2.4.2 Die Götterliste
Götterlisten sind ein integraler Bestandteil der für den Alten Orient bezeugten internationalen Verträge. Die Schwurgötter, die das offizielle Pantheon der am Vertragsschluss beteiligten Staaten spiegeln, dienen dabei zugleich als Zeugen und Garanten der vertraglichen Vereinbarungen. Alle Götterlisten weisen zwar eine weitgehend einheitliche Struktur auf, in der die Bedeutung der jeweiligen Götter zum Ausdruck kommt; dennoch gehen auch hier die hethitische und die neuassyrische Vertragsrechtstradition je eigene Wege. In Anlehnung an die Strukturanalysen von M. L. Barre lassen sich die Götterlisten der hethitischen und neuassyrischen Staatsverträge folgendermaßen grob gliedern:[1]
| Hethitische Verträge | Neuassyrische Verträge[2] |
| Anrufung der Eidgötter | |
| 1. Hochgötter | 1. Der Reichsgott Assur |
| 2. Zusammenfassende Formel: „Alle Götter des Landes Hatti und alle Götter des Landes LN" | 2. Babylonisch-assyrische Hochgötter - Siebengottheit - Götter der unterlegenen Partei |
| 3. Uralte Götter/Naturgottheiten | 3. Zusammenfassende Formel: „Alle Götter des Himmels und der Erde" |
| Aufforderung zur Zeugenschaft |
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[1] Vgl. Barre, God-List, 22 und 35.
[2] Vgl. z.B. die Liste in EST Z. 414-472 (Barre, God-List, 112f).
Werden in den hethitischen Vasallenverträgen auch Götter der unterlegenen Partei genannt, so geschieht dies entweder in einer zusammenfassenden Formel oder in einer eigenen, knapp formulierten Liste.[1]
Die Götterliste der Inschriften von Sfire ist nach mesopotamischem Vorbild direkt nach der Präambel positioniert, wobei sie syntaktisch an dem Einleitungssatz „Dieser Vertrag ist es, den Bar-ga'[yah] geschlossen hat [vor (qdm) ..." (Sf I A: 7) hängt. Die Einleitungsformel der Götterliste (aram.: qdm; akk.: ina pane)[2] dürfte auf den Brauch anspielen, internationale Verträge in Anwesenheit der Götter bzw. deren Bildern zu schließen, die hier die Funktion haben, den Vertragsschluss zu bezeugen.[3]
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[1] Vgl. a.a.O., 29.
[2] Vgl. z.B. SAA II 6:13; vgl. auch die Einleitung der Götterliste eines in griechischer Sprache überlieferten Vertrags bei Barre, God-List, 5f und 22f.
[3] Vgl. auch Barre, God-List, 23, der feststellt, dass die Formel „indicates not only that the treaty was concluded in the presence of images of the gods but moreover that these gods were understood to be witnesses to the conclusion of the treaty".
Die Götterliste der Sfire-Inschriften weist einige Lücken auf, die aber zum größten Teil mit Hilfe der Liste des Assur-nerän-Vertrags (SAA II 2) geschlossen werden können. Die Liste dürfte demnach die folgenden Eintragungen gehabt haben (Sf I A: 7-12):[1]
„.vor Assur] und Mulissu, vor Marduk und Zarpanltu, vor Nabu und Ta[smetu, vor Erra und Nus]ku, vor Nergal und Läs, vor Samas und Ner, vor S[in und Nikkal, v]or nkr und kd1h, vor allen Göttern der Steppe und des Ackerland[es (?), vor Hadad von A]leppo und vor der Siebengottheit, vor 'El und 'Elyon, vor Himme[l und Erde, vor dem Meeres]grund und den Quellen, vor Tag und Nacht."
Im Anschluss an die oben angeführte Gliederung neuassyrischer Götterlisten scheint neben der Position somit auch die Struktur der Liste mesopotamischen Gepflogenheiten zu folgen: Zu Beginn steht der assyrische Reichsgott Assur. Dem folgen zunächst paarweise zusammengestellte Hochgötter des babylonisch-assyrischen Pantheons, die - abgesehen von dem geheimnisvollen Götterpaar in Zeile 10[2] - alle auch in dem Vasallenvertrag Assur-neräris V. mit Mati'-'el von Arpad begegnen. Dies gilt im Übrigen auch für den Hadad von Aleppo, der in beiden Verträgen vor der Siebengottheit zu stehen kommt. Der mesopotamische Raum ist somit erst mit den westsemitischen Göttern 'El und 'Elyon eindeutig verlassen.[3] Umstritten ist, ob und in welchem Umfang die Liste auch namentlich Götter von Arpad aufführt. Die Frage wird in der Forschung, bei aller Uneinigkeit in Detailfragen, in der Regel positiv beantwortet.[4] Doch die Tatsache, dass einerseits von den im Assur-neräri- Vertrag aufgelisteten Göttern von Arpad (z.B. Dagan und Melqart)[5] in der Götterliste der Sfire-Inschriften keine Spur ist und andererseits in hethitischen Vasallenverträgen die Götter der unterlegenen Partei in der Regel nur in einer zusammenfassenden Formel erwähnt werden, legt den Schluss nahe, dass hier ebenfalls nach hethitischem Vorbild die
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[1] Vgl. zur Rekonstruktion des ersten Götterpaares Barre, Deities, 208: „Thus the first-named deity in the Sefire god-list must be Assur - not simply by process of elimination but because he alone meets the requirements for first place in the list by virtue of the fact that he is (1) the supreme deity of the Assyrian pantheon and (2) the consort of Ninlin/Mulles."
[2] Lambert, Rezension Barre, 121f, macht darauf aufmerksam, dass ein westsemitischer Name (bdkd}h bezeugt ist, weshalb auch das Götterpaar westsemitischer Herkunft sein dürfte; vgl. zu weiteren Identifizierungsversuchen Fitzmyer, Inscriptions, 73; Lipinski, Aramaeans, 227-229.
aramäischen Götterlisten etwa die Inschriften von Zincirli (Tropper, Inschriften, 153-164).
[4] Einige der vertretenen Positionen nennt Voigt, Struktur, 66f, der freilich unter der m.E. falschen Prämisse eines paritätischen Vertrages meint, die Götter gerecht auf Ktk und Arpad aufteilen zu müssen.
[5] Vgl. SAA II 13; vgl. zu Melqart als für die Dynastie von Arpad bedeutsame Gottheit Puech, Stele, 315.
Götter von Arpad lediglich in der die Liste abschließenden Formel „Zeugen sind alle G[ötter von Ktk und Arpad]" (Sf I A: 12f) genannt werden.[1]
Die ganz offensichtlich in das Zweistromland führende Götterliste gab, wie gesagt, Anlass, in Bar-ga'yah von Ktk einen hohen assyrischen Würdenträger zu vermuten.[2] Doch sprechen gewichtige Gründe gegen eine Entstehung der Liste in genuin assyrischen Kreisen. Auffällig ist zunächst die von den recht konsistenten mesopotamischen Götterlisten abweichende Reihenfolge der Götter.[3] Insbesondere das Vorrücken von Erra und Nergal vor Samas und Sin stellt einen weitreichenden Eingriff in die Hierarchie der mesopotamischen Götterwelt dar. Eine Umstellung dieser Art „would not be expected in a Mesopotamian god-list".[4] Auf der anderen Seite sind mesopotamische Götter im Bereich der Aramäerstaaten Nordsyriens keine Seltenheit.[5] So bezeugt die Bi- lingue vom Tell Feheriye den mesopotamischen Unterweltsgott Nergal ausgerechnet in ihrer aramäischen Fassung. Und auch die ebenfalls aus Nordsyrien stammenden aramäischen Grabinschriften von Nerab, die Sahar, Samas, Nikkal und Nusku aullisten, sind ein Beleg für „ein Pantheon sumerisch-babylonischer Provenienz".[6] Aus dem Vorherrschen mesopotamischer Götter in der Liste der Sfire-Inschriften ist demnach nicht unbedingt auf die assyrische Herkunft des Bar-ga'yah, wohl aber auf dessen assyrische Akkulturation zu schließen, die, wie sich gezeigt hat, in der Kontaktzone Nordsyrien keine Besonderheit darstellt. Befremdend wirkt allerdings die Kopfstellung des assyrischen Reichsgottes, da diese in den Götterlisten stets dem höchsten Gott des überlegenen Vertragspartners vorbehalten ist. Sie spricht m.E. für eine wie auch immer geartete Abhängigkeit des Aramäerkönigs Bar-ga'yah vom assyrischen Großkönig, mit dessen höchstem Gott er deshalb die Liste eröffnet.
Die Götterliste der Sfire-Inschriften beinhaltet daneben aber auch ganz offensichtlich Elemente der hethitischen Vertragsrechtstradition. Neben der schon erwähnten zusammenfassenden Formel in Sf I A: 12f, die mit der hethitischen Tradition überdies das Motiv der göttlichen Zeugenschaft teilt (vgl. auch Sf I A: 13f),[7] sind hier speziell die Naturgottheiten zu nennen, die bei den Hethitern mitunter kultisch verehrt wurden.[8] Sie bilden ein charakteristisches Element gegen Ende der hethitischen Götterlisten, wohingegen sie in neuassyrischen
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[1] Zu diesem Ergebnis kommt - aus z.T. anderen Gründen - auch Barre, God-List, 29: „This analysis of the final section of gods in the Sf1 list leaves no room at all for the gods of Arpad - except, of course, in the summary expression that follows [...] But this is quite normal in Hittite treaty-writing."
[2] Siehe oben S. 53, Anm. 195.
[3] Barre, God-List, 23, bemerkt treffend: „The arrangement in Sf1 seems somewhat haphazard."
[4] Ebd.
[5] Vgl. auch Fales, Rezension, 91, der - nicht zuletzt mit einem Hinweis auf die in Nordsyrien bezeugte Onomastik - „the extreme complexity of the Assyrian-Aramaic symbiosis in the field of the divine" betont.
[6] Niehr, Religionen, 162.
[7] Vgl. dazu Koch, Hatti, 390f.
[8] Vgl. dazu Haas, Geschichte, 460-467.
Verträgen nicht belegt sind.[1] Genannt werden hier regelmäßig: Berge, Flüsse, Quellen, Wolken, Himmel, Erde, Meer.[2] Wie in den hethitischen Verträgen erscheinen die in den Sfire-Inschriften genannten Naturgottheiten - Himmel und Erde, Meeresgrund und Quellen, Tag und Nacht - gegen Ende der Liste.[3]
Alles in allem ist die Götterliste der Vertragstexte von Sfire ein Beispiel für das Verschmelzen von genuin aramäischen mit neuassyrischen religiösen Traditionen in Nordsyrien. Daneben sind aber - vor allem gegen Ende der Liste - zu einem geringeren Grad auch Einflüsse der hethitischen Vertragsrechtstradition greifbar.
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[1] Vgl. auch Barre, God-List, 27, der allerdings den ganzen zweiten Teil der Liste (ab wqdm }l w(lyn) von der hethitischen Tradition herleiten möchte.
[2] Vgl. HDT 3; 5; 6A; 6B; 8; 9; 11; 12; 13; 18B; 18C.
[3] Vgl. zu den alttestamentlichen Belegen Moran, Remarks, bes. 317-320, sowie Delcor, Attaches litteraires. Weitere Belege befinden sich auf einem phönizischen Beschwörungstäfelchen (s. Zevit, Inscription, 117) und in einem in griechischer Sprache überlieferten Vertrag aus dem zweiten Punischen Krieg aus dem Jahre 215 v.Chr. (s. Barre, God-List, 123f). Der griechische Beleg gibt zugleich einen Eindruck von der Zählebigkeit der Traditionen.
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