1.2.3 Der kompositions- und theologiegeschichtliche Ort des Kapitels
a.) Dtn 13* im Kontext der Zentralisationsgesetze Dtn 12*.14—16*
Als das zentrale Anliegen des deuteronomischen Gesetzes gilt gemeinhin die Vorstellung der Kultzentralisation. Das Grundgebot, den Kult Jhwhs auf den einen legitimen Ort Jerusalem (der freilich im Interesse der Fiktion einer Promulgation der Gesetze am Vorabend der Landnahme nicht namentlich genannt wird) zu begrenzen, erscheint in Dtn 12 in drei Varianten (12,2-7[.29-31]; 8-12; 13-28), die sich verschiedenen literarischen Schichten zuschlagen lassen.[1] Das älteste Stratum, erkennbar an der Anrede Israels mit dem singularischen „Du", liegt in 12,13-14a.15-18 vor.[2] Dem übergreifenden Thema der Kultzentralisation sind auch die folgenden Kapitel gewidmet, wobei die so genannte Erwählungsformel hmqwm 'sr yb"r yhwh (Dtn 12,14) den Zusammenhang mit dem Grundgebot herstellt (Dtn 14,23.24.25; 15,20; 16,2.6.7.11.15.16).[3] Neben den eindeutigen Zentralisationsgesetzen können in Dtn 14-16* weitere Gesetzestexte als Reflexe auf das Zentralisationsgebot wahrscheinlich gemacht werden, die gemeinsam mit dem ältesten Zentralisationsgebot den (privileg- rechtlichen) Kern des Urdeuteronomiums gebildet haben könnten. So erwägt U. Rüterswörden, ob nicht auch die Polemik gegen den Totenkult (14,1f), der vermutlich an den künftig verbotenen Lokalheiligtümern beheimatet war, sowie die Speisegebote in 14,3-21, die im Anschluss an die Freigabe der profanen Schlachtung in 12,15f für Laien auflisten, welche Tiere denn überhaupt verzehrt werden dürfen, als Auswirkungen des Zentralisationsgebots zu begreifen sind.[4] Demnach könnte der (privilegrechtliche) Kern des Urdeuteronomiums in folgenden Texten vorliegen: 12,13-18* - 14,(1-2.3-21.)22-29* - 15,1-18* - 15,19-23 - 16,1-17*.[5]
Völlig quer zu der Thematik der Kultzentralisation, die die genannten Texte wie ein roter Faden durchzieht, steht Dtn 13*. Der Tempelkult und seine Zentralisation auf den von Jhwh erwählten Ort spielen in Dtn 13* keine Rolle; umgekehrt fehlt in den Kap. 12*.14-16* jede Bezugnahme auf das in Dtn 13* vorherrschende Thema der Verführung zum Abfall von Jhwh.[6] Steht hinter Dtn 12*.14-16* das Motto „keine anderen Tempel", so traktiert Dtn 13* das Gebot
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[1] Vgl. dazu grundlegend Smend, Entstehung, 72f.
[2] Vgl. Reuter, Kultzentralisation, 97-112.
[3] Vgl. zu dieser Formel a.a.O., 115-138.
[4] Rüterswörden, Dtn 13, 189, Anm. 22; vgl. auch schon Levin, Verheißung, 87, sowie ders., Deuteronomium, 122f.
[5] Vgl. auch die Rekonstruktion des Gesetzeskerns bei Gertz, Tora, 248.
[6] Vgl. auch Dion, Deuteronomy 13, 156: „[...] several aspects of ch. 12 are picked up again by chs. 14-16, in contrast to ch. 13 which is an entirely self-contained unit. Its author does not waste one word about the geographical centralization of worship, while this topic, and various formulaic expressions associated with it, play a prominent part in chs. 14-16 as well as in ch. 12."
„keine anderen Götter" - beschrieben mit der Formel hlk w'bd 'lhym ,"rym. Dass Dtn 13* in seinem Kontext deplatziert ist, ist inzwischen opinio communis der Deuteronomiumsforschung, in der selbst so gegensätzliche Positionen wie die von Veijola und Otto zusammenfinden.[1] Strittig ist allein, wie dieser Befund zu interpretieren ist: Ist mit Dtn 13* nachträglich der Trias an Zentralisationsgeboten in Dtn 12* eine entsprechende Trias an Anwendungsbeispielen des Fremdgötterverbots in Dtn 13* an die Seite gestellt worden[2], oder war Dtn 13* den Zentralisationsgesetzen als Text vorgegeben und ist im Zuge ihrer Entstehung an seine jetzige Lage gestellt worden? Mit letzterer Möglichkeit rechnet Otto:[3]
„Der Grundtext in Dtn 13,2-10* ist der spätvorexilischen dtn Redaktion vorgegeben und wurde von ihr überarbeitet an die jetzige Stelle gesetzt, wurde also nicht vom dtn-vordtr Redaktor verfasst."
Otto bringt für die Entstehung des Urdeuteronomiums demnach zwei Quellpunkte in Anschlag, einen Loyalitätseid (Dtn 13* + 28*) und eine Gesetzessammlung (Dtn 12*.14-26*), wobei dem Loyalitätseid die literarische Priorität zukommt. Für die Annahme, Dtn 13,2-10* habe der dtn Redaktion in 12-26 bereits vorgelegen, sprechen Otto zufolge nicht zuletzt „einige undtn Züge des Grundtextes"[4], die etwa in der Wurzel hrg „töten" sowie dem vor-dtn Stilmittel des Inf. abs. (13,10aa) zu erkennen wären. Doch die Existenz nicht-dtn bzw. -dtr Terminologie besagt lediglich, dass in Dtn 13* entsprechendes (dem altorientalischen Vertragsrecht entlehntes) Textmaterial rezipiert worden ist, nicht aber wie die Rezeption konkret ausgesehen hat (ein „Loyalitätseid für Jhwh" als Textvorlage, oder lediglich traditionsgeschichtliche Vorgaben, die redaktionell eingearbeitet worden sind) und welcher Trägerkreis verantwortlich zeichnet (vor- dtn, dtn oder dtr Kreise). Aber auch bezüglich der Einfügung von Dtn 13,2-10* zwischen die Zentralisationsgesetze im Zuge ihrer Entstehung melden sich gewichtige Zweifel an, da Kap. 13* ganz offensichtlich einen thematisch konsistenten und darum vermutlich vorgegebenen Zusammenhang zerreißt. Es ist wahrscheinlich, dass auf das älteste Zentralisationsgebot in 12,13-18* direkt die weiteren Zentralisationsgesetze in 14-16* folgten. Insbesondere das auffällige Auseinanderklaffen der organischen Abfolge von der Freigabe der Schlachtung in 12,15f und den Speisegeboten in 14,3-21 bleibt mit der These, der Zusammenhang Dtn 12.*14-16* sei im Zuge seiner Abfassung um 13,2-10* herum komponiert worden, unerklärt. Verschärft wird das Problem, wenn man mit Veijola und Otto den Abschnitt 14,3-21 dem Urdeuteronomium abspricht;[5]
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[1] Veijola, Wahrheit, 308f, und Otto, Deuteronomium, 64; vgl. auch Levin, Verheißung, 87; Dion, Deuteronomy 13, 156-159; Kratz, Komposition, 123; Köckert, Ort, 82; Pakkala, Monolatry, 23-25; Rüterswörden, Dtn 13, 189; Pakkala, Deuteronomium 13, 126f.
[2] Vgl. etwa Veijola, Wahrheit, 308f.
[3] Otto, Deuteronomium, 64 (im Original kursiv).
[4] A.a.O., 56.
[5] Vgl. Veijola, Wahrheit, 308; ders., Deuteronomium, 273 u. 295; Veijola zufolge stammen die Speisegebote in Dtn 14,3-21 erst von einem exilischen Verfasser, der zwischen DtrH und DtrB anzusetzen ist und auf den Nachtrag in Dtn 12,15f reagiert. Otto, Rechtsbruch, 41, sieht in 14,1f.3-21a DtrH am Werk.
denn in diesem Fall erscheint Dtn 13* in der Konzeption des Deuteronomiums an einer Stelle, „wo er einen an sich schon sekundären Zusammenhang unterbricht und damit selber eine tertiäre Stufe darstellt"[1] Wenn Otto selbst den organischen Zusammenhang zwischen Dtn 12* und 14,3-21 anerkennt,[2] bedeutet dies für seine These, dass zuerst die dtn Redaktion im Zuge ihrer Integration des vorgegebenen Textabschnitts Dtn 13,2-10* den Zusammenhang der Zentralisationsgesetze 12*.14,22-16,18* preisgibt und dass anschließend eine dtr Redaktion bei der Eintragung von 14,1f.3-21 den noch engeren Zusammenhang zwischen der in Kap. 12* geforderten Freigabe der profanen Schlachtung und den Speisegeboten in 14,3-21 noch einmal zerreißt, indem sie die Speisegebote nicht vor, sondern nach Kap. 13 einstellt - alles in allem eine eher unwahrscheinliche Vorstellung. Es spricht vielmehr gegen Otto alles dafür, dass der nachträgliche Einschub von Dtn 13* einen bereits vorgegebenen Gesetzeszusammenhang auftrennt, womöglich mit dem Ziel, der (inzwischen) dreifachen Ausgestaltung des Grundgebots der Kultzentralisation in Dtn 12* ein analog gestaltetes Kapitel über das dtr Hauptgebot der Alleinverehrung Jhwhs an die Seite zu stellen. So erhielt das den Deuteronomiumsrahmen dominierende Hauptgebot auch im Gesetzeskorpus selbst einen ihm gebührenden Platz.[3] Festzuhalten bleibt, dass die deplatzierte Lage von Dtn 13* in seinem näheren (dtn) Kontext gegen die Annahme spricht, das Kapitel sei einmal Teil des Urdeuteronomiums gewesen. Wenn demnach die These einer frühen Verbindung zwischen Dtn 13* und den Zentralisationsgesetzen in Dtn 12*.14-16* abzulehnen ist, stellt sich die Frage, ob nicht ein anderer, womöglich dtr Bezugsrahmen für Dtn 13* zu finden ist. Im Hinblick auf die nachfolgenden Textvergleiche ist jedoch einschränkend vorauszuschicken, dass es sich hierbei um inner-dtr Verhältnisbestimmungen handelt, die - anders als im Fall der Identifizierung dtr Bearbeitungen der dtn Grundschicht - mangels harter Kriterien in einem hohen Maße hypothetisch bleiben.
b.) Dtn 13* und die Fremdgötterpolemik in 12,29-31
Ein möglicher Bezugsrahmen für Dtn 13* wird gelegentlich in dem späten, DtrN
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[1] Veijola, Wahrheit, 308.
[2] In Bezug auf 14,3-21 stellt Otto, Rechtsbruch, 41, fest: „Diese Aufzählungen haben in der dtr Redaktionsperspektive die Funktion, an das Verbot des Blutgenusses in Dtn 12,23f anknüpfend, das Volk Israel als heilig aus der Profanität anderer Völker auszugrenzen, indem es Regeln der Beschränkung befolgt."
[3] Gegen eine frühe Verbindung von Dtn 13* und 12*.14-16* spricht sich auch Rüterswörden, Dtn 12,1, 215, aus, der mit seinen Überlegungen bezüglich der Größen Bund und Gesetz dem Blockmodell Ottos nahe kommt: „Möglicherweise hatte es [sc.: das Deuteronomium] mehr als nur einen Kristallisationskern, einmal eine Bundesurkunde aus Dtn 13* + Dtn 28*, einmal ein Rechtsbuch aus 12*.14-26*. Sie sind denkbar als Entitäten eigener Art, die sich in ihrer Gattung unterscheiden und je für sich fortgeschrieben worden sein können. Die Zusammenfügung ist eher spät - was 12 und 13 verbindet, wirkt redaktionell nicht früh."
zugeschriebenen Rahmen von Kap. 12, insbesondere in 12,29-31,[1] er- blickt.[2] Doch die terminologischen Übereinstimmungen zwischen Dtn 13* und 12,29-31 sind einerseits sehr vage; andererseits sind erhebliche inhaltliche Differenzen zu konstatieren:[3] Während 12,29-31 davor warnt, Jhwh so zu dienen wie die (kanaanäischen) Vorbewohner ihren Göttern gedient haben ('bd dhyhm), ist in Dtn 13* ganz allgemein von Verführung zum Dienst anderer Götter ('bd dhym 'hrym) die Rede, wobei die Gefahr von innen ausgeht (bqrbk). In 12,29-31 wird nicht in erster Linie „die dtn Forderung der Kulteinheit als Gebot der Kultreinheit interpretiert";[4] vielmehr zeigen deutliche Querbezüge zu den Königebüchern (vgl. 1Kön 14,24; 21,26; 2Kön 16,3; 17,7ff; 21,2ff),[5] dass die Verse „in den Zusammenhang der Geschichts(re-)konstruktion dieses Verfasserkreises gehören".[6] Ihre primäre Funktion ist es daher, die Schuld Israels an der Exilskatastrophe beim Namen benennen zu können: Jhwh vernichtet Israel um der Gräuel willen, aufgrund derer er damals die Heiden vernichtet hatte. So bleibt am Ende die Feststellung Dions bestehen: „In spite of redactional efforts to tie it to ch. 12, Deut. 13,2-18 remains an isolated composition."[7] Eine Ausnahme bildet hier allein die Anknüpfung von Dtn 13,19, dem - wie sich gezeigt hat - primären Abschluss des Kapitels, an 12,28, dem (wohl sekundären)[8] Abschluss des ältesten Zentralisationsgebots,[9] mittels der Verben sm' („hören") und smr („bewahren") sowie der Formel 'sh hysr b'yny yhwh 'lhyk („das Rechte in den Augen Jhwhs tun"). Offen bleibt allerdings, ob die Anknüpfung an 12,28 erfolgt ist, als der Abschnitt 12,29-31 noch nicht vorhanden war, oder ob, wie z.B. Dion vermutet, der Rahmen in 12,28 und 13,19 das schon vorhandene Stück 12,29-31 mit Kap. 13 zusammenbindet „to build a complex of instructions against religious contamination by Canaanites".[10] Da
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[1] Dass Dtn 12,2-7 und 29-31 aus einer Hand sind (vgl. bahnbrechend Smend, Entstehung, 78, der beide Stücke DtrN zuschlägt), hat Rüterswörden, Dtn 13, 191f, mit überzeugenden Argumenten in Zweifel gezogen, s. u. Anm. 144.
[2] Veijola, Redaktion, 156, sieht hier ein und dieselbe Redaktion am Werk, nämlich DtrB.
[3] Vgl. auch Dion, Deuteronomy 13, 158: „[...] the combination of 12.29-31 with ch. 13 is superficial and probably secondary."
[4] Veijola, Redaktion, 156.
[5] Vgl. auch Lohfink, Kerygmata, 97: „Die Bezüge zwischen diesen Texten des Gesetzbuchs und der Königsbücher sind trotz kleiner, aber erklärbarer Variationen so zahlreich und eindeutig, dass wir hier mit einer ein Aussagensystem schaffenden Hand zu rechnen haben."
[6] Rüterswörden, Stellung, 201f; vgl. auch ders., Dtn 13, 192: „Dtn 12,29-31 hat seine primäre Funktion im Kontext des deuteronomistischen Geschichtswerks; dass der Text ,irgendwie' mit 12,2-7 verbunden ist, ist eher ein Kollateralnutzen."
[7] Deuteronomy 13, 159; vgl. auch Pakkala, Monolatry, 24: „Although related in content, these additions (12:2-3 and 12:29-31) present a shifted perspective from the one in Dt 13."
[8] Vgl. dazu Reuter, Kultzentralisation, 109.
[9] Mit Reuter, Kultzentralisation, 89, ist 12,28 eine „zusammenfassende Abschlussformel" (vgl. 6,18f; 13,19; 21,9); anders Veijola, Wahrheit, 308.
[10] Vgl. Dion, Deuteronomy 13, 158; vgl. auch schon ganz ähnlich Seitz, Studien, 153: „Durch den Vorbau von 12,29-31 werden nun die ,anderen Götter', von denen Kap. 13 ganz allgemein spricht, näher als die Götter der Völker gekennzeichnet, die Jahwe vor Israel ausrotten und deren Land er seinem Volk geben wird."
die (ohnehin zweifelhafte) Nähe zwischen Dtn 13,2-19* und 12,29-31 für die Position von Kap. 13* nicht ausschlaggebend gewesen sein dürfte, scheint es wahrscheinlicher, dass 13,2-19* einmal direkt an 12,28 angeschlossen hat, wobei 13,19 gewollt als Parallele zu 12,28 gestaltet worden ist.
c.) Dtn 13* und das dtr Prophetengesetz Dtn 18,9-22
Ein weiterer dtr Text, der in der Diskussion um die literarhistorische Verortung von Dtn 13* eine Rolle spielt, ist das Prophetengesetz Dtn 18,9-22.[1] Zahlreiche sachliche und phraseologische Interdependenzen zwischen Dtn 13,2-6* und Dtn 18,9-22 machen deutlich, dass beide Texte nicht gänzlich unabhängig voneinander geschaffen worden sind. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Parallelen:
(1.) ky yqwm bqrbk nby' 'w "lm "lwm (13,2a) steht in scharfem Gegensatz zu nby' mqrbk [...] yqym Ik yhwh 'lhyk (18,15; vgl. auch V 18).
(2.) Dem 'sr dbr 'lyk in 13,3ab steht wntty dbry bpyw wdbr 'lyhm in 18,18ba gegenüber, wo das Wort Jhwhs mit dem des wahren Propheten identifiziert wird.
(3.) Während der Pseudoprophet in 13,3b zu Nachfolge und Dienst der 'lhym '"rym aufruft, warnt 18,20ab vor falschen Propheten, die bsm 'lhym '"rym reden.
(4.) Dem Verbot, auf die Worte der falschen Propheten zu hören (l' tsm' 'l dbry hnby' hhw') in 13,4a entspricht umgekehrt die Forderung 'lyw tsm'wn in 18,15b, die durch V. 19 noch unterstrichen wird, wo demjenigen gedroht wird, der nicht auf die Worte des wahren Propheten hört ('sr l ysm' 'l dbry 'sr ydbr bsmy).
(5.) Die falschen Propheten werden in 13,6aa1 ([whnby' hhw' 'w "lm h"lwm hhw'] ywmt) und 18,20b (wmt hnby' hhw') mit derselben Sanktion belegt.
(6.) Schließlich wird in 13,3aa das Eintreffen von einem Zeichen oder Wunder wie imAnhang zum Prophetengesetz, 18,21f, mit dem Verb bw' („eintreffen") ausgedrückt (vgl. wb' h'wt whmwpt mit wl' yhyh hdbr wl' ybw').
Für die Richtung der Abhängigkeit ist auf die in Dtn 13,2f und 18,21f vorausgesetzten Kriterien für wahre und falsche Prophetie verwiesen worden. Während das in 18,21f an die Hand gegebene Erfüllungskriterium schon auf den ersten Blick „sachlich weniger befriedigend"[2] als das in 13,2f genannte inhaltliche
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[1] Zur Analyse von Dtn 18,9-22 vgl. Köckert, Ort, 94-100: Nicht nur die V. 16-20, sondern auch die V. 9-15 sind aufgrund der im Kontext fest verankerten historisierenden Gebotseinleitung in V. 9 als dtr zu beurteilen; die literarische Einheit 18,9-20 hat in V. 21f eine Nachinterpretation erfahren.
[2] Steuernagel, Deuteronomium, 102.
Kriterium sei, nehme sich letzteres demgegenüber „unerhört eindeutig und klar"[1] aus. M. Köckert zufolge verfüge Dtn 13,2-6 in der Terminologie von 18,9-22 und mit dem Fremdgötterverbot im Rücken, dass jeder Prophet, der zu Nachfolge und Dienst anderer Götter aufruft, nicht gehört, sondern sofort getötet werden soll. Dies gilt selbst dann - und darin gehe 13,3a sachlich über 18,21f hinaus - wenn sich der Prophet durch das Eintreffen von einem Zeichen oder Wunder scheinbar legitimieren kann. „Es ist zwar vorstellbar, dass man nachträglich 13,3 vor 18,22 eingefügt hat, nicht aber dass ein jüngerer Fortschreiber die Erfahrungen ignoriert, die zu 13,3 geführt haben."[2] Ist aber die Notiz über das Eintreffen von einem Zeichen oder Wunder in Dtn 13,3a wirklich mit dem Nachtrag in 18,21f vergleichbar? Einmal abgesehen von dem gemeinsamen Gebrauch des Verbs bw' „eintreffen" sprechen gute Gründe gegen die Vergleichbarkeit der beiden Texte. Zunächst: Während 13,3a in der üblichen Terminologie das Eintreffen eines prophetischen Beglaubigungszeichens, das „in keinem direkten Zusammenhang mit der prophetischen Botschaft" steht,[3] berichtet (vgl. 1Sam 2,34; 10,7.9), geht es in 18,22 um die Erfüllung der prophetischen Botschaft (hdbr) selbst. Aufschlussreich ist es sodann, nach der Intention der dem Prophetengesetz nachgetragenen V. 21f zu fragen - zwei Verse, die wegen ihrer Nähe zu Sach 13,2-6 erst aus nachexilischer Zeit stammen dürften.[4] Die Antwort findet sich in V. 20, wo zwei Arten von Falschprophetie unterschieden werden: 1. Verkündigung im Namen Jhwhs, jedoch ohne dessen Beauftragung ([dbr] bsmy ' 'sr l swytyw Idbr); 2. Verkündigung im Namen anderer Götter ([dbr] bsm }lhym 'hrym). Während die zweite Art von Falschprophetie eindeutig zu identifizieren ist, provozierte die zuerst genannte eine Nachinterpretation in V. 21f, was sich leicht an der Wendung (dbr) bsm yhwh ablesen lässt, die das (dbr) bsmy aus V. 20aa aufnimmt (vgl. auch yzyd in V. 20aa und zdwn in V. 22ba). Der Nachtrag antwortet auf die noch offene Frage, woran denn die Beauftragung des Propheten durch Jhwh erkannt werden kann, mit dem in der Tat wenig befriedigenden Hinweis auf ihre zukünftige Erfüllung.[5]
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[1] Nissinen, Prophetie, 175. Vgl. auch Rüterswörden, Schultheologie, 225: „Somit wird in Dtn 13 das übrig gebliebene Problem konstruiert: Wie steht es um Prophetie im Dienst fremder Götter, wenn sie sich durch das Eintreffen von Zeichen legitimieren kann [...]"
[2] Köckert, Ort, 84f. - Braulik, Deuteronomium II, 137f, spricht demgegenüber Dtn 13,2-6* die literarische Priorität zu. Den von Köckert in Anschlag gebrachten Widerspruch zwischen 13,2f und 18,21f löst Braulik, indem er die Texte streng unterscheidet: „Denn dort geht es um prophetische Anforderungen, die das 1. Gebot betreffen, hier um Aufforderungen, die andere Handlungsbereiche betreffen." (a.a.O., 138)
[3] Stolz, twa, 93.
[4] Vgl. Hossfeld, Propheten, 142f, und Köckert, Ort, 94, Anm. 66: „Der Nachtrag stellt in nachexilischer Zeit die Unheilsprophetie unter das Erfüllungskriterium und ist schon auf dem Wege zu Sach 13,2-6."
[5] Vgl. Kaiser, Theologie 1, 230: „Dass das in dem deuteronomistischen Prophetengesetz Dtn 18,9-22 benannte Kriterium der Erfüllung der Weissagung (vgl. V. 21f.) sich lediglich bei der Beurteilung und Auswahl tradierter Prophetien, aber keineswegs in der aktuellen Konfliktsituation anwenden ließ, sagt einem die praktische Vernunft."
Neben diesem kaum handhabbaren Kriterium deutet auch V. 22b, der, anstatt die Todesstrafe zu fordern (vgl. V. 20b), zu einem ignoranten Verhalten gegenüber dem Pseudopropheten aufruft, darauf hin, dass diese Art von Falschprophetie hier schon nicht mehr ganz ernst genommen wird.[1] In 18,21f geht es alles in allem um die Unterscheidung von legitimer und illegitimer Prophetie im Namen Jhwhs, nicht um einen Konflikt mit dem Fremdgötterverbot wie in Dtn 13,2-6*; denn diese Thematik war in 18,20abg.b bereits hinreichend geklärt worden, und lediglich diese zweite Art von Falschprophetie, hinter der bereits das Fremdgötterverbot stehen dürfte (vgl. die Formel 'lhym '"rym), ist mit Dtn 13,2-6* vergleichbar. Ein direkter Vergleich der in 13,2f und 18,21f vorausgesetzten Kriterien für wahre und falsche Prophetie trägt folglich für die Bestimmung der relativen Chronologie wenig aus.
Demgegenüber sind die zwischen Dtn 13,2-6* und 18,9-20 festgestellten Berührungspunkte noch einmal daraufhin zu prüfen, ob sie für die Frage, welchem der beiden Texte die literarische Priorität zukommt, etwas austragen können. Folgende Beobachtungen deuten m.E. darauf hin, dass Dtn 13,2-6* auf Formulierungen aus Dtn 18,9-20 zurückgreift, und nicht etwa umgekehrt: Zunächst ist das seltene ky yqwm bqrbk in 13,2a auffällig (vgl. nur noch Dtn 19,16: ky yqwm 'd "ms b'ys). Hier wäre eigentlich das geläufigere ky yms1 zu erwarten, das denn auch in dem von Dtn 13* abhängigen, ähnlich gelagerten Fall Dtn 17,2-7 statt ky yqwm verwendet worden ist (vgl. 17,2; vgl. im Dtn weiterhin 21,1; 22,22; 22,28; 24,7). 18,15 ist dagegen gut dtr formuliert. qwm hi „erwecken" mit Gott als Subjekt und herausragenden Persönlichkeiten als Objekt ist in dtr redigierten Texten breit belegt: Ri 2,16.18: sptym; 3,9.15: mwsy'; 1Sam 2,35: khn n'mn; 1Kön 11,14.23: stn = Hadad; 14,14: mlk 'l ysr'l; Jer 29,15: nby'ym.[2] Man gewinnt daher den Eindruck, als greife die ungewöhnliche Eröffnung der Protasis in 13,2a bewusst auf die Formulierung in 18,15 zurück, wobei sie mit dem Gebrauch von qwm qal an Stelle von qwm hi den Propheten in 13,2-6* von vornherein jede Legitimität abspricht. Dies könnte ein Indiz für die Priorität von Dtn 18,9-20 gegenüber Dtn 13,2-6* sein. Umgekehrt ist es schwer, Textbeobachtungen zu finden, die den gegensätzlichen Weg wahrscheinlich machen. So ist Dtn 18,20abg, die im Alten Testament einzigartige[3] Rede von den Propheten, die bsm 'lhym 'hrym sprechen, weniger plausibel mit dem dreifachen Vorkommen des Ausdrucks 'Ihym 'hrym in Dtn 13* zu erklären, sondern vermutlich als Antithese zu dem wahren Propheten, der bsm yhwh (vgl. 18,19: bsmy) spricht, formuliert worden.
Abschließend ist festzustellen, dass die genannten Textbeobachtungen, die im dtr Prophetengesetz Dtn 18,9-20 den gegenüber Dtn 13* älteren Text sehen,
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[1] Vgl. auch Hossfeld, Propheten, 143, der vermutet, das „die Falschprophetie mit den großen Vorbildern der echten Jahweprophetie im Rücken wohl keine so gravierende Gefahr mehr dar[stellt], so dass sie sich selbst verurteilt".
[2] Vgl. dazu Köckert, Ort, 86, Anm. 30.
[3] Die Formel dbr bsm 'lhym 'hrym ist ein hapax legomenon; vgl. aber die sachlich ähnlich gelagerte Episode 1Kön 18,24-26.
nicht mehr als vage Indizien sind, die für eine literarhistorische Verortung von Dtn 13* allenfalls eine bestätigende Funktion haben können.
d.) Dtn 13* und das dtr redigierte Jeremiabuch
Ein entscheidendes Argument für seine extreme Spätdatierung von Dtn 13* sieht Veijola in der Nähe zur Pseudoprophetenpolemik in Jer 14,13-16, Jer 23 und 27-29, die seiner Meinung nach mit einer literarischen Abhängigkeit des Kapitels vom Jeremiabuch zu erklären sei.[1] Allerdings überwiegen insbesondere in der verwendeten Terminologie die Unterschiede.[2] Die Wurzel ndh hi „verführen", die allen drei in Dtn 13* zusammengestellten Einheiten das Thema vorgibt, hat im Jeremiabuch die damit schlechterdings nicht zu vermittelnde Bedeutung „verstoßen" und zielt auf die Deportation des Volkes ab (Jer 27,10.15 u.ö.); wo hier von „Verführung" die Rede ist, wird dagegen t'h hi gebraucht. Der metaphorische Gebrauch von ndh hi im Sinne von „verführen" dürfte demgegenüber seinen Ursprung in der vertragsrechtlich gewendeten Liebessprache haben (vgl. Spr 7,21: h—tw brb lqhh bhlq sptyh tdyhnw).[3] Während im Jeremiabuch die Botschaft der Falschpropheten immer wieder mit dem Begriff sqr „Lüge" abqualifiziert wird (Jer 14,14; 23,25f; 27,10.14-16; 29,9.21.23), gebraucht Dtn 13,6* das selten belegte und vermutlich dem neuassyrischen politischen Vokabular abgelauschte Wort srh „Falsches" bzw. „Verrat". Wo aber, wie im Fall von Jer 28,16 und 29,32, wirkliche Entsprechungen zu Dtn 13* vorliegen, ist umgekehrt die Jeremiaüberlieferung von Dtn 13* abhängig, wie die Auslassungen der einschlägigen Wendungen in der LXX nahe legen, die hier die ältere Textfassung bewahrt haben dürfte.[4]
e.) Dtn 13* und das Erste Gebot in Dtn 5
Größeres Gewicht im Hinblick auf die Datierung von Dtn 13* gebührt den deutlichen Querbezügen speziell zu solchen Texten im Deuteronomiumsrahmen, die das Erste Gebot thematisieren bzw. kommentieren (vgl. Dtn 4,15-20; 6,10-15; 7,6-11; 8,11-20). Alle diese Texte dürften bereits den Dekalog und vor allem das Erste Gebot in Dtn 5 voraussetzen. Für Dtn 13* hat schon M. Löhr richtig erkannt, dass die in diesem Kapitel zusammengestellten Einheiten eine „AusWirkung [...] der obersten Forderung des Jahwismus"[5] darstellen. Folgende Textbobachtungen können für die These in Anschlag gebracht werden, dass Dtn 13* den Dekalog in Dtn 5 und insbesondere das Erste Gebot in 5,6f.9a voraus- setzt:[6] (1.) In den V. 3b*.7b.14b wird der Abfall von Jhwh in erster Linie mit der Wendung 'bd dhym 1"rym definiert, was wie eine Zusammenfassung von Dtn
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[1] Veijola, Wahrheit, 297-301.
[2] Vgl. auch Otto, Deuteronomium, 50-56.
[3] Vgl. Kronholm, xdn, 258f.
[4] Vgl. Otto, Deuteronomium, 56.
[5] Löhr, Deuteronomium, 173.
[6] Das Bilderverbot Dtn 5,8 stellt einen späteren Einschub dar; vgl. Moran, Conclusion, 553; Levin, Dekalog, 170; Smend, Zehn Gebote, 23f.
5,7.9a (l yhyh Ik hhym 'hrym 'l pny l' tsthwh Ihm wl' t'bdm) wirkt.[1] Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die These E. Aurelius' bewahrheiten sollte, nach der das Erste Gebot in Dtn 5,7 der literarhistorische Quellpunkt für den als eine Art Chiffre[2] gemeinten terminus technicus der Fremdgötterpolemik, 'lhym '"rym „andere Götter", sei, der sich, ausgehend von diesem locus classicus, in der gesamten dtr Literatur rasch verbreitet habe.[3] Das Argument für die These ist gleichermaßen schlicht wie bestechend: Dass mit den 'lhym '"rym einzig in den Formulierungen des Ersten Gebots eine Negation sowie eine Erwähnung Jhwhs einhergehe, liefere den notwendigen Verstehenshorizont für den an sich höchst artifiziellen Ausdruck, „denn in diesen Fällen gibt der Text in der Tat eine erschöpfende Antwort auf die Frage, die sich einstellt: ,Welche anderen Götter?' - Keine (anderen als Jhwh)!"[4] (2.) Das Verb nd" hi, das in allen drei Einheiten bezeugt ist (13,6a.11b.14a) und somit ein essentielles Element des Kapitels darstellt, bestimmt das Thema von Dtn 13: Verführung zum Dienst anderer Götter. nd" hi „verführen/verleiten" sowie nd" ni „verleiten lassen" sind als Metaphern für religiöse Verführung recht selten belegt (Dtn 4,19; 30,17; 2Kön 17,21; 2Chr 21,11). Bis auf 2Kön 17,21 wird an allen Stellen vor Abfall vom Ersten Gebot gewarnt (vgl. z.B. Dtn 4,19). 2Kön 17,21b (wyd" yrb'm 't ysr'l m'hry yhwh) wirft Jerobeam demgegenüber nicht einen Verstoß gegen das Erste Gebot, sondern gegen die Kultzentralisation vor. Hier dürfte somit der älteste Beleg für den metaphorischen Gebrauch von nd" hi zu suchen sein.[5] Alle übrigen Belege - die drei in Dtn 13* eingeschlossen - setzen das Erste Gebot voraus; (3.) In 13,6* begegnet das Wort drk „Weg" als Metapher für „Gesetz" gefolgt von einem Promulgationssatz.[6] G. Braulik hat sich dafür ausgesprochen, dass mit drk an dieser und an anderen Stellen im Deuteronomium (vgl. 9,12.16) nichts anderes als der Dekalog gemeint sein kann, der „als Text vorauszusetzen" sei.[7] (4.) In Dtn 13,11b schließt sich in der Apodosis an die Begründung (ky bqs lhdy"k m'l
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[1] Die Nähe zum Ersten Gebot scheint auch dem Verfasser von Dtn 17,2-7 aufgefallen zu sein, der im Rahmen der Reformulierung von Dtn 13 das dort ausgelassene wysthw Ihm aus 5,9a ergänzt.
[2] Aurelius, Götter, 157, spricht treffend von einer „Chiffre des Jhwhfeindlichen - und Israelfeindlichen".
[3] Ebd.; so auch Kratz, Dekalog, 84. Die gelegentlich als Quellpunkte des Ausdrucks reklamierten Belege in Ex 22,19a und Hos 3,1 (vgl. etwa Floss, Jahwe dienen, 129f, und Otto, Deuteronomium, 61) sind aller Wahrscheinlichkeit nach jüngeren Datums; vgl. Aurelius, Götter, 157, Anm. 43, sowie Köckert, Ort, 83, Anm. 15. Einen Überblick über die Belege und Kombinationsmöglichkeiten des Ausdrucks 'lhym 'hrym bietet Römer, Väter, 86f.
[4] Aurelius, Götter, 157.
[5] Vgl. zur literarischen Analyse von 2Kön 17 Aurelius, Zukunft, 71-95, der in 17,21-23 den ältesten Epilog erblickt: „Der Abschnitt 2 R 17:21-23 befindet sich somit auf derselben Linie wie der Königsrahmen und die älteste Form des Zentralisationsgebots in Dt 12 (v 13f). Er richtet sich gegen Jhwh-Kult außerhalb Jerusalems." (a.a.O., 74)
[6] Vgl. zur Funktion des Promulgationssatzes Lohfink, Hauptgebot, 60, der hier einen „Rückverweis auf den Dekalog, speziell sein erstes Gebot" sieht.
[7] Braulik, Ausdrücke, 22; vgl. auch die Zusammenfassung a.a.O., 23.
yhwh 'lhyk) eine Exodusformel in partizipialer Formulierung an (hmwsy'k m'rs msrym mbyt 'bdym). Die Formel ist „die genaue Aufnahme der Formulierung des 1. Dekaloggebotes, umgesetzt in die partizipiale Form, wodurch der Exodus nicht nur geschichtliche Tat, sondern bleibendes Kennzeichen Jhwhs wird".[1] Die wörtliche Bezugnahme auf die Dekalogpräambel in Dtn 5,6 macht deutlich, dass Dtn 13* nicht irgendeine Formulierung des Ersten Gebots, sondern wirklich den Dekalog in Ex 20//Dtn 5 voraussetzt.[2]
Die Tatsache, dass Dtn 13* den Dekalog und speziell das Erste Gebot in Dtn 5,6f.9a als Text voraussetzt, hat erhebliche Konsequenzen für die zeitliche Ansetzung des Kapitels; denn damit spricht neben dem von Dion geltend gemachten Sprachbeweis[3] sowie der deplatzierten Lage des Kapitels im Kontext der Zentralisationsgesetze auch der theologiegeschichtliche Ort der drei am Ersten Gebot orientierten Stipulationen für die These, dass Dtn 13* als Nachtrag zum ältesten Deuteronomium zu betrachten ist. Terminus a quo für die Entstehung des Kapitels ist der Einbau des Dekalogs in das Deuteronomium, weshalb an dieser Stelle auf den literar- und theologiegeschichtlichen Ort des Dekalogs bzw. des Ersten Gebots einzugehen ist. Die These, dass der Dekalog sowie der paränetische Rahmen in Dtn 5,1-6,3* als eine spätere Erweiterung der ursprünglichen Eröffnung des Deuteronomiums zu begreifen ist und infolgedessen auf das Konto der Deuteronomisten geht, ist opinio communis der gegenwärtigen Deuteronomiumsforschung.[4] Neben der pluralischen Anrede Israels an Stelle der älteren singularischen spricht vor allem die Vorwegnahme des „Höre, Israel!" aus Dtn 6,4 in den Rahmenversen 5,1 und 6,3 für einen Einschub, wobei die redaktionellen Techniken der Ringkomposition und der Wiederaufnahme Anwendung fanden. Nach Veijolas überzeugender Rekonstruktion folgte im Urdeuteronomium auf die älteste Buchüberschrift Dtn 4,45* (ohne hcdt w) zunächst die Redeeinleitung Dtn 5,1aa* („Da rief Mose ganz Israel und sagte zu ihnen") und schließlich das „Höre, Israel!" in Dtn 6,4, woraufhin mit dem Zentralisationsgebot in Dtn 12,13ff der eigentliche Gesetzeskern begann.[5] Mit dem Einbau des Dekalogs in das Urdeuteronomium gelang den
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[1] Kreuzer, Exodustradition, 89; vgl. auch a.a.O., 90, wo Kreuzer im Blick auf die Exodustradition in Dtn 13, die er freilich als sekundär beurteilt (s. o. S. 123, Anm. 89), feststellt: „Diese dient hier dem Verweis auf die verpflichtende Exklusivität Jhwhs im Sinn des ersten Gebotes, und ihre sprachliche Gestalt ist vom Dekalog her geprägt."
[2] Vgl. auch Lohfink, Hauptgebot, 60: „[D]ass der Dekalog und nicht eine andere Hauptgebotsformulierung gemeint ist, zeigen die Anspielungen auf den Dekalogsanfang." - Kreuzer, Exodustradition, 92, ist hier etwas skeptischer, wenn er bemerkt: „[D]ie Frage, ob die Bezugnahme auf die Dekalogpräambel den Dekalog als literarischen Bestandteil des Deuteronomiums voraussetzt oder nur seine Kenntnis, ist kaum zu entscheiden"
[3] Vgl. zum Sprachbeweis jedoch kritisch Rüterswörden, Schultheologie, 227: „Wenn es das Wesen des Deuteronomismus ausmacht, sich terminologisch und theologisch auf das Deuteronomium zu beziehen, wird man nicht mit den Mitteln der Sprachstatistik allein operieren können." Vgl. auch ders., Dtn 13, 192 mit Anm. 34.
[4] Vgl. Veijola, Deuteronomium, 129 mit Anm. 37.
[5] A.a.O., 123.
dtr Redaktoren neben der sachlichen Koordination des deuteronomischen Gesetzes mit der Sinaigesetzgebung[1] zugleich die notwendige Fortentwicklung des Gotteskonzepts. Gewichtige Gründe sprechen nämlich für die These, dass das „Höre, Israel!" in Dtn 6,4[2] anfangs nicht in Analogie zum Ersten Gebot die ausschließliche Verehrung Jhwhs, sondern die „einheitliche Identität des Gottes Jahwe im Sinne eines gesamtisraelitischen Monojahwismus" proklamiert hat.[3] Dass es in der Religionsgeschichte Israels polyjahwistische Tendenzen gegeben hat, gegen die sich Dtn 6,4 wendet, machen sowohl biblische (1 Kön 12,28)[4] [5] als auch außerbiblische (Inschriften von Kuntillet 'Agrüd, 9. Jh.)181 Texte wahr- scheinlich.[6] Die Voranstellung des Dekalogs und speziell des Ersten Gebots in Dtn 5,1-6,3* vor das ältere „Höre, Israel!" sowie dessen Nachinterpretation durch das Liebesgebot in 6,5[7] stellen das zunächst an der Einheit Jhwhs interessierte Deuteronomium in den Horizont einer intoleranten Monolatrie („intolerant monolatry"[8]).[9] Dann aber ist der Schluss zu ziehen, dass auch Dtn 13* Teil dieser monolatrischen Überformung des Urdeuteronomiums ist. Nimmt man noch spätere Texte wie Dtn 4 hinzu, so lassen sich im Hinblick auf das Gotteskonzept im Deuteronomium grob drei Stadien unterscheiden, in die Dtn 13 wie folgt eingetragen werden kann:
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I.
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Urdeuteronomium Monojahwistische Grundschicht |
Dtn 4,45*; 5,1aa*; 6,4; 12,13-26,16*: „ein Jhwh - ein Kultort" |
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II.
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Monolatrische (bundestheologische) Schicht(en) | Dtn 5,1-6,3*; 13*; 26,16f; 28*: „Jhwh - und keine anderen Götter" |
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III.
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Monotheistische Schicht(en) | Dtn 4; Zusätze wie z.B. 13,4b.5.8: „Jhwh ist Gott - und sonst keiner" |
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich Dtn 13* in seinem näheren Kontext als Einschub in den vormaligen Zusammenhang der Zentralisationsgesetze Dtn 12*.14-16* erweist. Daneben gibt das Kapitel zahlreiche Querbezüge
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[1] Vgl. Gertz, Deuteronomium 1-3, 120.
[2] V. 5 ist eine Nachinterpretation im Lichte des Ersten Gebots, vgl. Veijola, Bekenntnis, 80-82.
[3] Levin, Entstehung, 98f (kursiv im Original). Vgl. zu dieser Interpretation von Dtn 6,4 grundlegend Bade, Monojahwismus; Bade zeigt a.a.O., 87, auch bereits den Zusammenhang von Monojahwismus und dem Programm der Kultzentralisation auf.
[4] Vgl. Donner, Götter.
[5] Vgl. zu den Inschriften Renz/Röllig, Handbuch I, 47-52.59-64, und zu den Implikationen für Dtn 6,4 Höffken, Dtn 6,4.
[6] Vgl. zu der vorgetragenen Interpretation von Dtn 6,4 auch Aurelius, Ursprung, 4-9; Becker, Staatsreligion, 13f; Berlejung, Geschichte, 127f; Gertz, Tora, 242.
[7] Vgl. zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund des Liebesgebots Rüterswörden, Liebe.
[8] Vgl. zu diesem Ausdruck Pakkala, Monolatry, passim, speziell 18f.
[9] Vgl. auch Kratz, Komposition, 132, sowie Aurelius, Ursprung, 20, dem zufolge die Entwicklung „vom Programm ,ein Gott und nicht zwei' zum Programm ,ein Gott und keine anderen'" verlief.
zu anderen Texten insbesondere im Deuteronomium zu erkennen, die für die Datierungsfrage des Kapitels von Relevanz sind. Als Ergebnis der Untersuchung dieser intertextuellen Bezüge ist festzuhalten, dass Dtn 13,2-6* das dtr Prophetengesetz Dtn 18,9-20 (aber noch nicht den Anhang in 18,21f) zu kennen scheint. Eine Abhängigkeit von der Falschprophetenpolemik des dtr redigierten Jeremiabuchs ist demgegenüber nicht nachweisbar. Den entscheidenden Hinweis für die literarhistorische Verortung von Dtn 13* liefert die Beobachtung, dass das Kapitel den Dekalog und vor allem das Erste Gebot in Dtn 5,6f.9a voraussetzt. Da der Textabschnitt Dtn 5,1-6,3* einer kompositions- und theologiegeschichtlich jüngeren Phase in der Entstehung des Deuteronomiums angehört, kann auch Dtn 13* nicht Teil des Urdeuteronomiums gewesen sein. Mit anderen Worten: Von Dtn 13* her geurteilt ist der Bund dem Gesetz literarhistorisch nicht vor-, sondern nachgeordnet.[1]
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[1] Vgl. auch Veijola, Redaktion; anders Otto, Deuteronomium, 74.
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