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§ 12 Verwaltungshandeln

A. Überblick

  • Als „Verwaltungshandeln“ bezeichnet man die Ausübung der ausführenden Gewalt.
  • Für die „ausführende Gewalt“ verwendet der CIC die Ausdrücke potestas exsecutiva und potestas administrativa.

    23 Wortlaut in: Congregatio Plenaria …, S. 37.


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○ Diese beiden Ausdrücke sind praktisch gleichbedeutend.
○ Der Ausdruck potestas administrativa ist wohl geeigneter als der Ausdruck potestas exsecutiva. Denn Verwaltungshandeln beschränkt sich nicht auf die „Ausführung“ von Gesetzen, sondern geschieht auch in solchen Angelegenheiten, die nicht gesetzlich geordnet sind. (Natürlich muss solches Verwaltungshandeln gesetzmäßig sein, d. h., es darf nicht bestehenden Gesetzen widersprechen.) Im Deutschen ist für beide lateinischen
Ausdrücke nur die Übersetzung „ausführende Gewalt“ üblich (vgl. die deutschen Übersetzungen von cc. 1400 § 2, 1445 § 2).

    • Die Ausübung der ausführenden Gewalt bezeichnet man als „Verwaltungshandeln“ oder einfach als „Verwaltung“. Dieser Begriff bezieht sich hier auf eine bestimmte Weise des Handelns bei der Leitung der Kirche, also bei der Ausübung des munus regendi.
      ○ Manchmal redet man auch – besonders im protestantischen Sprachgebrauch
      – von der Ausdruck „Verwaltung“ der Sakramente und der „Verwaltung“ des Wortes Gottes. Diese Arten von „Verwaltung“, die zum munus sanctificandi bzw. zum munus docendi gehören, sind aber hier nicht gemeint.



  • Kennzeichen des Verwaltungshandelns:
    ○ Unterschiede zur Gesetzgebung:

 Im Unterschied zur Gesetzgebung hat das Verwaltungshandeln in Unterordnung unter Gesetz und Gewohnheitsrecht zu geschehen.
 Während die Gesetzgebung sich auf eine Gesamtheit von Fällen bezieht, ist das
Verwaltungshandeln meist einzelfallbezogen; es gibt allerdings auch allgemeine Verwaltungserlasse.
○ Unterschiede zur Rechtsprechung:
 Während die Rechtsprechung nur auf die Klage eines anderen hin möglich ist („Wo kein Kläger, da kein Richter“), kann die Verwaltung auch aus eigener Initiative tätig werden.
 Während die Rechtsprechung einer genau festgelegten Verfahrensordnung folgt (siehe vor allem Buch VII des CIC), bestehen für das Verwaltungsverfahren nur vergleichsweise wenige Vorschriften; von diesen Vorschriften abgesehen, sind die Verfahrensfragen dem Ermessen der Verwaltungsorgane überlassen.
 Das Verwaltungshandeln befasst sich auch mit Fragen aus dem Bereich des Heiligungsdienstes und des Verkündigungsdienstes. Beispiele dazu:
○ Bei der Feier der Taufe handelt es sich um die Ausübung des Heiligungsdienstes. Bei der Entscheidung, den Antrag eines Taufbewerbers auf Zulassung zur Taufe abzulehnen, handelt es sich aber nicht um die Ausübung des Heiligungsdienstes, sondern um Verwaltungshandeln.
○ Religionsunterricht ist Teil des Verkündigungsdienstes. Die Ernennung eines Religionslehrers stellt aber Verwaltungshandeln dar.

B. Verschiedene Arten des Verwaltungshandelns

1. Hoheitliches / nichthoheitliches Verwaltungshandeln
 Diejenigen Autoritäten, die über gesetzgebende Gewalt verfügen, sind auch zu Verwaltungshandeln befähigt: der Papst, das Bischofskollegium, das Partikularkonzil, die Bischofskonferenz, der Diözesanbischof und die ihm Gleichgestellten.
 Weitere Autoritäten, denen nach dem CIC ausführende Gewalt zukommt, sind:
○ auf der Ebene der Gesamtkirche die Verwaltungsorgane der Römischen Kurie
○ auf der diözesanen Ebene der Generalvikar und, soweit vorhanden, die Bischofsvikare


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○ für bestimmte Angelegenheiten bestimmte Ordensobere
 z. B. ein Amt oder ein Provinzial, wenn er ihm unterstellte Ordensangehörige zur Diakonen- und Priesterweihe zulässt
○ Personen, an die ausführende Gewalt delegiert wird (c. 137)
 Zum Beispiel haben die deutschen Bischöfe den Pfarrern die Vollmacht übertragen, die für das Eingehen einer konfessionsverschiedenen Ehe erforderliche Erlaubnis (cc. 1124-1125) zu erteilen.
 Bei den übrigen kirchlichen Amtsträgern, die kraft Amtes im Rahmen der Verwaltung tätig sind (z. B. ein Pfarrer oder eine Äbtissin), spricht der CIC nicht von ausführender Gewalt.
 Um den Unterschied deutlich zu machen zwischen dem Verwaltungshandeln derer, denen nach dem CIC ausführende Gewalt zukommt, und dem Handeln der übrigen Verwaltungsorgane, kann man zwischen „hoheitlichem“ und „nicht-hoheitlichem“ Verwaltungshandeln unterscheiden.
 In cc. 31-93 gibt es Verfahrensvorschriften für das Verwaltungshandeln. Sie gelten an sich nur für das hoheitliche Verwaltungshandeln (vgl. c. 35).
○ Hinzu kommen nähere Verfahrensvorschriften für bestimmte Verwaltungsverfahren. Solche näheren Vorschriften gibt es sowohl im CIC (z. B. für die Auflösung nicht vollzogener Ehen: cc. 1697-1706 und für die Beschwerde gegen Verwaltungsakte: cc. 1732-1739) als auch außerhalb des CIC (z. B. für die Auflösung nicht sakramentaler Ehen).
 Für das nicht-hoheitliche Verwaltungshandeln (z. B. Festsetzen der Uhrzeit eines Gottesdienstes durch den Pfarrer) gibt es so gut wie keine Verfahrensvorschriften. Wenn dadurch allerdings eine Rechtslücke entsteht (d. h., wenn zwingend Rechtsnormen benötigt werden), müssen die Vorschriften für hoheitliches Verwaltungshandeln analog Anwendung finden.

2. Allgemeine Verwaltungserlasse / Verwaltungshandeln im Einzelfall
 Typischerweise ist Verwaltungshandeln einzelfallbezogen. Es besteht aber auch die Möglichkeit von allgemeinen Verwaltungserlassen. Sie werden in cc. 31-34 behandelt und treten in zwei Formen auf: allgemeine Ausführungsdekrete und Instruktionen.
 Die allgemeinen Verwaltungserlasse sind inhaltlich den ihnen entsprechenden Gesetzen untergeordnet. Dadurch unterscheiden sie sich von Gesetzen.
 Der Unterschied zwischen den beiden Arten von allgemeinen Verwaltungserlassen liegt vor allem in ihrem unterschiedlichen Adressatenkreis begründet:
○ Allgemeine Ausführungsdekrete (decreta generalia exsecutoria), auch „Ausführungsverordnungen“ genannt, richten sich an dieselben Personen, an die sich das zugrunde liegende Gesetz richtet (cc. 31-33)
 Beispiel: die zusammen mit der AK Veritatis gaudium (über die kirchlichen Fakultäten) erlassenen Ordinationes (Verordnungen) der Bildungskongregation, von 2017
○ Instruktionen richten sich nur an diejenigen, „die dafür sorgen müssen, dass die Gesetze zur Ausführung gelangen“ (c. 34).
 Beispiel: die „Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester“, von 1997

3. Verwaltungsakte / rein tatsächliches Verwaltungshandeln
 Innerhalb des Verwaltungshandelns im Einzelfall kann unterschieden werden zwischen Verwaltungsakten und sonstigem Verwaltungshandeln.


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○ Verwaltungsakte stellen Rechtsakte (cc. 124-127) dar; sie zielen also auf eine rechtliche Veränderung ab. Sie sind entweder gültig oder ungültig.
 Beispiel: Die Ernennung eines Pfarrers.
○ Zum Verwaltungshandeln gehören auch Realakte. Sie zielen auf eine rein faktische Veränderung ab. Die Frage der Gültigkeit stellt sich dabei nicht.
 Beispiel: die Mitteilung der Ergebnisse einer Diözesansynode an die Bischofskonferenz (c. 467)

4. Die einzelnen Arten von Verwaltungsakten
a) Antragsabhängigkeit
 Innerhalb der Verwaltungsakte unterscheidet der CIC zwischen
○ einerseits: Dekreten
○ andererseits: Reskripten sowie reskriptähnlichen Verwaltungsakten.
 Das Unterscheidungskriterium ist die Antragsabhängigkeit:
 Dekrete sind nicht antragsabhängig.
 Reskripte und reskriptähnliche Verwaltungsakte sind antragsabhängig.
○ Was mit „Antragsabhängigkeit“ gemeint ist, lässt sich am besten an c. 63 deutlich machen, wo es um die Erschleichung geht. Diese Vorschrift betrifft nur Reskripte und reskriptähnliche Verwaltungsakte, nicht aber Dekrete:
 Wenn jemand einen Antrag auf ein Reskript stellt, dabei aber in den entscheidenden Punkten falsche Angaben macht, ist das Reskript ungültig (c. 63 § 2). So gesehen ist das Reskript in seiner Gültigkeit von dem gestellten Antrag abhängig.
 Bei einem Dekret besteht eine solche Abhängigkeit nicht. Dass jemand einen Antrag auf ein Dekret stellt und dabei falsche Angaben macht, steht der Gültigkeit des daraufhin erlassenen Dekrets nicht entgegen.
○ Das Kriterium der „Antragsabhängigkeit“ bezieht sich also nicht auf die Frage, ob in einem konkreten Einzelfall tatsächlich ein Antrag gestellt wurde oder nicht. Beispielsweise geschieht die Ernennung eines Pfarrers durch Dekret, auch dann, wenn in einem bestimmten Einzelfall jemand seine Ernennung zum Pfarrer beantragt hat. Die Erteilung von Dispensen geschieht durch Reskript, auch dann wenn sich in einem bestimmten
Einzelfall eine kirchliche Autorität entscheidet, eine Dispens (z. B. von einem Ehehindernis) zu erteilen, die nicht beantragt wurde.
b) Dekret
 Definition in c. 48
○ Inhalt des Dekrets ist demnach eine Entscheidung (decisio) oder eine (Amts-) Verleihung (provisio).
○ Beispiele: Errichtung einer Pfarrei; Ernennung eines Pfarrers
 Zu den Dekreten zählt auch der Verwaltungsbefehl (praeceptum).
○ Definition in c. 49
○ Kennzeichen eines Verwaltungsbefehls ist, dass einer Person eine Entscheidung – auch gegen ihren Willen – „auferlegt“ wird.
 Beispiele: Androhung einer Strafe für den Fall, dass jemand einen Befehl nicht erfüllt („Strafbefehl“ – praeceptum poenale, siehe c. 1319).


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c) Reskript und reskriptähnliche Verwaltungsakte
 Definition des Reskripts in c. 59 § 1; Kriterien:
○ Schriftform
○ der Inhalt ist ein Privileg, eine Dispens oder ein anderer Gnadenerweis
○ Beispiele für Reskripte:
 ein Privileg, eine Dispens, eine (erbetene) Laisierung, u. a.
 Privileg: siehe die Definition in c. 76 § 1
 Dispens: siehe die Definition in c. 85
○ Die genaue Abgrenzung zwischen Privileg und Dispens ist nicht immer einfach. Das Privileg hat typischerweise Dauercharakter; wenn es sich also nur darum handelt, ein an sich nicht zulässiges Tun oder Unterlassen einmal zuzulassen, liegt eine Dispens vor (c. 85: „in einem Einzelfall“). Wenn einer ganzen Gemeinschaft dauerhaft etwas gewährt wird, überschreitet das den Einzelfall; dann liegt ein Privileg vor.
 Gemäß c. 59 § 2 gibt es zwei Arten von reskriptähnlichen Verwaltungsakten,
○ nämlich:
 die Erteilung einer Erlaubnis
 die mündliche Erteilung eines Gnadenerweises
○ Beispiele für reskriptähnliche Verwaltungsakte:
 die mündliche Gewährung einer Dispens vom Stundengebet
 die – schriftliche oder mündliche – Erteilung der Erlaubnis, außerhalb des eigenen Zuständigkeitsgebiets die Taufe zu spenden (c. 862)