b) Der Minderheitenschutz auf universeller Ebene
Auf universeller Ebene gewährt Art 27 IPbürgR Schutz für die Angehörigen von Minderheiten. Er 334 garantiert ein Recht auf kulturelles Leben, Religionsausübung und die eigene Sprache. Strittig ist nicht nur, ob Art 27 IPbürgR auch ein kollektivrechtliches Element innewohnt,645 sondern auch – aufgrund der negatorischen Formulierung646 – die Frage, ob die Staaten zu einer positi-ven Förderung der Minderheiten verpflichtet sind. An Durchsetzungsmechanismen muss gemäß Art 2 Abs 3 IPbürgR ein innerstaatliches Überprüfungsverfahren zur effektiven Behand¬lung von Beschwerden mit der Behauptung, in den Rechten aus Art 27 verletzt zu sein, im Unter¬zeichnerstaat zur Verfügung stehen. Des Weiteren ist ein Staatenberichtsverfahren nach Art 40 IPbürgR und ein Staatenbeschwerdeverfahren nach Art 41 IPbürgR vorgesehen. Letzteres setzt voraus, dass beide Staaten die Zuständigkeit des Ausschusses für Staatenbeschwerden aner¬kannt haben, was bisher nur wenige Staaten getan haben. Daran krankt auch das Individual¬beschwerdeverfahren gemäß Art 1 des 1. Fakultativprotokolls zum IPbürgR. Darüber hinaus wurden die Rechte der Angehörigen von Minderheiten in einer aus neun Artikeln bestehenden Deklaration zum Schutz der Minderheiten und einer allgemeinen Erklärung über die Rechte der autochthonen
Völker zusammengefasst. Zudem besteht im Rahmen der OSZE seit 1992 ein Hoher Kommissar für Nationale Minderheiten sowie innerhalb der UNO eine Unabhängige Ex-pertengruppe für Minderheitenfragen, die für eine zusätzliche institutionelle Absicherung des Minderheitenschutzes sorgen sollen.
c) Regionaler Minderheitenschutz
335 Zum Schutz der Rechte von Angehörigen der Minderheiten wurden im Rahmen des Europarates zwei Dokumente ausgearbeitet. Zum einen legte der Europarat am 5.11.1992 eine Charta der Re¬gional- und Minderheitensprachen zur Unterzeichnung auf, zum anderen wurde ein Rahmen¬übereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (statt eines Zusatzprotokolls zur EMRK) ausgearbeitet und am 1.2.1995 zur Zeichnung aufgelegt. Im Gegensatz zu anderen Abkom¬men des Europarates handelt es sich bei ihm um ein offenes Abkommen, dem Nichtmitgliedstaa-
ten des Europarates beitreten können, sollte eine entsprechende Einladung durch das Minister-komitee erfolgt sein.
Über eine Definition des Begriffs Minderheit konnte bei Erarbeitung des Rahmenüberein- 336 kommens keine Einigung erzielt werden. Abs 12 des Erläuternden Berichts betont daher, dass hier eine pragmatische Lösung gewählt wurde, „die auf der Erkenntnis beruht, dass es gegenwärtig unmöglich ist, zu einer Definition zu gelangen, die die voll umfängliche Unterstützung aller Mit-gliedstaaten des Europarats genießt." Das Übereinkommen enthält darüber hinaus Grundsätze und Individualrechte, die nur schwach formuliert sind und zT Einschränkungen unterliegen.
Neben Feststellungen grundsätzlicher Bedeutung hält Art 3 fest, dass jeder Angehörige ei- 337 ner
nationalen Minderheit das Recht hat, frei zu entscheiden, ob er als solcher behandelt werden möchte oder nicht. Art 4 enthält das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Art 7 garantiert die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, jedoch nicht das Recht, eigene Parteien zu gründen. Art 8 schützt die Freiheit der Religion und Weltan¬schauung, Art 9 hat die freie Meinungsäußerung zum Gegenstand, Art 10 das Recht auf Benut¬zung der Minderheitensprache in einer abgeschwächten Form.
Das Übereinkommen enthält ferner Bestimmungen über die Benutzung von Familiennamen, 338 über Orts- und Straßennamen sowie die Errichtung und den Unterhalt von Bildungs- und Ausbil¬dungseinrichtungen. Das Recht auf Unterricht in der Minderheitensprache ist nach Art 14 Abs 2 davon abhängig, ob es sich um Gebiete handelt, die von Angehörigen nationaler Minderheiten traditionell oder in beträchtlicher Zahl bewohnt werden, und ob ausreichende Nachfrage besteht.
Zur Kontrolle sieht das Rahmenübereinkommen in Art 24 ff ein Berichtsverfahren mit der 339 Möglichkeit vor, Empfehlungen an die betreffenden Staaten auszusprechen. Eine gerichtliche Überprüfung findet nicht statt.
Prinzipien und Grundsätze zum Schutz von Minderheitsangehörigen sind auch in den Ab- 340 schlussdokumenten der OSZE enthalten. So enthält das Kopenhagener Abschlussdokument v 29.6.1990 u a das Recht der Angehörigen von nationalen Minderheiten, ihre Menschenrechte und Grundfreiheiten in voller Gleichheit vor dem Gesetz auszuüben. Jedermann habe das Recht, über seine Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit selbst zu entscheiden. Nachteile dürften ihm hieraus nicht erwachsen (Nr 32). Des Weiteren werden das Recht auf Gebrauch der Minderhei-tensprache, das Recht auf Unterricht in der Muttersprache sowie das Recht auf angemessene Teilnahme am politischen Prozess genannt. Im Moskauer Abschlussdokument v 3.10.1992 wird zur Umsetzung dieser Ziele aufgefordert.
Auf der Nachfolgekonferenz von Helsinki wurde am 10.7.1992 das Amt des Hohen Kom- 341 missars für nationale Minderheiten eingerichtet, der nicht nur einschlägige Informationen zu-sammenstellt, sondern auch durch Frühwarnung präventiv tätig werden kann. Der Hohe Kommissar ist zur Beschaffung von Informationen befugt, sich sämtlicher verfügbarer Quellen wie Mitteilungen der Regierungen der Teilnehmerstaaten, Nicht-Regierungsorganisationen und der direkt betroffenen nationalen Minderheiten zu bedienen.
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