a) Die Menschenrechtspakte v 19.12.1966
236 Die Generalversammlung der UNO nahm 1966 den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR) sowie den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwirtR) an. Diese völkerrechtlichen Verträge traten 1976 nach den erforder¬lichen Ratifikationen in Kraft. Deutschland hat beide Pakte ratifiziert.
237 Der IPbürgR enthält in Art 1 das Recht der Völker auf Selbstbestimmung. Grundlegende Rechte und Freiheiten finden sich in Teil III des Paktes. Hier werden u a das Recht auf Leben, die Freiheit von Folter und Sklaverei, das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit und auf ein faires Gerichtsverfahren sowie das Verbot rückwirkender Gesetze und Strafen genannt. Ferner werden das Recht auf Heirat und Familie, die Rechte des Kindes und das Recht auf Beteiligung an der Staatswillensbildung garantiert, nicht hingegen das Recht auf Eigentum. Erweitert wurde der Schutz des IPbürgR durch das Zweite Fakultativprotokoll zur Abschaffung der Todesstrafe v 15.12.1989, für Deutschland seit 1992 in Kraft. Die genannten Rechte können, sofern nicht notstandsfest, unter den Voraussetzungen des Art 4 Abs2 suspendiert werden.
238 Der IPwirtR enthält keine unmittelbar anwendbaren Rechtspflichten, sondern knüpft bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten an die Verfügbarkeit der Ressourcen an. Deutlich wird dies in Art 2 Abs 1, wo sich die Vertragsstaaten verpflichten, einzeln und durch internationale
Hilfe und Zusammenarbeit, Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu errei- chen.
239 Der Durchsetzung der Rechte dient zum einen ein periodisches, obligatorisches Berichtssys¬tem (Artikel 40 Abs 1 IPbürgR und Art 16 Abs 1 IPwirtR). Geprüft werden die Berichte des IPwirtR
durch einen aus achtzehn unabhängigen Experten bestehenden Ausschuss für wirtschaftliche und kulturelle Rechte, der als Hilfsorgan des Wirtschafts- und Sozialrats nach Art 68 UN-Charta durch den Sicherheitsrat 1985 errichtet wurde. Berichte auf Grund des IPbürgR werden vom UN-Menschenrechtsausschuss geprüft. Er besteht ebenfalls aus achtzehn unabhängigen Mitgliedern und gibt nach Beendigung der Prüfung general comments zu einzelnen Bestimmungen ab, um eine einheitliche Anwendung des Paktes sicherzustellen.
Daneben sieht Art 41 IPbürgR eine Staatenbeschwerde für diejenigen Staaten vor, die erklärt 240 haben, dass sie die Zuständigkeit des Menschenrechtsausschusses zur Entgegennahme und Prü¬fung von Mitteilungen anerkennen, mit denen ein Vertragsstaat geltend macht, ein anderer Ver-tragsstaat komme seinen Verpflichtungen aus dem Pakt nicht nach. Nach einer nichtöffentli¬chen Beratung erstellt der Menschenrechtsausschuss innerhalb einer Frist von zwölf Monaten einen Bericht, der den Beteiligten übermittelt wird. Der Bericht enthält eine Darstellung des Sachverhalts, eine schriftliche Stellungnahme sowie ein Protokoll über die mündlichen Stel¬lungnahmen der beteiligten Vertragsparteien. Ob eine Vertragsverletzung vorliegt, wird nicht entschieden. Deutschland erkannte die Staatenbeschwerde am 22.10.1997 für einen weiteren Zeitraum von fünf Jahren an.
Eine Individualbeschwerde enthält das Fakultativprotokoll zum IPbürgR v 19.12.1966, das 241 gesonderter Unterzeichnung und Ratifikation bedarf. Das Protokoll gibt Einzelpersonen das Recht, bzgl Verletzungen ihrer Rechte aus dem IPbürgR eine Mitteilung an einen Ausschuss zur Prüfung einzureichen (vgl Art 2). Wie bei der Staatenbeschwerde berät auch hier der Menschen-rechtsausschuss in einer nichtöffentlichen Sitzung ohne Zuziehung einer Partei. Das Ergebnis wird dem betroffenen Vertragsstaat und dem Einzelnen mitgeteilt.
a) Spezielle Konventionen zum Schutz der Menschenrechte
Spezielle Konventionen auf universeller Ebene betreffen insbesondere das Verbot von Folter, 242 Sklaverei und Zwangsarbeit, die Verhütung und Bestrafung von Völkermord, den Frauen- und Kinderhandel, das Verbot von Rassendiskriminierung und Apartheid sowie die Diskriminierung von Frauen.
Die UN-Konvention gegen Folter und andere grausame und unmenschliche oder erniedri- 243 gende Behandlung oder Strafe v 10.12.1984 ist 1987 in Kraft getreten. Art 1 Abs 1 enthält die Definition des Begriffs „Folter". Art 2 verpflichtet die Vertragsstaaten, wirksame Maßnahmen zu treffen, um Folterungen in allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Gebieten zu verhindern. Außergewöhnliche Umstände wie Krieg, Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein öf-fentlicher Notstand können nicht als Rechtfertigungsgründe geltend gemacht werden. Darüber hinaus verpflichten sich die Vertragsstaaten,
mutmaßliche Folterer strafrechtlich zu verfolgen. Die Konvention enthält ferner das Verbot der Abschiebung bei drohender Folter und Bestim¬mungen über zwischenstaatliche Rechtshilfe und Auslieferung.
Der Durchsetzung dient eine allgemeine Berichtspflicht, ein vertrauliches Prüfungsverfah- 244 ren, eine fakultative Staatenbeschwerde sowie eine fakultative Individualbeschwerde, die von
einem aus zehn unabhängigen Experten bestehenden Ausschuss geprüft werden. Eine Konven¬tionsverletzung kann der Ausschuss nicht feststellen. Seine Kompetenz ist darauf beschränkt, dem betreffenden Staat seine Auffassung mitzuteilen. Geplant ist die Einführung eines präventi¬ven Besuchssystems.
245 Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes v 20.11.1989, 1990 in Kraft getreten, gilt für Deutschland seit 1992. Anzuwenden ist es auf jeden Menschen, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt. Das Übereinkommen verpflichtet die Vertragsstaaten u a, die Konventions¬rechte diskriminierungsfrei zu gewährleisten. Den Interessen des Kindes und dem Kindeswohl ist bei allem staatlichen Handeln Vorrang einzuräumen. Rechte und Pflichten von Eltern und anderen Personen mit rechtlicher Verantwortung für das Kind sind zu respektieren. Ferner wur¬den spezifische Rechte wie das Recht auf Leben, auf Namen oder auf Staatsangehörigkeit, auf Schutz vor körperlicher und geistiger Schädigung, vor sexuellem Missbrauch und vor Ausbeu¬tung in die Konvention aufgenommen.
246 Deutschland gab bei der Ratifizierung Erklärungen zur Auslegung mehrerer Konventions-bestimmungen ab und bekräftigte u a die Auffassung, dass die Konvention völkerrechtliche Pflichten zur Rechtsanpassung begründe, aber Bestimmungen wie die zur elterlichen Sorge in-nerstaatlich nicht unmittelbar anwendbar seien. Außerdem dürfe keine Bestimmung der Kon-vention so ausgelegt werden, dass sie die illegale Einreise oder den illegalen Aufenthalt eines Ausländers gestatte. Im Jahre 2010 wurde die Vorbehaltserklärung zu Art 3 der UN-Kinder-rechtskonvention von der Bundesregierung zurückgenommen, sodass nun auch im Flüchtlings- und Asylrecht – etwa bei der Verhängung von Abschiebehaft – das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen ist.
247 Der Durchsetzung dient ein Berichtsverfahren (Art 44). Zuständig für die Prüfung der Fort-schritte, die die Vertragsstaaten bei der Erfüllung der im Übereinkommen eingegangenen Ver-pflichtungen gemacht haben, ist ein aus zehn Sachverständigen bestehender Ausschuss für die Rechte des Kindes.
1. Der Menschenrechtsschutz auf regionaler Ebene
a) Der Europarat
248 Die Satzung des Europarates wurde am 5.5.1949 von zehn westeuropäischen Staaten unterzeich¬net.
Deutschland wurde am 13.7.1950 assoziiertes Mitglied und am 2.5.1951 Vollmitglied. Zwi-schenzeitlich sind auch die Staaten Mittel- und Osteuropas dem Europarat beigetreten.
249 Der Europarat hat die Aufgabe, zwischen seinen Mitgliedern zum Schutz und zur Förderung der idealen Grundsätze eine engere Verbindung herzustellen und ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fördern. Fragen der nationalen Verteidigung sind ausgenommen. Das wirksamste Instrument im Rahmen des Europarates ist die Ausarbeitung völkerrechtlicher Ver-träge, die für die Mitglieder der I. O. und bei manchen Verträgen auch für Nicht-Mitglieder zur Unterzeichnung ausgelegt werden.
Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
Das zentrale völkerrechtliche Übereinkommen im Rahmen des Europarates, welches dem Ein-zelnen durch die Verbürgung von Menschenrechten und die Einrichtung entsprechender Durch-setzungsmöglichkeiten Rechte gewährleistet, ist die Konvention zum Schutze der Menschen-rechte und Grundfreiheiten (EMRK) mit ihren Zusatzprotokollen. Die EMRK wurde am 4.11.1950 in Rom unterzeichnet und trat am 3.9.1953 in Kraft. Deutschland ratifizierte sie am 5.12.1952. Die EMRK war die erste regionale und rechtsverbindliche Menschenrechtskodifikation. Die Be¬achtung der Rechte des Einzelnen aus dem EMRK-Vertragswerk wird durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg gewährleistet, an den sich betroffe¬ne Einzelne oder auch Staaten wenden können (s u Rn 261 ff).
Die EMRK hat in den Mitgliedstaaten einen spezifischen rechtlichen Rang. Für Deutsch¬land ist sie durch das Zustimmungsgesetz als einfaches Gesetz in das nationale Recht überführt worden. Bei möglicherweise entgegenstehenden nationalen Bestimmungen, die später als das Zustimmungsgesetz erlassen wurden, sind diese Bestimmungen EMRK-konform auszulegen, da davon auszugehen ist, dass sich der deutsche Gesetzgeber in Übereinstimmung mit dem Völker¬recht verhalten will.
Die EMRK hat darüber hinaus Ausstrahlungswirkung auf das EU-Recht. Zum einen ver-weist Art 6 Abs 2 EUV auf die Grundrechte der EMRK, zum anderen achtet der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in seiner Rechtsprechung gemeinschafts-europäische Grundrechte, die er u a aus den Rechten der EMRK zieht. Darüber hinaus lässt die Grundrech¬te-Charta der Europäischen Union, die durch den Vertrag von Lissabon unmittelbar verbind¬lich geworden ist, einen starken Bezug zu den Rechten der EMRK erkennen. Der Gerichtsbar¬keit des
EGMR unterliegen allerdings nur Handlungen der Mitgliedstaaten, nicht dagegen Handlungen der EU-Organe. Jedoch sind die Mitgliedstaaten auch beim Vollzug des Unions-
rechts an die EMRK gebunden. Dies gilt auch dann, wenn das Verhalten eines Mitgliedstaa¬tes der Erfüllung internationaler Verpflichtungen aus einer UN-Sicherheitsratsresolution dient. In diesem Fall gilt jedoch eine Vermutung, dass ein Konventionsstaat bei der Erfüllung seiner internationalen Verpflichtungen die EMRK nicht verletzt hat, wenn das jeweilige, internatio¬nale System einen der EMRK vergleichbaren, nicht identischen Grundrechtsschutz sicher- stellt.
252a Die Hoheitsgewalt der Mitgliedstaaten iSv Art 1 EMRK wird vom EGMR grundsätzlich als ter-ritorial, auf das Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten begrenzt, verstanden. Eine Beschwerde, die sich zB gegen die Durchführung von Luftangriffen von Vertragsstaaten im Jugoslawien-Krieg richtet, ist daher unzulässig. Nur ausnahmsweise kann eine extraterritoriale Handlung eines Ver¬tragsstaats die Zuständigkeit des EGMR begründen, wenn bspw die Kontrolle über ein außerhalb seiner Grenzen gelegenes Gebiet durch militärische Besetzung oder kraft Zustimmung, Aufforde¬rung oder Einwilligung der Regierung des Gebiets ausübt wird. Nach Auffassung des Gerichts¬hofs hat die Luftherrschaft der NATO über Jugoslawien eine derartige Hoheitsgewalt nicht be- gründet.
Von einer tatsächlichen Kontrolle über ein Gebiet außerhalb des eigenen Staatsgebiets ging der EGMR indessen bei der Besetzung des Iraks durch Streitkräfte des Vereinigten Königreichs aus. In den Fällen Al-Skeini u a v Vereinigtes Königreich und Al-Jedda v Vereinigtes Königreich entschied der Gerichtshof, dass die EMRK auch auf die Tötung von Zivilpersonen im Irak bzw die Internie¬rung von irakischen Staatsangehörigen aufgrund der dort im fraglichen Zeitraum vom Vereinigten Königreich ausgeübten Gebietskontrolle anwendbar sei. Soweit sich das Vereingte Königreich im Al-Jedda-Fall darauf berief, die tatsächliche Kontrolle über den Irak habe nach einem Beschluss des UN-Sicherheitsrats im fraglichen Zeitraum bei der UNO gelegen, wurde dieses Vorbringen vom
EGMR unter Hinweis auf die fehlende Effektivität der Kontrolle durch den Sicherheitsrat zurück¬gewiesen. Angesichts dieser Entscheidungen wurden Überlegungen angestellt, ob damit der mit dem Banković-Urteil verbundene Grundsatz territorialer Begrenzung vertragsstaatlicher Hoheits¬gewalt eingeschränkt wurde. Zudem wurde kritisiert, dass der EGMR menschenrechtliche Ge¬währleistungen mit territorialen Gegebenheiten verknüpfe. Indes hatte der EGMR eine extrater¬ritoriale Anwendung der EMRK auch schon früher nicht ausgeschlossen, diese aber von unterschiedlichen Formen hoheitlicher Kontrolle abhängig gemacht. Im Grundsatz ist deshalb auch nach der jüngeren Rspr des EGMR davon auszugehen, dass die Vertragsstaaten der EMRK ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen bei der Ausübung effektiver Staatsgewalt nicht ab¬streifen können. Unabhängig davon, ob es zu hoheitlichen Handlungen auf ihrem Botschaftsge- lände, zur Ergreifung von Personen durch eigene Hoheitsträger im Ausland, zur Besetzung
fremden Staatsgebiets oder zur Kontrolle internationaler Gewässer durch eigene Hoheitsträ- ger kommt ‒ die Gewährleistungen der EMRK bleiben anwendbar. Allerdings darf die Aus¬übung hoheitlicher Gewalt in diesen Fällen nicht bloß punktueller, temporärer oder akzidentiel- ler Natur sein.
Soweit der EGMR in der Al-Skeini-Entscheidung schließlich andeutete, dass der Umfang men-schenrechtlicher Gewährleistungen abhängig von Umfang und Effektivität der jeweiligen ho-heitlichen Kontrolle auch abgestuft gewährleistet werden könne, ist darin ein sehr problema-tischer Ansatz zu sehen. Denn mit einer solchen Anwendung der EMRK ginge eine Relativierung der bisherigen Standards einher, die der EGMR im Banković-Urteil noch absichtsvoll ausge¬schlossen hatte. Aber auch wenn sich der EGMR in der Al-Skeini-Entscheidung an den tatsächli¬chen Gegebenheiten orientierte und infolgedessen eine abgestufte Anwendung der EMRK im Grundsatz ermöglichte, blieben die an das Verhalten des Vereinigte Königreichs gestellten An¬forderungen im Hinblick auf die Gewährleistung von Art 2 EMRK ungemindert. Im Ergebnis schloss der Gerichtshof eine Abstufung der menschenrechtlichen Anforderung damit zwar nicht grundsätzlich aus, machte davon jedoch im Hinblick auf die Besatzungsherrschaft des Vereinig¬ten Königreichs keinen Gebrauch. Langfristig erscheint es zur Sicherstellung einheitlicher Schutzstandards allerdings nicht sinnvoll, bei formaler Anwendung der EMRK nur einen abge¬stuften und damit geringeren Menschenrechtsschutz zu gewährleisten. Vorzugswürdig er¬scheint es, in diesen Konstellationen die Anforderungen an das Vorliegen der effektiven Perso¬nen- oder Gebietskontrolle eines Vertragssstaats zu lockern.
Die EMRK enthält einen Katalog bürgerlicher und politischer Rechte, der durch verschiede- 253 ne Zusatzprotokolle erweitert und ergänzt wurde. Der EGMR hat diesen Rechten und deren Beschränkungsmöglichkeiten in dynamischer Auslegung feste Konturen gegeben.
In Abschnitt I der EMRK finden sich grundlegende Rechte und Freiheiten wie das Recht auf 254 Leben oder das Verbot der Folter (s u Rn 328 zur Anwendung bei der Auslieferung). Die gesetz-lich geregelte und von einem Gericht ausgesprochene Todesstrafe wird vom Anwendungsbe¬reich ausgeschlossen. Diese Lücke wurde durch das 6. Zusatzprotokoll geschlossen.
Das notstandsfeste Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe 255 oder Behandlung in Art 3 EMRK wird durch die Europäische Konvention zur Verhütung der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe v 26.11.1987 ergänzt. Im Gegensatz zur einschlägigen UN-Konvention v 10.12.1984 sieht sie zur Durchsetzung ein präventives Besuchssystem vor. Ein unabhängiger Ausschuss prüft, inwieweit die Insassen von
Gefängnissen und anderen Anstalten der Mitgliedstaaten vor unmenschlicher Behandlung si-cher sind. Das am 4.11.1993 zur Unterzeichnung ausgelegte Protokoll sieht vor, dass nicht mehr nur Mitgliedstaaten des Europarates, sondern auch andere Staaten zur Ratifikation einge¬laden werden können.
256 Die Art 4 und 5 EMRK enthalten das Verbot der Zwangsarbeit und Sklaverei sowie das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Der Schutz der Freizügigkeit findet sich in Art 2 des 4. Zusatzpro- tokolls.
257 Am häufigsten wird die Verletzung des in Art 6 EMRK genannten Rechts auf ein faires Ge-richtsverfahren gerügt. Art 6 garantiert dem Einzelnen als institutionelle Garantie eine ganze Reihe von Verfahrensrechten, so etwa eine Entscheidung durch ein auf einem Gesetz beru-hendes, unabhängiges und unbefangenes Gericht und den Zugang zum Gericht. Das Verfahren soll öffentlich und innerhalb angemessener Frist durchgeführt werden. Eine Regierung kann sich bei einer zu langen Verfahrensdauer nicht darauf berufen, dass sie nicht in der Lage gewesen sei, Einfluss auf unabhängige Gerichte zu nehmen, da ihr die Möglichkeit offen steht, u a durch die Einstellung von zusätzlichem Personal Abhilfe zu schaffen. Art 7 EMRK enthält das Verbot der Bestrafung ohne ein die Strafbarkeit bestimmendes Gesetz: nulla poena sine lege.
258 Die Art 8 bis 12 EMRK enthalten weiter spezielle Freiheitsgrundrechte. Erfasst werden das Gebot der Achtung der privaten Sphäre, das Recht auf Achtung des Familienlebens, die Ge¬danken-,
Gewissens- und Religionsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Das Recht der Eltern, ihre Kinder entsprechend ihrer religiösen und weltanschaulichen Überzeugung zu erziehen, findet sich in Art 2 des 1. Zusatz- protokolls. Das Eigentumsrecht ist mit Art 1 des 1. Zusatzprotokolls garantiert.
259 Der auf Art 2 Abs 1 AEMR zurückgehende Art 14 EMRK enthält ein Diskriminierungsverbot. Aufgrund seines Wortlauts war zunächst davon ausgegangen worden, dass eine Verletzung von Art 14 nur iVm anderen materiellen Konventionsrechten in Frage kommt. Der EGMR bestätigte, dass Art 14 keine selbständige, von den übrigen normativen Vorschriften der EMRK losgelöste Bedeutung habe, doch mache dies seine Anwendung nicht von der Verletzung einer entspre¬chenden Konventionsgarantie abhängig. Eine Maßnahme, die für sich betrachtet den Erforder¬nissen einer bestimmten Konventionsnorm entspreche, könne dennoch gegen dieses Konven¬tionsrecht iVm Art 14 verstoßen, weil sie im Ganzen gesehen diskriminierend sei. Art 14 sei in der Praxis gleichsam als integraler Bestandteil aller anderen Konventionsrechte und Freiheiten
zu verstehen. Ein allgemeines Diskriminierungsverbot hinsichtlich jedes Rechts set forth by law ist nunmehr im 12. Zusatzprotokoll enthalten.
Das Recht auf Staatsangehörigkeit ist in der EMRK nicht enthalten. Der EGMR ist jedoch 260 der Ansicht, dass ein willkürliches Vorenthalten der Staatsangehörigkeit wegen der Auswirkun¬gen auf das Privatleben des Einzelnen unter bestimmten Umständen eine Frage unter Art 8 EMRK aufwerfen kann, wobei sich hier allerdings die Frage nach der Reichweite einer solchen Überprüfungsbefugnis stellt.
Die Durchsetzung der EMRK-Rechte wird aufgrund des 11. Zusatzprotokolls dem EGMR 261 übertragen. Dieser löste die Zweiteilung der Organe in Kommission und Gerichtshof ab. Die
Ausführung der Urteile wird weiterhin vom Ministerkomitee überwacht. Eine Reform war vor allem deswegen notwendig geworden, weil sich die Zahl der Vertragsstaaten seit dem Inkrafttre¬ten der Konvention verdreifacht hatte. Zudem sind weitere mittel- und osteuropäische Staaten dem Europarat beigetreten und nunmehr Vertragsstaat der EMRK.
Die Verfahrensarten sind auch nach der Schaffung eines einheitlichen EGMR beibehalten 262 worden. So kann nach Art 34 EMRK jede natürliche Person, nichtstaatliche Organisation oder Personengruppe eine Individualbeschwerde mit der Behauptung erheben, durch eine Ver-tragspartei in einem ihrer in der EMRK oder in den Zusatzprotokollen anerkannten Rechte ver¬letzt zu sein. Eine besondere Unterwerfungserklärung des Vertragsstaats ist nicht erforderlich. Zur Zulässigkeit einer Individualbeschwerde ist insbesondere gemäß Art 35 EMRK notwendig, dass alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind. Staatenbeschwerden sind nach Art 33 EMRK möglich.
Der EGMR entscheidet entweder als Ausschuss mit drei Richtern, als Kammer mit sieben 263 Richtern oder als Große Kammer mit siebzehn Richtern. Die Filterfunktion, die früher von der Kommission übernommen wurde, obliegt jetzt den Ausschüssen, die Individualbeschwerden für unzulässig erklären oder im Register streichen können.
Einstweilige Anordnungen können nach Regel 39 der Verfahrensordnung des EGMR erlas- 264 sen werden. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt insbesondere bei der drohenden Verletzung von Art 3 EMRK in Betracht.
265 Für den Fall, dass die bei einer Kammer anhängige Rechtssache schwerwiegende, die Aus¬legung der Konvention oder der Zusatzprotokolle berührende Fragen aufwirft oder die Kam-merentscheidung möglicherweise zu einer Abweichung von früherer Rechtsprechung führt, kann die Rechtssache jederzeit von der Kammer an die Große Kammer verwiesen werden, so-fern nicht eine der Vertragsparteien widerspricht. Eine zweite Instanz gibt es nicht. In Aus-nahmefällen ist es einer Partei möglich, innerhalb von drei Monaten nach Bekanntgabe des Urteils der Kammer die Verweisung der Sache nach Art 43 EMRK an die Große Kammer zu be¬antragen. Dies setzt aber voraus, dass der Fall eine schwerwiegende, die Auslegung oder An-wendung der Konvention oder der Protokolle berührende Frage oder aber eine Frage von all-gemeiner Bedeutung aufwirft. Nach Annahme der Sache entscheidet die Große Kammer. Bei dieser Kontrolle handelt es sich jedoch nicht um ein echtes Rechtsmittel, da die Richter der großen Kammer teilweise identisch sind mit denen, die in der zuvor entscheidenden Kammer sind.
266 Artikel 46 Abs 1 EMRK verpflichtet die Vertragsparteien, im Falle einer Beteiligung am Rechtsstreit das endgültige Urteil des Gerichtshofs anzuerkennen. Dieser ist befugt, im Verlet-zungsfall einen Entschädigungsanspruch zuzusprechen. Die Durchführung der Entscheidung überwacht das Ministerkomitee, Art 46 Abs 2 EMRK. Nach Art 47 bis 49 EMRK kann der Ge¬richtshof Gutachten erstellen. Das BVerfG hat im Görgülü-Beschluss aus Art 41 EMRK die Ver¬pflichtung der Vertragspartei, gegen die ein bindendes Urteil ergangen ist, abgeleitet, in Bezug auf den Streitgegenstand den ohne die festgestellte Konventionsverletzung bestehenden Zu¬stand nach Möglichkeit wiederherzustellen. Jedoch könne aus der völkerrechtlichen Verpflich¬tung zur Beachtung eines Urteils des EGMR keine absolute Bindungswirkung der Gerichte und Behörden ohne Rücksicht auf die rechtsstaatliche Kompetenzordnung und die Bindung an Ge¬setz und Recht abgeleitet werden. Zwar gehöre zur Bindung an Gesetz und Recht auch die Be¬rücksichtigung der EMRK-Gewährleistungen und der bindenden Entscheidungen des EGMR im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung. Daraus könne jedoch keine schematische Vollstreckung einer Entscheidung des EGMR abgeleitet werden. Vielmehr seien insoweit auch verfassungsrechtliche Aspekte abzuwägen. Das Gericht hat sich daher mit dem vom EGMR ge¬fällten Urteil in einem Abwägungsprozess auseinanderzusetzen, wenn die Umsetzung des Ur-teils verfassungsrechtliche Fragen aufwirft. Die Abwägung kann auch dazu führen, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen der Entscheidung des EGMR nicht Folge geleistet werden kann. Das BVerfG hält insbesondere bei „mehrpoligen" Grundrechtsverhältnissen eine Grundrechts¬beeinträchtigung für möglich. So hatte der EGMR im zu Grunde liegenden Fall die Vorenthaltung eines Umgangsrechts für den Vater eines Kindes als Verletzung des Art 8 EMRK qualifiziert, ohne auch nur die Mutter im Verfahren anzuhören. Ungeachtet dessen muss das nationale Gericht bei der Berücksichtigung nationalen Verfassungsrechts auch der völkerrechtlichen Ver¬pflichtung, die Entscheidung des EGMR zu beachten, Rechnung tragen. Die Entscheidung des OLG, das sich bei der Versagung des Umgangsrechts nicht an das Urteil des EGMR für gebunden hielt, wurde daher aufgehoben, da das Gericht seine Pflicht verletzt habe, sich mit der Entschei¬dung des EGMR und dem auf Grund des Art 8 EMRK zugestandenen Umgangsrechts hinreichend auseinanderzusetzen. Die Entscheidung hat zu einer kontroversen Diskussion über die bindende Wirkung von EGMR-Entscheidungen geführt.
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