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Lektionen der Freiheit

Rechtsphilosophische Positionen des Deutschen Idealismus
und deren Bedeutung für die aktuelle Diskussion​


Benno Zabel

Konstellationen​


Die Formen der Selbstdeutung und Wissenstransformation bestimmen wesentlich die Rezeptionsgeschichte einer Epoche. Das gilt auch für die praktische Philosophie des Deutschen Idealismus und hier vor allem für die Positionen Fichtes und Hegels. Nicht selten wird gerade Fichtes Rechts- und Staatslehre nur als „Zwischenschritt", als „System des Übergangs", auf dem Weg von Kants Vernunftkritik zu Hegels enzyklopädischem Programm verstanden. Damit jedoch geht der Eigenwert einer philosophischen Position verloren oder wird nur noch als Verfügungsmasse polemischer, ideologischer, jedenfalls aber sachferner Selbstdarstellung verhandelt. Dagegen ist festzuhalten, daß beide, Fichte wie auch Hegel, stets das sinnkriteriale Bezugsnetz von Reflexion, Freiheit und Handeln betont und dessen Bedeutung für das Recht als Ermöglichungsbedingung einer über sich selbst aufgeklärten condition humaine zur Geltung gebracht haben. Insoweit entwerfen beide, im Ausgang von Kants radikaler Neubestimmung menschlicher Praxisformen, das Programm einer säkularisierten Struktur- und Bewußtseinsgeschichte der Vernunft.[1] Allerdings beansprucht Fichte mit seinem Konzept der Wissenschaftslehre die transzendentalphilosophischen Prämissen Kants systematisch weiterzuentwickeln, während sich Hegel mit seiner spekulativ-dialektischen Methode der Begriffsexplikation von diesem Projekt der Wissensbegründung zunehmend distanziert und schließlich auf eine Philosophie des Geistes zusteuert. Im folgenden soll offengelegt werden, inwiefern es auch und vor allem diese methodischen Differenzen sind, die schließlich zu handfesten Konsequenzen in der freiheitsphilosophische Bestimmung von Recht, Staat und Sittlichkeit führen. Gefragt wird also danach, welche Bedeutung die unterschiedlichen rechtsphilosophischen Konzepte für die Einordnung des normativen Status personaler Aushandlungs- und Verstän-
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[1] Dazu bereits H. Lübbe: Säkularisation. Ein ideenpolitischer Begriff, Freiburg / München 1965; zur aktuellen Diskussion insbesondere P. Stekeler-Weithofer: Philosophie des Selbstbewußtseins. Hegels System als Formanalyse von Wissen und Autonomie, Frankfurt a. M. 2005, 365 und C. Taylor: Ein säkulares Zeitalter, Frankfurt a. M. 2009.

digungsprozesse haben.[1] Um das zu zeigen scheint es notwendig, zunächst die Struktur der Rechtsbegründungen offenzulegen und diese auf ihre immanente Logik zurückzuführen (II.). Im Anschluß daran sollen die Konzepte um die entsprechenden Staatsverständnisse erweitert und die Belastbarkeit der insofern vorgetragenen Argumente geprüft werden (III.). Verdeutlicht wird damit zum einen das unterschiedliche Begründungspotential der Praxismodelle, zum anderen aber auch die Aktualität freiheitsphilosophischer Theorien (IV.). Die Erörterungen enden mit einem kurzen Resümee (V.).

Strategien der Rechtsbegründung​


Tätige Vernunft und selbstbewußte Akteure

Fichtes Rechtsphilosophie beruht auf dem Prinzip performativ begründeter Freiheit.[2] Freiheit wird hier als Prozeß kooperativ zu verwirklichender Sinnorientierungen, oder, wie er selbst formuliert, als reelle Tätigkeit des Vernunftwesens in der Weltanschauung, begriffen.[3] Systematisch knüpft diese Argumentation an die „transzendentale Deduktion des Selbstbewußtseins" an; sie verweist aber mit ihrer strengen Unterscheidung von Legalität und Moralität zugleich auf die dem Rechtsverhältnis immer schon zugrunde liegenden Strategien der Selbstvergewisserung, wie sie nicht zuletzt in der Rechts- und Sittenlehre thematisch werden.[4] Im einzelnen: Mit der Methode der transzendentalen Deduktion des Selbstbewußtseins hatte Fichte zu zeigen versucht, welche Denk-, Reflexions- und Handlungsmuster als notwendige Bedingungen generischen, also philosophischen Wissens angenommen
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[1] Vor allem L. Siep hat hier wichtige Vorarbeiten geliefert, vgl. „Einheit und Methode von Fichtes ,Grundlage des Naturrechts'", in: K. Hammacher (Hrsg.): Der transzendentale Gedanke, Hamburg 1981, 290 ff.; ders.: „Philosophische Begründung des Recht bei Fichte und Hegel", in: Giornale di Metafisica 5 (1983) 263 ff. und ders.: „Naturrecht und Wissenschaftslehre", in: M. Kahlo et al. (Hrsg.): Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis, Frankfurt a. M. 1992, 71 ff.; zu nennen sind darüber hinaus die Analysen bei P. Baumanns: Fichtes ursprüngliches System, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972, 166 ff.; C. Binkelmann: Theorie der praktischen Freiheit, Berlin / New York 2007; H. Heimsoeth: „J.G. Fichtes Aufschließung der gesellschaftlich-geschichtlichen Welt", in: Filosofia 13 (1962) 584 ff.; D. Henrich: Hegel im Kontext, Frankfurt a. M. 1971, 41 ff.; W. Janke: Die dreifache Vollendung des Deutschen Idealismus, Amsterdam 2009; R. Lauth: Die transzendentale Naturlehre Fichtes nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre, Hamburg 1984; R. Loock: Schwebende Einbildungskraft, Würzburg 2007; V. Waibel: „Fichte, Hardenberg, Sartre und die Freiheit", in: J. Stolzenburg et al. (Hrsg.): Wissen, Freiheit, Geschichte. Die Philosophie Fichtes im 19. und 20. Jahrhundert, Amsterdam 2010, 151 ff. und A. Wildt: Autonomie und Anerkennung, Stuttgart 1982, 197 ff.
[2] Fichte: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. v. Reinhard Lauth u. Hans Jacob, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 ff. Im folgenden GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl.
[3] Fichte: Grundlage des Naturrechts, in: GA I, 3, 330 f.
[4] Zum Verhältnis von (Natur-)Rechts- und Sittenlehre bei Fichte insbesondere E. Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein, Köln 1986, 204; W. Schrader: „Recht und Sittlichkeit. Zur praktischen Philosophie J.G. Fichtes", in: Phil. Jahrbuch 80 (1973) 50 ff. und H. Verweyen: Recht und Sittlichkeit in J.G. Fichtes Gesellschaftslehre, Freiburg / München 1975.

werden müssen. Im Zentrum steht ein strukturell pragmatischer Ansatz. „Ich soll in meinem Denken vom reinen Ich ausgehen, und dasselbe absolut selbständig denken, nicht als bestimmt durch die Dinge, sondern als die Dinge be- stimmend".[1] Fichte faßt den Begriff des Seins nicht als ersten und ursprünglichen, sondern lediglich als abgeleiteten, und zwar „durch den Gegensatz der Tätigkeit" abgeleiteten, also nur als einen negativen Begriff. Das Sein hingegen bestimmt Fichte als verminderte oder eingeschränkte Aktivität des Ich. Das „einzige Positive", so der lakonische Kommentar, ist dem Idealisten die Freiheit.[2] Formuliert ist damit vor allem das Konzept einer dynamischen Einheit von theoretischer und vollzugsgeleiteter Wissensgenese; ein reflexionslogisches Konzept, das, spätestens mit der Wissenschaftslehre nova methodo, auch eine Ablösung von Kants philosophischem System der drei Kritiken bedeutet.[3] Der praktische Teil der Wissenschaftslehre soll ferner diejenigen Bedingungen des Bewußtseins der freien Wirk samkeit angeben, vermöge dessen überhaupt etwas vom Ich Unterschiedenes bestimmt werden kann. Fichte will auf diese Weise die (vorläufige) Struktur des allvermittelnden Sollens und Strebens von seiner Abstraktheit befreien und in eine konkrete Theorie des Erkennens und Handelns überführen. In der Anwendung der Wissenschaftslehre treibt die Naturrechtslehre, und auf die können wir uns hier beschränken,[4] die Explikation des (reellen) Selbstbewußtseins über den Rahmen der transzendentalen Prinzipienanalyse hinaus. In den Vordergrund tritt nunmehr die Frage, wie die deduzierte Einheit der selbstbezüglich tätigen Vernunft in einem welt- und insofern auch erfahrungsbezogenen Wesen „zur Sprache" kommen kann. Fichte versucht darauf einen Antwort zu finden, indem er das Programm der reinen Prinzipienanalyse auf den Handlungsrahmen technisch-praktischer Kommunikation appliziert.[5] Notwendig dafür ist der Aufweis eines sich tatmächtig realisierenden Freiheitsbewußtseins. In der Grundlage des Naturrechts wird letzteres durch die

Form reflektierter Wechselbezüglichkeit entwickelt.11 Ausgangspunkt ist ein Bewußtseinsakt resp. Handlungsschema, aufgrund dessen sich das prima facie vernünftige Wesen als wirksam auf ein Objekt und bestimmt durch ein Objekt erfahren kann.
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[1] GA I, 4, 220.
[2] GA I, 4, 251 f. - Zum gesamten Programm der Wissensbegründung in der WL vgl. etwa K. Düsing: „Strukturmodelle des Selbstbewußtseins", in: Fichte-Studien 7 (1995) 7 ff.; D. Henrich: „Fichtes ursprüngliche Einsicht", in: W. Cramer (Hrsg.): Subjektivität und Metaphysik, Frankfurt a. M. 1966, 188 ff.; W. Janke: Sein und Reflexion. Grundlagen der kritischen Vernunft, Berlin / New York 1970; ders.: Vom Bilde des Absoluten, Berlin / New York 1993; C. Klotz „Reines Selbstbewußtsein und Reflexion in Fichtes Grundlegung der Wissenschaftslehre (1794 - 1800)", in: Fichte-Studien 7 (1995) 27 ff. und W. Schrader: Empirisches und absolutes Ich, Stuttgart-Bad Cannstatt 1972.
[3] Zu dieser Entwicklung Fichtes siehe E. Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein, a.a.O., 203 und W. Schulz: J.G. Fichte. Vernunft und Freiheit, Pfullingen 1962.
[4] Die späteren Modifikationen in der (Natur-)Rechts- bzw. Staatslehre sind für den hier zu diskutierenden Problemzusammenhang grundsätzlich ohne Belang, da die vorliegend interessierenden Aspekte der Intersubjektivitäts-, Zwangsrechts- und (Gesellschafts-)Vertragsbe- gründung weitgehend unverändert geblieben sind.
[5] Auf diese Logik des methodischen Vorgehens verweist bereits R. Lauth: Zur Idee der Transzendentalphilosophie, München / Salzburg 1965, 114 f.

Repräsentiert wird diese Praxis des sich im anderen als frei wissend bekanntermaßen in den Strategien der Aufforderung und Anerkennung. Gemeinsam begründen sie den Status des selbstbestimmten Individuums und die Kontexte zukunftsorientierter Intersubjektivität.[1] [2] Angesprochen ist damit zugleich ein Handeln, das die Selbstbeschränkung auf der einen notwendig zu einer Freiheitsverwirklichung auf der anderen Seite werden läßt. Folgerichtig heißt es dann in § 4 der Naturrechtslehre: „Das endliche Vernunftwesen kann nicht noch andere endliche Vernunftwesen außer sich annehmen, ohne sich zu setzen, als stehend mit demselben in einem bestimmten Verhältnisse, welches man das Rechtsverhältnis nennt."[3] Allerdings soll das so deduzierte Rechts- und Anerkennungsverhältnis nur dann fortbestehen, wenn es auch tatsächlich von beiden Seiten realisiert wird. Die „freie Wechselwirksamkeit" der Akteure ist also nur eine durch den jeweiligen Vertrauensvorschuß bedingte, mit der Konsequenz, daß das einseitige Aufgeben der Selbstbeschränkung auch den oder die anderen von seiner Verpflichtung ent- bindet.[4] Die Realität des Rechtsbegriffs wird hier durch eine Kopplung der „Sinnenwelt", des endlichen Bewußtseins, an die Idee und das allgemeine Wissen der Freiheit, im Sinne des philosophischen Bewußtseins, begründet. Insofern überführt die Deduktion des Rechtsverhältnisses die Reflexionsformen des reinen Selbstbewußtseins in die Verständigungsprozesse einer faktischen Gemeinschaft individueller Vernunftwesen; in Verständigungs- und Einwirkungsprozesse, die, im Sinne des Fichteschen „Realitätsanspruchs" als raum-zeitliche Bedingungen, als ein „notwendiges Faktum" individueller Kooperation zu verstehen sind.[5] Fichte will damit aber nicht die transzendentale Struktur des Rechtsverhältnisses von einem empirischen-historischen Sachverhalt abhängig machen, wichtiger ist ihm wohl die Betonung einer handlungsgeleiteten Wechselwirkung der Akteure, die für ihn zugleich Ausdruck einer reflektierten Erfahrung des Bewußtseins ist (Siep).


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[1] Dezidiert schon die Formulierung von § 1 der Naturrechtslehre, in: GA I, 3, 329.
[2] Zur Fichteschen Struktur der Intersubjektivität vgl. etwa H. Girndt: „J.G. Fichtes und G.H. Meads Theorie der Interpersonalität", in: K. Hammacher (Hrsg.): Der transzendentale Gedanke, Hamburg 1981, 373 ff. und R. Lauth: „Le probleme de l'interpersonnalite chez J.G. Fichte", in: Archives de Philosophie 25 (1962) 325 ff.; die von Fichte prominent gemachten Redeformen über Aufforderung und Anerkennung beleuchten im übrigen P. Baumanns: Fichtes ursprüngliches System, a.a.O., S. 181 ff.; E. Düsing: Intersubjektivität und Selbstbewußtsein, a.a.O., S. 240; E. Heller: Die Theorie der Interpersonalität in J. G. Fichtes Spätwerk, dargestellt in den ,Thatsachen des Bewußtseyns' von 1810/11, München 1974, S. 59; W. Schild: „Anerkennung als Thema in Hegel ,Grundlinien der Philosophie des Rechts'", in: ders. (Hrsg.): Anerkennung, Würzburg 2000, 37 f.; L. Siep: „Einheit und Methode von Fichtes ,Grundlage des Naturrechts'", a.a.O., 290, der dort auch die methodischen Probleme herausarbeitet, sowie H. Verweyen: Recht und Sittlichkeit in J.G. Fichtes Gesellschaftslehre, a.a.O., 92 ff. und A. Wildt: Autonomie und Anerkennung, a.a.O., 271.
[3]GAI, 3, 349.
[4] GA I, 3, 355 f. (Corollarium zu § 4 der Naturrechtslehre).
[5] Zum Verständnis dieses „notwendigen Faktums" bei Fichte vgl. die Darstellung bei L. Siep: „Einheit und Methode von Fichtes ,Grundlage des Naturrechts'", a.a.O., 290; D. Henrich wiederum erläutert die Rede von der Faktizität des Sittlichen bei Kant, vgl. „Der Begriff der sittlichen Einsicht und Kants Lehre vom Faktum der Vernunft", in: W. Schulz et al. (Hrsg.): Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken, Tübingen 1960, 77 ff.

Nicht zu übersehen ist jedoch, daß auch diese selbst-bewußten Verständigungsprozesse auf die Matrix des methodischen Individualismus bezogen bleiben. Zwar geht es nunmehr um ein Verhältnis der Intersubjektivität, aber diesem (Rechts-) Verhältnis fehlt jeglicher Bezug zu seinen politischen oder normativen Kontexten. Konsequenterweise gibt es für Fichte keine Verpflichtung, die unabhängig vom praktischen Verhalten des Einzelnen wäre. Gerade deshalb ist für ihn das Verhalten der Individuen, das zu einer Anerkennungsgemeinschaft führt, nur eines der theoretischen Konsequenz. So gewiß ich den anderen anerkenne, schreibt Fichte am Ende von § 4 der Naturrechtslehre „so gewiß ist er durch seine erste problematische Äußerung gebunden, oder verbunden, durch theoretische Konsequenz genötigt, mich kategorisch anzuerkennen, und zwar gemeingültig, d. h. mich zu behandeln wie ein freies Wesen". Aber in Ansehung der Realität rechtlichen Handelns und Urteilens ist das allein eine hypothetische Aussage, denn, so die Argumentation in § 7, es läßt sich kein absoluter Grund angeben, „warum das vernünftige Wesen konsequent sein und zu Folge desselben das aufgezeigte Gesetz sich geben sollte". Im Gegenteil, aus dem Selbstbewußtsein sei gerade nicht gesetzt, daß immerfort vernünftige Wesen auf das Subjekt desselben in vernünftiger Weise einwirken müßten, und lasse sich daraus auch nicht ableiten, „ohne die Konsequenz, die erwiesen werden soll, selbst als Erweisgrund zu brauchen".[1] Fichtes Struktur des Rechts- und Anerkennungsverhältnisses haftet dadurch aber etwas Labiles und Zufälliges an. Behauptet wird gleichsam ein allgemeingültiger „Schwebezustand des Rechts", der sein Provisorium erst im unbedingten Verpflichtungs- und Sittlichkeitsstreben der Moral verliert.[2] Für das von der Moral strikte unterschiedene Recht folgt daraus, daß die fehlende Anerkennung des einen zu einer, jedenfalls temporären Dementierung des Vernunftanspruchs durch den anderen führt. Denn beraubt mich der andere meiner Freiheit, „so bin ich immer genötigt, die Handlung ihm, dem gleichen Sinnenwesen C zuzuschreiben". Demnach, so Fichte weiter, kann ich, mit vollkommener Konsequenz, die hier mein einziges Gesetz ist, „ihn für diesen Fall behandeln, als bloßes Sinnenwesen, so lange, bis beides, Sinnlichkeit und Vernünftigkeit in dem Begriffe von seiner Handlung wieder vereinigt ist".[3] Spätestens an dieser Stelle scheint aber auch das Problem auf, das mit dieser Deduktionslogik einer „reellen philosophischen Wissenschaft" verbunden ist. Für

Fichte war ja die Begründung des Rechts- und Anerkennungsverhältnisses nur deshalb möglich, weil sich die handelnden Akteure wechselseitig einen Vertrauensvorschuß und d. h. einen Vernunftkredit gegeben haben. In dem Augenblick jedoch, wo dieser Kredit verbraucht ist, fehlt es offensichtlich an einer Basis für die „freie Wechselwirksamkeit" prima facie vernünftiger Wesen. Wenn aber dieses Bewußtsein nicht (mehr) gewährleistet ist, wie soll dann eine Wiederherstellung des
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[1]GAI, 3, 385.
[2] „Das Rechtsgesetz findet darum eine Anwendung nur", so Fichte, „inwiefern das Sittengesetz noch nicht allgemein herrscht, und als Vorbereitung auf die Herrschaft desselben." (vgl. die Rechtslehre, SW X, S. 502). Und kurz darauf heißt es: Der Staat „geht [...] darauf aus, sich aufzuheben, denn sein Ziel ist die Sittlichkeit, diese aber hebt ihn auf." (GA II, 13, 228).
[3] GAI, 3, 355 f.

Rechtsverhältnisses aussehen? Formen der Anerkennung stehen dafür nicht zur Verfügung. Letztere sind wegen der Freiheitsverletzung des anderen gerade aus- geschlossen.[1] Durch die damit entstehende Asymmetrie der Kommunikation droht zugleich eine Regression der Vernunft. Insofern stößt vor allem eine (erneute) Aufforderung auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Der vernünftige und hier ebenso konsequent Handelnde darf den anderen als Unvernünftigen ansprechen, schließlich hat sich dieser wissentlich seines Vernunftstatus begeben. Gleichzeitig treibt er so aber die Ermöglichungsbedingungen des Rechts, pointiert formuliert, in eine aus Freiheitsgesichtspunkten kaum noch beherrschbare Mißtrauens- und Irrationalitätsspirale hinein. Denn mit der Umstellung auf „bloße Natur", so scheint es, folgt nun auch der vernünftige Teil des Kommunikationsgefüges zwar nachvollziehbaren, aber in der Sache rein partikularen oder doch funktionalen Interessen. Eine freiheitsbasierte und reflektierte Verständigung rückt damit in noch größere Ferne. Fichte hat im Rahmen seiner transzendentalen Deduktion des Rechtsbegriffs offengelassen, wie eine Lösung dieses Problems aussehen könnte. Denkbar wäre, daß das Anerkennungsverhältnis immer schon mit Blick auf den Staats- (vertrags)gedanken zu interpretieren ist und von dort auch eine weitergehende Legitimationsgrundlage erhält. Wir werden an anderer Stelle darauf zurückkommen.[2]

Innovationen des Geistes

Hegels Sozialtheorie ist eine Topographie moderner Lebensformen, eine Analyse personalen Handelns und Urteilens. Insoweit knüpft dieses Projekt, nicht zuletzt dessen Rechtsbegriff, an wesentliche Einsichten Fichtes an. Gleichzeitig sind die methodischen und inhaltlichen Absetzbewegungen unverkennbar. Sie führen in den Grundlinien und der Berliner Enzyklopädie zu einer völlig eigenständigen Kon- zeption.[3] Die notorische Ambivalenz erklärt sich vor allem aus Hegels Selbst-
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[1] In diesem Sinne auch die Analyse bei H. Verweyen: Recht und Sittlichkeit bei J.G. Fichte, a.a.O., 87 ff.
[2] Verwiesen sei dazu insbesondere auf die Ausführungen unter Punkt III.
[3] Zur Rechtsphilosophie Hegels vgl. hier nur die Arbeiten von S. Avineri: Hegels Theorie des modernen Staates, Frankfurt a. M. 1976; D. Henrich / R.-P. Horstmann (Hrsg.): Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik, Stuttgart 1982; A. Honneth: Leiden an Unbestimmtheit, Stuttgart 2001, 17 f.; J.-F. Kervegan: „Hegel und die Vergesellschaftung des Rechts durch den Staat", in: Rechtshistorisches Journal 12 (1993) 443 ff.; A. Peperzak: Hegels praktische Philosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991; R. Pippin: Die Verwirklichung der Freiheit, Frankfurt a. M. 2005, 71 ff.; M. Quante: Hegels Begriff der Handlung, Stuttgart-Bad Cannstatt 1993, 111 ff.; M. Riedel: Studien zu Hegels Rechtsphilo- sophie, Frankfurt a. M. 1969; ders. (Hrsg.): Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, Frankfurt a. M. 1975; W. Schild: „Bemerkungen zum ,Antijuridismus' Hegels", in: G. Haney et al. (Hrsg.): Recht und Ideologie in historischer Perspektive, Freiburg 1998, 124; H. Schnädel- bach: Hegels praktische Philosophie, Frankfurt a. M. 2000, 150 f.; L. Siep: „Hegels Metaphysik der Sitten", in: D. Henrich / R.-P. Horstmann (Hrsg.): Metaphysik nach Kant? Stuttgart 1988, 263 ff.; ders.: Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels, München 2010; S. Stübinger: Das „idealisierte" Strafrecht, Frankfurt a. M. 2007, 61 ff. sowie C. Taylor: Hegel, Frankfurt a. M. 1975; K. Vieweg: Das Denken der Freiheit, Paderborn 2012 und B. Zabel: Die Vernunft des Leviathan (im Erscheinen). - Zitiert wird, wenn nicht anders vermerkt, nach G.W.F. Hegel: Gesammelte Werke (GW), herausgegeben von der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften, Hamburg 1968 ff.

verortung innerhalb der rechts- und freiheitsphilosophischen Tradition, die spätestens in den Jenaer Jahren einsetzt.[1] Offenkundig ist allerdings der gemeinsame gedankliche Ausgangspunkt. Hegel identifiziert ihn über sämtliche Rezeptionsphasen hinweg mit der transzendentalphilosophischen Wende Kants, also mit der Verabschiedung der klassischen Metaphysik zugunsten einer an den Leistungen der Subjektivität orientierten Wissensbegründung und -artikulation.[2] Ähnlich wie Fichte bestimmt Hegel Subjektivität - das (gedachte) Ich - als sich bewußt werdende und sich dabei unterscheidende Tätigkeit. Angesprochen ist hier eine praxiskonstitutive Tätigkeit, die immer schon auf immanente Differenzierungs- und Reflexionsprozesse verweist. Hegel nennt das die „absolute Reflexion" und will damit die Einheit von unterschiedslosem Selbstbezug, unterscheidender Selbstbestimmung und sich daraus entwickelndem Ganzen zum Ausdruck bringen. Die philosophische Begründung generischen bzw. allgemeinen Wissens stellt sich so als ein wechselseitiges Konstruieren und Rekonstruieren, als eine systematische Explikation der Ermöglichungsbedingungen gemeinschaftlichen Denken und Handelns dar. Anders als Fichte, aber auch anders als Kant, greift Hegel dafür nicht auf die Logik der transzendentalen Deduktion zurück, im Gegenteil, für Hegel sind die Formen selbstbewußter Sinndeutung im Wege der dort vollzogenen Kritik menschlichen (Selbst-)Bewußtseins überhaupt nicht angemessen darstellbar. Ausschlaggebend ist für Hegel der Rückgriff auf sein Modell der dialektischen Be- griffsanalyse.[3] Die Begründung des je verfügbaren, allgemeinen Wissens einer

Epoche ist danach immer schon als Reflexion, d. h. als Nach-Denken über eine gleichsam vorfindliche Praxis, die Institutionen unseres Urteilens und Orientierens in der Welt, zu verstehen. Deshalb geht es auch nicht (nur) um die Wahrheitskriterien eines wie auch immer bestimmten Sollens, dem schließlich eine reelle, also wirklichkeitsbasierte Verständigung individueller Akteure korrespondieren müßte. Die Rede über anerkannte Wissens- und Handlungsformen bezieht sich vielmehr auf
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[1] Sichtbar wird diese Positionierung bereits in der Differenzschrift von 1801; markant dann im Naturrechtsaufsatz von 1802 und erstmals systematisch entwickelt in der Phänomenologie von 1807.
[2] Auf Hegels Kantkritik kann vorliegend nicht näher eingegangen werden, zum aktuellen Diskussionsstand siehe etwa die Arbeiten von R. Brandom: Making it Explicit, Cambridge, Mass. 1994; J. Habermas: Treffen Hegels Einwände gegen Kant auch auf die Diskursethik zu? Frankfurt a. M. 1991, 9ff.; D. Henrich: Selbstverhältnisse, Stuttgart 1982, 22001, 173 ff.; ders. (Hrsg.): Kant oder Hegel? Stuttgart 1983; R. Pippin: „Rigorism and the ,New Kant'", in: V. Gerhard et al. (Hrsg.): Kant und die Berliner Aufklärung, Berlin / New York 2001 und G. Prauss: Moral und Recht im Staat nach Kant und Hegel, Freiburg / München 2008.
[3] Zu Hegels Verständnis der (antiken) Dialektik siehe etwa K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, Bonn 1976; C. Fricke (Hrsg.): Das Recht der Vernunft, Stuttgart-Bad Cannstatt 1995; H. G. Gadamer: Hegels Dialektik, Tübingen 1971; D. Henrich: Hegel im Kontext, a.a.O., 73 ff.; M. Riedel: Hegel und die antike Dialektik, Frankfurt a. M. 1990 und P. Stekeler-Weithofer: Philosophie des Selbstbewußtseins, a.a.O., 176 ff., 363 sowie ders., Das Vernünftige ist wirklich, in: T. Rentsch (Hrsg.): Zur Gegenwart der Philosophie, Dresden 2008, S. 385 ff. und B. Zabel: Schuldtypisierung als Begriffsanalyse, Berlin 2007.

eine grundsätzlich als vernünftig wahrgenommene Entwicklung derselben in der Zeit. Hegel behauptet hier eine Strukturgeschichte der Vernunft - und ist sich insoweit mit Vico und Montesquieu einig -, die auf der Ebene der begrifflichen Erfassung unserer Lebensformen notwendig den Typus einer „erfahrungsgesättigten Normativität" impliziert. In genau diesem Sinne ist die heute berühmt-berüchtigte These von Vernünftigkeit des Wirklichen in der Vorrede der Rechtsphilosophie zu lesen.[1] [2] Wir bestimmen also nicht irgendwelche Phänomene und tatsächlichen Gegebenheiten als verbindlich und sinnvoll, sondern nur solche, die wir auch in ihrer geschichtlichen Genese für reflektiert, Hegel spricht hier auch von „gediegen", in der Sache als belastbar und damit als allgemein handlungsleitend ansehen. Schon frühzeitig verwendet er für dieses Konzept des Gebens und Nehmens von Gründen, der kooperativen Verständigung und Kommunikation, den Begriff des Geistes. Dementsprechend heißt es dann auch in § 4 der Grundlinien: „Der Boden des Rechts ist überhaupt das Geistige und seine nähere Stelle und Ausgangspunkt der Wille, welcher frei ist, so daß die Freiheit seine Substanz und Bestimmung ausmacht und das Rechtssystem das Reich der verwirklichten Freiheit, die Welt des Geistes aus ihm selbst hervorgebracht, als eine zweite Natur, ist." Abgegrenzt wird diese Begriffs- und Strukturbestimmung in zweierlei Richtung: Zum einen im Hinblick auf die (positive) Rechtswissenschaft als formelle Einzelwissenschaft. Diese hat es vornehmlich mit Definitionen zu tun und insoweit anzugeben, „was Rechtens ist, d. h. welches die besonderen gesetzlichen Bestimmungen sind [...] ."26 Freilich, so Hegel, werde die Richtigkeit der Definition in Übereinstimmung mit den vorhandenen Vorstellungen gesetzt. Weshalb bei dieser Methode das, „was allein wissenschaftlich wesentlich ist, in Ansehung des Inhalts die Notwendigkeit der Sache an und für sich selbst (hier des Rechts), in Ansehung der Form der Natur des Begriffs, beiseite gestellt [wird]".[3] Die philosophische Rechtswissenschaft hingegen, so sagt es § 1 der Grundlinien, „hat die Idee des Rechts, den Begriffs des Rechts und dessen Verwirklichung zum Gegenstande". Damit ist der Unterschied klar: Philosophisch kann es immer nur um die durch das Recht repräsentierten Tiefenstrukturen des Allgemeinen gehen. Die einzelne Ausgestaltung dieses Allgemeinen, man denke an das konkrete Gesetz oder die zeitbedingte Formierung der

Dogmatik, sind nicht die Sache des Philosophen, sondern betreffen die - zweifellos wichtigen - Rationalitätsstandards und das Systematisierungsinteresse der Ein zelwissenschaft.[4] Abgegrenzt wird das oben genannte Anliegen auch noch nach einer anderen Seite, nämlich in Bezug auf die genetische Bestimmung des Rechtsbegriffs. Hegel nimmt hier den Faden der Fichteschen Argumentationslogik wieder auf, wenn er das Recht als beständigen Prozeß der Selbstreflexion endlicher Vernunft, d. h. des subjektiven Geistes, aufweist. In diesem Gewordensein des Rechts liegen für Hegel wie für Fichte die Voraussetzungen der Selbsterfassung des Willens,
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[1] Die Mißverständnisse dieser Formulierung sind inzwischen Legion; die krasseste Einschätzung lieferte wohl H. Kiesewetter: Von Hegel zu Hitler, Hamburg 1974.
[2]GW 14.1, § 3, 26.
[3] Ebenda.
[4] Dazu ausdrücklich GW 14.1, § 3, 26.

insbesondere aber die Bedingungen der Möglichkeit personaler und wechselseitiger Freiheit beschlossen.[1] Im System der Enzyklopädie werden diese Voraussetzungen dann durch die Ausdifferenzierung des Geistes in die Kontexte der Anthropologie, der Psychologie und Phänomenologie repräsentiert und konturiert. Gleichzeitig wird auf diese Weise der Weg zu dem geebnet, was Hegel als „die wesentliche Entwicklung des substantiellen Inhalts der Idee" bezeichnet, „eine Entwicklung, in welcher der Begriff die zunächst selbst abstrakte Idee zur Totalität ihres Systems bestimmt, die als das Substantielle, unabhängig von dem Gegensatze eines bloß subjektiven Zwecks und seiner Realisierung, dasselbe in diesen beiden Formen hat".[2] Freilich tritt an dieser Stelle wieder der eigenständige und „wesenslogische" Charakter des Hegelschen Rechtsbegriffs hervor. Denn in der Entfaltung oder, wie wir heute sagen würden, in der Explikation des (sittlichen) Daseins kommt es nunmehr darauf an, die Gesamtheit der objektiven Gestaltungen des Geistes auch und gerade für den Einzelnen als vernünftige zu kennzeichnen und sie insofern, wie § 29 Grundlinien ausdrücklich betont, als Dasein des freien Willens, oder eben als die verwirklichte Idee der Freiheit zu begreifen. - Ob und in wieweit allerdings der so formulierte Anspruch realisiert, ob also die angesprochene Totalität des Systems ohne totalitäre Überformungen individueller (Selbst-)Orientie- rungen eingelöst wird, kann auch hier erst ein Blick auf die ausgearbeitete Staatsund Institutionenordnung zeigen.[3]

Transzendentale vs. spekulative Argumente

Eines ist aber zunächst deutlich geworden: Die Rechtsphilosophien Fichtes und Hegels beruhen auf je unterschiedlichen methodischen Voraussetzungen. Während Fichte, wie gesehen, das deduktive Prinzip Kants bis in den pragmatischen Teil seiner Wissenschaftslehre verlängert, ordnet Hegel sein System des (objektiven) Geistes auf der Grundlage einer logischen Strukturanalyse. Die in der Hegelschen Logik entworfene spekulative Methode kann dabei, mit Rüdiger Bubner, als Metakritik, als sinnstiftende Reflexion auf unsere wesentlichen Begriffe und praxisrele- vanten Ideen verstanden werden.[4] Mit der Rede vom Begriff will Hegel in hochstufiger Form darauf aufmerksam machen, daß wir es häufig - so auch im Recht - mit unterschiedlichen, partiell auch widersprüchlichen Funktionsbestimmungen unserer Urteile, Handlungen und Lebensformen zu tun haben, die aber als Repräsentanten eines kohärenten Weltmodells zu einer Synthese geführt werden müssen. Kommentierend heißt es dazu in § 31 der Grundlinien: „Das bewegende Prinzip des Begriffs, als die
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[1] Zur sogenannten Willensdialektik der GW 14.1, §§ 4ff., 31 ff.
[2]GW 14.1, § 28, 45.
[3] Wir werden das unter Punkt III.2 vertiefen.
[4] Zu Hegels Logik vgl. hier nur die Analysen von R. Bubner: Von der Logik zur Sprache, Stuttgart 2007; K. Düsing: „Hegels Dialektik", in: H.-D. Klein (Hrsg.): Philosophia perennis, Frankfurt a. M. 1993, 126 ff.; Hf. Fulda: „Hegels Logik der Idee und ihre epistemologische Bedeutung", in: C. Halbig (Hrsg.): Hegels Erbe, Frankfurt a. M. 2004, 78; T. Pincard: The Logic of Hegel's Logic, in: M. Inwood (Hrsg.): Hegel, Oxford 1985, 85 ff.; P. Stekeler-Weit- hofer: Hegels analytische Philosophie, Paderborn 1992 und M. Theunissen: Sein und Schein, Frankfurt a. M. 1980.

Besonderungen des Allgemeinen nicht nur auflösend, sondern auch hervorbringend, heiße ich Dialektik [...]". Und weiter: „Die höhere Dialektik des Begriffs ist, die Bestimmung nicht bloß als Schranke und Gegenteil, sondern aus ihr den positiven Inhalt und Resultat hervorzubringen und aufzufassen. [.] Diese Dialektik ist dann nicht äußeres Tun eines subjektiven Denkens, sondern die eigene Seele des Inhalts, die organisch ihre Zweige und Früchte hervortreibt." Und am Ende des gleichen Paragraphen wird formuliert: „Etwas vernünftig betrachten heißt, nicht an den Gegenstand von außen her eine Vernunft hinzubringen und ihn dadurch bearbeiten, sondern der Gegenstand ist für sich selbst vernünftig; hier ist es der Geist in seiner Freiheit, die höchste Spitze der selbstbewußten Vernunft, die sich Wirklichkeit gibt und als existierende Welt erzeugt [.].". Gebraucht Hegel den Titel Idee, so geht es nicht um utopische Forderungen im Hinblick auf ein vorzustellendes Gutes oder Richtiges, sondern um die These, daß sich unser Wissen und Handeln notwendig im Spannungsfeld einer konkret erlebten Praxis und daran gekoppelter Zielvorstellungen bewegt.[1] Der oben bereits zitierte § 1 der Grundlinien, wonach „die philosophische Rechtswissenschaft die Idee des Rechts, den Begriff des Rechts und dessen Verwirklichung, zum Gegenstand [hat]", gewinnt vor diesem Hintergrund erst seinen vollen Sinn.

Fichte dagegen glaubt die Genese des reellen Selbstbewußtseins nur im Wege einer „ursprünglichen Einheit" (Henrich) begründen zu können. Ausschlaggebend ist eine Logik der Widerspruchsvermeidung und das daran gekoppelte Prinzip der produktiven Einbildungskraft, das den gegenläufigen „Strategien" der Selbstsub- jektivierung des Ich, nicht nur das Wissen über eine natur- und freigesetzlich begründete Welt vermittelt, sondern - daran wurde schon erinnert - zugleich den Nachweis erbringen soll, daß aus den Formen der Selbstreflexion des Absoluten erfahrbare Kontexte des Weltverstehens deduzierbar sind. Fichtes Bemühungen laufen deshalb notwendig auf die Frage hinaus: Wie das Ich sich seines Handelns bewußt zu werden vermag; die Suche nach einer überzeugenden Antwort mündet wiederum in die bereits aufgewiesene transzendentale Deduktion des Rechts. -

Hegel hat dieser Methode seit seiner Differenz-Schrift immer wieder den Vorwurf gemacht, daß sie bei der Antinomie von Ich und Nicht-Ich, bei dem Gegensatz von reinem und individuellem Selbstbewußtsein, stehen bleibe und auf diese Weise zu einem Staatsbegriff führe, der vor allem die Abgrenzung und Entgegensetzung praktischer Wirkungssphären betone; ein Problem, daß sich für Hegel durch die dichotomische Unterscheidung von Vernunft und Natur noch zusätzlich ver- schärft.[2] Freilich, das gerät schnell in Vergessenheit, wird Hegels spekulative Begriffsanalyse und die damit verbundene Idee einer Erfahrungsgeschichte des (objektiven) Geistes, seinerseits wegen ihrer alles in sich aufhebenden Dialektik, wegen ihres unausweichlichen wie machtvollen Holismus kritisiert und nicht selten allein als
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[1] Zu dieser (logischen) Redeform Stekeler-Weithofer: Das Vernünftige ist wirklich, a.a.O., 385 ff.
[2] Prononciert vorgetragen im Naturrechtsaufsatz, MM 2, S. 454; die Kritik findet sich, ausgearbeitet und im Kontext des enzyklopädischen Systems, in der Geschichte der Philosophie wieder, MM 20, 390.

philosophiehistorisches Konzept anerkannt.[1]

Zum Verhältnis von Recht, Person und Staat​


Vom Zwangsrecht zum Vertragsschluß

Fichtes Theorie des Staates ist, wie die Naturrechtslehre im zweiten Teil betont, „angewandtes Naturrecht".[2] Dem vorausgegangen sind bereits die „Deduktion der Anwendbarkeit des Rechtsbegriffs" in den §§ 5-7 und die „Systematische Anwendung des Rechtsbegriffs" in den §§ 8-16 der Naturrechtslehre. Die Frage nach der „Anwendbarkeit des Rechtsbegriffs" zielt, neben den physischen Daseins- und Einwirkungsbedingungen der Akteure, vor allem darauf, „wie eine Gemeinschaft freier Wesen, als solcher, möglich [ist]".[3] Fichte versucht also in der Tat, das in den §§ 1 - 4 der Naturrechtslehre entwickelte Anerkennungsverhältnis in die entsprechenden Kontexte eines gesetzlich verfaßten Kommunikations- und Handlungsregimes zu plazieren, denn, so die klar an Kant angelehnte Formulierung, eine Kooperation mehrerer ist nur dann möglich, wenn es sich „jedes freie Wesen zum Gesetze mache, seine Freiheit durch den Begriff der Freiheit aller übrigen einzuschränken".[4] Allerdings unterliegt auch diese Prämisse dem Fichteschen Modell der durch die Denknotwendigkeit des Rechts forcierten Logik des Hypothetischen, eine Logik, die, soll sie einen Rechtszustand garantieren, auf die „Realisierung des Reellen", des lebens- und freiheitserhaltenden Staates, zielen muß. Das Reelle sind hier aber die praktisch handelnden Akteure selbst; und zwar als bedürfnisgeleitete, durch Selbststilisierung und Sicherheitsstreben charakterisierte Wesen. Problematisch sind diese Interaktionsformen deshalb, weil ihnen immer schon das Potential der Freiheitsverletzungen innewohnt, insofern beurteilt Fichte dieses Vereinigungsband als „Schweben der Einbildungskraft", das sich gerade aus dem zu erwartenden rechtswidrigen Angriff erklärt und vom dem niemand weiß, welchen Bürger er treffen wird.[5] Spätestens mit der Erfahrung des Vertrauensverlustes ist es jedoch auch mit dem, wie Fichte sagt, „Treu und Glauben" vorbei. Erschüttert ist nicht nur der Glaube
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[1] Vgl. dazu vor allem die Positionen von R.-P. Horstmann: „What is Hegel's legacy and what should we do with it?", in: European Journal of Philosophy 7 (1999) 275 und H. Schnädelbach: „Warum Hegel?", in: Information Philosophie 4 (1999) 76 ff.
[2] Zu Fichtes Staats(rechts)lehre vgl. C. Binkelmann: Theorie der praktischen Freiheit, a.a.O., 130ff.; B. Frischmann: „Fichte über den Rechts- als Sozialstaat", in: Fichte-Studien 29 (2006) 45 ff.; G. Geismann: „Fichtes ,Aufhebung' des Rechtsstaates", in: Fichte-Studien 3 (1991) 86 ff.; H. Heimsoeth: J.G. Fichtes Aufschließung der gesellschaftlich-geschichtlichen Welt, a.a.O., 584 ff.; I. Maus: „Die Verfassung und ihre Garantie", in: Jean-Christophe Merle (Hrsg.): Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts, Berlin 2001, 139 ff. (= Reihe: Klassiker Auslegen, Bd. 24); R. Schottky: Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie im 17. und 18. Jahrhundert, München 1962 und L. Siep: „Naturrecht und Wissenschaftslehre", a.a.O., 71 ff.
[3] GA I, 3, 383.
[4] GA I, 3, 389.
[5] „[.| der Begriff desjenigen überhaupt, was zu beschützen ist, ist im Schweben" SW III, S. 202. Zum ganzen auch R. Schottky: Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie, a.a.O., 190.

an die bestehende Stabilität der Gemeinschaft, sondern auch an die zukünftige Basis wechselseitiger Kommunikation und Sicherheit. D.h. aber nichts anderes, als daß Treue und Glauben einen belastbaren Rechtszustand nicht garantieren können. „Von dem Ungrunde des gegenseitigen Mißtrauens", so Fichte, „können die Parteien nicht überzeugt werden, indem eine solche Überzeugung nur auf einen befestigten, und vor allem Nachgiebigkeit, und Schwachheit gänzlich gesicherten guten Willen aufgebaut werden könnte; ein Glaube, den kaum jemand in sich selbst, geschweige denn in einen anderen setzen kann".[1] Es läßt sich gut erkennen, wie in den §§ 8ff. der Naturrechtslehre die bereits analysierte Struktur des Rechts- und Anerkennungsbegriffs ihre unmittelbare Fortsetzung findet. Das fiktive Urrecht der Individuen wandelt sich hier zum konfliktorientierten Status der handelnden Personen. Fichte bricht damit die hypothetische Vernunftgemeinschaft auf eine praktische Kooperation „rationaler Egoisten" herunter, die ihre Angelegenheiten grundsätzlich im Kalkül „universellen Mißtrauens" verhandeln, denn, so die These, das „vernünftige Wesen ist nicht absolut durch den Charakter der Vernünftigkeit verbunden, die Freiheit aller Vernunftwesen außer ihm zu wollen [.. .| In der Moral zeigt sich eine Verbindlichkeit, dies zu wollen. Man kann im Naturrechte jedem nur sagen, das und das werde aus seiner Handlung folgen".[2] Die Verbindlichkeit im Recht kann also nicht durch ein Gesetz der sittlichen Selbstbestimmung und -beschränkung, sondern ausschließlich durch das Zwangsrecht hergestellt werden. Indes, das Zwangsrecht als solches führt nur zu Gewalt und Gegengewalt oder, bestenfalls, in eine „Aporie der Ungewißheit"; notwendig ist vielmehr die Einsicht der Akteure, daß die wechselseitige Freigabe mit einem wechselseitigen Sicherheitsversprechen verbunden sein muß und daß dies nur durch eine freiwillige Unterwerfung unter einen Dritten möglich ist, der zugleich die Herrschaft des

(positiven) Gesetzes, die alles entscheidende Rechtsmacht, repräsentiert. „Die Sicherheit der Rechte aller", so heißt es in der Begründung des gemeinen Wesens, „wird nur durch den übereinstimmenden Willen aller, durch die Übereinstimmung dieses ihres Willens gewollt."[3] Fichte entwickelt damit in der Naturrechtslehre, vor allem Siep hat darauf hingewiesen, eine doppelte Theorie der Verbindlichkeit: eine Verbindlichkeit theoretischer Konsequenz, die sich auf den Gesetzescharakter des Rechts- und Anerkennungsverhältnisses bezieht und eine Verbindlichkeit reeller Konsequenz, die eben das Eingehen einer Rechtsgemeinschaft mit Zwangsrechten zum Gegenstand hat.[4] Gleichzeitig entschärft er auf diese Weise das dem hypothetischen Kommunikationsparadigma immanente Problem der nicht auflösbaren Asymmetrie zwischen berechenbaren und willkürlichen, also letztlich ungewissen Verhaltensformen; und zwar dadurch, daß er die Kooperation der Individuen nicht mehr an das interne, aber labile „Gleichgewicht der Kräfte", an eine „Anscheinsvernunft
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[1] GA I, 3, 425.
[2] GA I, 3, 386.
[3] GA I, 3, 433.
[4] Siep, Ludwig: „Naturrecht und Wissenschaftslehre", in: M. Kahlo et al. (Hrsg.): Fichtes Lehre vom Rechtsverhältnis, Frankfurt a. M. 1992, 71, 85.

", sondern an die gehorsamverpflichtende und insofern sicherheitsgewährleistende Norm oder, wie wir heute sagen würden, an das Gewaltmonopol des Staates, bindet.[1] Die §§ 13 ff. der Naturrechtslehre, aber auch die Diskussion der Staatsrechtslehre in den §§ 17 ff., thematisieren schließlich die einzelnen Verwirklichungsbedingungen der Rechtsgemeinschaft als Rechts- bzw. Vernunftstaat. Fichte hat diese Bedingungen in eine komplexe Vertragskonstruktion überführt, die sich wesentlich von den Modellen der vormodernen Tradition (man denke hier nur an Hobbes, Locke oder Pufendorf), mit ihrer Unterscheidung zwischen Gesell- schafts- und Herrschaftsvertrag abgrenzt.[2] Ausgangspunkt ist eine formale Stufung der Verpflichtungsniveaus. Sie setzt bei der Begründung einer rechtsdurchsetzenden Zwangsgewalt ein und erweitert sich dann zu einem Staatsbürgervertrag, der sich selbst wieder in einen Eigentums-, Schutz-, Vereinigungs- bzw. Unterwerfungsvertrag sowie einen davon nochmals unterschiedenen Abbüßungsvertrag ausdifferenziert. Die Logik dieser Konstruktion spiegelt den von Fichte dargestellten Erfahrungshorizont und die damit verbundenen Reflexionsformen des reellen Bewußtseins wider. Durch die eingegangenen Verpflichtungen stattet der Einzelne die Macht der Allgemeinheit mit formellen und materiellen Kompetenzen und sich mit zunehmenden Rechten aus, bis er sich im Einigungs- und Unterwerfungsvertrag als Teil eines organisierten Ganzen bestimmen kann, wobei Fichte die daran geknüpften Erwartungen an eine effektive Machtbegrenzung und Gewaltenteilung durchaus sieht.[3] Allerdings steht auch dieses - grundsätzlich sanktionierte - Gegenseitigkeitsverhältnis unter einer „auflösenden Bedingung", nämlich der Rechtsverletzung, des Unrechts, im Staat. Nirgends wird deutlicher, daß Fichte sowohl sein Konzept der Rechtsbegründung als auch das der Rechtsanwendung unter die Kau- telen des methodischen Individualismus stellt. Der Bürger wird rechtlos und gilt als vogelfrei. Die Exklusion kann zwar durch den genannten Abbüßungsvertrag verhindert werden; allein, die Tatsache, daß die Rechtsgewährleistungsstandards des Gemeinwesens nun doch wieder - jedenfalls partiell - vom exzentrischen Verhalten des Einzelnen abhängig sein sollen, ist höchst problematisch. Ganz abgesehen davon, daß Fichte nicht offenlegt, wie ein rechtlos gestelltes Individuum überhaupt Rechte aus und durch einen (Abbüßungs-)Vertrag geltend machen kann.[4] [5] Damit treten nun im Rahmen der
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[1] C. Möllers: Staat als Argument, München 2000.
[2] Die entsprechenden Entwicklungs- und Begründungslinien analysieren W. Kersting: Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrages, Darmstadt 1994 und R. Schottky: Untersuchung zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie, a.a.O.
[3] Auf die Problematik des Ephorats kann vorliegend nicht näher eingegangen werden; ausführlich diskutiert wird sie bei M. Bazzan: „Das Ephorat bei J.G. Fichte", in: FichteStudien 27 (2006) 117 ff.; I. Maus: Die Verfassung und ihre Garantie, a.a.O., 2001, 139 ff. und
[4]R. Schottky: Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie, a.a.O., 228 ff.
[5] Zu den verbleibenden Deutungs- und Rechtfertigungsmöglichkeiten des Abbüßungsvertrages A. Lazzari: „,Eine Fessel, die nicht schmerzt und nicht sehr hindert'. Das Strafrecht, in: Jean-Christophe Merle (Hrsg.): Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts, Berlin 2001, 173 ff. (= Reihe: Klassiker Auslegen, Bd. 24); J.-C. Merle: Strafen aus Respekt vor der Menschenwürde, Berlin / New York 2007, 77; G. Mohr: „Recht als Anerkennung und Strafe als ,Abbüßung'", in: B. Merker et al. (Hrsg.): Subjektivität und Anerkennung, Paderborn 2004, 243 ff.; H. Verweyen: Recht und Sittlichkeit in J.G. Fichtes Gesellschaftslehre, a.a.O. und R. Zaczyk: Das Strafrecht in der Rechtslehre J.G. Fichtes, Berlin 1981, 79.

realen Sphäre des Staates erneut die Schwierigkeiten auf, die doch ursprünglich den Grund dafür geliefert haben, den Naturzustand resp. die hypothetische Anerkennungsgemeinschaft zugunsten einer reellen Ordnung mit Zwangsrechten zu transzendieren. - Ohne Zweifel, darauf ist immer wieder hingewiesen worden, ist die Fichtesche Konzeption der Rechts- und Staatsbegründung durch diejenige Lockes, Kants und Rousseaus, besonders aber durch das Vertragsmodell Hobbes' beeinflußt.[1] Letzteres irritiert zunächst, wenn man sich die unterschiedlichen methodischen Prämissen, vor allem den freiheitstheoretischen Anspruch Fichtes vor Augen hält. Bei genauerem Hinsehen erklären sich jedoch die Konvergenzen: So ist die Rechtsphilosophie Fichtes, und zwar nicht nur die Naturrechtslehre von 1796, sondern - mutatis mutandis - auch die späteren Konzeptionen des geschlossenen Handelstaates von 1800, der Rechtslehre von 1812 und letztlich auch der Staatslehre von 1813, mit dem vorrangigen Ziel verbunden, die Subsistenzbedingungen des Einzelnen aufzuweisen und zu garantieren.[2] Fichte greift hier auf die Idee vom homo oeconomicus bzw. homo rationalis sensibilis zurück und verknüpft deren Profil mit seinem Realitäts- und Praxisbegriff. Die

Konsequenz ist eine umfassende Anthropologisierung des Kommunikationsparadigmas, wie sie in der Charakterisierung der egoistischen Bedürfnisstruktur, des Sicherheitsstrebens und der Erwartungsenttäuschung der Akteure zum Ausdruck kommt. Entscheidend ist allerdings, daß Fichte die daraus erwachsende „Logik des Mißtrauens" an das Rechtsgesetz koppelt und damit generalisiert. In der Sache hat sich Fichte hier dem schon von Hobbes favorisierten Leistungs-Legitimations-Paradigma weitgehend angenähert. Die zwangsbewährte Neutralisierung des Vertrauensverlustes wird im Gegenzug durch eine individuelle Anerkennung der staatlichen Übermacht „honoriert".[3] Freilich schmilzt so der Freiheitskern seiner Rechtsphilosophie auf ein Minimum zusammen. Zurück bleibt die unbestreitbare Gewißheit einer „höheren Freiheit".[4] Fichte ist sich der Problematik durchaus bewußt; aber das reelle Recht als Garant der Konfliktbefriedung, verlangt offensichtlich nach einer solchen Form der Beschränkung. In der Rechtslehre von 1812 heißt es dann auch: „Nun wird [...] der Rechtszustand eingegangen, lediglich um der Freiheit willen. Aber durch die Vorkehrungen, die wir treffen, sie zu schützen, sehen wir das ganze Gegenteil erfolgen, ihre Vernichtung."[5] Gerade deshalb geht das gesamte systematische Bestreben, nun
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[1] Das arbeiten besonders H. Verweyen: Recht und Sittlichkeit in J.G. Fichtes Gesellschaftslehre, a.a.O.; R. Schottky: Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie, a.a.O., 176 und L. Siep, „Naturrecht und Wissenschaftslehre", a.a.O., 71 ff. heraus.
[2] Zu den sonstigen Differenzen der rechtsphilosophischen Modelle vgl. G. Geismann: Fichtes Aufhebung des Rechtsstaates, a.a.O., 86 ff.; C. Stadler: „Dimensionen und Wandlungen des Fichteschen Rechtsbegriffs im Vergleich Jena-Berlin", in: Fichte-Studien 27 (2006) 57 ff. und M. Takada: „Zur Umwandlung der Staatslehre des späten Fichte", in: Fichte-Studien 27 (2006) 129 ff.
[3] Genealogisch analysiert hat diese Struktur zuletzt B. Zabel: „Die ordnungspolitische Funktion des Strafrechts", in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 120 (2008) 68 ff.
[4] Instruktiv dazu C. de Pascale: „Freiheit und Notwendigkeit beim späten Fichte", in: A. Mues (Hrsg.): Transzendentalphilosophie als System, Hamburg 1989, 453 ff.
[5] GA II, 13, 226.

im Gegensatz zu Hobbes, auf eine Überwindung dieser zwingenden äußerlichen Notwendigkeit und auf eine fortschreitende Verwirklichung sittlicher Freiheit. Aber von welchen Freiheiten ist hier die Rede? Die Freiheit des Rechts, der Individuen, scheint nur ein Desiderat der reellen und durch Zwang vermittelten Herrschaft des Gesetzes, der technisch-praktischen Vernunft, zu sein; während erst die sittliche Freiheit die wahre und deshalb auch wirkliche Bestimmung des Menschen zur Geltung bringt. Wenn man so will, ließe sich hier auch von einer „Minimalfreiheit" des Rechts und einer optimalen bzw. konkreten Freiheit des Sittlichen sprechen. Fichtes Verhältnisbestimmung von Recht, Autonomie und Sittlichkeit ist genau durch dieses Spannungs- und Bedingungsverhältnis geprägt. Insoweit ist das Recht die Voraussetzung, die Bedingung der Sittlichkeit. Nur heißt das auch, daß eine ausschließlich vom Recht regierte Gemeinschaft in der Fichteschen Philosophie nicht vorstellbar wäre. Vielmehr geht es immer zugleich um eine (moralische) Vervollkommnung der Gesellschaftsmitglieder, um die Ausbildung zur freien, nämlich autonomen Selbständigkeit usw. Freilich war sich Fichte nicht im Klaren, wie dies zu bewerkstelligen war. Soll es der Staat selbst als „sittlicher Staat" sein, der die Spannung zwischen rechtlicher Notwendigkeit und sittlicher Freiheit auflöst oder kann es nur um eine langfristige Überwindung des Staates gehen, insofern das „letzte Ziel" des Staates seine Aufhebung durch die Sittlichkeit ist?[1] Zwar hat Fichte den Staat als Rahmenordnung menschlichen Handelns und Urteilens in seiner späten Rechtsphilosophie wesentlich positiver bewertet als noch in der Naturrechtslehre; zu einem eindeutigen, auch geschichtsphilosophisch begründeten Standpunkt hat sich Fichte jedoch nicht durchringen können.[2] Es ist Hegel, der sich mit seiner Philosophie des (objektiven) Geistes dieses Problems erneut annehmen wird.

Institutionen der Freiheit

Hegels Theorie des modernen Staates ist reflektierte Institutionenanalyse. Die andere Stelle bereits analysierte (Rechts-)Grundlage des gemeinschaftlichen Handelns und Urteilens, wird nunmehr im Kontext ihrer freiheitsverwirklichenden Formen, d. h. in den Strukturen und Verfahren einer sinnstiftenden Verfassung ver- ortet.[3] Im Unterschied zu Fichte und anknüpfend an seine spekulative Methode der Philosophie des Selbstbewußtseins geht es Hegel nicht darum, mit dem Recht, wie auch immer man es versteht, zugleich dessen funktionale, also technisch-praktische
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[1] In diesem Sinne die Rechtslehre, in: GA II, 13, 228.
[2] Zu Fichtes Geschichtsphilosophie K. Hammacher: Die ethische Teleologie in Fichtes System als Grundlage seiner Geschichtsphilosophie, Aachen 1958 und R. Schottky: Untersuchungen zur Geschichte der staatsphilosophischen Vertragstheorie, a.a.O., 238 ff.
[3] Weiterführend zum Hegelschen Staatsbegriff S. Avineri: Hegels Theorie des modernen Staates, a.a.O.; B. Bourgois: „Der Begriff des Staates", in: L. Siep (Hrsg.): Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 2005, 217 ff.;f. Rosenzweig: Hegel und der Staat, Frankfurt a. M. 2010; H. Schnädelbach: „Die Verfassung der Freiheit", in: L. Siep (Hrsg.): Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 2005, S. 243 ff.; insbesondere zur Verfassungskonzeption H.-C. Lucas / O. Pöggeler: Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte, Stuttgart-Bad Cannstatt 1986; zusammenfassend B. Zabel: Hegel Rechtsphilosophie, http://enzyklopädie-rechtsphilosophie.de.

Anwendbarkeit deduzieren zu wollen, sondern um eine topische, zeit- und situationsvariante Bestimmung der immer schon erfahrungsgesättigten Gehalte des Normativen. Gefunden ist so zumindest der Schlüssel für das bei Fichte ungelöste Problem der Vermittlung von Notwendigkeit und Freiheit. Denn, so Hegels pointierte Formulierung in der Enzyklopädie: „die Wahrheit der Notwendigkeit ist die Freiheit".[1] Artikuliert wird damit eine Einsicht, die für den modernen Staat, die moderne Gesellschaft, aber vor allem für den Einzelnen von zentraler Bedeutung ist. Institutionen bilden eine Art Garantiefunktion personaler Selbstbestimmung, Ermöglichungsbedingungen individueller Autonomie. Insofern sind sie „abgekühlte" oder doch rationalisierte Praxen der Sinnvermittlung und Konfliktlösung. Voraussetzung ist freilich, daß sie Verwirklichungsformen der Freiheit manifes- tieren.[2] Für Hegel sind das etwa die moderne bürgerliche Gesellschaft, das Eigentum, die Ehe und die Familie, aber auch die Universität oder die Sozialfürsorge. Sie entsprechen dem modernen Prinzip der Subjektivität, d. h. der Vernunft freiheitlichen Lebens. Nur ist das nicht selbstverständlich, wie Hegel selber sieht. Institu- tionalisierte Strukturen können auch zum Hemmnis individueller Autonomi- sierungsbestrebungen werden. Hegel erinnert hier, aus der Perspektive des beginnenden 19. Jahrhunderts, an Reste feudaler Abhängigkeitsverhältnisse oder patriarchal geführte Großfamilien. Letzteres ließe sich aber problemlos in die Gegenwart verlängern, denkt man nur an Formen religiös motivierter Intoleranz oder paternalistisch organisierter Lebensbedingungen. Intuitiv leuchtet eine solche Sichtweise durchaus ein, begrifflich jedoch bleibt das, was Hegel als „objektiv vernünftig" bezeichnet, das heißt die Abgrenzung zwischen freiheitlicher Daseinsform und freiheitsbehindernder Normkonzepte, zunächst im Dunkeln. Wesentlich scheint für Hegel auch hier der Verweis auf die Struktur- und Entwicklungsgeschichte handlungsleitender Praxisformen zu sein. Insofern zielt sie auf eine rationale Rekonstruktion der Genese, Ausprägung, aber auch des Verfalls bestimmter Institutionen. Diese Narrative der (Un-)Freiheit sind dann aber nicht als bloße Erzählungen im Sinne einer deskriptiven Historie überlieferter „Tatsachen" mißzuverstehen, für eine kritische Institutionenanalyse hätte ein solches Projekt überhaupt keinen Wert. Vielmehr werden die Freiheitsnarrative als veränderliche Reflexionsstandards und mit Blick auf das jeweils schon bekannte - und erreichte - Ziel formuliert.[3] Un
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[1] Enzyklopädie, in: GW 20, § 159, 176.
[2] T. Pinkard: „Innen, Außen, Lebensformen", in: C. Halbig (Hrsg.): Hegels Erbe, Frankfurt a. M. 2004, 254 ff. und R. Pippin: Die Verwirklichung der Freiheit, a.a.O., 59 ff.
[3] Es ist daran zu erinnern, daß das bekannte oder auch erreichte Ziel, von dem aus die Freiheits- und Institutionenanalyse erfolgt, nicht das „Ende der Geschichte", schon gar nicht den „absoluten Standpunkt" meint (mißverständlich hier K. Löwith: Von Hegel zu Nietzsche, in: Sämtliche Schriften, Bd. 4, Stuttgart 1988, 46 ff.), aber auch K. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. 2, Tübingen 1992, 6 f.), sondern nur darauf verweist, daß die Betrachtung aus der Gegenwart heraus erfolgt und erfolgen muß und deshalb auch nur die bisher erreichten Standards der Freiheitsverwirklichung als Maßstab der Beurteilungen dienen können. In diesem Sinne ist dann auch Hegels Rede von der Idee (des Rechts) zu verstehen: Mit ihr bezeichnet Hegel die als angemessen bewerteten Praxisformen, wie etwa die Strukturen des je funktionieren Staates, wobei die Evaluierung der entsprechenden Kriterien und Standards immer die idealtypische Perspektive der Rechtsverwirklichung einschließt (weshalb es Hegel nie nur um den realen und durchaus verbesserungswürdigen oder sogar -bedürftigen preußischen Staat von 1820 ging).

umgänglich ist eine Vergegenwärtigung langfristiger Entscheidungs- und Anerkennungsprozesse. Sie sind Ausdruck ideengestützter Emanzipationsleistungen autonom handelnder Akteure und damit Inbegriff dessen, was wir condition humaine nennen. Erst mit dieser Reflexion auf die je personalen Verhältnisse in der Zeit und deren expliziter Kontrolle, so die Überzeugung Hegels, kommt schließlich die Realentwicklung der praktischen Vernunft und ihr impliziter Geist zu sich selbst. Festzuhalten ist deshalb, daß es nur diese Vergewisserung des ewig Gegenwärtigen in der gewordenen Gestalt des bewußten Lebens sein kann, die auch eine belastbare Unterscheidung zwischen dem verfehlten Rekurs auf die Vernunft und dem richtigen Verständnis institutionellen Handelns und Urteilens ermöglicht, denn in der rationalen Rekonstruktion haben wir die anerkannten Institutionen immer schon als weitgehend vernünftige begriffen und damit zugleich unsere Zeit „in Gedanken erfaßt".[1] Insoweit darf die Rede von Vernunft und Vernunftbegründungen weder semantisch als wie auch immer faßbares „Großsubjekt" fehlgedeutet, noch, und epistemologisch, als eine absolute und insoweit metaphysische Wissens- und Deutungsinstanz, mit einem ebenso absoluten Wahrheits- und Richtigkeitsanspruch vorgestellt werden. Vernunft ist für Hegel ein Prozeß reflektierter Kommunikation und damit notwendige Bedingung rechtlicher Praxis. Auch wenn uns die Artikulation eines solchen Freiheits- und Institutionenkonzepts etwas zu emphatisch, die (geschichtliche) Entwicklung der Vernunft etwas zu geglättet erscheinen sollte, so garantiert sie als typisierende Wissensanalyse, d. h. als normativ begründete Matrix, zentrale Praxen des Zusammenlebens als intersubjektiv abgesicherte Kooperationsformen zu begreifen.[2] Hegels Leistung besteht vor allem darin, daß damit einhergehende Potential gesehen zu haben. Denn als Kooperationsformen bestimmen sie gestufte, jedenfalls aber voneinander unterschiedene Normierungs- und Verbindlichkeitssphären, wie sie uns im Recht, der Moral oder der Religion begegnen. Als intersubjektiv können sie bezeichnet werden, weil es, wie eben gezeigt, immer die handelnden Akteure sind, die durch ihre Strategien der Kommunikation, Partizipation und Teilnahme die Sinnpotentiale einer grundsätzlich anerkannten Kultur konkreter Freiheit bestätigen und weiterentwickeln. In der Hegelschen Strukturanalyse ist es insbesondere der Objektive Geist, der die entsprechenden Freiheitsspielräume zueinander in Beziehung setzt, deren Bedeutung für die Verwirklichung der Freiheit auslotet und so auch die Konsequenzen der erhobenen Geltungsansprüche zur Sprache bringt.[3] Die Objektivität des Geistes verweist aber zugleich darauf, daß diese
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[1]GW 14.1, Vorrede, 15.
[2] Zu den Details B. Bougeois: „Der Begriff des Staates", a.a.O., 217 ff. und W. Pauly (Hrsg.): Der Staat - eine Hieroglyphe der Vernunft, Baden-Baden 2009.
[3] Vgl. W. Jaeschke: „Genealogie des Rechts", in: B. Sandkaulen (Hrsg.): Gestalten des Bewußtseins, Hamburg 2009, 284ff.; J.-F. Kervegan: Hegel, Carl Schmitt, Paris 2005; G. Lübbe-Wolff: „Die Aktualität der Hegelschen Rechtsphilosophie", in: B. Sandkaulen (Hrsg.): Gestalten des Bewußtseins, Hamburg 2009, 328 ff.;f. Neuhouser: Foundations of Hegel's social theory, London 2000, 17 f.; A. Patten: Hegel's Idea of freedom, Oxford 2002, 121 ff. und 157 ff. sowie H. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, a.a.O., 199 ff.

Sphären nur dialektisch zu verstehen sind, d. h. als Kontextuali- sierung des Subjekts in den reflektierten Praxisformen einer staatlich verfaßten Ordnung. Denn eines ist für Hegel ausgemacht, nämlich „daß - als Angelegenheit des Subjekts - seine Vernunft dem Menschen im Recht entgegenkommen muß".[1] Hegel insistiert hier auf eine auch heute durchaus vertraute, wenngleich nicht notwendig explizite Überzeugung, wonach es immer auch des Blicks aus der Perspektive des als vollkommen verstandenen (Rechts-)Zustandes bedarf, der schließlich das Projekt der gesellschaftlichen und individuellen Wirklichkeit konstituiert. Nur sind die entsprechenden Orientierungsmuster so verfaßt, daß sie die Beschränkungen und Probleme realen Wissens in Bezug auf die Qualität der je faktischen Zielvorstellungen aufheben und transzendieren (anders wären gesellschaftliche Veränderungen gar nicht denkbar). Was auch bedeutet, daß die mit dieser Praxis verbundene Offenheit und damit die Unvorhersehbarkeit der realen Entwicklungen berücksichtigt werden müssen; wie eben auch der Begriff des (recht- lichen) Fortschritts per se noch nichts darüber aussagt, wie die reale Entwicklung tatsächlich verlaufen wird.[2] Freilich ist zuzugeben, daß Hegels spekulative Rekonstruktion des Rechts nicht nur auf eine analytische Pragmatik setzt, sondern auch den affirmativen Kern vernünftigen Urteilens fruchtbar machen will. Das ist in einer sich als nachmetaphysisch verstehenden Moderne kein einfach zu vermittelndes Projekt. Allerdings geht es Hegel nicht um eine metaphysisch hochgerüstete Vernunftbegründung. Wichtiger ist ihm wohl, die bereits erwähnten Akteure in ihrer Doppelrolle als bedürfnisgeleitete Individuen und Bürgersubjekte, als homo oeco- nomicus und homo rationalis, zu begreifen. „Das Dasein des freien Willens" zielt insoweit immer auf den Einzelwillen, der dann aber nicht als naturalisiertes Phänomen in einer ansonsten durch Normen strukturierten Praxis, sondern als normkonstitutive Motivation und weltgestaltende Entscheidung zu nehmen ist.[3] Hegels Akteure sind in diesem Sinne selbständig und verantwortlich, ihre Intentionen for mulieren sie nicht solipsistisch, im Gegenteil, sie werden durch eine Vielzahl sozialer Konventionen und ebensolcher Eigenschaften begrenzt. Die damit einhergehenden Zumutungen der Freiheit will er ihnen keineswegs ersparen, auch deshalb nicht, weil er sie nicht für Zumutungen hält. Das gilt für den Heranwachsenden ebenso, wie für den souverän agierenden Akteur. Die Praktiken der Selbstorganisation werden oder sind vielmehr Ausdruck zu entwickelnder bzw. entwickelter Kompetenz, der zweiten Natur, der deutera physis. Hegel stellt sich damit in die Tradition (post-)aristotelischer Gesellschafts- und Staatsmodelle. Deren moderne Transformation gelingt ihm durch eine systematische
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[1] K.-H. Ilting: Vorlesungen über die Rechtsphilosophie, 1818 - 1831, Stuttgart-Bad Cannstatt 1974, Bd. 3, S. 96.
[2] Kommentiert bei B. Liebrucks: Wege zum Bewußtsein, Frankfurt a. M. 1966, 492 ff.; W. Pauly: „Hegel und die Frage nach dem Staat", in: Der Staat 39 (2000) 381 ff. und W. Schild: „Anerkennung als Thema in Hegels ,Grundlinien der Philosophie des Rechts'", a.a.O., 37 ff.
[3] Bezug nehmen darauf G. Amengual: „Subjektivität in der Rechtsphilosophie Hegels", in: B. Merker et al. (Hrsg.): Subjektivität und Anerkennung, Paderborn 2004, 195 ff.; R. Pippin: Idealism as Modernism, Cambridge, Mass. 1997, 31 ff. und M. Quante: Hegels Begriff der Handlung, a.a.O.; ders.: Die Wirklichkeit des Geistes, Frankfurt a. M. 2011.

Neuplatzierung konfligie- render Gründe, individueller Interessen und allgemeiner Forderungen in, so würden wir heute sagen, verschieden genormte Kontexte der Orientierung. Hegel selbst nennt sie in seiner Rechtsphilosophie: abstraktes Recht, Moralität und Sittlichkeit.[1] Die Rede von Kontexten der Orientierung, d. h. von Funktionsarealen des abstrakten Rechts, der Moralität und der Sittlichkeit konkretisiert und strukturiert nicht nur das Hegelsche Programm der Vernunft- und Daseinsanalyse, sondern auch seine Theorie des rationalen Handelns. Funktionsareale sind sie insoweit, als sie (positiv-) rechtliche, politische und ökonomische Positionen des Einzelnen wie der Allgemeinheit aus je unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. In diesem Sinne können

sie auch als Aufweis unterschiedlicher Reflexions- und Freiheitsverwirklichungsniveaus gelesen werden.[2] Deutlich wird auch hier die dialektische Methode Hegels: So entspricht die Begründung der konkreten Rechts- und Statusverhältnisse keiner transzendental-deduktiven Logik, wie das noch bei Kant und, mutatis mutandis, auch bei Fichte, der Fall war; im Grunde setzt sie konsequent das Prinzip der spekulativen Rekonstruktion fort. Die Bedeutung der einzelnen Funktionsareale wird im Modus eines idealtypisch vorgestellten Orientierungswissens erzählt und bestimmt. Sichtbar werden somit die jeweiligen Aspekte des Rechts, subjektive wie objektive, deren Vereinseitigungstendenzen und Vermittlungspotentiale. Insoweit zielt das Freiheitsverwirklichungsniveau des abstrakten Rechts auf ein formal-objektives Ordnungsmuster.[3] Hegel entwickelt hier die (legalen) Strukturen der Rechtsverhältnisse als notwendige Bedingung kooperativen Handelns und vernunftgeleiteten Urteilens. Im Mittelpunkt der Analyse steht die personale Qualität des Rechts. Das ist in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Zum einen, weil der Begriff des Willens im Sinne von § 29 nunmehr in der Person resp. der Persönlichkeit als Universalprinzip konkretisiert wird, die Entfaltung dieses Universalprinzips vom abstrakten Recht bis hin zur Sittlichkeit dementsprechend auf die Freiheitsgrade und ihre institutionelle Verwirklichung verweist. Zum anderen, weil, ähnlich wie bei der „Daseinsbestimmung des freien Willens", auch hier ein weiteres Relatum angesprochen ist, nämlich das der Person als individueller Träger von Rechten und Pflichten, vgl. § 36 Grundlinien.[4] Das Potential des abstrakten Rechts sieht Hegel in
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[1] GW 14.1, §§ 34ff., 105 ff. und 142 ff.; K.-H. Ilting: „Die logische und systematische Form der Rechtsphilosophie", in: M. Riedel (Hrsg.): Materialien zu Hegels Rechtsphilosophie, Frankfurt a. M. 1975, 52 ff.; E. Angehrn: Freiheit und System, Berlin / New York 1977, 180 ff.; L. Siep: „Hegels Metaphysik der Sitten", in: D. Henrich / R.-P. Hostmann (Hrsg.): Metaphysik nach Kant? Stuttgart 1982, 263 ff.; W. Welsch / K. Vieweg: Das Interesse des Denkens, Paderborn 2007, 191 ff.
[2]GW 14.1, § 33 Zusatz, 48f.
[3] W. Bartuschat: „Zum Status des abstrakten Rechts in Hegels Rechtsphilosophie", in: Zeitschrift für philosophische Forschung 41 (1987) 19 ff.; A. Honneth, Leiden an Unbestimmtheit, a.a.O., 39 ff.; J.-F. Kervegan: „Hegel und die Vergesellschaftung des Rechts durch den Staat", in: Rechtshistorisches Journal 12 (1993) 443 ff.; W. Schild: „Bemerkungen zum ,Antijuridismus' Hegels", a.a.O., 124 ff.; H. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, a.a.O., S. 199 ff.
[4] Dort heißt es dann auch expressis verbis: „Die Persönlichkeit enthält überhaupt die Rechtsfähigkeit und macht den Begriff und die selbst abstrakte Grundlage des abstrakten und daher formellen Rechts aus. Das Rechtsgebot ist daher: sei eine Person und respektiere die anderen als Personen."

der Explikation unmittelbarer Freiheitsformen, denn „das Recht ist zuerst das unmittelbare Dasein, welches sich die Freiheit auf unmittelbare Weise gibt";[1] d.h. im Modus des Eigentums, des Vertrages sowie des Unrechts, des Verbrechens und der Strafe. Im Gegensatz zu traditionellen, insbesondere vertragstheoretischen Begründungsmodellen möchte Hegel zeigen, daß die Rede über Eigentum, Vertrag oder Strafe nicht aus einer Konstruktion partikularer Positionen herzuleiten ist, sondern immer schon auf dem Prinzip der personalen Interaktion fußt. Zugleich kommt es Hegel aber darauf an, das formelle Element, die „Bestimmtheit der Unmittelbarkeit" zu betonen, als die Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit des Personalen (Willens) und damit des Rechts noch nicht miteinander vermittelt sind. Die Normen des Handelns und Urteilens werden als der freien Person äußerliche, nicht aus ihr selbst entwickelte Bestimmungen aufgefaßt, die deshalb auch nicht zum Gehalt der selbstbewußten Freiheit des agierenden Individuums gehören. Insofern kann es sich bei den oben erwähnten Freiheitsformen auch nicht um staatlich verfaßte Praxen des Rechts handeln. Die häufig anzutreffende Deutung, Hegel habe mit der Struktur des abstrakten Rechts die vollständigen Funktionen des Zivil- und Strafrechts resp. des Öffentlichen Rechts entwickeln wollen, ist deshalb entschieden zu widersprechen.[2] Wenn Hegel hier die genannten Institute einführt, so um sie als Bedingungen der Möglichkeit für die Verwirklichung der Freiheit auszuweisen. Ein vorgreifender Blick auf die §§ 209 ff. Grundlinien bestätigt diese Sichtweise: Jene Bestimmung im Rahmen der Bürgerlichen Gesellschaft regeln die wesentlichen Fragen der Rechtspflege und machen damit deutlich, daß Recht im umfassenden Sinne immer auch Verfahrensrecht meint und sich deshalb nur in den gemeinschaftlich anerkannten Institutionen, der Legislative, Exekutive und Judikative, repräsentieren kann. Für das abstrakte Recht bleibt freilich die Aufgabe, daß dialektische Moment der zugrunde liegenden Strukturentwicklung herauszustellen. Denn ohne diese (abstrakten) Rechts- und Freiheitsformen sind zwar rechtsstaatliche Verhältnisse nicht zu denken, das wollte Hegel ja gerade zeigen. Zeigen will er aber auch, daß diese Norm- und Konfliktkontexte noch gar nicht gewußt, d. h. (inter-)subjektiv angeeignet sind. Daß eine moderne Theorie des Rechts aber diesen Prozeß der individuellen Aneignung und Teilnahme offen legen und vor allem begründen muß, jedenfalls dann, wenn sie mehr sein will, als ein gediegenes Machtverteilungskonzept. Das Konzept der Moralität dagegen formuliert die handlungsbezogenen Kriterien reflektierten Urteilens.[3] Das
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[1]GW 14.1., §40, 53.
[2] Zu entsprechenden Positionen: V. Hösle: Hegels System, Hamburg 1987, 503 ff.; G. Jakobs: Norm, Person, Gesellschaft, Berlin 2008, 85 ff. und H. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, a.a.O., 199 ff.
[3] Das Moralitätskapitel und die sich daraus ergebenden Probleme diskutieren C. Cesa: „Hegel und die Kantische Moralität", in: C. Fricke (Hrsg.): Das Recht der Vernunft, StuttgartBad Cannstatt 1995, 291 ff.;f. Menegoni: „Elemente zu einer Handlungstheorie der Moralität", in: L. Siep (Hrsg.): Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 2005, 228 ff.; H. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, a.a.O., 219 ff. und A. Wood: „Hegel's Critique of Morality", in: L. Siep (Hrsg.): Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 2005, 147 ff.

hier interessierende Modell der Hegelschen Rechts- und Institutionenanalyse hat demnach offenzulegen, welche Bedeutung die damit einhergehenden Strategien der Selbstvergewisserung für die Strukturen gemeinschaftlicher Aushandlungsformen haben. Hegel stellt dem abstrakten Recht kein alternatives Normorientierungsmodell gegenüber, sondern plädiert für einen Wechsel der Perspektive und d. h. für den subjektiven Standpunkt der Freiheit. In diesem Sinne geht es auch aus Sicht der Moralität um die Narrative der Vernunft als verobjektivierter Geist, aber eben nicht mehr im Kontext der rein formellen Personalität, sondern notwendig als Explikation der Subjektivität und folglich als Bestimmung des Subjektseins der Subjekte.[1] Für

Hegel manifestiert sich diese Perspektivenverschiebung in der Behauptung einer unantastbaren Sphäre der Selbstreflexion über die jeweils richtigen Handlungs- und Begründungsmaßstäbe. Auch deshalb ist der moralische Standpunkt (zunächst) immer expressiv und selbst das Resultat willkürlicher Urteilsfreiheit; er ist, wie Hegel bereits im Naturrechtsaufsatz formuliert, „die Sittlichkeit, insofern sie am Einzelnen als solchem sich ausdrückt".[2] Die hier zur Sprache kommende Differenz zwischen einer Identität mit sich und einer Anerkennung des Allgemeinen, die in der Tat ein zentrales Spannungsfeld subjektiver Freiheit artikuliert, versucht Hegel in der Rechtsphilosophie von 1821 durch eine Matrix kontroverser Bestimmungsformen des Willens zu entwickeln.[3] Hegel verfolgt mit diesem Modell zugleich ein pragmatisch-institutionelles Anliegen.[4] So ist der moralische Standpunkt gleichermaßen an die Kontexte der Orientierung gebunden, wie sie bereits für das abstrakte Recht kennzeichnend waren. Indes, die Bezüge zum Eigentum, zum (Not-)Recht, wie auch zu den sonstigen Praxen individueller Freiheit, werden nun als je eigenes Wissen erfahren, damit aber auch der unbedingten Pflicht - Hegel nennt das die Eitelkeit des ironischen Subjekts - als der höchsten Spitze des Moralischen unterstellt. Entscheidend für den vorliegenden Zusammenhang ist freilich die so zu Tage tretende Widersprüchlichkeit des gestaltenden Willens. Denn das Dasein der Subjektivität kann das Spannungsfeld zwischen der unbedingten Pflicht, der Tätigkeit der Besonderung" und dem anerkannt Allgemeinen (Guten) nicht angemessen ausmitteln. Im Gegenteil, es macht gerade ihren „Charakter" aus, von allen Praxisformen, zu denen sie sich bestimmt, auch abstrahieren zu können. Es ist
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[1] „Der moralische Standpunkt", so Hegel in § 105 Grundlinien, „ist der Standpunkt des Willens, insofern er nicht bloß an sich, sondern für sich unendlich ist [...]. Diese Reflexion des
Willens in sich und seine für sich seiende Identität gegen das Ansichsein und die Unmittelbarkeit und die darin sich entwickelnden Bestimmtheiten bestimmt die Person zum Subjekte."
[2] GW 4, 467.
[3] GW 14.1, §§ 115, 104 ff.
[4] Dagegen wird immer wieder behauptet, Hegel verfechte mit seinem moralischen Konzept ein rein „theoretizistisches" Unternehmen, das insoweit auch als „wert- und normfreie Handlungstheorie" interpretiert werden könne (in diesem Sinne etwa H. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, a.a.O., S. 223). Eine solche Sichtweise macht sich freilich einen Norm-, Praxis- und Handlungsbegriff zu eigen, der an dem Hegelschen Konzept praktischer Philosophie im Wesentlichen vorbeigeht. Hegel Anliegen scheint es aber gerade zu sein, die unterschiedlichen Qualitäten implizit normativer Urteile analysieren und zur Geltung bringen zu wollen (D. Moyar: „Die Verwirklichung meiner Autorität", in: C. Halbig (Hrsg.): Hegels Erbe, Frankfurt a. M. 2004, 209 ff.).

jedenfalls diese Option einer Auflösung aller Verbindlichkeit, die letztlich auch dazu führt, daß die institutionellen Strukturen labil bleiben, d. h. artikulierte Rechte und entsprechende Ansprüche nicht oder in nicht effektiver Weise durchsetzbar sind. Um aber das zu gewährleisten, müßten sich die handelnden Akteure auf vernünftige Gründe und ebensolche Maßstäbe stützen können; Voraussetzungen, die das Feld des Moralischen nicht garantieren oder nur dem Zufall, also der subjektiven Willkür, überlassen kann.[1] - Die Kontexte der Sittlichkeit begründen schließ- lich die Formen anerkannten, d. h. im umfassenden Sinne institutionell abgesicherten Orientierungswissens.[2] Erst dieses Orientierungswissen bestimmt für Hegel den Handlungs- und Beurteilungsspielraum, der für eine konkrete Verwirklichung des Rechts als Freiheit, modern gesprochen, für einen grundrechtlich verfaßten Status der Personen erforderlich ist.[3] Insofern ist die Sittlichkeit die Einheit von abstraktem Recht und Moralität. In ihr realisieren sich die abstrakten und moralischen Zuordnungsbeziehungen als allgemein gewußte und deshalb anerkannte (Familie, bürgerliche Gesellschaft, Staat). „Das Sittliche ist die subjektive Gesinnung, aber des an sich seienden Rechts.", so dezidiert § 141 Grundlinien. Hegel macht damit auf etwas aufmerksam, daß auch für unser gegenwärtiges Staats- und Rechtsverständnis von großer Bedeutung ist. Vernünftige Praxen des Gebens und Nehmens von Gründen, des gemeinsamen Aushandelns sinnstiftender Kriterien, stellen sich nicht „einfach so" her, sie müssen vielmehr durch bestimmte Daseinsbedingungen, durch ein Netz kooperativer Verfahrensformen zur Geltung gebracht und operationalisiert werden.[4] Für Hegel waren es die bereits genannten Kontexte, die die damit verbundenen Standards der Rationalisierung absichern sollten. Das betrifft die Rückbindung des Einzelnen an den geschützten Raum des Privaten wie auch die Ausbildung personaler Kompetenzen, namentlich der Kinder, die Öffnung der individuellen Bedürfnisse zur Seite des Ökonomischen, der Rechtspflege und der Wohlfahrt, sowie, und nicht zuletzt, das politische Verhältnis der Akteure als Bürger eines freiheitlichen Staatswesens.

Vieles an der konkreten Darstellung Hegels, das Modell der Gewaltenteilung, aber auch das Fehlen originär ausgewiesener Grundrechte erscheint uns heute befremdlich oder sogar freiheitswidrig.[5] Indes, Hegel verficht mit seiner Theorie des Staates
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[1] Vgl. dazu W. Bartuschat: „Zum Status des abstrakten Rechts in Hegels Rechtsphilosophie", a.a.O., 19 ff.; H. Ottmann: „Die Genealogie der Moral und ihr Verhältnis zur Sittlichkeit", in: B. Sandkaulen (Hrsg.): Gestalten des Bewußtseins, Hamburg 2009, 266 ff. und A. Wood: „Hegel's Critique of Morality", a.a.O., 147 ff.
[2] Vgl. zu den unterschiedlichen Deutungs- und Interpretationsmustern S. Avineri: Hegels Theorie des modernen Staates, a.a.O., 211 ff.; A. Honneth: Leiden an Unbestimmtheit, a.a.O., 141 ff.; H. Schnädelbach: Hegels praktische Philosophie, a.a.O., 245 ff.; P. Stekeler-Weitho- fer: „Philosophie des Selbstbewußtseins", a.a.O., S. 357 ff.
[3] Verdeutlichend G. Lübbe-Wolff: „Über das Fehlen von Grundrechten in Hegels Rechtsphilosophie", in: H.-C. Lucas / O. Pöggeler (Hrsg.): Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte, Stuttgart-Bad Cannstatt 1986, 421 ff.
[4] In diesem Sinne A. Anter: Die Macht der Ordnung, Tübingen 2004; F. v. Hayek: Die Verfassung der Freiheit, Tübingen 1971; M. R. Lepsius: Interessen, Ideen, Institutionen, Wiesbaden 2009; C. Möllers: „Staat als Argument", a.a.O.
[5] So etwa A. Honneth: Leiden an Unbestimmtheit, a.a.O., 17 ff.; G. Lübbe-Wolff: „Über das Fehlen von Grundrechten in Hegels Rechtsphilosophie", a.a.O., 421 ff.; L. Siep: „Verfassung, Grundrechte und soziales Wohl in Hegels Philosophie des Rechts", in: R. Alexy (Hrsg.): Rechts- und Sozialphilosophie heute, Stuttgart 1991, 361 ff.

keine Verabsolutierung historisch wirksamer Beurteilungsstandards - vor allem darin unterscheidet er sich von den naturrechtlichen Staatsmodellen seiner Vorgänger, Fichte eingeschlossen. Wichtiger ist wohl sein Anliegen, die Gehalte und Manifestationen der Freiheit, insbesondere das Prinzip wechselseitiger Selbst- bestimmung, auf die je geschichtlich gewordenen und deshalb auch veränderlichen Bedingungen des Staates zu beziehen.[1] Gerade insoweit hat sein Verweis auf die Bindung freiheitlicher Lebensformen an die zeit- und konfliktangemessenen Institutionen einer Gesellschaft nichts an Plausibilität verloren. Im Gegenteil, man kann den gegenwärtigen Demokratie- und Verfassungsstaat durchaus als Realisierung der Hegelschen idee directrice, im Sinne einer handlungsgerichteten Zielbestimmung, eines institutionalisierten Leitgedankens, verstehen, wonach jede Epoche, jede Gruppe von Akteuren, ihre Formen der Autonomisierung und Freiheitsverwirklichung finden muß. Auf den Begriff gebracht ist insoweit auch Hegels Institutionenverständnis. Im Gegensatz zu späteren, vor allem durch die „positivistische Wende" beeinflußten Modellen[2] favorisiert Hegel ein normpragmatisches Konzept, in dem formale und materiale Aspekte vermittelt werden. Die Rede von einer stabilen Rechtsordnung, von einem Verwaltungs-Staat etc., verweist dann immer auch darauf, daß Strukturen der Institutionalisierung, wie Eigentum und Vertrag, Familie oder Rechtspflege, auf normativ gestützten Konventionen beruhen, die aber nur durch die performativ geäußerte Anerkennung der Menschen ihre praxisorientierende Bedeutung erhalten; eine Überzeugung, die alles andere als totalitär ist. In diesem Sinne versteht Hegel dann auch das positive Recht des Staates, insofern es, trotz seiner notwendig formalen und verfahrensgeleiteten „Natur" prak tisch gewordene, wenngleich immer auch endliche Vernunft ist.[3]

Wie vernünftig ist der Staat?​


Wie gesehen, beantwortet Hegel die Fichtesche Frage nach der angemessenen Vermittlung von Notwendigkeit und Freiheit, von Recht und Sittlichkeit mit einem Konzept der gestuften Freiheitsverwirklichungsniveaus. Recht, Moralität und Sittlichkeit stehen sich nicht in der Weise gegenüber, als der Staat die Verwaltung und Kontrolle des (positiven) Rechts und folglich die Notwendigkeit des Zwangs übernähme und die Verwirklichung der moralischen und sittlichen Freiheit anderen (Partial-) Praxen oder, in der Formulierung Fichtes, „höheren Zweigen der Ver- nunftcultur" zukäme.[4] Vielmehr versteht Hegel den modernen Staat grundsätzlich
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[1] E.-W. Böckenförde: Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt a. M. 1976, 60 und R. Pippin: Modernism as a Philosophical Problem, Oxford 1991, 148 ff.
[2] Vgl. hierzu nur die Arbeiten von M. Hariou: Theorie der Institutionen, Berlin 1965, 34 f. und H. Kelsen: Die reine Rechtslehre, Wien 1960.
[3] GW 14.1, §§ 211 ff., 175 ff.
[4] Fichte: Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, in: GA I, 8, 11. Vorl., 325.

als Verwirklichung Freiheit. Diese Bestimmung des Staates als Inbegriff der Freiheit schließt weitere Lebens- und Praxisformen jenseits des Staates kategorisch aus. Aber nicht nur das, für Hegel wird mit dieser Sicht auf den fait culturel überhaupt erst das „Recht des Allgemeinen" sichtbar. Fichte hätte ein solches Verständnis womöglich als eine unzulässige Affirmation, ja sogar als eine Überforderung rechtlicher Handlungs- und Konfliktkoordination angesehen, die, darüber hinaus, zu einer Vermengung juridischer und moralischer Standards führt. Im Hintergrund steht hier ein nur schwach ausgeprägter Begriff des Politischen, der zugleich von einem starken Bildungsideal überformt wird. Aber Hegel beharrt einmal mehr da rauf, daß der moderne Staat „die Wirklichkeit des substantiellen Willens [ist], die er in dem zu seiner Allgemeinheit erhobenen besonderen Selbstbewußtsein hat, das an und für sich Vernünftige."[1] Man könnte auch sagen: das Wissen im und durch den Staat ist das Einzige, über das wir alle gemeinsam verfügen; wenngleich es als Rechtswissen, je nach Lebens- und Praxisform, unterschiedliche Bedeutung für unser Handeln erlangen kann. Ungeachtet dessen klingt der Appell an die staatliche Vernunft in heutigen Ohren, die an der Semantik und den Strategien einer nachmetaphysischen Moderne geschult sind, mehr als befremdlich. Nach der Verabschiedung diverser Meta- und Großerzählungen ist mit der Vernunft offensichtlich kein Staat mehr zu machen. Im Gegenteil, letzterer erscheint nun als der gezähmte Leviathan, als der große Andere, mit dem es sich mehr oder weniger zu arrangieren gilt.

Fichte, Hegel und die Moderne​


Gleichwohl hat die nachmetaphysische Moderne weder Fichte noch Hegel vergessen. Ihre Konzepte sind vielmehr in das moderne Staats- und Rechtsverständnis transformiert worden. Allerdings tauchen sie dort nur noch als Strukturmomente neuer Ordnungs- und Machtdispositive auf.[2] Der (Vorsorge-) Staat der Gegenwart wird in der Regel als liberaler Interventionsstaat begriffen. Den privatisierten Interessen und Idiosynkrasien, nicht weniger den Ökonomisierungspraktiken des Marktes steht, so die These, ein gouvernementales Management gegenüber, dessen vorrangiges Ziel es ist, die Subsistenzbedingungen der Akteure und, soweit es Risiko- und Konfliktprävention zulassen, deren Freiheitsspielräume zu sichern. Das „rechtsphilosophische Erbe" Fichtes und Hegels ist unverkennbar. Denn in An schlag gebracht wird so nicht nur das Fichtesche Modell einer Gemeinschaft „rationaler Egoisten",[3] sondern auch das, was Hegel als „Not- und Verstandesstaat" oder, noch pointierter, als „System der Atomistik" bezeichnet hat.[4] Ausschlaggebend ist jedoch, daß diese Strukturmomente des Staates nunmehr ohne den von beiden, wenn
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[1] GW 14.1, § 258, 201 ff.
[2] Zu entsprechenden Staats- und Gesellschaftsanalysen vgl. G. Agamben: Homo sacer, Frankfurt a. M. 2002; U. Bröckling (Hrsg.): Gouvernementalität der Gegenwart, Frankfurt a. M. 2000; M. Foucault: Analytik der Macht, Frankfurt a. M. 2005, 148 ff.
[3] Siehe die obige Darstellung.
[4] GA 14.1, § 183, 160; in der Enzyklopädie von 1830 spricht Hegel dann auch vom „äußeren Staat" GW 20, § 523, 498.

auch in unterschiedlicher Form, exponierten Bezug zur Sittlichkeit auskommen. Weder ist der Staat, wie bei Fichte, die notwendige Bedingung einer wie auch immer zu verwirklichenden Sittlichkeit noch ist sie, wie bei Hegel, der Rechtsgemeinschaft als immanent gedacht. Nun ist unbestritten, daß jede Zeit ihr Verständnis von Staat und Gesellschaft auf den Begriff zu bringen hat. Klar ist aber auch: Die Moderne unterläuft die normativen Orientierungsmuster der überlieferten Wert- und Traditionsarsenale. Der Effekt ist eine Dynamisierung und Desorientierung sozialer Lebensformen. Aber auch eine Rechtsphilosophie der Gegenwart und eine daran anknüpfende Theorie des Staates sollte zeigen können, woher die Sinnpotentiale kommen, die es ihr ermöglichen, die partikularen Interessen und normativen Erwartungen der Akteure auf die Standards gemeinschaftlichen Handelns und Urteilens zu verpflichten; denn auf dieser Vermittlungs- und Transzendie- rungsleistung beruht das Legitimationspotential jeder freiheitlich verfaßten Ordnung und Institution (Böckenförde).

Resümee​


Die hier vorgestellten Rechtsphilosophien Fichtes und Hegels entwickeln, wie gezeigt, in ganz unterschiedliche Weise eine kritische Begriffs- und Strukturgeschichte der Freiheit. Während Fichte auf einen restriktiven, an der politischen Anthropologie orientierten Rechtsbegriff abhebt und die Praxen der Moralität und Sittlichkeit strikt davon unterscheidet, komponiert Hegel auf der Basis seines spekulativen Holismus einen Wissens- und Rechtsbegriff, der sämtliche Kontexte institutionalisierten Handelns und Urteilens umfaßt. Beiden, Fichte wie auch Hegel, geht es um die Bestimmung vernunftbegründeter Freiheitsansprüche, wobei deren basale Verwirklichungsbedingungen auf eine Kultur sinnintegrativer Selbst bewußtwerdungsprozesse zurückgeführt werden. Vor allem Fichtes transzendentale Deduktion des Naturrechts als „reelle Wissenschaft" gerät hierbei in Turbolenzen. Grund dafür ein Intersubjektivismus, der sich zugleich auf einen methodischen Individualismus stützt; ein Aspekt, der, was häufig übersehen wird, sowohl die Rechtsbegründung als auch die Rechtsanwendung der Fichteschen Rechtslehre betrifft. Hegels Sozialtheorie des Geistes kann dieses Problem weitestgehend beheben; allerdings unter Bezugnahme eines für uns heute weit ausdimensionierten Rechtsbegriffs. Entscheidend ist allerdings für beide, daß die Rede über Recht und Staat mit einem Vertrauen in das sinnkritische Potential der Vernunft verbunden ist. Die sogenannte nachmetaphysische Moderne kann mit einem solchen Projekt nur noch wenig anfangen. Fragen der Rechts- und Staatsorganisation werden im Modus diverser Macht- und Ordnungsdispositive, inklusive damit einhergehenden gou- vernementalen Strategien, verhandelt. Allerdings bleibt zumeist offen, inwiefern in diesen Konzepten die nicht bestrittenen Sinn- und Transzendierungsleistungen einer Gemeinschaft generiert werden können. Daß die Begründung einer solchen Vermittlungs- und Transzendierungsleistung auch heute noch mit einer Philosophie des Selbstbewußtseins möglich ist, haben die vorliegenden Überlegungen wenigstens andeuten wollen.