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a) Die Teilung Deutschlands

Nach der Kapitulation durch das Oberkommando der deutschen Wehrmacht am 8./9.5.1945 und 208 der Auflösung der letzten deutschen Regierung beschlossen die vier Siegermächte am 5.6.1945 in der Berliner Erklärung die Übernahme der Regierungsgewalt in Deutschland einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regierun¬gen, Verwaltungen und Behörden der Länder, Städte und Gemeinden. Deutschland wurde in den Grenzen v 31.12.1937 in vier Besatzungszonen aufgeteilt, während Groß-Berlin einer Alliier¬ten Kommandantur der vier Siegermächte unterstellt wurde, und die früheren deutschen Ostge-biete unter russische bzw polnische Verwaltung kamen. Als Völkerrechtssubjekt wurde Deutsch¬land zu diesem Zeitpunkt durch den Kontrollrat vertreten, während die höchste Regierungsge¬walt in der jeweiligen Besatzungszone von den Oberbefehlshabern der Streitkräfte ausgeübt wurde. Im Potsdamer Abkommen v 2.8.1945 wurde beschlossen, einen Rat der
Außenminister einzurichten, um eine Friedensregelung vorzubereiten.
209 Nachdem bis Juli 1947 alle Länder der Besatzungszone der Westmächte Regierungen auf-wiesen und auf der Londoner Konferenz v 1947 keine Einigung der Siegermächte über die Zu-kunft Deutschlands erzielt werden konnte, beschlossen die Westmächte die Errichtung eines westdeutschen Teilstaats. Der Parlamentarische Rat nahm am 8.5.1949 das Grundgesetz an, das nach der Genehmigung durch die Besatzungsmächte zum 24.5.1949 in Kraft trat. Das Besat¬zungsregime der Westalliierten auf dem Gebiet der BR Deutschland wurde durch die Pariser Ver¬träge v 23.10.1954 beendet.
210 Im Deutschland- oder Grundlagenvertrag wurde der BR Deutschland zwar in Art 1 Abs 2 die
Vollmacht eines souveränen Staates über die inneren und äußeren Angelegenheiten einge-räumt, zugleich enthielt der Vertrag aber Vorbehalte der Alliierten im Hinblick auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Die Alliierten behielten sich die Mitbestimmung in Fragen der Wieder-vereinigung und territorialer Grenzen vor und vereinbarten ein Zusammenwirken im Hinblick auf ein freiheitlich-demokratisches Deutschland und eine abschließende friedensvertragliche Regelung. Auch für die Ausübung von Notstandsrechten blieben bis zur Ergänzung des Grund-gesetzes im Jahre 1968/1969 alliierte Vorbehaltsrechte bestehen.
211 Die Entwicklung im Gebiet der ehemaligen DDR verlief formal betrachtet ähnlich. Nachdem 1945 eine deutsche Zentralverwaltung eingesetzt worden war, trat im Dezember 1947 der Deut¬sche Volkskongress für Einheit und gerechten Frieden zusammen. Dieser wählte den Volksrat, der am 19.3.1949 die Verfassung der DDR verabschiedete. Am 25.3.1954 gab die Sowjetunion eine Erklärung über die Herstellung der Souveränität der DDR ab. Hiernach besaß die DDR die Freiheit, nach eigenem Ermessen über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten einschließlich der Frage der Beziehungen zu Westdeutschland zu entscheiden. In Nr 2 wurde jedoch festge¬stellt, dass die UdSSR in der DDR die Funktionen, die mit der Gewährleistung der Sicherheit in Zusammenhang stehen, und die sich aus den Verpflichtungen ergeben, die der UdSSR aus dem Viermächte-Abkommen erwachsen, behält. Das Verhältnis der DDR zur Sowjetunion wurde im Übrigen durch drei weitere Verträge geregelt.
212 Angesichts dieser Entwicklung stellte sich die Frage, ob das Deutsche Reich durch die Kapi-tulation oder die Entstehung zweier deutscher Staaten untergegangen war. Es wurden sowohl Untergangs- als auch Fortbestandstheorien vertreten.
213 Die These vom Untergang des Deutschen Reiches vertrat zum einen die Debellationstheorie, nach der dieses nach der Kapitulation am 8.5.1945, spätestens jedoch mit der Berliner Erklärung v 5.6.1945, untergegangen sei. Nach der Dismembrationslehre ging das Deutsche Reich durch Zerfall in zwei deutsche Staaten unter.
Diesen Untergangstheorien standen die Fortbestandstheorien gegenüber, wonach Deutsch- 214 land weder mit der Kapitulation noch zu einem späteren Zeitpunkt untergegangen sei, sondern als
handlungsunfähiges Völkerrechtssubjekt weiter existierte. Nach der Staatskerntheorie war die BR Deutschland mit dem Deutschen Reich identisch, nicht jedoch das Verfassungsgebiet des Grundgesetzes und das Staatsgebiet in den Grenzen v 31.12.1937. Die DDR wurde als lokales De facto-Regime oder als ein Gebiet betrachtet, das unter militärischer Fremdbesetzung stand. Demgegenüber waren die Vertreter der Schrumpfstaats- oder Kernstaatstheorie der Ansicht, dass das Staatsgebiet Deutschlands auf das Bundesgebiet geschrumpft und auf dem Gebiet der DDR ein neuer Staat durch Sezession entstanden sei. Die Dachstaatstheorie oder Teilordnungslehre sah das Deutsche Reich als handlungsunfähig an, akzeptierte jedoch die BR Deutschland und die DDR als Teilordnungen unter einem gemeinsamen Dach.
In der DDR ging man zunächst vom Fortbestand des Deutschen Reiches aus, neigte jedoch 215 später zur Debellationstheorie. Die BR Deutschland ging zunächst davon aus, dass sie Allein¬vertreterin ganz Deutschlands sei (Kernstaatstheorie). Im Urteil zum Grundlagenvertrag v 21.12. 1976 bezog das BVerfG Aspekte der Dachstaatstheorie mit ein, was im sog Teso-Beschluss be¬stätigt wurde.
a) Die Vereinigung Deutschlands
Die Friedliche Revolution v 1989 führte zur Wiedervereinigung am 3.10.1990. Man entschied sich 216 bei der Vereinigung für einen Beitritt der DDR zur BR Deutschland nach Art 23 Satz 2 (aF) GG. Der Vorbereitung des Beitritts diente der Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirt¬schafts- und Sozialunion v 18.5.1990, der am 1.7.1990 in Kraft trat.
Nach dem Beschluss der Volkskammer der DDR v 23.8.1990 über den Beitritt der DDR zum 217 Geltungsbereich des Grundgesetzes der BR Deutschland wurde kurz darauf, am 31.8.1990, der Einigungsvertrag (EV) unterzeichnet, der am 29.9.1990 in Kraft trat.
Es galt aber, bei dem Beitritt der ehemaligen DDR die Verantwortung der Vier Mächte für 218 Deutschland als Ganzes zu berücksichtigen. Nachdem zunächst in Ottawa die sog „Zwei-plus¬vier-Formel" am 13.2.1990 verabschiedet worden war, wurde am 12.9.1990 der Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland (sog Zwei-plus-Vier-Vertrag) geschlossen. Vertragspartner waren die vier Siegermächte sowie die beiden deutschen Staaten.
Art 1 Abs 1 Satz 1 des Vertrags hat die Vereinigung der beiden deutschen Staaten in den Ge- 219 bieten der BR Deutschland, der DDR und ganz Berlin zum Gegenstand. Art 1 Abs 2 und Abs 3 sieht die Verbindlichkeit der Grenze zu Polen und den Verzicht Deutschlands auf Gebietsansprü¬che gegenüber anderen Staaten vor. In Art 7 Abs 1 erklären die Siegermächte, dass ihre Verant-wortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes beendet seien. Dem vereinten Deutschland komme daher volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten zu (Art 7 Abs 2). Regelungen über den Truppenabzug sind in Art 4 enthalten.
220 Zwischen Deutschland und Polen wurde am 14.11.1990 der Vertrag über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenzen geschlossen, der die Oder-Neiße-Linie als endgültige Gren¬ze festlegt.
Damit verzichtete Deutschland endgültig auf die territoriale Souveränität über die¬se Gebiete. Neben diesem Grenzvertrag wurde am 17.6.1991 ein Nachbarschaftsvertrag mit Polen geschlossen, der in den Art 20 ff Minderheitenrechte der deutschsprachigen Bevölkerung Polens enthält.
221 Der Abzug der sowjetischen Truppen ist Gegenstand des Abkommens v 12.10.1990 zwischen der BR Deutschland und der Sowjetunion über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der BR Deutschland. Dieser erfolgte fristgerecht bis Ende 1994.
222 Dem EV und den nachfolgenden völkerrechtlichen Verträgen liegt die Auffassung zugrunde, dass die DDR mit dem Beitritt zur BR Deutschland als Völkerrechtssubjekt untergegangen ist und die BR Deutschland auf erweitertem Territorium fortbesteht.