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a) Umfang des Staatsgebiets

Das Staatsgebiet umfasst ein bestimmtes Gebiet auf der Erdoberfläche, sowie Binnengewässer 146 wie Flüsse und Seen. Es erstreckt sich darüber hinaus auf den unter der Erdoberfläche befindli-chen Raum bis zum Erdmittelpunkt und den sich über dem Staatsgebiet befindlichen Luftraum. Die Gebiete der verschiedenen Staaten werden durch Grenzen getrennt. Mit Ausnahme der see¬wärtigen Grenzen ist kein Staat berechtigt, ohne Anerkennung des Nachbarstaats Grenzen ein¬seitig festzulegen.
Die meisten Staatsgrenzen auf der Erdoberfläche beruhen auf Grenzverträgen, können aber 147 auch durch ein widerspruchsloses Dulden während eines längeren Zeitraums entstehen. Liegt weder eine ausdrückliche noch eine stillschweigende Vereinbarung über die Grenzen vor, ist nach dem Effektivitätsprinzip zu prüfen, ob ein Staat aufgrund einer längeren tatsächlichen un-bestrittenen Herrschaftsgewalt Grenzen durch unbestrittenen Besitzstand festlegen konnte. Kar¬ten sind als Beweismaterial für die Grenzziehung dann erheblich, wenn sie von beiden Staaten zugrunde gelegt werden. In Zweifelsfällen ist auf völkergewohnheitsrechtliche Regeln über den üblichen Grenzverlauf, dh auf natürliche Grenzen wie Gebirge und Wasserscheiden, zurückzu¬greifen. Bei nicht-schiffbaren Flüssen verläuft die Grenze entlang der Mittellinie. Ist der Fluss schiffbar, bildet der Talweg, dh die gedachte Linie entlang der Hauptschifffahrtsrinne, die Gren¬ze. Bei Grenzseen findet idR eine Realteilung der Uferstaaten längs der Mittellinie bzw des Tal¬wegs statt.
Einen Sonderfall stellen die Rechtsverhältnisse auf dem Bodensee dar. Der Überlinger See 148 ist deutsches Staatsgebiet. Für den Konstanzer Trichter wurde zwischen Deutschland und der Schweiz die Mittellinie vertraglich als Grenze festgelegt. Für den Untersee wurde 1854 ebenfalls eine vertragliche Regelung getroffen. Problematisch sind die Rechtsverhältnisse auf dem Ober¬see. Die Schweiz hält an einer Realteilung entlang der Mittellinie fest und lehnt die von Öster¬reich vertretene Kondominiumstheorie ab, wonach nur die Halde bis zur 25-Meter-Tiefen-Linie Staatsgebiet der Anrainer sei und im Übrigen zwischen Deutschland und Österreich ein Kondo¬minium vorliege. Deutschland hat seine Position nicht festgelegt. Vertragliche Vereinbarun¬gen wurden – wie etwa durch das Übereinkommen über die Schifffahrt im Bodensee v 1.6.1973 – nur über einzelne Nutzungen geschlossen. Ein ähnlicher territorialer Streit hat sich über die Rechtsverhältnisse am Kaspischen Meer entzündet, der zusätzliche Brisanz dadurch gewinnt, dass dort erhebliche Gas- und Erdölvorkommen bestehen.
Neben den sog Eigengewässern wie Binnenseen, Flüssen und Kanälen gehören auch die in- 149 neren Gewässer zum Staatsgebiet des Küstenstaats. Innere Gewässer sind sämtliche Meeresge-
biete zwischen der Küste und der Basislinie wie Einbuchtungen und Einschnitte in der Küste oder auch Flussmündungen und Deltas.
150 Die Souveränität erstreckt sich ferner auf das an die Küste angrenzende Küstenmeer. Ge-wohnheitsrechtlich hat sich im Küstenmeer zugunsten dritter Staaten das Recht der friedlichen Durchfahrt entwickelt (innocent passage). Hiernach dürfen Schiffe, die auf der Reise zwischen zwei Ländern Küstengewässer eines dritten Landes durchfahren, ohne dort in den Hafen einzu¬laufen, die Küstengewässer ohne besondere Genehmigung benutzen. Das Recht der friedlichen Durchfahrt erstreckt sich nicht auf den Luftraum über den Küstengewässern. Traditionell um¬fasst das Küstenmeer eine Zone von drei Seemeilen (sm). Nach Art 3 SRÜ ist jedoch eine Aus¬dehnung bis zu 12 sm möglich.
151 Küstenstaaten können ferner eine Anschlusszone bis zu 24 sm beanspruchen, die von den Basislinien aus berechnet wird. In dieser an das Küstenmeer angrenzenden Zone, die nicht zum Staatsgebiet gehört, kann der Küstenstaat nach Art 33 SRÜ Kontrollen ausüben, um Verstöße gegen seine Zoll- und Finanzgesetzgebung, Einreise- oder Gesundheitsgesetze und sonstige Vor-schriften in seinem Hoheitsgebiet oder seinem Küstenmeer zu verhindern bzw Verstöße gegen diese Gesetze zu ahnden. Schließlich stehen Küstenstaaten zur Wahrnehmung besonderer Inte-ressen an der Erforschung, Ausbeutung, Erhaltung und Bewirtschaftung der lebenden und nicht lebenden Naturschätze des Meeresbodens und Meeresuntergrunds sowie der darüber liegenden Gewässer Hoheitsrechte innerhalb einer ausschließlichen Wirtschaftszone (exclusive economic zone) zu, die sich auf eine max Breite von 200 sm von der Basislinie aus erstreckt.
152 Für die Küstenstaaten kann auch der Festlandsockel von Interesse sein, um Vorkommen von Erdöl, Erdgas und Kohle im Meeresuntergrund, der an die Küste angrenzt, ausschließlich aus-beuten zu können. Die Regelungen über den Festlandsockel finden sich in Teil VI SRÜ. Art 76 Abs 1 SRÜ definiert den Festlandsockel. Dieser gehört nicht zum Staatsgebiet, der Küstenstaat darf aber „souveräne Rechte" zum Zwecke der Erforschung und der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen ausüben. Die Abgrenzung des Festlandsockels zwischen Staaten mit gegenüberlie¬genden oder aneinander angrenzenden Küsten hat in der Vergangenheit zu einer Reihe von Streitigkeiten geführt. Das SRÜ sieht in Art 83 vor, dass die Abgrenzung durch Übereinkunft auf der Grundlage des Völkerrechts iSd Art 38 IGH-Statut zu erfolgen hat, um eine der Billigkeit ent¬sprechende Lösung zu erzielen.
153 Als problematisch erwies sich insbesondere die Abgrenzung des Festlandsockels in der Nordsee, da sich hier das Meer fast vollständig über dem europäischen Festlandsockel befin- det. Streit entstand bei der Frage, ob bei der Aufteilung das in Art 6 der Festlandsockel-Kon¬vention v 1958 genannte Äquidistanzprinzip als Teil des Völkergewohnheitsrechts anzuwenden sei. Für Deutschland hätte dies aufgrund der nach innen gewölbten Küste im Vergleich zu den anderen Uferstaaten eine Benachteiligung bedeutet. Der IGH entschied, dass die Anwendung des Äquidistanzprinzips nicht zwingend vorgeschrieben sei. Er wies die Parteien an, die Abgren¬zung in Übereinstimmung mit den
Prinzipien der Billigkeit durchzuführen, wobei alle wesentli¬chen Umstände in der Weise zu berücksichtigen seien, dass jeder Partei soweit wie möglich alle Teile des Festlandsockels überlassen werden sollten, die die natürliche Verlängerung ihres Land¬gebiets in oder unter der See darstellten, soweit dies ohne Beeinträchtigung der natürlichen Fort-
setzung des Landgebiets einer anderen Partei möglich sei. Die BR Deutschland schloss schlie߬lich ein Abkommen mit Dänemark, Großbritannien und den Niederlanden über die Abgrenzung des Anteils am Festlandsockel.
3. Die Staatsgewalt
a) Umfang der Staatsgewalt und Neutralität
Die Staatsgewalt umfasst die Gebiets- und die Personalhoheit. Auf dem Hoheitsgebiet eines frem- 154 den Staates dürfen ohne dessen Zustimmung keine Hoheitsakte gesetzt werden. Selbst wenn der Heimatstaat aufgrund seiner Personalhoheit Sachverhalte außerhalb des Staatsgebiets zum Ge¬genstand gesetzlicher Regelungen macht, kann er eine Beachtung seiner Vorschriften nicht er¬zwingen. Weist ein Sachverhalt Auslandsbezug auf, kann der Staat diesen nur dann zum Gegen-stand innerstaatlicher Gesetzgebung machen, wenn eine vernünftige nahe Beziehung zum Inland gegeben ist. Der Widerstreit zweier Rechtsordnungen aufgrund gleichzeitiger Anwen¬dung von Personalitäts- und Territorialitätsprinzip wird durch das Internationale Strafrecht, das Internationale Privatrecht und das Internationale Verwaltungsrecht, hier insbesondere das In¬ternationale Steuerrecht, geregelt.

Grundlagen des Internationalen Strafrechts sind die Territorialhoheit, die aktive und passive 155 Personalhoheit, der Schutz wichtiger Staatsinteressen sowie das Universalitätsprinzip. Die akti-ve Personalhoheit berechtigt Staaten, Regelungen für Staatsangehörige im Ausland zu treffen. Aufgrund der passiven Personalhoheit ist es einem Staat möglich, das Verhalten von Auslän¬dern seiner Regelungsgewalt (jurisdiction) zu unterstellen, wenn durch jenes Verhalten einer seiner Staatsbürger im Ausland zu Schaden kam (so etwa § 7 Satz 1 lit d StGB). Das Territoriali¬tätsprinzip als Ausfluss der Gebietshoheit ermöglicht es, Inlandstaten und solche, welche sich im Inland auswirken, unter Strafe zu stellen. Nach dem Schutzprinzip darf ein Staat im Aus¬land von Ausländern begangene Taten unter Strafe stellen, wenn diese innerstaatliche Rechts¬güter betreffen. Eine Erweiterung des Schutzprinzips findet sich vor allem im Wettbewerbsrecht. Hier wird eine Jurisdiktion oftmals bereits dann in Anspruch genommen, wenn eine Kartellabre¬de zwischen Ausländern im Ausland den Wettbewerb auf dem inländischen Markt beeinflusst. Staaten stellen außerdem vielfach gewisse allgemein für strafwürdig angesehene Delikte unter Strafe (delicta iuris gentium). Hierunter fallen etwa die Fälschung ausländischer Währung und der Rauschgift- und Menschenhandel (vgl § 6 StGB), sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Verstöße gegen die Regeln des humanitären Kriegsrechts (vgl zB Zusatzprotokoll zu dem Genfer Abkommen v 8.6.1977). Das Weltstrafrechtsprinzip ermöglicht es, Straftaten, die ein Ausländer im Ausland begangen hat, zu verfolgen, wenn der Täter im Inland verhaftet wird, und der Gewahrsamsstaat nicht bereit ist, einem Auslieferungsbegehren des Staates nachzu¬kommen, in welchem die Tat begangen worden ist.

Aufgrund des völkergewohnheitsrechtlichen Instituts der Neutralität können sich Staa- 156 ten, die nicht in einen Krieg verwickelt werden wollen, für neutral erklären. Bei der Neutralität kann
zwischen drei Gruppen unterschieden werden. Mit „gewöhnlicher Neutralität" bezeichnet man den Rechtsstatus eines Staates, der sich an einem bestimmten Krieg zwischen anderen Staaten nicht beteiligt. Handelt es sich um eine „dauernde" oder „immerwährende" Neutralität,
ist ein Staat auch in allen künftigen Kriegen zur Neutralität verpflichtet. Demgegenüber ist die „faktisch dauernde" Neutralität eine Maxime der Außenpolitik ohne völkerrechtliche Bindung.
157 Bestimmungen über die Neutralität finden sich im V. und XIII. Haager Übereinkommen v 1907 über die Neutralität im Land- bzw Seekrieg und für die amerikanischen Staaten in der Kon¬vention von Havanna über die Seeneutralität v 1928.
158 Ein neutraler Staat ist verpflichtet, sich jeglichen Eingreifens in das Kriegsgeschehen zu ent-halten und die Parteien nicht militärisch zu unterstützen. Das Handeln Privater ist hiervon aus-genommen. Militärische Handlungen von Kriegsparteien dürfen auf dem Staatsgebiet des neut¬ralen Staates nicht stattfinden.
159 Zu den neutralen Staaten zählen u a der Vatikanstaat, Malta, die Schweiz und Laos. Die Neutralität Österreichs beruht auf dem Bundesverfassungsgesetz des österreichischen National¬rats v 26.10.1955 und wurde von den Staaten, mit denen Österreich diplomatische Beziehun¬gen unterhält, anerkannt. Das österreichische Neutralitätsverständnis erfuhr im Laufe der Zeit einen Wandel. Während Österreich sich anfangs eher passiv verhielt, wandelte sich die Außen¬politik während der 1970er Jahre. So war Österreich 1973/74 Mitglied des UN-Sicherheitsrates und ist seit 1995 EU-Mitglied.