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III. Der Einzelne im Völkerrecht 1. Der Menschenrechtsschutz auf universeller Ebene a) Einführung

Seitdem sich die Staatengemeinschaft im Jahre 1948 in einer Deklaration der UN-General- 229 versammlung feierlich zur Achtung der Menschenrechte bekannt hat, bilden diese einen wesent-lichen Bestandteil der Völkerrechtsordnung. Seither sind in zahlreichen Deklarationen, Resolu-tionen, Verträgen und Erklärungen immer wieder die Rechte des Menschen in vielen Bereichen bestätigt worden, ohne dass es gelungen wäre, eine umfassende rechtsverbindliche Charta der Menschenrechte zu verabschieden und ein universell geltendes effektives internationales Sys¬tem zu ihrer Überwachung und Durchsetzung zu errichten. Zu unterschiedlich ist nicht nur das Verständnis der Menschenrechte in den verschiedenen Rechtskreisen. Nicht selten verhindern bereits überwunden geglaubte Souveränitätsvorstellungen die Konkretisierung und Verwirkli¬chung menschenrechtlicher Prinzipien im innerstaatlichen Recht. So fällt die Bilanz etwa im Hinblick auf die Beachtung des Folterverbots eher düster aus. Obwohl in den letzten Jahrzehn¬ten unverkennbar wesentliche Fortschritte bei der rechtlichen Verankerung der Menschenrechte in der Völkerrechtsordnung zu verzeichnen waren, ist der Schutz der Menschenrechte in be¬sonderem Umfang von den mit dem „Krieg gegen den Terror" verbundenen aktuellen Fragen
beeinflusst, etwa der teilweisen Relativierung des Folterverbots416 und der Bedeutung religiöser bzw kultureller Auffassungen der Betroffenen.417
230 Der internationale Menschenrechtsschutz hat die Entwicklung des Völkerrechts tiefgrei-fend beeinflusst. Während nach herkömmlichem Völkerrechtsverständnis nur die Staaten und gegebenenfalls I. O. eigene Rechte geltend machen konnten, wird erstmals Einzelnen das Recht zuerkannt, vor völkerrechtlichen Instanzen und Gerichten die Verletzung ihrer Rechte, ggf auch gegen ihren eigenen Staat, geltend zu machen. Damit wurde gleichzeitig die Theorie der Mediatisierung des Einzelnen durch den Staat, wonach der Einzelne nur mittels seines Hei¬matstaats Gegenstand völkerrechtlicher Rechte und Pflichten sein kann, relativiert. Ein Staat kann sich auch in Bezug auf die Behandlung seiner eigenen Staatsangehörigen nicht mehr auf den Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten berufen, wenn er de¬ren Menschenrechte verletzt. Die internationale Gemeinschaft, verkörpert durch die UNO oder regionale Organisationen, nimmt ein Recht auf humanitäre Intervention in Anspruch, um mas¬siven Menschenrechtsverletzungen eines Staates in seinem eigenen Hoheitsgebiet zu begeg¬nen.
231 Staatliche Befugnisse, herkömmlich als typischer Ausfluss staatlicher Souveränität ver¬standen, wie zB das Recht, über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern und deren Aufnahme in den eigenen Staatsverband zu entscheiden, werden in zunehmendem Maße men-schenrechtlich beeinflusst. Die diplomatische Schutzausübung, ursprünglich als bloße Gel-tendmachung eigener staatlicher Ansprüche verstanden, löst sich partiell von ihrem Ursprung einer geordneten Bereinigung zwischenstaatlicher Konflikte und wird zum Instrument der stell-vertretenden Ausübung individueller Rechte zu Gunsten der eigenen Staatsangehörigen und der auf dem eigenen Staatsgebiet lebenden Bevölkerung. Der Einzelne, in Weiterentwicklung seiner völkerrechtlichen Individualrechte, tritt nun auch als unmittelbares Pflichtensubjekt auf der Ebe¬ne des Völkerrechts in Erscheinung, das für gravierende Menschenrechtsverletzungen vor inter¬nationalen Strafgerichten auf der Grundlage völkerrechtlicher Strafrechtsnormen haftbar ge¬macht werden kann.
232 Der Schutz der Menschenrechte dokumentiert sich heute im Wesentlichen in zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen, Deklarationen und Resolutionen der UN-Generalversammlung und ihrer Sonderorganisationen. Die Menschenrechtsverträge weisen ungeachtet eines häufig ein¬heitlichen Grundschemas, soweit sie im Rahmen der Vereinten Nationen entstanden sind, Un¬terschiede bezüglich des materiellen Schutzgehalts und ihrer Durchsetzungsmechanismen auf.
233 Zwischen den Verträgen zum Schutz der Menschenrechte kann in die universellen Men-schenrechtsverträge wie den beiden Menschenrechtspakten v 1966 und regionalen Verträge wie der Europäischen Menschenrechtskonvention unterschieden werden. Weiter ist darauf hinzu¬weisen, dass einige Verträge einen ausführlichen Katalog von Menschenrechten enthalten, wäh¬rend sich andere auf einzelne Gegenstände wie das Verbot des Völkermords, der Folter oder
Formen der Diskriminierung beschränken. Eine Differenzierung ist ferner im Hinblick auf den Charakter und die Zielrichtung der einzelnen Rechte festzustellen. Hier können die Freiheits- und Abwehrrechte wie das Recht auf Leben oder auf persönliche Freiheit in einer Gruppe zusammen¬gefasst werden. In einer zweiten Gruppe finden sich wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte wie das Recht auf Arbeit. In einer dritten Gruppe werden Rechte zusammengefasst wie das Recht auf Entwicklung, auf lebenswerte Umwelt, auf Frieden, Solidarität und Abrüstung, auf Teilhabe am gemeinsamen Erbe der Menschheit, sowie das Recht, über natürliche Ressourcen zu verfügen. Unterschiede bestehen schließlich bei den verschiedenen Durchsetzungs- und Überwachungs¬möglichkeiten. Zumeist sind Staatenberichtsverfahren vorgesehen, bei denen unabhängige Ex¬pertengremien periodisch Länderberichte prüfen. Darüber hinaus gibt es Staaten- und Individu¬albeschwerdeverfahren, die mit einem unverbindlichen Bericht oder durch eine gerichtliche Entscheidung abgeschlossen werden können.
a) Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) der UN-Generalversammlung v 10.12. 234 1948 enthält einen Katalog von bürgerlichen und politischen Rechten wie das Recht auf Leben, die Freiheit von Sklaverei und Folter, den Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz, auf Rechtsschutz und ein ordentliches Verfahren, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, das Recht auf Eigentum sowie wirtschaftliche und kulturelle Rechte. Sie enthält auch Schranken, wonach jeder Mensch in Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen un¬terworfen ist, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zwecke vorsieht, die Anerkennung der Rech¬te und Freiheiten anderer zu gewährleisten und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen.
Die politisch-moralische Autorität der AEMR steht außer Frage. Einigkeit besteht jedoch 235 nicht hinsichtlich der rechtlichen Bindungswirkung. Hier reicht das Meinungsspektrum von völkerrechtlicher Unverbindlichkeit über Völkergewohnheitsrecht bis hin zur Annahme von ius cogens. Zunächst kam der Erklärung keine völkerrechtliche Verbindlichkeit zu, da sie in Form einer Resolution, die nicht bindend war, erging. Später wurde die AEMR als Definition und Aus-legung der Rechte anerkannt, die die UN und deren Mitgliedstaaten nach Art 55 und 56 UN¬Charta fördern wollten.
In zahlreichen Erklärungen und Entscheidungen wurde auf die AEMR Bezug genommen. Sie wird etwa in der Präambel der EMRK und in der Interamerikanischen De¬klaration v 7.4.1951 genannt und findet sich ausdrücklich oder mittelbar in Formulierungen na¬tionaler Verfassungen. Hieraus kann jedoch nicht auf eine völkerrechtliche Bindungswirkung der gesamten Erklärung geschlossen werden. Allerdings können einige Bestimmungen wie das Verbot der Sklaverei völkergewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen. Die AEMR stellt einen Standard dar, an dem Fortschritte im Bereich des Menschenrechtsschutzes gemessen warden können. Die auf der Grundlage der Generalversammlungsresolution 1503 (1970) eingerichtete Menschenrechtskommission wurde durch Resolution der Generalversammlung v 15.3.2006 durch einen Menschenrechtsrat abgelöst. Die Menschenrechtskommission sollte im Fall von Hinweisen auf systematische und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen Untersuchun¬gen gegen Staaten durchführen und dem Wirtschafts- und Sozialrat darüber Bericht erstatten sowie Empfehlungen geben. Da sie aber zu einem nicht unerheblichen Teil aus Staaten bestand, in denen systematisch Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, wurde sie als weitge¬hend ineffektiv von einem Teil der Staaten abgelehnt. Der nunmehr eingerichtete Menschen¬rechtsrat besteht aus 47 Mitgliedern, die von der Generalversammlung mit absoluter Mehrheit aller Mitgliedstaaten gewählt werden müssen. Der Menschenrechtsrat tagt mehrmals jährlich und soll nunmehr auch im Vorfeld von Menschenrechtsverletzungen präventiv tätig werden. Die Effektivität des Menschenrechtsrats wird bezweifelt, weil wiederum auch Staaten, denen syste¬matische Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, in den Rat gewählt worden sind.