I. Die Rechtsträger im Völkerrecht, ihre Organe und die Regeln des zwischenstaatlichen Verkehrs
1. Rechtsträger und Handelnde im Völkerrecht
Der in anderen Rechtsordnungen für das Völkerrecht geltende Begriff droit international public 1 oder public international law erscheint im Hinblick auf die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte sachgerechter, da sich das Völkerrecht tatsächlich nicht ausschließlich mit Völkern oder Staaten beschäftigt. Zunehmend rücken andere Wirkungseinheiten wie transnationale Wirtschaftsunternehmen, I. O., nationale Befreiungsbewegungen und Individuen in den Blickpunkt völkerrechtlicher Fragestellungen. Allerdings reichen internationale Tätigkeiten allein idR nicht aus, um den Status eines Völkerrechtssubjekts zu erreichen.
Völkerrechtssubjekt ist grundsätzlich nur, wer Träger völkerrechtlicher Rechte und/oder 2 Pflichten ist, und wessen Verhalten unmittelbar durch das Völkerrecht geregelt wird.[1] Art und Umfang der Völkerrechtssubjektivität richten sich nach der Natur des einzelnen Rechtsträgers und seiner Stellung in der Völkerrechtsordnung. So bestimmt sich der Umfang völkerrechtlicher Rechte und Pflichten der I. O. nach der Aufgabenstellung und ihren Funktionen nach Maßgabe der Gründungsverträge.
Kennzeichnend für Völkerrechtssubjektivität sind die Aufnahme diplomatischer Beziehun- 3 gen, der Abschluss völkerrechtlicher Verträge und die Möglichkeit, eigene Interessen durch Beschwerde oder Klage bei einem internationalen Ausschuss oder Gerichtshof durchzusetzen.[2]
a) Entwicklung
Bis zum Beginn des 20. Jhs wurde Völkerrecht im Wesentlichen als zwischenstaatliches Recht 4 verstanden, obgleich bereits damals in geringem Umfang nichtstaatliche Völkerrechtssubjekte wie der Heilige Stuhl existierten. Mit Gründung des Völkerbundes (1919) und der UNO (1945) mit ihren Spezialorganisationen (ILO, UNESCO, WHO, IMF u a) erlangten die I. O. völkerrechtliche Bedeutung.[1] Dennoch führte dies zunächst nicht dazu, dass ihnen in der internationalen Rechtsprechung Völkerrechtssubjektivität zuerkannt wurde. Noch 1927 stellte der Ständige Internationale Gerichtshof (StIGH) im Lotus-Fall fest, dass das Völkerrecht seiner Natur nach das zwischen Staaten geltende Recht sei.[2]
Im Völkerrecht fasste mit der Zeit dennoch eine funktionale Betrachtungsweise Fuß, welche 5 zunehmend auch I. O., Individuen und Gruppen einbezog. Aus dem Völkerrecht entwickelte sich das Recht der internationalen Beziehungen.[3] Richtungweisend für diese Entwicklung war die allmähliche Übertragung von Aufgaben auf I. O. und die Einschränkung staatlicher Souveränität durch die Menschenrechte. Damit war zugleich die Idee einer internationalen Ordnung geboren, die nicht mehr ausschließlich auf der Leistung der einzelnen Staaten beruhte, sondern ihren Geltungsgrund aus der Wohlfahrt der gesamten Menschheit und den unveräußerlichen Menschenrechten ableitete.[4]
6 Die Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte im Verlauf des 20. Jhs veränderte das überkommene Gefüge des Völkerrechts. Unverändert sind jedoch Staaten die wichtigsten Akteure der Völkerrechtsordnung (vgl u Rn 76 ff), und das Völkerrecht ist weiterhin stark von einem
[HR=3][/HR]Der in anderen Rechtsordnungen für das Völkerrecht geltende Begriff droit international public 1 oder public international law erscheint im Hinblick auf die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte sachgerechter, da sich das Völkerrecht tatsächlich nicht ausschließlich mit Völkern oder Staaten beschäftigt. Zunehmend rücken andere Wirkungseinheiten wie transnationale Wirtschaftsunternehmen, I. O., nationale Befreiungsbewegungen und Individuen in den Blickpunkt völkerrechtlicher Fragestellungen. Allerdings reichen internationale Tätigkeiten allein idR nicht aus, um den Status eines Völkerrechtssubjekts zu erreichen.
Völkerrechtssubjekt ist grundsätzlich nur, wer Träger völkerrechtlicher Rechte und/oder 2 Pflichten ist, und wessen Verhalten unmittelbar durch das Völkerrecht geregelt wird.[1] Art und Umfang der Völkerrechtssubjektivität richten sich nach der Natur des einzelnen Rechtsträgers und seiner Stellung in der Völkerrechtsordnung. So bestimmt sich der Umfang völkerrechtlicher Rechte und Pflichten der I. O. nach der Aufgabenstellung und ihren Funktionen nach Maßgabe der Gründungsverträge.
Kennzeichnend für Völkerrechtssubjektivität sind die Aufnahme diplomatischer Beziehun- 3 gen, der Abschluss völkerrechtlicher Verträge und die Möglichkeit, eigene Interessen durch Beschwerde oder Klage bei einem internationalen Ausschuss oder Gerichtshof durchzusetzen.[2]
a) Entwicklung
Bis zum Beginn des 20. Jhs wurde Völkerrecht im Wesentlichen als zwischenstaatliches Recht 4 verstanden, obgleich bereits damals in geringem Umfang nichtstaatliche Völkerrechtssubjekte wie der Heilige Stuhl existierten. Mit Gründung des Völkerbundes (1919) und der UNO (1945) mit ihren Spezialorganisationen (ILO, UNESCO, WHO, IMF u a) erlangten die I. O. völkerrechtliche Bedeutung.[1] Dennoch führte dies zunächst nicht dazu, dass ihnen in der internationalen Rechtsprechung Völkerrechtssubjektivität zuerkannt wurde. Noch 1927 stellte der Ständige Internationale Gerichtshof (StIGH) im Lotus-Fall fest, dass das Völkerrecht seiner Natur nach das zwischen Staaten geltende Recht sei.[2]
Im Völkerrecht fasste mit der Zeit dennoch eine funktionale Betrachtungsweise Fuß, welche 5 zunehmend auch I. O., Individuen und Gruppen einbezog. Aus dem Völkerrecht entwickelte sich das Recht der internationalen Beziehungen.[3] Richtungweisend für diese Entwicklung war die allmähliche Übertragung von Aufgaben auf I. O. und die Einschränkung staatlicher Souveränität durch die Menschenrechte. Damit war zugleich die Idee einer internationalen Ordnung geboren, die nicht mehr ausschließlich auf der Leistung der einzelnen Staaten beruhte, sondern ihren Geltungsgrund aus der Wohlfahrt der gesamten Menschheit und den unveräußerlichen Menschenrechten ableitete.[4]
6 Die Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte im Verlauf des 20. Jhs veränderte das überkommene Gefüge des Völkerrechts. Unverändert sind jedoch Staaten die wichtigsten Akteure der Völkerrechtsordnung (vgl u Rn 76 ff), und das Völkerrecht ist weiterhin stark von einem
[1] Klein/Schmahl, 4. Abschn Rn 1 ff, 8 ff.
[2] PCIJ, Ser A, No 10, 18.
[3] Vgl Graf Vitzthum, 1. Abschn Rn 18 f, 30 f.
[4] Vgl Mosler, Die Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte, ZaöRV 22 (1962) 1 ff; eingehend dazu Graf Vitzthum, Der Staat der Staatengemeinschaft, 2006.
zwischenstaatlichen Charakter geprägt. Die Forderung, auch andere Wirkungseinheiten, insbe-sondere den Einzelnen (vgl u Rn 229 ff), zu internationalen Beteiligten zu machen und sie so den Staaten gleichzustellen, verkennt, dass die Stabilität der Völkerrechtsordnung im Wesentlichen auf der staatlichen Souveränität beruht. Nicht zuletzt deswegen war den Versuchen, Minderhei¬ten einen völkerrechtlichen Status einzuräumen, bisher kein Erfolg beschieden.
a) Einteilung der Völkerrechtssubjekte
7 Nach Art und Umfang völkerrechtlicher Rechte und Pflichten unterscheidet man zwischen den unbeschränkten und den beschränkten oder partiellen Völkerrechtssubjekten.
8 Unbeschränkte Völkerrechtssubjektivität kommt lediglich den Staaten zu, weil nur sie Trä¬ger sämtlicher völkerrechtlicher Rechte und Pflichten sind. Sie werden auch als originäre oder geborene Völkerrechtssubjekte bezeichnet, da sie aufgrund ihrer Eigenschaft als politisch orga-nisierter Personenverband Beteiligte völkerrechtlicher Beziehungen sind.
9 Im Gegensatz hierzu stehen die derivativen oder abgeleiteten Völkerrechtssubjekte, deren Rechtssubjektivität auf einer Ermächtigung durch die Staaten zumeist in Form eines Gründungs¬vertrages beruht. Diese Akteure werden auch als partielle oder beschränkte Völkerrechtssubjekte bezeichnet, da ihnen nur bestimmte Rechte und Pflichten zukommen. Je nach Aufgabenbereich und Art der übertragenen Befugnisse unterscheidet sich die Rechtsstellung beschränkt völker¬rechtsfähiger Rechtssubjekte. Dies wird deutlich, wenn man so unterschiedliche Akteure wie etwa die als kriegführende Partei anerkannten Aufständischen, die Gliedstaaten von Bundes¬staaten oder aber den Weltpostverein gegenüberstellt.
10 Von der völkerrechtlichen Rechtspersönlichkeit ist die rechtliche Handlungsfähigkeit zu trennen, auch wenn beide Elemente idR zusammenfallen. So war etwa das Deutsche Reich nicht dadurch untergegangen, dass die Alliierten mit Erklärung v 5.6.1945 die oberste Regierungsge¬walt übernahmen. Der Umfang der Handlungsfähigkeit entspricht der Rechtsfähigkeit. Ein Handeln außerhalb dieser Grenzen (ultra vires) kann keine völkerrechtliche Bindung herbeifüh¬ren.
11 Im Übrigen ist die Rechts- und Handlungsfähigkeit nach Völkerrecht von der nach inner-staatlichem Recht zu trennen. So genießt die UNO nach Art 104 UN-Charta im Hoheitsgebiet je¬des Mitgliedstaates die Rechts- und Geschäftsfähigkeit, die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Ziele erforderlich ist. Art 335 AEUV sieht vor, dass die EU „[…] in jedem Mitgliedstaat die weitestgehende Rechts- und Geschäftsfähigkeit [besitzt], die juristischen Personen nach dessen Rechtsvorschriften zuerkannt ist; sie kann insbesondere bewegliches und unbewegliches Ver¬mögen erwerben und veräußern sowie vor Gericht stehen."
a) Internationale Organisationen
Den staatlichen I. O. kommt unter den beschränkten Völkerrechtssubjekten eine besondere 12 Bedeutung zu. Ihre Völkerrechtssubjektivität wurde vom IGH im Bernadotte-Gutachten v 1949 schließlich anerkannt. Eine I. O. liegt vor, wenn sich Staaten auf der Grundlage eines völker-rechtlichen Vertrages
auf Dauer oder für eine bestimmte Zeit zu einem gemeinsamen Zweck in der Form zusammenschließen, dass sie Organe selbständig mit der Wahrnehmung der vertrag¬lich vereinbarten Aufgaben betrauen. Das Tätigkeitsfeld kann sich wandeln und über das ur¬sprünglich in den Gründungsverträgen festgelegte hinausgehen, wenn sich dies durch dynami¬sche Auslegung von Sinn und Zweck des Vertrags ergibt (effet utile). Damit einher geht eine Kompetenzerweiterung der zuständigen Organe (implied powers). In der Regel haben I. O. drei Organe: eine Versammlung, ein Organ, das sich aus Delegierten der einzelnen Staaten zusam¬mensetzt und mit Exekutivbefugnissen ausgestattet ist, sowie ein Sekretariat, das Verwaltungs¬aufgaben wahrnimmt (vgl u Rn 160 ff).
Eine Sonderstellung unter den I. O. nimmt die UNO ein. Ihr Hauptaugenmerk ist auf die 13 Aufrechterhaltung von internationaler Sicherheit und Frieden sowie den Schutz der Menschen-rechte gerichtet. Zu diesem Zweck hat die UNO Abkommen in den verschiedensten Bereichen geschlossen, welche von peace-keeping operations, speziellen Konferenzen bis hin zu den Ab-kommen über die Sitze in Genf und New York reichen. Mit dem Headquarters Agreement zwi-schen der UNO und den USA v 26.6.1947 wurden der UNO Vorrechte und Immunitäten wie im Gesandtschaftswesen gewährt.
a) Der Einzelne
Neben den I. O. werden auch dem Einzelnen, insbesondere durch die Menschenrechtskonven- 14 tionen, in zunehmendem Umfang Rechte eingeräumt. Eine Rechtsträgerschaft des Einzelnen wurde früher auf Grund der klassischen, durch die Objekttheorie geprägten Lehre abgelehnt. Grundsätzlich sollte ihn der jeweilige Heimatstaat auf internationaler Ebene vertreten (Mediati-sierung). Die Einbindung des Einzelnen erfolgte zunächst in völkerrechtlichen Verträgen, die vorrangig die besonderen Situationen von Einzelnen im Blick hatten und deren Schutz dienen sollten, so etwa das III. Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen und das IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten v 1949. Hierbei wurden bestimmte Rechte für Einzelpersonen vorgesehen.
Die traditionelle völkerrechtliche Mediatisierung des Einzelnen findet sich ungeachtet dieser 15 jüngeren Entwicklungen heute noch im Bereich des diplomatischen Schutzes. Eine Verletzung der völkerrechtlichen Regeln des fremdenrechtlichen Mindeststandards durch den Gaststaat, in welchem sich der Ausländer aufhält, berechtigt den Heimatstaat im Wege des diplomatischen Schutzes zur Geltendmachung eigener (zwischenstaatlicher) Rechte gegenüber dem Gaststaat. Der zwischenstaatliche Charakter der sich hieraus ergebenden Rechte und Pflichten zeigt sich daran, dass ein Verzicht auf den diplomatischen Schutz durch den Fremden oder in den Bestim¬mungen des Gaststaats, wie er zB in den so genannten Calvo-Klauseln enthalten war, als unbe-achtlich angesehen wird, während der Heimatstaat berechtigt ist, zum Nachteil seines eigenen Staatsangehörigen ohne dessen Zustimmung auf diplomatische Schutzrechte zu verzichten.
16 Den Schutz von Staatsangehörigen in einem Empfangsstaat sollen auch die Bestimmungen von Art 36 und 37 der Wiener Konsularrechtskonvention erreichen. Hier sind namentlich Rechte enthalten, die den Kontakt der Konsularbeamten mit den eigenen Staatsangehörigen ermögli¬chen
sollen; im Falle von Freiheitsentziehungen kann der Betroffene verlangen, dass die konsu-larische Vertretung seines Landes informiert wird. Dies wird ergänzt durch eine Pflicht des Emp-fangsstaats, den Betroffenen über seine Rechte aus der letztgenannten Verpflichtung zu unterrichten. Der Staat, dessen Staatsangehörigen die Verletzung eines solchen Rechts wider-fahren ist, kann die Rechte gegen den verletzenden Staat geltend machen.
17 Die Natur des Schutzes des Einzelnen ändert sich allerdings, sobald es sich um eigene, völ¬kerrechtliche Rechte des Einzelnen handelt, insbesondere um Menschenrechte. Dann ist der Ein¬zelne materiell Rechtsinhaber und hat die Möglichkeit, seine Rechte selbständig in einem völker¬rechtlichen Verfahren, wie zB der Individualbeschwerde nach der EMRK, geltend zu machen (vgl u Rn 250 ff). Aber auch in den Fällen, in denen er keinen direkten Zugang zu internationalen Instanzen hat, geht die Entwicklung dahin, dass sein Heimatstaat in zunehmendem Maße nicht mehr nur seine eigenen Rechte, sondern in Vertretung seiner Staatsangehörigen zu deren Guns¬ten Rechte geltend macht. Noch weitergehend wird heute von der Nationality Rule, wonach der Staat nur seine eigenen Staatsangehörigen zu schützen befugt ist, eine Ausnahme gemacht, wenn Rechte aus der Verletzung elementarer Menschenrechte, die erga omnes verpflichtend sind, geltend gemacht werden.
18 Ein anderes Beispiel für die Weiterentwicklung der Rechtsstellung des Einzelnen findet sich im Flüchtlingsrecht (vgl u Rn 297 ff). Menschen, die ihren Heimatstaat verlassen hatten, standen einst weder unter dem Schutz ihres Heimatstaats noch eines anderen Völkerrechtssubjekts. Sie besaßen auch keinen eigenen völkerrechtlichen Status. Zu ihrem Schutz wurde zunächst das Amt des Hochkommissars für Flüchtlinge eingerichtet. Zugleich wurde die Internationale Flüchtlingsorganisation (IRO) gegründet. Beide wurden 1951 durch den Hohen Flüchtlingskom¬missar der UNO (UNHCR) abgelöst. Die Genfer Flüchtlingskonvention v 1951, die zunächst räum¬lich auf Europa und zeitlich auf die Folgen des Zweiten Weltkriegs beschränkt war, gilt aufgrund des New Yorker Zusatzprotokolls v 31.1.1967 für alle Flüchtlinge. Auch wenn den Flüchtlingen durch die Konvention gewisse Rechte gewährt werden, ergibt sich hieraus keine Anerkennung als Völkerrechtssubjekte.
19 Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) v 4.11.1950 erkennt auf regionaler Ebene eine partielle Völkerrechtssubjektivität des Einzelnen an, da es diesem erstmals in der Geschich¬te des Völkerrechts ermöglicht wurde, nach Art 34 EMRK eigene Rechte in einem völkerrechtli¬chen Verfahren gegen einen Vertragsstaat der EMRK bei der damaligen Menschenrechtskommis¬sion durchzusetzen. Die früher bestehende Zweiteilung zwischen Gerichtshof und Kommission ist durch das 11. Zusatzprotokoll zur EMRK aufgehoben worden.
20 Die nach dem Vorbild der EMRK erarbeitete Amerikanische Menschenrechtskonvention v 22.11. 1969 sieht in Art 44 ebenfalls eine Individualbeschwerde vor und erweitert diese auf Personen¬gruppen und private Organisationen, sofern ihre Heimatstaaten den Gerichtshof anerkannt ha¬ben.
Auf universaler Ebene bestehen deutlich geringere Durchsetzungsmöglichkeiten als auf der 21 Ebene der regionalen Menschenrechtskonventionen. In der Allgemeinen Erklärung der Men-schenrechte der UN-Generalversammlung v 10.12.1948 ist kein Durchsetzungsmechanismus vor¬gesehen; der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte v 19.12.1966 sieht in ei¬nem Zusatzprotokoll eine Individualbeschwerde zum Menschenrechtsausschuss vor, sofern sich der Heimatstaat diesem Verfahren unterworfen hat. Der Ausschuss kann den betreffenden Staat zu einer Stellungnahme auffordern, jedoch kein bindendes Urteil erlassen. Ungeachtet dessen hat die im
Anschluss an die Prüfung der von der Einzelperson und dem betroffenen Vertrags¬staat unterbreiteten schriftlichen Angaben erarbeitete Stellungnahme eine erhebliche politische Bedeutung, indem sie einen Vertragsstaat, bei dem der Ausschuss eine Vertragsverletzung fest¬gestellt hat, zwingt, sich international und ggf innerstaatlich zu rechtfertigen.
Völkerrechtliche Pflichten des Einzelnen sind bisher nur in bestimmten Fällen nachweisbar. 22 Grundsätzlich werden Handlungen, die auf Grund internationalen Rechts strafbar sind, von innerstaatlichen Gerichten verfolgt. Der Grund für diese Zurückhaltung liegt darin, dass die staatliche Souveränität durch einen unmittelbaren Zugriff des Völkerrechts auf Handlungen staatlicher Amtsträger, um die es bei der internationalen Strafgerichtsbarkeit regelmäßig geht, durchbrochen würde. Eine völkerrechtliche Inpflichtnahme des Einzelnen erfolgte erstmalig durch die Schaffung des Interalliierten Militärgerichtshofs (des späteren Nürnberger Gerichts¬hofs) durch das Londoner Viermächteabkommen. Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess wur¬den Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen den Frieden, wie die Führung eines Angriffskriegs oder die Beteiligung an einem solchen, als völkerrechtliche Delikte von Ein¬zelpersonen verfolgt. Während Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach den innerstaatlichen Gesetzen bereits zuvor mit Strafe bedroht waren, stellte die Verfolgung wegen der Verbrechen gegen den Frieden eine Neuerung dar. Versuche, die hier und in den Tokioter Prozessen auf¬gestellten Grundsätze zu kodifizieren, scheiterten zunächst.
Erst nach dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien errichtete der Sicherheitsrat auf der 23 Grundlage von Kap VII der UN-Charta einen Gerichtshof, dessen Aufgabe darin besteht, schwe¬re Menschenrechtsverletzungen, die seit 1991 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien be¬gangen wurden, zu verfolgen. Ein weiteres internationales Tribunal wurde auf Grund einer Resolution des Sicherheitsrats für Ruanda errichtet.
Das Jugoslawien- und das Ruanda-Tribunal waren internationale Strafgerichtshöfe mit be- 24 grenzter sachlicher Kompetenz und als solche nicht auf Dauer eingerichtet. Dennoch war die Einsetzung dieser Tribunale ein Meilenstein auf dem Weg zur Errichtung einer permanenten
internationalen Strafgerichtsbarkeit. Bereits die am 9.12.1948 von der UN-Generalversammlung verabschiedete Völkermordkonvention hatte in Art VI vorgesehen, dass wegen Völkermord an¬geklagte
Personen sich entweder vor einem Gericht des Staates, oder Mitgliedstaats des Bege¬hungsorts oder vor einem internationalen Gericht verantworten sollten. 1994 legte die ILC den Entwurf für das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vor, das am 17.7.1998 in Rom ange¬nommen wurde. Das Statut ist am 1.7.2002 in Kraft getreten.
25 Die Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) erstreckt sich auf vier Arten von Verbrechen gegen das Völkerrecht, namentlich Völkermord, Verbrechen gegen die Mensch¬lichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression (Art 5 des Statuts des Internationalen Strafgerichts¬hofs – SIStGH), wobei nur die drei erstgenannten Verbrechen tatbestandlich definiert sind (Art 6 bis 9 SIStGH). Art 11 und 24 des Statuts schließen eine Rückwirkung aus. Die Grundsätze nullum crimen sine lege (Art 22 SIStGH) und nulla poena sine lege (Art 23 SIStGH) finden ebenso Anwen¬dung wie die Unschuldsvermutung (Art 66 SIStGH).
26 Art 12 Abs 1 SIStGH bindet die Gerichtsbarkeit des IStGH grundsätzlich an den Beitritt der Staaten zum Statut. Die Gerichtsbarkeit erstreckt sich nur auf Verbrechen, die nach In-Kraft- Treten des Statuts begangen wurden. Zuständig ist der Gerichtshof für Taten, die entweder im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats oder durch Staatsangehörige eines Vertragsstaats begangen wurden (Art 12 Abs 2 SIStGH). Art 12 Abs 2 und 3 iVm Art 13 SIStGH ermöglichen ferner die Un¬terwerfung von Nichtsignataren unter die Gerichtsbarkeit des IStGH für den Einzelfall. Der Si¬cherheitsrat kann dem Gerichtshof die Durchführung eines Verfahrens untersagen (Art 16 SIStGH). Die Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs erstreckt sich auf natürliche Personen (Art 25 SIStGH) über 18 Jahren, wobei auf die Tatzeit abgestellt wird (Art 26 SIStGH).
27 Das anwendbare Recht ergibt sich nicht allein aus dem Statut, den Verbrechenselementen und den Verfahrensregeln (Art 21 Abs 1 lit a SIStGH). Neben diesen können völkerrechtliche Ver¬träge, Rechtsprinzipien und Regeln einschließlich der anerkannten Grundsätze des Kriegsvöl-kerrechts Anwendung finden (Art 21 Abs 1 lit a SIStGH). Soweit diese Rechtsquellen nicht zur Sachentscheidung ausreichen, kommt die Anwendung allgemeiner Rechtsprinzipien in Be¬tracht, die der Gerichtshof auf rechtsvergleichender Basis feststellt und die im Einklang mit dem Statut und internationalem Recht stehen müssen (Art 21 Abs1 lit c SIStGH).
28 Das Verfahren besteht aus dem Vorverfahren über die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens, dem Hauptverfahren und einem Rechtsmittelverfahren (Art 81 SIStGH). Das Hauptverfahren fin¬det in Anwesenheit des Angeklagten statt (Art 63 Abs 1 SIStGH). Im Falle der Verurteilung kommt ein Strafmaß von bis zu 30 Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe in Betracht. Daneben können Geldstrafen und Verfall der aus dem Verbrechen gewonnenen Gegenstände angeordnet werden (Art 77 SIStGH).
29 Die Signatarstaaten des SIStGH verpflichten sich zur umfassenden Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof (Art 86). Der Neunte Teil des Statuts enthält ferner Regeln dafür, wie in Fällen mehrfacher Verfolgung – durch den IStGH und durch nationale Strafverfolgungsbehörden – zu
verfahren ist. Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs ergänzt lediglich die nationale Gerichtsbar-
keit. Wird ein Verfahren von einer nationalen Behörde anhängig gemacht, kann nicht gleichzei¬tig ein Verfahren vor dem IStGH anhängig gemacht werden, sofern nicht ausnahmsweise der Staat nicht willens oder in der Lage ist, die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen (Art 17 SIStGH).
Art 27 SIStGH sieht ausdrücklich vor, dass die Berufung auf die Begehung einer Tat in amtli- 30 cher Eigenschaft weder eine Freistellung von der Gerichtsbarkeit bewirkt, noch einen Strafmil-derungsgrund darstellt. Dies gilt auch für Taten von Staats- oder Regierungschefs oder Regie¬rungs- oder Parlamentsmitgliedern.
Auf den Einzelnen bezogene völkerrechtliche Bestrafungspflichten werden für bestimmte 31 schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen erörtert, besonders in Bezug auf Folter, Verschwin¬denlassen von Personen und extralegale Hinrichtungen, die in vielen diktatorischen Systemen an der Tagesordnung sind. Völkervertraglich vereinbarte Bestrafungspflichten gibt es insbe¬sondere für den Völkermord und die Folter. Andere Bestrafungspflichten betreffen entweder spezifisch das Kriegsrecht oder sind nicht auf Regierungskriminalität bezogen (zB Piraterie). Von diesen Regelungen abgesehen kann von der Existenz einer völkerrechtlichen Bestrafungs¬pflicht für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen nicht ausgegangen werden.
e) Völker
Obwohl gerade die Bestrafung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie das Verbot des 32 Völkermords Anlass geben könnten, Völkern eigene Rechte einzuräumen, steht ihnen grund-sätzlich keine Völkerrechtssubjektivität zu. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker fand nach dem Zweiten Weltkrieg Eingang in die UN-Charta. Es wurde in den Menschenrechtspakten v 19.12.1966 genannt und von der Generalversammlung in Resolutionen anerkannt.
In der völkerrechtlichen Literatur ist umstritten, ob das Selbstbestimmungsrecht wegen sei- 33 ner nicht hinreichend juristisch überprüfbaren Konturen nur als politische Leitlinie zu verstehen ist, oder ob es sich ungeachtet seiner Unschärfe zumindest teilweise zu einem völkerrechtlichen Rechtsanspruch etwa auf Autonomie oder Sezession entwickelt hat, der von den Völkern gegen¬über den Staaten eingefordert und ggf auch in hierfür vorgesehenen Verfahren durchgesetzt werden kann. Eine eigene völkerrechtliche Rechtsfähigkeit steht den Völkern damit allerdings nicht notwendig zu. Es spricht Vieles dafür, das Selbstbestimmungsrecht als eine, nach deut¬scher Terminologie, Rechtsstellung ohne subjektive Rechte anzusehen. Als maßgeblich hierfür kann die UN-Praxis angesehen werden, die unter bestimmten Voraussetzungen Organisationen das Recht eingeräumt hat, als Befreiungsbewegung bereits vor der Unabhängigkeit Rechte im Rahmen der Vollversammlung und in den UN-Gremien geltend zu machen und an internationa¬len Vertragsverhandlungen teilzunehmen, so zB an den Verhandlungen zur Weiterentwicklung des humanitären Kriegsrechts in Genf 1977.
e) Minderheiten
34 Während das Selbstbestimmungsrecht nur Völkern zusteht, erwies es sich bald als notwendig, einzelnen Gruppen, die sich wegen ihrer geringen Zahl auf dieses Recht nicht stützen konnten, Rechte einzuräumen. Allerdings hat dies nicht dazu geführt, dass Minderheiten die Eigenschaft eines Völkerrechtssubjekts zugesprochen worden wären.
35 Nach der in Europa verbreiteten Auffassung setzt der Begriff der Minderheit voraus, dass es
sich um Staatsangehörige des jeweiligen Staates handelt. Bei unklarem Wortlaut von Art 27 IPBPR werden Ausländer in der zwischenstaatlichen Praxis nicht in den Schutz miteinbezogen (vgl u Rn 331 f). Eine andere Haltung nimmt der UN-Menschenrechtsausschuss ein und fordert, Minderheitenrechte allen im jeweiligen Staatsgebiet lebenden Minderheiten, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, einzuräumen.
36 Das Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutze nationaler Minderheiten v 1.2.1995
gewährt eine Reihe von Rechten und Schutzpflichten, wie zB das Recht von Angehörigen einer ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheit, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszu-üben, oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen. Unklar ist die Definition der geschützten Minderheit. Die Konvention hat im Hinblick auf die unterschiedlichen Auffassungen der Ver-tragsstaaten bewusst auf eine Definition verzichtet. Daher haben die meisten Vertragsstaaten in einer eigenen Erklärung dargelegt, welche Gruppen nach ihrem Verständnis in den Anwen-dungsbereich der Konvention fallen. Die Bundesregierung hat in einer Erklärung als nationale Minderheiten die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit und die Angehörigen des sorbischen Volkes mit deutscher Staatsangehörigkeit bezeichnet. Als nationale Minderheit werden hinge¬gen nicht die Friesen und die Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit verstanden; den¬noch soll nach der Erklärung der BR Deutschland das Europäische Rahmenübereinkommen auf sie angewendet werden. Nicht als Minderheiten iSd Konvention anerkannt werden in der Staa-tenpraxis zumeist eingewanderte Bevölkerungsgruppen, die als eingebürgerte Personen „mit Migrationshintergrund" durch besondere ethnische oder religiöse Merkmale verbunden sind. Für sie gelten im Allgemeinen besondere Integrationserfordernisse. Ein Minderheitenstatus wird hierfür als eher kontraproduktiv angesehen. Anerkannt als Minderheit iSd internationalen Rechts sind daher lediglich „angestammte" Minderheiten.
[2] PCIJ, Ser A, No 10, 18.
[3] Vgl Graf Vitzthum, 1. Abschn Rn 18 f, 30 f.
[4] Vgl Mosler, Die Erweiterung des Kreises der Völkerrechtssubjekte, ZaöRV 22 (1962) 1 ff; eingehend dazu Graf Vitzthum, Der Staat der Staatengemeinschaft, 2006.
zwischenstaatlichen Charakter geprägt. Die Forderung, auch andere Wirkungseinheiten, insbe-sondere den Einzelnen (vgl u Rn 229 ff), zu internationalen Beteiligten zu machen und sie so den Staaten gleichzustellen, verkennt, dass die Stabilität der Völkerrechtsordnung im Wesentlichen auf der staatlichen Souveränität beruht. Nicht zuletzt deswegen war den Versuchen, Minderhei¬ten einen völkerrechtlichen Status einzuräumen, bisher kein Erfolg beschieden.
a) Einteilung der Völkerrechtssubjekte
7 Nach Art und Umfang völkerrechtlicher Rechte und Pflichten unterscheidet man zwischen den unbeschränkten und den beschränkten oder partiellen Völkerrechtssubjekten.
8 Unbeschränkte Völkerrechtssubjektivität kommt lediglich den Staaten zu, weil nur sie Trä¬ger sämtlicher völkerrechtlicher Rechte und Pflichten sind. Sie werden auch als originäre oder geborene Völkerrechtssubjekte bezeichnet, da sie aufgrund ihrer Eigenschaft als politisch orga-nisierter Personenverband Beteiligte völkerrechtlicher Beziehungen sind.
9 Im Gegensatz hierzu stehen die derivativen oder abgeleiteten Völkerrechtssubjekte, deren Rechtssubjektivität auf einer Ermächtigung durch die Staaten zumeist in Form eines Gründungs¬vertrages beruht. Diese Akteure werden auch als partielle oder beschränkte Völkerrechtssubjekte bezeichnet, da ihnen nur bestimmte Rechte und Pflichten zukommen. Je nach Aufgabenbereich und Art der übertragenen Befugnisse unterscheidet sich die Rechtsstellung beschränkt völker¬rechtsfähiger Rechtssubjekte. Dies wird deutlich, wenn man so unterschiedliche Akteure wie etwa die als kriegführende Partei anerkannten Aufständischen, die Gliedstaaten von Bundes¬staaten oder aber den Weltpostverein gegenüberstellt.
10 Von der völkerrechtlichen Rechtspersönlichkeit ist die rechtliche Handlungsfähigkeit zu trennen, auch wenn beide Elemente idR zusammenfallen. So war etwa das Deutsche Reich nicht dadurch untergegangen, dass die Alliierten mit Erklärung v 5.6.1945 die oberste Regierungsge¬walt übernahmen. Der Umfang der Handlungsfähigkeit entspricht der Rechtsfähigkeit. Ein Handeln außerhalb dieser Grenzen (ultra vires) kann keine völkerrechtliche Bindung herbeifüh¬ren.
11 Im Übrigen ist die Rechts- und Handlungsfähigkeit nach Völkerrecht von der nach inner-staatlichem Recht zu trennen. So genießt die UNO nach Art 104 UN-Charta im Hoheitsgebiet je¬des Mitgliedstaates die Rechts- und Geschäftsfähigkeit, die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Ziele erforderlich ist. Art 335 AEUV sieht vor, dass die EU „[…] in jedem Mitgliedstaat die weitestgehende Rechts- und Geschäftsfähigkeit [besitzt], die juristischen Personen nach dessen Rechtsvorschriften zuerkannt ist; sie kann insbesondere bewegliches und unbewegliches Ver¬mögen erwerben und veräußern sowie vor Gericht stehen."
a) Internationale Organisationen
Den staatlichen I. O. kommt unter den beschränkten Völkerrechtssubjekten eine besondere 12 Bedeutung zu. Ihre Völkerrechtssubjektivität wurde vom IGH im Bernadotte-Gutachten v 1949 schließlich anerkannt. Eine I. O. liegt vor, wenn sich Staaten auf der Grundlage eines völker-rechtlichen Vertrages
auf Dauer oder für eine bestimmte Zeit zu einem gemeinsamen Zweck in der Form zusammenschließen, dass sie Organe selbständig mit der Wahrnehmung der vertrag¬lich vereinbarten Aufgaben betrauen. Das Tätigkeitsfeld kann sich wandeln und über das ur¬sprünglich in den Gründungsverträgen festgelegte hinausgehen, wenn sich dies durch dynami¬sche Auslegung von Sinn und Zweck des Vertrags ergibt (effet utile). Damit einher geht eine Kompetenzerweiterung der zuständigen Organe (implied powers). In der Regel haben I. O. drei Organe: eine Versammlung, ein Organ, das sich aus Delegierten der einzelnen Staaten zusam¬mensetzt und mit Exekutivbefugnissen ausgestattet ist, sowie ein Sekretariat, das Verwaltungs¬aufgaben wahrnimmt (vgl u Rn 160 ff).
Eine Sonderstellung unter den I. O. nimmt die UNO ein. Ihr Hauptaugenmerk ist auf die 13 Aufrechterhaltung von internationaler Sicherheit und Frieden sowie den Schutz der Menschen-rechte gerichtet. Zu diesem Zweck hat die UNO Abkommen in den verschiedensten Bereichen geschlossen, welche von peace-keeping operations, speziellen Konferenzen bis hin zu den Ab-kommen über die Sitze in Genf und New York reichen. Mit dem Headquarters Agreement zwi-schen der UNO und den USA v 26.6.1947 wurden der UNO Vorrechte und Immunitäten wie im Gesandtschaftswesen gewährt.
a) Der Einzelne
Neben den I. O. werden auch dem Einzelnen, insbesondere durch die Menschenrechtskonven- 14 tionen, in zunehmendem Umfang Rechte eingeräumt. Eine Rechtsträgerschaft des Einzelnen wurde früher auf Grund der klassischen, durch die Objekttheorie geprägten Lehre abgelehnt. Grundsätzlich sollte ihn der jeweilige Heimatstaat auf internationaler Ebene vertreten (Mediati-sierung). Die Einbindung des Einzelnen erfolgte zunächst in völkerrechtlichen Verträgen, die vorrangig die besonderen Situationen von Einzelnen im Blick hatten und deren Schutz dienen sollten, so etwa das III. Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen und das IV. Genfer Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten v 1949. Hierbei wurden bestimmte Rechte für Einzelpersonen vorgesehen.
Die traditionelle völkerrechtliche Mediatisierung des Einzelnen findet sich ungeachtet dieser 15 jüngeren Entwicklungen heute noch im Bereich des diplomatischen Schutzes. Eine Verletzung der völkerrechtlichen Regeln des fremdenrechtlichen Mindeststandards durch den Gaststaat, in welchem sich der Ausländer aufhält, berechtigt den Heimatstaat im Wege des diplomatischen Schutzes zur Geltendmachung eigener (zwischenstaatlicher) Rechte gegenüber dem Gaststaat. Der zwischenstaatliche Charakter der sich hieraus ergebenden Rechte und Pflichten zeigt sich daran, dass ein Verzicht auf den diplomatischen Schutz durch den Fremden oder in den Bestim¬mungen des Gaststaats, wie er zB in den so genannten Calvo-Klauseln enthalten war, als unbe-achtlich angesehen wird, während der Heimatstaat berechtigt ist, zum Nachteil seines eigenen Staatsangehörigen ohne dessen Zustimmung auf diplomatische Schutzrechte zu verzichten.
16 Den Schutz von Staatsangehörigen in einem Empfangsstaat sollen auch die Bestimmungen von Art 36 und 37 der Wiener Konsularrechtskonvention erreichen. Hier sind namentlich Rechte enthalten, die den Kontakt der Konsularbeamten mit den eigenen Staatsangehörigen ermögli¬chen
sollen; im Falle von Freiheitsentziehungen kann der Betroffene verlangen, dass die konsu-larische Vertretung seines Landes informiert wird. Dies wird ergänzt durch eine Pflicht des Emp-fangsstaats, den Betroffenen über seine Rechte aus der letztgenannten Verpflichtung zu unterrichten. Der Staat, dessen Staatsangehörigen die Verletzung eines solchen Rechts wider-fahren ist, kann die Rechte gegen den verletzenden Staat geltend machen.
17 Die Natur des Schutzes des Einzelnen ändert sich allerdings, sobald es sich um eigene, völ¬kerrechtliche Rechte des Einzelnen handelt, insbesondere um Menschenrechte. Dann ist der Ein¬zelne materiell Rechtsinhaber und hat die Möglichkeit, seine Rechte selbständig in einem völker¬rechtlichen Verfahren, wie zB der Individualbeschwerde nach der EMRK, geltend zu machen (vgl u Rn 250 ff). Aber auch in den Fällen, in denen er keinen direkten Zugang zu internationalen Instanzen hat, geht die Entwicklung dahin, dass sein Heimatstaat in zunehmendem Maße nicht mehr nur seine eigenen Rechte, sondern in Vertretung seiner Staatsangehörigen zu deren Guns¬ten Rechte geltend macht. Noch weitergehend wird heute von der Nationality Rule, wonach der Staat nur seine eigenen Staatsangehörigen zu schützen befugt ist, eine Ausnahme gemacht, wenn Rechte aus der Verletzung elementarer Menschenrechte, die erga omnes verpflichtend sind, geltend gemacht werden.
18 Ein anderes Beispiel für die Weiterentwicklung der Rechtsstellung des Einzelnen findet sich im Flüchtlingsrecht (vgl u Rn 297 ff). Menschen, die ihren Heimatstaat verlassen hatten, standen einst weder unter dem Schutz ihres Heimatstaats noch eines anderen Völkerrechtssubjekts. Sie besaßen auch keinen eigenen völkerrechtlichen Status. Zu ihrem Schutz wurde zunächst das Amt des Hochkommissars für Flüchtlinge eingerichtet. Zugleich wurde die Internationale Flüchtlingsorganisation (IRO) gegründet. Beide wurden 1951 durch den Hohen Flüchtlingskom¬missar der UNO (UNHCR) abgelöst. Die Genfer Flüchtlingskonvention v 1951, die zunächst räum¬lich auf Europa und zeitlich auf die Folgen des Zweiten Weltkriegs beschränkt war, gilt aufgrund des New Yorker Zusatzprotokolls v 31.1.1967 für alle Flüchtlinge. Auch wenn den Flüchtlingen durch die Konvention gewisse Rechte gewährt werden, ergibt sich hieraus keine Anerkennung als Völkerrechtssubjekte.
19 Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) v 4.11.1950 erkennt auf regionaler Ebene eine partielle Völkerrechtssubjektivität des Einzelnen an, da es diesem erstmals in der Geschich¬te des Völkerrechts ermöglicht wurde, nach Art 34 EMRK eigene Rechte in einem völkerrechtli¬chen Verfahren gegen einen Vertragsstaat der EMRK bei der damaligen Menschenrechtskommis¬sion durchzusetzen. Die früher bestehende Zweiteilung zwischen Gerichtshof und Kommission ist durch das 11. Zusatzprotokoll zur EMRK aufgehoben worden.
20 Die nach dem Vorbild der EMRK erarbeitete Amerikanische Menschenrechtskonvention v 22.11. 1969 sieht in Art 44 ebenfalls eine Individualbeschwerde vor und erweitert diese auf Personen¬gruppen und private Organisationen, sofern ihre Heimatstaaten den Gerichtshof anerkannt ha¬ben.
Auf universaler Ebene bestehen deutlich geringere Durchsetzungsmöglichkeiten als auf der 21 Ebene der regionalen Menschenrechtskonventionen. In der Allgemeinen Erklärung der Men-schenrechte der UN-Generalversammlung v 10.12.1948 ist kein Durchsetzungsmechanismus vor¬gesehen; der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte v 19.12.1966 sieht in ei¬nem Zusatzprotokoll eine Individualbeschwerde zum Menschenrechtsausschuss vor, sofern sich der Heimatstaat diesem Verfahren unterworfen hat. Der Ausschuss kann den betreffenden Staat zu einer Stellungnahme auffordern, jedoch kein bindendes Urteil erlassen. Ungeachtet dessen hat die im
Anschluss an die Prüfung der von der Einzelperson und dem betroffenen Vertrags¬staat unterbreiteten schriftlichen Angaben erarbeitete Stellungnahme eine erhebliche politische Bedeutung, indem sie einen Vertragsstaat, bei dem der Ausschuss eine Vertragsverletzung fest¬gestellt hat, zwingt, sich international und ggf innerstaatlich zu rechtfertigen.
Völkerrechtliche Pflichten des Einzelnen sind bisher nur in bestimmten Fällen nachweisbar. 22 Grundsätzlich werden Handlungen, die auf Grund internationalen Rechts strafbar sind, von innerstaatlichen Gerichten verfolgt. Der Grund für diese Zurückhaltung liegt darin, dass die staatliche Souveränität durch einen unmittelbaren Zugriff des Völkerrechts auf Handlungen staatlicher Amtsträger, um die es bei der internationalen Strafgerichtsbarkeit regelmäßig geht, durchbrochen würde. Eine völkerrechtliche Inpflichtnahme des Einzelnen erfolgte erstmalig durch die Schaffung des Interalliierten Militärgerichtshofs (des späteren Nürnberger Gerichts¬hofs) durch das Londoner Viermächteabkommen. Im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess wur¬den Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verbrechen gegen den Frieden, wie die Führung eines Angriffskriegs oder die Beteiligung an einem solchen, als völkerrechtliche Delikte von Ein¬zelpersonen verfolgt. Während Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach den innerstaatlichen Gesetzen bereits zuvor mit Strafe bedroht waren, stellte die Verfolgung wegen der Verbrechen gegen den Frieden eine Neuerung dar. Versuche, die hier und in den Tokioter Prozessen auf¬gestellten Grundsätze zu kodifizieren, scheiterten zunächst.
Erst nach dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien errichtete der Sicherheitsrat auf der 23 Grundlage von Kap VII der UN-Charta einen Gerichtshof, dessen Aufgabe darin besteht, schwe¬re Menschenrechtsverletzungen, die seit 1991 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien be¬gangen wurden, zu verfolgen. Ein weiteres internationales Tribunal wurde auf Grund einer Resolution des Sicherheitsrats für Ruanda errichtet.
Das Jugoslawien- und das Ruanda-Tribunal waren internationale Strafgerichtshöfe mit be- 24 grenzter sachlicher Kompetenz und als solche nicht auf Dauer eingerichtet. Dennoch war die Einsetzung dieser Tribunale ein Meilenstein auf dem Weg zur Errichtung einer permanenten
internationalen Strafgerichtsbarkeit. Bereits die am 9.12.1948 von der UN-Generalversammlung verabschiedete Völkermordkonvention hatte in Art VI vorgesehen, dass wegen Völkermord an¬geklagte
Personen sich entweder vor einem Gericht des Staates, oder Mitgliedstaats des Bege¬hungsorts oder vor einem internationalen Gericht verantworten sollten. 1994 legte die ILC den Entwurf für das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vor, das am 17.7.1998 in Rom ange¬nommen wurde. Das Statut ist am 1.7.2002 in Kraft getreten.
25 Die Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) erstreckt sich auf vier Arten von Verbrechen gegen das Völkerrecht, namentlich Völkermord, Verbrechen gegen die Mensch¬lichkeit, Kriegsverbrechen und Aggression (Art 5 des Statuts des Internationalen Strafgerichts¬hofs – SIStGH), wobei nur die drei erstgenannten Verbrechen tatbestandlich definiert sind (Art 6 bis 9 SIStGH). Art 11 und 24 des Statuts schließen eine Rückwirkung aus. Die Grundsätze nullum crimen sine lege (Art 22 SIStGH) und nulla poena sine lege (Art 23 SIStGH) finden ebenso Anwen¬dung wie die Unschuldsvermutung (Art 66 SIStGH).
26 Art 12 Abs 1 SIStGH bindet die Gerichtsbarkeit des IStGH grundsätzlich an den Beitritt der Staaten zum Statut. Die Gerichtsbarkeit erstreckt sich nur auf Verbrechen, die nach In-Kraft- Treten des Statuts begangen wurden. Zuständig ist der Gerichtshof für Taten, die entweder im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats oder durch Staatsangehörige eines Vertragsstaats begangen wurden (Art 12 Abs 2 SIStGH). Art 12 Abs 2 und 3 iVm Art 13 SIStGH ermöglichen ferner die Un¬terwerfung von Nichtsignataren unter die Gerichtsbarkeit des IStGH für den Einzelfall. Der Si¬cherheitsrat kann dem Gerichtshof die Durchführung eines Verfahrens untersagen (Art 16 SIStGH). Die Gerichtsbarkeit des Strafgerichtshofs erstreckt sich auf natürliche Personen (Art 25 SIStGH) über 18 Jahren, wobei auf die Tatzeit abgestellt wird (Art 26 SIStGH).
27 Das anwendbare Recht ergibt sich nicht allein aus dem Statut, den Verbrechenselementen und den Verfahrensregeln (Art 21 Abs 1 lit a SIStGH). Neben diesen können völkerrechtliche Ver¬träge, Rechtsprinzipien und Regeln einschließlich der anerkannten Grundsätze des Kriegsvöl-kerrechts Anwendung finden (Art 21 Abs 1 lit a SIStGH). Soweit diese Rechtsquellen nicht zur Sachentscheidung ausreichen, kommt die Anwendung allgemeiner Rechtsprinzipien in Be¬tracht, die der Gerichtshof auf rechtsvergleichender Basis feststellt und die im Einklang mit dem Statut und internationalem Recht stehen müssen (Art 21 Abs1 lit c SIStGH).
28 Das Verfahren besteht aus dem Vorverfahren über die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens, dem Hauptverfahren und einem Rechtsmittelverfahren (Art 81 SIStGH). Das Hauptverfahren fin¬det in Anwesenheit des Angeklagten statt (Art 63 Abs 1 SIStGH). Im Falle der Verurteilung kommt ein Strafmaß von bis zu 30 Jahren oder lebenslange Freiheitsstrafe in Betracht. Daneben können Geldstrafen und Verfall der aus dem Verbrechen gewonnenen Gegenstände angeordnet werden (Art 77 SIStGH).
29 Die Signatarstaaten des SIStGH verpflichten sich zur umfassenden Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof (Art 86). Der Neunte Teil des Statuts enthält ferner Regeln dafür, wie in Fällen mehrfacher Verfolgung – durch den IStGH und durch nationale Strafverfolgungsbehörden – zu
verfahren ist. Die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs ergänzt lediglich die nationale Gerichtsbar-
keit. Wird ein Verfahren von einer nationalen Behörde anhängig gemacht, kann nicht gleichzei¬tig ein Verfahren vor dem IStGH anhängig gemacht werden, sofern nicht ausnahmsweise der Staat nicht willens oder in der Lage ist, die Strafverfolgung ernsthaft durchzuführen (Art 17 SIStGH).
Art 27 SIStGH sieht ausdrücklich vor, dass die Berufung auf die Begehung einer Tat in amtli- 30 cher Eigenschaft weder eine Freistellung von der Gerichtsbarkeit bewirkt, noch einen Strafmil-derungsgrund darstellt. Dies gilt auch für Taten von Staats- oder Regierungschefs oder Regie¬rungs- oder Parlamentsmitgliedern.
Auf den Einzelnen bezogene völkerrechtliche Bestrafungspflichten werden für bestimmte 31 schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen erörtert, besonders in Bezug auf Folter, Verschwin¬denlassen von Personen und extralegale Hinrichtungen, die in vielen diktatorischen Systemen an der Tagesordnung sind. Völkervertraglich vereinbarte Bestrafungspflichten gibt es insbe¬sondere für den Völkermord und die Folter. Andere Bestrafungspflichten betreffen entweder spezifisch das Kriegsrecht oder sind nicht auf Regierungskriminalität bezogen (zB Piraterie). Von diesen Regelungen abgesehen kann von der Existenz einer völkerrechtlichen Bestrafungs¬pflicht für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen nicht ausgegangen werden.
e) Völker
Obwohl gerade die Bestrafung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie das Verbot des 32 Völkermords Anlass geben könnten, Völkern eigene Rechte einzuräumen, steht ihnen grund-sätzlich keine Völkerrechtssubjektivität zu. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker fand nach dem Zweiten Weltkrieg Eingang in die UN-Charta. Es wurde in den Menschenrechtspakten v 19.12.1966 genannt und von der Generalversammlung in Resolutionen anerkannt.
In der völkerrechtlichen Literatur ist umstritten, ob das Selbstbestimmungsrecht wegen sei- 33 ner nicht hinreichend juristisch überprüfbaren Konturen nur als politische Leitlinie zu verstehen ist, oder ob es sich ungeachtet seiner Unschärfe zumindest teilweise zu einem völkerrechtlichen Rechtsanspruch etwa auf Autonomie oder Sezession entwickelt hat, der von den Völkern gegen¬über den Staaten eingefordert und ggf auch in hierfür vorgesehenen Verfahren durchgesetzt werden kann. Eine eigene völkerrechtliche Rechtsfähigkeit steht den Völkern damit allerdings nicht notwendig zu. Es spricht Vieles dafür, das Selbstbestimmungsrecht als eine, nach deut¬scher Terminologie, Rechtsstellung ohne subjektive Rechte anzusehen. Als maßgeblich hierfür kann die UN-Praxis angesehen werden, die unter bestimmten Voraussetzungen Organisationen das Recht eingeräumt hat, als Befreiungsbewegung bereits vor der Unabhängigkeit Rechte im Rahmen der Vollversammlung und in den UN-Gremien geltend zu machen und an internationa¬len Vertragsverhandlungen teilzunehmen, so zB an den Verhandlungen zur Weiterentwicklung des humanitären Kriegsrechts in Genf 1977.
e) Minderheiten
34 Während das Selbstbestimmungsrecht nur Völkern zusteht, erwies es sich bald als notwendig, einzelnen Gruppen, die sich wegen ihrer geringen Zahl auf dieses Recht nicht stützen konnten, Rechte einzuräumen. Allerdings hat dies nicht dazu geführt, dass Minderheiten die Eigenschaft eines Völkerrechtssubjekts zugesprochen worden wären.
35 Nach der in Europa verbreiteten Auffassung setzt der Begriff der Minderheit voraus, dass es
sich um Staatsangehörige des jeweiligen Staates handelt. Bei unklarem Wortlaut von Art 27 IPBPR werden Ausländer in der zwischenstaatlichen Praxis nicht in den Schutz miteinbezogen (vgl u Rn 331 f). Eine andere Haltung nimmt der UN-Menschenrechtsausschuss ein und fordert, Minderheitenrechte allen im jeweiligen Staatsgebiet lebenden Minderheiten, unabhängig von der Staatsangehörigkeit, einzuräumen.
36 Das Europäische Rahmenübereinkommen zum Schutze nationaler Minderheiten v 1.2.1995
gewährt eine Reihe von Rechten und Schutzpflichten, wie zB das Recht von Angehörigen einer ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheit, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszu-üben, oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen. Unklar ist die Definition der geschützten Minderheit. Die Konvention hat im Hinblick auf die unterschiedlichen Auffassungen der Ver-tragsstaaten bewusst auf eine Definition verzichtet. Daher haben die meisten Vertragsstaaten in einer eigenen Erklärung dargelegt, welche Gruppen nach ihrem Verständnis in den Anwen-dungsbereich der Konvention fallen. Die Bundesregierung hat in einer Erklärung als nationale Minderheiten die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit und die Angehörigen des sorbischen Volkes mit deutscher Staatsangehörigkeit bezeichnet. Als nationale Minderheit werden hinge¬gen nicht die Friesen und die Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit verstanden; den¬noch soll nach der Erklärung der BR Deutschland das Europäische Rahmenübereinkommen auf sie angewendet werden. Nicht als Minderheiten iSd Konvention anerkannt werden in der Staa-tenpraxis zumeist eingewanderte Bevölkerungsgruppen, die als eingebürgerte Personen „mit Migrationshintergrund" durch besondere ethnische oder religiöse Merkmale verbunden sind. Für sie gelten im Allgemeinen besondere Integrationserfordernisse. Ein Minderheitenstatus wird hierfür als eher kontraproduktiv angesehen. Anerkannt als Minderheit iSd internationalen Rechts sind daher lediglich „angestammte" Minderheiten.
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