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a) Die Europäische Sozialcharta

Die EMRK wird durch die am 18.10.1961 unterzeichnete Europäische Sozialcharta (ESC)495 er¬gänzt, die 1965 in Kraft trat.496 Das Zusatzprotokoll zur ESC v 5.5.1988497 garantiert vier weitere wirtschaftliche und soziale Rechte. Ein weiteres Protokoll v 21.10.1991498 dient der Verbesserung der Kontrollmechanismen. Nach dem Zusatzprotokoll v 1995499 können auch internationale Ar¬beitnehmerorganisationen und Gewerkschaften wie auch andere internationale Nicht¬Regierungsorganisationen und auch repräsentative nationale Organisationen von Arbeitgebern und Gewerkschaften eine Beschwerde erheben. Die revidierte ESC500 v 3.5.1996 ist am 1.7.1999 in Kraft getreten.501 Sie enthält nicht nur die bisherigen Rechte der ESC und des genannten Zusatz¬protokolls, sondern nimmt darüber hinaus auch neue Rechte wie das Recht auf Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung, das Recht auf Unterbringung, auf Schutz bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ferner das Recht auf Schutz gegenüber sexueller und anderer Formen der Belästigung am Arbeitsplatz, das Recht auf gleiche Möglichkeiten und Gleichbehandlung von Arbeitnehmern mit Verantwortung für die Familie wie auch Rechte von Arbeitnehmervertretern in Unternehmen auf. Daneben wurden Veränderungen im Bereich bestehender Rechte wie eine Verstärkung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, der Gleichstellung der Geschlechter, ein besserer Mutterschutz sowie Verbesserungen für beschäftigte Kinder und Behinderte aufge¬nommen.
In Teil I der ESC v 1961, auf die auch in Art 151 Abs 1 AEUV Bezug genommen wird,502 bekun¬den die Vertragsparteien ihren Willen, mit allen zweckdienlichen Mitteln staatlicher und zwi¬schenstaatlicher Art geeignete Voraussetzungen zu schaffen, um die tatsächliche Ausübung der in Teil II ausformulierten neunzehn Rechte und Ziele zu gewährleisten. Nicht alle der genannten Rechte sind verbindlich. Dies gilt nur für die sieben grundlegenden Art 1, 5, 6, 12, 13, 16 und 19. Daneben muss jeder Vertragsstaat nach Art 20 Abs 1 lit c so viele weitere Artikel oder Absätze als für sich verbindlich anerkennen, dass eine Gesamtzahl von zehn Artikeln oder 45 Absätzen er¬reicht ist. Deutschland erkannte die Art 2, 3, 4 (ohne Abs 4), 7 (ohne Abs 1), 8 (ohne Abs 2 und 4), 10 (ohne Abs 4), 11, 14, 15, 17 und 18 an.503 Ein ähnliches Verfahren sieht das Zusatzprotokoll
v 1988 vor, das vier weitere Rechte wie das Recht auf Information und Anhörung im Betrieb und Rechte älterer Menschen enthält.
269 Zur Kontrolle sieht die Sozialcharta ein Berichtsverfahren vor. Art 21 ESC bestimmt, dass die Vertragsparteien alle zwei Jahre einen Bericht über die Anwendung der in Teil II der Char¬ta angenommenen Bestimmungen erstellen. In bestimmten Zeitabständen sind Berichte zu den in Teil II nicht angenommenen Bestimmungen vorzulegen. Beide Berichte werden den nationa¬len Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen zugeleitet, die hierzu Stellung nehmen kön¬nen. Berichte und Stellungnahmen werden einem Sachverständigenausschuss zugeleitet, an dessen Sitzungen auch ein Vertreter der ILO mit beratender Stimme teilnimmt. Anschließend werden die Beratungsergebnisse zusammen mit den Berichten der Vertragsparteien dem Un¬terausschuss des Regierungssozialausschusses des Europarates vorgelegt. Dieser erstellt wie¬derum einen Bericht und legt diesen zusammen mit dem des Sachverständigenausschusses dem Ministerkomitee vor. Die Ergebnisse des Sachverständigenausschusses werden an die Beratende Versammlung übermittelt, die dem Ministerkomitee ihre Stellungnahme mitteilt. In einem letzten Schritt kann sich das Ministerkomitee mit Zweidrittelmehrheit entschließen, notwendige Empfehlungen an eine Vertragspartei zu richten. Einen weiteren Kontrollmecha¬nismus sieht das Zusatzprotokoll zur ESC über das kollektive Beschwerdeverfahren vor. Nach dessen Art 1 können internationale Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen Beschwerde wegen unzureichender Anwendung der ESC erheben. Mit der Beschwerde befasst sich zunächst ein Ausschuss unabhängiger Sachverständiger (Art 5 ff). Aufgrund seines Berichts entscheidet das Ministerkomitee, indem es eine Empfehlung an den betroffenen Vertragsstaat ausspricht (Art 8 ff).
a) Die Menschenrechte im Rahmen der KSZE/OSZE
270 Auch die Konferenz bzw Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE bzw OSZE) hat sich des Schutzes der Menschenrechte angenommen. Bereits in der Schlussakte von Helsinki v 1.8.1975 wurde die Achtung der Menschenrechte als selbständiger Grundsatz veran¬kert, und Korb III enthielt Vereinbarungen über den Bereich „Menschliche Kontakte". In das Abschlussdokument des Wiener KSZE-Folgetreffens wurden etwa der Grundsatz der Gleich¬berechtigung von Mann und Frau, der Ausbau der Religionsfreiheit und der Minderheiten¬schutz aufgenommen sowie die Frage der Flüchtlinge, der Todesstrafe und der Folter ange¬sprochen.
271 Besondere Beachtung fanden die Grundsätze von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die Menschenrechte und Grundfreiheiten in dem am 29.6.1990 in Kopenhagen angenommenen Dokument. In Teil I finden sich Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie wie auch der Grundsatz der freien Wahlen, die Trennung von Staat und Partei, oder das Legalitätsprinzip. Daneben wurden justizielle Grundsätze wie die richterliche Unabhängigkeit, der wirksame Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Verwaltung und die Garantie eines fairen Verfahrens genannt. In Teil II fanden
Menschenrechte wie die Meinungsfreiheit, die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit einschließlich des Streikrechts, die Gedanken-, Gewissens- und Religions¬freiheit und das Recht auf Freizügigkeit Eingang. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sind nicht erwähnt. Dieses Bekenntnis zu den Menschenrechten bekräftigt die Charta von Pa- ris.
Daneben wurden insbesondere im Dokument über die weitere Entwicklung der OSZE- 272 Institutionen und -Strukturen v 30.1.1992 in Prag Maßnahmen beschlossen, um die bislang schwach ausgebildeten Kontrollmechanismen zu stärken. Neben einer Erweiterung der Zusam-menarbeit zwischen den Teilnehmerstaaten im Bereich der menschlichen Dimension wurden insbesondere dem Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte zusätzliche Funk-tionen übertragen. In Fällen von eindeutigen groben Verletzungen der OSZE-Verpflichtungen ist es dem Ausschuss Hoher Beamter bzw dem Rat möglich, Maßnahmen notfalls auch ohne Zu-stimmung des betroffenen Staates zu treffen. Im Budapester Dokument wird festgestellt, dass trotz „beträchtlicher Fortschritte" eine „ernste Verschlechterung" in bestimmten Gebieten einge-treten sei.