a) Die völkerrechtliche Anerkennung
Die Bedeutung der Anerkennung für die Entstehung neuer Staaten hat im Laufe der Geschichte 178 einen Bedeutungswandel erfahren. Während man früher annahm, dass sie notwendig sei, damit ein Gebilde als Staat betrachtet werden könne (konstitutive Theorie), ist nach heute hM die Exis¬tenz eines Staates hiervon unabhängig (deklaratorische Theorie). Diese Auffassung vertrat auch das BVerfG, als es feststellte, dass die DDR ein Staat iSd Völkerrechts und als solcher Völ-kerrechtssubjekt sei. Diese Feststellung sei unabhängig von ihrer völkerrechtlichen Anerken¬nung durch die BR Deutschland. Autoritativer und zugleich konstitutiver Charakter für die staatliche Anerkennung kommt regelmäßig der Aufnahme als Mitglied in die Vereinten Natio¬nen zu, da Art 4 UN-Charta voraussetzt, dass es sich beim neuen Mitglied um einen Staat han¬delt.
179 Unter Anerkennung versteht man die Willensäußerung eines Staates dahingehend, dass er einen bestimmten Tatbestand, eine bestimmte Rechtslage oder einen bestimmten Anspruch als bestehend oder rechtmäßig anerkennt. Bei der Anerkennung handelt es sich um eine einseiti¬ge, empfangsbedürftige Willenserklärung, die entweder ausdrücklich oder stillschweigend durch konkludentes Handeln wie die Aufnahme diplomatischer Beziehungen oder den Ab¬schluss eines völkerrechtlichen Vertrags erfolgen kann.
180 Nach Inhalt und Rechtswirkung der Anerkennungen unterscheidet man de iure- und de fac¬to-Anerkennungen. Während Erstere endgültig und vollständig erfolgt, kommt Letzterer vorläu-figer Charakter zu; es ist daher möglich, sie bei einer späteren Änderung der politischen Ver-hältnisse zurückzunehmen. Im anglo-amerikanischen Rechtskreis existiert daneben die Anerkennung von Regierungen. Diese bedeutet die förmliche Feststellung, dass ein bestimmtes Regime die effektive Regierung eines Staates ist, und beinhaltet eine Verpflichtung, dieses Re-gime als die Regierung des betreffenden Staates zu behandeln. Die Anerkennung als Regierung beinhaltet zwangsläufig die Anerkennung der Staatseigenschaft derjenigen Einheit, die von der Regierung vertreten wird. Im Völkerrecht besteht keine Verpflichtung, ein Regime als die Regie-rung anzuerkennen, wenn die Herrschaft durch völkerrechtswidrige Anwendung von Gewalt erlangt worden ist. Darüber hinaus wird zwischen der Anerkennung von Regierungen und der Begründung diplomatischer Beziehungen unterschieden.
181 Eine Änderung der bisherigen Anerkennungspraxis kann seit der Entstehung der neuen süd-osteuropäischen Staaten in Europa festgestellt werden. Als sich hier die einzelnen Teilrepubliken nach und nach für unabhängig und souverän erklärten, legte der EG-Ministerrat am 16.12.1991 diejenigen Bedingungen fest, die die neu entstandenen Staaten für ihre Anerkennung zu erfül¬len hatten. Inhaltlich gehen die hier beschlossenen Anerkennungsrichtlinien über die bisheri¬ge völkerrechtliche Praxis hinaus. So hängt die Anerkennung als Staat davon ab, ob Bestim¬mungen der UN-Charta sowie der Schlussakte von Helsinki und der Charta von Paris, insbesondere die Verpflichtungen hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschen¬rechte, eingehalten wurden. Ferner wurden die Achtung der Unverletzlichkeit territorialer Gren¬zen sowie die Verpflichtung, alle Fragen im Zusammenhang mit der Staatennachfolge einver¬nehmlich, insbesondere durch ein Schlichtungsverfahren, zu regeln, zur Bedingung gemacht. Bei diesem umfangreichen Katalog lag die Annahme nahe, es handle sich nicht um Kriterien für eine Anerkennung, sondern um politische Voraussetzungen für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen.
Die Entscheidung darüber, ob die neuen Staaten diese Kriterien erfüllten, wurde von einer 182 Schiedskommission (der sog Badinter-Kommission), die im Rahmen der Haager Jugoslawienkon-ferenz durch die EPZ errichtet wurde, getroffen. Während die Anerkennung Sloweniens uneinge-schränkt befürwortet wurde,346 stand die Kommission der Anerkennung Kroatiens zunächst skeptisch gegenüber, da sie der Auffassung war, der Schutz der serbischen Minderheit in der Kra¬jina sei nicht ausreichend gewährleistet. Zweifel konnten durch eine Erklärung des Präsidenten Tudjman beigelegt werden. Bosnien-Herzegowina wurde trotz der 1992 beginnenden Kämpfe und trotz Zweifeln der Kommission347 anerkannt und am 22.5.1992 in die UNO aufgenommen. Eine Anerkennung Mazedoniens wurde zunächst trotz Befürwortung durch die Kommission nicht vorgenommen, da Griechenland Gebietsansprüche auf den griechischen Teil Mazedoniens be-fürchtete. Mazedonien ergänzte daraufhin seine Verfassung dahingehend, dass es keine Territo-rialforderungen gegen Nachbarstaaten erheben und sich weder in deren souveräne Rechte noch in ihre inneren Angelegenheiten einmischen werde. Mazedonien wurde schließlich am 8.4.1993 als „Frühere/Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien" in die UNO aufgenommen.348 Ein offener Konflikt entstand nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo v 17.2.2008. Während mittlerweile mehr als 90 Staaten einschließlich der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands das Kosovo anerkannt haben, äußerten sich China, Indonesien und Vietnam kri¬tisch. Serbien und Russland verurteilten die Unabhängigkeitserklärung und vertraten die Auffas¬sung, dass es sich dabei um einen Bruch des geltenden Völkerrechts handele.349
a) Die neuen Staaten in Mittel- und Osteuropa
Bei der Entwicklung in Mittel- und Osteuropa stellte sich vor allem die Frage, wie das Auseinan- 183 derbrechen der Bundesstaaten rechtlich qualifiziert werden sollte. Während die Teilung der Tschechoslowakei zum 1.1.1993 dazu führte, dass die alte CSFR untergegangen war,350 musste im Hinblick auf die Ereignisse im ehemaligen Jugoslawien und in der ehemaligen UdSSR entschie¬den werden, ob die neuen Staaten aufgrund einer Reihe von Sezessionen oder aber durch Dis-membration
entstanden waren.
Im ehemaligen Jugoslawien schien zunächst alles dafür zu sprechen, dass aufgrund der 184 nacheinander erfolgten Unabhängigkeitserklärungen Sezessionen der Teilrepubliken vorlagen. Diese These wurde insbesondere von Rest-Jugoslawien, der Föderativen Republik Jugoslawien, vertreten, die nach ihrer Umgründung in Anspruch nahm, für ganz Jugoslawien zu handeln und gegenüber dem UN-Generalsekretär die Bereitschaft erklärte, alle Rechte und Verpflichtungen Jugoslawiens wahrzunehmen und zu erfüllen.351 Die Badinter-Kommission hingegen entschied sich für eine Auflösung Jugoslawiens durch Dismembration, was von der Staatengemeinschaft im Wesentlichen übernommen wurde. So verwendete der UN-Sicherheitsrat am 15.5.1992 erst-
mals den Ausdruck „ehemalige Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien" und wies den Anspruch des Reststaats, die Mitgliedschaft in der Organisation automatisch fortzusetzen, zu- rück. In der Resolution 777 (1992) stellte der UN-Sicherheitsrat schließlich fest, „that the state formerly known as the Socialist Federal Republic of Yugoslavia has ceased to exist." Der IGH nahm zu dieser Frage im Verfahren Bosnien-Herzegowinas gegen Jugoslawien keine Stellung. Im Falle des Kosovo wurde eine offizielle Festlegung hierüber sorgsam vermieden, wenn auch im Schrifttum meist ohne größere Erörterung von einer Sezession des Kosovo von Serbien aus¬gegangen wird.
185 Bei den Ereignissen in der ehemaligen UdSSR sprachen sowohl Gründe für die Annahme, die Russische Föderation setze den Sowjetstaat fort, als auch für einen Untergang der UdSSR durch Dismembration.
186 Nachdem die baltischen Staaten im Februar und März 1990 die Wiederherstellung ihrer Un-abhängigkeit und Souveränität erklärt hatten, unterzeichneten die drei slawischen Staaten Russ¬land, Weißrussland und die Ukraine in Minsk am 8.12.1991 ein Übereinkommen, dessen Präambel feststellt, dass die UdSSR als geopolitische Realität ihre Existenz beendet habe. Eine Auflösung zum damaligen Zeitpunkt fand jedoch nicht statt, da es an der Mitwirkung der anderen Unionsre¬publiken fehlte. Art 13 Abs 2 des Minsker Abkommens eröffnete daher den anderen Republiken den Beitritt, der mit der Vereinbarung von Alma-Ata am 21.12.1991 vollzogen wurde. Erst jetzt konnte der Unionsvertrag v 30.12.1922 wirksam durch actus contrarius aufgehoben werden.
187 Obgleich diese Dismembration zu einer gleichberechtigten Nachfolge aller neuen Staaten hätte führen müssen, übernahm die Russische Föderation als Fortsetzerstaat Rechte und Pflich¬ten der ehemaligen UdSSR auf völkerrechtlicher Ebene. Deutlich wird dies insbesondere an Russlands Fortsetzung der Mitgliedschaft der früheren UdSSR im UN-Sicherheitsrat. Dieses Einrücken der Russischen Föderation an die Stelle der ehemaligen UdSSR fand seine Grundlage darin, dass Russland insoweit als „Fortsetzer" der ehemaligen UdSSR akzeptiert wurde, was auch in einer entsprechenden Erklärung der GUS-Staaten seinen Niederschlag fand.
6. Die Staatensukzession
a) Begriff und Rechtsgrundlage
Bei der Entstehung neuer Staaten oder dem Untergang eines Staates stellt sich u a die Frage, an 188 welche völkerrechtlichen Verträge der Nachfolgestaat gebunden sein soll, bzw in welche vermö-genswerten Rechte er eintreten kann. Allgemeine Regeln des Völkerrechts haben sich in diesem Bereich nur zT entwickelt. Eine erste Kodifikation wurde mit der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge v 23.8.1978 (in Kraft seit 1996) und der Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Staatsvermögen, Staatsschulden und Staatsarchive v 8.4.1983 (noch nicht in Kraft) versucht. Parteien der erstgenannten Konvention sind zahlreiche Staaten aus Mittel- und Osteuropa, die zum Teil selbst an Staatensukzessionen beteiligt waren (zB Tschechische Repub¬lik, Slowakei, Slowenien, Kroatien, Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Moldowia).
Eine Definition der Staatensukzession ist in beiden Wiener Konventionen enthalten: 189 „,Succession of States' means the replacement of one state by another in the responsibility for the international relations of territory."
Die Frage nach dem Übergang von Rechten und Pflichten stellt sich also nur, wenn ein tat- 190 sächlicher Wechsel stattgefunden hat, und es sich nicht nur um rein staatsinterne Vorgänge wie etwa einen Regierungswechsel handelt. Im Gegensatz zum Zivilrecht geht man nicht davon aus, dass der Nachfolgestaat in die Gesamtheit der Rechte und Pflichten des Vorgängerstaats eintritt, sondern es gilt der Grundsatz der Spezialsukzession.
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