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4. Die Terminologie mit ’dy, ade und ’dwt

'dy in den aramäischen Inschriften von Sfire

Der aramäische Terminus 'dy erscheint in den Inschriften von Sfire gut 30mal und ausschließlich im Plural.[1] Obgleich bislang keine weiteren aramäischen Belege bekannt sind, ist kaum davon auszugehen, dass sich in den Vertragstexten von Sfire die ältesten oder gar einzigen Beispiele für 'dy befinden. Was die Semantik des Begriffs angeht, so ergibt sich aus seiner pluralischen Gestalt sowie dem Kontext der Belege, die in einem eidlich abgesicherten Vasallenvertrag erscheinen, die Grundbedeutung „Vertragsbestimmungen". In diesem Sinne begegnet der Begriff vielleicht schon in der Präambel der Vertragsstelen (Sf I A: 1):[2]

„Vertragsbestimmungen ('dy) des Bar-ga'yah, des Königs von Ktk, mit Mati'-'el ..., dem König von Arpad."

Doch wie die wiederholt vorkommende Repressionsformel „. sonst seid ihr eidbrüchig gegenüber allen Göttern des [Ver]trags ('lhy [']dy'), der in dieser Inschrift steht" [vgl. z.B. III: 14]) anzeigt, kann das Wort auch pars pro toto für den gesamten Vertrag stehen.[3]

ade - ein aramäisches Lehnwort im Akkadischen

Der Terminus ade erscheint in assyrischen Texten zum ersten Mal in dem Vasallenvertrag, den Assur-nerärl V. vermutlich im Jahr 754[4] dem Aramäer Mati'-'el von Arpad auferlegt hat. Einmal abgesehen von den eigentlichen Vertragswerken, die von da an stets den Titel ade tragen, begegnet das Wort seit der Regierungszeit Tiglatpilesers III. (744-727) regelmäßig in Königsinschriften und verschiedenen anderen Textsorten.[5] Ältere Belege sind bislang nicht be- kannt.[6] Etwa zeitgleich mit den ersten assyrischen Belegen taucht das Wort in
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[1] Nach Hoftijzer/Jongeling, Dictionary, 824, verteilen sich die Belege folgendermaßen: 'dn (Plur. abs.): I B: 24; 41; 'dy' (emph.): I A: 7; B: 7; 11; 23; 24; 33; 38; II B: 2; 18; III: 4; 7; 9; 14; 17; 19; 20; 23; 27; 'dy (cs.): I A: 1; 2; 3; 4; 13; B: 1; 4; 5; 6.
[2] Gefordert ist die Übersetzung mit „Vertragsbestimmungen" vor allem dann, wenn es um die konkreten Vertragsinhalte geht, die zu befolgen sind; vgl. z.B. Sf I B: 24.
[3] Vgl. Fitzmyer, Inscriptions, 58; Volkwein, „Bundesbestimmungen", 35; Hoftijzer/Jongeling, Dictionary, 824.
[4] Vgl. zur Datierung Parpola/Watanabe, Treaties, XXVII.
[5] Vgl. die Belege bei Watanabe, ade-Vereidigung, 10-23
[6] Die in AHw reklamierten mittelassyrischen Belege halten einer Überprüfung nicht stand, vgl. Watanabe, ade-Vereidigung, 9.

neubabylonischen Texten auf, wobei mit der Verbindung ade u mamit „Vertrag und Eid" auf innerstaatliche Beamteneide Bezug genommen wird, die in Assyrien erst im 7. Jh. belegt sind.[1] ade ist im Akkadischen wie im Aramäischen ein plurale tantum, das gleichwohl gelegentlich wie eine Singularform behandelt werden kann.[2]

Der Begriff ade löst im Verlauf des 8. Jh. die häufig als Hendiadyoin erscheinenden traditionellen akkadischen termini technici für „Vertrag",[3] riksu bzw. rikiltu und mamitu, ab, die ursprünglich die für einen Vertragsschluss konstitutiven Elemente „Bindung" und „Eid"[4] terminologisch differenzierten. Die gelegentlich neben dem einfachen ade promiscue gebrauchte Verbindung ade mamite[5] macht deutlich, dass das Element der Eidleistung bei dem Terminus ade immer mitgemeint ist.[6] Problematisch ist die Interpretation von Watanabe, wenn sie die ade-Vereidigungen von der älteren altorientalischen Vereidigungspraxis mit dem Argument abgrenzt, ade sei ein „religiöser Begriff", insofern er eine Form der Vereidigung bezeichne, die vor den Göttern und in Begleitung von religiösen Handlungen vollzogen werde.[7] Die Abwicklung der Vereidigungen vor den Göttern und in Verbindung mit religiösen Handlungen, die in der Regel eine bedingte Selbstverfluchung in Kraft setzten, teilen die ade-Vereidigungen mit den älteren altorientalischen Vereidigungen von Vasallen bzw. Untertanen des Vertragsherrn.[8] Als das entscheidende Spezifikum des Begriffs ade ist dagegen mit Watanabe zu betrachten, dass das Wort immer eine „politische bzw. öffentliche Vereidigung"[9] bezeichnet. Dieses königlich-staatliche, in jedem Fall aber offizielle Gepräge der ade-Vereidigungen ergibt sich aus der Beobachtung, dass das Wort im Gegensatz zu den älteren Termini mämitu, nis iläni, riksu usw. nie für ein privates Abkommen gebraucht wird.[10]

Was die Semantik des akkadischen ade angeht, so zeigt sich mit wachsender Kenntnis der Quellen, dass eine semantische Engführung und Festlegung
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[1] Vgl. Brinkman, Covenants, 99f, der die Verbindung mit „sworn covenants" übersetzt.
[2] Vgl. a.a.O., 82, Anm. 3.
[3] Vgl. Weinfeld, Covenant Terminology, 191, Anm. 3: „It seems however that the original meaning of these terms fell into oblivion after they were combined into a hendiadys and turned into a technical term for ,treaty'."
[4] Vgl. Korosec, Staatsverträge, 26, der die Termini im Blick auf die hethitischen Vasallenverträge folgendermaßen verdeutlicht: „Der 'attiherrscher stellt das riksu, die Vertragsbestimmungen, auf, während der Vasall durch deren Beschwörung, die mamitu seinen Konsens zum Vertragsabschluss ausdrückt."
[5] Vgl. Weinfeld, Covenant Terminology, 191: „In the Akkadian of the first millenium ade replaced the riksu/riksate of the second millenium and in accordance with this change the old riksu mamitu has been transformed into ade mamite."
[6] Vgl. auch Radner Vorbild, 353.
[7] Watanabe, ade-Vereidigung, 24.
[8] S. dazu Kap. II 1.
[9] Watanabe, ade-Vereidigung, 24.
[10] Vgl. ebd.

entweder auf „Treueid"[1] oder auf „Vasallenvertrag"[2] nicht überzeugt. Mit ade wird einerseits die Auferlegung einer Verpflichtung in einem Abhängigkeitsverhältnis auf den Begriff gebracht, wobei sowohl die direkten Untertanen als auch abhängige Herrscher in die Pflicht genommen werden können;[3] andererseits bezeichnet der Begriff aber auch gegenseitige Verpflichtungen unter gleichrangigen Herrschern.[4] Die Positionen von Watanabe und Parpola zusammenführend, bezeichnet der Pluralausdruck ade somit zunächst einmal ganz allgemein eine „Vereidigung",[5] wobei anschließend aufgrund der Adressaten bzw. des konkreten Anlasses greifbarere Etiketten wie „Treueid", „Vasallenvertrag" oder „Akzessions-" bzw. „Sukzessionsvertrag" vergeben werden kön- nen.[6]

Woher aber stammt das Wort ade? Seit der Veröffentlichung der Inschriften von Sfire wird eine Verbindung zwischen dem akkadischen ade und dem dort bezeugten aramäischen 'dy vermutet. Dabei schlägt neben der augenfälligen Wurzelverwandtschaft auch zu Gewicht, dass die Ausdrücke in den assyrischen und aramäischen Vertragstexten ganz analog verwendet werden, was ein Vergleich der „Überschriften" (in assyrischen Verträgen: ade sa A issi B445; in den Sfire-Inschriften: 'dy A 'm B) sowie der Formel „einen Vertrag (fest)setzen" (akk.: ade sakänu; aram.: sym 'dy)[7] [8] veranschaulicht.

In der Forschung werden hauptsächlich zwei Gründe namhaft gemacht, die
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[1] So zuerst Gelb, Rezension, 162.
[2] Vgl. z.B. Frankena, Vassal-Treaties, 134f.
[3] Vgl. Radner, Vorbild, 360-364.
[4] Vgl. a.a.O., 359f.
[5] Vgl. dazu auch Starke, Charakterisierung, 72, der sich für eine semantische Entwicklung des Begriffs ausspricht, wobei eine Bedeutungserweiterung von „Eid" zu „Vertrag" insofern plausibler sei, „als der Eid ein u.U. sogar wichtiger Bestandteil des Vertrages sein kann, indes der Vertrag kein konstitutives Element des Eides bildet". Dies vorausgesetzt, deutet allerdings die Verwendung des Begriffs in den Sfire-Inschriften darauf hin, dass die semantische Erweiterung zu „Vertrag" schon im Aramäischen stattgefunden hat; vgl. zur Etymologie von aramäisch 'dy Lemaire/Durand, Inscriptions, 94f und 105.
[6] Vgl. Parpola, Treaties, 182: „,Covenant' would probably be the closest equivalent in English, but ,treaty', ,pact', and even ,loyalty oath' are equally acceptable, depending on the context." Strittig ist allerdings die von Parpola, Treaties, 181, unter (1) und (2) dargebotene Interpretation der Sammeltafel SAA IX 3, in der er einen Vertrag zwischen Gott und König sowie zwischen verschiedenen Göttern sieht (vgl. dagegen Pongratz-Leisten, Herrschaftswissen, 77-80, sowie Weeks, Admonition, 48-50). Da nach assyrischem Verständnis Verträge immer auch eine Angelegenheit zwischen den Eidgöttern und den Vereidigten darstellen, sollte die in SAA IX 3 bezeugte Aufforderung an die Götter, in die ade (des Königs) einzutreten, nicht weiter verwundern; es ist keinesfalls zwingend, hierin ein abweichendes ade-Konzept zu sehen. - Der Terminus ade teilt im Übrigen die semantische Unbestimmtheit mit dem hebräischen Terminus für „Vertrag" bryt, der seinerseits drei Arten der Verpflichtung abdeckt, vgl. Kaiser, Theologie 3, 13-15.
[7] Vgl. Parpola/Watanabe, Treaties, XXXV.
[8] Vgl. auch Fitzmyer, Inscriptions, 69, sowie Gelb, Rezension, 161.

ade als aramäisches Lehnwort im Akkadischen erweisen sollen:[1]

Auf der einen Seite das späte Auftreten der Belege in assyrischen und babylonischen Texten. W. von Soden hat für die Identifikation von aramäischen Lehnwörtern folgende Faustregel aufgestellt:[2]

Wörter [...], die nur in neuass. oder neubab. Texten nach etwa 800 bezeugt und als aram. bekannt sind, werden wir oft als aram. Fremd- oder Lehnwörter im späten Akkadischen ansehen dürfen."

Auf der anderen Seite gab es für das Wort ade keine wirklich befriedigende innerakkadische Herleitung.[3] Zumindest in diesem Punkt hat aber J.-M. Durand einen plausiblen Lösungsvorschlag unterbreitet, demzufolge der Begriff ade einen spezialisierten Gebrauch von akk. adu „Arbeitspensum" (vgl. CAD A I, 135f [adu C]) reflektiere, ein Wort, das seit altbabylonischer Zeit belegt ist und auf sumerisch a2.du3 zurückgeht.[4] Dieser aus innerakkadischer Perspektive zunächst überzeugende Ableitungsversuch scheitert jedoch an der Tatsache, dass der Terminus auch im Aramäischen und Hebräischen belegt ist. Das Auftreten der Wurzel in drei verschiedenen Varietäten verlangt nach einer Erklärung, zumal weitere Gemeinsamkeiten wie die pluralische Gestalt und die ähnlichen Gebrauchsweisen ins Auge stechen. Drei Lösungen sind möglich: 1. Es liegen so genannte urverwandte Wörter vor; 2. Es liegt eine Entlehnung aus dem Akkadischen vor; 3. Es liegt eine Entlehnung aus dem Aramäischen vor.

Die morphologische Gestalt der Ausdrücke im Akkadischen und Aramäischen beweist, dass allein die dritte Alternative in Frage kommt. Aufgrund der sprachlichen Kontakte zwischen Mesopotamien und der Levante in neuassyrischer Zeit sind nämlich ausreichend aramäische Wörter im Akkadischen wie umgekehrt akkadische Wörter im Aramäischen und Hebräischen bezeugt, um nachweisen zu können, wie bei Wortentlehnungen mit der nordwestsemitischen Besonderheit der Laryngale verfahren wurde. Demnach sind die beiden vorangehenden Lösungsmöglichkeiten aufgrund der folgenden Beobachtungen ausgeschlossen:

Erstens erklärt allein die aramäische Herkunft des Wortes die Frage, warum dem aramäischen Laryngal ' im Akkadischen ein a und nicht ein e entspricht, wie es eigentlich bei sogenannten „urverwandten Wörtern" zu erwarten wäre (vgl. z.B. aram. 'rb und akk. erebu).[5]


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[1] Vgl. zu den Argumenten Volkwein, „Bundesbestimmungen", 34-36, und Veijola, Ableitung, 347-349.
[2] Von Soden, Wörter I, 4.
[3] Vgl. dazu Volkwein, „Bundesbestimmungen", 33f.
[4] Durand, Precurseurs, 70, Anm. 167. Der Vorschlag wird verhalten positiv aufgenommen bei Radner, Vorbild, 357.
[5] Vgl. von Soden, Grundriss, §§ 9 und 23b: Die Regel besagt, dass a in Silben, die mit ', das aus ' entstanden ist, beginnen oder schließen, zu e wird; vgl. dazu auch Fitzmyer, Inscriptions, 59: „The lack of such a shift is the best indication of a loanword."

Zweitens verbietet sich umgekehrt aber auch die Annahme einer Entlehnung des akkadischen ade ins Aramäische, da in diesem Fall der Vokal a im Aramäischen den Laryngal ' verlangt hätte.[1]

Folglich scheidet ein akkadischer Ursprung des Ausdrucks, den die von Durand vertretene mesopotamische Etymologie automatisch verlangt, aus.[2] Ausgeschlossen ist aber auch die vermittelnde These, akkadisch ade und aramäisch 'dy seien „urverwandte Wörter". Das so eindeutig identifizierte aramäische Lehnwort ade ist vermutlich im Zusammenhang mit der Westexpansion des neuassyrischen Reiches im 10. bis 8. Jh. v. Chr. zu sehen, als es zu zahlreichen Vertragsschlüssen mit aramäischen Staaten gekommen ist. Diese Verträge dürften zum Teil in aramäischer Sprache verfasst gewesen sein, wodurch sich der aramäische terminus technicus für „Vertrag" auch in der assyrischen Verwaltung etablieren konnte.[3] Weiter ist in Rechnung zu stellen, dass sich durch die mit der Expansion einhergehenden Massendeportationen gerade auch der Oberschichten eine starke aramäische Bevölkerungsschicht im neuassyrischen Reich ausbreiten konnte, weshalb von einer regelrechten „Aramaisierung" des neuassyrischen Reiches gesprochen werden kann.[4] Von Soden rechnet seit dem 8. Jh. mit 250-260 aramäischen Lehnwörtern in Mesopotamien,[5] und seit dem 7. Jh. verdrängt das Aramäische das Akkadische nach und nach als Sprache des Handels und der Diplomatie (vgl. 2Kön 18,26).

'dwt - ein aramäisches Lehnwort im Hebräischen

Ein dem aramäischen und akkadischen terminus technicus für „Vertrag" 'dy bzw. ade entsprechendes Wort hat in Gestalt von 'dwt auch Eingang in das Alte Testament gefunden. Das in der masoretischen Textgruppe verschieden voka-
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[1] Vgl. Kaufmann, Influences, 142: „Akkadian words beginning with a vowel have initial /'/ in their Aramaic forms." Kaufmann weitet die Regel noch einmal aus, indem er formuliert, „that there is [...] no firm evidence that any North West Semitic borrowing from an Akkadian word with an initial vowel has /*/." (ebd.) Kaufman kommt zu folgendem schlagenden Ergebnis: „[T]he etymological and phonetic evidence, as well as the occurrence of ade in late Akkadian only, almost certainly precludes an Akkadian origin for this political term." (a.a.O., 33) - Vgl. auch Lemaire/Durand, Inscriprions, 101-104.
[2] Vgl. zu diesem Einwand auch van Koppen/van der Toorn, Agreement, 12.
[3] Vgl. Parpola, Treaties, 183: „A perfectly natural explanation for the intrusion of ade into NeoAssyrian can be found in Assyria's expansion in the tenth through eighth centuries, which must have involved innumerable treaties imposed on Aramean city states that would naturally have been mostly drawn up in Aramaic. It is not hard to imagine that as a result of this repetitive process ade as a colloquial term for ,treaty' gradually gained foothold in Assyrian administrative parlance and then rapidly in Neo-Assyrian at large."
[4] Vgl. Tadmor, Aramaization, passim.
[5] Vgl. von Soden, Wörter III, 197.

lisierte Wort[1] wird aufgrund einer falschen etymologischen Herleitung häufig mit „Zeugnisse" (von 'd „Zeuge") übersetzt.[2] Wie B. Volkwein jedoch überzeugend dargelegt hat, besitzt hebräisch 'dwt eine etymologische und semantische Affinität zu den analogen Termini im Aramäischen und Akkadischen und sollte dementsprechend mit „Bundesbestimmungen" wiedergegeben werden.[3]

Das Wort spielt eine zentrale Rolle in der Priesterschrift, in der es den Dekalog als Grundlage des Sinaibundes bezeichnet (vgl. z.B. l"t h'dt[4] in Ex 31,18 mit l"t hbryt in Dtn 9,9).[5] Weitere Belege finden sich im Deuteronomium sowie in den Königebüchern.[6] In den meisten Fällen erweist der literarische Kontext den spät-dtr Entstehungszusammenhang (z.B. 1Kön 2,3; 2Kön 17,15; 23,3). Überall dort, wo der Kontext eine frühere Ansetzung ermöglichte, handelt es sich vermutlich um Glossierungen, so etwa in der wohl ältesten Überschrift des Deuteronomiums, Dtn 4,45,[7] oder in der Erzählung vom Sturz der Königin Atalja, 2Kön 11,12.[8]

Im Deuteronomium erscheint der Terminus 'dwt einmal in der Überschrift vor Kap. 5, das den Dekalog enthält, und zweimal in Kap. 6 (V. 17.20), das den Dekalog kommentiert. Da das Deuteronomium den Dekalog an anderer Stelle auch als bryt „Bund" bezeichnen kann (vgl. Dtn 9,9), ist damit zu rechnen, dass die Belege für 'dwt im Deuteronomium in irgendeiner Weise auf die sich einer späteren Redaktion verdankenden Zehn Gebote abzielen.[9] Dieser Bezug wäre
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[1] Volkwein, „Bundesbestimmungen", 19, behauptet zu Recht, dass die Unterschiede in der Vokalisation von 'd(w)t „auf das Konto der Masoreten" zurückgehen dürften; so auch Lohfink, (d(w)t, 167, Anm. 3. Am Anfang stand folglich die Pluralform (dwt, die vermutlich am Wortbeginn ein langes a hatte (= (ädöt) (vgl. Volkwein, „Bundesbestimmungen", 38). Die vom Aramäischen abweichende feminine Pluralendung dient wohl der Unterscheidung von 'dym „Zeugen", vgl. Veijola, Ableitung, 348.
[2] Vgl. dazu Volkwein, „Bundesbestimmungen", 21f. - Eine mögliche Erklärung für die Interpretation des Ausdrucks 'dwt als Abstraktform zu 'd „Zeuge" sieht Volkwein in den jungen Belegen für (dwt = marturia in Sir 34,23f und 36,20. „Es scheint nun, dass *(ädöt/(edöt in späterer Zeit mit diesem (edüt verwechselt wurde." (a.a.O., 39)
[3] Vgl. Volkwein, „Bundesbestimmungen", bes. 39.
[4] l"t h'dt entspricht exakt der akkadischen Formel —uppi ade „Vertragstafel", mit der die Assyrer die den Vertragspartnern übergebenen Abschriften der Vereidigungstafeln bezeichneten (vgl. Radner, Vorbild, 367-373). Vielleicht bildet dies den Erfahrungshintergrund für die dem Mose auf dem Sinai ausgehändigten Gebotstafeln (vgl. Ex 31).
[5] Vgl. Volkwein, „Bundesbestimmungen", 39f, und Simian-Yofre, dw[, 1126, der annimmt, dass P 'dwt immer dort gebrauche, wo in der dtn-dtr Tradition von bryt die Rede war.
[6] Außer acht bleiben können die 34 Belege in den jungen (Tora-)Psalmen, in denen 'dwt zu einem Gesetzesausdruck verblasst ist und häufig synonym zu twrh und anderen Gesetzestermini steht, vgl. zu sämtlichen Belegen im Alten Testament Simian-Yofre, dw[, 1125-1128.
[7] Vgl. Veijola, Deuteronomium, 123.
[8] Vgl. Würthwein, Könige 2, 348.
[9] Vgl. Hölscher, Komposition, 170, Anm. 1; Steuernagel, Deuteronomium, 71; Seitz, Studien, 36f; Nielsen, Deuteronomium, 68; Veijola, Deuteronomium, 123. - Braulik, Ausdrücke, 36, geht davon aus, dass der Begriff „wahrscheinlich 4,45; 6,17.20 das ganze ,Gesetz', den paräne- tischen Teil samt dem Gesetzeskorpus" bezeichne. Lohfink, 'd (w) t, 173, sieht demgegenüber in dem Begriff „die älteste noch greifbare begriffliche Bezeichnung des dt Gesetzes".

noch deutlicher, wenn sich herausstellen sollte, dass die spät-dtr Belege schon von P beeinflusst sind - eine Annahme, die mit der Beobachtung, dass der Begriff in P zentral, aber in der dtr Literatur marginal ist, an Plausibilität gewinnt.[1] Die Überschrift zum Dekalog, die mit den älteren Gesetzestermini "qym wmsp—ym „Satzungen und Rechte" zugleich das deuteronomische Gesetz in 12-26 in den Blick nimmt (vgl. Dtn 11,32), kann folgendermaßen übersetzt werden:[2]

„Dies sind die Bundesbestimmungen (h'dt) und die Satzungen und Rechte (h"qym whmsp—ym), die Mose den Israeliten sagte, als sie aus Ägypten auszogen."

T. Veijola konnte zeigen, dass aus dem aramäischen Lehnwort 'dwt „Bundesbestimmungen" im Hebräischen offensichtlich auch ein Verbum 'wd hi denominiert worden ist.[3] Dessen Grundbedeutung „Bundesbestimmungen auferlegen" er- gibt sich aus der etymologischen und semantischen Verwandtschaft zwischen h'yd und 'dwt, die insbesondere in der figura etymologica in 2Kön 17,15 und Neh 9,34 zum Ausdruck kommt.[4] Der an dieser Stelle interessantere Beleg in 2Kön 17,15 erscheint im Zusammenhang einer theologischen Deutung des Untergangs des Königreiches Israel aus einer späten, das Exil voraussetzenden Perspektive. Dort heißt es von den Israeliten:[5]

„Und sie hatten seine Satzungen ('t "qyw) und seinen Bund, den er mit ihren Vätern geschlossen hatte (w't brytw 'sr krt 't 'bwtm), und seine Bundesbestimmungen, die er ihnen auferlegt hatte (w't 'dwtyw 'sr hcyd bm), verworfen und waren gefolgt den [...] Völkern rings um sie herum, von denen Jahwe ihnen befohlen hatte, dass sie nicht so handeln sollten wie sie."

Die Frage, ob das hebräische 'dwt unmittelbar aus dem Aramäischen oder aber sekundär durch neuassyrische Vermittlung aus dem Akkadischen entlehnt worden ist, lässt sich ebenfalls mit großer Sicherheit beantworten, da es, wie gesagt, eine recht große Zahl von akkadischen Wörtern im Aramäischen und Hebräischen gibt, die zum Vergleich herangezogen werden können. Da akkadische Wörter, die - wie ade - mit dem Vokal a beginnen, im Aramäischen und Hebräischen regelmäßig mit dem Laryngal ' am Wortanfang wiedergegeben wer- den,[6] das hebräische 'dwt aber offenkundig mit dem Laryngal ' geschrieben wird, ist der Schluss zu ziehen, dass in diesem Fall dem Alten Testament nicht das akkadische
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[1] Dass P in Dtn 4 ihre Spuren hinterlassen hat, ist nicht neu (vgl. z.B. Otto, Deuteronomium 4); und auch die Glosse in 2Kön 11,12 wird mit P in Verbindung gebracht (so etwa Levin, Atalja, 46ff).
[2] McCarthy, Treaty, 1, macht mit Recht auf die Nähe zu den Einleitungssätzen in hethitischen Verträgen aufmerksam.
[3] Vgl. Veijola, Ableitung, 343, der unter Anm. 5 folgende Belege nennt: Gen 43,3; Ex 19,21.23; 21,29 (ho); Dtn 8,19; 32,46; 1Sam 8,9; 1Kön 2,42; 2Kön 17,13.15; Jer 6,10; 11,7; 42,19; Am 3,13; Sach 3,6; Ps 50,7; 81,9; Neh 9,26.29.30.34; 13,15.21; 2Chr 24,19; bis auf Jer 6,10 werden alle Vorkommen mit der Präposition b konstruiert.
[4] Vgl. Veijola, Ableitung 349; vgl. zu einer differenzierteren Semantik auch Simian-Yofre, dw[, 1123-1125.
[5] Übersetzung und Rekonstruktion nach Würthwein, Könige 2, 392; Würthwein rechnet den Abschnitt 17,13-17.20 einem nomistischen Deuteronomisten zu (a.a.O., 396f).
[6] Vgl. o. S. 101, Anm. 452.

ade Pate gestanden hat, sondern dass mit einer direkten Entlehnung aus dem Aramäischen zu rechnen ist.[1]

Ertrag

Der in den aramäischen Sfire-Inschriften häufig belegte terminus technicus für „Vertragsbestimmungen/Vertrag" 'dy begegnet in neuassyrischen und neubabylonischen Quellen seit dem 8. Jh. in Gestalt des wurzelverwandten Begriffs ade als Bezeichnung für eine „politische" bzw. „öffentliche Vereidigung". Die auffällige morphologische Gestalt der Ausdrücke im Akkadischen (Wortbeginn mit dem Vokal a) und Aramäischen (Wortbeginn mit dem Laryngal ') beweist, dass das Wort vom Aramäischen ins Akkadische entlehnt worden ist - ein Vorgang, der angesichts der geopolitischen und sprachlichen Verhältnisse im neuassyrischen Reich seit dem 8. Jh. (so genannte „Aramaisierung" Assyriens) gut vorstellbar ist. Im Alten Testament begegnet dieselbe Wurzel in relativ späten Texten (erstmals bei P?), einerseits in dem Nomen 'dwt „Bundesbestimmungen" und andererseits in dem Verb h'yd „Bundesbestimmungen auferlegen". Auch hier macht die morphologische Gestalt von hebräisch 'dwt (mit dem Laryngal ' zu Beginn) deutlich, dass das Wort direkt aus dem Aramäischen entlehnt worden ist. Eine (indirekte) Entlehnung aus dem Akkadischen kommt nicht in Frage. Beide Entlehnungen erlauben einen schlaglichtartigen Einblick in die Interdependenzen im altorientalischen Vertragsrecht im Allgemeinen und die prägende Ausstrahlungskraft der westlich-aramäischen Vertragsrechtstradition im Besonderen. Das Vorkommen des Begriffs in späten Texten des Alten Testaments zeigt überdies, dass Elemente der aramäischen Vertragsrechtstradition in Juda noch in nachstaatlicher Zeit lebendig waren und rezipiert werden konnten, als die für eine derartige Entlehnung unabdingbaren politisch-militärischen Kontakte zu den benachbarten Aramäerstaaten ihre (strategische) Virulenz bereits verloren hatten.


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[1] Vgl. auch Lemaire/Durand, Inscriptions, 101-104.