e) Sonstige
37 Die übrigen Akteure, die als Völkerrechtssubjekte in Betracht kommen, sind unterschiedlicher Natur. Aufständischen kommt zunächst keine völkerrechtliche Stellung zu. Erst wenn sich ihre Position derart verfestigt hat, so dass sie auf einem Teil des Staatsgebiets die effektive Herrschaft ausüben, erlangen sie eine völkerrechtliche Position. Dritte Staaten können die sich in diesem Teil befindlichen eigenen Staatsangehörigen nur schützen, wenn sie zu den Aufständischen Verbindung aufnehmen und sie als kriegführende Partei anerkennen. Das hat zur Folge, dass auf den Konflikt die völkerrechtlichen Gesetze des bewaffneten Konflikts und des humanitären
Völkerrechts zu Gunsten von Verwundeten und Kriegsgefangenen angewendet werden. Dritte Staaten, die zuvor die legale Regierung unterstützten, erlangen die Stellung von Neutralen und dürfen nur noch humanitäre Hilfe gewähren.
Die Gründung eines eigenen Staates wird in der Regel auch von Befreiungsbewegungen an- 38 gestrebt. Die UN-Generalversammlung gewährt ihnen Beobachter-Status, sofern sie einen Min¬deststandard an Effektivität und Organisation aufweisen und von den Regionalorganisationen ihrer Völker oder der UNO als legitime Vertreter eines Volkes anerkannt sind. Sie können dann ohne Stimmrecht an UN-Konferenzen teilnehmen oder in UN-Gremien mitwirken.
Zu den traditionellen Völkerrechtssubjekten zählt der Heilige Stuhl, dessen Völkerrechts- 39 subjektivität bereits seit dem Mittelalter anerkannt ist. Nach der Annexion des Kirchenstaats durch Italien 1870 blieb die Völkerrechtssubjektivität des Heiligen Stuhls trotz des Verlustes der Gebietshoheit bestehen. Sie wurde durch den Lateranvertrag zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl v 1929 bestätigt. Dieser sicherte dem Vatikanstaat mit dem Papst als Staatsoberhaupt eine territoriale Grundlage. Im Vatikanstaat, dessen Fläche 0,44 km2 beträgt, existiert eine eigene Verfassung und eine eigene Staatsangehörigkeit, die allerdings an den Zweck des Staates, die Sicherung der Unabhängigkeit der Katholischen Kirche, gebunden ist, und mit Amtsverlust und Verlassen des Vatikanstaates endet. Der Heilige Stuhl nimmt im Völkerrecht vor allem humani¬täre Aufgaben wahr und unterhält mit den meisten Staaten über Botschafter (Nuntien) diploma¬tische Beziehungen. Mit zahlreichen Staaten ist der Heilige Stuhl über staatskirchenrechtliche Bestimmungen (Konkordate) verbunden.
Beim Souveränen Malteserorden handelt es sich um ein historisch gewachsenes Völker- 40 rechtssubjekt, dessen Gründung im Heiligen Land erfolgte, und der sich nach verschiedenen Stationen schließlich 1834 in Rom niederließ. Der Malteserorden zog sich dabei endgültig auf seine karitativen Aufgaben zurück, unterhält jedoch auch heute noch diplomatische Beziehun¬gen zu einigen Staaten.
Ein Völkerrechtssubjekt eigener Art ist das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). 41 Es nimmt Aufgaben nach den Genfer Rotkreuzabkommen v 1949 wahr, wie die Durchführung von Rotkreuztransporten, den Besuch von Kriegsgefangenen und humanitäre Hilfeleistungen in Kriegen, Bürgerkriegen und Naturkatastrophen. Vom IKRK zu trennen ist sowohl der Zusam¬menschluss der nationalen Rotkreuzgesellschaften zur Liga der Gesellschaften des Roten Kreu¬zes und des Roten Halbmonds als auch die Internationale Konferenz vom Roten Kreuz. Die Liga hat die Tätigkeiten der nationalen Rotkreuzverbände zu koordinieren, während sich die Interna¬tionale Konferenz als höchstes beratendes Organ aus Vertretern der nationalen Rotkreuzgesell¬schaften, des IKRK, der Liga und der Mitgliedstaaten der Genfer Abkommen zusammensetzt. Die Internationale Konferenz fasst Beschlüsse in Form von Resolutionen, die nicht bindend sind.
Transnationale Unternehmen, dh Unternehmen mit Hauptsitz in einem Staat und mehreren
42 betrieblichen Einheiten in anderen Staaten unter zentraler, einheitlicher Leitung, Kontrolle und
Strategie, gewinnen mit dem Fortschreiten der Globalisierung zunehmend an Bedeutung. Ob¬wohl sie den Staaten beim Abschluss von Konzessions- oder Investitionsverträgen oder in Schiedsverfahren oftmals faktisch als gleichberechtigte Partner gegenüber stehen, genießen sie keine Völkerrechtssubjektivität. Multi- oder transnationale Unternehmen werfen dadurch Fragen auf, dass sie sich Zugriffen leichter als Unternehmen unter rein nationaler Kontrolle entziehen können und oft aufgrund ihrer Wirtschaftsmacht und ihrer internationalen Handlungsformen agieren. Die Anerkennung eines allgemein gültigen Verhaltenskodex für derartige Unterneh¬men hat bisher keine Unterstützung in der Staatenpraxis gefunden. Die völkerrechtlichen As¬pekte der Globalisierung erscheinen derzeit noch nicht umfassend gewürdigt.
2. Organe der Völkerrechtssubjekte und Regeln des zwischenstaatlichen Verkehrs
43 Juristische Personen handeln auch auf internationaler Ebene durch Organe. Man unterscheidet zentrale und dezentrale Organe.
a) Zentrale Organe
44 Zu den zentralen Organen des zwischenstaatlichen Verkehrs zählen das Staatsoberhaupt, der Regierungschef und der Außenminister. Sie gelten im Gegensatz zu den einzelnen Res-sortministern nach Art 7 Abs 2 lit a des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens v 23.5.1969 als zur Vertretung von Staaten befugt. Das Staatsoberhaupt repräsentiert den Staat und kann für Handlungen, die während der Amtsausübung begangen wurden, grundsätzlich nicht der Ge-richtsbarkeit oder Zwangsgewalt eines anderen Staates unterstellt werden.
45 Anders war die Lage im Fall Noriega, als dieser nach seiner Verbringung von Panama in die USA wegen Rauschgifthandels, Erpressung sowie Beteiligung an der Verschleppung und Ermor-dung panamaischer Oppositioneller angeklagt wurde. General Noriega wurde durch Entschei-dung v 8.6.1990 die Immunität als Staatsoberhaupt unter Hinweis darauf versagt, dass ein Staatsoberhaupt auch als solches anerkannt sein müsse. Noriega hingegen sei weder nach der Verfassung Panamas Staatsoberhaupt, noch sei seine Stellung durch Präsidentschaftswahlen bestätigt worden, noch sei eine Anerkennung als Staatsoberhaupt durch die USA erfolgt (vgl zur Anerkennung Rn 178 ff).
46 Für den Immunitätsschutz ist zwischen amtierenden und ehemaligen Staatsoberhäuptern zu differenzieren. Auszugehen ist dabei davon, dass es souveräne Angelegenheit eines jeden Staa¬tes ist, seine Organwalter zu bestimmen. Diese Organwalter genießen nach den einschlägigen Regeln des Völkerrechts Immunität. Der Umfang der Immunität ehemaliger Staatsoberhäupter war schon
mehrfach Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen. 1995 hat das Appellationsgericht von Amsterdam eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft bestätigt, die unter Hinweis auf fort-wirkende Immunität eine Strafverfolgung des früheren chilenischen Staatspräsidenten und spä-teren Senators auf Lebenszeit Pinochet abgelehnt hatte. Das House of Lords hat hingegen in einem von Spanien angestrengten Auslieferungsverfahren den Immunitätseinwand teilweise zurückgewiesen.
Anders als die Immunität der Diplomaten ist diejenige von Staatsoberhäuptern, Regierungs- 47 chefs und Außenministern nicht ausdrücklich geregelt. Nach dem auf das spanische Ausliefe-rungsbegehren anwendbaren englischen Recht (Art 20 Abs 1 des State Immunity Act v 1978 iVm dem Diplomatic Privileges Act v 1964) genießen Staatsoberhäupter dieselbe Immunität, die Chefs diplomatischer Missionen nach der Wiener Diplomatenrechtskonvention genießen. Diese Rege¬lung kann man als Ausdruck universellen Völkergewohnheitsrechts ansehen. Ein sich im Aus¬land aufhaltendes amtierendes Staatsoberhaupt hat nach Völkergewohnheitsrecht an der Im¬munität des Staates teil, den es repräsentiert. Die Immunität schützt hierbei die Person des Staatsoberhaupts als diejenige eines Teilnehmers am internationalen Rechtsverkehr. Sie wird als Immunität ratione personae bezeichnet.
Herkömmlich galt die Immunität ratione personae ausnahmslos. Rechtssatzförmige Aus- 48 nahmen von diesem Grundsatz sind neueren Datums. Sie konnten auf den Fall Pinochet keine Anwendung finden. Zwar schließt Art 27 SIStGH den Immunitätseinwand gegenüber den im Römischen Statut genannten Verbrechen aus. Daraus lassen sich aber noch keine Aussagen für die gewohnheitsrechtliche Geltung eines entsprechenden Ausschlusses für die über die Strafge-richtsbarkeit des IStGH hinausreichende Gerichtsbarkeit nationaler Strafgerichte ableiten. Der Internationale Gerichtshof (IGH) hat im Fall Kongo gegen Belgien den Erlass eines internationa¬len Haftbefehls durch die belgischen Behörden wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit gegen den amtierenden kongolesischen Außenminister als völkerrechtswidrig qualifiziert und festgestellt, dass derzeit im völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht keine Ausnahme vom Grund¬satz der absoluten Immunität für amtierende Regierungsmitglieder anerkannt sei. Nach Auf¬fassung des Gerichts gilt dies auch für schwerste Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Nicht präjudiziert ist damit die Strafgerichtsbarkeit internationaler Gerichte.
Nach Beendigung des Amtes besteht die völkerrechtliche Immunität für amtliches Handeln 49 fort. Sie gilt ratione materiae. Das frühere Staatsoberhaupt als solches genießt nachfolgend je¬doch keinen Immunitätsschutz mehr: Es nimmt nicht mehr als Repräsentant seines Staates am internationalen Rechtsverkehr teil und ist insoweit nicht mehr schutzbedürftig. Die Immunität ratione materiae erfasst alle in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Handlun¬gen. Welche Handlungen eines Staatsoberhaupts so qualifiziert werden können, bestimmt die Verfassung seines Staates. Handelt es sich um hoheitliche Akte, so besteht hierfür Immunität. Von ihr ausgenommen sind kriminelle Handlungen, die lediglich dem Vergnügen bzw Nutzen des früheren Staatsoberhaupts dienten. Neuerdings ist umstritten, ob
auch Handlungen, die als Täterschaft oder Teilnahme an einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw das Völker- recht anzusehen sind, Immunität ratione materiae genießen. Grundlegende Menschenrechte
sind durch das völkerrechtliche ius cogens geschützt. Auch das Verbot der Folter ist zwingen-des Völkerrecht.
50 In seinen Pinochet-Entscheidungen hatte das House of Lords zu der Frage Stellung zu nehmen, in welchem Umfang ein früheres Staatsoberhaupt sich gegen Vorwürfe schwerer Men-schenrechtsverletzungen mit dem Einwand, es genieße auf seiner früheren Position beruhende, fortwirkende Immunität, erfolgreich zur Wehr setzen kann. In dem ersten, wegen Befangenheit eines der beteiligten Lordrichter aufgehobenen Urteil war der Immunitätseinwand umfassend zurückgewiesen worden. In der zweiten Entscheidung stellten die Lordrichter darauf ab, dass Signatarstaaten der UN-Folterkonvention sich nicht darauf berufen können, dass nach dem In- Kraft-Treten der Konvention von ihren Staatsoberhäuptern begangene, angeordnete oder gebil¬ligte Folterungen auch nach dem Ausscheiden dieser Staatsoberhäupter aus ihrem Amt den Schutz völkerrechtlich anerkannter Immunität genießen. Die Mehrheit der Lordrichter hat da¬her entschieden, dass Senator Pinochet wegen der nach dem In-Kraft-Treten der UN-Folterkon¬vention für England, Spanien und Chile am 8.12.1988 vorgenommenen Folterhandlungen an Spanien ausgeliefert werden könne. Die Auslieferung ist zwar wegen Prozessunfähigkeit Pino¬chets unterblieben, allerdings haben die zuständigen chilenischen Behörden Strafverfolgungs¬maßnahmen eingeleitet. Im Verfahren gegen den ehemaligen liberianischen Staatspräsidenten Taylor hat der auf der Grundlage eines Sicherheitsratsbeschlusses eingerichtete Sondergerichts¬hof für Sierra Leone Taylor die Immunität für die während seines Aufenthalts begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit versagt.
Von einer stark eingeschränkten Immunität ratione materiae eines ehemaligen Staatsober-haupts ging auch der IGH in seiner jüngsten Entscheidung im Fall Belgien v Senegal aus. Nach Auffassung des Gerichtshofs war Senegal als Vertragsstaat der UN-Folterkonvention seit seinem Beitritt im Jahr 1987 grundsätzlich verpflichtet, entweder selbst Strafverfolgungsmaßnahmen gegen den früheren Präsidenten des Tschad, Hissène Habré, einzuleiten oder ihn auszuliefern (aut dedere aut judicare). Darüber hinaus sei es den senegalesischen Behörden freigestellt, auch frühere Vorgänge zu untersuchen und ggf zur Anklage zu bringen. Damit entkräftete der IGH etwaige Bedenken wegen der Rückwirkung von Sanktionsnormen unter Bezugnahme auf Völ¬kergewohnheitsrecht und den dies zulassenden Wortlaut der UN-Folterkonvention. Insgesamt bestätigte er mit seiner Entscheidung die
sich schon früher abzeichnende Linie, dass zwar am¬tierende Staatsoberhäupter unverändert in den Genuss absoluter Immunität kommen, von ei¬ner Immunität ratione materiae für ehemalige Staatsoberhäupter bei Verstößen gegen die UN¬Folterkonvention und vergleichbare grundlegende Abkommen (zB UN-Völkermordkonvention) fortan jedoch nicht mehr auszugehen ist.
a) Diplomatische Missionen
Bis zum Wiener Übereinkommen über die diplomatischen Beziehungen v 18.4.1961 (WÜD) 51 beruhten die diplomatischen Beziehungen auf Völkergewohnheitsrecht, welches nach der Prä¬ambel des WÜD auch weiterhin subsidiär Gültigkeit behält. In Art 14 Abs 1 WÜD findet sich die traditionelle Einteilung der Missionschefs in drei Klassen. Man unterscheidet Botschafter oder Nuntien und sonstige in gleichem Rang stehende Missionschefs, Art 14 Abs 1 lit a WÜD, die zweite Klasse der Gesandten, Minister und Internuntien, Art 14 Abs 1 lit b WÜD, und die dritte der Geschäftsträger (chargés d'affaires), Art 14 Abs 1 lit c WÜD. Die beiden ersten Klassen sind beim Staatsoberhaupt und die dritte ist beim Außenminister des Empfangsstaats beglau¬bigt. Geschäftsträger nehmen vorübergehend die Funktionen eines Missionschefs wahr, Art 19 WÜD.
Grundsätzlich werden die Missionschefs und die Mitglieder der Mission vom Entsendestaat 52 frei bestimmt. Allerdings muss dieser nach Art 4 WÜD für den Missionschef das Agrément einho¬len, das vom Empfangsstaat nach Art 4 Abs 2 WÜD auch ohne Angabe von Gründen verweigert werden kann. Für die Mitglieder der Mission gelten die Einschränkungen der Art 5, 7, 8, 9 und 11 WÜD. Bei Militär-, Marine- und Luftwaffenattachés hat der Empfangsstaat die weitestgehenden Rechte. So kann bereits deren Ernennung von seiner Zustimmung abhängig gemacht werden, Art 7 Satz 2 WÜD.
Auf die Mitglieder der Mission kann der Empfangsstaat auch nach der Entsendung Einfluss 53 nehmen. Nach Art 43 WÜD endet die Tätigkeit eines Diplomaten nicht nur, wenn er abberufen wird oder der Entsendestaat untergeht, sondern auch, wenn der Empfangsstaat das Missions¬mitglied ablehnt, indem er es zur persona non grata erklärt, Art 9 Abs 1 WÜD. Einer Begrün¬dung bedarf diese Erklärung nicht. Weitere Sanktionsmöglichkeiten im Diplomatenrecht stehen dem Empfangsstaat nicht zur Verfügung. Es handelt sich um ein geschlossenes System, das nicht nur die Verpflichtungen des Empfangsstaats bezüglich der Vorrechte und Immunitäten diplomatischer Missionen regelt, sondern zugleich Maßnahmen vorsieht, mit denen der Emp¬fangsstaat einem möglichen Missbrauch dieser Privilegien begegnen kann. Daraus ergeben sich Folgerungen für die Befugnis der Staaten, auf Völkerrechtsverletzungen anderer Staaten zu reagieren. Zulässig sind danach nur die im Diplomatenrecht selbst vorgesehenen Sanktio¬nen.
Die Größe der Mission bleibt dem Entsendestaat überlassen. Ist keine ausdrückliche Verein- 54 barung über den Personalbestand der Mission getroffen worden, kann der Empfangsstaat ver-langen, dass dieser in Grenzen gehalten wird, die er in Anbetracht der bei ihm vorliegenden Um-stände und Verhältnisse sowie der Bedürfnisse der betreffenden Mission für angemessen und normal hält, Art 11 Abs 1 WÜD. Der Missionssitz ist idR am Regierungssitz des Empfangsstaats. Da Missionen, die sich nicht in der Hauptstadt befinden oder gar aus mehreren Büros bestehen, die Kontrolle durch den Empfangsstaat erschweren, hat der Empfangsstaat diesen zuzustimmen, Art 12 WÜD.
Die Aufgaben der diplomatischen Mission nennt Art 3 WÜD. Hiernach soll sie den Entsende- 55 staat im Empfangsstaat vertreten, die Interessen des Entsendestaats und seiner Angehörigen dort innerhalb der völkerrechtlich zulässigen Grenzen schützen, mit der Regierung des Emp¬fangsstaats verhandeln, sich mit allen rechtmäßigen Mitteln über Verhältnisse im Empfangs¬staat unterrichten und darüber dem Entsendestaat berichten, aber auch die freundschaftlichen
Beziehungen zwischen Entsendestaat und Empfangsstaat fördern und ihre wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Beziehungen anbahnen bzw ausbauen.
56 Zur ungestörten Wahrnehmung dieser Aufgaben ist es notwendig, dass die Diplomaten
frei und unbeeinflusst im Empfangsstaat arbeiten und frei mit dem Entsendestaat kommuni-zieren können. Zu diesem Zweck haben sich bereits im 16. und 17. Jh Vorrechte und Immunitä-ten der diplomatischen Missionen herausgebildet. Zu ihnen gehört die Unverletzlichkeit der Mission, Art 22 WÜD. Sie bedeutet zunächst, dass Vertreter des Empfangsstaats die Räume der Mission nur mit Zustimmung des Missionschefs betreten dürfen. Dies gilt auch im bewaffne¬ten Konflikt oder bei Abbruch der diplomatischen Beziehungen, sofern der Eingriff nicht zur Gefahrenabwehr erfolgt. Unverletzlichkeit bedeutet nach Art 22 Abs 2 WÜD auch, dass der Empfangsstaat verpflichtet ist, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Räumlichkeiten der Mission vor jedem Eindringen und jeder Beschädigung zu schützen, damit nicht der Frie¬de der Mission gestört oder ihre Würde beeinträchtigt wird. Der Umfang dieses Schutzes rich¬tet sich nach dem Einzelfall. Angesichts dessen ist der Empfangsstaat völkerrechtlich ver¬pflichtet, notfalls auch durch den Einsatz von Polizei- oder Militärkräften für die Sicherheit ausländischer Missionen zu sorgen. Gewalttätige Übergriffe auf ausländische Botschaften wie 1979 im Iran oder 2012 im Sudan und Jemen sowie in Ägypten müssen durch den Einsatz örtlicher Sicherheitskräfte verhindert werden. Nach dem Ende der Mission entfällt dieser um¬fassende Schutz nach einer angemessenen Zeit und reduziert sich auf die Pflicht des Emp¬fangsstaats, die Räume, das Vermögen und die Archive der Mission zu achten und zu schützen, Art 45 lit a WÜD.
57 Art 27 WÜD gewährleistet das Recht des freien Verkehrs zu amtlichen Zwecken. Hier¬nach können Missionen in jeder Form Kontakt zu anderen Missionen oder Konsulaten des Ent-sendestaats oder der Regierung im Entsendestaat aufnehmen. Lediglich das Betreiben einer Funksendeanlage bedarf der Zustimmung des Empfangsstaats (Art 27 Abs 1 WÜD). Neben der Unverletzlichkeit der amtlichen Korrespondenz bestimmt Art 27 Abs 3 WÜD, dass diplomati-sches Kuriergepäck weder geöffnet noch zurückgehalten werden darf. Obwohl das Durchleuch-ten nicht vom Wortlaut des Art 27 Abs 3 WÜD erfasst wird, sehen viele Staaten davon ab. Der 1989 verabschiedete Entwurf der ILC über den Status des diplomatischen Kuriers und des nicht von einem diplomatischen Kurier begleiteten Gepäcks hält in Art 28 grundsätzlich an der Unver-letzlichkeit fest. Während nach der Diplomatenrechtskonvention keine Ausnahmen vom Grundsatz gelten, dass das diplomatische Kuriergepäck nicht geöffnet oder zurückgehalten wer-den darf (vgl Art 27 Abs 3), ist für das konsularische Kuriergepäck eine Ausnahme bei Verdacht auf Missbrauch (Art 35 Abs 3) vorgesehen.
58 Der Diplomat ist nach Art 23 WÜD von Abgaben im Empfangsstaat befreit, sofern diese nicht
als Vergütung für bestimmte Dienstleistungen erhoben werden. Nach Art 34 WÜD ist er bis auf die in dieser Vorschrift genannten Ausnahmen von Steuern befreit. Er genießt im Empfangs-staat nach Art 26 WÜD Freizügigkeit und die in Art 33 ff WÜD genannten Vorrechte. Die Person des Diplomaten ist unverletzlich, Art 29 WÜD.
57 Nach Art 31 Abs 1 WÜD genießt der Diplomat Immunität von der Strafgerichtsbarkeit des
Empfangsstaates. Die Immunität erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Zivil- und Ver-waltungsgerichtsbarkeit, sofern nicht ein Fall des Art 31 Abs 1 lit a–c WÜD vorliegt. Soll den-
noch ein Verfahren eingeleitet werden, so ist nach Art 32 WÜD ein ausdrücklicher Verzicht des Entsendestaats notwendig, der auch durch den Missionschef erklärt werden kann. Die Immunität beginnt nach Art 39 WÜD, sobald der Diplomat sich in das Hoheitsgebiet des Empfangsstaats begibt, um dort seinen Posten anzutreten oder, wenn er sich bereits im Gebiet befindet, in dem Zeitpunkt, in dem seine Ernennung dem zuständigen Ministerium notifiziert wurde. Sie endet nach einer angemessenen Zeit nach dem Verlassen des Landes, Art 39 Abs 2 WÜD.
Eine dienstliche Handlung liegt vor, wenn der Diplomat für seinen Entsendestaat als dessen 60 ausführendes Organ und somit diesem zurechenbar handelt. Unerheblich ist, ob die Handlung gegen das nationale Recht des Empfangsstaats oder sonstige Strafbestimmungen verstößt. Dies folgt aus dem Sinn der diplomatischen Immunität, die nur eingreift, wenn der Diplomat angeb¬lich oder tatsächlich gegen das Recht des Empfangsstaats verstößt. Nach Auffassung des BVerfG bestehen auch für schwerwiegende Straftaten, wie zB die Förderung terroristischer An¬schläge, keine Ausnahmen von der diplomatischen Immunität. Ein Diplomat kann daher nur zur persona non grata erklärt werden. Dies wird damit begründet, dass anderenfalls die Grundla¬gen der diplomatischen Beziehungen erschüttert würden.
Die Regeln des Diplomatenrechts stellen eine in sich geschlossene Ordnung, ein self- 61 contained regime dar, das die möglichen Reaktionen auf Missbräuche der diplomatischen Vor-rechte und Immunitäten abschließend umschreibt. Nur für Präventivmaßnahmen wird in der Rechtsprechung und Literatur angenommen, dass der Empfangsstaat sich gegen gröbsten Miss-brauch des diplomatischen Status zur Wehr setzen kann. Ein offensichtlicher Missbrauch braucht allerdings durch den Gaststaat dann nicht hingenommen zu werden, wenn durch die Inanspruchnahme diplomatischer Vorrechte eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Si-cherheit oder grundlegender Rechtsgüter (Leben, körperliche Integrität) droht. Im Fall Dikko wurde ein ehemaliger nigerianischer Minister in London entführt. Er sollte mittels einer Kiste nach Nigeria verbracht werden. Diese wurde trotz Inanspruchnahme diplomatischer Vorrechte durch einen begleitenden Diplomaten auf dem Flughafen Stansted geöffnet. Das Britische Au-ßenministerium vertrat den Standpunkt, dass „the overriding duty to preserve and protect hu¬man life" Vorrang vor dem Prinzip der Unverletzlichkeit diplomatischen Gepäcks zukomme. Hinzu kam, dass die Kiste kein offizielles Siegel trug und somit ungeachtet sonstiger Beteuerun¬gen nicht dem diplomatischen Gepäck zugeordnet werden konnte.
Zusätzliche Herausforderungen an den diplomatischen Schutz von Gepäckstücken stellen in 62 jüngerer Zeit neuartige elektronische Durchleuchtungstechniken dar, die auch bei geschlossenen
Behältnissen detaillierten Aufschluss über den Inhalt geben können. Wenn es auch Hinweise dafür gibt, dass einzelne Staaten die Verwendung solcher Techniken für grundsätzlich zulässig erachten (zB das Vereinigte Königreich), sprechen neben den Vorbehalten zahlreicher Staaten
vor allem Schutzguterwägungen gegen eine Vereinbarkeit von Durchleuchtungen mit dem gene-rell dem Diplomatengepäck zukommenden Schutz.
63 Umstritten ist allerdings, ob die in der neueren Staatenpraxis gemachten Ausnahmen von der Immunität für bestimmte Fälle von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Mensch-lichkeit auch auf Diplomaten übertragen werden können. Nach Auffassung des BVerfG steht einem Schluss von der Staatenimmunität auf die diplomatische Immunität das personale Ele-ment jeder diplomatischen Immunität entgegen, das nicht den Entsendestaat, sondern den Dip-lomaten als handelndes Organ persönlich schütze. Auch von anderer Seite ist auf die Unter-schiedlichkeit des diplomatischen Schutzes und der Staatenimmunität hingewiesen worden. Die Ausnahmen gelten daher nur für die Staatenimmunität und die unmittelbar aus ihr fließen-de Immunität von staatlichen Organen, insbesondere von Regierungsmitgliedern, nicht aber für die diplomatische Immunität.
64 Die diplomatische Immunität wirkt allein im Empfangsstaat. Eine Ausnahme gilt lediglich für Diplomaten auf der Durchreise, Art 40 WÜD. Das Diplomatenrecht ist mit seinen Schutz- und Reaktionsmöglichkeiten deshalb grundsätzlich nicht auf das Verhältnis von Diplomaten zu Drittstaaten zugeschnitten: Die diplomatische Immunität hat keine erga omnes Wirkung gegen-über Drittstaaten. Es besteht daher keine allgemeine Regel des Völkerrechts, nach der die BR Deutschland verpflichtet wäre, die fortwirkende Immunität eines ehemals in der DDR akkredi-tierten libyschen Botschafters vor strafrechtlicher Verfolgung zu beachten. Hiergegen wird in der Literatur eingewendet, dass die fortwirkende Immunität nach Art 39 Abs 2 Satz 2 WÜD auch ge¬genüber Drittstaaten gelten müsse, um einen effektiven Schutz zu gewährleisten. Art 40 Abs 1 WÜD enthalte nur eine Sonderregelung für eine umfassende Immunität des Diplomaten auf der Durchreise, lasse aber keinen Schluss darauf zu, dass die Immunität nicht gegenüber Drittstaa¬ten zu respektieren sei, sofern es um Amtshandlungen gehe.
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