Kapitel 12 Durchsetzung des humanitären Völkerrechts I. Allgemeines
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Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht wurden von den Parteien nahezu aller bewaffneten Konflikte begangen. Veröffentlichte Berichte sowie interne Erkenntnisse zeigen jedoch, dass die Schutzbestimmungen des humanitären Völkerrechts in vielen Fällen großes Leid verhindert oder verringert haben.
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Folgende Faktoren können die Konfliktparteien dazu veranlassen, dem Ungehorsam gegenüber dem in bewaffneten Konflikten geltenden Recht entgegenzuwirken und so die Einhaltung des humanitären Völkerrechts durchzusetzen:
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Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung;
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gegenseitige Interessen der Konfliktparteien;
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Aufrechterhaltung der Disziplin;
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Angst vor Repressalien;
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Straf- und Disziplinarmaßnahmen;
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Angst vor Entschädigungszahlung;
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Aktivitäten der Schutzmächte;
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internationale Sachverhaltsermittlung;
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die Aktivitäten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK);
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diplomatische Aktivitäten;
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nationale Umsetzungsmaßnahmen;
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Verbreitung des humanitären Rechts; Und
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die persönliche Überzeugung und Verantwortung des Einzelnen.
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Öffentliche Meinung
1203. Die öffentliche Darstellung einer Völkerrechtsverletzung kann einen wesentlichen Beitrag zur Durchsetzung völkerrechtskonformen Verhaltens leisten. Dabei können die Medien (Presse, Rundfunk, Fernsehen) und ihre Hilfsmittel (Radio, Satelliten) heute unter Berücksichtigung des globalen Informationsnetzes unvergleichlich besser und damit effizienter agieren, als dies in früheren bewaffneten Konflikten der Fall war. Bei Bekanntwerden von Verstößen gegen das Völkerrecht muss jede Konfliktpartei damit rechnen, dass wahrheitsgetreue Berichte des Gegners über seine Verstöße gegen das Völkerrecht die Kampfmoral seiner Streitkräfte und die Zustimmung der eigenen Bevölkerung beeinträchtigen.
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Gegenseitige Interessen der Konfliktparteien
1204. Wer sich selbst an die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts hält, kann davon ausgehen, dass der Gegner in einem bewaffneten Konflikt die Gebote der Menschlichkeit beachtet. Niemand darf sich von dem Verdacht leiten lassen, dass Soldaten der anderen Konfliktpartei diese Regeln möglicherweise nicht einhalten. Soldaten müssen ihre Gegner so behandeln, wie sie selbst behandelt werden möchten.
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Aufrechterhaltung der Disziplin
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Die Anordnung oder Duldung von Verstößen gegen das Völkerrecht führt bei den Untergebenen zu Zweifeln an der Berechtigung von Aktivitäten der eigenen Seite. Es kann auch die Autorität des Militärführers, der einen solchen Befehl erteilt, untergraben und die Disziplin der Streitkräfte gefährden.
V. Repressalien
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Der Einsatz von Repressalien kann dazu führen, dass ein völkerrechtswidrig handelnder Gegner seine Gesetzesverstöße einstellt. Repressalien sind nur in Ausnahmefällen und nur zur Durchsetzung der Einhaltung des Völkerrechts zulässig. Sie erfordern eine Entscheidung der obersten politischen Ebene (siehe oben §§ 476-479).
VI. Straf- und Disziplinarmaßnahmen
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Jeder Angehörige der Streitkräfte, der gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts verstößt, muss sich darüber im Klaren sein, dass er straf- oder disziplinarrechtlich verfolgt
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werden kann.
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Die vier Genfer Abkommen und das Zusatzprotokoll I verpflichten die Vertragsparteien, schwerwiegende Verstöße gegen die Schutzbestimmungen strafbar zu machen und alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung der Abkommen sicherzustellen (Art. 49, 50 GK I; Art. 50, 51 GK). II; Art. 129.130 GK III; Art. 146.147 GK IV; Art. 85 API).
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Als schwerwiegende Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gelten insbesondere:
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strafbare Handlungen gegen geschützte Personen (Verwundete, Kranke, medizinisches Personal, Seelsorger, Kriegsgefangene, Bewohner besetzter Gebiete, andere Zivilisten), wie vorsätzliche Tötung, Verstümmelung, Folter oder unmenschliche Behandlung, einschließlich biologischer Experimente, vorsätzliches Herbeiführen von großem Leid, schwerwiegend Verletzung des Körpers oder der Gesundheit, Geiselnahme (Art. 3, 49 - 51 GK I; Art. 3, 50, 51 GK II; Art. 3, 129,130 GK III; Art. 3, 146,147 GK IV; Art. 11 Abs 2, 85 Abs. 3 lit. a AP I);
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die Verpflichtung von Kriegsgefangenen und Zivilisten zum Dienst in den Streitkräften des Gegners (Art. 129 – 131 GK III);
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Abschiebung, illegale Überstellung oder Unterbringung geschützter Zivilpersonen (Art. 146-148 GK IV; Art. 50, 51, 57, 85 Abs. 4 lit. a AP I);
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Aushungern von Zivilisten durch Zerstörung, Entfernung oder Unbrauchbarmachung von für das Überleben der Zivilbevölkerung unentbehrlichen Gegenständen (z. B. Nahrungsmittel, Mittel zur Nahrungsmittelproduktion, Trinkwasseranlagen und -vorräte, Bewässerungsanlagen) (Art. 54 AP I; Art. 14 AP II);
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Zerstörung oder Aneignung von Gütern, die rechtswidrig und mutwillig ohne militärische Notwendigkeit erfolgt (Art. 50 GK I; Art. 147 GK IV);
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einen wahllosen Angriff in dem Wissen durchführen, dass dieser Angriff schädliche Auswirkungen auf ziviles Leben und zivile Objekte haben wird (Art. 85 Abs. 3 lit. b AP I);
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einen Angriff auf Werke oder Anlagen unternehmen, die gefährliche Kräfte enthalten (Staudämme, Deiche und Kernkraftwerke), in der Erwartung, dass dieser Angriff zu übermäßigen Verlusten an Menschenleben, Verletzungen von Zivilpersonen oder Schäden an zivilen Objekten führen wird (Art. 85 Abs. 3 lit. c AP). I; Art. 15 AP II);
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Angriffe auf nicht verteidigte Ortschaften, entmilitarisierte Zonen und neutralisierte Zonen durchführen (Art. 85 Abs. 3 Bst. d BV I; Art. 15 BV II);
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Angriffe gegen wehrlose Personen durchführen (Art. 85 Abs. 3 Bst. e API);
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ungerechtfertigte Verzögerung der Rückführung von Kriegsgefangenen und Zivilisten (Art. 85 Abs
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Praktiken der Apartheid und andere unmenschliche und erniedrigende Praktiken aufgrund von Rassendiskriminierung (Art. 85 Abs. 4 lit. c API);
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umfangreiche Zerstörung von Kulturgütern und Kultstätten (Art. 85 Abs. 4 Bst. d BG I; Art. 16 BG II);
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Verhinderung eines fairen und ordnungsgemäßen Verfahrens (Art. 3 Abs. 3 lit. d GK I; Art. 3 Abs. 1 lit. d GK III; Art. 85 Abs. 4 lit. e VÖG I);
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Heimtückische (Art. 37 BV I) Verwendung anerkannter Schutzzeichen (Art. 53 Abs. 1 BGB I; Art. 45 BGB II; Art. 5 Abs. 3 Bst. f BV I; Art. 12 BV II);
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Verwendung verbotener Waffen.
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Schwerwiegende Verstöße gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts fallen unter die allgemeinen Tatbestände des Strafgesetzbuches (StGB), zu denen insbesondere Straftaten gehören gegen:
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life (§§ 211ff StGB);
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body and health (§§ 223 ff StGB);
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personal liberty (§§ 234 ff StGB);
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personal property (§§ 242 StGB);
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Straftaten, die eine öffentliche Gefahr darstellen (§§ 306 ff StGB); Und
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Straftaten in Ausübung dienstlicher Pflichten (§§ 331 ff StGB).
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Gemäß § 125 Ordnungswidrigkeitengesetz
- Gemäß dem Ordnungswidrigkeitengesetz stellt die missbräuchliche Verwendung des Zeichens des Roten Kreuzes oder des Wappens der Schweiz eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldstrafe geahndet wird (siehe oben § 638).
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Auch der Missbrauch von Kennzeichen und Namen, die nach den Regeln des Völkerrechts dem Roten Kreuz gleichgestellt sind, kann strafbar sein (§ 125 Abs. 4 Ordnungswidrigkeitengesetz).
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Wenn einem Disziplinarvorgesetzten Vorfälle bekannt werden, die den Verdacht einer Verletzung des humanitären Völkerrechts begründen, hat er den Sachverhalt aufzuklären und zu prüfen, ob disziplinarische Maßnahmen zu ergreifen sind. Handelt es sich bei dem Dienstvergehen um eine Straftat, hat er den Fall an die zuständige Strafverfolgungsbehörde weiterzuleiten, wenn eine Strafverfolgung angezeigt erscheint (§§ 28 Abs. 1, 29 Abs. 2 und 3 Wehrdisziplinarordnung iVm Art. 87). Abs. 3 AP I).
- VII. Entschädigung
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Eine Konfliktpartei, die sich nicht an die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts hält, ist schadensersatzpflichtig. Es ist für alle Taten verantwortlich, die von Angehörigen seiner Streitkräfte begangen werden (Art. 91 AP I; Art. 3 HC IV).
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Schutzmächte und ihre Stellvertreter
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Es ist die Pflicht der Konfliktparteien, von Beginn des Konflikts an Schutzmächte zur Wahrung der Interessen dieser Parteien zu ernennen (Art. 5 Abs. 1 AP I). Zu diesem Zweck benennt jede Konfliktpartei eine Schutzmacht (Art. 8 Abs. 1 GK I; Art. 8 Abs. 1 GK II; Art. 8 Abs. 1 GK III; Art. 9 Abs. 1 GK IV). Diese Partei wird ebenfalls unverzüglich und zum gleichen Zweck die Tätigkeit einer Schutzmacht gestatten, die sie nach Benennung durch die gegnerische Partei als solche anerkannt hat. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz kann bei der Benennung von Schutzmächten behilflich sein (Art. 5 Abs. 3 AP I).
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Ist keine Schutzmacht vorhanden, müssen die Konfliktparteien ein Angebot des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz oder einer anderen unparteiischen und leistungsfähigen Organisation annehmen, als Ersatzmacht zu fungieren (Art. 5 Abs. 4 AP I).
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Schutzmächte und ihre Stellvertreter haben die Pflicht, die Interessen der Konfliktpartei, die sie benannt hat, zu wahren und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts unparteiisch zu fördern (Art. 5 AP I).
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Internationale Sachverhaltsermittlung
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Die Internationale Untersuchungskommission (Art. 90 AP I) wurde am 25. Juni 1991 gegründet. Sie besteht aus 15 unabhängigen Mitgliedern und soll in Staaten, die die Zuständigkeit der Kommission anerkannt haben, Vorfälle untersuchen, bei denen es sich um einen schwerwiegenden Verstoß oder ähnliches handelt Zumindest ein schwerwiegender Verstoß gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts.
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Bei schwerwiegenden Verstößen sind die Vertragsparteien darüber hinaus verpflichtet, gemeinsam oder einzeln in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen zu handeln (Art. 89 AP I).
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Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz
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Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ist eine unabhängige, humanitäre Organisation mit Sitz in Genf. Ihr Hauptzweck besteht darin, den Opfern bewaffneter Konflikte Schutz und Hilfe zu bieten. Die Mitglieder des IKRK und seine in seinem Namen handelnden Delegierten sind Schweizer Bürger. Die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle
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erkennen den besonderen Status des IKRK an und weisen ihm spezifische Aufgaben zu, darunter der Besuch von Kriegsgefangenen und Zivilinternierten, die Bereitstellung von Hilfsleistungen für die Bevölkerung besetzter Gebiete sowie die Auswahl und Übermittlung von Informationen über vermisste Personen (Zentral). Suchagentur) und bietet seine guten Dienste an, um die Einrichtung von Krankenhaus- und Sicherheitszonen zu erleichtern. Das IKRK setzt sich ausschließlich für die getreue Anwendung der Genfer Konventionen und ihrer Zusatzprotokolle ein. Sie ist bestrebt, den Schutz militärischer und ziviler Opfer bewaffneter Konflikte zu gewährleisten und als neutraler Vermittler zwischen den Kriegführenden zu fungieren. Gemäß den Genfer Konventionen verfügt das IKRK über ein allgemeines Initiativrecht in humanitären Angelegenheiten. Aufgrund seiner humanitären Tätigkeit, die von den Prinzipien der Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Einheit und Universalität geleitet wird, genießt das IKRK hohes Ansehen und verdient Unterstützung.
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Diplomatie-Aktivitäten
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Die Einhaltung des Völkerrechts kann durch Protest, gute Dienste, Vermittlung, Untersuchung und diplomatische Intervention durchgesetzt werden, sei es durch neutrale Staaten oder durch internationale Gremien und religiöse oder humanitäre Organisationen sowie durch vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossene Sanktionen.
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Nationale Umsetzungsmaßnahmen
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Gemäß Art. Nach Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland werden Staatsverträge durch Erlass eines Bundesgesetzes Bestandteil des deutschen Rechts. Kunst. In Art. 25 des Grundgesetzes heißt es, dass allgemeine Regeln des Völkerrechts Teil des nationalen Rechts sind, unmittelbar anwendbar sind und Vorrang vor allen Rechtsakten haben. Dies gilt auch für die Grundprinzipien des humanitären Rechts. Die relative Schwäche internationaler Maßnahmen zur Sicherung der Erfüllung humanitärer Verpflichtungen erfordert nationale Umsetzungsbemühungen, wobei militärischen Handbüchern eine besondere Bedeutung zukommt.
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Verbreitung des humanitären Rechts
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Eine wirksame Umsetzung hängt von der Verbreitung des humanitären Rechts ab. Die Bereitstellung von Informationen darüber ist die notwendige Grundlage, um ein gemeinsames Bewusstsein zu schaffen und die Einstellung der Völker zu einer größeren Akzeptanz dieser Prinzipien als Errungenschaft der sozialen und kulturellen Entwicklung der Menschheit zu fördern.
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Persönliche Verantwortung des Einzelnen
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Jeder Einzelne ist für die Verwirklichung der Ziele des humanitären Völkerrechts und die Einhaltung seiner Bestimmungen verantwortlich. Militärführer müssen dies durch ihr eigenes Verhalten hervorheben. Sie sollen deutlich machen, dass jedermann durch sein Gewissen aufgefordert ist, für die Wahrung des Rechts einzutreten.
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