§ 16 – Besonderheiten im Recht der katholischen Ostkirchen
A. Einführung
x Themen, die an anderer Stelle behandelt werden:
○ Entstehung und Vorgeschichte des CCEO
- in § 5 (Geschichte des Kirchenrechts)
○ die katholischen Ostkirchen - in § 3 C 2 (im Zusammenhang mit c. 1 CIC)
○ Kriterien für die Zugehörigkeit zu einer Ecclesia sui iuris - in § 9 B (Rechtssubjekte)
○ Seelsorge für Angehörige katholischer Ostkirchen, die außerhalb der Herkunftsgebiete ihrer Kirchen leben - in der Vorlesung „Buch II und III des CIC“, § 18 (Kategoriale Seelsorge)
○ All das soll hier nicht wiederholt werden. Im folgenden geht es statt dessen um die Inhalte des CCEO.
x Relevanz der Beschäftigung mit Inhalten des CCEO:
○ Die Kenntnis der Vorschriften des CCEO ist hilfreich im Hinblick auf einzelne Kontakte mit Angehörigen katholischer Ostkirchen.
○ Der CCEO hat auch ökumenische Bedeutung, vor allem im Blick auf die orthodoxen Kirchen. - Er zeigt, dass der Papst nicht so viele Einzelvollmachten haben muss, wie es im Westen der Fall ist. Das bedeutet allerdings nicht, dass der CCEO schon einfach das Modell für eine zukünftige Vereinigung mit orthodoxen Kirchen darstellen würde.
○ Der CCEO hat auch eine Bedeutung für die Weiterentwicklung des kanonischen Rechts insgesamt. - Er konnte den CIC voraussetzen und ist unter manchen Rücksichten wohl „moderner“.
x Merkmale des CCEO
○ Verglichen mit dem CIC handelt es sich noch mehr um eine Rahmengesetzgebung: Es gibt häufig Verweise auf das Partikularrecht, vor allem das Partikularrecht der jeweiligen Ecclesia sui iuris.
○ lateinische Sprache: ist auf den ersten Blick wohl überraschend, da es ja gerade nicht um die „lateinische Kirche“ geht; aber gerade deshalb hat das Lateinische in gewisser Weise den Charakter der „Neutralität“: es wird nicht die Sprache einer der verschiedenen
katholischen Ostkirchen verwendet - Inzwischen gibt es Übersetzungen des CCEO zumindest in folgenden Sprachen: arabisch, deutsch, englisch, französisch, italienisch, kroatisch, niederländisch, rumänisch, ukrainisch.
○ Der CCEO ist nicht – wie der CIC – in Bücher eingeteilt, sondern in „Titel“ von kleinerem Umfang. Insgesamt umfasst er dreißig Titel.
B. Die einzelnen Titel des CCEO
Im folgenden wird vor allem auf Unterschiede zwischen CIC und CCEO hingewiesen. Der Grund für inhaltlich unterschiedliche Bestimmungen des CCEO liegt in aller Regel in der abweichenden Tradition der – katholischen und entsprechenden nichtkatholischen – Ostkirchen.
x Alle nachstehenden Angaben von canones beziehen sich auf den CCEO.
Titel I: Die Gläubigen und ihre gemeinsamen Rechte und Pflichten
Nach den einleitenden Canones beginnt der CCEO gleich mit diesem Titel. Das erinnert an die Struktur mancher Staatsverfassungen, die – wie auch das deutsche Grundgesetz – mit den Grundrechten beginnen.
Anders als der CIC nennt der CCEO in der Überschrift zuerst die Rechte, dann die Pflichten. Daraus wird man aber nicht viel ableiten können.
Titel II: Die Kirchen eigenen Rechts und die Riten
Definition des Ausdrucks Ecclesia sui iuris („Kirche eigenen Rechts“ oder „eigenberechtigte Kirche“) in c. 27: „eine Gemeinschaft von Gläubigen, die mit der Hierarchie nach Maßgabe des Rechts verbunden ist und die von der höchsten Autorität der Kirche ausdrücklich oder stillschweigend als eigenen Rechts anerkannt wird“
Formen von Ecclesiae sui iuris:
○ Patriarchatskirchen (z. Z. sechs: Koptische, Maronitische, Syrische, Armenische, Chaldäische, Melkitische Kirche)
○ Großerzbischöfliche Kirchen (z. Z. vier: Malabarische, Malankarische, Rumänische, Ukrainische K.)
○ Metropolitankirchen
○ Eparchien
○ Apostolische Exarchate
○ Apostolische Administration
Definition des Ausdrucks „Ritus“ in c. 28 § 1: „das liturgische, theologische, geistliche und disziplinäre Erbe, das sich durch die Kultur und durch die geschichtlichen Ereignisse der Völker unterscheidet und sich durch die eigene Art des Glaubenslebens einer jeden Ecclesia sui iuris ausdrückt“
Die lateinische Kirche steht den 23 orientalischen Ecclesiae sui iuris gewissermaßen als eine eigene Ecclesia sui iuris gegenüber, die allerdings nicht – wie die katholischen Ostkirchen – ein vom Papst verschiedenes Oberhaupt hat. Vielmehr ist der Papst zugleich das Haupt der Gesamtkirche und das Haupt der lateinischen Kirche.
In cc. 29-38 sind Regeln über die Zugehörigkeit zu einer Ecclesia sui iuris aufgeführt.
- Die cc. 39-41 sind überschrieben mit „Wahrung der Riten“. Sie warnen vor zu leichtfertigen Änderungen der Riten. Bei Änderungsabsichten soll insbesondere das gegenseitige Wohlwollen und die Einheit der Christen beachtet werden. Damit sind natürlich konkret die orthodoxen Kirchen gemeint. Man soll also nicht leichtfertig etwas ändern, das den Abstand zu der entsprechenden orthodoxen Kirche weiter vergrößern würde.
Titel IV: Patriarchatskirchen
- Der CCEO verwendet nicht den Ausdruck „Patriarchat“, der etwas mehrdeutig ist, sondern den Ausdruck „Patriarchatskirche“ (Ecclesia patriarchalis).
- Der CCEO legt nicht fest, welche Patriarchatskirchen es im einzelnen gibt.
○ Wohl wird in c. 59 § 2 eine Präzedenzordnung unter den alten patriarchalen Stühlen beschrieben: An erster Stelle kommt der Stuhl von Konstantinopel, dann Alexandria, dann Antiochia und schließlich Jerusalem. Das bedeutet aber nicht, dass es faktisch zur Zeit für alle diese Stühle katholische Patriarchen gäbe. - Die Errichtung, Veränderung oder Aufhebung von Patriarchatskirchen ist der höchsten Autorität der Kirche (d. h. Papst oder Bischofskollegium) vorbehalten (c. 57 § 1).
- Die Bestellung des Patriarchen erfolgt durch eine Wahl auf der Synode der Bischöfe der Patriarchatskirche (c. 63).
- Der neu gewählte Patriarch muss möglichst bald durch einen persönlich unterschriebenen Brief den Papst um die Gewährung der kirchlichen communio bitten (c. 77 § 1).
○ Bevor er die communio erhalten hat, darf er weder die Synode der Bischöfe einberufen noch Bischöfe weihen (c. 77 § 2). - Cc. 78-101 sprechen über die Rechte und Pflichten der Patriarchen.
○ Z. B. kann er Kirchenprovinzen und Eparchien errichten, ändern und aufheben (c. 85 § 1).
○ Ihm kommt die Bischofsweihe der Metropoliten zu (c. 86 § 1, 2°).
○ usw.
○ Der Patriarch muss in der Göttlichen Liturgie und im Stundengebet nach dem Papst kommemoriert werden.
○ Er hat allerdings keine Gesetzgebungsgewalt. Diese liegt ausschließlich bei der Synode der Bischöfe der Patriarchatskirche (c. 110 § 1).
○ An diesem und anderen Beispielen zeigt sich, dass für die Leitung der katholischen Ostkirchen im Vergleich zur lateinischen Kirche das monarchische Element weniger, das synodale Element dafür um so mehr Bedeutung hat.
○ Außerhalb des eigenen Gebietes der Patriarchatskirche hat der Patriarch über die Angehörigen der betreffenden Ecclesia sui iuris nur sehr eingeschränkte Vollmachten (vgl. cc. 146-150).
Titel V: Die großerzbischöflichen Kirchen
- Eine „großerzbischöfliche Kirche“ (Ecclesia archiepiscopalis maior) hat im Wesentlichen dieselbe rechtliche Stellung wie eine Patriarchatskirche, nur dass sie nicht formell zur Patriarchatskirche erhoben worden ist. Man könnte sagen, es handelt sich um eine „Quasi-Patriarchatskirche“.
Titel VI: Metropolitankirchen und die übrigen Ecclesiae sui iuris
- In diesen Kirchen übt der Papst sozusagen ersatzweise die Funktion aus, die sonst dem Patriarchen bzw. Großerzbischof zukäme.
- Eine Metropolitankirche besteht nur aus einer Kirchenprovinz.
- Die übrigen Ecclesiae sui iuris sind noch kleiner.
Titel VII: Eparchien und Bischöfe
- Die Diözese heißt im Ostkirchenrecht „Eparchie“, der Diözesanbischof „Eparchialbischof“.
- Die wohl wichtigste Besonderheit ist, dass die Bischöfe, soweit es um Bischöfe innerhalb des Gebiets einer Patriarchatskirche geht, nicht vom Papst ernannt, sondern von der Synode der Bischöfe der Patriarchatskirche gewählt werden (cc. 180-189).
○ Allerdings ist die Zustimmung des Papstes erforderlich. Für eine Liste mit vermuteten Kandidaten wird die Zustimmung im voraus eingeholt. Für den Fall, dass jemand gewählt wird, der nicht auf der Liste steht, wird die Zustimmung anschließend beantragt (cc. 182
§ 3, 184-185). - Dem Generalvikar der Lateinischen Kirche entspricht der „Protosynkellos“ (c. 245), dem Bischofsvikar der „Synkellos“ (c. 246), dem Dechanten der „Protopresbyter“ (c. 276 § 1).
Titel VIII: Exarchien und Exarchen
- Die Exarchie ist ein Gebiet, in dem es noch keine ordentliche Hierarchie gibt.
- Man kann unterscheiden zwischen
○ Exarchien, die sich innerhalb des Gebietes einer Patriarchatskirche oder Großerzbischöflichen Kirche befinden,
○ und anderen, die als „Apostolische Exarchien“ bezeichnet werden und unmittelbar dem Papst unterstehen. - Ein Beispiel dafür ist die „Apostolische Exarchie für katholische Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien“ mit Sitz in München.
- Die Exarchie wird geleitet vom Exarchen, der häufig zum Bischof geweiht ist.
Titel X: Kleriker
- Kleriker im rechtlichen Sinne wird man wie in der lateinischen Kirche durch die Diakonenweihe (c. 325).
- Durch die Diakonenweihe erfolgt auch die Inkardination, die im Ostkirchenrecht als Askription bezeichnet wird (cc. 357-366).
- In den Ostkirchen gibt es in unterschiedlichem Umfang aber auch niedere Weihestufen. Der CCEO erwähnt die „niederen Kleriker“ nur in c. 327 und überlässt die Einzelheiten dem Partikularrecht.
- Über den Zölibat der Kleriker heißt es:
○ „Der Zölibat der Kleriker, um des Himmelreiches willen gewählt und dem Priestertum sehr angemessen, ist überall sehr hoch zu schätzen, so wie es Tradition der Kirche ist; ebenso ist der Stand der verheirateten Kleriker, der in der Praxis der jungen Kirche und der
orientalischen Kirchen durch die Jahrhunderte bestätigt ist, in Ehren zu halten.“ (c. 373)
○ Inwieweit der Zölibat eine Voraussetzung für den Empfang der Weihen darstellt, hängt vom Partikularrecht der jeweiligen Ecclesia sui iuris ab (c. 758 § 3). - Faktisch verlangen von den 2e katholischen Ostkirchen nur zwei, nämlich die malabarische und die malankarische Kirche, die Ehelosigkeit als Voraussetzung für die Priesterweihe.
○ Hingegen setzt in allen katholischen Ostkirchen der Empfang der Bischofsweihe den Zölibat voraus (c. 180, 3°).
○ In jedem Fall stellt die Weihe, und zwar schon die Diakonenweihe, ein Ehehindernis dar (c. 804). - Wer als Kleriker verheiratet sein will, muss also vor der Diakonenweihe heiraten.
○ Die Dispens vom Ehehindernis der Weihe, z. B. für einen Verwitweten, ist – wie in der lateinischen Kirche – dem Papst vorbehalten (vgl. cc. 396, 795 § 2).
Titel XI: Laien
- Während der CIC mit dem Wort „Laie“ alle Gläubigen meint, die nicht das Weihesakrament empfangen haben (c. 207 § 1 CIC), bezieht der CCEO den Ausdruck „Laie“ nur auf solche Gläubige, die weder das Weihesakrament empfangen haben noch dem Ordensstand angehören (c. 399 CCEO).
- Im einzelnen entsprechen die Vorschriften über die Laien denen des CIC.
Titel XIII: Vereine von Gläubigen
- Anders als in der lateinischen Kirche sieht der CCEO die Möglichkeit vor, dass auch ein Verein Kleriker inkardinieren („askribieren“) kann, vorausgesetzt, dass der Apostolische Stuhl bzw. der Patriarch dazu eine besondere Vollmacht erteilt (c. 579).
Titel XVI: Der Gottesdienst, insbesondere die Sakramente
- Hinsichtlich des Ritus der Sakramente heißt es allgemein in c. 674 § 2, dass der Feiernde dem Ritus seiner eigenen Ecclesia sui iuris zu folgen hat, sofern er nicht vom Apostolischen Stuhl eine besondere Befugnis erhalten hat.
- Lateinische Gläubige können die Sakramente der Eucharistie, Buße und Krankensalbung ohne weiteres auch in einer katholischen Ostkirche empfangen, und umgekehrt. Demgegenüber darf man die Sakramente der Firmung, Weihe und Ehe im Normalfall nur in der eigenen Ecclesia sui iuris empfangen.
Taufe und Myronsalbung
- Ordentliche Taufspender sind nur der Bischof und der Priester (c. 677 § 1), anders als in der Lateinischen Kirche also nicht der Diakon (vgl. c. 861 § 1 CIC).
- Als Taufpaten sind nicht nur Katholiken, sondern auch Orthodoxe zulässig (c. 685 § 3).
○ Das gilt übrigens, obwohl es der CIC nicht erkennen lässt, auch für Taufen innerhalb der lateinischen Kirche (siehe: Ökumenisches Direktorium von 1993, Nr. 98 b) - Außer in Notsituationen muss gleich nach der Taufe auch die Firmung gespendet werden (c. 695 § 1), die im Ostkirchenrecht als „Myronsalbung“ (chrismatio sancti myri) bezeichnet wird.
○ Das heilige Myron kann nur von Bischöfen geweiht werden (c. 693).
○ Zur Myronsalbung sind alle Priester der orientalischen Kirchen berechtigt. - Durch die Myronsalbung gleich nach der Taufe wird erreicht, dass – anders als in der lateinischen Kirche – die traditionelle Reihenfolge der drei Initiationssakramente erhalten bleibt (vgl. c. 699 § 3).
- Während die Firmung in der Lateinischen Kirche durch Salbung unter Auflegung der Hand vollzogen wird (c. 880 § 1 CIC), ist die Myronsalbung nicht mit einer Handauflegung verbunden.
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