und Treueide üblich sind. Der Überblick über die Vereidigungspraxis im Alten Orient (Kap. II) hat drei Typen von Forderungen benannt, die das Grundgerüst der Loyalitätsbestimmungen ausmachen und einen festen Platz in den Vasallenverträgen und Treueiden der verschiedensten Gebiete und Epochen des Alten Orients haben: Schutzgebote (der Vasall [be]schützt den König), Ausschließlichkeitsgebote (der Vasall erkennt keinen anderen König an) sowie Anzeigegebote (der Vasall informiert den König über Verschwörungen, von denen er hört). Bei der Übertragung der Vertragsvorstellung auf das Gottesverhältnis sind das Ausschließ- lichkeits- sowie das Anzeigegebot in Dtn 13* in den Dienst der Alleinverehrung Jhwhs gestellt worden. Im Hinblick auf die Verhältnisbestimmung zwischen Ausschließlichkeits- und Anzeigegeboten im Kontext der Vertragstexte ist zu beachten, dass erstere den letzteren sachlich vorgeordnet und Ausgangspunkt der auf exklusiver Loyalität basierenden Vasallität sind. Für die in Dtn 13* zusammengestellten Fälle der Verführung zu Nachfolge und Dienst anderer Götter (vgl. Dtn 13,3b*.7b.14b), die sich nach Form, Inhalt und Sprache an den vertragsrechtlichen Anzeigegeboten orientieren, folgt daraus, dass auch sie in der „Fabel" des Deuteronomiums die Verhältnissetzung in Dtn 5,6f.9a (Jhwh, der Gott des Auszugs, ist Israels einziger Gott, neben dem es keine anderen Götter geben darf) als conditio sine qua non haben. Dtn 13* setzt das Erste Gebot demnach nicht allein literarhistorisch,[1] sondern auch traditionsgeschichtlich und sachlogisch voraus. Schon diese Beobachtung widerrät der These, Dtn 13* (+ Dtn 28*) für sich genommen als „eine literarische Einheit der Gattung des Loya-
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[1] So o. S. 138f.
litätseides"[1] zu betrachten, da der das Jhwh-Volk-Verhältnis setzende Kopfteil der vertragsrechtlichen Interpretation des Gottesverhältnisses in Dtn 5* ebenso notwendig zu Dtn 13* gehört, wie die entsprechenden Verhältnisbestimmungen in den altorientalischen Vasallenverträgen und Treueiden (z.B. in der Präambel und der grundlegenden Ausschließlichkeitsforderung)[2] zu den nachgeordneten Anzeigegeboten. Die traditionsgeschichtliche Analyse von Dtn 13* soll deshalb bei der Ausschließlichkeitsforderung, wie sie im Ersten Gebot Dtn 5,7.9a grundgelegt und in Dtn 13,3b*.7b.14b modifiziert aufgenommen ist, ihren Anfang nehmen.
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[1] Otto, Deuteronomium, 68.
[2] Auch der EST könnte nicht mit den Anzeigegeboten in den §§ 6 bzw. 10 beginnen, sondern schickt in den §§ 4 und 5 das Schutz- und das Ausschließlichkeitsgebot (vgl. v. a. Z. 71f) voraus, um das exklusive Verhältnis zwischen Vereidigten und assyrischem König deutlich zu machen, auf dessen Grundlage alles Weitere geschehen soll.
Ausschließlichkeitsforderung
Ein Vergleich von Dtn 5,7 mit verschiedenen Ausschließlichkeitsgeboten in altorientalischen Vasallenverträgen und Treueiden zeigt, dass die traditionsgeschichtlichen Wurzeln des Ersten Gebots in der vertragsrechtlichen Ausschließlichkeitsforderung zu suchen sind,[1] wobei aus der vertragsrechtlichen Forderung „Keine anderen Könige!" im Deuteronomium das Gebot „Keine anderen Götter!" geworden ist.[2] Dtn 5,7 lautet wörtlich:
l yhyh Ik ihyiri 'hrym 'l pny
„Es sollen nicht für dich andere Götter sein statt meiner!"[3]
Dem ist die schon zitierte Verpflichtungsformel aus dem altbabylonischen Brief ARMT XXVI/2, 404 an die Seite zu stellen:[4]
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[1] So schon Beyerlin, Herkunft, 63.
[2] Vor dem Hintergrund der Vertragsbestimmungen aus den Vasallenverträgen wird noch einmal deutlich, dass das Erste Gebot noch weit von einem Monotheismus etwa eines Deuterojesaja entfernt ist. Wie in den Vertragsbestimmungen außer Frage steht, dass es neben dem Vertragsherrn noch andere Oberherren gibt, die aber für den Vasallen tabu sein sollen, so setzt das Erste Gebot voraus, dass die erwähnten anderen Götter sehr wohl existieren, aber für Israel keine Rolle spielen sollen.
[3] Vgl. zur Übersetzung Aurelius, Ursprung, 9. Die nicht ganz leicht zu übersetzende hebräische Wendung 'l pny, die zumeist mit „neben" bzw. „außer mir" wiedergegeben wird, entspricht exakt der akkadischen Formel ina mu''Tsu „statt seiner" (s. EST Z. 197) und sollte somit ebenfalls mit „statt meiner" ins Deutsche übertragen werden (s. Krebernik, Deuteronomiumskommentar, 31).
[4] Vgl. o. S. 26 (übersetzt nach Durand, Precurseurs, 54); vgl. dazu auch Polak, Covenant, 126f. - Der Gebrauch von akk. basu zeigt, dass der Anfang von Dtn 5,7 mit dem Verb hyh wenigstens vor dem Hintergrund der traditionsgeschichtlichen Parallelen doch nicht so „einmalig und auffällig" ist, wie Aurelius, Ursprung, 9, annimmt. Seine These, Dtn 26,17f habe dem Ersten Gebot als Formulierungshilfe gedient, bleibt gleichwohl bedenkenswert.
„Neben (ullanum) Zimrilim, unserem Vater, unserem älteren Bruder und unserem Führer gibt es keinen anderen König (sarrum sanüm ul ibassi)."
(ARMT XXVI/2, 404, Z. 17f)
In hethitischen Vasallenverträgen lautet das Gebot regelmäßig:[1]
„You shall not desire some other overlord for yourself."
(Vertrag zwischen Hattusili III. von Hatti und Bentesina von Amurru)
Im neuassyrischen EST heißt es im Hinblick auf den künftigen König Assurbanipal:[2]
„(Bei Gott,) ihr sollt alles hören, was er sagt, und alles tun, was er befiehlt, und keinen anderen König (sarru sanümma) und keinen anderen Herrn (belu sanümma) statt seiner (ina mu'hlsu) suchen!"
(EST § 17 Z. 194-197)
Dem Vertragsrecht entstammen aber auch die mit der Ausschließlichkeitsforderung in Dtn 5,7.9a und 13,3b*.7b.14b einhergehenden zentralen Stichworte. Die Chiffre ''lhym 'hrym „andere Götter", die ihren ältesten Beleg vermutlich in der Formulierung des Ersten Gebots Dtn 5,7 hat,[3] entspricht dem geprägten Terminus sarru sanü „andere Könige" in den Ausschließlichkeitssgeboten der Vasallenverträge und Treueide.[4] Das Verb 'bd in der Formel 'bd 'lhym '"rym „anderen Göttern dienen" (Dtn 5,9a; 13,7b.14b) beschreibt in den Vertragstexten das Verhältnis zwischen Vasall und Oberherrn.[5] Ein entsprechender traditionsgeschichtlicher Hintergrund lässt sich auch für die Formel hlk '"ry 'lhym '"rym „anderen Göttern nachfolgen" (13,3b*) wahrscheinlich machen. Zwar ist für eine vor-dtn/dtr Herkunft der Formel die Verwurzelung von hlk '"ry im judäischen Eherecht postuliert worden.[6] Doch das ist nicht die einzig mögliche Herkunftsbestimmung. Mit hlk '"ry werden in alttestamentlichen und altorientalischen Texten nämlich ganz verschiedene Verhältnisse bezeichnet, die sich in einem Punkt treffen: „In allen Fällen handelt es sich um ein Abhängig- keits- oder Eigentumsverhältnis, in dem der Nachfolgende dem Vorausgehenden Gehorsam schuldet."[7] Während von hlk '"ry im Alten Testament in der Tat bevorzugt im Kontext der familiären Treue die Rede ist (vgl. etwa Rut 3,10),[8] ist der Ausdruck außeralttestamentlich z.B. auch in hethitischen Vasallenverträgen bezeugt,[9] so dass auch für Dtn 13,3b* ein vertragsrechtlicher Hintergrund als möglich erscheint. Beachtet man ferner, dass
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[1] HDT 17 § 6.
[2] Die eigene Übersetzung basiert auf der Umschrift von Watanabe, ade -Vereidigung, 152. Weitere Belege im neuassyrischen Vertragskorpus: SAA II 3: 5-6; 9: 10-11 u. 32-34; 6 passim.
[3] S. o. S. 138f.
[4] Vgl. zum Ausdruck 'lhym '"rym auch Erlandsson, rxa, 219f, der den festen Zusammenhang der Formel mit der Bundesvorstellung betont.
[5] Vgl. Ringgren, db[, 989-991.
[6] So Otto, Deuteronomium, 61.
[7] Helfmeyer, yrxa, 221.
[8] Vgl. Rüterswörden, Schultheologie, 227f; ders., Dtn 13, 192.
[9] Vgl. Helfmeyer, yrxa, 222.
Dtn 13* auch sonst gespickt ist mit vertragsrechtlichen Vorstellungen und Formulierungen, so ist ein traditionsgeschichtlicher Umweg über das judäische Eherecht bei dem Ausdruck hlk '"ry in Dtn 13,3b* eine entbehrliche Verkomplizierung. Die Formel „anderen Göttern nachfolgen" lässt sich einfacher als Rezeption der vertragsrechtlichen Formel „anderen Königen bzw. Herren nachfolgen" erklären. Im Alten Testament ist der überzeugenden Analyse J. P. Floss' zufolge Dtn 13,3b* als der älteste Beleg der Formel anzusprechen.[1] Auch dies spricht für die Annahme, dass die Formel „anderen Göttern nachfolgen" über die Rezeption vertragsrechtlicher Sprachformen in das Alte Testament gelangt ist. Dass allerdings Dtn 13,3b* als der einzige vor-dtr Beleg in der Folge zu einer wunderbaren Vermehrung der Formel im Deuteronomismus geführt habe, ist nicht wahrscheinlich.[2] Dagegen spricht neben der Gesamteinschätzung von Dtn 13* als dtr Text auch, dass die Formel mit der Chiffre ''Ihym 1"rym das dtr Erste Gebot zwingend voraussetzt.[3]
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[1] Floss, Jahwe dienen, 284-287; die weiteren Belege: Dtn 6,14; 8,19; 11,28; 28,14; Ri 2,12.19;
1Kön 11,10; Jer 7,6.9; 11,10; 13,10; 16,11; 25,6; 35,15.
[2] So im Anschluss an Floss Rüterswörden, Dtn 13, 192f.
[3] Vgl. zu dem Rechtssatz Ex 22,19a, der nach Otto, Deuteronomium, 62 ein vor-dtn Beleg für ein Fremdgötterverbot sei, etwa Pakkala, Monolatry, 119-126.
Traditionsgeschichtliche Analyse von Dtn 13,2-19*
Währenddas Erste GebotinDtn5,7.9aunddessenAufnahme inDtn 13,3b*.7b.14b nach den Ausschließlichkeitsgeboten der altorientalischen Vasallenverträge und Treueide gestaltet ist, standen den drei Fällen in Dtn 13,2-6*.7-12*.13-19* die der Ausschließlichkeitsforderung nachgeordneten Anzeigegebote Modell, die jedoch bezüglich der Tatfolgebestimmung, wie sich zeigen wird, verschärft worden sind. Die Forderung, den König über verdächtige Personen und deren Machenschaften zu informieren, ist erstmals in einem eblaitischen Vasallenvertrag aus dem 24. Jh. greifbar und von da an ein fester Bestandteil der aus dem Alten Orient überlieferten Vasallenverträge und Treueide.[1] Die in ihrer Aussageabsicht weitgehend standardisierten Anzeigegebote sind häufig mit der Vorstellung und Terminologie vom „bösen Wort" verknüpft. In der Grundgestalt der
Anzeigegebote geht es immer darum, „böse Worte" gegen den König nicht zu verheimlichen. So heißt es in dem Vasallenvertrag zwischen dem hethitischen Großkönig Muwattalli II. und Alaksandu von Wilusa:[2]
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[1] Vgl. zu dem eblaitischen Vertrag o. S. 24f und zum Anzeigegebot in den altorientalischen Treueiden und Vasallenverträgen Kap. II dieser Arbeit. Vgl. für das neuassyrische Vertragskorpus auch Nissinen, References, 160. „A stipulation of this kind is included in most of the well- preserved Neo-Assyrian treaties and is likely to have constituted a standard part of the treaties between the king and his allies or his subjects."
[2] HDT 13 § 13. Weitere Belege in hethitischen Vasallenverträgen und Treueiden: HDT 1 § 4; 1A § 9; 2 §§ 18, 43; 3 §§ 4, 20f, 31; 7 § 8; 10 § 1; 11 § 21; im Treueid für die LÜMEsSAG: §§ 24, 25 und 29; und in dem für Prinzen etc.: §§ 16 u. 28 (Text und Übersetzung bei von Schuler, Dienstanweisungen, 8-30).
„If someone speaks an evil word concerning My Majesty before you, Alaksandu, and you conceal it from My Majesty ..., then you, Alaksandu, will have offended before the oath gods."
In einem (anonymen) neuassyrischen Vasallenvertrag lautet die entsprechende Klausel:[1]
„[Nor] will you conceal from me anything that you hear, be it from the mouth of a king, or on account of a country, (anything) that bears upon or is harmful to us or Assyria, but you will write to me and bring it to my attention."
Die Grundgestalt kann verschiedentlich variiert werden:
mit oder ohne die Vorstellung und Terminologie vom „bösen Wort";[2]
durch eine Personenliste, die potentielle Verschwörer benennt;[3]
durch das wörtliche Anführen der Parole der Verschwörer;[4]
durch weitergehende Forderungen, die etwa die Ergreifung, Auslieferung oder Tötung der Verschwörer verlangen.[5]
Die Anzeigegebote in ihren verschiedenen Erscheinungsformen können nicht pauschal einer bestimmten Vertragsrechtstradition zugeschlagen werden; sie sind Gemeingut der altorientalischen Vasallenverträge und Treueide. Gleichwohl geben formale, inhaltliche und sprachliche Eigenheiten in den überlieferten Anzeigegeboten Gelegenheit, einzelne Elemente je einer der beiden großen Vertragsrechtstraditionen zuschlagen zu können. Ihr Vorkommen in Dtn 13* erlaubt sodann Rückschlüsse über die Herkunft der Traditionen, die auf das Kapitel eingewirkt haben. Folgende Themen sollen anschließend genauer untersucht werden:
a.) Formale Aspekte der drei Einheiten in Dtn 13*
b.) Dtn 13,2-12* und EST § 10
c.) Die Formel dbr srh „Falsches reden" (Dtn 13,6*)
d.) Das Tötungsgebot in Dtn 13,10aa
e.) Abfall einer israelitischen Stadt (Dtn 13,13-19*)
a.) Formale Aspekte der drei Einheiten in Dtn 13*: Die vergleichende Forschung hat sich bislang vorwiegend auf die Ermittlung inhaltlicher Parallelen beschränkt.
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[1] SAA II 13: r. iii 10-17. Weitere Belege in neuassyrischen Verträgen: SAA II 3: 2-4; 4: r. 4-7; 6 §§ 6, 10 u. 12; 8: r. 2-27; 9: 6-9 u. 12-16. Zur Rezeption der Anzeigegebote in der königlichen Korrespondenz s. o. S. 46f.
[2] Vgl. HDT 1A § 9 mit 2 §§ 18f u. 43.
[3] Vgl. z.B. HDT 1A § 9.
[4] Vgl. z.B. HDT 11 § 21.
[5] Die Auslieferung der Verschwörer verlangt HDT 3 § 4 sowie SAA II 9: 12-16.
Demgegenüber sollen im Folgenden ausgewählte formale Aspekte der in Dtn 13* zusammengestellten Einheiten mit Stipulationen in altorientalischen Vasallenverträgen und Treueiden verglichen werden, wobei auf Ergebnisse der traditionsgeschichtlichen Analyse der Stipulationen der aramäischen Sfire- Inschriften zurückgegriffen werden kann.[1] Voraussetzung der formalen Ver- ortung der drei Einheiten in Dtn 13* ist die grundsätzliche Möglichkeit, aufgrund der überlieferten Vertragstexte eine aramäische bzw. westliche von einer neuassyrischen Vertragsrechtstradition unterscheiden zu können.
Dtn 13* besteht aus drei in sich abgeschlossenen Paragraphen, die je ein Wenn-Dann-Satzgefüge zu erkennen geben: Die Protasis ist jeweils mit der Konditionalpartikel ky „wenn" eingeleitet und definiert den Tatbestand; die Apodosis bestimmt, was in dem gesetzten Fall zu geschehen hat. Die Anrede erfolgt dabei, darin dem Urdeuteronomium folgend, durchgängig in der 2. Pers. Sg. Lediglich die in dieser Arbeit als Nachträge beurteilten Textpassagen wechseln in die 2. Pers. Pl. Die genannten formalen Merkmale haben ihre nächste Parallele in den Stipulationen der aramäischen Sfire-Inschriften, die ihrerseits in der Tradition der Stipulationen der hethitischen Vasallenverträge stehen. Kennzeichnend für diesen westlichen Typ von Stipulationen sind Ketten von frei stehenden Konditionalsätzen. Die Protasis wird mit der Partikel „wenn" (heth. man, aram. hn) eingeleitet; die Apodosis besteht in den hethitischen Texten meist aus einer stereotypen Repressionsformel, die allgemein das Übertreten der Eide ankündigt; in den Sfire-Inschriften folgt als Apodosis zunächst eine konkrete Bestimmung, woraufhin am Ende einer Sinneinheit eine Repressionsformel er- scheint.[2] Die Anrede des Vasallen erfolgt in der Regel in der 2. Pers. Sg. Ausschlaggebend für eine formkritische Verortung der Einheiten in Dtn 13* in der westlichen Vertragsrechtstradition ist die Beobachtung, dass die aufgeführten formalen Merkmale in der neuassyrischen Vertragsrechtstradition, soweit das die spärliche Quellenlage zu erkennen gibt, Ausnahmen bilden.[3] Insbesondere unterscheidet sich EST § 10, der gerne als Vergleichstext herangezogen wird, von Dtn 13* und den Sfire-Inschriften sowohl in der Sprachregelung[4] als auch im Aufbau, unabhängig davon, ob man die summa-Sätze im Affirmativ als Protasen zu den Flüchen oder als Eide interpretiert.[5] Die Gegenüberstellung eines die Anzeige „böser Worte" gegen den König verlangenden Paragraphenabschnitts
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[1] Vgl. o. S. 69-77.
[2] Die in hethitischen und aramäischen Stipulationen gebräuchliche Repressionsformel am Ende der Paragraphen könnte in Dtn 13* in den abschließenden Formeln 13,6b.12 einen Nachhall erfahren haben, vgl. Rose, Ausschließlichkeitsanspruch, 30.
[3] Einzig Asarhaddons Vertrag mit Baal von Tyrus (SAA II 5) weist Konditionalsätze in Reihenbildung und gleichzeitig eine singularische Anrede des Vereidigten auf, s. o. S. 73.
[4] Zu beachten ist, dass die Sfire-Inschriften und der EST einen unterschiedlichen Numerus- gebrauch zeigen, obwohl sich beide Verträge ausweislich der Präambeln sowohl an den abhängigen Herrscher als auch an seine Familie und seine Untertanen richten, weshalb sich die pluralische Anrede im EST nicht einfach mit dem Hinweis auf eine hier angesprochene Personenmehrheit rechtfertigen lässt.
[5] Vgl. dazu o. S. 88-91.
aus den Sfire-Inschriften und dem EST veranschaulicht die Unterschiede. EST § 10 ist dabei einmal als Eid und einmal als Protasis zu den Flüchen übersetzt:
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Sf III: 1-4[1]
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EST § 10*[2]
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| „. wenn irgend jemand 2kommt, der Zuflucht sucht und böse Worte über mich redet ., darfst du die Worte nicht von ihm annehmen ..." | „Bei Gott, ihr sollt kein böses . Wort, das für Assurbanipal ... nicht gut ist ... hören und (dann) verheimlichen ." „Solltet ihr ein böses . Wort, das für Assurbanipal . nicht gut ist . hören und verheimlichen . -" (Es folgen die Flüche in EST §§ 37ff) |
Neben dem Aufbau und der Sprachregelung teilt Dtn 13* mit den aramäischen Inschriften von Sfire eine emphatische Infinitivkonstruktion, deren Gebrauch in Vertragsstipulationen eine genuin aramäische Tradition darzustellen scheint, da sie bislang in keinen anderen Vertragstexten belegt ist. W. Morrow, der den Gebrauch des so genannten paronomastischen Infinitivs in den Sfire-Inschriften untersucht hat, hat drei verschiedene Verwendungsarten identifizieren können.[3] Von besonderem Interesse ist hier zunächst diejenige Variante, in der der par- onomastische Infinitiv „in an apodosis contrasting with the negative clause(s) beginning the apodosis" erscheint.[4] Als sichere Belege hierfür gelten Sf III: 1-4 und 4-6. Der entscheidende Abschnitt der Stipulation Sf III: 1-4 lautet:[5]
„<Und wenn irgendeiner zu dir kommt> 1... und [ge]gen mich re[d]et ..., darfst du die Worte nicht von ihm annehmen (ltq"), (vielmehr) hast du solche (Leute) mir auszuliefern (hskr thskrhm) ..." (Sf III: 1f)
Eben derselbe Gebrauch liegt in Dtn 13,7-12* vor. Wie in dem aramäischen Beispiel setzt sich auch hier die Rechtsfolgebestimmung aus einem oder mehreren Prohibitiven (l + PK) sowie einem die Negation kontrastierenden par- onomastischen Infinitiv zusammen:[6]
„[...], dann sollst du ihm nicht willfahren (P Pbh Iw), nicht auf ihn hören (wl' tsmc 'lyw), nicht mitleidig auf ihn blicken (wl' thws rynk 'lyw), nicht dich erbarmen (wP thml), nicht ihm verzeihen (wP tksh 'lyw), vielmehr sollst du ihn unbedingt töten (hrg thrgnw) [.]." (Dtn 13,9.10aa)
Sollte die in dieser Arbeit vorgelegte Rekonstruktion von Dtn 13,2-6* zutreffend
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[1] Rössler, TUAT I, 186.
[2] Die eigenen Übersetzungen basieren auf der Umschrift von Watanabe, ade -Vereidigung, 148.
[3] Morrow, Sefire Treaty, 89-96.
[4] A.a.O., 89.
[5] Rössler, TUAT I, 186.
[6] Vielleicht sollte dem Prohibitiv als der stärksten Form der Negation mit dem paronomastischen Infinitiv eine gleichwertige Form der Affirmation an die Seite gestellt werden.
sein,[1] könnte sich hinter der Kurzform der mwt ywmt-Formel in V. 6 (ky ywmt) ebenfalls ein paronomastischer Infinitiv verbergen:
„[.], dann sollst du auf die Worte dieses Propheten oder Traumsehers nicht hören (P tsm' 'l ...), vielmehr soll er getötet werden (ky ywmt) [...]." (Dtn 13,4-6*)
In Dtn 13,13-19* findet der antithetische paronomastische Infinitiv keine Verwendung. Im Gegensatz zu den vorangehenden Fällen ist in Dtn 13,13-19* die Apostasie bereits ins Werk gesetzt, womit sich ein Verbot, auf die Rede der Verführer zu hören, erübrigt hat. Wenn in Dtn 13,16* dennoch ein parono- mastischer Infinitiv gebraucht wird, so hat auch dies ein Vorbild in der von den Sfire-Inschriften repräsentierten aramäischen Vertragsrechtstradition. In Sf III: 12f erkennt Morrow eine Verwendungsart des paronomastischen Infinitivs „as emphatic commands resuming a series of related instructions".[2] Die einschlägige Stipulation beginnt in Sf III: 9 mit der Konditionalpartikel hn und reicht bis III 14, wo sie mit einer Repressionsformel abgeschlossen wird. Die Bestimmung regelt die Reaktion des Mati'-'el im Fall eines erfolgreichen Mordanschlags auf Bar-ga'yah: Mati'-'el und seine Nachkommen sollen kommen und Bar-ga'yah und seine Nachkommen an den Feinden rächen. Wie das konkret vonstatten gehen soll, explizieren zwei weitere Konditionalsätze, die einerseits die Vernichtung einer ganzen Stadt und andererseits einer Einzelperson samt Anhang fordern:[3]
„Und wenn irgendeiner . 11meinen Kopf will, um mich zu töten ., - wenn sie mich tatsächlich töten, so musst du kommen und mein Blut rächen von der Hand meiner Feinde (wtqm dmy mn yd sn'y) ... Und wenn es sich um eine Stadt handelt, schlagt sie 13mit dem Schwert (nkh tkwh bhrb); und wenn es sich um einen meiner Brüder handelt, oder einen meiner Diener oder [einen] meiner Aufseher, oder einen aus dem Volk, das mir untertan ist, erschlagt ihn, ja ihn und seine Nachkommenschaft, seine Schütz 14linge und seine Freunde, mit dem Schwert (nkh tkh y:[t] h ... b"rb), sonst seid ihr eidbrüchig gegenüber allen [Ver]tragsgöttern, die in dieser Inschrift stehen."
Der paronomastische Infinitiv dient in dem zitierten Beispiel der Fortsetzung der vorangegangenen Bestimmung. Ähnlich gelagert ist der Sachverhalt in Dtn 13,16*. Auch hier führt der paronomastische Infinitiv eine vorangehende Bestimmung fort, die in diesem Fall das Ermittlungsverfahren betrifft (vgl. V. 15):
„[...], dann sollst du nachfragen und nachforschen und gründlich untersuchen (wdrst w"qrt ws'lt hy—b), und ist es wirklich wahr, dass dieser Gräuel in deiner Mitte begangen wurde, dann sollst du die Einwohner dieser Stadt unbedingt mit der Schärfe des Schwertes schlagen (hkh tkh . lpy "rb)." (Dtn 13,15f*)
Ein dem aramäischen paronomastischen Infinitiv entsprechendes Forminventar ist zwar auch im Hebräischen vorhanden gewesen.[4] Der konkrete Gebrauch
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[1] S. o. S. 119 mit Anm. 71.
[2] Morrow, Sefire Treaty, 90.
[3] Rössler, TUAT I, 187.
[4] Vgl. neben Dtn 13 Ex 23,23f; Dtn 7,18; 15,7f.13f; 22,6f; 24,12f (vgl. Morrow, Sefire Treaty, 95).
des Stilmittels in den drei Stipulationen in Dtn 13*, der dem in den aramäischen Sfire-Inschriften zum Teil exakt entspricht, macht allerdings eine Abhängigkeit des Kapitels von der aramäischen Vertragsrechtstradition und ihren Formulierungsgewohnheiten wahrscheinlich, zumal sich die drei in Dtn 13* zusammengestellten Einheiten auch in puncto Sprachregelung und Aufbau vorzüglich in die westlich-aramäische Tradition einfügen.
Aus den formalen Gemeinsamkeiten der drei in Dtn 13* zusammengestellten Einheiten mit den Vertragsstipulationen der aramäischen Inschriften von Sfire ergeben sich zwei Schlussfolgerungen: Erstens ist die kontrovers diskutierte Frage, welcher Rechtsgattung die Einheiten in Dtn 13* angehören, dahingehend zu beantworten, dass hier weder kasuistische Gesetze[1] noch deren Nachahmung,[2] sondern schlicht und ergreifend Vertragsstipulationen vorliegen bzw. imitiert werden, womit sich - wie sich zeigen wird - Form und Inhalt entsprechen;[3] zweitens stehen diese Vertragsstipulationen in formaler Hinsicht nicht in der Linie der neuassyrischen, sondern der westlich-aramäischen Vertragsrechtstradition.
b.) Dtn 13,2-12* und EST § 10: Analog zu altorientalischen Verträgen werden in den drei Stipulationen in Dtn 13* einzelne Personen bzw. ganze Gesellschaften als potentielle Verführer zum Abfall von Jhwh aufgezählt. Dtn 13,2-6* schildert den Fall, dass ein Prophet (nby1) oder ein Traumseher (hlm hlwm), der sich mit einem Beglaubigungszeichen legitimiert, der Nachfolge anderer Götter das Wort redet. In Dtn 13,7-12* sind es nächste Verwandte und Freunde, die (heimlich) zum Fremdgötterdienst auffordern. Die größte Nähe besteht zu EST § 10. Da der Paragraph in der Diskussion um eine mögliche Abhängigkeit der (ersten beiden) Stipulationen vom EST eine zentrale Rolle spielt, sei er an dieser Stelle in Umschrift und Übersetzung in voller Länge dargeboten:[4]
summa abutu la —abtu la de'iqiu
la banitu sa ina mu''i Assur-bani-apli mar'i sarri rabi'i sa bet ridüti
miar'i Assur-ahu-iddina sar mat Assur belikunu la tarsatüni
la —abatüni lü ina pi nak(i)risu
lü ina pi salmisu
lü ina pi a''esu
a''e abbesu mar'c a''e abbesu
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[1] Vgl. Richter, Bearbeitungen, 83; Rüterswörden, Dtn 13, 197. Bei der These, in Dtn 13* lägen kasuistische Gesetze vor, hätte man allerdings aufgrund der direkten Anrede von einer Mischgattung auszugehen, vgl. die Kritik bei Rose, Ausschließlichkeitsanspruch, 26.
[2] So Veijola, Wahrheit, 290. Da Otto bei seiner Interpretation von Dtn 13* allein von den formalen Merkmalen des neuassyrischen EST ausgeht, die sich mit dem Befund in Dtn 13* aber schlecht decken, gelangt er zu der komplizierten Annahme, in Dtn 13* sei „die Vertragsstipulation der judäischen Gattung des kasuistischen Rechts angepasst worden" (Otto, Deuteronomium, 66).
[3] Ähnlich schon Rose, Ausschließlichkeitsanspruch, 26-33, der als formale Parallelen die so genannten hethitischen Dienstanweisungen (Treueide aus der Zeit Tut'alijas IV.) geltend macht.
[4] Die Umschrift stammt aus Watanabe, ade -Vereidigung, 148. Die eigene Übersetzung deutet den Paragraphen als Eidformel, vgl. dazu o. S. 88-91.
qinnisu zar'i bet abisu lü ina pi ahhekunu
mar'ekunu mar'atekunu lü ina pi ragimi
ma'he mar sa'ili amat ili
lü ina (pi) nap'ar salmat qaqqadi mala basu
tasammäni tupazzarani
la tallakanenni ana Assur-bani-apli miar'i sarri rabi'i
sa bet ridüti mar'i Assur-ahu-iddina sar mat Assur
la taqabbäni
„108Bei Gott, ihr sollt nicht ein ungutes, unfreundliches, 109unziemliches Wort, das für Assurbanipal, den Kronprinzen vom ,Nachfolgehaus', 110den Sohn Asarhad- dons, Königs von Assyrien, eures Herrn, nicht korrekt, 111nicht gut ist, sei es aus dem Mund seines Feindes 112oder aus dem Mund seines Freundes 113oder aus dem Mund seiner Brüder, 114der Brüder seines Vaters, der Söhne der Brüder seines Vaters, 115seiner Familie, der Nachkommen seines Vaterhauses oder aus dem Mund eurer Brüder, 116eurer Söhne, eurer Töchter oder aus dem Mund eines Propheten/Orakel- priesters, 117eines Ekstatikers, eines sa'ilu-Priesters 118oder aus dem Mund aller ,Schwarzköpfigen' überhaupt 119hören (und es dann) verheimlichen, 120sondern zu Assurbanipal, dem Kronprinzen 121vom ,Nachfolgehaus', dem Sohn Asarhaddons, Königs von Assyrien, kommen 122(und es) sagen."
Nach Otto verdanken die ersten beiden Fälle in Dtn 13* ihre Struktur EST § 10, der wie Dtn 13,2-12* Familienangehörige und religiöse Experten auflistet.[1] Vergleicht man EST § 10 und Dtn 13,2-12* jedoch genauer, so überwiegen die Unterschiede. So schon im Hinblick auf die Absicht der Auflistung der potentiellen Aufwiegler. Das Anliegen von EST § 10 ist es ganz offensichtlich, möglichst alle Personen zu benennen, die dem (künftigen) König potentiell gefährlich werden könnten, um anschließend ihre Anzeige beim König zu fordern (EST § 10 Z. 119.122: [summa] tasammani tupazzaräni ... lä taqabbani). Dabei bedient sich der Paragraph der Form der Liste, die „nach einem an Nähe und Distanz zu Assurbanipal orientierten Schema"[2] angeordnet ist. Als mögliche Anstifter einer Rebellion werden neben Feind und Freund die nächsten Familienangehörigen sowohl Assurbanipals als auch der vereidigten medischen Vasallen sowie eine Trias von Kultbeamten genannt. Speziell die die Liste abschließende, bewusst sehr allgemein gehaltene Formel lü ina (pi) nap'ar salmat qaqqadi mala basu (EST § 10 Z. 118) zeigt, dass die gebotene Aufzählung auf Vollständigkeit abzielt.[3] Da sämtliche im EST belegten Personenlisten mit der
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[1] Vgl. Otto, Deuteronomium, 57-59.
[2] Wie Otto, a.a.O., 58, richtig sieht.
[3] Vgl. auch Veijola, Deuteronomiumsforschung, 296. Dieses Anliegen wird auch von dem im Jahre 669 entstandenen Treueid der Zakutu bestätigt, der wie der EST zugunsten Assurbanipals aufgesetzt worden ist. Auch die hier eingebaute Liste endet, nachdem sie Personen sowohl aus der Umgebung des Königs als auch aus der der Vereidigten genannt hat, mit der die Bewohner des ganzen Landes einschließenden Formel lü ina nise mäti gabbu (Z. 23), die die Intention der Liste, nämlich die vollständige Aufzählung aller potentiellen Verschwörer, deutlich macht (vgl. SAA II 8).
auf „alle Menschen" verallgemeinernden Formel abschließen (vgl. EST Z. 79f: lü (ina pi) nap'ar salmat qaqqadi mala basu; Z. 164: lü ina siknat napulti mala basu; Z. 223: lü ina nap'ar salmät qaqqadi mala basu; Z. 321f: issu libbi mar'i mat Assur issu libbi mar'i mäti sanitim; Z. 339f: lü ina nap'ar salmät qaqqadi mala basu),[1] ist das Fehlen einer solchen Formel in Dtn 13* ein erster gravierender Unterschied zum EST.[2] Darüber hinaus präsentiert Dtn 13* die religiösen Experten und die Familienangehörigen (im Vergleich zu EST § 10 in umgekehrter Reihenfolge) in zwei verschiedenen Paragraphen (Dtn 13,2-6*: Propheten; 7-12*: Familie und Freunde),[3] womit die in EST § 10 vorliegende Form der Personenliste in Dtn 13* gerade nicht gegeben ist.
Die in Dtn 13,7a gebotene Aufzählung der nächsten Verwandten und Freunde, die hier nicht wie im EST im Plural angesprochen werden, ist im Gegensatz zu der Liste in EST § 10 umfangreicher und zudem stark affektgeladen. Die emotionale Färbung kommt besonders schön aufgrund der den Personen beigefügten Näherbestimmungen zur Geltung, wenn etwa der Bruder als bn 'mk („Sohn deiner Mutter"),[4] die (in EST § 10 fehlende) Frau als 'st "yqk („Frau an deiner Seite") und der (in EST § 10 ebenfalls fehlende) Freund als r'k 'sr knpsk („Freund, den du liebst wie dich selbst") vorgestellt werden. Die Intention der Zeilen liegt auf der Hand: „[T]he author thereby rhetorically sharpens the conflict between blood and religion."[5] Eine zusätzliche Dramatisierung erfährt der innerfamiliäre Konflikt noch durch die Tatsache, dass die von den in V. 7a genannten Personen ausgehende Anstiftung zum Fremdgötterdienst hier bstr
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[1] Vgl. Watanabe, ade -Vereidigung, 146; 150; 154; 158. Zu einer vergleichbaren Formel in einem hethitischen Vertrag vgl. HDT 10 § 1.
[2] Vgl. auch Aurelius, Götter, 160, Anm. 51.
[3] Pakkala, Deuteronomium 13, 131, erkennt richtig, dass in Dtn 13* nicht einfach die religiösen Experten und die Angehörigen auf zwei Paragraphen verteilt worden sind, sondern dass darüber hinaus zwei verschiedene Tatbestände zu unterscheiden sind: In 13,2-6* die öffentliche, in 13,7-12* die geheime Anstiftung zum Abfall von Jhwh. Nach Floss, Jahwe dienen, 285f, sind die beiden Tatbestände auch anhand der verschiedenen Parolen der Anstifter zu unterscheiden: In 13,3b* hlk >hry >lhym >"rym, in 13,7b (bd >lhym >"rym.
[4] Levinson, Deuteronomy 13:7a, 240f, sieht gerade darin ein Indiz für eine Übertragung aus dem EST, da dort (allerdings gerade nicht in dem relevanten § 10 [vgl. Z. 113 und 115: a''esu bzw. a''ekunu ]!) die Brüder Assurbanipals (jedoch nicht die der Vereidigten!) immer wieder als a''esu mar'e ummisu „seine Brüder, Söhne seiner Mutter" bezeichnet werden (Z. 94, 103, 171, 270, 285, 497, 504, 516, 633): „The attestation of that formula only in this treaty increases the likelihood of its having been used as a literary model by the author of Deut 13." Jedoch dürfte der Zusatz „Söhne deiner Mutter" in einer Gesellschaft, in der Polygamie eine anerkannte Lebensform war, nicht ungewöhnlich sein, und so sagt Levinson selbst, dass die Formel „is common also in classical Hebrew, where it is found in a broad range of literary genres, extending from narrative to wisdom and poetry" (a.a.O. 226).
[5] Levinson, Deuteronomy 13:9, 616.
„heimlich" (vgl. Dtn 27) geschieht.[1] Des Weiteren hat Levinson darauf hingewiesen, dass die fünf in Dtn 13,9 aneinandergereihten Prohibitive („dann sollst du ihm nicht willfahren, nicht auf ihn hören, nicht mitleidig auf ihn blicken, nicht dich erbarmen, nicht ihm verzeihen"), die allesamt den Verzicht auf Mitleid thematisieren, den fünf in V. 7a aufgeführten Verwandten und Freunden in der Anzahl genau korrespondieren, und der Paragraph somit auf die schonungslose Tötung des potentiellen Verführers zielt (V. 10aa). Im Mittelpunkt von Dtn 13,7-12* steht daher nicht - wie in EST § 10 - die Anzeige der potentiellen Anstifter einer Rebellion, sondern „the injunction to extinguish the inner feelings of kinship and mercy that would inevitably arise toward the beloved - and that would preclude the summary execution that is called for".[2] Dass damit eine von EST § 10 abweichende Tatfolgebestimmung einhergeht, ist später aufzuzeigen. Was die Erwähnung der engsten Familienmitglieder in beiden Texten anbelangt, so ist folglich zu schließen, dass bei der stark emotional gefärbten Aufzählung in Dtn 13,7a die Unterschiede zu EST § 10:115f überwiegen, was einer Übersetzung aus dem EST entgegensteht. Da das Motiv, dass eine Verschwörung aus dem Kreis der nächsten Verwandten und besten Freunde ausgeht, in altorientalischen Verträgen häufig belegt ist, legt auch die - im Alten Orient verbreitete[3] - gemeinsame Abfolge ahhekunu mar'ekunu mar'ätekunu in EST § 10 Z. 115f bzw. 'hyk bn mk 'w bnk 'w btk in Dtn 13,7a einen direkten Einfluss speziell einer assyrischen Quelle oder gar des EST auf Dtn 13* keinesfalls zwingend nahe, spricht vielmehr dafür, dass der Verfasser von Dtn 13* ein Motiv der altorientalischen Vasallenverträge und Treueide aufgegriffen und für sein Anliegen dienstbar gemacht hat. Einige Beispiele entsprechender Stipulationen seien im Folgenden angeführt:
Der hethitische Ismeriga-Vertrag bietet in einem mit EST § 10 in vielerlei Hinsicht parallel laufenden Paragraphen eine noch umfassendere Aufzählung von engsten Familienmitgliedern, wobei deren Nachordnung hinter verschiedene Funktionsträger exakt der Reihenfolge in Dtn 13* entspricht (Vs. 21'-24'):[4]
„21'Wenn vor euch aber jemand ein böses Wort [sp]richt, sei (es) ein Grenzherr, [ 22'sei er ein Geringer, sei er ein Hethit[er, sei] er ein Kizzuwatnäer [
23'oder einem Menschen sein (eigener) Vater, seine Mutter, sein Bruder, seine Schwester oder sein Sohn, (sein) Schwager [
24'wer ein (solches) Wort sagt, diesen soll niemand verstecken, (sondern) er soll ihn
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[1] Das Motiv begegnet auch in einem hethitischen Treueid: „Oder (wenn) jemand (von) euch heimlich etwas hört, es aber nicht im Palast meldet, so soll ihm auch dies unter Eid gelegt sein." („Instruktion für Prinzen, ,Herren' und ,Obere'" § 6 [von Schuler, Dienstanweisungen, 24]).
[2] Levinson, Deuteronomy 13:9, 617.
[3] Vgl. auch Pakkala Deuteronomium 13, 131.
[4] Kempinski, Ismeriga-Vertrag, 195. Für weitere Personenlisten in hethitischen Vasallenverträgen s. HDT 1A § 9; 3 § 31; 10 § 1.
ergreifen und zur Anzeige [bringen!"
Der in Dtn 13,7a genannte Freund hat zwar in EST § 10 keine Entsprechung, dafür aber in einem hethitischen Treueid, in dem eine Bestimmung lautet:[1]
„Oder (wenn) ein Freund bei einem Freunde irgendeine böse Sache über die Sonne hört und ihn nicht anzeigt, (das) soll [unter] Eid gelegt sein."
Freunde finden aber auch in der Liste der Zakutu-ade gleich hinter den Brüdern der Vereidigten in Gestalt der bel —äbätekunu Erwähnung. Wie in Dtn 13* stellt auch hier die Personenliste den Brüdern und Freunden der Vereidigten verschiedene staatliche Funktionsträger voran:[2]
„(18-23)Und wenn ihr hört oder wisst, dass unter euch Leute sind, die zum Kampf verleiten (oder) aufwiegeln, ob von den Bärtigen oder von den Eunuchen, ob von seinen Brüdern oder königlichem Samen, ob eure Brüder oder Freunde oder von den Leuten des ganzen Landes, (23-27)wenn ihr das hört (oder) [wisst], sollt ihr (sie) ergreifen, [töten und zur] Zakutu [oder zu Assurbani]pal, [König des Landes Assur, euren Herrn, br]ingen."
Anders liegen die Dinge bei dem Fall der beiden Prophetengestalten in Dtn 13,2-6*. Denn obgleich Träume nach Auskunft des Alten Testaments als göttliches Offenbarungsmedium in vor- und nachexilischer Zeit allgemein akzeptiert waren,[3] ist der als "lm "lwm bezeichnete Traumexperte im Alten Testament nirgends sonst belegt. Dies könnte ein erstes Indiz für die Rezeption einer dem Alten Testament an sich fremden Vokabel sein. Dazu fügt sich, dass die in EST § 10 genannten Kultbeamten (raggimu, mahhu, sä'ilu amät ili) einigermaßen gut mit den Prophetengestalten in Dtn 13* korrespondieren: „Dermahhu (,Ekstatiker') entspricht dem Nabi, während der sä,il(t)u (,Traum- deuter') mit dem Inkubanten gleichzusetzen ist."[4] Der mögliche Einwand, dass dem nby' gleich zwei Prophetengestalten gegenüberstehen, wiegt nicht schwer, da sich der raggimu „Rufer" (von akk. ragämu[m] „rufen") und der archaische, möglicherweise später durch den raggimu ersetzte mahhu „Ekstatiker; Prophet" (von akk. mahu[m] „rasen") hinsichtlich ihrer Funktion kaum unterscheiden lassen und die redundante Erwähnung beider Spezialisten daher literarischem Interesse entsprungen sein könnte.[5] Bei einem ersten Vergleich der in EST § 10 und Dtn 13,2-6* vorkommenden religiösen Experten wird man also in der Tat zugeben müssen, dass der Ausdruck nby' 'w "lm "lwm „exakt mit der Korporation von raggimu, mahhu und sä'ilu korrespondiert".[6] Wenn man den Ausdruck nby' 'w "lm "lwm isoliert betrachtet, könnte hier demnach tatsächlich eine Übersetzung
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[1] „Instruktion für ,Obere'" § 29 (von Schuler, Dienstanweisungen, 15).
[2] Hecker, TUAT NF II, 92; vgl. den akkadischen Text in SAA II 8. Personenlisten finden sich ferner in SAA II 4: r. 4-7 sowie in SAA II 13: r. iii 10-17. Entsprechende Personenlisten bezeugen auch die aramäischen Sfire-Inschriften, vgl. Sf III: 1-4 u. 9-14.
[3] Vgl. Kaiser, Theologie 1, 216.
[4] Otto, Deuteronomium, 58, Anm. 250.
[5] Vgl. auch Nissinen, References, 161: „t seems like a word-pair combining the colloquial and literary equivalents for ,prophet'."
[6] Nissinen, Prophetie, 179.
aus EST § 10:116f vorliegen.[1] Bei näherem Hinsehen ist die Entsprechung zwischen den religiösen Experten in EST § 10 und Dtn 13,2-6* jedoch nicht vollkommen. So hat J. Pakkala m.E. berechtigte Zweifel bezüglich der These angemeldet, der hebräische "lm "lwm könne als Übersetzung für akkadisch sä'ilu amät ili angesehen werden.[2] Der "lm "lwm sei als Experte der Oneiromantik viel spezifischer als der assyrische sä'ilu, dessen divinatorische Tätigkeiten demgegenüber weiter gesteckt seien. Die exakte Interpretation der Constructus-Verbindung mär sä'ili amät ili „Sohn eines das Gotteswort Fragenden" ist nicht sicher. Entsprechend bietet CAD, das für sä'ilu allgemein „diviner" angibt, mit Fragezeichen sä'ilu „(who asks for) divine utterances"[3], was sich noch dahingehend konkretisieren lässt, dass sä'ilu „is usually - though not exclusively - connected with dream interpretation".[4] Pakkala fragt nun zu Recht, weshalb der recht offene akkadische Terminus ausgerechnet mit dem im Alten Testament nicht belegten "lm "lwm übersetzt worden ist, wo doch treffendere hebräische Äquivalente bereit gestanden hätten. So wären der qsm „Wahrsager" (Dtn 18,10.14), der ebenfalls mit Träumen beschäftigt war (Jer 27,9; 29,8), oder der s'l }wb (Dtn 18,11) passender gewesen; es wäre sogar möglich gewesen, die akkadische Constructus-Verbindung sä'ilu amät ili in Form von s'l bdbr h'lhym (vgl. 2Sam 16,23) wortwörtlich ins Hebräische zu übersetzen.[5] Mit anderen Worten: Hinter hebräischem "lm "lwm scheint sich etwas anderes zu verbergen als ausgerechnet sä'ilu amät ili aus EST § 10. Gleichwohl bleibt zu berücksichtigen, dass einerseits das hapax lego- menon im Alten Testament "lm "lwm für die Rezeption einer fremden Vokabel spricht und andererseits die Themen Prophetie und Traum(deutung) im neuassyrischen Reich im 7. Jh. von einigem Gewicht waren.[6] Von daher ist es nicht ausgeschlossen, dass die Stipulation über die Falschpropheten in Dtn 13,2-6* in der Tat von einem assyrischen Vasallenvertrag inspiriert worden ist. Die Parallele zwischen EST § 10:116f und Dtn 13,2-6* ist jedoch kein Beweis für eine Abhängigkeit von genau diesem Text. Wenn man bedenkt, dass es sich bei den überlieferten EST-Tafeln um die einzigen vollständig und im Original erhaltenen neuassyrischen ade-Texte handelt, die in ihren ausgedehnten Personenlisten erwartungsgemäß auch einzelne Funktionsträger erwähnen, die bislang nur dort bezeugt sind, so ist die im neuassyrischen Vertragskorpus einzigartige Erwähnung von Propheten in EST
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[1] Levinson 13,7a 238, Anm. 80, macht darauf aufmerksam, dass der "lm "lwm, der „Träumer von Träumen", auch grammatisch der Formel mär sä'ili amät ili entspricht: „it employs a masculine singular active participle in construct to a following noun."
[2] Pakkala, Deuteronomium 13, 132f.
[3] CAD S, 111.
[4] Nissinen, References, 161; vgl. auch Tropper, Nekromantie, 74.
[5] So auch die Schlussfolgerung von Pakkala, Deuteronomium 13, 133.
[6] Vgl. Otto, Deuteronomium, 55 mit Anm. 243. - Für das Thema Prophetie s. Nissinen, Prophetie, passim; für das Thema Traum s. Pongratz-Leisten, Herrschaftswissen, 111-127. Allerdings war das Thema Prophetie auch im Juda der ausgehenden Königszeit von einiger Relevanz, vgl. z.B. Hardmeier, Prophetie, passim, sowie u. S. 294-309.
§ 10 wahrscheinlich dem Überlieferungszufall geschuldet.[1]
Exkurs: Das bedrohliche Potential der Prophetie in assyrischer und dtr Sicht Der Vergleich der einschlägigen assyrischen Quellen, in denen Propheten eine Gefahr für das Königshaus darstellen, mit dem Fall prophetischer Konspiration in Dtn 13* offenbart die verschiedenen zeithistorischen Kontexte, in denen die jeweiligen Texte entstanden sind. In dem assyrischen Brief ABL 1217, der für einen Vergleich mit dem Bild von Prophetie in Dtn 13* als geeignet erscheint, nimmt eine Verschwörung gegen den Großkönig ihren Ausgang bei einem prophetischen Orakel, das während der Herrschaft Asarhaddons einem anderen die Königsherrschaft verheißt.[2] Der loyale Verfasser des Briefes zeigt die verantwortliche Prophetin gemäß EST § 10 dem König an und fordert, darin EST § 12 folgend, die Vernichtung der Verschwörer.[3] Der Brief macht deutlich, dass die assyrischen Texte (u.a. EST § 10) und Dtn 13* die Propheten ganz verschiedenen Kriterien unterwerfen:[4]
„Als Kontrollinstanz dient im neuassyrischen Reich die vorherrschende Königsideologie, im Falle des Deuteronomiums dagegen das deuteronomische Gesetz mit dem Hauptgebot an seiner Spitze, vermittelt durch den Propheten Mose (Dtn 18:15)."
Damit steht in Zusammenhang, dass die in den assyrischen Quellen beschriebenen demagogischen Bemühungen der Propheten „deutlich auf ganz reale Vor- gänge"[5] bezogen sind, während es sich bei Dtn 13* um einen „Reflexionstext [handelt], der an drei Extrembeispielen das Fremdgötterverbot als Hauptgebot gleichsam durchexerziert".[6] Das in den assyrischen Quellen vorgeführte staatsgefährdende Potential der Prophetie scheinen die Verfasser von Dtn 13* - wie Nissinen ganz richtig feststellt - nicht länger als ernstzunehmende Gefahr empfunden zu haben:[7]
„Die Falschheit bzw. Wahrhaftigkeit einer Prophetie erscheint in den Augen der politisch-religiösen Machthaber der judäischen Königszeit in einem wesentlich anderen Licht als in denen der nachexilischen deuteronomistischen oder priesterlichen Autoritäten; der Fall von Jeremia dient als ein anschauliches Beispiel dafür."
Das völlig andere Prophetenbild in Dtn 13* ist demnach kein Zeichen für eine von seiner Umwelt abweichende Rolle der Prophetie in Juda, sondern für eine nachstaatliche Entstehung des Kapitels, als Propheten zwar nicht länger dem regierenden König die Loyalität versagen (wie noch Jeremia oder der Prophet in
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[1] Vgl. auch Nissinen, Prophetie, 179: „Da von dem ganzen neuassyrischen Vertragswesen nur wenige Reste verschont geblieben sind, mag die Nicht-Erwähnung von Gelehrten und Propheten in den uns bekannten Verträgen ein reiner Zufall sein."
[2] Vgl. dazu a.a.O., 182-193.
[3] Vgl. a.a.O., 188.
[4] A.a.O., 194.
[5] Köckert, Ort, 83.
[6] A.a.O., 84.
[7] Nissinen, Prophetie, 195.
den Lachischtexten)[1], aber immer noch als nachvollziehbares Beispiel für eine Gefährdung des Glaubens aufgrund illoyalen Verhaltens herhalten konnten.
Ein weiteres Indiz für eine Übertragung akkadischer Termini aus EST § 10 erkennt Otto in der Wendung wl tksh 'lyw in Dtn 13,9, die er mit „und es nicht verheimlichen" übersetzt und als aus EST § 10:119-121 (akk. pazaru[m] D = „verheimlichen") entliehen betrachtet.[2] Nun hat aber Levinson in einer umfassenden Wortuntersuchung überzeugend nachgewiesen, dass ksh pi + Präp. 'l (ohne Objekt) im Gegensatz zu ksh pi + Akkusativobjekt[3] nicht mit „ver- bergen/verheimlichen", sondern mit „verzeihen" („condone") zu übersetzen sei (vgl. Neh 3,37 mit Jer 18,23).[4] Weil Liebe bereit ist, jedes Vergehen zu verzeihen (vgl. Spr 10,12: w'l kl ps'ym tksh 'hbh), scheint das Verbot in Dtn 13,9 speziell in Bezug auf die engsten Familienmitglieder und Freunde (V. 7a) geraten zu sein. „Here it is the human addressee who is forbidden to surrender to the feelings that would permit him, on account of love, to condone the apos- tate."[5] Die Übersetzung von wl1 tksh 'lyw mit „und es nicht verheimlichen" scheitert überdies schon an der fragwürdigen Zuordnung des Suffixes, das logischerweise, wie die übrigen Suffixe in Dtn 13,9 auch, auf den potentiellen Anstifter zu beziehen ist.[6]
Aber selbst wenn Ottos Übersetzung von wl' tksh 'lyw richtig wäre, ist eine Abhängigkeit der Stelle von EST § 10 dennoch in zweierlei Hinsicht zweifelhaft: Erstens ist die Verbindung „hören und (dann) verheimlichen" (heth.: istamas-/munnai-; akk.: samu/pazaru D)[7] in den Anzeigegeboten der hethi- tischen und vor allem der neuassyrischen Vasallenverträge und Treueide derart häufig belegt, dass ihr Vorkommen in Dtn 13* schlechterdings nichts über ihre Herkunft aussagt. Zweitens gebraucht EST § 10 die Verbindung „hören und (dann) verheimlichen" (EST § 10: 119.122: [summa] tasammani tupazzarani ... la taqabbani) in dem Sinn, dass einem etwas zu Ohren kommt; in Dtn 13,4a und 9 wird das Verbum „hören" (sm') dagegen im qualifizierten Sinn von „gehorchen" verwendet. Dtn 13,2-12* steht darin dem Anzeigegebot der Sfire-In- schriften, das an dieser Stelle das Verb lq" „annehmen" gebraucht (Sf III: 2), viel näher als EST § 10:[8]
„.. wenn irgend jemand 2kommt ... und böse Worte über mich redet [......... ], darfst
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[1] Vgl. zu dem Prophetenbeleg in den Lachischtexten Rüterswörden, Prophet.
[2] Otto, Deuteronomium, 60 u. 68.
[3] So die meisten der von Otto angeführten Belege, vgl. ebd., Anm. 254.
[4] Vgl. Levinson, Deuteronomy 13:9.
[5] A.a.O., 613.
[6] Vgl. ebd., Anm. 39.
[7] So heißt es z.B. in § 25 der „Instruktion für ,Obere'" (von Schuler, Dienstanweisungen, 14): „Und wenn ihr bei jemandem Böses gegen die Sonne hört, verheimlicht es nicht. Es soll unter Eid gelegt sein." Vgl. für die neuassyrischen Belege das Glossar zu pazaru D in Parpola/ Watanabe, Treaties, 98.
[8] Rössler, TUAT I, 186. Vgl. in neuassyrischen Verträgen SAA II 6 § 18 u. SAA II 9: 12-16.
du die Worte nicht von ihm annehmen (ltq"), (vielmehr) hast du solche (Leute) mir auszuliefern ."
Wer in diesem Punkt dennoch von einer direkten Abhängigkeit vom EST ausgeht, sieht sich bereits an dieser Stelle gezwungen, auf einen anderen Paragraphen zu rekurrieren. „Die Abfolge von wörtlich zitierter Rede des Hochverräters mit anschließender Aufforderung, nicht auf ihn zu hören, wird aus VTE [= EST] § 18, dem Paragraphen gegen Palastrevolten, entnommen."[1] Aber was genau hätte der Verfasser von Dtn 13* aus § 18 übernehmen können? Da die in Dtn 13* zitierten Parolen inhaltlich mit der wörtlichen Rede in EST § 18: 203f (abü- ka reska ittisi mä beli lillika „Dein Vater hat dich bestellt. [Mein] Herr möge kommen!")[2] nichts gemein haben, kann sich die Übernahme einzig und allein auf die rein formale Kombination von Zitat und anschließender Aufforderung, die wörtlich wiedergegebene Rede nicht zu befolgen, bezogen haben. Das Einflechten von Zitaten in Stipulationen ist jedoch ein gebräuchliches Stilmittel,[3] und auch die Kombination von Zitat und Gebot, auf das Gesagte nicht zu hören, ist kein Spezifikum des EST. Sie ist u.a. in einem Vertrag zwischen Samsi-Adad V. von Assyrien und Marduk-zakir-sumi von Babylonien bezeugt: [4]
„Samsi-Adad shall not say (any) evil words about Marduk-rimanni [... to] the king, (viz.):,Kill, blind, or se[ize] him', nor shall King Marduk-zakir-sumi listen to him (should he say such things)."
In § 16 (Z. 7-12) der hethitischen „Instruktion für Prinzen, ,Herren' und ,Obere'", einem Treueid aus der Regierungszeit Tut'alijas IV., entspricht die wörtlich wiedergegebene Rede des Aufwieglers sogar inhaltlich annähernd der in Dtn 13,3b*.7b.14b begegnenden Formel nlkh '"ry 'lhym 'hrym bzw. nlkh wn'bdh 'lhym '"rym :[5]
„Oder (wenn) jemand dies tut: entweder ein ,Herr' oder ein Prinz oder ein Verwandter oder ein ...
hält aufrührerische Reden, (derart dass) er böse geworden ist:
,Wohlan, wir werden uns einem anderen anschließen!', der aber, dem er es sagt, zeigt ihn nicht an -
[(das) soll unter E]id gelegt sein."
Gesetzt den Fall, der Verfasser von Dtn 13* hätte EST § 10 als Vorlage benutzt, ist es dennoch wenig wahrscheinlich, dass er für die Bildung eines Prohibitivs mit dem Allerweltswort sm' auf die Formel attunu lä tasamme'äsu „ihr sollt nicht auf ihn hören" in § 18 blicken musste - auf einen Paragraphen, der inhaltlich ganz anders gelagert ist als Dtn 13*.
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[1] Otto, Deuteronomium, 59.
[2] Watanabe, ade-Vereidigung, 152f.
[3] Vgl. z.B. HDT 11 § 21.
[4] SAA II 1: 8-10; eine vergleichbare Bestimmung findet sich auch in einem Vertrag Assurbanipals (SAA II 9: 12f): „We will not listen to nor [...] any detestable person [..., agitator] or conspirator who speaks evil words against [Assurbanipal, king of Assyria, our lord] ."
[5] Von Schuler, Dienstanweisungen, 26.
Zusammenfassend sprechen folgende Abweichungen gegen EST § 10 als direkte Vorlage von Dtn 13,2-12*:
EST § 10 ist als Eidformel bzw. Protasis zu den Flüchen, die Fälle in Dtn 13,2-12* sind dagegen als Wenn-Dann-Satzgefüge stilisiert;
EST § 10 präsentiert die potentiellen Verschwörer in einer Personenliste in einem einzigen Paragraphen, Dtn 13,2-12* in zwei getrennten Paragraphen;
von insgesamt 13 Personen in EST § 10 und sieben in Dtn 13,2-12* stimmen gerade einmal vier überein;[1]
in Dtn 13,2-12* fehlt die für die Personenlisten des EST charakteristische, auf „alle Menschen" verallgemeinernde Schlussformel;
EST § 10 verlangt: „(nicht) hören und (dann) verheimlichen", Dtn 13,2-12* fordert: „nicht hören, vielmehr töten".
c.) Die Formel dbr srh „Falsches reden" (Dtn 13,6*): In Dtn 13,6* folgt auf das Tötungsgebot (ky ywmt) die Begründung, der Prophet habe srh gegen Jhwh geredet (ky dbr srh 'l yhwh ...). Für die in diesem Zusammenhang verwendete Formel dbr srh hat bereits M. Weinfeld auf das akkadische dabäbum sarrätim/ surrätim der neuassyrischen Königsinschriften im Allgemeinen und dabäb surräti (u) lä kinäti aus EST § 57: 502 im Besonderen aufmerksam gemacht, wobei er den Schluss zog, dass hebräisches dbr srh „appears to be an expression taken from the political vocabulary of the period".[2] Die etymologische Verwandtschaft von akk. sartu und hebr. srh ist über jeden Zweifel erhaben.[3] Das Akkadische Handwörterbuch bietet für saräru ein eher ins Abstrakte gehendes „unbeständig, falsch, unwahr, lügnerisch sein"[4] und für die abgeleiteten Nomen sartu bzw. surrätu dementsprechend „Falsches, Lüge, Verbrechen"[5] bzw. „Lügen, Verbrechen".[6] Gerade wenn sarrätu/surrätu als Objekt zu dabäbu „sprechen" fungiert, handelt es sich stets um eine Qualifikation von Worten (im Sinne von Lüge, Trug, Verleumdung usw.),[7] wofür auch das in EST § 57: 502 der Formel angehängte Oppositum (u) lä kinäti (von kinu/kittu „wahr/Wahr- heit")[8] spricht. Der Befund ist im Hebräischen ganz analog zu sehen, und so ergibt die eingehende Wortuntersuchung des femininen Substantivs srh von E. Jenni, „dass an allen fünf Stellen mit sarä als Objekt zu einem verbum dicendi die Bedeutung ,Falschheit' o.ä. als mindestens teilweises Synonym zu saeqaer weitaus am besten passt und die traditionelle Übersetzung ,einer Übertretung beschuldigen' bzw. ,Abfall predigen' aus semantischen und kontextuellen Gründen aufzugeben
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[1] Vgl. die Gegenüberstellung bei Pakkala, Deuteronomium 13, 130.
[2] Weinfeld, Deuteronomy, 99.
[3] Vgl. Jenni, Dtn 19,16, 211.
[4] AHw II, 1028.
[5] A.a.O., 1031.
[6] A.a.O., 1062.
[7] Vgl. Jenni, Dtn 19,16, 209.
[8] Vgl. AHw I, 481 und 494.
ist."[1]
In Z. 499-507 nimmt der die grundlegenden Loyalitätsbestimmungen resümierende EST § 57 die Anzeigegebote noch einmal auf, indem er die Terminologie vom „bösen Wort" (Z. 501) mit der zweigliedrigen Formel dabäb surräti (u) lä kinäti (Z. 502) verbindet. Die Formel ist in jedem Fall in ganz engem Zusammenhang mit der in altorientalischen Vasallenverträgen und Treueiden in verschiedenen Kombinationen regelmäßig bezeugten Vorstellung vom „bösen Wort" (abutu lä —äbtu/lä de'iqiu/lä bamtu) zu sehen, die im Übrigen auch in dem für die Abhängigkeitsthese entscheidenden EST § 10 begegnet.[2] Da mit der Vorstellung und Terminologie vom „bösen Wort" in den neuassyrischen Quellen aber stets der Tatbestand der Empörung gegen den Großkönig impliziert ist[3], und der hebräische Beleg in Dtn 13,6* in einem vergleichbaren vertragsrechtlichen Kontext steht, trifft Otto mit seiner gewagten[4] Übersetzung von hebr. dbr srh mit „Hochverrat das Wort reden"[5] prinzipiell die gemeinte Sache. Auch an dieser Stelle ist demnach ein neuassyrischer Einfluss nicht von der Hand zu weisen. Allerdings liegt in Dtn 13,6* wahrscheinlich nicht der älteste Beleg für srh + verbum dicendi im Alten Testament vor. Schon das dtn Falschzeugengesetz Dtn 19,16.18.19a[6] kennt den Ausdruck, freilich in der forensischen Bedeutung „Falschzeugnis" (Dtn 19,16: l'nwi bw srh).[7] Für die Frage, wie das ehedem akkadische Wort srh in das Alte Testament gelangt ist, gibt es verschiedene Antwortmöglichkeiten. Auf der einen Seite ist auf das häufige Vorkommen der Formel dabäbum sarrätim/surrätim in neuassyrischen Königsinschriften zu verweisen,[8] die den judäischen Hofbeamten partiell bekannt gewesen sein könnten; auf der anderen Seite ist es möglich, dass die Formel in anderen neuassyrischen Vasallenverträgen vorkam, von denen im 7. Jh. einige in Juda angelangt sein dürften.[9] Der spezifische Gebrauch der Formel in Dtn 13*, der dem Gebrauch im Zusammenhang des Anzeigegebots in EST § 57 entspricht, macht eher neuassyrische Vasallenverträge als Kontaktmedien wahrscheinlich. Dass die Formel allerdings ausgerechnet mittels EST § 57: 502 in den judäischen
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[1] Jenni, Dtn 19,16, 207. Entsprechend übersetzt Ruppert, rrs, 962, den Satz ky dbr srh (l yhwh Uhykm (Dtn 13,6) mit „weil er über JHWH, euren Gott, Falsches (eigentlich: Falschheit) ausgesprochen hat"; und er erläutert: „Das Falsche über JHWH besteht darin, dass der Prophet verneint hat, dass JHWH und kein anderer es ist, dem Israel als seinem Gott nachzufolgen hat."
[2] Die Terminologie vom „bösen Wort" stellt somit auch zu hebr. dbr srh (Dtn 13,6*) eine „direkte Parallele" dar (Nissinen, Prophetie, 180).
oftmals Ausdrücke für „Aufstand" (sThu bzw. bärtu) einhergehen (z.B. EST § 16: 186f).
[4] Veijola, Deuteronomiumsforschung, 295f, wirft Otto (rein wortsemantisch gesehen zu Recht) eine „dramatisierende Übertreibung des aus dem Akkadischen entliehenen Terminus hrs" vor.
[5] Otto, Deuteronomium, 51.
[6] Vgl. dazu Gertz, Gerichtsorganisation, 105-116.
[7] Vgl. zu akkadischen Parallelen Jenni, Dtn 19,16, 209f.
[8] Vgl. CAD S, 409f; vgl. ferner Weinfeld, Deuteronomy, 99, Anm. 3; Otto, Deuteronomium, 51, Anm. 219.
[9] Vgl. Radner, Vorbild, 374.
Wortschatz gekommen sein soll,[1] ist in keinem Fall zwingend. Die aus dem Akkadischen entliehene Formel dbr srh ist gleichwohl ein weiterer zentraler Beleg für den Einfluss der neuassyrischen Vertragsrechtstradition auf Dtn 13*.[2]
d.) Das Tötungsgebot in 13,10aa: Dtn 13,10aa fordert nach der wahrscheinlich ursprünglichen Lesart von MT die Lynchjustiz für den aus dem Familien- und Freundeskreis hervorgekommenen Verführer. Da die Lynchjustiz „keinen Anhalt an der in vor- und nachdtn Überlieferung belegten judäischen Rechts- geschichte"[3] hat, wie Otto zu Recht feststellt, dürfte die Forderung ebenfalls auf die Rezeption divergierender juristischer Kategorien zurückgehen. Vergleichbare Forderungen sind in aramäischen und assyrischen Vasallenverträgen und Treueiden belegt, wobei sie dort in der Regel nicht Teil der Anzeigegebote sind, sondern in deren Zusammenhang lediglich im Falle der äußersten Bedrohung des Königs bzw. der Dynastie als ultima ratio verlangt werden. Dementsprechend fordert auch EST § 10, der inhaltlich die größte Nähe zu Dtn 13* aufweist, nicht die Tötung, sondern lediglich die Anzeige der potentiellen Verschwörer.[4] Vertreter einer Abhängigkeitsthese von EST § 10 sehen sich an dieser Stelle wieder gezwungen, neben § 10 andere EST-Paragraphen geltend zu machen. Otto hat in diesem Zusammenhang auf EST § 12 verwiesen,[5] der den Fall behandelt, dass der Thronfolger Assurbanipal in äußerste Lebensgefahr gerät, und ein entsprechend hartes Vorgehen gegen die Aufständischen fordert: Sie sind zu ergreifen und zu töten ([summa] la tasabbatäsanüni la tadukkäsanüni). Das assyrische Vorgehen bei Konspirationen gestaltete sich wohl nach einem zweistufigen Prinzip:[6]
„Such reporting of disloyalty represents only the first stage of a graded sequence. Once the conspiracy becomes grave, the loyal subject is required to take summary action and execute those who pose a threat to the sovereign."
Da eine entsprechende Forderung in hethitischen Verträgen m.E. nicht begegnet und die assyrische Praxis auch in anderen neuassyrischen Textsorten gesichert ist,[7] ist auch an dieser Stelle auf den ersten Blick mit einer neuassyrischen Einflussnahme auf Dtn 13,10aa zu rechnen. Das dort emphatisch ausgesprochene Gebot hrg thrgnw „perfectly reflects normative neo-Assyrian practice for dealing with a threat to the sovereign".[8] Zweifelhaft ist jedoch, dass speziell EST das Tötungsgebot angeregt haben soll. Dagegen spricht schon, dass erst dann eine Parallele zu Dtn 13* entsteht, wenn man die eigentliche vermeintliche Vorlage zu Dtn 13*, EST § 10, verlässt und zu einem inhaltlich anders gelagerten
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[1] So Otto, Deuteronomium, 60f.
[2] Vgl. auch a.a.O., 51.
[3] A.a.O., 60.
[4] Vgl. dazu auch Nissinen, Prophetie, 188.
[5] Otto, Deuteronomium, 60.
[6] Levinson, 13:7a, 238.
[7] Sie spiegelt sich z.B. in der königlichen Korrespondenz, vgl. Nissinen, Prophetie, 188f.
[8] Levinson, Deuteronomy 13:10, 60.
Paragraphen übergeht.[1] Das Problem bestand schon beim Verbot, auf die Rede des Verführers zu hören (§ 18), sowie bei der Formel dabab surräti (u) la kinäti aus § 57. Deshalb ist E. Aurelius' Einwand berechtigt: „Die Reihenfolge der Parallelen ist in VTE [= EST] und Dtn 13 so unterschiedlich, dass eine direkte Übertragung ein seltsames Hin- und Herblättern zwischen den Paragraphen in VTE voraussetzen würde."[2] Ein weiteres Argument gegen eine Abhängigkeit ausgerechnet vom EST ergibt sich aus der Beobachtung, dass derart drastische Forderungen nicht nur im EST, sondern auch in anderen neuassyrischen Vertragstexten und - vielleicht assyrisch beeinflusst[3] - auch in aramäischen Quellen belegt sind. Die Formel [summa] la tasabbatasanüm la tadukkäsanüni aus EST § 12:139f begegnet beinahe wörtlich auch im Treueid, den Assurbanipals Großmutter Zakutu schwören ließ. Auch in diesem Fall stellt das Ergreifen und Töten der Aufwiegler eine Steigerung gegenüber der vorausgehenden allgemeinen Anzeigepflicht (Rs. 2-17) dar (Rs. 18-27):[4]
„(18-23)Und wenn ihr hört oder wisst, dass unter euch Leute sind, die zum Kampf verleiten (oder) aufwiegeln, ob von den Bärtigen oder von den Eunuchen, ob von seinen Brüdern oder königlichem Samen, ob eure Brüder oder Freunde oder von den Leuten des ganzen Landes, (23-27)wenn ihr das hört (oder) [wisst], sollt ihr (sie) ergreifen, [töten und zur] Zakutu [oder zu Assurbani]pal, [König des Landes Assur, euren Herrn, br]ingen."
Vertragsstipulationen zum Schutz der Dynastie kennen auch die aramäischen Sfire-Inschriften. Auch dort ist neben einer allgemeinen Anzeigepflicht (Sf III: 1-4) die weitergehende Forderung belegt, Verschwörer bei Gefahr im Verzug auf der Stelle zu töten, (Sf III: 9-14):[5]
„Und wenn irgendeiner meiner Brüder oder irgendeiner von meiner 10Dynastie oder irgendeiner meiner Söhne oder irgendeiner meiner Hohen oder irgendeiner meiner [Auf]seher oder irgendeiner von den Leuten, die mir untertan sind, oder irgendeiner meiner Feinde 11meinen Kopf will, um mich zu töten, beziehungsweise meinen Sohn und meine Nachkommenschaft zu töten, - wenn sie mich tatsächlich töten, so musst du kommen und mein Blut rächen von der Hand meiner Feinde, und dein Sohn muss kommen, 12das Blut meines Sohnes an seinen Feinden zu rächen, und dein Enkel muss kommen, das Blut meines Enkels zu rächen, und deine Nachkommenschaft muss kommen, das Blut meiner Nachkommenschaft zu rächen. Und wenn es sich um
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[1] Mögliche Kandidaten wären: EST §§ 12; 13; 22; 23; 26.
[2] Aurelius, Götter, 160, Anm. 51.
[3] Vgl. Rüterswörden, Dtn 13, 201. Der Schutz der Dynastie war jedoch auch schon ein wichtiges Thema in den hethitischen Vasallenverträgen und Treueiden.
[4] Hecker, TUAT NF II, 92f. Auch der fragmentarisch erhaltene Vertrag Assurbanipals mit dem arabischen Stamm Qedar (SAA II 10) bestätigt wahrscheinlich den konventionellen Charakter der Forderung, abgefallene Knechte des assyrischen Königs notfalls zu töten. Dort heißt es in Bezug auf den aufrührerischen Vorgänger des Königs von Qedar: „[Wenn] ihr ... angesichts der Ränke, die er geschmiedet hat, ihn nicht zu töten plant, euch nicht feindlich verhaltet -" (Rs. 1'-7') (Borger, TUAT I, 177).
[5] Rössler, TUAT I, 187.
eine Stadt handelt, schlagt sie 13mit dem Schwert; und wenn es sich um einen meiner Brüder handelt, oder einen meiner Diener oder [einen] meiner Aufseher, oder einen aus dem Volk, das mir untertan ist, erschlagt ihn, ja ihn und seine Nachkommenschaft, seine Schütz 14linge und seine Freunde, mit dem Schwert, sonst seid ihr eidbrüchig gegenüber allen [Ver]tragsgöttern, die in dieser Inschrift stehen."
In diesem Punkt dürfen die im Zweistromland reichlicher fließenden Quellen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die levantinischen Kleinstaaten mit ihren gekrönten Häuptern vergleichbare Strategien der Sicherung der eigenen Dynastie entwickelt haben, die in Dtn 13* eingeflossen sein könnten.[1] Alles in allem scheint sich die dem Deuteronomium an sich unbekannte Forderung der Lynchjustiz in Dtn 13,10aa demnach dem Einfluss politischer Vorstellungen zum Verfahren mit Menschen, die die Sicherheit des Königs bzw. der Dynastie auf das Äußerste gefährden, zu verdanken; ob assyrische oder bodenständig levantinische (aramäische oder israelitisch-judäische) Vorbilder ausschlaggebend waren, bleibt offen.
e.) Abfall einer israelitischen Stadt (Dtn 13,13-19*): Die dritte Stipulation in Dtn 13,13-19* fordert, dass die Einwohner einer zum Abfall von Jhwh verführten Stadt ausnahmslos mit dem Schwert zu erschlagen sind. Eine vergleichbare, auf eine ganze Stadt ausgerichtete Bestimmung ist in keinem der erhaltenen neuassyrischen Verträge zu finden. Demgegenüber gibt es etliche vergleichbare Beispiele in hethitischen und aramäischen Vasallenverträgen. Einer der Belege befindet sich im Ismeriga-Vertrag (Vs. 25'-26'):[2]
„25'Wenn inmitten meines Landes eine Stadt sün[digt, ] dann werdet ihr, [Leute] von Ismerika, eintreten [und diese Stadt]
26'samt den Männern sollt ihr vernichten, die eroberte Zivilbevölkerung aber führt vor die Majestät, die Rinder aber (und) Schafe [nehmt euch] selbst."
Wenn in Dtn 13* in den ersten beiden Stipulationen die Bedrohung von einer Einzelpersonen und in der dritten von einer Stadt ausgeht, so hat dies eine Parallele im Vertrag zwischen Tut'alija II. von 'atti und Sunassura von Kizzuwatna:[3]
„If someone, either a single man or a city, incites a revolt and begins war against His Majesty, Sunashshura must inform(?) His Majesty as soon as he hears of it."
Hinzu kommt eine Bestimmung im Paragraphen über Usurpationsversuche in den Sfire-Inschriften Sf III: 9-14, wo es in Z. 12f heißt:[4]
whn qryh h' nkh tkwh b"rb
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[1] Rüterswörden, Dtn 13, 202: „Das Problem der Sicherung der eigenen Dynastie stellt sich für jeden Regenten, nicht nur für den assyrischen Großkönig. Diese Sorge, bei den nördlichen Nachbarn in Stein gemeißelt, wird auch israelische und judäische Könige umgetrieben haben."
[2] Kempinski, Ismeriga-Vertrag, 195.
[3] HDT 2 § 18.
[4] Vgl. zur Lesung tkwh Donner/Röllig, KAI II, 269, und Fitzmyer, Inscriptions, 153.
„Und wenn es sich um eine Stadt handelt, schlage sie unbedingt mit dem Schwert."
Dtn 13,16* bietet eine bis in die Terminologie und das verwendete Stilmittel des paronomastischen Infinitivs gleichlautende Strafbestimmung:[1]
hkh tkh 't ysby hryr hh'w1 Ipy "rb
„dann sollst du die Einwohner dieser Stadt unbedingt mit der Schärfe des Schwertes schlagen."
Da von rebellischen bzw. feindlichen Städten in hethitischen Verträgen des Öfteren,[2] in den erhaltenen neuassyrischen dagegen nie die Rede ist, ist zu erwägen, ob die häufige Erwähnung der soziologischen Größe „Stadt" ihre Ursache vielleicht weniger in der oft zufälligen Quellenlage als vielmehr in der im Vergleich zum neuassyrischen Reich anders gelagerten Organisation des hethi- tischen Großreiches hat. Dtn 13,13-19* enthält in jedem Fall ein Motiv, über das selbst der längste erhaltene neuassyrische Vertrag, EST, nicht verfügt.[3] Nach den altorientalischen Parallelen zu urteilen, haben wir es in 13,13-19* mit einem Motiv der westlichen Vertragsrechtstradition zu tun, das sich gut zu den formalen Charakteristika von Dtn 13* fügt, die ebenfalls westlichen Ursprungs zu sein scheinen.
1.4 Ertrag
Die literarische Analyse von Dtn 13 hat ergeben, dass der in 13,2-19 zu suchende Kapitelkern folgende redaktionelle Erweiterungen erfahren hat: in V. 3b ist das „nachhinkende" wrfbdm angehängt worden, um den ersten Fall an die Tatbestände in V. 7b.14b anzugleichen; V. 4b*-6* (von mnsh bis whnby' hhw' w "lm h"lwm hhw'; das ky in 4b leitete ursprünglich die Tatfolgebestimmung in V. 6* ein) ist der Versuch, die theologisch anstößige Aussage in V. 2b.3a abzumildern; V. 6aa* ist als Angleichung an die authentische Exodusformel in V. 11 zu begreifen; V. 8 bietet eine nachträgliche Näherbestimmung der Chiffre 'lhym '"rym; in V. 10abb.11a liegt der Versuch vor, die geforderte Lynchjustiz an ein ordentliches Rechtsverfahren anzugleichen; in V. 16b-18 ist schließlich die spät-dtr Bannvorstellung nachgetragen worden. Die von den Nachträgen befreite Grundschicht gibt eine weitgehend parallele Struktur der drei in Dtn 13* zusammengestellten Einheiten zu erkennen, die ausnahmslos die Anrede in der 2. Pers. Sg. gebraucht.
Für die Datierung von Dtn 13* ist die Stellung des Kapitels im Gesamtzusammenhang des Deuteronomiums von Relevanz. In seinem näheren Kontext ist Dtn 13* ein Fremdkörper, der den vorgegebenen Zusammenhang der Zentralisationsgesetze (Dtn 12*.14-16*) aufbricht und sich somit als Einschub zu
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[1] Gemeinsam ist beiden Bestimmungen auch die Forderung, den Fall auf seinen Wahrheitsgehalt zu prüfen, vgl. Sf III: 11 mit Dtn 13,15.
[2] Vgl. HDT 1A § 10; 2 § 18f, 22f; 2 (heth.) § 4; 3 § 12f; 6A § 11 u.ö.
[3] Pakkala, Monolatry, 43, folgert daraus zu Recht: „If Dt 13:13-14, 16a used a treaty as a source - which seems likely - and the VTE [= EST] does not have such a section, the VTE cannot have been the source." (kursiv im Original).
erkennen gibt. Das entscheidende Argument für die Annahme, Dtn 13* sei noch nicht Teil des Urdeuteronomiums gewesen, ist darin zu sehen, dass das Kapitel das Erste Gebot (Dtn 5,6f.9a) sowohl kompositions- als auch theologiegeschichtlich voraussetzt. Terminus a quo der Entstehung von Dtn 13* ist folglich der Einschub von Dtn 5,1-6,3* in den vorderen Deuteronomiumsrahmen, der ursprünglich lediglich die Buchüberschrift Dtn 4,45* (ohne Ihdi w), die Redeeinleitung Dtn 5,1aa* sowie das „Höre, Israel!" Dtn 6,4 beinhaltete, woraufhin mit dem Zentralisationsgebot Dtn 12,13ff der eigentliche Gesetzeskern begann. Damit ist eine vorexilische Datierung des Kapitels so gut wie ausgeschlossen. Einer exilisch-dtr Verortung des Kapitelkerns kommen weitere Textbeobachtungen entgegen. Dtn 13* scheint ausweislich der V. 11* und 13 die fiktive Lokalisierung der Deuteronomiumsproklamation zwischen den heilsgeschichtlichen Wegmarken Exodus (vgl. V. 11b) und Landnahme (vgl. die Städte, die Jhwh geben wird [V. 13]) schon zu kennen, die nach vorherrschender Meinung der exilisch-dtr Überformung des Deuteronomiums zu verdanken ist. Hinzu kommt, dass Dtn 13* auf Textbausteine des dtr Prophetengesetzes (allerdings noch ohne den Anhang in 18,21f) zurückzugreifen scheint. Auf der anderen Seite lässt sich eine Abhängigkeit vom dtr redigierten Jeremia- buch nicht erhärten. Nimmt man als weitere Beobachtungen hinzu, dass der Numeruswechsel - im Gegensatz zu anerkanntermaßen spät-dtr Texten wie Dtn 4 - in Dtn 13* (noch) nicht als Stilmittel eingesetzt wird und dass das Kapitel auch in der Entwicklung des Gotteskonzepts noch nicht die Stufe von z.B. Dtn
4 erreicht hat, sondern gemeinsam mit dem Ersten Gebot ein monolatrisches Konzept vertritt, so scheint es mir geraten, Dtn 13* nicht in die nachexilische,[1] sondern eher noch in die (früh)exilische Zeit zu datieren.
Die traditionsgeschichtliche Analyse von Dtn 13* macht deutlich, dass die drei Einheiten (V. 2-6*.7-12*.13-19*) grundsätzlich das Thema der vertragsrechtlichen Anzeigegebote „Verführung zum Abfall vom Vertragsherrn" zum Gegenstand haben, das sich in unterschiedlichen Ausformungen in nahezu sämtlichen überlieferten altorientalischen Vasallenverträgen und Treueiden findet. Gemeingut sind auch die darin verarbeiteten Personenlisten (die den eigenen Familien- und Freundeskreis oder staatliche bzw. religiöse Autoritäten als potentielle Verführer aufzählen), das Zitieren der Parolen der Verführer sowie die Forderung, auf das Gesagte nicht zu hören und die Sache nicht zu verschweigen. Insofern ist Veijolas Verweis auf die „Tradition der Vertragskonventionen"[2] richtig. Diese Einsicht betrifft in erster Linie EST § 10, der sich gegen Otto nicht als Übersetzungsvorlage für Dtn 13* wahrscheinlich machen lässt. An Veijolas Pauschalurteil ist jedoch zu beanstanden, dass sich in Dtn 13* verschiedene Einzelelemente jeweils einer der beiden großen Vertragsrechtstraditionen zuordnen lassen. So fügen sich die drei in Dtn 13* versammelten Einheiten in formaler Hinsicht ausgezeichnet in die westliche Vertragsrechtstradition, was ein
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[1] So Veijola, Wahrheit, 310.
[2] Ebd.
Vergleich mit Stipulationen der hethitischen und aramäischen Vasallenverträge veranschaulicht. Die größte Nähe besteht dabei zu den Stipulationen der aramäischen Inschriften von Sfire, mit denen Dtn 13* den Aufbau, die Anredeform und ein stilistisches Proprium, nämlich den paronomastischen Infinitiv, teilt. Westlichen Einfluss zeigt auch der Fall der rebellischen Stadt in Dtn 13,13-19*, der eine frappierende Parallele in den aramäischen Sfire-Inschriften hat. Zu beachten ist, dass immer dann, wenn westliche Einflüsse geltend gemacht werden können, die größte Nähe zu dem einzig erhaltenen aramäischen Vertrag besteht. Das bestätigt noch einmal die These, dass die nordsyrischen Aramäer als vermittelnde Traditionsträger zwischen der älteren hethitischen Tradition und dem Alten Testament fungierten. Einflüsse der neuassyrischen Vertragsrechtstradition liegen z.B. in der dem Akkadischen entliehenen Formel dbr srh „Falsches reden" vor. Neuassyrisches Lokalkolorit spiegeln möglicherweise auch das Tötungsgebot in Dtn 13,10aa, das die drastischen Maßnahmen zum Schutz altorientalischer Herrscherdynastien aufgreift, sowie die für den Abfall von Jhwh werbenden Prophetengestalten in Dtn 13,2-6*, deren den Jhwh-Glauben gefährdende Machenschaften sich rein formal gut zu der Situation der Prophetie im neuassyrischen Reich der Zeit Asarhaddons fügen, gleichwohl aber verschiedene zeithistorische Kontexte voraussetzen. Der komplexe traditionsgeschichtliche Befund, nach dem neben autochthon judä- ischen Elementen[1] sowohl aramäische als auch assyrische Einflüsse nachweisbar sind, spricht gegen die These, die vertragsrechtlichen Vorstellungen und Sprachformen in Dtn 13* resultierten allein aus der literarischen Abhängigkeit von einem neuassyrischen Vertragstext im Allgemeinen oder gar dem EST im Besonderen.[2] Als Vorlage kommt entweder ein Text in Frage, der in sich schon ein Gemenge an aramäischen und neuassyrischen Traditionen enthält (vgl. z.B. den Befund in den Sfire-Inschriften), oder aber man muss grundsätzlich von der Annahme Abschied nehmen, die Verfasser von Dtn 13* hätten einen anderen Text abgeschrieben. Die Aufgabe von Kap. V, in dem der Dtn 13* (und 28*) zugrunde liegende Rezeptionsprozess nachgezeichnet werden soll, ist es daher, erstens eine Alternative zum Modell einer literarischen Abhängigkeit zu entwickeln und zweitens die identifizierten Parallelen zu den aramäischen und neuassyrischen Vertragsrechtstraditionen mit dem Ergebnis der literarischen Analyse zu korrelieren, nach der Dtn 13* nicht in die Königszeit, in der Vasallenverträge getauscht worden sind, sondern in die Exilszeit zu datieren ist.
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[1] Z.B. die Aufnahme von Formeln, die den deuteronomischen Gesetzen entstammen; vgl. das Schema bei Pakkala, Monolatry, 46.
[2] Die Tatsache, dass alle in Dtn 13* identifizierten Übereinstimmungen mit der neuassyrischen Tradition ausgerechnet im EST belegt sind, ist wahrscheinlich dem wirklich außergewöhnlich guten Erhaltungszustand seiner Textvertreter geschuldet, vgl. auch Pakkala, Monolatry, 44: „The similarities between Dt and the VTE [= EST] may derive from the fact that we simply know the VTE better than any other treaty." Vgl. auch ders., Deuteronomium 13, 133.
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