2.3 Traditionsgeschichtliche Analyse von Dtn 28*
Gegenstand der traditionsgeschichtlichen Analyse ist allein der soeben erhobene Kernbestand des Kapitels in Dtn 28,1-44*.[1] Nach der Analyse des Segen-FluchFormulars in Dtn 28,1-6*.15-19, dem in der vergleichenden Forschung bislang wenig Beachtung geschenkt worden ist, richtet sich das weitere Vorgehen nach forschungsgeschichtlichen Vorgaben, wobei der EST nicht zuletzt wegen seines ausgezeichneten Erhaltungszustandes den zentralen Vergleichstext darstellt. Ausgehend von einem Vergleich von EST § 63f mit Dtn 28,23f und EST § 39-42 mit Dtn 28,25-34* soll sodann das Verhältnis von EST § 56 zu Dtn 28,20-44* in den Blick genommen werden. EST § 56 ist der Kerntext der jüngsten Abhängigkeitsthese von H. U. Steymans, der in seiner Studie „Deuteronomium 28 und die ade zur Thronfolgeregelung Asarhaddons" die Fluchtraditionen im EST,[2] die antike Übersetzungspraxis von Flüchen sowie die Fluchsequenz in Dtn 28* in ihrem Verhältnis zum EST eingehend untersucht hat und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Fluchsequenz in Dtn 28,20-44* in joschijanischer Zeit aus EST § 56 (ergänzt durch §§ 38A-42 und 63f) übernommen worden sei.[3]
Der primäre Zusammenhang der Einleitungssätze 28,1f*.15 mit dem folgenden Segen-Fluch-Formular 28,3-6*.16-19 ist in der Forschung umstritten.[4] Für ein (vorliterarisches) Eigenleben der brwk - und 'rwr -Reihe könnte sprechen, dass sich das metrische Segen-Fluch-Formular von den „ganz im dtn Stil"[5]
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[1] Dies, obwohl Parallelen zu altorientalischen Verträgen und insbesondere zum EST auch in den späteren Wachstumsschichten des Kapitels vorliegen. Vgl. z.B. Dtn 28,53-57 mit EST Z. 448-450 (vgl. zu dieser Parallele Weinfeld, Deuteronomy, 126f, und zum Kannibalismus als Topos der Kriegsnotschilderung in altorientalischen und alttestamentlichen Texten Oeming, Kannibalismus, 99-103).
[2] Insbesondere versucht Steymans, zwischen solchen Flüchen zu unterscheiden, die auf der mesopotamischen Fluchtradition basieren, und solchen, die ein Spezifikum des EST darstellen, um so „das Traditionelle vom Individuellen zu trennen" (Deuteronomium 28, 3). Vgl. auch a.a.O., 11: „Stellen die motivischen und strukturellen Gemeinsamkeiten von Dtn 28 und den VTE [= EST] einen Sonderfall (uniqueness) dar oder gibt es in anderen biblischen und außerbiblischen Segens- und Fluchtexten ähnliche Baupläne (coincidence)?"
[3] Vgl. a.a.O., 380.
[4] Vgl. zum Folgenden Seitz, Studien, 271-273, sowie Grätz, Wettergott, 109-111.
[5] Seitz, Studien, 272. Deshalb sei die Verbindung von Einleitungen und Segen-Fluch-Formular wenigstens überlieferungsgeschichtlich nicht ursprünglich (vgl. a.a.O., 271f).
formulierten prosaischen Einleitungen in formaler Hinsicht deutlich absetzt. Ausgehend von dieser Beobachtung versucht etwa G. Seitz, indem er Reihen ohne einleitende Vordersätze postuliert, den Sitz im Leben des Formulars zu erhellen. Während er die Existenz eines derartigen, Segen und Fluch gleichermaßen enthaltenden Formulars mangels analoger Phänomene ausschließt, sieht er die überlieferungsgeschichtlichen Wurzeln zuletzt in der brwk-Reihe in 28,3-6*, die er formgeschichtlich in den kultischen Zusammenhang der Abgabe der Erstlingsfrüchte stellt (vgl. Dtn 26,1-15):
„Man kann also die Vermutung äußern, dass die in 28,3-6 vorliegende bärük-Reihe vielleicht einmal ein Abschiedssegen nach der Ablieferung der Erstlingsfrüchte gewesen ist. Aus diesem ursprünglichen Sitz ist dann die Segensreihe herausgenommen und durch einen entsprechenden Vordersatz der Gesetzesparänese des Dt, in deren Dienst das Segen- und Fluchkapitel 28 steht, einverleibt worden. Zugleich ist in diesem Zusammenhang eine entsprechende Fluchreihe (28,16-19) dazu gebildet worden. Der für einen bestimmten Fall absolut geltende Segen wurde damit an eine Bedingung geknüpft und aus dem individuellen Du des angeredeten Bauern wurde das kollektive Du, mit dem sich das Dt an das Volk wendet."[1]
Die These klingt auf den ersten Blick sehr überzeugend. Und in der Tat deuten auch gattungskritische Beobachtungen in diese Richtung, insofern ein absoluter Gebrauch der }rwr -Formel weder im Alten Testament noch in althebräischen epigraphischen Quellen belegt ist.[2] Doch auch gegen den von Seitz erwogenen Rekonstruktionsversuch der brwk-Reihe spricht der gattungskritische Befund; denn die in 28,3-6* gebrauchten brwk-Formeln stimmen wegen der Anrede in der 2. Pers. Sg. (brwk 'ih) rein formal nicht mit den selbständigen althebräischen Segensformeln überein.[3]
„Es ist daher zu fragen, ob nicht die 2. Pers. Sg. in Dtn 28,3-6 analog dem Segenswunsch in Dtn 7,14 die deuteronomisch-deuteronomistische Anredesituation widerspiegelt und deshalb eine originäre (literarische) Verbindung zwischen den Einleitungsversen und den jeweils folgenden Reihen bestanden hat oder sekundär hergestellt ist, wobei die Reihen gegenüber den Einleitungen sekundär wären."
Wenn demnach sowohl die Einleitungssätze in 28,1f*.15 als auch die jeweils folgende brwk- und 'rwr-Reihe selbst den Eindruck erwecken, sich dtr Händen zu verdanken, sollte das bei einem insgesamt als dtr eingestuften Grundbestand in Dtn 28 nicht weiter verwundern; es zeigt lediglich, dass im Eingangsbereich der eigenen dtr Diktion größerer Raum gegeben worden ist. Dabei ist zu betonen, dass zwischen der 'rwr-Reihe und 28,20-44* keine literarische, sondern eine gattungs- bzw. traditionsgeschichtliche Naht liegt, insofern die ab V. 20 folgenden Flüche verstärkt gattungsmäßige und traditionsgeschichtliche Analogien im altorientalischen Vertragsrecht besitzen.
Im Hinblick auf das Segen-Fluch-Formular ist damit freilich noch nicht das
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[1] Seitz, Studien, 273.
[2] Vgl. Grätz, Wettergott, 109f mit den Anm. 105 u. 106; vgl. schon Schottroff, Fluchspruch, 14.
[3] Vgl. Grätz, Wettergott, 110f.
letzte Wort gesprochen. Auch wenn es nach all diesen gattungskritischen Problemanzeigen schwierig ist, überlieferungsgeschichtlich hinter die literarische Gestalt der brwk- und 'rwr-Reihe zurückzugehen, um einen primären Sitz im Leben der Reihen bzw. einzelnen Formeln zu rekonstruieren, so scheint Seitz m.E. immerhin bei der Suche nach dem sozialen Bezugsrahmen der gesegneten Objekte auf der richtigen Fährte gewesen zu sein. In wenigstens zwei Fällen liegt der Jhwh-Kult als Bezugsrahmen offen vor Augen. (1.) Das Wort —n' „Korb" ist viermal im Alten Testament belegt, je einmal in der brwk- und 'rwr-Reihe und in Dtn 26,2.4 (dtr),[1] wo es den Korb bezeichnet, mit dem die Erstlingsfrüchte in den Tempel gebracht werden, woraufhin ein Segen für Israel und sein Land erbeten wurde (V. 15).[2] (2.) Die Opposition b'k und s'k in V 6 (brwk }th bb'k wbrwk 'th bs'ik) erinnert an Ps 121, der u.a. in V. 8 Anklänge an eine Segensliturgie enthält (yhwh ysmr s'tk wbw'k m'th w'd 'wlm).[3] Beide Beispiele legen nahe, dass die dtr Verfasser bei der Ausarbeitung des Formulars auf Sprachmaterial aus dem Milieu kultischer Segenshandlungen zurückgegriffen haben. Von daher dürfte Seitz zumindest insofern Recht haben, als der brwk-Reihe wenigstens in Bezug auf die in den Formeln gebrauchten Objekte Priorität zukommt; denn ein kultischer Zusammenhang, in dem derlei Objekte verflucht worden wären, ist weniger einleuchtend.
Wenn auch die dtr Autoren von Dtn 28* in Bezug auf die in dem Segen-Fluch-Formular verwendeten Reihen nicht auf traditionsgeschichtliche Vorbilder zurückgreifen konnten, so haben sie das Formular in toto doch nicht völlig frei erfunden. Das Segen-Fluch-Formular mitsamt den Einleitungssätzen besitzt strukturelle Parallelen in Vertragstexten der westlichen Vertragsrechtstradition. Vertragsrechtliche Wurzeln lassen sich schon für die in den Einleitungssätzen über Segen und Fluch entscheidende Wendung smc bqwl yhwh „auf Jhwhs Stimme hören" wahrscheinlich machen,[4] was an drei Beispielen demonstriert sei. In einem Brief des Hethiterkönigs Suppiluliuma I. an Niqmaddu von Ugarit, in dem deutliche Anklänge an einen bevorstehenden Vertragsschluss laut werden, heißt es:[5]
„And if you, Niqmaddu, hear (semü) and observe (nasäru) these words of the Great King, your lord, then you shall surely experience the favor which the Great King, your lord, will show to you."
Im neuassyrischen EST lautet eine vergleichbare Bestimmung (§ 17 Z. 194-196):[6]
„(Bei Gott,) ihr sollt alles, was er [sc. Assurbanipal] befiehlt, hören ([summa] lä tasammani) und seinem Mund entsprechend handeln."
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[1] Vgl. zur redaktionsgeschichtlichen Stellung des kleinen geschichtlichen Credos Dtn 26,1-11*
Gertz, Stellung.
[2] Vgl. Seitz, Studien, 273.
[3] Vgl. Seybold, Psalmen, 478.
[4] Vgl. zum altorientalischen Hintergrund der Wendung auch Fenz, Stimme, 74-80.
[5] HDT 19 § 2; vgl. zu der Parallele Fenz, Stimme, 76.
[6] Die eigene Übersetzung basiert auf der Umschrift von Watanabe, ade -Vereidigung, 152.
Eine brauchbare Parallele zu den Konditionalsätzen in Dtn 28,1f*.15 stellt die dem Vasallen gewährte Sicherheitsgarantie des Oberherrn dar,[1] die in hethi- tischen Verträgen sowie den aramäischen Inschriften von Sfire belegt ist. In den Sfire-Inschriften ist der einschlägige Abschnitt, soweit dies erkennbar ist, strukturell wie die westlichen Segen-Fluch-Formulare als Schicksalsalternative gestaltet. Der Garantie geht daher ein entsprechender Konditionalsatz voraus, der wie die Einleitungssätze in Dtn 28 den Gehorsam (mit aram. smc) des Vasallen gegenüber dem Oberherrn anmahnt. In Sf I B heißt es:[2]
„... und (wenn) Mati'-Il nicht hört (wlysmc mt"l) [...] 22und alle Könige, die in Arpad herrschen werden [...]. 23[.], dann seid ihr eidbrüchig gegenüber allen Vertragsgöttern, die in dieser Inschrift stehen. 24[Wenn du aber hörst (phn tsmc)[3] ..] ... diese Verträge und sagst: ,[Ich] bin ein Vertragsmann!' [dann kann ich meine] 25[Hand nicht] gegen dich [erheben] und mein Sohn kann die Hand nicht gegen [deinen] Sohn erheben, und meine Nachkommenschaft (nicht) gegen [deine] Nachkommenschaft."
Die traditionsgeschichtlichen Wurzeln spiegeln sich auch in der Verwendung im Deuteronomium wider, wo die Wendung smc bqwlyhwh nach der Kontextanalyse N. Lohfinks fest mit der vertragsrechtlichen Schicksalsalternative aus Segen und Fluch verbunden ist[4] und mithin „den Gesetzesgehorsam unter der Bedingung von Segen und Fluch" bezeichnet.[5] C. Levins Annahme, dass die Wendung im Deuteronomium von der Verpflichtung Israels auf den Bund in 26,17 und den Konditionalsätzen des Segen-Fluch-Kapitels (28,1f.15) ihren Ausgang genommen hat, klingt plausibel, weil dieser Quellpunkt gut mit dem vertragsrechtlichen traditionsgeschichtlichen Hintergrund konform ginge.[6]
Noch deutlicher werden die vertragsrechtlichen Konnotationen, wenn man das Segen-Fluch-Formular insgesamt in den Blick nimmt. Dabei ist in diesem Fall sogar das Woher der Modell stehenden Texte und Vorstellungen insofern leicht zu beantworten, als einschlägige Segen-Fluch-Formulare in assyrischen
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[1] Vgl. zu diesem Element o. S. 74.
[2] Rössler, TUAT I, 183. Vgl. Rüterswörden, [mX, 267.
[3] Vgl. für die Rekonstruktion die Parallelstelle in Sf II B: 4 und zu der Konjuktion phn Fitzmyer, Inscriptions, 128.
[4] Lohfink, Hauptgebot, 66: „Der Bestand an Segens- und Fluchstücken und der Anwendungsbereich von sm( }et/sm( beqol decken sich also einigermaßen. Die Ausdrücke sind nicht in Reihen von Verben für Gesetzesbeobachtung eingedrungen, die nichts mit Segen und Fluch zu tun haben." Vgl. auch Schult, [mx, 981: „Auffallend häufig steckt hinter der scheinbar allgemeinen Forderung des Hörens auf die Worte Jahwes nach Ausweis des Kontextes die Forderung der ausschließlichen Jahweverehrung [...]" Zu der verwandten Formel sm( >l und ihrem vertragsrechtlichen Hintergrund vgl. Kalluveettil, Declaration, 135-138.
[5] Levin, Verheißung, 108, Anm. 136.
[6] Vgl. Levin, Verheißung, 108, Anm. 136. Nach Veijola, Königtum, 88f, können im Alten Testament überhaupt keine vor-dtr Belege der Wendung mit Sicherheit identifiziert werden, vgl. zu dieser Frage auch Rüterswörden, [mX, 268.
Verträgen nie, dagegen aber regelmäßig in Texten der westlichen Vertragsrechtstradition belegt sind. Insbesondere der Zusammenhang von einleitenden Konditionalsätzen und einem parallel gestalteten Segen-Fluch-Formular ist kennzeichnend für die westliche Vertragsrechtstradition. Die nächsten Analogien bieten die meist parallel gestalteten Segen-Fluch-Formulare in hethi- tischen und aramäischen Verträgen. Wie in Dtn 28,3-6*. 16-19 dienen auch dort die aufgezählten Segens- bzw. Fluchobjekte dem Ziel, alle Lebensbereiche der verfluchten Person(en) zu treffen.[1] Die größte Nähe zu dem Segen-FluchFormular in 28,1-6*.15-19 besteht zu den recht monoton formulierten SegenFluch-Formularen in den hethitischen Vasallenverträgen. So heißt es im Vertrag zwischen Mursili II. und Niqmepa von Ugarit - einem Vertreter der für die Vermittlung der hethitischen Vertragsrechtstradition in die Levante bedeutsamen Gruppe der syro-hethitischen Verträge (Z. 113'-119'):[2]
„Wenn Niqmepa diese Worte der Bindung und des Eides nicht bewahrt (lä inassar )[3], so mögen die Eide bei diesen Göttern den Niqmepa mit seinem Haupt, seinen Frauen, seinen Söhnen, seinen Enkeln, seinem Haus, seiner Stadt, seinem Land (und) seinem Besitz vernichten.
Und wenn Niqmepa diese Worte der Bindung und des Eides, die auf dieser Tafel geschrieben stehen, bewahrt (inassarsunu), so mögen die Eide bei diesen Göttern den Niqmepa mit seinem Haupt, seinen Frauen, seinen Söhnen, seinen Enkeln, seinem Haus, seiner Stadt, seinem Land und seinem Besitz bewahren."
Im Zusammenhang der traditionsgeschichtlichen Untersuchung der aramäischen Sfire-Inschriften ist bereits demonstriert worden, dass diese Eigenheit der hethitischen Vertragsrechtstradition auch Eingang in aramäische Vertragstexte gefunden hat,[4] wobei die in den Sfire-Inschriften erhaltenen Spuren eines Segen-Fluch-Formulars der in Dtn 28* vorfindlichen Abfolge SegenFluch strukturell noch näher kommen. Die zweimalige Abfolge von Segen und Fluch in der dreisprachigen Behistun-Inschrift des persischen Königs Darius I. (522-486) beweist, dass das westliche Segen-Fluch-Formular noch lange Zeit lebendig war.[5] Alles in allem können in 28,3-6* (und 28,16-19) somit zwar einzelne Segensobjekte und Formulierungen einem Sitz im Leben im Jhwh-Kult mit seinen verschiedensten Segenshandlungen zugesprochen werden, nicht aber die Segensformeln an sich, die ausweislich ihrer Anredeform (brwk§ + 2. Pers.
Sg.) vermutlich als dtr Konstruktionen zu betrachten sind. Allerdings arbeiteten
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[1] Vgl. dazu Weinfeld, Heritage, 187f, mit Analogien in griechischen Texten.
[2] Übersetzt nach Del Monte, Trattato, 30-33.
[3] Die Verben nasäru bzw. nsr „bewahren", mit denen in den hethitischen und aramäischen Texten das Einhalten der Vertragsinhalte angemahnt wird, entspricht dem hebräischen Wortstamm smr, der in den Einleitungssätzen Dtn 28,1f* und 15 in einem analogen Zusammenhang Verwendung findet, vgl. auch Fenz, Stimme, 70f.
[4] S. dazu o. S. 58.
[5] Eine knappe Einführung und Übersetzung der Inschrift bieten Borger/Hinz, TUAT I, 419-450; vgl. zu einer Synopse der persischen, elamitischen und babylonischen sowie einer späteren aramäischen Fassung des doppelten Segen-Fluch-Formulars Steymans, Deuteronomium 28, 185-188.
die dtr Verfasser nicht voraussetzungslos. Im Hintergrund der Schicksalsalternative in Dtn 28,1-6*.15-19(.20-44*) steht vielmehr das für westliche Verträge typische Segen-Fluch-Formular, das aus parallel gestalteten, möglichst alle Lebensbereiche abdeckenden Segens- und Fluchformeln mit jeweils vorangehenden konditional formulierten Einleitungssätzen besteht. In Dtn 28,1-6* und 15-19 ist somit ein ganz ähnliches Verfahren zu beobachten wie bei den in Dtn 13* zusammengestellten, als Vertragsbestimmungen stilisierten Fallbeispielen zum Ersten Gebot: Es werden mit eigenen sprachlichen Mitteln Strukturen und Formen des altorientalischen Vertragsrechts imitiert.
Die offensichtlichen inhaltlichen Gemeinsamkeiten zwischen Dtn 28,23f und EST § 63f spielten in der vergleichenden Forschung zu Dtn 28 von Anfang an eine entscheidende, Weichen stellende Rolle. Nachdem bereits D. J. Wiseman in der Erstveröffentlichung des EST auf die Parallele aufmerksam gemacht hatte,[1] veranlasste sie den Assyriologen R. Borger drei Jahre später zu der Feststellung: „Der Deuteronomist muss doch irgendwie dieses ebenso gesuchte, wie einprägsame Bild einer assyrischen Quelle entnommen haben."[2] Im gleichen Zusammenhang spricht Borger auch bereits das Problem der Vermittlung der Traditionen an, wenn er die Frage stellt: „Kam es vielleicht auch vor in einem Vertrag zwischen den Assyrern und den Judäern??"[3] Auch M. Weinfeld und H. U. Steymans, die beide Vertreter der These einer literarischen Abhängigkeit der biblischen Fluchsequenz von einem assyrischen Vertrag bzw. dem EST sind, beginnen ihre vergleichende Untersuchung mit einer Gegenüberstellung dieser beiden Flüche. Bei EST § 63f und Dtn 28,23f scheint demnach, zumindest forschungsgeschichtlich, der Ansatzpunkt der Abhängigkeitshypothesen zu liegen. Ausgerechnet hier birgt die Annahme einer Abhängigkeit vom EST sowie einer literarischen Vermittlung überhaupt jedoch ernsthafte Probleme.
EST § 63f besitzt im Alten Testament in Lev 26,19f eine weitere Parallele, die in die Analyse mit einzubeziehen ist.[4] Die drei Flüche lauten im direkten Vergleich:
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[1] Wiseman, Vassal-Treaties, 26, Anm. 201.
[2] Borger, Asarhaddon-Verträge, 191f.
[3] A.a.O., 192; vgl. auch Moran, Background, 83.
[4] Die im Papyrus Amherst 63, Kol. 18, Z. 11f bezeugte weitere Parallele kann hier außer Acht bleiben, da sich die Rahmenerzählung „letztendlich auf assyrische Keilschriftquellen stützt" (Kottsieper, Aufnahme, 288).
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Innerhalb des EST beginnen mit § 63f die so genannten Vergleichsflüche bzw. Zeremoniellen Flüche. Auf diesen Fluchtyp ist in Kapitel II dieser Arbeit bereits mehrfach eingegangen worden, so dass es genügt, einige Eckdaten in Erinnerung zu rufen.[1] Vergleichsflüche wurden ursprünglich im Zusammenhang einer auf dem Prinzip des Analogiezaubers basierenden Symbolhandlung ausgesprochen, die den Vereidigten auf drastische Weise die Folgen einer Verletzung der Eide vor Augen führte. Da literarische Vorbilder in der mesopotamischen Fluchtradition weitgehend fehlen und die im EST belegten Vergleichsflüche aufgrund sprachlicher Eigenheiten aus dem Rahmen fallen, ist ein Einfluss der westlichen Vertragsrechtstradition in Anschlag gebracht worden. Dabei spricht die große formale und inhaltliche Nähe zu den Vergleichen in den aramäischen Sfire-Inschriften, die ihrerseits von hethitischen Fluchtraditionen beeinflusst sein dürften, für eine hethitisch-aramäisch-neuassyrische Traditionslinie, wobei die nordsyrischen Aramäerstaaten als Traditionsträger zu vermuten sind.
Die in den hethitischen Militärischen Eiden bezeugten Vergleichsflüche zeigen noch deutlich die im Hintergrund stehende Symbolhandlung mit einer demonstratio ad oculos. In einem thematisch verwandten Fluch, der auch den Handlungsgegenstand und den Vergleichspunkt benennt, heißt es (Rs. III Z. 36-45):[2]
„Und einen Ofen legst du vor ihnen nieder, auch Nachbildungen eines Pfluges, eines Lastwagens (und) eines Streitwagens legst du vor (ihnen) nieder, und sie zerbrechen sie ganz. Und er spricht folgendermaßen: ,Wer diese Eide übertritt, dem soll der
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[1] S. oben S. 67-69 und 95.
[2] Oettinger, Eide, 12-15.
Wettergott den Pflug ganz zerbrechen, und wie aus dem Ofen kein Grün emporkommt, so soll aus dessen Feld Gerste und Weizen nicht hervorkommen und darauf soll sich Unkraut ausbreiten!'"
Von dem hethitischen Beispiel herkommend, ist zwar EST § 64 als Vergleichsfluch zu bezeichnen, nicht aber § 63, der lediglich den Boden mit einem Ziegel und einer Eisenplatte vergleicht.[1] In § 64 kann man sich demgegenüber den „Himmel aus Bronze", womit vermutlich ein bronzener Baldachin gemeint ist,[2] noch sehr gut als Objekt einer Symbolhandlung vorstellen, die den Vereidigten die Verschlossenheit des Himmels vor Augen führen sollte. Verbunden sind die formal disparaten Paragraphen 63 und 64 durch das gemeinsame Thema Landwirtschaft bzw. deren Verfluchung sowie durch die Gegenüberstellung von Erde und Himmel.[3]
S. Grätz hat überzeugend nachgewiesen, dass die thematische Einheit Motive und Ausdrücke enthält, die dem Zugehörigkeitsbereich des Wettergottes entstammen. „Gabe und Verweigerung des Regens gehören traditionell in den Wirkungsbereich Adads."[4] Auffällig ist allerdings die Verbindung von Regen und Tau (zunnu nalsu) in Z. 531, die nach Grätz „innerhalb der gesammelten Belege des Adad-Fluchs singulär"[5] sei. Da in Mesopotamien neben Regenmangel auch Überschwemmungen auf den Wettergott zurückgeführt werden,[6] werden dort an Stelle von Tau und Regen gelegentlich Regen und Quellwasser paral- lelisiert,[7] was sich z.B. in dem Adad-Epitheton bei nagbi u zunni, „Herr des Quellwassers und des Regens", niedergeschlagen hat.[8] In einer Fluchformel aus einem babylonisch-assyrischen Vertrag, die den Adad-Fluch aus dem Codex Hammurapi wörtlich aufnimmt, heißt es z.B.:[9]
„Adad, der Kanalinspektor von Himmel und Erde, möge ihm den Regen im Himmel (zunnu ina same) und die jahreszeitliche Hochflut in der Quelle (milu ina nagbi) wegnehmen!"
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[1] Vgl. zum Ziegelsteinmotiv auch den Fluch in SAA II 2: I 4'-7'.
[2] CAD S 1, 348 (samu A 2).
[3] Vgl. dazu Grätz, Wettergott, 117 mit Anm. 149. Möglicherweise ist in der Gegenüberstellung von Himmel und Erde eine Anspielung auf den Wettergott zu sehen; vgl. das Adad-Epitheton gugal same u erseti und dazu a.a.O., 120.
[4] A.a.O., 119; in § 63 soll der eiserne Boden vermutlich das Aufsteigen des Grundwassers verhindern, wobei auch dies in den Zuständigkeitsbereich des Wettergottes fällt; vgl. a.a.O., 120f.
[5] A.a.O., 119.
[6] Vgl. etwa Schwemer, Wettergottgestalten, 170: „Da übermäßiger Frühjahrsregen das Hochwasser der Flüsse so verstärken kann, dass die Überschwemmung die Feldfrucht vernichtet, zeichnet Adad innerhalb von Fluchformeln gelegentlich auch für die Hochflut und so für das Quellwasser verantwortlich, ohne dass dadurch die grundsätzliche Korrespondenz zwischen Ea, dem Gott des unterirdischen Süßwasserozeans, und Adad, dem Regengott, aufgehoben würde."
[7] Vgl. die Belege in CAD Z, 161f (zunnu A a und c); Tau (nalsu) wird gelegentlich mit Nebel (imbaru) parallelisiert, vgl. CAD N I, 203 (nalsu a).
[8] Vgl. dazu Schwemer, Wettergottgestalten, 170, Anm. 1202.
[9] Übersetzt nach SAA II 1: r. 13f.
Die Verbindung von Tau und Regen begegnet dagegen im Westen, nämlich in Ugarit und in der Bibel, wo sie als Gaben Baals bzw. Jhwhs gelten. Eine Passage aus dem ugaritischen Aqht-Epos lautet:[1]
„Sieben Jahre möge Ba'lu versagen, acht der Wolkenreiter!
(Jahre) ohne Tau (—l), ohne Regen (rbb),
ohne das ... der unterirdischen Wasser (thmtm),
ohne das Gute der Stimme des Ba'lu (d.h. des Donners)."
Und in 1Kön 17,1abb schwört der Prophet Elia in Jhwhs Namen folgenden Eid (vgl. noch 2Sam 1,21a):
„Es soll diese Jahre weder Tau noch Regen (—l wm—r) kommen, ich sage es denn!"
Die motivgeschichtlichen Beobachtungen decken sich mit dem schon erwähnten gattungsgeschichtlichen und sprachlichen Befund der §§ 63ff, der eindeutig in den Westen weist. Dazu passt auch, dass der Vergleich von Himmel und Erde mit Metallplatten in der übrigen mesopotamischen Literatur ohne Parallele ist,[2] dagegen aber in Kleinasien und Griechenland ein verbreitetes Motiv darstellt. Metallene Himmel oder Erden sind von der alt- bis in die junghethitische Zeit im Kontext verschiedener Rituale bezeugt, wobei sowohl Bronze als auch Eisen als Material gebraucht werden.[3] Die Verwendungsweise der verdinglichten Himmel oder Erden in den hethitischen Ritualen berührt sich in mancher Hinsicht mit der in dem Vergleichsfluch EST § 64. Dort scheint dem Vereidigten ein bronzener Baldachin vorgeführt worden zu sein, der in dem begleitenden Fluch mit dem (verschlossenen) Himmel identifiziert worden ist:[4]
„Wie Regen nicht von dem bronzenen Himmel fällt, so mögen kein Regen (und) Tau auf eure Felder und Wiesen kommen. Statt Regen mögen Kohlen auf euer Land regnen."
Ein vergleichbarer Analogiezauber ergibt sich aus einem das Ritual des Purijanni (CTH 758) begleitenden Spruch in luwischer Sprache. Nachdem in der Ritualzurüstung neben anderen Gerätschaften auch zwei bronzene Himmel aufgelistet sind, heißt es in dem fragmentarisch erhaltenen Ausspruch:[5]
„Und hier sind ein Himmel und eine Erde; und wie der Himmel nicht Erde wird und die Erde nicht Himmel wird, so wird dieses Ritual auch nicht [ ] werden!"
Auch in Griechenland dienen die Metalle Bronze und Eisen vielfach der (metaphorischen) Beschreibung des Himmels, so etwa in den homerischen Epen.[6] Zusammengenommen spricht all dies für die These, dass die Flüche in EST § 63f
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[1] Zitiert nach Schwemer, Wettergottgestalten, 542; vgl. zu weiteren Belegen Loretz, Ugarit, 161-166.
[2] Vgl. Steymans, Deuteronomium 28, 134.
[3] Vgl. dazu Görke, Ritual, 202f.
[4] Streck, Flüche, 174.
[5] Zitiert nach Görke, Ritual, 202. Zu weiteren Beispielen des „Himmels aus Bronze" in hethi- tischen Texten s. CHD L-N, 453 (nepis g).
[6] Vgl. Brown, Israel, 106f.
einen Import aus dem (aramäischen) Westen darstellen.[1] Für die Beziehung zu Dtn 28,23f ist mit dieser Feststellung jedoch noch nicht allzu viel gewonnen; denn die Flüche könnten ja zuerst aus dem Westen in neuassyrische Vertragstexte und später von dort - quasi als Reimport - nach Juda gelangt sein.
Weiterführend ist hier zunächst eine innerbiblische Verhältnisbestimmung der Flüche in Dtn 28,23f und Lev 26,19f. Nach Steymans sprechen die inhaltlichen Übereinstimmungen der EST-Flüche sowie der beiden biblischen Belege für eine zweistufige literarische Abhängigkeit, wobei die EST-Flüche den Anfang und Lev 26,19f das Ende bildeten: „So erscheint eine Entwicklungslinie, die sich von den VTE [= EST] zu Lev 26,19 erstreckt, vom eher zufälligen Zusammentreffen von Erde und Baldachin zu immer exakterem Parallelismus und immer konsequenterer Anpassung der Motive an die Verhältnisse Palästinas."[2] Für das Verhältnis von Lev 26,19f zu Dtn 28,23f ist vor jeglicher Suche nach traditionsgeschichtlichen Vorgaben ein Blick auf die in ihrem Kern schon in die nachexilische Zeit zu datierende[3] Komposition von Lev 26 sinnvoll. Innerhalb dieser bilden die V. 19f das Gegenstück zu der bedingten Segensverheißung in V. 4f. Sie sind folglich in erster Linie von daher abzuleiten, zumal nichts für die Annahme spricht, dass der Segen in V. 4f vom Fluch in V. 19f abhängig sei.[4] Weit wichtiger ist indes die Beobachtung, dass Lev 26,19f zwei Elemente mit EST § 63f gemeinsam hat, die Dtn 28,23f, die postulierte Vorlage von Lev 26,19f, nicht aufweist: Erstens thematisieren Lev 26,19f und die EST-Flüche (Z. 528f; 531f) gegen Dtn 28,23f die Ertraglosigkeit des Erdbodens; in Dtn 28 erscheint das Thema Ernteausfall dagegen erst in Gestalt der Nichtigkeitsflüche in den V. 38ff.[5] Zweitens formulieren Lev 26,19f und EST § 64 Vergleiche; Dtn 28,23f tut dies nicht. Lev 26,19f scheint somit gegenüber Dtn 28,23f eine traditionsgeschichtlich ursprünglichere Gestalt bewahrt zu haben, was nicht zuletzt die Übereinstimmungen mit den EST-Flüchen nahe legen.[6] In jedem Fall ist es schwer vorstellbar, dass Lev 26,19f von Dtn
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[1] So auch Otto, Deuteronomium, 29, der überdies auf ein interessantes Zwischenglied der Flüche, nämlich einen Adad-Fluch aus dem nordsyrischen Aleppo (Anfang 9. Jh.), einem Ort der intensiven Kontakte zwischen späthethitischen und aramäischen Traditionen, aufmerksam macht, in dem es heißt: „Der Wettergott des Himmels und der 'arranäische Mondgott sollen ihn verfluchen, damit ihm vom Himmel kein (Regen?) herabkommt, aus der Erde aber kein Gewächs hervorkommen soll." (ebd.)
[2] Steymans, Deuteronomium 28, 291.
[3] Grünwaldt, Heiligkeitsgesetz, 351, plädiert für eine Datierung des Heiligkeitsgesetzes in die frühnachexilische Zeit.
[4] Nach Grünwaldt haben Lev 26,4-6.13 vielmehr den Anhang zur Hirtenallegorie in Ez 34,25-30 als Vorlage gebraucht (ebd.).
[5] Vgl. Grätz, Wettergott, 124: „Dtn 28,22b.23f.38-40.42 behandeln also die traditionsgeschichtlich zusammengehörigen Themen Wassermangel und Ernteausfall." Vgl. zu dieser Motivverbindung auch Hag 1,10f.
[6] Diese Schlussfolgerung sollte allerdings nicht dazu gereichen, jetzt umgekehrt eine Abhängigkeit der Flüche in Dtn 28,23f von Lev 26,19f zu postulieren, der schon die späte Entstehung des Heiligkeitsgesetzes entgegensteht.
28,23f abhängig ist, aber dabei über die literarische Vorlage hinweg traditionsgeschichtlich an die EST-Flüche anknüpft, die dem Verfasser von Lev 26,19f laut Steymans' Theorie eigentlich nicht (mehr) bekannt gewesen sein dürften.[1] Mit dem Konsens der Forschung liegt es näher, bei dem Vergleich von Himmel und Erde mit Metallplatten an ein kursierendes westliches Fluch-Motiv zu denken, das in Dtn 28,23f und Lev 26,19f jeweils verschieden literarisch verarbeitet worden ist.[2] Dass Lev 26 unabhängig von Dtn 28 auf westliche Fluchtraditionen Zugriff hatte, beweist z.B. der Nichtigkeitsfluch in 26,26, der in gleicher Gestalt in verschiedenen aramäischen Inschriften belegt ist.[3]
Die Annahme, dass zwischen Dtn 28,23f und Lev 26,19f keine direkte Abhängigkeit besteht, stellt auch die Abhängigkeitsthese bezüglich EST § 63f und Dtn 28,23f in Frage, da mit Lev 26,19f ein unabhängiger Repräsentant der westlichen Tradition bezeugt wäre. Das entscheidende Argument, das gegen eine direkte Abhängigkeit der Flüche in Dtn 28,23f von EST § 63f spricht, liegt jedoch in der abnormen Reihenfolge Erde - Himmel in den EST-Flüchen. Denn wo immer der Wettergott sich in der Gabe bzw. der Verweigerung von Regen und Quellwasser aktiv zeigt, ist ausschließlich die Abfolge Himmel - Erde (= Wassermangel - Ernteausfall) vorausgesetzt.[4] Die Umstellung von Himmel und Erde in EST § 63f verlangt also nach einer Erklärung. Ein Blick auf den Kontext der Flüche verrät, dass sie sehr wahrscheinlich aus Rücksicht auf die in den § 63-65 begegnenden Metalle Eisen, Bronze und Zinn erfolgt ist, die offenkundig nach abnehmenden Härtegraden sortiert sind.[5] Da aber aus der schulischen Praxis bekannt ist, dass Übereinstimmungen in Fehlern bzw. - neutral gesprochen - Normabweichungen der vermeintlichen Vorlage ein unzweifelhaftes Indiz für Abspicken bzw. -schreiben sind, Dtn 28,23f aber an Stelle der (zwar kontextbedingten, aber dennoch normabweichenden) Umstellung von Himmel und Erde die übliche Reihenfolge zu erkennen gibt, spricht alles gegen eine literarische Abhängigkeit von EST § 63f. Die Vorstellung, Dtn
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[1] Vgl. Grätz, Wettergott, 125: „Eine direkte Abhängigkeit des Textes Lev 26,19b.20 von Dtn 28,23f. ist nicht wahrscheinlich, weil dann erstens die Vertauschung der ursprünglichen Entsprechungen zwischen den Metallen und Himmel bzw. Erdboden, zweitens das erneute Zusammenfügen der schon im frühesten rekonstruierbaren literarischen Stadium von Dtn 28 erfolgten Trennung des Trockenheitsmotivs vom Ernteausfallmotiv, drittens die Wiederherstellung des wahrscheinlich ursprünglichen Vergleichs und viertens das Fehlen des Motivs vom Staubregen erklärt werden müssten." (kursiv im Original)
[2] Vgl. z.B. Weinfeld, Deuteronomy, 117, Anm. 3; Cholewinski, Heiligkeitsgesetz, 315, sowie Gerstenberger, Leviticus, 380, mit der Feststellung: „Der Vergleich von Himmel und Erde mit Metallplatten ist sicher in Altisrael sprichwörtlich gewesen." - Grünwaldt, Heiligkeitsgesetz, 357, folgt dagegen der These einer literarischen Abhängigkeit in der von Steymans begründeten Form.
[3] S. dazu in dieser Arbeit S. 286. Vgl. auch Weinfeld, Deuteronomy, 124f.
[4] Vgl. Grätz, Wettergott, 121.
[5] Vgl. Ebd.
28,23f sei eine Art Reimport einer nach Assyrien gelangten westlichen Fluchformel, wobei die Übersetzer überdies (aufgrund ihrer Kenntnis der westlichen Gepflogenheiten!)[1] die verloren gegangene ursprüngliche Reihenfolge Himmel - Erde wieder hergestellt hätten, ist alles andere als wahrscheinlich.[2] Da folglich die Annahme, Dtn 28,23f sei von EST § 63f literarisch abhängig, mit einer Hypothese mehr arbeitet als die hier präferierte Annahme einer in EST § 63f und Dtn 28,23f unabhängig voneinander vorliegenden westlichen Fluchtradition, ist letzterer der Vorzug zu geben.
Abschließend ist noch ein weiteres Argument für eine Abhängigkeit von Dtn 28,23f vom EST zu entkräften. Demnach hätten EST § 63f und Dtn 28,23f neben dem Vergleich von Himmel und Erde mit Bronze und Eisen auch das sich anschließende Bild vom Kohle- bzw. Staubregen gemeinsam.[3] Bei näherer Betrachtung liegen den Bildern jedoch sehr unterschiedliche Vorstellungen zugrunde. In Dtn 28,24 wird der vorangehende Vers nicht inhaltlich erweitert, sondern in seiner Intention noch einmal chiastisch aufgenommen, indem das Bild für die Verschlossenheit von Himmel und Erde in einem synonymen Parallelismus membrorum durch ein Bild für extreme Trockenheit lediglich variiert wird.
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[1] Wenn diese Kenntnis bei den judäischen Übersetzern vorauszusetzen wäre, fragt man sich freilich, warum sie dann noch eine assyrische literarische Vorlage nötig gehabt haben sollten, um den Fluch zu formulieren.
[2] Das Argument, die Reihenfolge sei bei der Übernahme vertauscht worden, weil der Himmel in Palästina aufgrund des Regenfeldbaus wichtiger sei (vgl. Steymans, Deuteronomium 28, 289), überzeugt nicht, da der Regen normalerweise auch im mesopotamischen Adad-Fluch den Vorrang besitzt (vgl. z.B. SAA II 1: r. 13f).
[3] Vgl. Steymans, Deuteronomium 28, 289.
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Dass das Bild vom Staubregen auf eine real erfahrbare Trockenheit abzielt, geht aus der Vokabel 'bq hervor, die „den feinen Staub, der von Pferden und Fußgängern aufgewirbelt und vom Wind davongetragen wird",[1] bezeichnet. Das abschließende „bis du vertilgt bist" ('d hsmdk), das in Dtn 28 immer wieder thematische Einheiten beschließt (vgl. V. 20; 24; 45; 48 u.ö.),[2] bezieht sich auf die V. 23 und 24 gleichermaßen.
Im EST-Fluch stellt die Aussage „Statt Regen möge (es) Kohlen (pe'ttu = Holzkohlen) auf euer Land regnen" demgegenüber eine inhaltliche Erweiterung und erhebliche Verschärfung des Vorangehenden dar. Dem hier verwendeten Bild stehen Vorstellungen eines übernatürlichen göttlichen Eingreifens wie bei der Vernichtung von Sodom und Gomorra nahe, auf die Jhwh bekanntlich Feuer und Schwefel (gpryt w's) vom Himmel regnen ließ (hm—yr) (Gen 19,24). Die nächsten altorientalischen Analogien gehören denn auch nicht dem Bereich der Landwirtschaft an, sondern stammen aus Schilderungen von Krieg und Be- lagerung.[3]
Alles in allem scheint den drei verglichenen Stellen ein kursierendes Motivgefüge zugrunde zu liegen, dessen Ursprung am ehesten im Westen zu suchen ist. Ein literarisches Abhängigkeitsgefälle legt sich - mit abnehmender Plausibilität - weder von Dtn 28,23f nach Lev 26,19f noch von EST § 63f nach Dtn 28,23f nahe.
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[1] Wächter, rp[, 278.
[2] Vgl. zu der in Dtn 28 auffallend häufig gebrauchten Konstruktion (d + smd im Inf., die z.B. in V. 45 als „Reinterpretation" des vorangehenden Fluchteils dient, Lohfink, dmx, 189.
[3] Vgl. Grätz, Wettergott, 118, Anm. 152. Zu ergänzen ist ein Abschnitt aus der neuassyrischen Sammeltafel K. 2401: „I issued forth as a fiery glow from the gate of heaven, to hurl down fire and have it devour them." (SAA IX 3: II 15-19).
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