2.3.4 Dtn 28,20-44* und EST § 56
Ein ganz anderes Bild ergibt sich, wenn sich mit Steymans herausstellen sollte, dass neben der genannten Götterreihe insbesondere der ausgedehnte Fluch bei den großen Göttern in EST § 56 die Themenabfolge in Dtn 28,20ff* gesteuert hätte. Da EST § 56 ein Kompositum-Fluch ist, der - im Gegensatz zu den Flüchen in EST §§ 39-42 - nicht nach konventionellen Kriterien gestaltet worden ist,[1] kommt der Frage nach dem traditionsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen Dtn 28* und dem Konglomerat an Flüchen in EST § 56 eine entscheidende Rolle zu. Steymans gelangt in seiner traditionsgeschichtlichen Analyse der Fluchsequenz in Dtn 28* zu dem folgenreichen Ergebnis, dass Dtn 28,20-44* und EST § 56 eine „fast identische Themenabfolge" zu erkennen gäben.[2] So erklärten sich zugleich die Umstellungen in Dtn 28,23-35*. Laut Steymans habe nämlich der biblische Verfasser - „[d]ie Stichwortfolge von § 56 übernehmend"[3] - an thematisch geeigneter Stelle weitere Flüche aus EST § 39-42 und § 63f eingefügt, die aufgrund ihrer Beziehung zum Sonnengott bzw. zu Himmel und Erde gut mit dem solaren Gepräge Jhwhs zu vereinbaren gewesen seien.[4] Im Folgenden soll an drei Beispielen auf Schwachpunkte der Argumentation aufmerksam gemacht werden, die es zweifelhaft erscheinen lassen, in EST § 56 die thematische Vorlage von Dtn 28,20ff* zu sehen.
Bei dem ersten Beispiel handelt es sich um die allgemeinen Verfluchungen in § 56 Z. 489f, die Steymans
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[1] Vgl. schon Watanabe, ade -Vereidigung, 196: Die Flüche in § 56 seien „assoziativ nacheinander aufgereiht". Vgl. dann vor allem Steymans, Deuteronomium 28, 109-129 sowie 149, der nach einer Analyse von EST § 56 a.a.O., 126, zu dem Ergebnis kommt: „Die assyrische Hofkanzlei verwendete offenbar traditionelles Material, um daraus einen unter den bekannten mesopotamischen Texten einmaligen palindromisch strukturierten Fluch zu schaffen."
[2] A.a.O., 300.
[3] A.a.O., 301.
[4] Vgl. a.a.O., 301, sowie den Exkurs a.a.O., 139-142.
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Die Annahme, dass EST Z. 489f die Vorlage für Dtn 28,33b-35* darstellt, hängt ganz wesentlich an der Übersetzung von mimma marsu mit „alles Krankhafte"; denn allein so entsteht eine Entsprechung zu dem plastisch ausgemalten Krankheitsfluch in Dtn 28,35*. Der Begriff marsu kann nach CAD einmal „sick, diseased" bedeuten, hat daneben aber noch die allgemeine Bedeutung „difficult, inaccessible, impregnable, severe, grievous, bitter"; entscheidend ist jeweils der Kontext, in dem das Wort erscheint. Im EST ist mit marsu an drei Stellen in der Tat eine physische Krankheit gemeint (Z. 389; 418; 461). An der hier relevanten Stelle legt der Kontext allerdings die offenere Semantik nahe: mimma marsu korrespondiert ganz offensichtlich mit dem vorangehenden mimma —äbtu „alles Gute" und wird von CAD dementsprechend unter der allgemeinen Bedeutung „severe, grievous, bitter" verbucht.[1] Der Ausdruck mimma marsu ist folglich am ehesten mit „alles Schlechte" zu übersetzen. Damit aber fehlt in dem Passus des EST eine Analogie zu dem Krankheitsfluch in Dtn 28,35*.
Das zweite Beispiel betrifft die Fluchreihe in Dtn 28,38-42, die mit den schon besprochenen V. 23f in einem engen
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[1] Vgl. CAD M I, 295 (marsu 2 b); vgl. auch Lambert, Rezension Steymans, 397.
traditionsgeschichtlichen Zusammenhang steht: War in 28,23f von der Verschlossenheit von Himmel und Erde die Rede, so werden in 28,38-42 die Konsequenzen der Trockenheit beschrieben, die zu einem durch Insektenfraß verursachten Ernteausfall führen. Beide Themen gehören in das Umfeld des strafenden Wettergottes.[1] Steymans sieht in der Abfolge der Themen Essen, Trinken und Körperpflege den Einfluss von EST § 56 Z. 490-493. In diesen Zeilen liegt eine Reihe vor, die neben den erwähnten Themen auch noch die Kleidung und den Wohnort mit dem Fluch belegt. Eine vergleichbare Verfluchung der Lebensgrundlagen Essen, Körperpflege, Trinken, Kleidung und Wohnort bietet auch schon der ältere Assur-nerän-Vertrag (SAA II 2), bei dem der Wettergott Adad für den Fluch verantwortlich zeichnet (Kol. IV Z. 14-16):[2]
„14Staub möge ihnen zum Essen, Asphalt zum Salben, 15Esels-Urin zum Trinken und Papyrus zur Kleidung 16gereichen. Ihr Lager möge in einem Loch sein."
Zu vergleichen ist aber auch ein nicht völlig erhaltener Abschnitt aus einem Fluch bei den Göttern Melqart und Eschmun im Vertrag mit Baal von Tyrus (SAA II 5) (Kol. IV Z. 16'-17'):[3]
[HR=3][/HR]
[1] Vgl. Grätz, Wettergott, 124f.
[2] Borger, TUAT I, 156.
[3] A.a.O., 159.
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Ein Vergleich der beiden Reihen legt offen, dass die Differenzen erheblich größer sind als die Gemeinsamkeiten. Wie gesagt, liegt im EST eine geschlossene und in ähnlicher Gestalt auch in anderen Fluchsektionen bezeugte Reihe von Verfluchungen der menschlichen Lebensgrundlagen von der Nahrung bis zur Wohnung vor. Dtn 28,38-42 variieren dagegen das Thema der Ertraglosigkeit des Ackerlandes aufgrund von Insektenbefall. Die Gemeinsamkeiten bestehen also lediglich in der allgemeinen Abfolge der weit verbreiteten Themen Essen, Trinken und Körperpflege.
Demgegenüber lohnt es sich, in Dtn 28,38-42 nach Einflüssen der westlichen Tradition Ausschau zu halten. In die Richtung der westlichen Fluchtradition weist zunächst die den Kern der Reihe bildende Gattung der Nichtigkeitsflüche, die in der Regel in Reihen erscheinen und einem festen, stereotypen Bauplan folgen: Im Vordersatz wird in singularischer Anrede eine lebenswichtige Tätigkeit genannt, deren erhoffte Wirkung im Nachsatz fluchhaft negiert wird (hebr. wl). T Podella hat die Gattung m.E. zu Recht traditionsgeschichtlich auf das hethitische Notzeit-Mythologem zurückgeführt. Nach diesem verursacht das Verschwinden der Wettergottheit eine Notzeit in der Götter-, Menschen- und Tierwelt, die vor allem darin besteht, dass vitale Lebensäußerungen ihre Wirkung verlieren und insbesondere Essen und Trinken nicht zur Sättigung führen. In Gestalt von Flüchen begegnet das Motiv vor allem im aramäischen Milieu, weshalb an eine aramäische Herkunft der Gattung zu denken ist.[1] Von den traditionsgeschichtlichen Vorläufern für die Reihe in Dtn 28,38-42 sei zuerst ein Fluch der assyrisch-aramäischen Bilingue vom Tell Fe'eriye zitiert (Z. 18f):[2]
wl19 zr w'l y"sd
w'lp s'ryn lzr wprys lJ"z mnh
„Und er wird säen, aber er soll nicht ernten.
Und er wird tausend (Maß) Gerste säen, aber er soll nur ein halbes Maß einnehmen."
Auch bei den Schriftpropheten sind vergleichbare Reihen belegt. So heißt es etwa in einer Strafandrohung in Micha 6,15:[3]
'th izr wl1 tqswr 'ih tdrk zyt wl1 tswk smn wtyrws wl' tsth yyn
„Du wirst säen, aber du sollst nicht ernten.
Du wirst Oliven keltern, aber du sollst dich nicht mit Öl salben;
und Trauben (keltern), aber du sollst keinen Wein trinken."
Die Reihenfolge von Essen, Trinken, Körperpflege, die Dtn
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[1] Vgl. zu einer ausführlichen Begründung der Traditionslinien o. S. 63-67.
[2] Schwiderski, Inschriften, 194.
[3] Zur literarhistorischen Beurteilung von Mi 6,9-16 s. Kessler, Micha, 275-277.
28,38ff mit EST § 56 gemeinsam hat, erklärt sich leicht, wenn man bedenkt, dass die Trias Korn (dgn) - Wein (tyrws) - Öl (yshr) im Alten Testament mit 19 Belegen eine feststehende Reihe bildet und zudem als ein „Charakteristikum des Dtn"[1] gelten kann. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Beleg in Dtn 11,14, weil sich die Stelle deutlich an die Fluchsequenz in Dtn 28 anlehnt und dabei die Nichtigkeitsflüche mit Hilfe der Trias Korn - Wein - Öl in eine Segensformel verwandelt, aus der hervorgeht, wie flexibel derart geprägte Reihen gebraucht werden konnten:
„13Und es wird geschehen, wenn ihr auf meine Gebote hört (whyh 1m sm9 tsm9w 1l mswty) [...], 14so werde ich eurem Land Regen geben zu seiner Zeit, Frühregen und
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[1] Fleischer, Xwryt, 646. vgl. u.a. Hos 2,10; Joel 2,24; Dtn 7,13; 11,14; 12,17; 14,23; 18,4; 28,51.
Ein Beleg der Trias ist auch aus Ugarit bekannt (vgl. Seitz, Studien, 286, Anm. 129).
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Spätregen, dass du einsammelst dein Korn, deinen Wein und dein Öl (dgnk wtyrsk wyshrk) [...]." (Dtn 11,13f
Die Nichtigkeitsflüche in Dtn 28,38ff weisen jeweils eine kausale Erweiterung auf, die den Ernteausfall vor allem mit dem verheerenden Wirken von ver¬schiedenen Schädlingen begründen. Das Thema Schädlingsfraß ist auch in der Fluchsektion der aramäischen Inschriften von Sfire bezeugt. Bemerkenswert ist nun, dass die Schädlinge dort in der gleichen Reihenfolge aufgeführt werden wie in Dtn 28.
Gemeinsam ist den Reihen auch, dass abschließend das Thema Schädlingsfraß noch einmal zusammenfassend auf das ganze Land bezogen wird. Aus dem Rahmen fällt lediglich V. 41, der sich zwar formal in den Kontext einfügt, aber inhaltlich mit der drohenden Deportation der Söhne und Töchter das Thema der Ertraglosigkeit des Ackerlandes verlässt. Möglicherweise liegt gerade darin ein versteckter Hinweis auf den zeithistorischen Kontext der Verfasser von Dtn 28* vor; denn speziell der an dieser Stelle gebrauchte Ausdruck (hlk) bsby „in die (Kriegs-)Gefangenschaft gehen" steht im Alten Testament häufig im Zusammenhang mit dem babylonischen Exil[1] und dient in späten Texten gar „als eine neutrale, beinahe technische Bezeichnung für das Exil
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[1] Vgl. Jer 20,6; 22,22; Klgl 1,5.18; Ez 12,11; 30,17f; vgl. auch 2Chr 28,17; als spiegelnde Strafe für Babel: Jer 30,16; Jes 46,2. Ein ähnliches Schicksal, wie es Israel laut Dtn 28,41 treffen wird, hat Moab nach Jer 48,46 bereits ereilt: Die Söhne und Töchter des Volkes sind in die (babylonische) Gefangenschaft (sby) weggeführt. Zu außerbiblischen Belegen vgl. Otzen, hbX, 950f.
oder die Exilgemeinde".[1] Im Hinblick auf die Frage nach den traditionsgeschichtlichen Wurzeln der Reihe Dtn 28,38-42 ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung höchst bedeutsam, dass die Dtn 28* sowie den Sfire-Inschriften gemeinsame Schädlingsreihe in eben dieser Folge in der (ursprünglich mesopotamischen) lexikalischen Serie ur5ra = 'ubullu erscheint, die ein fester Bestandteil der altorientalischen Schreiberausbildung war. Diesem Sachverhalt soll an anderer Stelle nachgegangen werden.[2] Die gebrauchte Fluchgattung sowie die parallele Schädlingsreihe deuten in jedem Fall darauf hin, dass Kontakte auf der Ebene der (aramäischen) Schreibertradition bei der Rezeption von Vertragsrechtstraditionen eine große Rolle gespielt haben könnten. Mit dieser Annahme wäre auch ein alternatives Erklärungsmodell zu Thesen einer literarischen Abhängigkeit von bestimmten Vertragstexten wie dem EST bereitgestellt.
Zweifelhaft ist schließlich die Parallelisierung des Dämonen-Fluches in § 56 Z. 493 mit dem Fluch vom „aufsteigenden Fremden" in Dtn 28,43f, die als drittes Beispiel genannt sei. Die Gegenüberstellung der Flüche gelingt Steymans nur mit einer problematischen Verharmlosung der aufgeführten Dämonen. Wenn er etwa schreibt: „Die genannten Dämonen galten in Assyrien nicht als schlechthin böse, man schrieb ihnen vielmehr Schutzfunktionen zu. Erst im Fluch werden sie zu Bedrängern"[3], so lässt sich dies zumindest für den mit dem Achtergewicht zuletzt genannten räbisu-Dämon nicht verifizieren. Dieser gilt auch ohne das Adjektiv lemnu als böse und für den Menschen schädlich.[4] Es ist zudem zu fragen, ob sich der EST-Fluch und Dtn 28,43f überhaupt auf einen Nenner bringen lassen. Steymans sieht diesen in der Vorstellung, „dass den Menschen ihr allernächster Lebensraum ,un-heimlich' wird. Die gemeinsame Aussage lautet: Lebensgenossen, gegen deren Nähe man sonst nichts
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nahme" und „Gefangenschaft" beinahe zu einem term. techn. für das babyl. Exil [.]."
[2] S. u. S. 284-286.
[3] Steymans, Deuteronomium 28, 309.
[4] Vgl. die Belege in CAD R, 23 (räbisu 2 c), sowie Barre, rabisu, 682f. - Vgl. auch den rbs in Gen 4,7.
hat, verwandeln sich in unangenehme Bedrücker."[1] Doch diese Beschreibung wird m.E. keinem der beiden Flüche gerecht. Der Dämonen-Fluch in EST § 56 führt die vorangehenden Flüche inhaltlich fort: Wie dort Essen und Trinken, Körperpflege und Kleidung verflucht und somit verunmöglicht werden, so ist es, hier bezogen auf den Wohnort, ausgeschlossen, in einem von Dämonen besetzten Haus zu leben. Gänzlich anders ist die Aussage in Dtn 28:[2]
„Der nach Dtn 28,43f emporkommende Fremdling (rg) vertreibt die Verfluchten weder aus ihren Wohnungen, noch bezieht er deren leerstehenden Häuser, sondern er steigt über sie empor (l[ hl[), was in V.44 dezidiert in wirtschaftlicher Hinsicht interpretiert ist."
Dabei ist auch zu beachten, dass Dtn 28,43f nicht wie der Dämonen-Fluch Glied einer Reihe ist, sondern sich sowohl formal wie inhaltlich von der vorangehenden Reihe von Nichtigkeitsflüchen absetzt.
Die drei vorgetragenen Beispiele sprechen gegen eine Abhängigkeit der Fluchsequenz in Dtn 28,20-44* von EST § 56. Der Aufbau von Dtn 28,20-44* ist überzeugender mit einer Abhängigkeit von einer EST § 39-42 entsprechenden assyrischen Fluchreihe zu erklären, neben der weitere alttestamentliche Reihen (etwa die Heimsuchungstrias oder die Trias Korn - Wein - Öl) und Motive (z.B. die „Vögel des Himmels und Tiere der Erde") verwendet wurden. Dass diese Abhängigkeit eher eine traditionsgeschichtliche als eine literarische Abhängigkeit ist, soll im weiteren Verlauf der Arbeit gezeigt werden.
Exkurs: Dtn 28* als „Übersetzung" einzelner EST-Paragraphen?
Nach Steymans kann das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Dtn 28* und einzelnen EST-Paragraphen näherhin als das einer „Übersetzung" bestimmt werden.[3] Den gegen eine
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[1] Steymans, Deuteronomium 28, 309.
[2] Grätz, Wettergott, 115, Anm. 136. Die Vokabel lwh ist dem Privatrecht entlehnt, s. o. S.
184.
[3] Vgl. z.B. Steymans, Deuteronomium 28, 299.
solche These in der vergleichenden Forschung oft geltend ge-machten geringen Grad der Übereinstimmung in den Formulierungen ver¬sucht Steymans zu entkräften, indem er die Differenzen auf den Übersetzungs¬vorgang zurückführt. Dieser Weg erscheint - nicht zuletzt aufgrund der recht komfortablen Quellenlage in einem Gebiet kontinuierlicher Mehrsprachigkeit - auf den ersten Blick vielversprechend zu sein. Da jede Übersetzung eine Inter-pretation des Übersetzers einschließt und überdies kulturelle und sprachliche Charakteristika der Zielsprache den Übersetzungsprozess ganz erheblich steuern, sind Differenzen zwischen dem Ausgangs- und dem Zieltext vorprogrammiert. Wie Steymans zeigen kann, gilt dies selbst bei so geprägten Textbausteinen wie Flüchen. An dieser Stelle ist es lohnend, sich punktuell in den Steymans'schen Argumentationsgang einzuklinken, um auf Schwierigkeiten bei der Über¬tragung seiner am altorientalischen Vergleichsmaterial gesammelten Erkenntis- se auf Dtn 28* aufmerksam zu machen. Nachdem Steymans Fluchsektionen mehrsprachig überlieferter Verträge und Inschriften auf ihre Übersetzungstreue überprüft hat, kommt er nach der Durchsicht von insgesamt fünf Textkorpora zu dem Ergebnis, dass in den Fällen, in denen die Fluchsequenz nicht aus tra¬ditionell festgelegten Formeln besteht „eher von einer /Übertragung' in die
Formulierungsgewohnheiten der Zielsprache" gesprochen werden sollte, wobei die grundsätzliche Themenabfolge der Flüche bestehen bleibe. In den Über¬setzungstexten sind ihm zufolge im Wesentlichen vier Typen von Differenzen belegt:
(1.) Glieder einer Aufzählung werden vermehrt bzw. reduziert.
(2.) Metaphern werden in Abstrakta bzw. Abstrakta in Metaphern verwan¬delt.
(3.) Einfache akkadische Fluchwünsche stehen aramäischen Nichtigkeits¬flüchen gegenüber.
(4.) Götternamen werden geändert.
Bei der Übertragung der gewonnenen Einsichten in die antike Übersetzungspraxis auf das Verhältnis zwischen Dtn 28* und seiner postulierten assyrischen Vorlage gerät dann allerdings der Vergleich in die Schieflage, insofern die dem Übersetzungsprozess geschuldeten Differenzen aller in die Untersuchung einbezogenen altorientalischen Übersetzungstexte auf einen eng begrenzten Textabschnitt in Dtn 28,20-44* übertragen werden, an den die gleichen (quantitativen) Maßstäbe angelegt werden. Die Problematik dieser Vorgehensweise soll im Folgenden an einem markanten Beispiel demonstriert werden.
Ein wichtiger Baustein in Steymans' Argumentation ist die assyrischaramäische Inschrift vom Tell Fe'eriye aus dem 9. Jh. Der Vergleich der Schutzflüche in der assyrischen und aramäischen Fassung zeigt, dass Übersetzung und Textvorlage einen hohen Übereinstimmungsgrad im Wortlaut aufweisen und dass bei einem Umfang von 80 (assyrisch) bzw. 85 (aramäisch) Wörtern im Wesentlichen lediglich drei Differenzen festzumachen sind:[1]
(1.) Die aramäische Fassung bietet in Z. 17f über die assyrische Entsprechung in Z. 28f hinaus die im Aramäischen feststehende Wendung mn ydh.
(2.) Die aramäische Fassung formuliert in Z. 18-22 antithetische Nichtigkeitsflüche, während die assyrische in Z. 30-35 einfache Fluchwünsche aufweist.
(3.) Im letzten Fluch besteht das den Verfluchten treffende Unheil in der aramäischen Fassung aus einer mit dem Gott Nergal in Verbindung gebrachten Pestkrankheit (mwtn sb— zy nyrgl) (Z. 23), wohingegen die assyrische Fassung drei Krankheiten (di'u sib—u diliptu) auflistet (Z. 37f).
Die Tell Fe'enye-Inschrift ist nun in zweierlei Hinsicht für eine Übertragung der Übersetzungsvorgänge auf das Alte Testament von Vorteil: Einerseits steht sie als assyrisch-aramäische Bilingue sprachlich dem postulierten Vermittlungsweg des EST, der entweder vom Assyrischen direkt ins Hebräische oder über eine aramäische Übersetzung in die hebräische Sprachwelt gelangt sein soll, sehr nahe. Andererseits dient sie bei Steymans wegen der offenkundigen
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[1] Vgl. die Gegenüberstellung der Texte a.a.O., 157-160.
Unterschiede zwischen beiden Fassungen als Paradebeispiel dafür, „dass die übersetzende gleichzeitig eine gestaltende Hand war",[1] weshalb er an dieser Stelle seinem Gesamtergebnis vorgreifend folgert: „Sollte Dtn 28 tatsächlich von den Flüchen eines assyrischen Vertrages beeinflusst sein, so darf wohl nach Betrachtung der Bilingue von Tell Fekheriye kaum gefordert werden, dass man die VTE [= EST] wortwörtlich übersetzt hätte."[2]
Wendet man sich allerdings von der Tell Fe'enye-Inschrift Dtn 28* zu, so ergibt sich bezüglich der Übersetzungsdifferenzen dann doch ein ganz anderes Bild, etwa auch bei dem Fluch in Dtn 28,23f, der wegen seiner großen Nähe zu EST § 63f den forschungsgeschichtlichen Ausgangspunkt der Abhängigkeitsthesen bildete und Steymans zufolge als „Übersetzung" der einschlägigen EST- Flüche betrachtet werden sollte.[3] Ein Vergleich von Dtn 28,23f (23 Wörter) mit EST § 63f (50 Wörter) auf der einen und zwischen den beiden Fassungen der Tell Fe'enye-Inschrift auf der anderen Seite macht indes deutlich, dass Dtn 28,23f, obwohl wesentlich kürzer als der Fluchteil der Inschrift, im Gegensatz etwa zu den beiden Fassungen der Bilingue erschreckend wenige wörtliche Parallelen zu EST § 63f zu erkennen gibt und folglich nicht als Übersetzung betrachtet werden sollte. Es ist bezeichnend, dass sich Steymans allein für die vier größten Abweichungen (der Subjektwechsel zu Jhwh; das Fehlen des Ziegelsteinmotivs [EST Z. 527] und der Feststellung der Ertraglosigkeit des Ackerbodens [EST Z. 528]; die Reduktion bzw. Vermehrung von Gliedern einer Aufzählung [z.B. „Regen und Tau" in EST Z. 531; „Flugstaub und Staub" in Dtn 28,24]; die umgekehrte Reihenfolge von Himmel und Erde) in zwei Versen aus Dtn 28 genötigt sieht, mindestens drei der wesentlich umfangreicheren altorientalischen Übersetzungstexte ins Feld zu führen, in denen jeweils eine der genannten Abweichungen ebenfalls belegt ist.[4] Vergleicht man Dtn 28,23f mit EST § 63f vor dem Hintergrund der von Steymans herangezogenen antiken
[HR=3][/HR]
[1] A.a.O., 160.
[2] A.a.O., 161.
[3] Vgl. a.a.O., 299.
[4] Vgl. a.a.O., 290, mit der konzedierenden Feststellung: „Wer immer die hier behandelten Abschnitte der VTE [sc. EST § 63f, CK] ins Hebräische übersetzte, wollte nicht beweisen, wie gut er aramäisch oder assyrisch beherrschte, sondern unter Verwendung einer geeigneten Vorlage einen neuen Text für einen neuen Zweck schaffen [...]"
Übersetzungen, so
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wird schnell deutlich, dass hier selbst von einer freien Übersetzung keine Rede sein kann, da sich bei näherem Hinsehen lediglich die Bilder vom Himmel aus Bronze und dem Boden bzw. der Erde aus Eisen für die Verschlossenheit von Himmel und Erde sowie zwei sehr verschieden konnotierte Bilder von der Pervertierung des lebenswichtigen Regens durch Kohlen bzw. Staub wirklich entsprechen. Der Vergleich zeigt, dass die Gemeinsamkeiten allein auf der Ebene geprägter Motive liegen
Auch von daher liegt die oben dargelegte Interpretation der Parallelen zwischen EST § 63f und Dtn 28,23f als traditionsgeschichtliche Abhängigkeit von einem westlichen Motivgefüge aus dem Umkreis des Wettergottes näher als die Annahme einer literarischen Abhängigkeit der biblischen Flüche vom EST.
Am Ende der traditionsgeschichtlichen Analyse soll, die gewonnenen Einsichten aufnehmend, kurz der kunstvolle Aufbau der engeren Fluchsequenz Dtn 28,25-37* in den Blick genommen werden. Dass der Abschnitt Dtn 28,25-37* konzentrisch um die Nichtigkeitsflüche in V. 30-32 gelegt ist, die, abgehoben durch das Stichwort 'swq „ausgebeutet" in V. 29b und 33b, den Kompositionsmittelpunkt bilden, ist schon länger bekannt.[1] P. Kübel hat jüngst überzeugend dargelegt, dass die im ersten Teil des Palindroms (Dtn 28,25-32*) greifbare Fluchreihe, wie sie in EST § 39-42 belegt ist, auch den Aufbau des zweiten Teils (Dtn 28,34ff*) gesteuert hat, wo die Themen der Götter Samas und Sin, Wahnsinn (V. 34: whyyt msg') und Hautkrankheit (V 35: shyn r'), unverkennbar wiederkehren.[2] Geht man ferner von der Ursprünglichkeit der Verse 36f* aus, so gewinnt man zusätzlich ein passendes Gegenstück zu V. 25f*, wobei im Fall des Deportationsfluchs 28,36f* das mit dem Kriegsgott Ninurta verbundene Thema der Kriegsniederlage leitend gewesen wäre.[3] Damit ergibt sich für den Abschnitt 28,25-37* eine makellose Palindromie, die an der assyrischen Götterreihe Ninurta - Samas - Sin -Venus/Istar orientiert ist:
|
A
|
Ninurta-Fluch
|
25f*
|
|
B
|
Sin-Fluch
|
27
|
|
C
|
Samas-Fluch
|
28-29a
|
|
D
|
cswq
|
29b
|
|
E
|
Venus/Istar-Fluch
|
30-33a
|
|
D'
|
cswq
|
33b
|
|
C'
|
Samas-Fluch
|
34
|
|
B'
|
Sin-Fluch
|
35*
|
|
A'
|
Ninurta-Fluch
|
36f*
|
2.4 Ertrag
Die literarische Analyse von Dtn 28 hat ergeben, dass das Kapitel ausweislich der wiederholten Ein- bzw. Überleitungen sowie inhaltlicher Perspektivenwechsel in mehreren Stufen nach hinten gewachsen ist (für den Segen: 1-6, erweitert [nach dem Fluch] in 7-14; für den Fluch: 15-44, erweitert in 45-57 sowie 58-68[69]). Dieser Kernbestand hat davon abgesehen lediglich kleinere redaktionelle Re- touchierungen in V. 1b.2b.20bbg.25b.35b.36b.37bb erfahren. Voran ging Dtn 28* als paränetische Überleitung vom Gesetzeskern (Dtn 12-26*) die Bundesformel in 26,17f sowie deren Aufnahme in 27,9f*.
[HR=3][/HR]
[1] Vgl. Steymans, Deuteronomium 28, 249-251.
[2] Kübel, Aufbau, 6.
[3] Den Ninurta-Fluch bringt Kübel, Aufbau, 6f, jedoch nicht mit den Versen 36f, die er als Nachtrag betrachtet, sondern mit V. 41 in Zusammenhang, wobei freilich die biblische Reihe Korn - Wein - Öl (V. 38-40) in die ansonsten durchgehende Palindromie eingedrungen wäre.
Möglicherweise endete das Kapitel einmal mit dem die Schicksalsalternative aus Segen und Fluch wiederaufnehmenden Entscheidungsruf in 30,15-20*, der noch einmal den künftigen Landbesitz (vgl. Dtn 28,21 u.ö.) an den Gehorsam gegenüber der Stimme Jhwhs bindet und den Ernst der Entscheidung auf Leben und Tod betont. Neben dem näheren Kontext sprechen insbesondere die Anspielungen auf die Fiktion einer am Vorabend der Landnahme erfolgenden Promulgation von Segen und Fluch mit Mose als Sprecher (28,1f*.15.21.36a) dafür, dass Dtn 28* bereits die dtr Einbindung des Deuteronomiums in den größeren Kontext der Mose-Exodus- Landnahme-Erzählung voraussetzt und somit selbst nicht vor-dtr sein kann. Gegen eine ursprüngliche Zugehörigkeit zum Urdeuteronomium konnte zudem die aparte Stellung des Kapitels im ältesten Überschriftensystem sowie seine gattungsmäßige Angewiesenheit auf einen vertragsrechtlichen Kontext geltend gemacht werden. Schließlich legen die zum Teil deutlichen Anspielungen auf das babylonische Exil und die damit einhergehenden Deportationen (V. 32; V. 36f* und das Schicksal Jojachins; V. 41 mit hlk bsby) einen entsprechenden Erfahrungshintergrund nahe. Ein Hinweis auf den zeithistorischen Kontext könnte auch dadurch gegeben sein, dass auffälligerweise am Ende jeder thematischen Reihe in 28,20-44* auf die drohende nationale Katastrophe angespielt wird:
V 25f*: am Ende der Heimsuchungstrias
V. 32: am Ende der assyrisierenden Fluchreihe
V. 36f*: am Ende der palindromisch gewendeten assyrisierenden Fluchreihe
V. 41: am Ende der Trias Korn - Wein - Öl
All dies legt den Schluss nahe, dass die Flüche in Dtn 28* als vaticinia ex eventu zu begreifen sind und schon der Kern des Kapitels als exilisch-dtr zu beurteilen ist.
Die traditionsgeschichtliche Analyse hat gezeigt, dass Parallelen sowohl zur neuassyrischen als auch zur westlichen Vertragsrechtstradition zu erkennen sind. Einflüsse der westlichen Tradition finden sich in dem Segen-Fluch-Formular Dtn 28,1-6*.15-19 (bestehend aus konditionalen Einleitungssätzen [mit smr] und einer parallel gestalteten Segen-Fluch-Formel), in der Gattung der Nichtigkeitsflüche (28,30f; 28,38-41) sowie in einzelnen Motiven (Wassermangel und Ernteausfall [28,23f.38-41]; Insektenfraß [28,38f.42]). Die entscheidende Vorgabe spiegelt die Themenabfolge der Flüche in 28,25-34* (Kriegsniederlage und Leichenfraß - Hautkrankheit - Blindheit/Rechtlosigkeit - Kriegsniederlage und Preisgabe der Lebensgrundlagen), die sich der assyrischen Götterreihe Sin - Samas - Ninurta - Venus/Istar verdankt, wie sie in EST §§ 39-42 belegt ist. Daneben waren der biblischen Tradition eigene Reihen und Motive leitend, etwa die Heimsuchungstrias am Anfang (28,21-26*) und die Trias Korn - Wein - Öl gegen Ende der Sequenz (28,38-40). Aus diesem Befund ergeben sich m.E. die folgenden Rückschlüsse für die eingangs formulierte Frage, wie die Parallelen mit dem altorientalischen Vertragsrecht in Dtn 28* zu erklären sind:
(1.) Die gemeinsame Themenabfolge in Dtn 28,27-29 und EST § 39f bzw. in 28,25-34* und EST §§ 39-42, die an die Reihenfolge der Götter im neuassyrischen Reichspantheon gekoppelt ist, wie auch die mögliche Unterscheidung von westlich-aramäischen und neuassyrischen Traditionen, macht deutlich, dass die Annahme eines gemeinsemitischen Fluchkanons zu kurz greift. Dies gilt in verstärktem Maße für die Annahme, die Gemeinsamkeiten beruhten überhaupt nicht auf wie auch immer gearteter Abhängigkeit, sondern allein auf Zufall (coincidence).
(2.) Die These, Dtn 28 sei ausgerechnet von dem neuassyrischen Sukzessionsvertrag Asarhaddons (EST) aus dem Jahre 672 abhängig, hat sich nicht bestätigt. Abgesehen von dem problematischen westlichen Motivgefüge in Dtn 28,23f und EST § 63f kann vor allem die Abfolge der Fluchthemen in Dtn 28,20-44* viel plausibler mit der (aus den genannten Gründen leicht modifizierten) assyrischen Götterreihe Sin - Samas - Ninurta - Venus/Istar und ihrer palindromischen Umkehrung erklärt werden als mit einer Abhängigkeit von EST § 56. In dem Fall, in dem eine parallele Themenfolge in der Tat gegeben ist, nämlich in Dtn 28,25-34* und EST §§ 39-42, hat sich aber sowohl die Reihenfolge der Götter als auch die Verbindung der Fluchthemen mit den jeweiligen Göttern als weitgehend konventionell assyrisch erwiesen. Als Kontaktmedium kommt folglich nicht zwingend der EST von 672, sondern ein x-beliebiger assyrischer Vertrag in Frage. Da den Königen von Juda als tributpflichtigen assyrischen Vasallen allein im 7. Jh. vermutlich mehr als ein halbes Dutzend Verträge auferlegt worden sind (möglicherweise auch eine judäische Version des EST),[1] ergeben sich genügend Möglichkeiten für ein allmähliches Einsickern einzelner Elemente des assyrischen Vertragsrechts.
(3.) Im Hinblick auf die Fluchfolge in Dtn 28,25-34*, die eine entsprechende assyrische Reihe voraussetzt, ist im weiteren Verlauf der Arbeit zu klären, welche Art von Abhängigkeit vorliegen könnte. Da die These einer literarischen Abhängigkeit in der Regel eine Engführung auf einen bestimmten Text impliziert, sprechen die identifizierten westlichen Einflüsse von vornherein eher für eine weniger statische Theorie. Dabei wird es entscheidend wichtig sein, die erkannten aramäischen und vor allem assyrischen Einflüsse mit der mutmaßlichen Entstehungszeit des Kapitels in der nach-assyrischen Zeit des baylonischen Exils überzeugend zu korrelieren.
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[1] Vgl. auch Radner, Vorbild, 374.
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