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3. Die zweite Rezeptionsstufe

Ausgangspunkt der nachfolgenden Rekonstruktion der zweiten Rezeptionsstufe sind die im Vorangehenden erzielten Ergebnisse. Erstens belegen Reflexe auf die aramäische und assyrische Vertragsrechtstradition in der biblischen Schriftprophetie das Vorhandensein solcher Traditionen im königszeitlichen Israel und Juda. Zweitens ist mit der begründeten Möglichkeit zu rechnen, dass ju- däische Treueide von diesen eingesickerten vertragsrechtlichen Traditionen beeinflusst worden sind und nun ihrerseits eine Rolle bei der Ausbildung der dtr Bundestheologie in der Exilszeit spielen konnten. Diese Annahme erklärt nicht nur die traditionsgeschichtliche Mischgestalt von Dtn 13* und 28*, da man andernfalls neben der postulierten neuassyrischen Vorlage noch andere Vorbilder unterstellen müsste; sie macht zudem die „verspätete" Rezeption leichter
verständlich. Denn dann wären in der Tat zunächst in der Königszeit aramäische und assyrische Elemente rezipiert und der eigenen Vertragsrechtstradition einverleibt bzw. akkulturiert worden, bevor das Konzept nach dem Ende des judäischen Königtums auf die Gott-Mensch-Beziehung übertragen worden ist. Welche traditionsgeschichtlichen Vorgaben bei der Ausbildung der dtr Bundestheologie eine Rolle gespielt haben, ist bereits Gegenstand von Kap. III gewesen. An dieser Stelle soll nach dem möglichen Trägerkreis gefragt werden, der unter exilischen Bedingungen die Vertragsmetapher als Interpretament des Ersten Gebots dienstbar gemacht hat.

Die Trägerkreise der dtr Bundestheologie

Da die historischen Umstände der Rezeption der Vertragsrechtstraditionen im Deuteronomium weitgehend im Dunkeln liegen, soll im folgenden Teil der Untersuchung der Versuch unternommen werden, über die Rückfrage nach den potentiellen Trägerkreisen ein wenig Licht in das Dunkel zu bringen. Ausgangspunkt der Rückfrage ist die schon von M. Weinfeld aufgestellte These, nach der allein der Berufsstand der gelehrten Schreiber für ein derart komplexes und von juristischen Begrifflichkeiten und Vorstellungen durchsetztes Werk wie das Deuteronomium verantwortlich sein könne.[1] B. M. Levinson hat Weinfelds These auf ein solideres Fundament gestellt, indem er im Deuteronomium Redaktionstechniken aufzeigen konnte, die analog in anderen altorientalischen Rechtstexten begegnen und mithin die Tätigkeit von rechtsgelehrten Schreibern voraussetzen.[2]

Die Ergebnisse der literarischen Analysen aufgreifend, nach denen Dtn 13* und 28* Bestandteil einer dtr Überformung des ältesten Deuteronomiums sind, gilt es an dieser Stelle nach einem Trägermilieu zu suchen, welches die These einer Rezeption der Vertragsrechtselemente in der ersten Hälfte des 6. Jh. auch von literatursoziologischer Seite absichert. Im Hinblick auf die Trägerkreise der dtr Literatur haben N. Lohfink und C. Hardmeier auf so genannte „Historische Kurzgeschichten"[3] bzw. „historische Tendenzerzählungen"[4] aus dem zeitlichen Umfeld der Katastrophe von 587 in den Königebüchem sowie im Jeremiabuch aufmerksam gemacht, in denen sich der Trägerkreis, nämlich königliche Beamte und insbesondere die Schreiberfamilie der Schafaniden, selbst in Szene setzt. Im Folgenden sollen zunächst zwei dieser Tendenzerzählungen, Jer
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[1] Vgl. Weinfeld, Deuteronomy, 158ff.
[2] Vgl. Levinson, Deuteronomy, 4-6 und 17-20
[3] Lohfink, Gattung, 319. Nach Lohfink gehören hierher: „Die Erzählung vom Bundesschluss unter Joschija" (2Kön 22f), „Die Erzählung vom Schicksal des Jahweworts unter Jojakim" (Jer 26 und 36) sowie „Die Erzählung vom verwerflichen Ursprung der ägyptischen Gola" (Jer 37-43) (zur Abgrenzung der Erzählungen s. a.a.O., 342).
[4] Hardmeier, Micha, 280. Hardmeier nennt Jer 26, Jer 36 und 2Kön 18f.

36 und 2Kön 18f, kurz vorgestellt und auf ihren Ertrag hinsichtlich des Trägermilieus befragt werden. Ihnen soll Jer 8,8f, eine in ein Prophetenwort gekleidete Polemik gegen „Schreiber", die angeblich die Tora Jhwhs verfälschen, an die Seite gestellt werden. Der Text gehört m.E. in ein den beiden anderen Tendenzerzählungen vergleichbares zeitgeschichtliches Umfeld und gestattet darüber hinaus weitere Einblicke in die dtr Trägerschaft.

Hofbeamte und Schreiber in Jer 36​


Die in Jer 36 überlieferte Erzählung von der Vernichtung der Schriftrolle thematisiert in ihrem Kern einen Konflikt zwischen dem Propheten Jeremia und König Jojakim von Juda. Im Mittelpunkt stehen gegen Jerusalem138 [1] und Juda gerichtete Jhwh-Worte, die Jeremia von seinem Schreiber Baruch auf eine Schriftrolle schreiben lässt, der sie bei passender Gelegenheit im Tempel vortragen soll. Die Rolle wird dann insgesamt dreimal verlesen. Zuerst vor allem Volk in der Halle des Schreibers Gemarja ben Schafan. Nachdem dann Micha, der Sohn Gemarjas und Enkel Schafans, die Worte vernommen hat, informiert er die übrigen Hofbeamten (srym), die sich in der königlichen Kanzlei (Iskt hspr) aufhalten. Namentlich genannt werden: Der Hofschreiber Elischama, ferner Delaja ben Schemaja, Elnatan ben Achbor, Gemarja ben Schafan, Zidkija ben Hananja. Die Beamten verlangen daraufhin von Baruch, dass er zu ihnen kommt und auch ihnen den exakten Inhalt der Schriftrolle eröffnet. Bevor die Beamten anschließend den König über das Schriftstück benachrichtigen, deponieren sie es in der Kanzlei und legen Baruch nahe, sich mit Jeremia zu verbergen. Als die Schriftrolle vor Jojakim und seinem Kabinett zum dritten Mal verlesen wird, verbrennt sie der König Stück für Stück im Kohlenbecken. Soweit die in diesem Zusammenhang relevanten Erzählzüge.

Die in Exposition (1-8), Hauptteil (9-26) und Schluss (27-32) klar gegliederte Erzählung ist vermutlich in den Versen 3, 7, 24f und 29-31 redaktionell überarbeitet worden.[2] Die Nachträge sind in erster Linie am Verhalten des Königs und einzelner Funktionsträger interessiert. Vor allem V. 24f und V 29-31 zeichnen Jojakim als negative Kontrastgestalt zum frommen Joschija, der nach 2Kön 22f in einer vergleichbaren Situation sich in angemessener Weise vor Jhwh demütigt und damit wenigstens sein persönliches Geschick zum Guten wendet.[3] Was die Entstehungszeit des Kapitelkerns angeht, so besteht angesichts des redaktionellen Charakters der Querbezüge zu 2Kön 22f kein Anlass, Jer 36* zeitlich hinter die (dtr) Joschija-Perikope zu platzieren.[4] Die Grunderzählung
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[1] So mit dem alexandrinischen Text von V. 2, vgl. Stipp, Jeremia, 94.
[2] Vgl. dazu Wanke, Jeremia 2, 331f.
[3] Wanke spricht zu Recht von einer „Kontrasterzählung zu 2. Kön 22f." (a.a.O., 338).
[4] So Wahl, Entstehung, 376. Das Argument, die Universalität der Unheilsprophetie in V. 2 lege nahe, dass Juda bereits das gleiche Schicksal wie das Nordreich erlitten habe (a.a.O., 373), lässt sich leicht mit einem Hinweis auf den textkritischen Apparat widerlegen, da der an dieser Stelle zu bevorzugende alexandrinische Text statt „Israel" „Jerusalem" bezeugt (s. o. S. 295, Anm. 139).

Grunderzählung könnte daher ohne weiteres in zeitlicher Nähe zu den berichteten Ereignissen entstanden sein. Nach dem alexandrinischen Text spielten sich diese im achten Jahr Jojakims (600/601) ab (vgl. V. 23). Dazu passt, dass Nebukadnezar zu Beginn des Jahres 600 eine herbe Niederlage in Ägypten erlitten hat, in deren Folge sich die Babylonier aufs erste zurückziehen mussten.[1] Aufgrund der Erzählpragmatik, bei der sich Jer 36* mit anderen Tendenzerzählungen im Jeremia- buch sowie - unter umgekehrtem Vorzeichen - mit 2Kön 18f* trifft, erscheint eine Entstehung der Erzählung in der Zeit Zidkijas gut möglich, in der sich der König in einer vergleichbaren geschichtlichen Situation vor die entsprechende Alternative gestellt sah, entweder auf die Hilfe Ägyptens zu hoffen, oder sich Babel zu unterwerfen. Jer 36* wäre dann eine Art „Empfehlungsschreiben"[2], welches Zidkija und die Seinen dazu anhalten sollte, Jeremias Warnung vor dem „Feind aus dem Norden" nicht wie Jojakim in den Wind zu schlagen.

Obgleich direkte Nachrichten zu den Verfassern fehlen, erlauben doch die in der Erzählung in Szene gesetzten Personen einige Rückschlüsse über deren Trägerschaft.[3] Betrachtet man Jer 36* im Zusammenhang mit den erzählpragmatisch verwandten Tendenzerzählungen in Jer 26*[4] und Jer 37-40*[5], so sticht sogleich die prominente Rolle der Schafaniden ins Auge, die - obwohl in Hofkreisen beheimatet - beständig auf Jeremias Seite agieren. Jer 26,24 rettet der Schafanide Achikam den Propheten vor dem mordlustigen Volk; Jer 36,11f.19 ist es eine Gruppe von Hofbeamten, unter ihnen der Schafanide Gemarja und sein Sohn Micha, die Jeremias Verhaftung verhindern, indem sie Baruch raten, sich mit dem Propheten zu verbergen; Jer 40,6 berichtet schließlich, dass sich Jeremia nach der Eroberung Jerusalems freiwillig dem Schafanenkel Gedalja in Mizpa angeschlossen habe. Wohl mit Recht wird deshalb eine Entstehung von Jer 36* im Umkreis der Schafanfamilie erwogen, die Jeremia zu Lebzeiten protegiert und später seine Überlieferungen gesammelt und tradiert habe.[6] In eine ähnliche Richtung deuten aber auch die deuterojeremianischen Nachträge. So verschärft
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[1] Vgl. zu den zeitgeschichtlichen Informationen Stipp, Jeremia, 90 und 110.
[2] Hardmeier, Micha, 279.
[3] Die Mehrzahl der in Jer 36 namentlich genannten Offiziellen ist in der zeitgenössischen judäischen Onomastik belegt, vgl. Dearman, Servants, 414: „This suggests that the narrator accurately portrays his characters in each scene by using appropriate names - if not the actual names of officials - since it is possible that some of the officials whose patronym has not been preserved in the biblical texts are named with their patronym in one or more of the bullae."
[4] Vgl. zu Jer 26 Hardmeier, Micha, 274-281, und zum Verhältnis zwischen Jer 26 und 36 a.a.O., 279.
[5] Vgl. zu Jer 37-40* Hardmeier, Prophetie, 174-247.
[6] Vgl. Lohfink, Gattung, 339; Wahl, Entstehung, 381, der allerdings schon den Grundbestand des Kapitels in die Exilszeit datiert.

V. 24f eine schon im Grundbestand vorhandene Stoßrichtung:[1] Innerhalb der königlichen Beamtenschaft gibt es eine Jeremia wohlgesonnene Fraktion, der auch der Schafanide Gemarja angehört, die vergebens versucht, Jojakim an der Verbrennung der Schriftrolle zu hindern. Die Erzählpragmatik der spätvorexilischen Tendenzerzählung sowie der exilischen deuterojeremianischen Nachinterpretation in V. 24f weist somit auf eine identische Trägerschaft hin, die im Umkreis der Schafanfamilie zu suchen ist.

Ist mit der Schafanfamilie bereits die judäische Schreiberzunft im Blick,[2] so macht die hervorgehobene Rolle, die der Schreiber Baruch in der Erzählung spielt, wahrscheinlich, dass innerhalb der projeremianischen Beamtenfraktion insbesondere Hofschreiber als Träger der Jeremiaüberlieferungen in Frage kommen.[3] Der hier vertretenen schafanidischen Trägerschaft von Jer 36* widerspricht daher in keiner Weise die oft erwogene Möglichkeit, dass der Schreiber Baruch selber der Verfasser des Kapitels sei; er gehörte wie die Schafaniden zum Anhängerkreis Jeremias.[4] Jer 36 macht in jedem Fall deutlich, dass judäische Hofbeamte und insbesondere Hofschreiber an der Entstehung und Überlieferung von religiöser Literatur am Vorabend des Exils und in den folgenden Jahrzehnten beteiligt waren.

Hofbeamte als Verfechter dtn Ideen in 2Kön 18f*

Eine interessante Spur, die einen Zusammenhang zwischen Jerusalemer Hofbeamten und dem Deuteronomium nahe legt, ist die von C. Hardmeier in 2Kön 18f rekonstruierte „Erzählung von der assyrischen Bedrohung und der Befreiung Jerusalems".[5] Sie ist Hardmeier zufolge im Jahre 588 vor dem Hintergrund der babylonischen Belagerung Jerusalems entstanden, in der sie den Kampfgeist
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[1] Die grundsätzlich richtige Beobachtung von Wanke, Jeremia 2, 339, V. 25 mache aus Jer 36* „eine Tendenzerzählung [...], die bestimmte Kreise in Juda, nämlich die an der Joschijareform beteiligten Schafaniden, gegenüber dem König von der Verantwortung an dem Unheil ausnimmt", ist m.E. insofern zu präzisieren, als schon die Grunderzählung von dieser Tendenz getrieben war.
[2] Auch Schafans Sohn Gemarja ist nach Jer 36,10 ein spr. Dass sich der Titel an dieser Stelle nicht auf seinen Vater Schafan bezieht, zeigt ein Blick auf zeitgenössische Dienstsiegel, die ganz entsprechend den Namen, die Filiation und den Titel bzw. das Amt aufführen, vgl. Avigad/Sass, Corpus, 57f (Siegel 21, 22 und 23); vgl. auch Grabbe, Priests, 154.
[3] Baruch ben Nerija war vermutlich ebenfalls königlicher Beamter, vgl. Avigad, Baruch, 55: „The presence of Baruch's bulla in an archive amidst bullae of royal officers seems to indicate that at some time Baruch belonged to the category of royal scribes, as did his contemporaries Gemariah ben Shaphan the scribe, and Elishama the scribe (Jer. 36:10-12)." - Vgl. auch Wahl, Entstehung, 377: „Trotz der legendenartigen Darstellung können wir annehmen, dass die institutionellen Rollenverteilungen als solche den Gegebenheiten der späten Königszeit entsprechen. Andernfalls hätte der Erzähler seine Rezipienten nicht überzeugen können. In diesem Sinne steht in der Gestalt des Baruchs zumindest die königliche Schreiberzunft im Hintergrund [...]"
[4] Vgl. etwa Stipp, Jeremia, 112.
[5] Vgl. Hardmeier, Prophetie, 87-159.

der Belagerten mit dem Beispiel der göttlich gefügten Befreiung der Stadt vor den Assyrern stärken sollte.[1] Wie damals König Hiskija eine Kapitulation Jerusalems verhindert hatte, so soll der zwischen Widerstand und Ergebung schwankende Zidkija gut hundert Jahre später in einer vergleichbaren politischen Situation agieren. In der Erzählung spielen namentlich aufgeführte Jerusalemer Spitzenfunktionäre eine entscheidende Rolle, unter anderem der Hofschreiber Schebna (18,18). Hardmeier hat wahrscheinlich gemacht, dass die in der Erzählung auftretenden Hofbeamten gleichzeitig deren Verfasser- bzw. Trägerkreis darstellen.[2] Dabei haben sie grundsätzlich dieselben politischen Interessen wie die in Jer 37f in Erscheinung tretenden Gegner Jeremias aus den Reihen der Hofbeamten (srym), die dem Propheten aufgrund seiner defätistischen Botschaft gar nach dem Leben trachten (vgl. Jer 38,4).[3] Da Jeremia mit den Schafaniden und deren Parteigängern ebenfalls hohe königliche Beamte (srym) auf seiner Seite hat (vgl. Jer 36), ist in den Jahren vor dem Untergang Judas auf eine „Fraktionierung innerhalb der Gruppe von hohen Beamten"[4] zu schließen, die sich literarisch bekämpft haben.

Von Belang ist in diesem Zusammenhang, dass die Verfasser von 2Kön 18f* augenscheinlich einen deuteronomistischen Standpunkt einnehmen. Dieser erschließt sich aus der ersten Rabschake-Rede (18,19-25), in der der Assyrer das Vertrauen auf Jhwh als grundlos entlarven will, indem er vor den Jerusalemer Hofbeamten die Kultzentralisation und damit „einen Kernsatz ihres Glaubens"[5]
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[1] Hardmeier (a.a.O., 287-303) hat überzeugend die Belagerungspause von 588 als die im Hintergrund stehende Erzählsituation von 2Kön 18f* wahrscheinlich gemacht.
[2] A.a.O., 409-449.
[3] Vgl. a.a.O., 417.
[4] A.a.O., 412 (kursiv im Original).
[5] A.a.O., 395.

lächerlich macht. Wenn es in 18,22 heißt, Hiskija habe die Höhen und Altäre abgeschafft und gefordert, „vor diesem Altar in Jerusalem sollt ihr anbeten" (Ipny hmzb" hzh tsthww byrwslm), so handelt es sich dabei sachlich um nichts anderes als das Grundgebot des Urdeuteronomiums (vgl. Dtn 12,13f).[1] Die Tatsache, dass der Rabschake gegen das dtn Zentralisationsgebot in Dtn 12,13f und nicht etwa gegen das dtr Fremdgötterverbot in Dtn 5,7 polemisiert,[2] ist nicht nebensächlich. Sie entspricht der Datierung der Erzählung in spätvorexilische Zeit, in der das Deuteronomium wahrscheinlich noch keine Fremdgötterpolemik beinhaltete. Demnach werden in 2Kön 18f* Jerusalemer Hofbeamte sichtbar, die am Vorabend des Exils national-religiöse (Auseinandersetzungs-)Literatur produzieren und sich dabei auf das Deuteronomium beziehen.[3]

Hofschreiber und die Tora Jhwhs in Jer 8,8f​


Auf einen Zusammenhang zwischen Schreibern und der Tora Jhwhs deutet eine Polemik aus dem Jeremiabuch hin, die möglicherweise ein weiterer Beleg für die politischen Richtungskämpfe im Umfeld der Exilskatastrophe ist. In Jer 8,8f sagt der Prophet im Namen Jhwhs:[4]

„Wie könnt ihr sagen: ,Weise ("kmym) sind wir, und das Gesetz Jahwes (twrt yhwh) ist bei uns!' Fürwahr seht, zum Trug (Isqr) hat es gemacht der trügerische Griffel von Schreibern (rt sqr sprym). Zuschanden wurden Weise ("kmym), von Schrecken erfüllt und gefangen genommen. Seht, das Wort Jahwes (dbr yhwh) haben sie verworfen. Und welche Weisheit ("kmh) ist ihnen (geblieben)?"

Schon M. Weinfeld sah in dem Prophetenwort einen Beleg für seine These, „that in Jeremiah's time there existed a circle of ~yrpws ~ymkx engaged in the composition


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[1] Vgl. auch a.a.O., 396f
[2] Während der Zusammenhang zwischen 2Kön 18,22 und der dtn Zentralisationsforderung offenkundig ist, lässt sich ein solcher zwischen 2Kön 18,32-35 und dem dtr Fremdgötterverbot nicht wahrscheinlich machen (gegen Hardmeier, Prophetie, 399-408, der a.a.O., 395, Anm. 141, im Anschluss an Spieckermann schon in Dtn 6,4 die „intolerante Ablehnung aller anderen Götter" ausgedrückt sieht). Das vom Rabschake vorgetragene Argument, die Götter der anderen Völker hätten diese nicht retten können, spiegelt wohl weniger den Anspruch, dass Israel keine anderen Götter verehren soll (Dtn 5,7), als vielmehr zeitgeschichtliche Erfahrungen der militärischen Übermacht der Babylonier, an der die konventionelle theologische Vorstellung vom Reichsgott als der staatlichen Schutzmacht gescheitert ist. Die Erfahrung des Scheiterns der Götter der unterlegenen Völker deckt sich dann allerdings mit der (spät) exilischen Fremdgötterpolemik, die den Schluss zieht, dass die fremden Götter nicht helfen können, weil sie nicht existieren (vgl. den Zusatz in 2Kön 19,18 und dazu Würthwein, Könige 2, 426 mit Anm. 6).
[3] Folglich handelt es sich bei 2Kön 18f* streng genommen um einen Beleg für einen vor-
[4]exilischen Deuteronomismus.

of Torah literature".[1] Weinfelds Stellungnahme präzisierend, sind Jer 8,8f vornehmlich zwei wichtige Informationen zu entnehmen:

Erstens: Der Text handelt von „Schreibern" (sprym), die sich selbst als „Weise" bzw. „Sachverständige" ("kmym) apostrophieren. Zwei Gründe sprechen dabei für die Annahme, dass mit dem Plural sprym der Stand der gelehrten Hofschreiber gemeint ist: Einerseits bezeichnet die Pluralform im Alten Testament stets entweder mehrere Hofschreiber (1Kön 4,3) oder den gesamten Schreiberstand (1Chr 2,55; 2Chr 34,13);[2] andererseits ist die Näherbestimmung „weise/ sachverständig" in anderen altorientalischen Kontexten ein geläufiges Attribut der gelehrten Hofschreiber.[3] Folglich legen sowohl der Titel sprym selbst als auch sein Attribut "kmym eine Interpretation der Gruppe als gelehrte Hofschreiber nahe.

Zweitens: Der Text wirft den Schreibern vor, die Tora Jhwhs mit ihrem „Lügengriffel" ('t sqr) verfälscht, d.h. in irgendeiner Form redaktionell bearbeitet zu haben.[4] Demnach ist Jer 8,8f zufolge die Tora und damit die religiöse Tradition Gegenstand der literarischen Tätigkeit von Hofschreibern.

Wenn somit Jer 8,8f den gesuchten Zusammenhang zwischen Hofschreibern und der Tora Jhwhs bezeugt, hängt viel an der Lösung der beiden folgenden, in der Forschung uneinheitlich beantworteten exegetischen Fragen:

Was ist mit der Cs.-Verbindung twrt yhwh gemeint?

Wie ist das Prophetenwort zu datieren?

Ad 1: Der Terminus twrh bezeichnet im Alten Testament zunächst die einzelne priesterliche Weisung (vgl. Dtn 33,10; Jer 18,18), die in der Regel mündlich erteilt wurde (vgl. Mal 2,6f; Hag 2,11-13).[5] Im Deuteronomium und von diesem abhängigen Literaturbereichen steht der Begriff in den jüngeren
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[1] Weinfeld, Deuteronomy, 158; Weinfeld sieht hierin ein Proprium der judäischen Schreiber: „The Israelite rpws was consequently equated with four types of functions: clerical, political, didactic and religious. The first three of these were already performed by Mesopotamian and Egyptian scribes, but the fourth, in the Hezekian-Josianic period and afterwards, was peculiar to the Judean scribe." (a.a.O., 162) - Grabbe, Priests, 153 bemerkt zu Weinfelds Interpretation der Stelle treffend: „The importance of Weinfeld's proposal is that it makes a theological work [...] the product of scribes."
[2] Vgl. Maier, Jeremia, 301: „Auffallend ist also in Jer 8,8 die Pluralform, die offensichtlich den gesamten Berufsstand diskreditieren soll, also nicht nur gegen einen amtierenden Inhaber des hohen Staatsamtes gerichtet ist."
[3] Vgl. zu Mesopotamien Sweet, Sage, 61f; zu Ägypten und der häufig bezeugten Verbindung „scribes and sages" Grabbe, Priests, 164; zu Ugarit van Soldt, Texts, 180, Anm. 53; auch der Aramäer Ahiqar gilt als spr "kym wmhyr, vgl. Grabbe, Priests, 163.
[4] Vgl. auch Niemann, Ende, 128: „Jes 10,1 und Jer 8,8 scheinen dabei nicht nur das Aufschreiben und Wiederabschreiben von Gesetzestexten, sondern auch das Interpretieren, möglicherweise eine Schulung in beidem, vorauszusetzen."
[5] Vgl. Liedke/Petersen, hrwt, 1036.

Schichten allgemein für „das Ganze der heilsamen Willenszuwendungen Jahwes an Israel".[1] Die Frage lautet also: Bezeugt Jer 8,8f noch den älteren priesterlichen Sprachgebrauch, oder ist bereits der spätere dtr Gebrauch im Blick?[2] Für letztere Möglichkeit spricht, dass der Torabegriff in Jer 8,8f durch die Cs.-Verbindung twrt yhwh direkt auf Jhwh bezogen ist und dass mit ihm dem Kontext gemäß ein schriftlich niedergelegtes Dokument gemeint ist - beides Charakteristika des dtr Umgangs mit dem Torabegriff. Mit dem Bezug auf Jhwh entspricht die Stelle den anerkanntermaßen dtr Jer-Belegen in 9,12; 16,11; 26,4; 32,23; 44,10.23,[3] die diesen Zusammenhang jeweils durch ein an twrh angehängtes Suffix herstellen. Damit ist aber noch nicht ausgemacht, dass auch der Beleg in Jer 8,8f den dtr Sprachgebrauch spiegelt. Um dies entscheiden zu können, ist ein Überblick über das gesamte Alte Testament angeraten. Nach C. Maier, die den Torabegriff im Jeremiabuch eingehend untersucht hat, sind alle Stellen im Alten Testament, in denen die Cs.-Verbindung twrt yhwh begegnet, exilisch oder nachexilisch zu datieren,[4] wobei der erweiterte dtr Sprachgebrauch jeweils vorauszusetzen ist. Ein ähnliches Bild ergibt sich hinsichtlich der twrh-Belege, die den Bezug zu Jhwh durch ein Suffix herstellen, die m.E. in diesem Zusammenhang unbedingt mit einzubeziehen sind.[5] Wendet man sich dem Deuteronomium zu,[6] so zeigt sich, dass dort schon der Terminus twrh ohne den Bezug zu Jhwh niemals vor- dtr erscheint.[7] In Dtn 4,44 wurde z.B. der älteren Überschrift in 4,45*, die ursprünglich die „Satzungen und Rechte" ("qym wmsp—ym) ankündigte, eine weitere vorangestellt,[8] in der der Begriff twrh mindestens die Kapitel 5-28 umfasst.[9] Die Cs.-Verbindung twrt yhwh in Jer 8,8f legt folglich nahe, dass an dieser Stelle bereits der im Deuteronomismus beheimatete erweiterte Torabegriff vorliegt.[10]


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[1] Von Rad, Theologie 1, 235.
[2] Die ältesten Belege für den erweiterten Gebrauch befinden sich nicht bei Hosea, wie z.B. Liedke/Petersen, hrwt, 1038, und Lopez, hrwt, 612, annehmen. - Vgl. zu Hos 8,1 als einem dtr Zusatz Jeremias, Hosea, 104, und zu 4,6 und 8,12 a.a.O., 66 und 111. Der Begriff twrh ist für Hosea vielmehr die „Zusammenfassung der vielen Lebenshilfen Gottes in Gestalt von Einzelweisungen (torot 8,12), die Gegenstand der Priesterlehre sind." (a.a.O., 66)
[3] Vgl. Liedke/Petersen, hrwt, 1041.
[4] Maier, Jeremia, 304. Die Stellen sind: Ex 13,9; 2Kön 10,31; Jes 5,24; 30,9; Jer 8,8; Am 2,4; Ps 1,2; 19,8; 119,1; Esra 7,10; Neh 9,3; 1Chr 16,40; 22,12; 2Chr 12,1; 17,9; 31,3.4; 34,14; 35,26 (vgl. auch twrt >lhym: Jos 24,26; Jes 1,10; Hos 4,6; Ps 37,31; Neh 8,8; 10,29.30).
[5] Ex 16,4; Jes 42,4; 51,7; Jer 6,19; 9,12; 16,11; 26,4; 31,33; 32,23; 44,10.23; Ez 22,26; Hos 8,1; Ps 1,2; 40,9; 78,10; 89,31; 94,12; 119passim; Dan 9,10.11; Neh 9,26.29.34; 2Chr 6,16
[6] Vgl. dazu Braulik, Ausdrücke, 36-38.
[7] Die Dtn-Belege sind: 1,5; 4,8.44; 17,11.18.19; 27,3.8.26; 28,58.61; 29,20.28; 30,10; 31,9.11.12.24.26; 32,46; 33,4.10. Die einzigen Belege aus dem Gesetzeskorpus sind ebenfalls als dtr zu beurteilen. Vgl. zu 17,11 Gertz, Gerichtsorganisation, 68f, und zu 17,14-20, dem so genannten Königsgesetz, Perlitt, Staatsgedanke, 187-191.
[8] Vgl. Veijola, Deuteronomium, 122f.
[9] Vgl. auch Braulik, Ausdrücke, 36f.
[10] Das deckt sich mit dem Ergebnis der Untersuchung von Maier, Jeremia, 354: „Der Begriff hrwt wird im Jeremiabuch erstmals von exilischen Autoren gebraucht, deren Theologie als dtr. bestimmt werden kann [...]"

Entscheidend für die Frage, was mit der Tora Jhwhs genau gemeint ist, ist sodann die Tatsache, dass diese in Jer 8,8f schriftlich niedergelegt ist, denn nur so kann sie von den Schreibern mit deren „Lügengriffel" verfälscht worden sein. Wo aber im Alten Testament von der Tora als einem schriftlich verfassten Dokument die Rede ist, erkennbar an Derivaten der Wurzeln spr „Buch" oder ktb „schreiben",[1] handelt es sich in aller Regel um einen Hinweis auf das Deuteronomium.[2] In sämtlichen dtr Stellen ist mit twrh eindeutig das Deuteronomium (twrt msh) gemeint. In den Stellen aus Chr und Esra/Neh ist die Identität in vielen Fällen durch die Aufnahme der Verbindung twrt msh ebenfalls sichergestellt; in jedem Fall dürfte das Deuteronomium mitgemeint sein, falls an eine übergreifende Größe gedacht sein sollte. Wenn aber hinter der Verbindung twrt yhwh, insofern von einem schriftlich niedergelegten Dokument die Rede ist, im Alten Testament ohne Ausnahme das Deuteronomium oder weitere Stadien des werdenden Pentateuch stehen, drängt sich auch für den Beleg in Jer 8,8f diese Deutung auf:[3]

„So muss man in dem Text eine prophetische Stellungnahme zu der einzigen Tora sehen, die es damals, in der spätvorexilischen Zeit, gab: dem Deuteronomium in seiner vorexilischen Gestalt."

Geht man in der Datierung andere Wege, handelt es sich entsprechend um eine Stellungnahme zum Deuteronomium in seiner exilischen bzw. nachexilischen Gestalt.[4]

Ad 2: Die Frage, in welcher Zeit der Vorwurf in Jer 8,8f entstanden ist, wird in der Forschung vielstimmig beantwortet, wobei die Einschätzungen von au- thentisch-jeremianisch bis nachexilisch reichen.[5] Auch die Einsicht, dass sich die V. 8f aufgrund des Adressatenwechsels leicht aus ihrem Kontext herauslösen
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[1] Folgende Belege sind zu berücksichtigen: ktb „schreiben": Ex 24,12; Dtn 17,18; 27,3.8; 31,9; Jos 8,32.34; 1Kön 2,3; Hos 8,12; Dan 9,11.13; Esra 3,2; Neh 8,14; 10,35.37; 1Chr 16,40; 2Chr 23,18; 25,4; 31,3; 35,26. - spr „Buch": Dtn 31,26; Jos 1,8; 2Kön 22,8.11; Neh 8,1; 9,3; 2Chr 17,9; 34,14.15. - kombiniert: Dtn 28,58.61; 29,20; 30,10; 31,24; Jos 8,31; 23,6; 24,26; 2Kön 14,6; 23,24
[2] Ausnahmen sind Jes 8,16 und 30,9, wo Tora ein prophetisches Orakel meint (Lopez, hrwt, 611f), sowie Ex 24,12, wo der Dekalog gemeint sein dürfte (twrh neben mswh). Der twrh- Beleg in Hos 8,12 ist nach Jeremias, Hosea, 111, „der älteste direkte Beleg für die Niederschrift von Priesterweisungen"; demnach steht der Begriff hier noch in der alten Tradition
[3] Veijola, Deuteronomisten, 235. Nach Veijola, ebd, zeigt Jer 8,8f, „dass schon die Autoren des Werkes, das die Grundlage für die dtr Schule bildete, mit dem Titel rps bezeichnet werden konnten". Vgl. auch Seybold, Jeremia, 107: „tora ist hier doch wohl schon so etwas wie „das Gesetz" in schriftlich vorliegender Form. Es ist nicht nur an konkrete Weisungen der Priester zu denken, theologische Voten von Experten in fraglichen Fällen, sondern möglicherweise bereits an gesammelte ,Weisungen' in der Art des Deuteronomiums oder seiner Vorformen."
[4] So Wanke, Jeremia 1, 98, der den Konnex über den spät-dtr Vers Dtn 4,6 herstellt.
[5] Für authentisch gehalten wird das Wort z.B. von Weiser, Jeremia, 71f. Nachexilisch datieren Wanke, Jeremia 1, 98, und Maier, Jeremia, 306.

lassen, wobei V. 10 gut an die V. 4-7 anschließen würde,[1] hilft nicht weiter, da es sich auch um ein versprengtes Jeremiawort handeln könnte. Weiterführend ist die Beobachtung, nach der in Jer 8,8f wahrscheinlich schon der erweiterte Torabegriff begegnet, der erstmals im dtr redigierten Deuteronomium bezeugt ist. Da dieser Gebrauch im übrigen Jeremiabuch, abgesehen von den anerkanntermaßen dtr Belegen, nicht bezeugt ist und er in Jer 8,8 als Zitat der angesprochenen Schreiber eingeführt wird, könnte man annehmen, dass der Terminus twrt yhwh hier erstmals im späteren dtr Sinn Verwendung findet, nämlich als Zusammenfassung des Jhwh-Willens, wie er nach Ansicht der Schreiber allein im Deuteronomium schriftlich festgehalten ist. Einen konkreten Anhaltspunkt für die Datierung des Textes liefert vielleicht V 9, der das Schicksal der angesprochenen Schreiber benennt; „denn der Hinweis auf Schrecken und Gefangenschaft ist kaum etwas anderes als eine Anspielung auf die Katastrophe von 587 v. Chr.".[2] Demnach könnte der Vorwurf, die Schreiber hätten die Tora Jhwhs verfälscht, eine wie auch immer geartete redaktionelle Tätigkeit am Deuteronomium in (früh)exilischer Zeit im Blick haben. Oder aber man versteht die Polemik grundsätzlich und sieht mit G. Wanke hinter Jer 8,8f einen die Exilskatastrophe aufarbeitenden Konflikt zwischen Gruppen, die sich einzig und allein um die schriftlich niedergelegte Tora sammeln und solchen, „die unter Verweis auf die Erfahrungen in der Vergangenheit die prophetische Verkündigung als für Israels Verhalten maßgeblich verstanden wissen wollen".[3] Allerdings ist es keineswegs zwingend, den Text deshalb gleich in die nachexilische Zeit zu datieren. Vielmehr legen die oben vorgestellten Tendenzerzählungen in Jer 36* und 2Kön 18f*, in der eine vergleichbare Konfliktlage zwischen Hofbeamten, die sich auf die Tora berufen, und Parteigängern Jeremias erkennbar war, eine zeitliche Ansetzung nicht sehr weit von der Exilskatastrophe entfernt nahe.[4] Gegen eine extreme Spätdatierung spricht zudem, dass der Funktionsbereich der Schreiber in Jer 8,8f noch weit entfernt ist von einem Schriftgelehrten im rabbinischen Sinn, wie er in nachexilischer Zeit in der Gestalt des Esra aufscheint.[5] Alles in allem ist Jer 8,8f ein gewichtiges Argument für die
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[1] Vgl. z.B. Wanke, Jeremia 1, 98.
[2] A.a.O., 98. Das in diesem Zusammenhang verwendete Verb Ikd ni „gefangen werden" steht auch Jer 6,11 für das Exil (vgl. auch Jes 8,15; 28,13; Jer 48,44; 51,56; Klgl 4,20 und dazu Groß, dkl, 574, der hier „Gefangenschaft als Teil des Strafgerichts Gottes" sieht).
[3] Wanke, Jeremia 1, 98; vgl. auch Maier, Jeremia, 306.
[4] In diese geschichtlichen Zusammenhänge wird das Prophetenwort auch von Stipp, Jeremia, 11, gestellt: „Das Bild derjenigen, die sich im Schutz der Tora YHWHs sicher fühlen und ihre Heilsgewissheit lautstark öffentlich vertreten, passt ausgezeichnet auf die Kreise, die sich in 2 Kön 18f.* selbst kurz vor dem Exil als Deuteronomisten porträtiert haben."
[5] In nachexilischer Zeit ist ein Funktionswandel im Schreibertitel zu konstatieren: „söfer ist nicht mehr nur der Schreiber, sondern zugleich der, der sich in den ,Schriften' bzw. dem ,Gesetz' auskennt [...]" (Kühlewein, rps, 167). Esra wird in Esra 7,6 charakterisiert als „ein Schriftgelehrter, bewandert im Gesetz Moses (spr mhyr btwrt msh), das Jhwh, der Gott Israels, gegeben hatte." Nach V. 10 ist Esra mit der doppelten Aufgabe nach Jerusalem gekommen, um erstens „das Gesetz Jhwhs zu untersuchen und zu tun" (Idrws }t twrt yhwh wl(st) und zweitens „in Israel Satzung und Recht zu lehren" (wllmd bysfl "q wmsp—). Vgl. Veijola, Deuteronomisten, 226: „Damit kommen in Esra 7,10 in bündiger Form zwei zentrale Anliegen der Schriftgelehrten, die Auslegung und der Unterricht der Tora, zum Vorschein."

These, dass judäische Hofschreiber im frühen 6. Jh. die Tora Jhwhs, womit aller Wahrscheinlichkeit nach das Deuteronomium gemeint ist, zum Objekt ihrer literarischen Tätigkeit gemacht haben.

Die Tendenzerzählungen Jer 36* und 2Kön 18f* spiegeln bei einem identischen „Sitz im Leben" - nämlich der babylonischen Bedrohung Jerusalems in der Zidkijazeit - diametral entgegengesetzte Standpunkte, die einen erbitterten Richtungsstreit innerhalb der judäischen Beamtenschaft in den Jahren vor dem Untergang Jerusalems wahrscheinlich machen. Auf der einen Seite begegnet in Jer 36* eine aus Mitgliedern der Schafanfamilie und weiteren Anhängern Jeremias bestehende pro-babylonische Fraktion, die sich mit Jeremia gegen die Aufstandspolitik Zidkijas stellt und so in den Verdacht gerät, mit den babylonischen Feinden gemeinsame Sache zu machen.[1] Auf der anderen Seite kommt in 2Kön 18f* eine national-religiös gesinnte Beamtenfraktion zu Wort, die, indem sie auf die Uneinnehmbarkeit Zions und ägyptische Waffenhilfe vertraut, den Vertragsbruch Zidkijas unterstützt. Die Polemik in Jer 8,8f könnte ein Indiz dafür sein, dass dieser Fraktion u.a. Hofschreiber angehörten.

Ausgehend von den quellenkritisch erhobenen Einsichten in die politischen Auseinandersetzungen in der Zidkijazeit, ist in der Folge die These einer „tiefen Spaltung des Deuteronomismus in Juda"[2] in frühexilischer Zeit aufgestellt worden, die zudem eine plausible Erklärung für das berühmte „Prophetenschweigen" des DtrG abgebe.[3] Insbesondere wird die Trägerschaft, die hinter dem DtrG steht, scharf von dem für die dtr Überformung der Jeremiaüber- lieferung verantwortlichen Verfasserkreis abgesetzt.[4] Doch gibt es Anzeichen dafür, dass die im Umfeld der Exilskatastrophe sichtbaren Gegensätze in der weiteren Exilszeit an Brisanz verloren haben.[5] Einschlägig ist in diesem Zusammenhang der Bericht von der Auffindung des Gesetzbuchs unter König Joschija in 2Kön 22f, der aufgrund seiner Relevanz für die Frage nach dem Trägermilieu der dtr Literatur ebenfalls vorgestellt werden soll.


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[1] 2Kön 18f* denunziert die Position Jeremias als Feindpropaganda, indem sie dem assyrischen Rabschake in den Mund gelegt wird (vgl. etwa 2Kön 18,31b.32a mit Jer 38,2.17f und dazu Hardmeier, Prophetie, 369-371).
[2] Hardmeier, Micha, 288.
[3] Vgl. ebd. - Vgl. auch die spätere Infragestellung der Erklärungskraft der These bei Hardmeier, Einführung, 27.
[4] Nach Albertz, Deuteronomisten, ist das DtrG in der babylonischen Gola, Jer-D dagegen „wahrscheinlich" (a.a.O., 333) in Palästina entstanden.
[5] Ein Grund für das Erlöschen der Gegensätze könnte auch darin liegen, dass große Teile der anti-babylonischen Fraktion wohl spätestens nach der Ermordung Gedaljas 582 deportiert bzw. getötet worden sind.

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