§ 11 – Kirchliches Handeln
Rechtsnormen sind vor allem Normen über Handlungen. Um Rechtsnormen für spezifisch kirchliche Handlungen zu erlassen, ist es hilfreich, die spezifisch kirchlichen Handlungen zu systematisieren.
Solche Unterscheidungen sind z. B. eine notwendige Voraussetzung dafür, näher zu bestimmen,
○ wer bestimmte Handlungen vornehmen kann und wer nicht,
○ und welche Verfahrensvorschriften für die einzelnen Arten von Handlungen gelten
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A. Das Drei-Ämter-Schema
Um verschiedene Dimensionen innerhalb des Handelns der Kirche zu unterscheiden, wird seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vor allem auf das „Drei-Ämter-Schema“ (tria munera) zurückgegriffen, das schon in der frühen Kirche bekannt war und in der Reformationszeit vor allem von Johannes Calvin entfaltet wurde. Darin werden drei Ämter Christi unterschieden, denen drei Dimensionen in der Sendung der Kirche entsprechen:
○ Hirtenamt → Leitungsdienst (munus regendi)
○ Prophetenamt → Verkündigungsdienst (munus docendi)
○ Priesteramt → Heiligungsdienst (munus sanctificandi)
Dieses Schema bildet auch die Grundlage für die Titel von Buch III und IV des CIC.
Das Schema ist sicherlich praktisch; im strengen Sinn theologisch notwendig ist es nicht. Ein Problem besteht darin, dass das diakonische Handeln der Kirche in dem Schema zu sehr in den Hintergrund tritt. Unter den drei Ämtern Christi lässt es sich zwar problemlos dem Hirtenamt zuordnen (Christus als der gute Hirt). Das diakonische Handeln unter den drei Dimensionen innerhalb der Sendung der Kirche dem Leitungsdienst (munus regendi) zuzuordnen, wird der hohen eigenständigen Bedeutung des diakonischen Handelns aber nicht gerecht.
○ Dass dieses Problem im Codex nicht auffällt, liegt daran, dass es darin für den Bereich des diakonischen Handelns keine spezifischen Rechtsnormen gibt.
B. Amtliches und privates Handeln
Innerhalb aller drei Dimensionen der Sendung der Kirche lässt sich unterscheiden zwischen amtlichem und privatem Handeln.
Der Begriff „amtlich“ bezieht sich dabei in erster Linie auf Amtsträger, d. h. Personen, denen dauerhaft ein bestimmtes Amt übertragen ist; „amtliches Handeln“ in einem weiten Sinn kann aber auch auf einer vorübergehend oder für einen Einzelfall übertragenen (delegierten) Gewalt
oder Vollmacht beruhen.
Amtliches Handeln in der Kirche beruht vor allem auf der Gewalt (oder „Vollmacht“), die Jesus Christus der Kirche übertragen hat. Dabei lässt sich unterscheiden zwischen
○ einer Art von Gewalt, die durch das Weihesakrament übertragen wird („Weihegewalt“, lat. potestas ordinis) und die aufgrund des ius divinum für die Feier bestimmter Sakramente erforderlich ist
○ und einer Art von Gewalt, die in anderer Weise übertragen wird (z. B. durch Verleihung eines Amtes) und die vor allem für die Leitung der Kirche erforderlich ist („Leitungsgewalt“ oder „Jurisdiktionsgewalt“, lat. potestas regiminis oder potestas iurisdictionis).
C. Der Verkündigungsdienst der Kirche
Der Verkündigungsdienst der Kirche wird in Buch III des CIC behandelt.
Alle Gläubigen haben Teil am Verkündigungsdienst der Kirche. Das ist ihre Pflicht und auch ihr Recht (c. 211).
○ Zur nicht-amtlichen Verkündigung gehört etwa die Weitergabe des Glaubens christlicher Eltern an ihre Kinder und die Bemühungen der einzelnen Gläubigen, in ihren konkreten Lebensumfeldern durch Wort und Tat ihren Glauben zu bezeugen.
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Amtliche Verkündigung liegt vor, wenn dazu ein Auftrag seitens der kirchlichen Autorität erfolgt ist, z. B. die Beauftragung eines Religionslehrers (c. 805) oder Theologieprofessors (c. 812).
○ Wer das Weihesakrament empfängt, erhält damit zugleich in einem bestimmten Umfang auch den Auftrag zu amtlicher Verkündigung, insbesondere in der Form der Predigt im Rahmen der Liturgie (cc. 757, 764).
Innerhalb der amtlichen Verkündigung ist die hoheitliche Verkündigung hervorzuheben. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Verpflichtungskraft ausübt. Die hoheitliche Verkündigung ist Aufgabe des Papstes oder der übrigen Bischöfe, sei es als einzelne oder in Gemeinschaft.
○ An der Vollmacht des Papstes zur hoheitlichen Verkündigung hat auch die Glaubenskongregation. Die Vollmacht zur unfehlbaren Verkündigung übt der Papst aber nur persönlich aus.
○ Der Bischof kann seine Vollmacht zur hoheitlichen Verkündigung nicht an andere delegieren.
Eine besondere Form der hoheitlichen Verkündigung ist das unfehlbare Lehren. Dabei kann es sich um die Verkündigung einer Lehre als von Gott geoffenbart handeln, z. B. durch die feierliche Verkündigung eines Dogmas durch den Papst oder durch das Ökumenische Konzil (c. 750 § 1), oder um die Verkündigung einer sonstigen Lehre, die als endgültig anzunehmende vorgelegt wird (c. 750 § 2).
Bei der hoheitlichen Verkündigung ohne Anspruch auf Unfehlbarkeit spricht man von der Ausübung des „authentischen Lehramts“ (c. 752). Das Adjektiv „authentisch“ bedeutet dabei so viel wie „verbindlich“. Genau genommen müsste man von „authentischem Lehren ohne Anspruch auf Unfehlbarkeit“ sprechen.
D. Der Heiligungsdienst der Kirche
Der Heiligungsdienst der Kirche wird in Buch IV des CIC behandelt.
Alle Gläubigen haben Teil am Heiligungsdienst der Kirche. Das geschieht im privaten Gebet und Gottesdienst und auch in der Beteiligung aller Gläubigen am amtlichen Gottesdienst der Kirche.
Amtlicher Gottesdienst wird als „Liturgie“ bezeichnet. Ein solcher amtlicher Gottesdienst ist gegeben, wenn er im Namen der Kirche von rechtmäßig dazu beauftragten Personen und durch Handlungen dargebracht wird, die von der kirchlichen Autorität gebilligt sind (c. 834 § 2).
Die Feier der Liturgie wird vor allem von Klerikern geleitet. Aber auch andere Gläubige sind zur Leitung liturgischer Feiern in der Lage, z. B. bei der Feier der Stundenliturgie oder der unter besonderen Umständen zulässigen Feier der Taufe durch einen nicht geweihten Gläubigen.
Innerhalb der Liturgie lässt sich unterscheiden zwischen der Feier von Sakramenten (cc. 840-1165), Sakramentalien (cc. 1166-1172) und sonstigen liturgischen Feiern.
Für die Feier von fünf der sieben Sakramente (alle Sakramente außer Taufe und Ehe) ist der Besitz von Weihegewalt erforderlich.
E. Der Leitungsdienst der Kirche
Die Leitung der hierarchisch verfassten Kirche erfordert die von Jesus Christus an die Kirche übertragene Leitungsgewalt (potestas regiminis oder iurisdictionis).
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Die Frage, ob die Ausübung dieser Leitungsgewalt an den Empfang des Weihesakraments gebunden ist (also Klerikern vorbehalten ist) oder nicht, war die wichtigste Frage bei den Diskussionen der Codexreformkommission im Jahre 1981.
○ Dazu wurde eine Stellungnahme der Glaubenskongregation eingeholt. Sie erklärte, dass, nur die von ihrem Wesen her hierarchischen Ämter („uffici intrinsecamente gerarchici“) Klerikern vorbehalten sind. 23
Um welche Ämter es dabei geht, ist nicht ganz klar. Man wird wohl an die drei aufgrund des ius divinum erforderlichen Ämter Papst, Bischofskollegium und Diözesanbischof denken.
○ Der CIC ist in dieser Hinsicht etwas widersprüchlich.
Einerseits erklärt c. 274 § 1, dass nur Kleriker Ämter erhalten können, zu deren Ausübung kirchliche Leitungsgewalt erforderlich ist.
Andererseits kann aber nach c. 1421 § 2 das Amt des Richters, das zweifellos Leitungsgewalt erfordert, auch Laien übertragen werden.
Faktisch gibt es in Deutschland auch andere Ämter, die Leitungsgewalt erfordern und Laien übertragen werden, z. B. Abteilungsleiter (oder „Dezernenten“) in den Bischöflichen Ordinariaten.
Auch Laien, die nicht über Leitungsgewalt verfügen, können doch bei deren Ausübung mitwirken (vgl. c. 129 § 2). Das geschieht z. B. in den verschiedenen Beratungsgremien, z. B. im Diözesanpastoralrat.
Innerhalb der Leitungsgewalt lässt sich zwischen gesetzgebender, ausführender und richterlicher Gewalt unterscheiden.
○ Es gibt in der Kirche also eine „Gewaltenunterscheidung“.
○ Das heißt aber nicht, dass es in der Kirche ein System der „Gewaltentrennung“ gäbe (wie in demokratischen Staaten). Vielmehr gibt es Amtsträger, die alle drei Arten von Leitungsgewalt zugleich innehaben, nämlich den Papst, das Bischofskollegium und die Diözesanbischöfe sowie die ihnen Gleichgestellten (c. 381 § 2 i. V. m. c. 368).
○ Die drei Arten von Leitungsgewalt werden in jeweils eigenen Paragraphen dieser Vorlesung
behandelt:
Gesetzgebung: in § 8 Gesetze und Gewohnheitsrecht.
Verwaltung: in § 12 Verwaltungshandeln
Rechtsprechung: in § 15 Rechtsprechung
Zum Leitungsdienst der Kirche gehören auch Leitungsämter, bei denen es nicht um die Leitung der hierarchisch verfassten Kirche geht, sondern um die Leitung von Vereinigungen innerhalb Kirche, d. h. von Ordensgemeinschaften und Vereinen. Diese Leitungsämter setzen nicht den Besitz von Leitungsgewalt und folglich auch nicht den Empfang des Weihesakraments voraus.
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