§ 9 – Rechtssubjekte
- zugrunde liegende Bestimmungen: cc. 96-123:
○ Buch I, Titel VI: Physische und juristische Personen - Kapitel I: Die Rechtsstellung physischer Personen (cc. 96-112)
- Kapitel II: Juristische Personen (cc. 113-123)
A. Die verschiedenen Arten von Rechtssubjekten
- Rechtssubjekte = Träger von Rechten und Pflichten
- In der Frage, welche Rechtssubjekte es gibt, schafft die Anerkennung als „Personen“ eine größere rechtliche Klarheit.
○ Dabei ist zu unterscheiden zwischen physischen und juristischen Personen.
○ Um über die zur Kirche gehörenden Personen Klarheit zu haben, legt sich das Erstellen von Verzeichnissen nahe: - natürliche Personen: Kirchliche „Personenstandsbücher“ sind die Taufbücher (und Konvertitenbücher).
- juristische Personen:
- Bistümer und sonstige Teilkirchen, kirchliche Fakultäten, kanonische Lebensverbände päpstlichen Rechts: Annuario Pontificio
- Pfarreien: diözesane Schematismen
- Für Vereine sind Vereinsregister sinnvoll.
- Die DBK sieht Vereinsregister auf Diözesanebene und auf der Ebene der DBK vor.21
- Auch für Stiftungen sind Verzeichnisse sinnvoll. Viele Bistümer haben solche Verzeichnisse.
20 Vgl. Listl, Konkordate und Kirchenverträge, I S. 7.
21 Siehe DBK, Kriterien für die kirchenamtliche Genehmigung von Satzungen und Satzungsänderungen von
katholischen Vereinigungen, vom 23.3.1993, in: ABl Limburg 1994, S. 89 f.
64
- Neben den physischen und juristischen Personen gibt es auch Rechtssubjekte, die nicht die Eigenschaften haben, „Personen“ zu sein, nämlich:
- Ungetaufte
- einfache Kollegien
- Vereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit
B. Natürliche Personen
1. Zum Begriff der natürlichen Person
- „persona physica“ = „natürliche Person“ oder „physische Person“
- Natürliche Personen in der Kirche entstehen durch die Taufe (c. 96).
○ Aber auch Ungetaufte haben bestimmte Rechte, z. B. - Recht des Katechumenen auf ein kirchliches Begräbnis (c. 1183 § 1)
- Klagerecht eines Ungetauften vor einem kirchlichen Gericht (c. 1476) (vorausgesetzt, es geht um eine kirchliche Angelegenheit, z. B. eine geplante Ehe des Ungetauften mit einem katholischen Partner).
○ Außerdem gelten die Bestimmungen über die Rechtsstellung physischer Personen teilweise auch für Ungetaufte, z. B. im Hinblick auf die Blutsverwandtschaft (c. 108) und Schwägerschaft (c. 109).
2. Rechtsstellung der natürlichen Personen
- Durch die Taufe erhält man die Rechte und Pflichten, die den Gläubigen eigen sind, „soweit sie sich in der Gemeinschaft der Kirche befinden“ (c. 96): vgl. dazu c. 205 (die Lehre von den „drei Banden“).
- Minderjährigkeit (unter 18 Jahren) / Volljährigkeit (ab 18 Jahren) (c. 97 § 1)
○ Einige Konsequenzen: - Die Eheschließung eines Minderjährigen erfordert normalerweise das Einverständnis der Eltern (c. 1071 § 1, 6°).
- Ein Minderjähriger kann sich keine Tatstrafen zuziehen (cc. 1323, 1°; 1324 § 3 i. V. m. § 1, 4°).
- Begriff „Kind“: unter 7 Jahre (c. 97 § 2)
○ bedeutsam z. B. im Hinblick auf die Taufe: Wer der Kindheit entwachsen ist (also das 7. Lebensjahr vollendet hat), wird in den Vorschriften über die Taufe wie ein Erwachsener behandelt (c. 852 § 1). - Vorschriften über Wohnsitz / Quasi-Wohnsitz (cc. 100-107)
○ Vorbemerkung: Der Wohn- und Nebenwohnsitz nach staatlichem Recht (vgl. Einwohnermeldeamt …) hat für das kanonische Recht an sich keine Bedeutung. Trotzdem wird in der kirchlichen Praxis normalerweise einfach angenommen, dass der kanonische Wohnsitz mit dem Wohnsitz nach staatlichen Recht identisch ist, solange sich nicht Gründe zeigen, die eine andere Annahme rechtfertigen (so z. B. bei Ordensleuten, die zwar zu einer bestimmten Ordensniederlassung gehören, aber nicht dort wohnen; vgl. c. 103).
○ Der CIC kennt außer dem Wohnsitz (domicilium) ein quasi-domicilium. Im Deutschen sollte man wohl am besten mit „Quasi-Wohnsitz“ übersetzen. Der in der deutschen Übersetzung des CIC verwendete Ausdruck „Nebenwohnsitz“ könnte zu der falschen Annahme verleiten,
65
das Bestehen eines quasi-domicilium setze zunächst einmal stets das Bestehen eines domicilium voraus. Das ist aber nicht der Fall.
○ Verwendete Begriffe: „Einwohner“, „Zugezogener“; „Fremder“, „Wohnsitzloser“ (c. 110).
Der Begriff „Fremder“ findet z. B. Verwendung in den Vorschriften über die territoriale Geltung kirchlicher Gesetze: Nach c. 13 § 2 sind „Fremde“ normalerweise weder an die Gesetze ihres Wohnsitzgebietes noch an Gesetze ihres Aufenthaltsgebietes gebunden. Dabei ist aber gemäß c. 100 zu beachten: Wer in einem Gebiet einen Quasi-Wohnsitz hat, gilt dort nicht als Fremder und ist also an die dortigen Gesetze gebunden.
○ Der „Herkunftsort“ (c. 101): ist bedeutungslos, da damit keine Rechtsfolgen verbunden sind.
○ Die Regeln über den Erwerb und Verlust von Wohn- und Quasi-Wohnsitz stehen in cc. 102-106.
View attachment 1917
View attachment 1918
○ Einige Konsequenzen:
Durch Wohnsitz und Quasi-Wohnsitz erhält jeder seinen eigenen Ordinarius und eigenen Pfarrer (c. 107 § 1).
Die Ehevorbereitung soll normalerweise in einer der Wohnsitzpfarreien durchgeführt werden.
66
- Eine weltweit gültige Beichtbefugnis kann nur der Ortsordinarius erteilen, der aufgrund von Inkardination oder Wohnsitz des Priesters zuständig ist (c. 967 § 2).
- Zuständigkeit des Gerichts im Ehenichtigkeitsverfahren (c. 1672,2° i.d.F. des MP Mitis Iudex).
- Zuständigkeit für die Taufe
○ Bei den meisten Angelegenheiten haben Wohnsitz und Quasi-Wohnsitz dieselben rechtlichen Konsequenzen. - Davon gibt es aber Ausnahmen; z. B. das voranstehend genannte Beispiel im Hinblick auf die Beichtbefugnis (c. 967 § 2).
- Blutsverwandtschaft, Schwägerschaft, Adoption (cc. 108-110): Diese Begriffe sind vor allem im Eherecht von Bedeutung. Sie werden in der Vorlesung zum Eherecht näher erläutert.
- Zugehörigkeit zur Lateinischen Kirche bzw. einer katholischen Ostkirche (weniger passend als „Rituszugehörigkeit“ bezeichnet)
○ Cc. 111-112 nennen nur die wichtigsten Fälle und lassen dabei manche Fragen offen. Durch das MP De concordia inter Codices (2016) wurden die beiden Canones etwas überarbeitet. Genauere Aussagen finden sich in cc. 29-38 CCEO.
View attachment 1919
○ Von diesen Regeln kann der Apostolische Stuhl Ausnahmen zulassen oder anordnen.
○ Einige Rechtsfolgen der Zugehörigkeit zu einer Kirche sui iuris:
Unterstellung unter den CIC bzw. den CCEO und das eigene Recht der betreffenden katholischen Ostkirche
Recht der Gläubigen auf Feier der Liturgie im eigenen Ritus (c. 214)
Wer Sakramente feiert, hat dabei dem eigenen Ritus zu folgen (c. 846 § 2).
Der Apostolische Stuhl kann aber die Befugnis erteilen, Sakramente auch in einem anderen als dem eigenen Ritus zu feiern („Biritualismus“; vgl. c. 674 § 2 CCEO).
Eine solche Befugnis zum Biritualismus ist zu unterscheiden von der in c. 112 § 1, 1° erwähnten Erlaubnis zum Wechsel der Zugehörigkeit zwischen der Lateinischen Kirche und einer katholischen Ostkirche.
Zuständigkeit für die Eheschließungsassistenz:
Um einer Eheschließung zwischen einem lateinischen Partner und einem Angehörigen einer katholischen Ostkirche zu assistieren, muss in Deutschland beim Ordinariat ein nihil obstat eingeholt werden (siehe DBK, Ehevorbereitungsprotokoll, Nr. 25h mit Anmerkungstafel, Nr. 21).
Zuständigkeit für die Spendung des Weihesakraments (vgl. cc. 1015 § 2, 1021).
○ Wechsel der Zugehörigkeit: c. 112
67
- mit Erlaubnis des Apostolischen Stuhls (c. 112 § 1, 1°)
- Aufgrund eines Reskripts des Staatssekretariats vom 26.11.199222 kann die Erlaubnis des Apostolischen Stuhls zum Wechsel der Zugehörigkeit vermutet werden, falls für das Gebiet, in dem der Antragsteller wohnt, beide betroffenen Kirchen eine eigene Hierarchie haben und die beiden Diözesanbischöfe schriftlich zustimmen.
- im Zusammenhang mit einer Eheschließung und mit dem Tod des Ehepartners (c. 112
§ 1, 2°) - bei Kindern (c. 112 § 1, 3°)
C. Juristische Personen
- Begriff
○ persona iuridica = „juristische Person“ = „Rechtsperson“
○ Die Eigenschaft, juristische Person zu sein, wird als „Rechtspersönlichkeit“ bezeichnet. - z. B.: „Der Verein … besitzt Rechtspersönlichkeit.“
○ Definition nach c. 113 § 2: Als „juristische Personen“ bezeichnet man Träger von Pflichten und Rechten, die nicht physische Personen sind.
○ Im CIC/1917 sprach man nicht von „juristischen Personen“, sondern von „moralischen Personen“. - Den Ausdruck „moralische Person“ (persona moralis) benutzt der CIC/1983 nur noch für die katholische Kirche und den Apostolischen Stuhl (c. 113 § 1). Dadurch soll offenbar zum Ausdruck gebracht werden, dass die katholische Kirche und der Apostolische Stuhls bereits aufgrund göttlichen Rechts Rechtspersönlichkeit besitzen.
○ Den Begriff der „juristischen Person“ gibt es auch im staatlichen Recht. Kirchliche und staatliche Rechtspersönlichkeit sind aber im Prinzip voneinander unabhängig. Eine Personen- oder Sachengesamtheit kann nur kirchliche, nur staatliche, sowohl kirchliche als auch staatliche, oder weder kirchliche noch staatliche Rechtspersönlichkeit besitzen. - Sinn der Rechtspersönlichkeit
○ Es soll klar sein, wer Träger von Rechten und Pflichten ist.
○ Als Voraussetzung für die Teilnahme am Rechtsverkehr soll die innere rechtliche Ordnung einer Personen- oder Sachengesamtheit geklärt sein, entweder durch die kirchliche Gesetzgebung oder durch autonomes Satzungsrecht. Im einzelnen sollen dabei insbesondere folgende Fragen geklärt sein: - Was ist die Zielsetzung?
- Wie sind die Entscheidungs- und Leitungsstrukturen?
- Wem kommt die rechtliche Vertretung zu (vgl. c. 118)?
- Wo ist der Sitz?
- Welches ist der Wirkungsbereich (Pfarrei, Diözese, Gebiet der Bischofskonferenz, Gesamtkirche …)
- → Welche kirchliche Autorität führt die Aufsicht?
- Wem fällt bei Auflösung das Vermögen zu?
- Entstehung
○ katholische Kirche und Apostolischer Stuhl: kraft göttlichen Rechts
○ andere juristische Personen: - von Rechts wegen mit ihrer Errichtung
22 in: AAS 85 [1993] 81.
68
- oder – falls die Personen- oder Sachengesamtheit durch autonomes Handeln geschaffen wurde – durch Verleihung seitens der zuständigen kirchlichen Autorität (c. 114 § 1)
- Arten
○ Personen- und Sachengesamtheiten (c. 115) - In der deutschen Rechtssprache werden Personengesamtheiten als „Körperschaften“ bezeichnet, Sachengesamtheiten als „Stiftungen“ oder „Anstalten“. Der CIC bezeichnet gemäß c. 115 § 3 alle Sachengesamtheiten als „Stiftungen“.
- Der Ausdruck „Personengesamtheit“ setzt nicht voraus, dass es um physische Personen geht. Auch juristische Personen können sich zu einer Personengesamtheit und damit einer „Körperschaft“ zusammenschließen. Ebenso kann eine Körperschaft teils aus natürlichen, teils aus juristischen Personen bestehen. Z. B. können die Mitglieder eines Vereins sowohl Menschen als auch Institutionen sein.
○ öffentliche und private juristische Personen (c. 116) - Eine allgemeine Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht, wie sie im deutschen staatlichen Recht besteht, ist dem kanonischen Recht fremd. Es gibt aber eine Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten juristischen Personen (und analog eine Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Vereinen).
- inhaltliches Unterscheidungskriterium: Öffentliche juristische Personen handeln „im Namen der Kirche“ (nomine Ecclesiae), private nicht (c. 116 § 1).
- Der Ausdruck „öffentlich“ ist also nicht als Gegensatz zu „geheim“ zu verstehen; vielmehr nähert sich „öffentlich“ eher der Bedeutung von „offiziell“.
- Entstehung (c. 116 § 2):
- öffentliche juristische Personen: von Rechts wegen oder durch Verleihung
- private juristische Personen: durch Verleihung
- Erkennbarkeit: Wenn eine Personen- oder Sachengesamtheit von Rechts wegen Rechtspersönlichkeit besitzt, kann es sich nur um eine öffentliche juristische Person handeln. Wenn hingegen die Rechtspersönlichkeit durch Verleihung erworben wurde, kann es sich entweder um eine öffentliche oder um eine private juristische Person handeln. Im Zweifelsfall ist ausschlaggebend, was im Verleihungsdekret gesagt wird.
- Eine wichtige Konsequenz der Unterscheidung: Das Vermögen der öffentlichen juristische Person gilt als Kirchenvermögen und untersteht daher den Vorschriften von Buch V des CIC (siehe c. 1257 § 1). Für das Vermögen der privaten juristischen Person gilt das so nicht (siehe c. 1257 § 2).
- Voraussetzungen für die Entstehung:
○ bei Personengesamtheiten: mindestens drei Personen (c. 115 § 2) - Das gilt für die Entstehung. Wenn die Personenzahl im Laufe der Zeit unter drei sinkt, bedeutet das nicht, dass die juristische Person erlischt. Sie kann auch weiterbestehen, obwohl die Zahl der Personen auf null gesunken ist.
○ im Falle der Verleihung: eine Billigung (probatio) der Statuten (c. 117) - Eine Verleihung der Rechtspersönlichkeit kann daher nur erfolgen, wenn die betreffende Personen- oder Sachengesamtheit sich Statuten gegeben hat.
- Die Zuständigkeit für die rechtliche Vertretung (c. 118) ergibt sich aus dem Recht oder den Statuten.
○ Z. B. wird das Seminar gemäß c. 238 § 2 durch den Rektor („Regens“) vertreten, die Pfarrei
gemäß c. 532 durch den Pfarrer. - Im Hinblick auf die rechtliche Vertretung der Pfarrei bestehen in Deutschland allerdings Besonderheiten, die vom CIC abweichen (siehe dazu die Vorlesung „Buch II und IIi des CIC“, § 16 B 3).
- Erlöschen (c. 120)
○ Formen des Erlöschens: - durch Aufhebung
- durch hundertjährige Untätigkeit
- bei privaten juristischen Personen außerdem:
- durch Selbstauflösung
- entsprechend den Statuten
○ Eine Personengesamtheit kann weiterbestehen, auch wenn ihr keine Personen mehr angehören, z. B. eine theologische Hochschule, die ihren Betrieb eingestellt hat. Sie kann dann innerhalb von hundert Jahren „wiederbelebt“ werden und kann dann sofort wieder von ihren Rechten (z. B. Graduierungsrechten) Gebrauch machen. - Fusion (c. 121)
○ z. B. Vereinigung von zwei Pfarreien - Teilung (c. 122)
○ vgl. z. B. die Entstehung des Erzbistums Hamburg im Jahre 1994 durch Heraustrennen aus dem Bistum Osnabrück - Vermögensverwendung bei Erlöschen (c. 123)
- einfache Kollegien
○ Manche Personengesamtheiten haben bestimmte Rechte und Pflichten, obwohl sie nicht über Rechtspersönlichkeit verfügen, z. B. der Priesterrat, die Diözesansynode, das Richterkollegium. In diesem Fall spricht man in der Kanonistik von „einfachen Kollegien“. - Vereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit:
○ Eine Vereinigung von Gläubigen, die nicht ihre Statuten zur Überprüfung vorgelegt hat („freier Zusammenschluss von Gläubigen“ gemäß c. 215) wird von der Kirche nicht als Verein anerkannt (c. 299 § 3). Die betreffenden können z. B. nicht als Gesamtheit vor einem kirchlichen Gericht eine Klage erheben, sondern nur, indem alle einzeln unterschreiben.
○ Aber auch mit der Überprüfung der Statuten und damit der Anerkennung als privater kanonischer Verein ist nicht notwendigerweise die Rechtspersönlichkeit gegeben. Diese bedarf vielmehr der Verleihung in einem eigenen Akt (c. 322 § 2). Als Voraussetzung dafür ist – wie in c. 117 allgemein formuliert – eine probatio der Statuten erforderlich.
70
D. Vergleich: physische – juristische Personen Vergleich zwischen natürlichen und juristischen
No Comments