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I. Einleitung

Der „Bund" (hebr. bryt[1]) ist im Alten Testament die zentrale Metapher für die Darstellung des Gottesverhältnisses „Israels"[2].[3] Der Bundesbegriff spielt in der Folge im Neuen Testament[4] und in der weiteren Geschichte des Christentums,[5] nicht zuletzt auch im Hinblick auf sein Verhältnis zum Judentum,[6] eine entscheidende Rolle. Dass die hebräische Vokabel bryt („Bund") als Metapher für das Gottesverhältnis im Alten Testament nebenbei gleichzeitig der Kennzeichnung verschiedener Arten von zwischenmenschlichen Abkommen („Vertrag") dient, geben die biblischen Texte offen zu erkennen.[7] Vergleichsweise jung ist jedoch die Einsicht, dass der im Alten Testament ausgedrückte Gedanke, Jhwh habe mit Israel auf dem Horeb einen „Bund" geschlossen (vgl. Dtn 5,2 u.ö.), mit der Rezeption von Vorstellungen und Sprachformen des altorientalischen Vertragsrechts einherging, das primär dem Zweck diente, entweder abhängige Vasallenkönige oder die eigenen Untertanen auf den (Groß-) König zu vereidigen. War mit der Metapher vom „Bund" ohnehin die Gefahr einer Verrechtlichung der ehedem „natürlichen" Beziehung zwischen Gott und Mensch[8] gesehen worden, so stieß die weiter reichende These einer Abhängigkeit der Bundestheologie von einer dem Herrschaftserhalt altorientalischer Könige dienenden rechtlich-politischen Institution auf erhebliche theologische


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[1] Wegen der besseren Vergleichbarkeit mit dem Aramäischen und Akkadischen wird das Hebräische in der vorliegenden Arbeit in einer reinen Konsonantenumschrift dargeboten (s. hierzu die Legende auf S. 326).
[2] Da sich der Name „Israel" im Laufe der Geschichte mehrfach gewandelt hat (vgl. Berlejung, Geschichte, 63), wird er im Folgenden, wo immer er etwas anderes als das 722 seiner Eigenstaatlichkeit entledigte Nordreich bezeichnet, in Anführungszeichen gebraucht.
[3] So konnte Eichrodt den Bundesbegriff als Aufbauprinzip seiner „Theologie des Alten Testaments" verwenden (vgl. bes. ders., Theologie 1, passim).
[4] Vgl. zur Rezeption des Bundesbegriffs im Neuen Testament vor allem die Bezugnahmen in den Paulusbriefen und dazu Merklein, Bund.
[5] Exemplarisch sei die Föderaltheologie des Coccejus im 17. Jh. genannt; vgl. zu Ursprung und Geschichte dieser altreformierten Lehrbildung Link, Föderaltheologie, 172-175.
[6] Vgl. dazu z.B. Zenger, Bundestheologie, bes. 44-49.
[7] Vgl. zu den drei als bryt apostrophierten Arten der Verpflichtung Kaiser, Theologie 3, 13-15.
[8] Vgl. Wellhausen, Prolegomena, 415f.

Vorbehalte.[1] Seit der Entdeckung der Zusammenhänge in den 1950er Jahren gilt die Verhältnisbestimmung von Bundestheologie und Altem Orient als eine ungelöste Aufgabe der alttestamentlichen Wissenschaft. Dabei werden in der vergleichenden Forschung vor allem drei Fragerichtungen lebhaft diskutiert, die zugleich den Hauptgegenstand der vorliegenden Studien bilden:

(1.) Woher stammen die in den bundestheologischen Texten rezipierten vertragsrechtlichen Vorstellungen und Sprachformen?

(2.) Wann ist die Bundestheologie ausgebildet worden?

(3.) Wie könnte der Rezeptionsprozess verlaufen sein, an dessen Ende die Bundestheologie stand?

Etappen der Forschungsgeschichte

Ausgangspunkt der vergleichenden Forschung auf dem Gebiet der Bundestheologie, die im Jahr 1954 mit den Beiträgen „Ancient Oriental and Biblical Law" und „Covenant Forms in Israelite Tradition" von G. E. Mendenhall ihren Anfang nimmt, sind zwei diametral entgegenstehende Ortsbestimmungen der Bundestheologie, die mit den prominenten Namen J. Wellhausen und M. Weber zu verbinden sind. Die forschungsgeschichtliche Skizze[2] [3] zum Thema „Entstehung der Bundestheologie im Alten Testament" soll deshalb mit einer knappen Gegenüberstellung dieser beiden Ansätze beginnen. J. Wellhausen hat sich im ausgehenden 19. Jh. in seinen epochalen „Prolegomena" gegen eine vorstaatliche Datierung der Bundestheologie in mosaische Zeit ausgesprochen. Für ihre Interpretation als ein - erst mit der Einführung des deuteronomischen Gesetzes durch Joschija von Juda im Jahr 62211 Gewicht erlangendes[4] - spätes Theologumenon führt Wellhausen neben dem Konkordanzbefund[5] vor allem die religionsgeschichtliche Entwicklung von einem „natürlichen" zu einem „sittlich
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[1] Vgl. zu diesem Problemkreis Lohfink, Wandlung, 423-444, bes. 423-432. - In diesen Bereich gehört auch die semantische Neubestimmung von hebr. bryt, die am nachdrücklichsten von Kutsch gefordert worden ist: „Für das Verständnis von berit ist von der Bedeutung Bestimmung4, ,Verpflichtung' auszugehen. Je nach dem Kontext ist von da aus die Selbstverpflichtung, Zusage wie auch die Fremdverpflichtung, das Gebot, Gesetz gemeint; und nur bei wechselseitiger Verpflichtung mehrerer ,Parteien' kann sich - im profanen, nicht aber im theologischen Bereich - für berit auch der Sinn von ,Bund' o.ä. nahe legen." (ders., Bund, 398)
[2] Die Skizze erhebt in keiner Weise den Anspruch auf Vollständigkeit. Für einen ausführlicheren forschungsgeschichtlichen Überblick sei auf den Exkurs „Der Ursprung der Bundestheologie in Assyrien und Juda. Eine forschungsgeschichtliche Orientierung" in Otto, Gottes Recht, 128-166, verwiesen. - Die Auseinandersetzung mit Forschungspositionen zu Einzelproblemen erfolgt jeweils z. St.
[3] Die chronologische Näherbestimmung „vor" bzw. „nach Christus" erfolgt in der vorliegenden Arbeit nur dann, wenn sie sich nicht aus dem Kontext eindeutig erschließen lässt.
[4] Vgl. Wellhausen, Prolegomena, 417.
[5] Vgl. a.a.O., 416: „Der Name Berith [.] findet sich bei den alten Propheten noch nicht, selbst nicht bei Hosea [.]."

bedingten" Gottesverhältnis an, die sich ihm als Folge der chronologischen Neubestimmung der literarischen Größen Prophetie, Deuteronomium und Priesterschrift nahe legt:13 [1]

„Auch in der späterhin so sehr beliebt gewordenen Form des Bundes hat die Theokratie nicht seit Moses existirt. Das Verhältnis Jahves zu Israel war von Haus aus ein natürliches; kein zum Nachdenken geeignetes Zwischen trennte ihn von seinem Volke. Erst seitdem durch Syrer und Assyrer die Existenz Israels bedroht wurde, hoben Propheten wie Elias und Amos die Gottheit hoch über das Volk hinaus, zerschnitten das natürliche Band zwischen ihnen und setzten ein bedingtes und zwar sittlich bedingtes Verhältnis an die Stelle."

Als ein in der weiteren Diskussion Ton angebender Gegenspieler des Wellhausen'schen Spätdatierungsprogramms ist M. Weber mit seiner religionssoziologischen These einer „israelitischen Eidgenossenschaft" in vorstaatlicher Zeit anzusprechen. Weber leitet den mosaischen Ursprung der Bundestheologie von der von ihm für das vorstaatliche „Israel" postulierten institutionellen Ver- fasstheit der Stämme und insbesondere einzelner religiöser Gruppierungen ab:[2]

„Die Bedeutung des ,Bundes'-Begriffs für Israel an sich hat ihren Grund darin, dass die alte Sozialverfassung Israels zum sehr wesentlichen Teil auf einer durch Kontrakt regulierten Dauerbeziehung grundbesitzender Kriegersippen mit Gaststämmen als rechtlich geschützten Metöken: Wanderhirten und Gasthandwerkern, Kaufleuten und Priestern, beruhte. Ein ganzes Gewirr solcher Verbrüderungen [...] beherrschte die soziale und ökonomische Gliederung. Dass aber der Bund mit dem Gott Jahwe selbst eine für Israels Selbstbeurteilung seiner Gesamtstellung unter den Völkern grundlegende Konzeption wurde, hing mit [.] [der] außerordentliche[n] Stabilität eines bestimmten Verbandstypus [zusammen], der sich gerade bei diesen nicht vollsesshaften Schichten findet: des religiösen Ordens oder ordensartigen Kultverbandes. Als tragfähige Basis für politische und militärische Organisationen auf lange Sicht scheint geradezu nur ein derartiger religiöser Verband geeignet gewesen zu sein."

Die Eigenheit der „israelitischen" Bundeskonzeption als „Bundesschließungen mit dem Gott selbst, der also bei der Rache des Bundesbruchs seine eigenen verletzten Vertragsrechte, nicht nur die seinem Schutz empfohlenen Ansprüche der vertragstreuen Partei vertritt"[3], ergibt sich nach Weber ihrerseits aus der spezifischen „israelitischen" Gotteskonzeption:[4]

„Er war, wie wir annehmen müssen: seit Mose, der Bundesgott des israelitischen Bundes und, dem Zweck des Bundes entsprechend, vor allem der Bundeskriegsgott. Aber dies war er in sehr eigener Art. Durch einen Bundesvertrag ist er dazu geworden. Und dieser Vertrag musste außer unter den Bundesgliedern auch mit ihm selbst abgeschlossen werden deshalb, weil er nicht ein inmitten des Volkes residierender oder schon bekannter, sondern ein bisher fremder Gott war und ein ,Gott aus der Ferne'
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[1] A.a.O., 415f.
[2] Weber, Judentum, 354 (kursiv im Original).
[3] A.a.O., 352 (kursiv im Original).
[4] A.a.O., 423-425 (kursiv im Original).

blieb. Dies war das Entscheidende der Beziehungen. Jahwe war ein Wahlgott. Durch berith mit ihm hat sich ihn das Bundesvolk erwählt, ganz ebenso wie es sich später durch berith seinen König einsetzte. Und umgekehrt hat er dieses Volk aus allen anderen nach freiem Entschluss erwählt. Das hält er dem Volk durch die priesterliche Thora und die prophetischen Orakel später immer wieder vor: aus freier Gnade hat er dies und kein anderes Volk sich als sein Volk ausersehen, ihm Verheißungen gegeben wie keinem andern und dafür seine Versprechungen entgegengenommen. Und daher war nun überall, wo das Bundesvolk als solches eine berith machte, er, der Gott, der ideelle Gegenpartner. Alle Verletzungen der heiligen Satzungen waren also nicht nur Verstöße gegen Ordnungen, die er garantiert, wie dies andere Götter auch tun, sondern Verletzungen der feierlichsten Vertragsverpflichtungen gegen ihn selbst."

Die von Weber eingeleitete institutionsgeschichtliche Verankerung der Vertragsvorstellung im vorstaatlichen „Israel" konnte in der Folge mit Hilfe der berühmten - jedoch inzwischen als widerlegt geltenden - Amphiktyonie-Hypo- these M. Noths aus dem Jahr 1930 noch einmal bekräftigt werden.[1]

Die erste Etappe der vergleichenden Forschung auf dem Gebiet der Bundestheologie beginnt - nach kleineren Vorarbeiten[2] - erst nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1950er Jahren, obwohl die einschlägigen hethitischen Vergleichstexte schon seit Jahrzehnten ediert[3] und juristisch interpretiert[4] vorlagen. Vor dem Hintergrund der Wellhausen-Weber'schen Datierungskontroverse kommt dem außerbiblischen Vergleichsmaterial von Anfang an die Rolle der entscheidenden external evidence zu. So formuliert G. E. Mendenhall, der Pionier der vergleichenden Forschung:[5]

„Da es bekanntlich schwierig ist, die Geschichte der israelitischen Religion aus den Geschichtsüberlieferungen der Bibel zu rekonstruieren, braucht der Historiker ein außerhalb dieses Buches liegendes Kriterium für die Prüfung seiner Theorien."

Dieses Kriterium erblickt Mendenhall im Formzusammenhang zwischen alttestamentlichen bundestheologischen Texten und dem von hethitischen Vasallenverträgen bezeugten Vertragsformular. Vor allem der Dekalog (Ex 20// Dtn 5) zeige nach Mendenhall eine große Nähe zum Aufbau der hethitischen Texte, wobei der biblischen Abfolge von Selbstvorstellung Jhwhs und Ge- bzw. Verboten in den Vasallenverträgen die von Korosec ermittelte feste Abfolge Präambel - Vorgeschichte - Vertragsbestimmungen entspreche.[6] Nach Mendenhall ist der Formzusammenhang zwischen alttestamentlichen Texten wie dem Dekalog und dem Vertragsformular der hethitischen Vasallenverträge aus dem 2. Jt.
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[1] Die These sowie die entscheidenden Gegenargumente werden dargelegt bei Donner, Geschichte
1, 72-76.
[2] So hat Noth 1938 erstmals die hethitischen Staatsverträge für seine Interpretation von Dtn 28 in Anspruch genommen, vgl. ders., Fluch, bes. 161-165.
[3] Vgl. Friedrich, Staatsverträge I/II; Weidner, Dokumente.
[4] Vgl. Korosec, Staatsverträge.
[5] Mendenhall, Recht, 27.
[6] Vgl. Korosec, Staatsverträge, 12-14.

geeignet, auf formgeschichtlichem Umweg eine Entscheidung in der Datierungskontroverse zugunsten der Weber-Noth'schen institutionellen Verankerung des Bundesbegriffs im vorstaatlichen „Israel" herbeizuführen:[1]

„Israelitische Überlieferungen betrachten den Bund am Sinai als das Ereignis, dem Israel sein Dasein als besonderes religiöses Gemeinwesen verdankt. Gegen diese Sicht vom Ursprung Israels wandte sich Wellhausen, der die israelitische Religionsgemeinschaft vielmehr als das Produkt eines sehr langsamen Wachstumsprozesses ansah. Demgegenüber wissen wir heute, dass Bundesverhältnisse die wichtigste Grundlage für Beziehungen zwischen ursprünglich getrennten Gruppen darstellten, und dass die Bildung einer neuen Rechtsgemeinschaft sowie die Übernahme neuer rechtlicher Pflichten sich am natürlichsten durch Bundesschluss vollzog. Das Bestehen eines durch Bundesschluss zusammengehaltenen sakralen Stämmeverbandes kann für die Richterzeit kaum mit vernünftigen Gründen in Zweifel gezogen werden. Die Hauptfrage ist, ob dieser Stämmebund in der nomadischen Zeit vor der Landnahme einen Vorläufer gehabt hat. Der Schreibende glaubt, dass der Stämmebund nur von der Annahme aus verstanden und erklärt werden kann, dass er die bewusste Fortführung einer älteren, bis auf die Mosezeit zurückgehenden Tradition darstellt. Der Bund am Sinai war das formale Mittel, durch das die halbnomadischen Sippen, die kurz zuvor der Sklaverei in Ägypten entronnen waren, zu einem religiösen wie politischen Gemeinwesen zusammengeschlossen wurden. Der Text dieses Bundes ist der Dekalog."

Während Mendenhall im Textbereich Ex 19-24 sowie in Jos 24 mit einem direkten Einwirken der in etwa zeitgleichen hethitischen Vertragsrechtstradition aus dem 2. Jt. rechnet,[2] sieht er in der Bundeskonzeption des jüngeren Deuteronomiums lediglich eine Fortentwicklung der primären Vertragskonzeption,[3] da diese ihm zufolge im 1. Jt. nicht länger bekannt gewesen sei:[4]

„Der uns beschäftigende Bundestypus gewinnt als Ausgangspunkt für die Untersuchung israelitischer Traditionen noch an Wichtigkeit, wenn man bedenkt, dass er sehr wahrscheinlich den Zusammenbruch der großen Reiche gegen Ende des zweiten vorchristlichen Jahrtausends nicht überlebt hat. Als dann von neuem Großreiche aufstiegen, man denke vor allem an Assyrien, war die Struktur von Bundesschlüssen eine völlig andere. Der Verfasser glaubt, dass selbst im Israel der nachsalomonischen Zeit die ältere Bundesform nicht mehr allgemein bekannt war, obgleich deren charakteristische Züge in der späteren Entwicklung religiöser Ideen - besonders bei den Propheten - weiterhin eine bedeutende Rolle spielten."

Der Beobachtung, dass hethitische und assyrische Vertragstexte strukturelle Unterschiede zu erkennen geben, ist auch nach wachsender Kenntnis der Quellen prinzipiell beizupflichten.[5] Mendenhalls darauf aufbauende Datierungsthese ist
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[1] Mendenhall, Recht, 7f (vgl. dazu die Anm. 7-9).
[2] Vgl. a.a.O., 38-47.
[3] Vgl. a.a.O., 50-54.
[4] A.a.O., 32f.
[5] Vgl. zur Unterscheidung der westlichen von der mesopotamischen Vertragsrechtstradition u. S. 23.

jedoch zu Recht in Zweifel gezogen worden[1] [2] und angesichts der traditionsgeschichtlichen Kontinuität zwischen den hethitischen Vertragstexten und den aramäischen Vertragstexten der Inschriften von Sfire aus dem 8. Jh.,30 die das Fortleben hethitischer Traditionen im 1. Jt. bezeugen, auch von rezeptionsgeschichtlichen Seite als zu kompliziert von der Hand zu weisen.[3] Mendenhall gebührt aber zweifelsohne das Verdienst, die „babylonische Gefangenschaft der alttestamentlichen Bundestheologie in endogen-inneralttestamentlichen Er- klärungsmustern"[4] ein für alle Mal beendet zu haben.

Mendenhalls Entdeckung erlebte in den folgenden Jahren unter dem von K. Baltzer geprägten Kunstwort „Bundesformular"[5] einen fulminanten Siegeszug innerhalb der alttestamentlichen Wissenschaft.[6] Dabei waren die Erwartungen an die „Wunderpille"[7] „Bundesformular" hoch gesteckt. N. Lohfink prophezeite gar, dass seine Entdeckung „noch zu mehreren größeren Revisionen in der Literarkritik des Pentateuchs zwingen [werde]"[8]. Wenige Jahre später sollte sich jedoch zeigen, dass genau das Gegenteil der Fall war: Die Pentateuchforschung brachte in der Folge die These einer Gestaltung einschlägiger Textbereiche (wie z.B. der Sinaiperikope) nach dem „Bundesformular" zu Fall, indem sie zeigen konnte, dass die einzelnen Formelemente, sofern sie denn je vorhanden waren, verschiedenen literarischen Schichten zugehören.

Die mit der Studie „Treaty and Covenant" von D. J. McCarthy beginnende zweite forschungsgeschichtliche Etappe[9] schließt zeitlich dicht an die vorangehende an und trägt Züge einer Übergangsphase, da neben deutlichen Neuakzentuierungen - z.B. in der Eingrenzung der für den Vergleich herangezogenen alttestament-
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[1] Vgl. z.B. McCarthy, Treaty, 7: „I believe, that in spite of more or less significant variations in the different manifestations of the treaty there was in fact one treaty form which was used for international agreements throughout most of the history of the pre-Hellenic near east. Hence the occurence of the form does not by itself offer an adequate criterion for dating a document or an event."
[2] Vgl. dazu Koch, Hatti, und in dieser Arbeit S. 52-78.
[3] Mendenhall rechnet selbst mit der Möglichkeit, dass Texte bekannt werden könnten, die das Fortleben der hethitischen Vertragsrechtstradition im 1. Jt. belegen, vgl. ders., Recht, 33, Anm. 19.
[4] Otto, Gottes Recht, 147.
[5] Vgl. Baltzer, Bundesformular, passim, der bei weitgehender Ausblendung historischer Fragestellungen die Textbasis im Alten Testament sowie in frühjüdischen und -christlichen Texten noch einmal enorm verbreiterte und in den Texten zwischen Bundesschluss, Bundeserneuerung und Bundesbestätigung unterschied.
[6] Vgl. z.B. von Rad, Deuteronomium, 15; vgl. zu den Erben und Kritikern Mendenhalls McCarthy, Gottesbund, 40ff.
[7] So mit kritischem Unterton McCarthy, Gottesbund, 54; vgl. auch - in seiner Kritik über McCarthy hinausgehend - Perlitt, Bundestheologie, 4f.
[8] Lohfink, Wandlung, 425.
[9] Die erste Auflage erschien 1963; zitiert wird im Folgenden nach der zweiten Auflage von 1978 (McCarthy, Treaty).

lichen Texte - grundsätzlich an der Vergleichsgröße „Bundesformular" festgehalten wird. Der größte Unterschied zu den Arbeiten von Mendenhall und Baltzer besteht in der Verbreiterung des altorientalischen Vergleichsmaterials auf Quellen des 1. Jt.[1] Voraussetzung dafür ist ein sensationeller archäologischer Fund etlicher assyrischer Vertragstafeln in Nimrud im Jahr 1955. Waren an neuassyrischen Vertragstexten bis dato lediglich einzelne, wenig aussagekräftige Fragmente bekannt, so änderte sich die Lage grundlegend mit der Entdeckung der Tafeln des Sukzessionsvertrags Asarhaddons (EST), die 1958 von D. J. Wiseman als „Vassal-Treaties of Esarhaddon" (= VTE) veröffentlicht worden sind.[2] Dieser und weitere neuassyrische sowie bis dahin schlecht zugängliche aramäische Vertragstexte aus dem 9.-7. Jh. gaben der Frage nach dem Alter der Bundestheologie ganz neue Impulse und führten in letzter Konsequenz zu ihrer Spätdatierung in die ausgehende judäische Königszeit.

McCarthy äußerte nicht zuletzt Zweifel an Mendenhalls historischer Schlussfolgerung einer Frühdatierung der Rezeption des Vertragsrechts aufgrund der hethitischen Vergleichstexte. Neben den für eine Abhängigkeit von diesem Textkorpus fehlenden historischen Voraussetzungen spreche gegen eine vorstaatliche Verortung der Bundestheologie auch die Beobachtung, dass das von Mendenhall im Alten Testament zu Tage geförderte „Bundesformular" aus Vorstufen (Ex 19,3b-8; Jos 24,2-24; 1Sam 12) erst in der Zeit zwischen dem Fall Samarias 722 und der Epoche Joschijas[3] im Urdeuteronomium (nach McCarthy: Dtn 4,44-28,68[4]) voll entwickelt vorliege:[5]

„Es ist zweifellos bedeutsam, dass das Vertragsformular sich beim grundlegenden Sinaibund nicht eindeutig nachweisen lässt, dass die Texte, in denen es sicher auftritt, verhältnismäßig spät sind und die anderen Texte, in denen wenigstens Elemente des Formulars mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit vorgefunden werden können, meist ebenfalls als spät angesetzt werden - praktisch als Texte der deuteronomistischen Schule oder mindestens stilistisch damit verwandt. Dieser Sachverhalt müsste nochmals und gründlicher untersucht werden. Es könnte sein, dass das Bundesformular nur mit dem Dt und nördlichen (israelitischen im Gegensatz zu judäischen) Traditionen zusammenhängt, während es im Süden fehlt."

Mit McCarthys These einer Abhängigkeit des Urdeuteronomiums vom altorientalischen Vertragsformular, das ihm zufolge nicht einer bestimmten Vertragsrechtstradition zugeschlagen werden könne,[6] beginnt von Seiten der
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[1] Vgl. McCarthy, Treaty, 7.
[2] Wiseman, Vassal-Treaties. Die in der vorliegenden Arbeit gebrauchte Abkürzung EST geht auf die aktuelle Standardedition von Parpola/Watanabe in SAA II 6 zurück, in der der Text als „Esarhaddon's Succession Treaty" bezeichnet wird.
[3] Vgl. McCarthy, Treaty, 290.
[4] Vgl. a.a.O., 158.
[5] McCarthy, Gottesbund, 51f; vgl. auch ders., Treaty, 293: „But it is only Urdt which finally, stimulated by such efforts - it develops their special language - and by acquaintance with the international vassal treaties, gives a full expression of the covenant idea in the form of a treaty." Vgl. dazu a.a.O., 156-298, bes. 277-298.
[6] Vgl. a.a.O., 7.

traditions- bzw. formgeschichtlichen Forschung eine Annäherung an das an den biblischen Texten selbst erhobene Wellhausen-Paradigma einer Spätdatierung der Bundestheologie. Mit der Konzentration auf das Deuteronomium ist überdies der Weg geebnet für genauere formale, inhaltliche, aber auch sprachliche Vergleiche mit den Vertragstexten des 9.-7. Jh., wobei der am besten erhaltene neuassyrische EST aus dem Jahr 672 eine dominierende Rolle zu spielen beginnt. In diesem Zusammenhang begegnen erstmals Thesen einer literarischen Abhängigkeit einschlägiger Deuteronomiumstexte von assyrischen Vertragstexten im Allgemeinen[1] oder dem EST im Besonderen.[2] Für Forscher wie M. Weinfeld fügt sich die doppelte Erkenntnis, dass der Einfluss des altorientalischen Vertragsrechts im Buch Deuteronomium am besten greifbar ist und die neuassyrischen Vertragstexte die nächsten Parallelen bieten, ausgezeichnet zu der schon älteren These, nach der das Deuteronomium aufgrund der Erzählung 2Kön 22f in die ausgehende Königszeit zu datieren ist, die auf W. M. L. de Wette zurückgeht:[3]


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[1] Vgl. z.B. Borger, Asarhaddon-Verträge, 191f; Weinfeld, Traces, 423.
[2] Vgl. z.B. Frankena, Vassal-Treaties, 151.
[3] Weinfeld, Deuteronomy, VII.

„A close study of these treaties [gemeint ist der EST, CK], the longest ever discovered in Mesopotamia, revealed a great number of parallels to the covenant form of the book of Deuteronomy (which is not surprising in view of the fact that the vassal treaties of Esarhaddon were written in 672 B.C., that is, close to the time of composition of the book of Deuteronomy). The similarity in the formulation of the deuteronomic Covenant and the Assyrian treaties led me to infer that trained scribes of the Judean court transferred literary patterns from the political sphere, with which they were intimately familiar, to the religious sphere in which they began to be active during the Hezekian-Josianic reign. In fact, the evidence from contemporaneous Assyrian literature adds a new dimension to de Wette's hypothesis about dating Deuteronomy."

Der Fortschritt dieser zweiten Etappe liegt nicht zuletzt darin, dass einerseits neben dem hethitischen Vergleichsmaterial die assyrischen und aramäischen Quellen aus dem 1. Jt. einbezogen werden und andererseits das Buch Deuteronomium als Quellort der Bundestheologie geltend gemacht wird. Problematisch ist allerdings das Festhalten an der Vergleichsgröße „Bundesformular", das überdies mit einem mangelnden Problembewusstsein für die Tiefendimension des Deuteronomiums einhergeht; beide Defizite werden in der dritten Etappe einer Lösung zugeführt.

Zwischen den ersten Aufbrüchen der 1950er und 60er Jahre und der dritten forschungsgeschichtlichen Etappe der 1990er Jahre erstreckt sich eine längere Phase des „Bundesschweigens". Dazu hat nicht zuletzt eine Monographie L. Perlitts beigetragen, in der er den in der vergleichenden Forschung vernachlässigten Begriff bryt wieder in den Mittelpunkt stellte, um die dtn/dtr Herkunft der Bundestheologie zu erweisen:47

„Eine Bundestheologie kann zwar gewiss nicht vom lexikalischen Befund des Wortes tyrb her geschrieben werden, aber ebenso gewiss auch nicht ohne oder gegen ihn. Ein flüchtiger Blick in die Konkordanz enthüllt nämlich, warum gerade jene Bemühungen um den Gottesbund, die auf das Wort tyrb beinahe ganz verzichten, zu den umfassendsten Konzeptionen gelangen: Das Wort findet sich nicht in allen, sondern nur in sehr begrenzten Textbereichen. Lässt man einmal seine Spätgeschichte (von der Priesterschrift bis zur Chronik) beiseite, so fällt die außergewöhnliche Konzentrierung des Begriffs in der Literatur des 7. bis 6. Jh.s, also der Literatur des ,Deuteronomismus', ebenso auf wie die Spärlichkeit der Belege in der sicher datierbaren Prophetie des 8. Jh.s."

In seiner Kritik an Mendenhall und seiner These einer aus dem Formzusammenhang zwischen bundestheologischen Texten und dem hethitischen Vertragsschema erschlossenen historischen Nähe geht Perlitt noch weit über
McCarthy hinaus.[1] Dass Perlitt in seinen Analysen das altorientalische Vergleichsmaterial weitgehend ausgeblendet hat, ist ihm vielfach vorgeworfen worden.[2] Aus heutiger Sicht geurteilt schärfte dieser Verzicht jedoch das Bewusstsein dafür, dass die Frage nach der Datierung der Bundestheologie ihren Ausgangspunkt bei den alttestamentlichen Texten selbst zu nehmen hat - eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die in seiner Zeit (und z. T bis heute) in Vergessenheit geraten war. Perlitts literarhistorische Verortung der Bundestheologie in die ausgehende Königszeit in Juda spiegelt nach wie vor die opinio communis der Forschung.[3]

Auf dem von Perlitt gelegten Fundament erfolgte die schlagende Kritik an Mendenhall und seinen Erben von Seiten der redaktionsgeschichtlich orientierten neueren Deuteronomiumsforschung, die - der Tiefendimension des Deuteronomiums eingedenk - vermehrt zwischen dtn und dtr Textanteilen unterscheidet und letztere nun auch innerhalb des Gesetzeskerns Dtn 12-26 erblickt. H. D. Preuß kritisierte Anfang der 1980er Jahre zu Recht das in der vergleichenden Forschung bis dato zu beobachtende mangelnde Problembewusstsein für diachrone Fragestellungen:[4]

„Bei der Aufdeckung paralleler Strukturen zwischen den Vertragstexten und dem Dtn wurden und werden literarkritische und redaktionsgeschichtliche Fragen des Dtn.s und seiner Schichten weithin merkwürdig ausgeklammert oder überspielt."

Gegen McCarthy und Weinfeld ist mit Preuß zu sagen, dass „[d]ie dtr Rahmung des Dtn.s [...] doch nicht für die Erschließung des Aufbaus auch des Urdtn.s herangezogen werden [kann]".[5] Entsprechende Thesen setzen nämlich voraus,

„dass bereits das mögliche Urdtn unter Josia seine äußere Gestalt und damit auch einen gewissen Umfang in Analogie zum ,Bundesformular' der Vertragstexte erhalten hatte. Stehen Schreiber des Jerusalemer Hofes hinter dem Dtn als ,Verfasser', muss bereits auf den Stufen der dtn Sammlung und der dtn Redaktion, nicht aber erst der dtr Redaktion die bewusste Kombination von Vertrag und Gesetzbuch erfolgt sein [.]. Dies aber lässt sich weder literarkritisch noch redaktionsgeschichtlich bisher klar erweisen [.]"[6]


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[1] A.a.O,, 4: „Einer durch Formanalysen und -vergleiche geübten und geprägten Forschergeneration fällt der Sprung über historische und geographische Hürden in die Welt der altorientalischen (besonders hethitischen) Staatsverträge manchmal relativ leicht."
[2] Vgl. z.B. Lohfink, Bundestheologie, 330.
[3] Vgl. Gertz, Bund, 1864.
[4] Preuß, Deuteronomium, 67.
[5] Ebd.
[6] A.a.O., 69.

Im Hinblick auf einen Formzusammenhang zwischen dem Deuteronomium und dem Vertragsschema ist mit Preuß festzustellen, dass nach Abzug der als dtr verdächtigten Texte „für ein vollständiges ,Bundesformular' doch etwas zu viel [fehlt]".[1] Somit war dem „Bundesformular" - nach seiner allmählichen Verdrängung aus anderen Textbereichen - jetzt auch im Deuteronomium der Abschied gegeben.

Die vergleichende Forschung der 1990er Jahre, die als dritte forschungsgeschichtliche Etappe vorgestellt werden soll, reagiert auf die veränderte Forschungslage, indem sie nicht länger auf rein synchroner Textebene strukturelle Parallelen zwischen ganzen biblischen Textbeständen und dem Aufbauschema der Verträge identifiziert, sondern ihren Vergleich auf einschlägige, vorher literarkritisch und redaktionsgeschichtlich analysierte Kapitel im Deuteronomium konzentriert. Der Übersichtlichkeit halber sollen an dieser Stelle lediglich die beiden die gegenwärtige Debatte beherrschenden Entwürfe von T. Veijola und E. Otto vorgestellt werden, die sowohl in literar- wie in traditionsgeschichtlicher Hinsicht für diametral entgegengesetzte Entstehungsmodelle der Bundestheologie im Deuteronomium stehen.

T. Veijola interpretiert das Deuteronomium vor dem Hintergrund des so genannten Göttinger Schichtenmodells, das innerhalb des DtrG[2] mit durchgehenden dtr Bearbeitungen operiert. Die bundestheologischen Texte im Deuteronomium, für deren Identifikation Veijola formale und inhaltliche Kriterien beibringen kann, verdanken sich ihm zufolge einer Redaktionsschicht DtrB:[3]

„Eine noch bedeutendere Rolle als DtrP und DtrN spielt im Dtn ihr frühnach- exilischer Schüler, der von Christoph Levin 1985 eingeführte bundestheologische Deuteronomist (DtrB), der angefangen mit Dtn 4 sowohl die Paränese wie auch das Gesetz tief greifend bearbeitet und dem Dtn seine heute noch prägende Gestalt verliehen hat. In formaler Hinsicht kennzeichnet sich DtrB einerseits dadurch, dass er für die Anrede Israels ohne Unterschied den Singular ,du' wie auch den Plural ,ihr' verwendet, was zu einem auffallenden Numeruswechsel geführt hat, und andererseits dadurch, dass er seine Texte gern in lockerer Anknüpfung an das Schema der altorientalischen Staatsverträge und Loyalitätseide gestaltet. Inhaltlich geht es dem DtrB vor allem um das Erste Gebot als vornehmste Verpflichtung des Gottesbundes, von dessen Einhaltung das Wohl und Wehe des Gottesvolkes abhängt (6,5.14; 7,4f;


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[1] A.a.O., 69f; vgl. auch schon Perlitt, Bundestheologie, 4f.
[2] Das so genannte „Deuteronomistische Geschichtswerk" (DtrG) ist als ein in der Exilszeit
[3]entstandenes, einheitliches Geschichtswerk in der gegenwärtigen Forschung umstritten (vgl. die Kritik bei Schmid, Wellhausen). Der offenen Diskussion eingedenk, soll dennoch im Folgenden der Begriff des Deuteronomistischen Geschichtswerks beibehalten werden.

8,19; 13,3.7.14 u.ö.). Es ist anzunehmen, dass DtrB ebenso wenig wie DtrP und DtrN eine Einzelperson war, sondern eher eine kleine Gruppe von geistesverwandten Redaktoren vertritt."

Veijolas literarhistorische Verortung von Dtn 13* in nachexilischer Zeit macht Ernst mit der Einsicht, dass das Deuteronomium auch innerhalb des Gesetzeskerns in großem Ausmaß dtr überarbeitet worden ist, wobei das Erste Gebot den inhaltlichen Maßstab bildet.[1] Als zu vage sind allerdings seine traditionsgeschichtlichen Schlussfolgerungen zu bezeichnen. Wenn Veijola etwa in Bezug auf DtrB bemerkt, dieser habe seine Texte „in lockerer Anknüpfung an das Schema der altorientalischen Staatsverträge und Loyalitätseide"[2] formuliert, so wird er m.E. den deutlichen Querbezügen speziell zwischen Dtn 13* und 28* und altorientalischen Vertragstexten nicht gerecht. Auch bleibt sein pauschaler Verweis auf die Zählebigkeit der Vertragskonventionen[3] als Erklärung für die Vertragsrechtstraditionen in Dtn 13* und die „verspätete" Rezeption der viel älteren hethitischen, aramäischen und assyrischen Vergleichstexte in nach- exilischer Zeit auffallend ort- und zeitlos.

Im Anschluss an eine Untersuchung H. U. Steymans'[4] fördert E. Otto in Dtn 13 und 28 vor-dtn Kerntexte zu Tage,[5] die sich ihm zufolge als Übersetzungen einzelner EST-Paragraphen begreifen ließen. Näherhin bildeten die Abschnitte Dtn 13,2-10*; 28,15*.20-44* einen judäischen Loyalitätseid für Jhwh, der der spätvorexilischen dtn Redaktion bereits vorgelegen habe und von dieser überarbeitet in das Deuteronomium eingebaut worden sei.[6] Wie schon Mendenhall bezüglich der hethitischen Vertragsrechtstradition mit deren Ende im ausgehenden 2. Jt. argumentiert hat, um damit die mosaische Herkunft der Bundestheologie zu garantieren, so versucht auch Otto seine Datierung der Rezeption des Vertragsrechts in die ausgehende judäische Königszeit mit einer zeitlichen Eingrenzung der postulierten altorientalischen Vorlage zu begründen:[7]

„Die Texte Dtn 13,2-10*; 28,15*.20-44* sind Übersetzungen aus den VTE [= EST], die zusammengefügt eine literarische Einheit der Gattung des Loyalitätseides ergeben. Der Zeitraum der Abfassung dieses Loyalitätseides kann auf die Jahre zwischen 672 v. Chr., dem Jahr der Abfassung der VTE als terminus a quo, und 612 v. Chr., dem Jahr des Untergangs des neuassyrischen Reiches als terminus ad quem,
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[1] Vgl. Veijola, Wahrheit, passim.
[2] Veijola, Deuteronomium, 4.
[3] Vgl. Veijola, Wahrheit, 310.
[4] Steymans, Deuteronomium 28, 380, nimmt an, dass die - aufgrund der assyrischen Vorlage nach 672 zu datierende - vor-dtr Fluchsequenz Dtn 28,20-44* bei dem 2Kön 23 erzählten Verpflichtungsakt Joschijas bereits vorgelegen habe und somit zwischen 672 und 622 entstanden sei.
[5] Vgl. zu Ottos These einer vor-dtn Grundschicht in Dtn 13 (und 28) ders., Deuteronomium, 64.
[6] Vgl. a.a.O., 64-68.
[7] A.a.O., 68f.

eingegrenzt werden. Diese Datierung wird durch die bislang nicht ausreichend berücksichtigte Tatsache gestützt, dass die neuassyrische Gattung der Loyalitätseide ihre Funktion in der Sukzessionssicherung bei irregulärer Thronfolge hat und derartige Loyalitätseide in spätbabylonischer und persischer Zeit unbekannt sind."

Die Absicht der Rezeption besteht nach Otto darin, den assyrischen Herrschaftsanspruch über den judäischen Vasallenstaat im ausgehenden 7. Jh. in Frage zu stellen:[1]

„Man entzieht dem assyrischen König die religiöse Legitimation seiner Herrschaft, indem man den Loyalitätseid, der ihm geschworen wurde, direkt zitierend auf JHWH überträgt."

Im Gegensatz zu Veijola[2] macht Otto mit Recht deutlich, dass die bundestheologischen Texte im Deuteronomium nicht auf einer literarischen Ebene liegen und dass Dtn 13* und 28* der relativ ältesten Stufe angehören. Allerdings ist der vor-dtn bzw. -dtr Charakter der Kapitel bei Steymans, vor allem aber bei Otto, nur um den Preis einer rigorosen Literarkritik möglich, bei der als dtr anerkannte Formeln und Themen sowie Anspielungen auf das babylonische Exil als Nachträge ausgeschieden werden. Da das dtr Idiom aber nicht völlig zu beseitigen ist,[3] mehren sich die Stimmen derer, die schon die Kernbestände von Dtn 13 und 28 für exilisch-dtr halten.[4] Ein Fortschritt der von Steymans und Otto vorgelegten traditionsgeschichtlichen Analysen besteht darin, dass - vor dem Hintergrund einer Unterscheidung der mesopotamischen von der westlichen Vertragsrechtstradition - der spezifisch assyrische Einfluss ganz detailliert aufgezeigt worden ist. Problematisch ist freilich die damit einhergehende These einer literarischen Abhängigkeit der Kapitel von einem bestimmten assyrischen Vertragstext (nämlich dem EST), wobei andere mögliche traditionsgeschichtliche Vorbilder - z.B. der westlichen Tradition[5] - von vornherein ausgeblendet werden.

Eine für die künftige vergleichende Forschung richtungsweisende Einsicht, die sich im Lauf der Forschungsgeschichte Bahn gebrochen hat, besteht m.E. darin, den Quellort der Bundestheologie im Buch Deuteronomium zu suchen. Dabei ist nicht das altorientalische Vertragsschema komplett auf das Buch übertragen worden; vielmehr ist mit der Rezeption einzelner Vorstellungen und Sprachformen in - anfangs - einzelnen Kapiteln (Dtn 13* und 28*) zu rechnen, die erst
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[1] A.a.O., 74.
[2] Auch wenn Veijola in Bezug auf DtrB nicht eine Einzelperson, sondern „eine kleine Gruppe von geistesverwandten Redaktoren" (ders., Deuteronomium, 5) am Werk sieht, bleibt die Frage nach einer inner-dtr Differenzierung der bundestheologischen Texte bei ihm prinzipiell unbeantwortet.
[3] Vgl. die berechtigte Kritik bei Köckert, Ort, 83.
[4] Vgl. Levin, Verheißung, 87f; Pakkala, Monolatry, 20-50; Kratz, Komposition, 138; Gertz, Tora, 248. Eine Sonderstellung nimmt in diesem Punkt Dion, Deuteronomy 13, ein, der in Dtn 13* einen vorexilischen Dtr am Werk sieht (s. dazu u. S. 108f).
[5] Vgl. Loretz, Mari-Amurriter, 325-330; Rüterswörden, Dtn 13, 203; Morrow, Cuneiform Literacy, 212f; ders, Fortschreibung, 114-117.

auf einer literarisch späten Stufe das Buchganze als „Vertragsurkunde" (spr hbryt, vgl. 2Kön 23,2.21) zu verstehen geben. Von daher legt sich für das weitere Vorgehen eine Konzentration auf Dtn 13 und 28 als biblischer Textgrundlage der später erfolgenden traditionsgeschichtlichen Analysen nahe.