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2.3.3 Dtn 28,25-34* und EST § 39-42

Ab Dtn 28,20ff begegnen Fluchformeln mit yiqtol-x-Formen, die regelmäßig Jhwh als Subjekt haben (V. 20*.21.22.24.25*.27.28.35). Die Flüche können grob dem im Vorderen Orient weit verbreiteten Typ „curse by the gods or by a single god" zugeordnet werden, der laut Hillers 1. aus dem Namen des Gottes,

dem Epitheton des Gottes sowie 3. dem eigentlichen Fluch besteht.[1] Flüche mit namentlich genanntem Gott als Subjekt erscheinen in den Quellen selten isoliert; oft begegnen sie im Zusammenhang von ganzen Fluchreihen, für
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[1] Hillers, Treaty-Curses, 13; vgl. zu dem Fluchtyp a.a.O., 12-18.

deren Logik zwei Prinzipien zu beachten sind:

Bei Fluchreihen mit namentlich genannten göttlichen Subjekten spiegelt die Abfolge der Götter in aller Regel die Hierarchie des Reichspantheons wider.[1]

Bei Fluchreihen mit namentlich genannten göttlichen Subjekten korrespondieren die Fluchthemen in der Regel mit dem Zuständigkeits- bzw. Funktionsbereich der betreffenden Götter.[2]

Dieser Voraussetzungen eingedenk, hat M. Weinfeld bereits 1965 darauf hingewiesen, dass sich die Themenabfolge der Flüche in Dtn 28,26-35 mit der Reihenfolge von EST § 39-42 deckt:[3]

„The curses concerning leprosy, blindness, the exposure of the slain, violation of the wife, pillage and the enslavement of children, all appear, then, in close proximity both in Deuteronomic imprecations and in those of the VTE [= EST] and they appear, moreover, in almost identical order."

In Bezug auf den ganzen Abschnitt Dtn 28,26-35 kommt Weinfeld zu dem Ergebnis, „that a Judean scribe had transposed an entire and consecutive series of maledictions from Assyrian treaty documents to the book of Deuteronomy comprising vv. 26-35".[4] An dieser Stelle ist zu betonen, dass Weinfeld keinesfalls eine Abhängigkeit speziell vom EST, sondern lediglich von einem beliebigen assyrischen Vertragstext postuliert, wobei er den EST m.E. zu Recht als einen typischen Repräsentanten des assyrischen Vertragsrechts begreift. R. Frankena, der im selben Jahr wie Weinfeld eine Studie zu den Parallelen zwischen dem EST und dem Deuteronomium vorlegte, rechnet demgegenüber mit einer Abhängigkeit der Fluchsequenz in Dtn 28,20-57 von einer Jerusalemer Kopie des EST.[5] Dabei gilt sein Hauptaugenmerk dem Abschnitt Dtn 28,28-34, den biblischen Entsprechungen der EST-Flüche bei den Gottheiten Samas (§ 40) und Venus (§ 42), der laut Frankena sogar Aufschluss über die Vorgehensweise der judäischen Kompilatoren gebe. Demnach seien die Einzelthemen der beiden EST-Flüche (Rechtlosigkeit; Blindheit; Wandeln in der Finsternis; Verlust von Frau, Haus und Habe) übernommen und an geeigneter Stelle ergänzt worden.[6] Die Ergebnisse und Thesen insbesondere Weinfelds und Frankenas aufnehmend, gelangt Steymans zu einem die „Himmelsflüche" (abgesehen vom Jupiterfluch) vom Anu- bis zum Venus-Fluch (EST §§ 38A-42) umfassenden „geschlossenen Abschnitt, der als Vorlage für eine Übersetzungstätigkeit
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[1] Vgl. a.a.O., 13: „Where curses by individual gods occur in a series, they are usually listed in strict order of the gods' rank within the pantheon."
[2] So auch das Ergebnis der Übersicht über die Fluchthemen in EST § 37-56 bei Streck, Flüche, 178: „Werden Götter namentlich angerufen, so hängt der Fluchinhalt mit ihrem Funktionsbereich zusammen."
[3] Weinfeld, Traces, 419f.
[4] A.a.O., 423.
[5] Vgl. Frankena, Vassal-Treaties, 151.
[6] Vgl. a.a.O., 148f.

angesehen werden kann, an deren Ende Dtn 28,25-35 stand".[1]
Für die Frage, ob die Parallelen zwischen Dtn 28,25-34* und EST § 39-42 auf eine Abhängigkeit von einem assyrischen Vertrag im Allgemeinen (Weinfeld) oder vom EST bzw. einer judäischen Kopie des EST im Besonderen (Frankena; Steymans) hindeuten, sind in erster Linie zwei Dinge zu klären: 1.) Liegt in Dtn 28,25-34* eine Abhängigkeit vom Wortlaut oder lediglich von den Themen der entsprechenden EST-Paragraphen vor? 2.) Ist die Reihenfolge der Götter sowie die Verknüpfung der einzelnen Götter mit den jeweiligen Fluchthemen in den EST-Paragraphen innerhalb der neuassyrischen Fluchtradition einmalig, oder lassen sich vergleichbare Fluchreihen auch in anderen assyrischen Verträgen wahrscheinlich machen?
Ausgehend von diesen Fragestellungen, sollen im Folgenden einzelne Abschnitte der Gesamtfluchfolge in den Blick genommen werden, angefangen bei Dtn 28,27-29 und EST § 39f, die im Vergleich wie folgt lauten:

EST § 39-40[2] Dtn 28, 27-29​


„419Sin, die Leuchte des Himmels (und) der Erde, möge euch mit sahaDulMi - Krankheit 420bekleiden, euer Erscheinen in der Gegenwart des Gottes (Var. der Götter) und des Königs verbieten! 421Lauft wie Wildesel (und) Gazelle in der Steppe umher!

„27Jhwh wird dich mit ägyptischem Geschwür (s"yn msrym)[3] und mit Hämorrhoiden (cplym )[4] und mit Ausschlag (grb) und mit Krätze ("rs) schlagen, von denen du nicht geheilt werden kannst.

28Jhwh wird dich mit Wahnsinn, Blindheit und Geistesverwirrung schlagen. 29Und du wirst am Mittag umhertasten, wie der Blinde im Finstern umhertastet. Und du wirst keinen Erfolg haben auf deinen Wegen. Und du wirst nur ausgebeutet und beraubt werden alle Tage - und es gibt keinen Helfer."


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[1] Steymans, Deuteronomium 28, 299.
[2] Watanabe, ade-Vereidigung, 162f.
[3] S. u. S. 246, Anm. 675.
[4] S. u. S. 246, Anm. 676.

Die feste Verknüpfung eines bestimmten Fluchthemas mit einer bestimmten Gottheit zeigt sich besonders schön an den mesopotamischen Flüchen mit Anrufung des Mondgottes Sin. K. Watanabe ist dieser Tradition, die ihren Niederschlag in bis dato 27 Belegen gefunden hat, in einem Aufsatz nachgegangen, in dem sie den Nachweis erbringt, dass der Sin-Fluch vom 14. bis zum 7. Jh. in weitgehend formalisierter Gestalt tradiert worden ist.[1] Der Fluch droht regelmäßig an, „dass der betr. Mensch durch den Mondgott Sin an sa'arsubbu- Krankheit erkranken und aus der Stadt verbannt werden soll."[2] sa'arsubbu wird für gewöhnlich mit „Lepra" oder „Aussatz" übersetzt. Das Wort wird in lexikalischen Texten mit gambu gleichgesetzt; dieses aber korrespondiert mit hebräisch grb, eine der in Dtn 28,27 genannten Hautkrankheiten (vgl. noch Lev 21,20; 22,22).[3] Die lexikalische Parallele zwischen Dtn 28,27 und dem mesopotamischen Sin-Fluch ist ein wichtiges Indiz für eine Abhängigkeit von der mesopotamischen Fluchtradition. Neben dem sa'arsubbu-Motiv begegnet im Sin-Fluch regelmäßig das Motiv der Exkommunikation, wobei in neuassyrischer Zeit zusätzlich gefordert wird, dass der Verfluchte von Tempel und Palast ausgeschlossen sein soll[4] (vgl. EST § 39 Z. 419f: „Sin ... möge ... euer Erscheinen in der Gegenwart des Gottes ... und des Königs verbieten!"). Es fällt auf, dass diese auch in anderen neuassyrischen Verträgen anzutreffende Erweiterung in Dtn 28,27 fehlt. Nach Steymans ist die Auslassung mit dem Umstand zu erklären, dass die Flüche in Dtn 28 stets Israel als Kollektiv im Blick hätten, eine Exkommunikation Gesamtisraels aber schlechterdings nicht möglich sei. Diese Auskunft ist allerdings angesichts der zwischen individuellem und kollektivem „Du" oszillierenden Anrede in Dtn 28 wenig über- zeugend.[5] Eine Abhängigkeit von der neuassyrischen Sin-Fluchtradition einmal angenommen, könnte man vielmehr fragen, ob der Ausschluss vom Tempel in Dtn 28,27 vielleicht deshalb fehlt, weil der einzig legitime Jerusalemer Tempel in der Zeit, in der Dtn 28* verfasst wurde, bereits in Trümmern lag.[6]

Samas, der Sonnengott, dem nichts verborgen bleibt, gilt in Mesopotamien als „Erheller der Finsternis" und „Herr der Gerechtigkeit".[7] Der Samas-Fluch in EST § 40 bedroht dementsprechend die Verfluchten mit Rechtlosigkeit und Blindheit.[8] Beide Themen, Rechtlosigkeit und Blindheit, bestimmen auch den Jhwh-Fluch in Dtn 28,28f.[9] Wegen seines nächtlichen Durchschreitens
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[1] Vgl. Watanabe, Überlieferung, 15. Die 27 Belege sind in Übersetzung a.a.O., 106-109, nachzulesen.
[2] A.a.O., 114.
[3] Vgl. Weinfeld, Traces, 418, Anm. 3, sowie Watanabe, Überlieferung, 110.
[4] Vgl. a.a.O., 112.
[5] Steymans, Deuteronomium 28, 106f; vgl. nur Dtn 28,35*, wo wohl kaum von den Knien und Schenkeln Gesamtisraels die Rede ist.
[6] Immerhin erwähnt Dtn 28* den Tempel auch sonst mit keinem Wort.
[7] Janowski, Rettungsgewissheit, 31. Vgl. zum Sonnengott in Mesopotamien a.a.O., 30-97.
[8] Zu den Interpretationsschwierigkeiten in Z. 423 vgl. Steymans, Deuteronomium 28, 85.
[9] Weinfeld, Traces, 421, stellt zu Recht fest, dass die Blindheit in Dtn 28,28f weniger physisch als vielmehr metaphorisch zu verstehen ist.

der Unterwelt besitzt der mesopotamische Sonnengott einen Bezug zum Totenreich, der auch in EST § 40 noch anklingt.[1] Wie A. Berlejung wahrscheinlich gemacht hat, zielt der Fluch mit der Wendung ina ekleti itallaka, „Wandelt in Dunkelheit umher!", auf die Versetzung der Verfluchten in die Unterwelt (bit ekleti).[2] Dtn 28,29, „Und du wirst am Mittag umhertasten, wie der Blinde im Finstern umhertastet", enthält keine vergleichbar drastische Aussage. Wie die Fortsetzung zeigt, ist die Finsternis hier Metapher für Recht- und Erfolglosigkeit des Verfluchten, die in der folgenden Fluchreihe expliziert wird.[3] Somit schwächt Dtn 28,28f den EST-Fluch in einem wichtigen Punkt ab. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass Dtn 28,28f mit EST § 40, aber auch mit weiteren mesopotamischen Samas-Flüchen,[4] die Fluchthemen Rechtlosigkeit und (metaphorisch verstandene) Blindheit teilt, auch wenn letztere im EST-Fluch anders konnotiert ist.

Das entscheidende Argument für ein Einwirken der neuassyrischen Vertragsrechtstradition auf Dtn 28* steckt in der gemeinsamen Abfolge der an den Göttern Sin und Samas orientierten Fluchthemen in Dtn 28,27-29. Die im Alten Testament einmalige[5] Zusammenstellung der beiden Themenkomplexe Hautkrankheiten und Rechtlosigkeit bzw. Blindheit in Dtn 28,27-29, die thematisch der Abfolge von Sin- und Samas-Fluch in EST § 39f entspricht, gewinnt noch einmal durch die Beobachtung an Wert, dass die Sonne bzw. der Sonnengott in der Levante in der Regel die Priorität vor dem Mond bzw. dem Mondgott besitzt,[6] was auch in einem westlichen Text wie Dtn 28* die umgekehrte Reihenfolge der Flüche erwarten ließe.[7] In diesem Punkt ist Weinfeld beizupflichten, wenn er postuliert:[8]

„The peculiar association of the curses of leprosy and judicial blindness in Dt 28,27-29 cannot, therefore, be satisfactorily explained unless we assume that the pairing of these two concepts - which is comprehensible only in the light of Mesopotamian religion - was literally transcribed from a Mesopotamian treaty copy to the book of Deuteronomy."


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[1] Vgl. auch die beiden ersten bei Steymans, Deuteronomium 28, 88, zitierten babylonischen
Samas-Flüche, in denen sich der Fluch des Sonnengottes noch in der Unterwelt auswirkt.​

[2] Berlejung, Rezension, 194. Dasselbe gilt für die Wiederaufnahme des Dunkelheitsmotivs in EST § 56 Z. 485f.
[3] Vgl. Weinfeld, Traces, 420f; Wächter, rw[, 1192; vgl. auch Steymans, Deuteronomium 28, 120: „Dunkelheit und Finsternis stehen hier wohl als Metaphern für alles, was ein Leben unglücklich machen kann."
[4] Vgl. die Übersicht bei Steymans (a.a.O., 88-90); vgl. zu den Samas-Flüchen auf Kolophonen a.a.O., 91, Anm. 1.
[5] Vgl. a.a.O., 295.
[6] Eine Ausnahme bilden in dieser Hinsicht die Nerab-Stelen, die den Mondgott shr vor dem Sonnengott sms bezeugen, vgl. Theuer, Mondgott, 376 mit Anm. 257.
[7] Vgl. Steymans, Deuteronomium 28, 91, Anm. 5. Vgl. auch die Reihenfolge in der Götterliste der Sfire-Inschriften (Sf I A: 9) und dazu Theuer, Mondgott, 372.
[8] Weinfeld, Traces, 422f. Seine These einer literarischen („literally") Abhängigkeit gilt es jedoch noch zu prüfen (s. u. Kap. V).

Für die Frage, ob allein der EST die gemeinsame Fluchfolge mit Dtn 28,27-29 erklären kann, ist zu prüfen, ob die Abfolge Sin - Samas innerhalb der neuassyrischen Überlieferung eine Eigenheit des EST ist, oder die übliche Reihenfolge darstellt. Steymans kommt zu dem Ergebnis, dass die Reihenfolge Sin - Samas „selbst für Mesopotamien nicht als feste Regel" festzustellen ist.[1] Doch in diesem Punkt gilt es, regional zu differenzieren und sich strikt auf die religiösen Verhältnisse im neuassyrischen Reich zu beschränken. In den wenigen und zudem oft schlecht erhaltenen neuassyrischen Vertragstexten enthalten 9 Götterlisten die Götter Sin und Samas. 7mal erscheint dabei die gesuchte Reihenfolge Sin - Samas.[2] In den übrigen beiden Fällen handelt es sich um Verträge mit babylonischen Machthabern.[3] Eine der dort bezeugten Götterlisten wird nicht wie üblich mit Assur, sondern mit Marduk, dem babylonischen Reichsgott, eröffnet, was den babylonischen Charakter des Dokuments offen- bart.[4] Man kann also sagen, dass die im EST bezeugte Abfolge Sin - Samas, die im Übrigen deren Vater-Sohn-Verhältnis widerspiegelt,[5] die in neuassyrischen Verträgen übliche Reihenfolge darstellt;[6] in Babylonien scheint die Hierarchie eine andere gewesen zu sein (vgl. auch die Götterliste im Codex Hammurapi). Auch andere neuassyrische Textsorten, die Götterreihungen bzw. -listen enthalten (etwa Götterinvokationen in Königsinschriften und Briefen), bezeugen die Abfolge Sin - Samas.[7] Es ist also keinesfalls so, dass der EST mit der Stellung des Samas-Fluchs nach dem Sin-Fluch eine Besonderheit
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[1] Steymans, Deuteronomium 28, 91.
[2] SAA II 2; 3; 6 (3mal); 8; 10.
[3] SAA II 1 und 9.
[4] S. zu diesem Vertrag in dieser Arbeit S. 37, Anm. 126.
[5] Vgl. Streck, Flüche, 182.
[6] Zu diesem Ergebnis gelangt auch Barre, God-List, 118, wenn er die Struktur einer für neuassyrische Verträge typischen Götterliste darstellt.
[7] Vgl. dazu Pongratz-Leisten, ina sulmi Trub, 115-128; vgl. zur Vorangstellung des Mondgottes bei den neuassyrischen Königen Theuer, Mondgott, 370.

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darstellt;[1] er spiegelt zwar keine (gemein)altorientalische,[2] wohl aber eine neuassyrische Tradition wider. Als Ergebnis bleibt zweierlei festzuhalten: Auf der einen Seite deutet die Themensequenz in Dtn 28,27-29 nicht zwingend auf eine Abhängigkeit vom EST hin; auf der anderen Seite ist die im Alten Testament einmalige Themenabfolge Hautkrankheiten - Rechtlosigkeit bzw. Blindheit zusammen mit dem sa'arsubbü-Motiv in V. 27 jedoch ein gewichtiges Argument für eine wie auch immer geartete Abhängigkeit von der neuassyrischen Fluchtradition
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[1] Vgl. auch die Vergleichstexte bei Weinfeld, Traces, 421f.
[2] So zu Recht Steymans, Deuteronomium 28, 91.

Dtn 28,30-34 gilt als Gegenstück zum Venus-Fluch. Die mit dem Abendstern gleichgesetzte Göttin Istar hat die Themen Liebe und Krieg als ihre Do- mäne.[1] Ihre Stellung in der Fluchsequenz des EST verdankt die Göttin vermutlich dem Umstand, dass sie wie Samas als Tochter des Mondgottes gilt.[2] Die Querbezüge zwischen Dtn 28,30-34 und EST § 42 sind bei näherem Hinsehen weniger aussagekräftig als bei den vorangehenden Versen. Auch scheint bei Dtn 28,30-34 die eigene biblische Tradition eine größere Rolle gespielt zu haben. Am deutlichsten zeigen sich die Gemeinsamkeiten zum Venus-Fluch noch in V. 30, der deshalb EST § 42 gegenübergestellt sei:

EST § 42[3] Dtn 28,30​



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[1] Vgl. zu Istar Abusch, Ishtar, 452-456.
[2] Vgl. Krebernik, Mondgott, 365, sowie Streck, Flüche, 182.
[3] Watanabe, ade-Vereidigung, 164f.

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In EST § 42 droht Venus in ihrer Eigenschaft als Liebes- und Kriegsgöttin den Verfluchten mit einer Niederlage vor dem Feind, der sich der entscheidenden Lebensgrundlagen - Frau, Haus und Habe - bemächtigt. Ein Vergleich des Venus/Istar-Fluches des EST mit einem Fluch im Baal von Tyrus-Vertrag, welcher der Göttin Astarte, der westsemitischen Entsprechung der mesopotamischen Istar, zugeordnet ist, zeigt, dass der Venus-Fluch des EST innerhalb der neuassyrischen Fluchtradition keinen Einzelfall darstellt. Der gegen Baal von Tyrus gerichtete Fluch stimmt nicht nur thematisch (Kriegsniederlage und Preisgabe der Lebensgrundlagen an den Feind), sondern in seinem letzten Satz beinahe wörtlich mit dem Venus-Fluch in EST § 42 überein:[1]
„18'So möge Astarte in schwerem Kampfe euren Bogen zerbrechen und euch zu Füßen [eures Feindes] 19'sitzen lassen, ein fremder Feind möge euer Gut verteilen."
Der Abschnitt Dtn 28,30-34 behandelt ebenfalls das Thema der Kriegsniederlage vor den Feinden, die sich der Lebensgrundlagen des Verfluchten bemächtigen. Im Gegensatz zu EST § 42 erscheint hier eine - weit umfangreichere - Reihe von Nichtigkeitsflüchen, die eine typisch aramäische Fluchgattung darstellen, die bei der Besprechung von 28,38-42 noch einmal in den Blick kommt. Steymans macht zu Recht darauf aufmerksam, dass die Umformulierung von einfachen Fluchwünschen in antithetische Nichtigkeitsflüche dem Übersetzungsprozess geschuldet sein kann.[2] In Dtn 28,30 sind jedoch sowohl Form als auch Inhalt in der israelitisch-judäischen Schriftprophetie längst bekannt, wobei z.B. die Infragestellung von Haus und Weinberg in Gestalt von Nichtigkeitsflüchen seit dem 8. Jh. belegt ist:[3]

Insbesondere für die Trias Frau - Haus - Weinberg in Dtn 28,30, die in der Tat weitgehend mit EST § 42 parallel läuft, stand den Verfassern der Fluchsequenz schon im Deuteronomium selbst eine Parallele bereit, die zudem aus demselben Themenkreis „Krieg" stammt. Es handelt sich um eine vor-dtr Spruchreihe aus dem Kriegsgesetz in Dtn 20,5*-7[4], in der verschiedene Kategorien von Israeliten vom Kriegsdienst freigestellt werden. Die Spruchreihe liefert exakt die drei in Dtn 28,30 in Nichtigkeitsflüche gegossenen Stichworte Haus - Weinberg - Frau, wobei letztere an die Spitze gestellt worden ist:

Dtn 20,5*-7


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[1] Borger, TUAT I, 159.
[2] Steymans, Deuteronomium 28, 298.
[3] Vgl. zu diesen und weiteren Belegen des Fluchtyps Podella, Notzeit-Mythologem, 430-434.
[4] Vgl. zum Kriegsgesetz und seiner literarhistorischen Differenzierung Otto, Ethik, 199f.


my h'ys 'sr bnh byt hds wl' hnkw [...] wmy h'ys 'sr n— krm wl' hllw [.] wmy h'ys 'sr 'rs 'sh wP Iqhh [.]

Die Beobachtung, dass sowohl EST § 42 als auch Dtn 28,30 die Reihe der den Feinden preisgegebenen Lebensgrundlagen mit der Frau eröffnen, findet ihre Bestätigung in weiteren Texten, die deutlich machen, dass die Preisgabe der eigenen Frau(en) an den/die Gegner als die größte Schmach empfunden worden ist.[1]

Die Fluchreihe in Dtn 28,30-34 deckt sich demnach thematisch mit dem Fluchthema der Kriegsniederlage und Preisgabe der Lebensgrundlagen an den Feind, welches in EST § 42 sowie - in vereinfachter Gestalt - im Baal von Tyrus-Vertrag der Göttin Venus/Istar zugeordnet worden ist. Im Zusammenhang mit den beiden vorangehenden Flüchen in 28,27-29, die ihrerseits eine Abhängigkeit von der neuassyrischen Fluchtradition nahe legten, könnte somit der gesamte Abschnitt 28,27-34 von einer neuassyrischen Fluchreihe Sin - Samas - Venus/Istar beeinflusst worden sein. Da sich die formale wie inhaltliche Ausgestaltung des möglicherweise vorgegebenen Fluchthemas der Kriegsniederlage in 28,30-34 jedoch hinlänglich aus der eigenen biblischen Tradition ableiten lässt, ist eine von Frankena und Steymans postulierte (literarische) Abhängigkeit speziell vom EST nicht nachweisbar.

Nachdem derAbschnitt Dtn 28,27-34 auf sein Verhältnis zu EST §§ 39-40.42 hin befragt worden ist, soll im Folgenden der übersprungene Fluch in Dtn 28,25a.26 in den Blick genommen werden, der letztlich darauf abzielt, dass die Leichen der Verfluchten von Tieren gefressen werden (V. 26). Der Fluch spiegelt die in der alten Welt weit verbreitete „menschliche Grundangst vor dem Unbe- stattet-Bleiben" wider.[2] Die Androhung, nach der die Leichen der Verfluchten verschiedenen Tieren ausgeliefert sein werden, die eine Bestattung verhindern, ist deshalb ein beliebtes und vielfach vorkommendes Fluchthema.[3] In den EST
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[1] Vgl. z.B. Sf I A: 40f sowie im Alten Testament 2Sam 12,11; 16,20-22; Jer 8,10.
[2] Fabry, lbn, 168; Das Unbestattet-Bleiben bzw. die Vernichtung der Leiche durch Tiere hatte nach altorientalischer Vorstellung schreckliche Folgen für die Weiterexistenz des menschlichen Totengeistes in der Unterwelt; vgl. z.B. Fischer, Tod, 143f.
[3] Vgl. für den Vorderen Orient Hillers, Treaty-Curses, 68f, sowie Lindenberger, Jewish Liturgy, 150-152 (mit einem weiteren Beleg aus Elephantine, vgl. vor allem die Zusammenfassung 152-154); vgl. für Griechenland Brown, Israel, 280-282.

begegnet das Motiv gleich viermal (§ 41; § 47 Z. 451; § 56 Z. 481-484; § 59),[1] zweimal mit Adler und Geier (aru zibu) (§ 41: Ninurta; § 59: Palil) und zweimal mit Hunden und Schweinen (kalbi sahi) (§ 41: Adad; § 56: Göttergruppe).

Der nachfolgende Kontext in Dtn 28,27-34, der thematisch die Fluchreihe Sin - Samas - Venus zu spiegeln scheint, könnte auch im Fall von Dtn 28,25a.26 für eine thematische Abhängigkeit von einem neuassyrischen Fluch mit gött
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[1] Vgl. Streck, Flüche, 177.

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Der Vergleich legt die thematischen Gemeinsamkeiten offen. Obgleich das in V. 26 gebrauchte Textmaterial („Leiche[n]" [nblh], „Vögel des Himmels und Tiere der Erde" ['wp hsmym wbhmt h'rs], „Fraß" [m,kl\)[1]'06 sowie die in V 25f* erscheinende Motivkombination Kriegsniederlage - Leichenfraß, die ja auch die logische kausale Abfolge zum Ausdruck bringt, biblisch breit belegt ist (1Sam 17,46; Jer 15,3; 19,7; 34,20; Ez 39,4; Ps 79,1f), mag - nicht zuletzt wegen der ähnlichen Querbezüge der folgenden Verse - auch der Fluch in Dtn 28,25a.26 thematisch von einem assyrischen Fluch abhängig sein. Wenig überzeugend ist indes die weitergehende These Steymans', der Merismus „Vögel des Himmels und Tiere der Erde" verdanke sich einem „Zusammenbau der Paragraphen 56 und 41"[2], in denen einerseits „Adler und Geier" und andererseits „Hunde und Schweine" zum Leichenfraß auftreten.[3] Die Rezeption von biblischen Motiven liegt - auch bei einer thematischen Abhängigkeit von einem assyrischen Fluch, der die Themen
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[1] Vgl. 1Sam 17,44.46; 1Kön 14,11; 16,4; 21,24; 2Kön 9,10.36; Ez 39,17-20; Ps 79,2; vgl. für Jer die Zusammenstellung der Belege bei Stipp, Konkordanz, 102. Zu }yn m"ryd vgl. Jes 17,2; Nah 2,12.
[2] Steymans, Deuteronomium 28, 304.



[3] EST § 56 Z. 483f lauten: „Die Erde möge eure Leichen 484nicht empfangen! Im Bauch der Hunde
(kalbi) und Schweine (sa'i) möge eure Grabstätte! sein!" (Watanabe, ade-Vereidigung, 166f).​

Kriegsniederlage und Leichenfraß vorgegeben hätte - in jedem Fall näher als die komplizierte These einer Zusammenarbeitung verschiedener EST-Paragraphen.[1]

Ist eine thematische Abhängigkeit von einem assyrischen Fluch nicht ausgeschlossen, so stellt sich auch an dieser Stelle die Frage, ob das dem Gott Ninurta zugeordnete Fluchthema in EST § 41 innerhalb der assyrischen Fluchtradition einen Sonderfall darstellt, oder auch in anderen assyrischen Texten zu erwarten ist. Insbesondere an diesem Beispiel tritt die Problematik, eine Traditionsgeschichte einzelner Flüche nachzuzeichnen, offen zu Tage, die ganz wesentlich mit der schlechten Quellenlage der Fluchtexte zu tun hat. Steymans, der ein solches Unterfangen dennoch wagt, zitiert zunächst alle bekannten Flüche mit Anrufung Ninurtas, um deren Fluchthemen zu vergleichen.[2] Nach Durchsicht aller 15 Vergleichstexte kommt er zu dem Ergebnis, dass Ninurta in den allermeisten Fällen mit den Themen Grenze, Grenzstein und Erbsohn in Verbindung gebracht wird.[3] Gerade einmal zwei Texte haben wie EST § 41 explizit kriegerische Konnotationen, und das dort dominierende Motiv des Leichenfraßes begegnet in keinem der Vergleichstexte. Steymans kommt zu der seine Abhängigkeitsthese bestätigenden Schlussfolgerung: „Keine festgeschriebene Ninurtafluchtradition stand also Pate für die konkrete Gestalt des Fluches der VTE [= EST]."[4] Doch bei näherem Hinsehen entpuppt sich Steymans' Annahme einer thematischen Extravaganz von EST § 41 als äußerst schwach begründet. Denn bei EST § 41 handelt es sich um einen Ninurta-Fluch in einem assyrischen Text aus dem 7. Jh. Alle Vergleichstexte stammen aber aus Babylonien, wobei der jüngste datierbare Text ins 10. Jh. gehört. Demnach ist es aufgrund fehlender Quellen überhaupt nicht möglich, zu sagen, mit welchen Fluchthemen der Gott Ninurta in der neuassyrischen Epoche verbunden war. Auf der anderen Seite passen die in EST § 41 auftauchenden Motive ausgezeichnet zum Verständnis Ninurtas[5] in neuassyrischer Zeit, in der der Gott als Krieger und Großwildjäger große Bedeutung für
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[1] Noch komplizierter wird der Sachverhalt, wenn man mit Steymans, Deuteronomium 28, 304f, gar mit drei - im EST entfernt liegenden - Vorlagen (§ 65, 41 und 56) rechnet, auf die der biblische Verfasser von Dtn 28, 25a.26 zurückgegriffen haben soll.
[2] Steymans, Deuteronomium 28, 97-99.
[3] A.a.O., 99.
[4] A.a.O., 100.
[5] Vgl. zu Ninurta als Kriegsgott Streck, Ninurta, 517.

das assyrische Königtum erlangte, wobei der aggressive, die Feinde bekämpfende König zuweilen mit dem Gott gleichgesetzt werden konnte.[1] Es ist also denkbar und wohl auch zu erwarten, dass sich mit der gewandelten Bedeutung Ninurtas in neuassyrischer Zeit auch die mit diesem Gott verknüpften Fluchthemen verändert haben. Vielleicht ist EST § 41, immerhin der einzige Beleg aus neuassyrischer Zeit, ein Indiz für einen solchen Wandel. In jedem Fall verbietet die Quellenlage, den EST-Fluch als Unikum in neuassyrischer Zeit auszugeben.

Vorausgesetzt, EST §§ 39-42 bzw. eine entsprechende assyrische Fluchreihe habe auf die Themenfolge in Dtn 28,25-34* eingewirkt, so bleibt immer noch das Problem zu lösen, dass Dtn 28,25f*, das Pendant zum Ninurta-Fluch in EST § 41, nicht wie in der entsprechenden EST-Reihe zwischen Sin - Samas (28,27-29) und Venus/Istar (28,30-34), sondern am Anfang der Reihe erscheint. Schon P.-E. Dion vermutete, die dem Ninurta-Fluch entsprechenden V. 25f* verdankten ihre Kopfstellung einer am Kontext orientierten absichtsvollen Um- stellung.[2] Diese Annahme wirft die Frage auf, ob es für eine solche Umstellung einen wirklich triftigen Grund gibt. Eine mögliche Lösung verbirgt sich hinter dem vorangehenden Textabschnitt. Nach dem Auftaktvers 28,20*, der den Eindruck erweckt, als eine Art summarische Prolepse der folgenden Jhwh-Flüche komponiert worden zu sein,[3] folgt in 28,21-25*(26*) ein Textstück, für das schon G. v. Rad innerbiblische Referenztexte ins Gespräch gebracht hat, deren inhaltliche Gemeinsamkeiten ihm zufolge nicht verwundern sollten: „denn die Thematik all dieser Segens- und Fluchformeln war eine beschränkte und stereo- type".[4] Weiterführend ist sodann eine Beobachtung H. Weipperts, die in dem besagten Abschnitt die vor allem im Jeremiabuch breit belegte Trias Schwert - Hunger - Pest wiedererkennt: „Inhaltlich beschreiben die hier zusammengestellten Flüche die drei Plagen rbd (Verse 21.22a), b[r bzw. die Voraussetzungen dafür (Verse 22b-24) und brx (Vers
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[1] Vgl. a.a.O., 520.
[2] Dion, Aspects, 48. Vgl. schon Weinfeld, Traces, 420 mit Anm. 1.
[3] So ähnlich auch Grätz, Wettergott, 105f, der aus dem Befund allerdings nicht traditions-, sondern literarkritische Konsequenzen zieht und die Authentizität des ganzen Verses in Frage stellt.
[4] Von Rad, Deuteronomium, 125. Genannt werden Jer 15,2 und Am 4,6-10.

25a)."[1] Die primäre Reihenfolge dieser so genannten Heimsuchungstrias[2], die zuerst „den Krieg als von außen kommendes Übel" und anschließend „seine Wirkungen auf die Belagerten" vor Augen hat, lautet 1. Schwert ("rb), 2. Hunger (r'b) und 3. Pest (dbr ).[3] Die kausale Abfolge erscheint in Dtn 28,21-25* in der genauen Umkehrung der Glieder (vgl. aber auch Ez 5,12). Im Hinblick auf Dtn 28,25a.26 ergibt sich hieraus die doppelte Auffälligkeit, dass der Fluch am Ende und am Anfang zweier Reihen steht - auf der einen Seite der biblischen Heimsuchungstrias in 28,21-26*, auf der anderen Seite der an den Göttern Sin - Samas - Ninurta - Venus orientierten

Fluchreihe in 28,25-34* -, in denen er jedoch jeweils am falschen Ort erscheint. Diese doppelte Deplatzierung erkennend, kommt P. Kübel zu einer m.E. plausiblen Erklärung für die Verortung von Dtn 28,25a.26 am Ende und Anfang zweier Reihen. Demnach gelangte das „Schwert" der Heimsuchungstrias an das Ende sowie der dem Ninurta-Fluch entsprechende Jhwh-Fluch an den Anfang der dem EST entsprechenden Reihe, „damit die beiden Reihen vereinigt werden konnten".[4] Das folgende Schema veranschaulicht das Verfahren bzw. dessen Resultat:[5]

Heimsuchungstrias​
Dtn 28,​
Assyrisierende Fluchreihe​


[HR=3][/HR]
[1] Weippert, Prosareden, 152f.
[2] Vgl. dazu Kaiser, brx, 174f. Die Trias ist Kaiser zufolge auf das dtr redigierte Jeremiabuch, die Fortschreibungen des Ezechielbuches sowie die Chronikbücher beschränkt. Als literarischen Quellpunkt der Trias im Jeremiabuch vermutet er Jer 5,12, als Sitz im Leben entsprechender Reihen die Klage (vgl. Klgl 4,9). Der traditionsgeschichtliche Hintergrund derartiger Heimsuchungsreihen könnte m.E. in altorientalischen Vertragsflüchen zu suchen sein. In einem Brief an den assyrischen König Assurbanipal zitiert der Verfasser, ein assyrischer Statthalter, aus einem Arabervertrag einen Fluch mit den Worten: „... as the treaty of the king, my lord, has caught up with them, those who escaped the iron sword will die of hunger." (SAA XVIII 143: r. 4-7; vgl. auch Parpola/Watanabe, Treaties, XXIII).
[3] Kaiser, brx, 174.
[4] Kübel, Aufbau, 6. Kübel formuliert das Ergebnis als (rhetorische) Frage (a.a.O., 5f): „Sollte in Dtn 28 das Schwert an das Ende und der Ninurta-Fluch an den Anfang gestellt worden sein, damit die beiden Reihen vereinigt werden konnten?"
[5] Vgl. zu dem Schema a.a.O., 6. Das einzelne Textbausteine bzw. -glieder umstellende Verfahren ist auch für assyrische Schreiber verbürgt, die so genannte Permutationen bei der Redaktionsarbeit an Königsinschriften einsetzten, vgl. Fales, Code, 176.

„Pest"​
21.22a​
 
„Hunger"​
22b-24​
 
„Schwert"​
25a.26​
Ninurta-Fluch​
 
27​
Sin-Fluch​
 
28-29​
Samas-Fluch​
 
30-34​
Venus/Istar-Fluch​


Nachdem für den Abschnitt Dtn 28,25-34* eine Orientierung an einer assyrischen Fluchsequenz als wahrscheinlich erscheint, stellt sich die Frage, ob möglicherweise auch die folgenden Jhwh-Flüche in 28,35* und 28,36f* auf entsprechende Themenvorgaben zurückzuführen sind.

Der Krankheitsfluch Dtn 28,35* ist in der Forschung mit dem Gula-Fluch EST § 52[1], aber auch mit dem Anu-Fluch EST § 38A in Verbindung gebracht worden, der Steymans zufolge den Vorteil hat, mit einem „geschlossene[n] Bereich der Parallelen" zu rechnen, „der EST §§ 38A-42 neben Dtn 28,25-35 stellt".[2] Abgesehen davon, dass bei dieser Annahme die Umstellung des Krankheitsfluchs an das Ende der Reihe von Dtn 28,25-35* erklärt werden müsste, ist das Fluchthema Krankheit schon im EST selbst derart oft belegt und dabei verschiedenen Göttern zugeordnet,[3] dass eine Abhängigkeit ausgerechnet vom Anu-Fluch mehr als zweifelhaft erscheint, zumal die „bösen Geschwüre" (s"yn r') aus Dtn 28,35* nichts mit der umfangreichen Liste an Krankheiten in EST § 38A zu tun haben.

Ein Deportationsfluch a la Dtn 28,36f* findet sich zwar nicht im EST,[4] dafür aber in dem schon häufiger als Vergleichstext herangezogenen, wenige Jahre älteren Vasallenvertrag mit Baal von Tyrus (SAA II 5) (Kol. IV Z. 14'-15'):[5]

„So mögen Melqart und Eschmun euer Land der Zerstörung 15'und eure Leute der Deportation preisgeben, aus eurem Lande .."

Von Frankena stammt in diesem Zusammenhang die
[HR=3][/HR]
[1] Vgl. etwa Frankena, Vassal-Treaties, 146.
[2] Steymans, Deuteronomium 28, 299.
[3] Vgl. Streck, Flüche, 172f.
[4] Bezeichnenderweise wird der Deportationsfluch Dtn 28,36f von Steymans, der eine literarische Abhängigkeit der Fluchsequenz in 28,20-44* speziell vom EST postuliert, als Nachtrag betrachtet (vgl. ders., Deuteronomium 28, 259f).
[5] Borger, TUAT I, 159.

interessante These, Dtn 28,36f* sei in dem der reihe dtn 28,25ff* pate stehenden assyrischen vasallenvertrag mit Juda dem eigenen Gott Jhwh zugeordnet gewesen - analog der Zuordnung des Deportationsfluchs im Baal von Tyrus-Vertrag zu den lokalen Göttern Melqart und Eschmun.[1] Um seine These zu stützen, kann Frankena darauf verweisen, dass Jhwh auch nach alttestamentlichen Aussagen als Garant von Vasalleneiden in Erscheinung tritt (vgl. z.B. Ez 17,19) und dass an einer Stelle gar ein entsprechender Fluch vorausgesetzt zu sein scheint (vgl. 2Kön 18,25). Sollte 28,36f* tatsächlich ebenfalls einem assyrischen Vorbild zu verdanken sein, so wäre auch in diesem Fall allein das Thema Deportation, nicht aber der Wortlaut vorgegeben gewesen, der überdeutlich auf die dtr Fiktion der bevorstehenden Landnahme abhebt - der Voraussetzung dafür, dass Israel einen König „über sich setzen" ('sr tqym 'lyk) kann - und überdies vermutlich auf das Schicksal König Jojachins anspielt (vgl. 2Kön 24,12). Aber diese, den Deportationsfluch betreffenden Mutmaßungen sind lediglich eine Denkmöglichkeit, die mangels aussagekräftiger Quellen nicht weiter verfolgt werden sollte. Ein Deportationsfluch lag schließlich schon von der zeithistorischen Situation des Exils her nahe, in der die älteste Fluchsequenz wahrscheinlich entstanden ist.

Alles in allem lässt sich somit im Gefolge Weinfelds für den Abschnitt Dtn 28,25-34* mit abnehmender Beweiskraft eine Abhängigkeit von einer assyrischen Fluchreihe wahrscheinlich machen, wie sie in EST §§ 39-42 bezeugt ist.

Götterreihe
Fluchthemen​
Dtn 28
Sin Hautkrankheit 27
Samas Rechtlosigkeit/Blindheit 28f
Venus/Istar Kriegsniederlage + Preisgabe der Lebensgrundlagen 30-34
Ninurta Kriegsniederlage + Leichenfraß 25f*

Ist in 28,27-29 die Folge von sa'arsubbü -Krankheit und Rechtlosigkeit/Blind- heit ein deutlicher Hinweis auf assyrischen Einfluss, so könnten die Themen Kriegsniederlage und Preisgabe der Lebensgrundlagen in 28,30-34 sowie die Themenkombination Kriegsniederlage und Leichenfraß in 28,25f* ebenfalls auf vorgegebene Fluchthemen, verbunden mit den Göttern Venus/Istar und Ninurta, zurückgehen. Wichtig sind im Hinblick auf die eingangs formulierten Fragestellungen zwei
[HR=3][/HR]
[1] Frankena, Vassal-Treaties, 146.150.

Schlussfolgerungen. Erstens scheint die Verknüpfung der Fluchthemen mit den entsprechenden Göttern in EST §§ 39-42 keinen Sonderfall innerhalb der assyrischen Fluchtradition darzustellen. Während sich zu Sin-, Samas- und Venus/Istar-Fluch leicht neuassyrische Parallelen beibringen lassen, muss der traditionelle Charakter im Falle des Ninurta-Fluches mangels aussagekräftiger Vergleichstexte freilich hypothetisch bleiben. Zweitens scheint auch die Reihenfolge der Götter in EST §§ 39-42 weniger dem Zufall als der Konvention geschuldet zu sein. Wie M. P. Streck zeigen konnte, sind die Flüche mit göttlichem Subjekt im EST nicht wahllos aneinandergereiht worden (und d.h. singulär), sondern vielmehr das Ergebnis einer planmäßigen Gestaltungsarbeit, für die er vier Typen von Kriterien namhaft machen konnte:[1]

Die Götterhierarchie

Götterpaare

Das Eltern-Kind-Verhältnis der Götter

Ähnliche Aspekte oder Funktionen der Götter

Während bei der Reihe Sin - Samas - Venus/Istar das Vater-Kind(er)-Verhältnis leitend war,[2] verdanken die in EST §§ 38A-43 zusammengestellten Götter ihre Position dem vierten Kriterientyp. Die genannten Kriterientypen dürften auch in anderen neuassyrischen Fluchsequenzen leitend gewesen sein, in denen Flüche mit göttlichem Subjekt vorkamen. Da der Fluchsequenz des EST - der, wie gesagt, den einzigen im Original überlieferten Vereidigungstext der neuassyrischen Epoche darstellt - bislang keine vergleichbar gut erhaltene neuassyrische Fluchfolge gegenübergestellt werden kann, bleibt in diesem Punkt vieles hypothetisch. Doch zeigt ein Vergleich einer Fluchfolge in dem Vasallenvertrag mit Baal von Tyrus mit einem Abschnitt aus dem EST, dass das hier vertretene Postulat eines weitgehend konventionellen Charakters sowohl der Reihenfolge der Flüche als auch der festen Verbindung von Göttern und Fluchthemen in die richtige Richtung weist:[3]
[HR=3][/HR]
[1] Streck, Flüche, 183.
[2] Vgl. für Belege der Reihe Sin - Samas - Istar Steymans, Deuteronomium 28, 145f.
[3] Borger, TUAT I, 171 und 159 (kursiv im Original).

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Da die Siebengottheit in Eidgötterlisten der erhaltenen neuassyrischen Vertragstexte in der Regel den Übergang zu den Göttern der Vertragspartner markiert,[1] ist es verständlich, wenn die Gemeinsamkeiten nicht über dieses Götterkollektiv hinausgehen. Da überdies im Vertrag mit Baal von Tyrus der Anfang der Fluchsektion weggebrochen ist,[2] könnten sich die Gemeinsamkeiten in der Abfolge der Flüche nach vorn auf noch einen größeren Bereich erstreckt haben. So oder so macht die Gegenüberstellung der beiden Fluchreihen deutlich, dass in diesem Punkt mit einer weitgehenden Standardisierung zu rechnen ist, zumal die beiden Verträge aus völlig entgegengesetzten Gebieten des neuassyrischen Imperiums stammen, einmal aus dem medischen Osten, einmal aus dem levantinischen Westen. Es ist von daher durchaus denkbar, dass Vasallenverträge mit Israel bzw. Juda vergleichbare Fluchsequenzen aufzuweisen hatten.[3] Im Anschluss an Weinfeld ergibt sich aus den
[HR=3][/HR]
[1] Vgl. Barre, God-List, 19.
[2] Vgl. Parpola/Watanabe, Treaties, XLVII: 75 bzw. 80 % des Vertrags sind verloren.
[3] Angesichts des schlechten Erhaltungszustandes der Fluchsektionen der neuassyrischen Vereidigungstafeln nimmt es nicht Wunder, dass der vorgestellten parallelen Abfolge keine weiteren Beispiele an die Seite gestellt werden können. Selbst von dem umfangreichen Vertrag mit dem Aramäer Mati'-il (SAA II 2) sind gerade einmal gut 40% der Flüche erhalten, von denen jedoch die meisten Vergleichsflüche ohne göttliche Subjekte sind (vgl. a.a.O., XLVI).

Gemeinsamkeiten in der Themenabfolge zwischen Dtn 28,25-34* und EST § 39-42, dass ein x-beliebiger assyrischer Vertrag direkt oder indirekt auf die biblische Fluchsequenz Einfluss genommen hat. Eine von Frankena und Steymans postulierte Abhängigkeit speziell vom EST ist folglich keinesfalls zwingend.