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Kapitel 2 Anwendungsbereich des humanitären Rechts I. Bewaffnete Konflikte

  1. In internationalen bewaffneten Konflikten gilt das humanitäre Völkerrecht. Dabei wird das zwischen den betroffenen Staaten bestehende internationale Friedensrecht weitgehend durch die Regeln des humanitären Völkerrechts ersetzt. Das internationale Friedensrecht wird jedoch weiterhin von großer Bedeutung sein, insbesondere für das Verhältnis zwischen den Konfliktparteien und den neutralen Staaten.​
  2. Ein internationaler bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn eine Partei Waffengewalt gegen eine andere Partei anwendet. Dies gilt auch für alle Fälle einer vollständigen oder teilweisen militärischen Besetzung, auch wenn diese Besetzung auf keinen bewaffneten Widerstand stößt (Art. 2 Abs. 2 der Genfer Abkommen). Die Anwendung militärischer Gewalt durch einzelne Personen oder Personengruppen wird nicht ausreichen. Dabei ist es unerheblich, ob sich die Konfliktparteien im Konflikt miteinander sehen und wie sie diesen Konflikt bezeichnen.​
  3. Die Anwendung des humanitären Völkerrechts ist nicht von einer formellen Kriegserklärung abhängig. Formelle Kriegserklärungen (Art. 1 HCIII) kommen heutzutage nur noch vereinzelt vor.​
Beispiele: Im Sechstagekrieg vom Juni 1967 erklärten Jordanien, Kuwait, Sudan, Jemen, Algerien und Saudi-Arabien Israel offiziell den Krieg. Im Panama-Konflikt erklärte der damalige panamaische Regierungschef General Noriega am 15. Dezember 1989, fünf Tage vor dem Eingreifen der US-Truppen, dass zwischen Panama und den USA faktisch Kriegszustand herrsche.
  1. Für die Ausübung des Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung sind auch keine formellen Kriegserklärungen erforderlich. Kunst. Art. 51 der UN-Charta schreibt vor, dass Maßnahmen zur Ausübung dieses Rechts auf Selbstverteidigung unverzüglich dem UN-Sicherheitsrat zu melden sind.​
  2. Formelle Erklärungen über den Zustand eines bewaffneten Konflikts können in Bündnisdokumenten oder nationalen Verfassungsgesetzen vorgesehen sein.​
Beispiel: In der Bundesrepublik Deutschland kann der Bundespräsident bei Eintritt des Verteidigungszustandes entsprechende, international gültige Erklärungen abgeben (Art. 115a Abs. 1 und 5 GG).
  1. Für die Gültigkeit des humanitären Völkerrechts ist es unerheblich, ob sich die am Konflikt beteiligten Staaten und Regierungen gegenseitig als Staaten anerkennen (Art. 13 Abs. 3 GK I; Art. 13 Abs. 3 GK II; Art. 4 A Abs. 3 GK III; Art. 43 Abs. 1 AP I).​
  2. Die Anwendung des humanitären Rechts in internationalen bewaffneten Konflikten hängt nicht davon ab, ob ein bewaffneter Konflikt unter Verletzung völkerrechtlicher Bestimmungen begonnen wurde, z. G. das Verbot des Angriffskrieges. Auch die Opfer einer völkerrechtswidrigen militärischen Aggression sind an die Regeln des humanitären Völkerrechts gebunden.​
  3. Die Regeln des humanitären Völkerrechts sind auch bei friedenserhaltenden Einsätzen und anderen militärischen Einsätzen der Vereinten Nationen zu beachten.
  4. Solange ein Kriegszustand vorliegt, ist auf die Beziehungen zwischen den kriegführenden Parteien und den nicht am Konflikt beteiligten Staaten das Neutralitätsrecht anzuwenden (Art. 2 HC III).​
  5. Ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt ist eine Konfrontation zwischen der bestehenden Regierungsgewalt und dieser Gewalt untergeordneten Personengruppen, die mit Waffengewalt innerhalb eines Staatsgebiets ausgetragen wird und das Ausmaß eines bewaffneten Aufstands oder eines Bürgerkriegs erreicht.​
  6. In einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt ist jede Partei verpflichtet, mindestens​
    1. die grundlegenden humanitären Bestimmungen des Völkerrechts anzuwenden, die in den vier Genfer Konventionen von 1949 (gemeinsamer Artikel 3) und dem Übereinkommen über Kulturgut von 1954 (Artikel 19) enthalten sind. und das Zusatzprotokoll II von 1977. Deutsche Soldaten sind wie ihre Verbündeten verpflichtet, bei der Durchführung militärischer Einsätze in allen bewaffneten Konflikten, gleich welcher Art, die Regeln des humanitären Völkerrechts einzuhalten.​
    2. Kriegshandlungen
    1. Unter Kriegshandlungen versteht man alle Gewaltmaßnahmen, die eine Partei in einem internationalen bewaffneten Konflikt mit militärischen Machtmitteln gegen eine andere Partei anwendet. Dabei handelt es sich um Kampfhandlungen, die darauf abzielen, gegnerische Streitkräfte und andere militärische Ziele auszuschalten.​
    2. Der Begriff „Kriegshandlung" sagt nichts über die Rechtmäßigkeit einer solchen Handlung aus. Die völkerrechtliche Zulässigkeit einer Kriegshandlung ist in jedem Einzelfall zu prüfen.​
    3. Die Unterstützung kriegerischer Handlungen Dritter wird regelmäßig als Kriegshandlung des unterstützenden Staates gewertet, wenn sie in unmittelbarem, d. h. engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit für den Gegner schädlichen Maßnahmen steht. Eine Zusammenarbeit bei der Rüstungsproduktion oder anderen Aktivitäten zur Unterstützung der Streitkräfte wird nicht ausreichen.​
    1. Kriegsgebiet
    1. Militärische Einsätze der Konfliktparteien dürfen nur im Kriegsgebiet durchgeführt werden. Das Kriegsgebiet umfasst:​
    1. die durch die Landesgrenzen definierten Gebiete der Konfliktparteien;​
    2. die Hohe See (einschließlich des Luftraums darüber und des Meeresbodens); Und​
    3. Ausschließliche Wirtschaftszonen.​
    • Das Staatsgebiet umfasst:​
    1. Landgebiet;​
    2. Flüsse und Binnenseen;​
    3. nationale Meeresgewässer und Hoheitsgewässer; Und​
    4. der Luftraum über diesen Gebieten.​
    • Die Trennlinie zwischen dem Luftraum des Staatsgebiets eines Staates und dem Weltraum ist dort zu ziehen, wo aufgrund der gegebenen physikalischen Verhältnisse die Dichte der Luft gering genug ist, um den Einsatz von Satelliten zu ermöglichen. Nach heutigem Stand der Technik liegt die Mindestflughöhe von Satelliten zwischen 80 und 110 km über Grund.​
    • Obwohl sie zum Staatsgebiet der Konfliktparteien gehören, sind demilitarisierte Zonen (Art. 60 AP I), insbesondere Krankenhaus- und Sicherheitszonen (Art. 23 GK I; Art. 14 GK IV) und neutralisierte Zonen (Art. 15 GC IV) sind vom Kriegsgebiet ausgeschlossen. Nicht verteidigte Ortschaften (Art. 25 HaagV; Art. 59 AP I) gehören hingegen zum Kriegsgebiet, genießen jedoch besonderen Schutz (siehe unten § 458).​
    • In den Staatsgebieten neutraler oder anderer Staaten, die nicht am Konflikt beteiligt sind, sowie in neutralisierten Zonen dürfen keine Militäreinsätze durchgeführt werden. Hierbei handelt es sich um Gebiete, in denen aufgrund vertraglicher Vereinbarungen keine militärischen Einsätze stattfinden dürfen, auch wenn der Staat, zu dessen Hoheitsgebiet sie gehören, Konfliktpartei ist. So gibt es beispielsweise verbindliche Vereinbarungen, keine militärischen Operationen auf Spitzbergen, im Gebiet der Aland-Inseln, im Suezkanal, im Panamakanal und in den antarktischen Regionen durchzuführen.​
    • Als Einsatzgebiet werden die Zonen bezeichnet, in denen tatsächlich militärische Einsätze stattfinden.