Skip to main content

l) Das Staatsvolk

100 Die Abgrenzung der Personalhoheit der Staaten untereinander erfolgt über die Staatsangehörig- keit. In Deutschland ist der Begriff des „Deutschen" in Art 116 GG enthalten; Regeln über Er¬werb und Verlust der Staatsangehörigkeit finden sich im Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG). Danach gelten seit dem 1.1.2000 neue Regeln über den Erwerb der deutschen Staatsangehörig¬keit durch Geburt und für die Einbürgerung. So können seither auch in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, wenn wenigstens ein Elternteil am Tag der Geburt des Kindes sich seit acht Jahren rechtmäßig und gewöhnlich in Deutschland aufhält und eine Niederlassungserlaubnis oder eine EU- Aufenthaltserlaubnis besitzt. Kinder ausländischer Eltern unter 10 Jahren konnten einen auf das Jahr 2000 befristeten Anspruch auf Einbürgerung geltend machen, wenn sie in Deutschland geboren waren. Einen Anspruch auf Einbürgerung besitzen ferner Ausländer, wenn sie sich seit mindestens acht Jahren rechtmäßig und dauernd in Deutschland aufhalten und bestimmte wei¬tere Voraussetzungen erfüllen.

a) Die Staatsangehörigkeit
Völkerrechtlich umschreibt die Staatsangehörigkeit die rechtliche Beziehung einer Person zu 101 ihrem Heimatstaat. Zu Begriff und Rechtsnatur der Staatsangehörigkeit werden unterschiedliche Auffassungen vertreten.170 Zum einen wird in der Staatsangehörigkeit ein Rechtsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten gesehen, also ein Verhältnis öffentlich-rechtlicher Natur zwischen dem Einzelnen und dem Staat.171 Die Auffassung, es handele sich um ein rechtliches Band, findet sich auch in der Entscheidung des IGH im Nottebohm-Fall: „[…] nationality is a legal
bond having at its basis a social fact of attachment, a genuine connection of existence, interests and sentiments, together with the existence of reciprocal rights and duties. It may be said to constitute the juridical expression of the fact that the individual upon whom it is con¬ferred, either directly by the law or as a result of an act of the authorities, is in fact more closely connected with the population of the State conferring nationality than with that of any other State."172 Andere Autoren vertreten die Auffassung, die Staatsangehörigkeit stelle ein rechtlich relevantes, zumeist auch rechtlich geregeltes Realverhältnis173 dar. Die überwiegende Meinung sieht in der Staatsangehörigkeit eine Eigenschaft, Mitglied einer Gebietskörperschaft zu sein (sog Statustheorie).174 Das BVerfG ging in seiner Entscheidung v 1974175 ebenfalls von einem Status aus, eine Auffassung, die sich auch in der Entscheidung zum Kommunalwahl¬recht für Ausländer wiederfindet.176 Nach einer vermittelnden Position stellt die Staatsangehö¬rigkeit ein Rechtsverhältnis zwischen dem Staat und seinen Angehörigen dar, bei dessen Rege¬lung die Eigenschaft der Person als Subjekt eines Rechtsverhältnisses einen rechtlichen Status dieser Person bildet.177
Rechte und Pflichten aus diesem gegenseitigen Treueverhältnis können entweder unmittel- 102 bar entstehen (diplomatischer Schutz) oder sich erst aus innerstaatlichem Recht ergeben (zB Wehrpflicht, Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen). Jeder Staat kann die Voraussetzungen der Verleihung und des Verlusts seiner Staatsangehörigkeit nach eigenem Ermessen regeln, wobei er jedoch die sich aus Völkervertrags- und Völkergewohnheitsrecht ergebenden Grenzen zu beachten hat.178 Auch das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit v 6.11
1997, das am 1.3.2000 in Kraft getreten ist, gibt grundsätzlich jedem Staat das Recht, nach seinen eigenen Gesetzen die Staatsangehörigkeit festzulegen.179 Jedoch sollen die Regeln über Staats¬angehörigkeit der Vertragsparteien auf folgende Grundsätze gestützt sein: Jedermann hat ein Recht auf Staatsangehörigkeit, Staatenlosigkeit ist zu vermeiden; niemand darf willkürlich sei¬ner Staatsangehörigkeit beraubt werden; weder Heirat noch die Auflösung der Ehe zwischen einem Staatsangehörigen einer Vertragspartei und einem Ausländer, noch der Wechsel der Staatsangehörigkeit eines Ehegatten während der Ehe berührt automatisch die Staatsangehörig¬keit des anderen Ehegatten.
103 Mit der Einführung einer Unionsbürgerschaft in Art 20 bis 25 AEUV wurde keine eigene Staatsangehörigkeit im völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Sinn geschaffen.180 Weiterge-hende Vorschläge dahingehend, die Unionsbürgerschaft auf autonome Weise und so zu bestimmen, dass sie in Verknüpfung mit der uneingeschränkten Anerkennung und Gewährleis-tung der in der EMRK verankerten Menschenrechte und Grundfreiheiten einen eigenständigen Status schafft, wurden bislang nicht verwirklicht.181 Die Unionsbürgerschaft knüpft an die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats an. Durch die Unionsbürgerschaft wird „zwischen den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten ein auf Dauer angelegtes rechtliches Band geknüpft, das zwar nicht eine der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einem Staat vergleichbare Dichte besitzt, dem bestehenden Maß existentieller Gemeinsamkeit jedoch einen rechtlichen Ausdruck ver- leiht."182 Auch Art 20 Abs 1 Satz 2 AEUV stellt ausdrücklich fest, dass die Unionsbürgerschaft die nationale Staatsangehörigkeit ergänzt, nicht aber ersetzt. Eine Beschränkung nationaler Befug¬nisse zur Regelung der Staatsangehörigkeit kann der Rechtsprechung des EuGH nicht entnom¬men werden. Im Fall Gullung entschied der EuGH, dass die Mitgliedstaaten zwar die Befugnis zur Regelung staatsangehörigkeitsrechtlicher Angelegenheiten hätten, dass sie aber von dieser Be¬fugnis nicht in einer Weise Gebrauch machen dürften, die die im Vertrag verankerten Freiheiten zunichte macht.183 In der Rechtssache Micheletti führte der EuGH aus, dass ein Mitgliedstaat über die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats hinaus keine zusätzlichen Anforderungen an die Geltendmachung der Rechte eines Unionsbürgers stellen dürfe: „Die Festlegung der Voraus-setzungen für den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit unterliegt nach dem internatio-nalen Recht der Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten; von dieser Zuständigkeit ist unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts Gebrauch zu machen […]."184 In seiner Entscheidung zum
europäischen Haftbefehl185 hat das BVerfG betont, dass die Unionsbürgerschaft ein abgeleiteter und die mitgliedstaatliche Staatsangehörigkeit ergänzender Status (Art 20 Abs 1 Satz 2 und 3 AEUV) sei. Der Gesetzgeber durfte danach zwar vom Verbot der Auslieferung Deutscher ent-sprechend Art 16 Abs 2 Satz 2 GG im Rahmen einer europäischen Zusammenarbeit im Bereich des Strafrechts abweichen; er muss aber das aus der deutschen Staatsangehörigkeit sich erge¬bende grundsätzliche Vertrauen in die eigene Rechtsordnung dann respektieren, wenn die dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegende Handlung einen maßgebenden Inlandsbezug auf¬weist.
Nach Auffassung des BVerwG sind unionsrechtliche Schranken im Hinblick auf staatsange- 104 hörigkeitsrechtliche Folgen des Verlusts der Unionsbürgerschaft möglich, sofern eine nach dt Recht an sich rechtmäßige Rücknahme einer durch arglistige Täuschung erschlichenen Einbür-gerung dazu führt, dass im Zusammenwirken mit dem nationalen Staatsangehörigkeitsrecht eines anderen Mitgliedstaats Staatenlosigkeit eintritt.186 Dabei hält es das BVerwG für fraglich, ob von dem Vorbehalt, den der EuGH im Hinblick auf eine Beschränkung des nationalen Staats-angehörigkeitsrechts durch das frühere Gemeinschaftsrecht angedeutet hat, auch Fälle erfasst sind, in denen ein Mitgliedstaat eine von der Intention her ausschließlich die eigene Staatsan¬gehörigkeit betreffende Regelung getroffen hat oder anwendet, die im Ergebnis aber automa¬tisch zum Verlust einer über die frühere Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats ver¬mittelten unionsrechtlichen Rechtsposition führt.
In der Rechtssache Rottmann kam der EuGH zu dem Schluss, dass das Unionsrecht dem Ver- 105 lust der Unionsbürgerschaft auch dann nicht entgegenstehe, wenn die Rücknahme einer durch Täuschung erschlichenen Einbürgerung eines Mitgliedstaats dazu führt, dass infolge des Nich-tauflebens der ursprünglichen Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats Staatenlosig¬keit eintrete. Der EuGH betonte bei dieser Gelegenheit, dass die Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit in die Zuständigkeit der einzelnen Mit¬gliedstaaten falle.187 Voraussetzung hierfür sei es, dass die Rücknahme der Einbürgerung weder durch die Ausübung der aus dem Vertrag fließenden Rechte und Freiheiten begründet sei, noch auf einen vom Unionsrecht verbotenen Grund gestützt werde. Insbesondere müsse der Grund¬satz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden.188
Hervorzuheben ist, dass der EuGH seine Entscheidung in der Rechtssache Rottmann in den 106 völkerrechtlichen Kontext einschlägiger Bestimmungen des Übereinkommens zur Vermeindung der Staatenlosigkeit (Art 8 Abs 2) sowie des Europäischen Übereinkommens über die Staatsan-gehörigkeit (Art 7 Abs 1 u 3) stellte.189
Nach Völkergewohnheitsrecht ist bei der Ausübung diplomatischen Schutzes eine fremde 107 Staatsangehörigkeit nur beachtlich, wenn die betreffende Person zum Heimatstaat eine be¬stimmte Anknüpfung (genuine link, genuine connection) aufweist​

108 Die Staatenpraxis knüpft beim originären gesetzlichen Erwerb idR an die Abstammung (ius sanguinis), die Geburt im Inland (ius soli) oder eine Kombination beider Prinzipien an. Nach dem Ius sanguinis-Prinzip erwirbt das Kind die Staatsangehörigkeit seiner Eltern; der Geburtsort ist unbeachtlich. Das Ius soli-Prinzip gilt in klassischen Einwanderungsländern wie den USA. Hier erwirbt das Kind ohne Rücksicht auf die Nationalität der Eltern die Staatsangehörigkeit des Ge¬burtslands. Allerdings wird in den angelsächsischen Staaten die Staatsangehörigkeit darüber hinaus auch kraft Abstammung erworben. Eine Kombination beider Prinzipien wird in den letz¬ten Jahren im Hinblick auf die Integration von sich länger im Inland aufhaltenden Ausländern auch in den klassischen Ius sanguinis-Staaten praktiziert. So wurden etwa in das deutsche StAG durch das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts v 15.7.1999 in § 4 zwei Absätze hin¬zugefügt, wonach ein Kind ausländischer Eltern durch die Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnli¬chen Aufenthalt im Inland hat und ein gesichertes Aufenthaltsrechts (nunmehr Niederlassungs¬erlaubnis) besitzt. Zugleich wurde in § 29 Abs 1 eine Optionspflicht bei Erreichen der Volljäh¬rigkeit eingeführt.
109 Der nachträgliche Erwerb der Staatsangehörigkeit erfolgt durch Einbürgerung, Annahme als Kind oder Legitimation. Ein automatischer Wechsel der Staatsangehörigkeit bei Heirat findet heute nicht mehr statt. Im Vordergrund steht jedoch der Erwerb durch Einbürgerung auf An¬trag, der von verschiedenen Kriterien wie Sprachkenntnissen oder einem längeren Inlandsauf¬enthalt abhängig gemacht werden kann. Grundbesitz im Inland oder ein nur kurzer Inlandsauf¬enthalt werden im Allgemeinen nicht als ausreichend angesehen. Die Staatenpraxis lässt jedoch bei Vorliegen
besonderer öffentlicher Interessen Einbürgerungserleichterungen zu. So kann bei Einbürgerungen etwa nach § 8 StAG nach Nr 8.1.3.5 Abs 2 der vorläufigen Anwen-dungshinweise zum Staatsangehörigkeitsgesetz ein besonderes öffentliches Interesse an der Einbürgerung vorliegen, wenn der Einbürgerungsbewerber durch die Einbürgerung für eine Tä¬tigkeit im deutschen Interesse, insbesondere im Bereich der Wissenschaft, Forschung, Wirt-schaft, Kunst, Kultur, Medien, des Sports oder des öffentlichen Dienstes gewonnen oder erhal¬ten werden soll.
110 Anknüpfungspunkte für den Verlust der Staatsangehörigkeit aus völkerrechtlicher Sicht sind der Antrag des Einzelnen auf Entlassung, der Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit, das Ableisten des Staats- oder Wehrdienstes in einem fremden Staat, die Heirat mit einem Aus-länder, die Legitimation eines nichtehelichen Kindes durch einen Ausländer oder das Ausblei-ben einer Registrierung bei längerem Auslandsaufenthalt.
Der Zwangsausbürgerung stehen heute verschiedene Konventionen und Menschenrechtsin- 111 strumente entgegen. So hat sich die UN-Generalversammlung in Art 15 Abs 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte v 10.12.1948 gegen eine willkürliche Entziehung der Staatsange-hörigkeit ausgesprochen, und Art 5 lit d des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form der Rassendiskriminierung v 7.3.1966 garantiert u a das Recht jedes Einzelnen auf Staatsangehörig¬keit. Schließlich untersagt Art 9 der Konvention über die Verminderung der Staatenlosigkeit v 30.8.1961 den Vertragsstaaten den Entzug der Staatsangehörigkeit aus rassischen, ethnischen, religiösen oder politischen Gründen. Man wird daraus ein gewohnheitsrechtliches Verbot will¬kürlicher Entziehung der Staatsangehörigkeit ableiten können.
Das Recht des Einzelnen auf Staatsangehörigkeit, das sich auch in Art 7 des Übereinkommens 112 über die Rechte des Kindes v 20.11.1989 und Art 4 lit a des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit (EuStAngÜbk) findet, könnte aufgrund des Wortlauts dazu verleiten, auf ein subjektives Recht des Einzelnen auf Verleihung der Staatsangehörigkeit gegenüber dem Staat des ständigen Aufenthalts zu schließen. Doch sind die Äußerungen hierzu noch sehr vor¬sichtig und stellen vor allem auf den zwischenstaatlichen Aspekt und die Pflicht zur Vermeidung von Staatenlosigkeit ab, zumal es in der Praxis – vom Fall der Staatensukzession abgesehen – schwierig sein dürfte festzulegen, gegen wen sich ein solcher Anspruch auf Staatsangehörigkeit richten soll.
Die gleichzeitige Anwendung des Ius sanguinis- und des Ius soli-Prinzips kann zu Staaten- 113 losigkeit oder Mehrstaatigkeit führen. Mehrstaatigkeit kommt u a in Betracht, wenn ein Kind von Eltern abstammt, deren Heimatstaat dem Ius sanguinis-Prinzip folgt, der Geburtsort des Kindes aber im Staatsgebiet eines Ius soli-Landes liegt. Im umgekehrten Fall kann Staatenlosig¬keit die Folge sein. Mehrstaatigkeit wird im Allgemeinen als unerwünscht angesehen, da sie zu einer Kollision von Rechten und Pflichten (Wehrpflicht, diplomatischer Schutz) führen kann. Regelungen dieser Fragen finden sich in der Haager Konvention v 12.4.1930 und dem Protokoll über den Militärdienst, aber auch im
– von der BR Deutschland am 20.12.2001 ge- kündigten – Übereinkommen über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehr¬pflicht von Mehrstaatern des Europarates v 6.5.1963, das durch ein Zweites Zusatzprotokoll, das bislang nur Frankreich, Italien und die Niederlande ratifiziert haben, ergänzt wurde. Ziel dieser Bestimmungen ist es, den im Inland geborenen Ausländern den Erwerb der Staatsange¬hörigkeit des Aufenthaltsstaats unter bestimmten Voraussetzungen zu ermöglichen. Das EuStAngÜbk sieht mehrfache Staatsangehörigkeit in den Fällen vor, dass Kinder verschiedene Staatsangehörigkeiten von Geburt an erwerben, weil jeder Elternteil eine andere Staatsangehö¬rigkeit besitzt. Darüber hinaus soll ein Ehegatte, der automatisch die Staatsangehörigkeit eines anderen Ehegatten mit der Ehe erwirbt, seine frühere Staatsangehörigkeit beibehalten dürfen. Im Übrigen wird den Vertragsstaaten weitgehend freigestellt, ob sie am Grundsatz der Vermei¬dung der Mehrstaatigkeit in den Fällen des Erwerbs einer ausländischen Staatsangehörigkeit
oder im Falle des Erwerbs der eigenen Staatsangehörigkeit festhalten wollen. Ungeachtet des Prinzips der Vermeidung doppelter Staatsangehörigkeit, das sich in der Staatsangehörigkeits¬gesetzgebung zahlreicher Staaten findet, nimmt die Tendenz zur Akzeptanz doppelter Staatsan¬gehörigkeit zu. Daraus ergeben sich uU Auslegungsprobleme bei den Fragen der Wehrpflicht, der mehrfachen Wahlrechte und des anwendbaren Rechts in familienrechtlichen Angelegenhei- ten.
114 Probleme entstehen auch durch Staatenlosigkeit, da Staatenlose im Aufenthaltsstaat allen öffentlich-rechtlichen Pflichten unterliegen, aber weder den Staatsangehörigen noch den Aus-ländern gleichgestellt sind. Daher ist sie unerwünscht. Man unterscheidet zwischen der De fac¬to-Staatenlosigkeit, bei welcher der Heimatstaat nicht willens oder nicht in der Lage ist, diplo-matischen Schutz auszuüben, und der De iure-Staatenlosigkeit, die dann vorliegt, wenn der Einzelne keinem Staat als Staatsangehöriger zugerechnet werden kann. Das BVerwG entnimmt Art 16 Abs 1 Satz 2 GG die verfassungsrechtliche Wertentscheidung, den Eintritt von Staatenlo-sigkeit nach Möglichkeit zu verhindern. Diese Wertentscheidung, die sich zugleich in der Rati-fikation des Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit v 30.8.1961 dokumentiert, ist bei Ermessensentscheidungen über die Rücknahme einer Einbürgerung zu berücksichti- gen.
115 Daher ist man bestrebt, durch internationale Verträge Staatenlosigkeit zu vermeiden und die Rechtsstellung Staatenloser zu verbessern. Art 15 Abs 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschen¬rechte wendet sich gegen die willkürliche Entziehung der Staatsangehörigkeit; das Überein¬kommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit v 30.8.1961 sieht vor, dass Personen, die andernfalls
staatenlos wären, die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates entweder durch Geburt oder durch Einbürgerung erwerben. Ein Recht des Kindes auf Staatsangehörigkeit ent¬hält Art 7 Abs 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes v 20.11.1989. Die Rechts¬stellung der Staatenlosen regelt Art 7 Abs 1 des Übereinkommens v 28.9.1954, das diese den Ausländern insbesondere bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und bei privaten und öffent-lichen Rechten gleichstellt. Mit Resolution 3174 (XXIX) v 10.12.1974 hat die UN-Generalversamm¬lung aufgrund Art 11 der Konvention über die Verminderung der Staatenlosigkeit den Hohen Flüchtlingskommissar der UN als die Stelle bestimmt, an welche sich Personen wenden können, die Ansprüche aus der Konvention geltend machen, um einen besseren Schutz Staatenloser zu gewährleisten.
116 Die Staatszugehörigkeit juristischer Personen bestimmt sich ebenfalls nach innerstaatlichem Recht. In angelsächsischen Staaten ist die Gründungstheorie für die Zuordnung juristischer Per¬sonen maßgebend, dh eine juristische Person wird dem Staat zugerechnet, nach dessen Recht sie gegründet wurde. Demgegenüber knüpfen die kontinentaleuropäischen Staaten regelmäßig an den tatsächlichen Sitz (siège social) des Unternehmens an. Auch in Deutschland ist für das Personalstatut dasjenige Recht ausschlaggebend, das am Ort des Sitzes der Gesellschaft gilt, wobei als Sitz derjenige Ort gilt, an dem grundlegende Entscheidungen der Unternehmenslei-
tung über die laufenden Geschäftsführungsakte umgesetzt werden. Eine Koppelung von Sitz- und Gründungstheorie findet sich in Art 54 Abs 1 AEUV. Die Kontrolltheorie, die auf die Staats-angehörigkeit des Leitungspersonals und/oder der Kapitaleigner der Gesellschaft abstellt, findet im Europarecht keine Anwendung. Der IGH äußerte sich zur Kontrolltheorie in der Entscheidung v 5.2.1970 (Barcelona Traction) dahingehend, dass die Kontrolltheorie keine allgemeine Regel des Völkerrechts sei.