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Eigentum als Selbstbesitz

Zur Aktualität der Fichteschen Eigentumstheorie​


Thomas Sören Hoffmann

Eigentumstheoretische Fragen spielen in der Philosophie Fichtes auch über den engeren Bezirk des Rechtsdenkens hinaus, in den sie systematisch zunächst gehören, eine keineswegs untergeordnete Rolle. Sie begegnen nicht nur zeitlich von den Revolutionsschriften1 an bis in die späte Rechts- und Staatslehre hinein, sondern auch thematisch in der ganzen Breite der praktischen Philosophie, genauso etwa in der Ethik, der Sittenlehre, wie in der Wirtschaftsphilosophie, sprich im Geschlossenen Handelsstaat. Den letzteren - mithin seine wohl am schlechtesten beleumundete Schrift - betreffend, hat Fichte selbst festgehalten, daß ohne seine Neubestimmung des Begriffs des Eigentums sein Ansatz nicht verstanden werden könne[1] [2]. Es lohnt sich also in jedem Fall, dem Begriff des Eigentums bei Fichte etwas genauer nachzugehen. Und es wird sich, wie ich hoffe: zwanglos zeigen, daß im Bedenken dieses Begriffs aktuelle Bezüge entstehen, über die mit Fichte nachzudenken sich ebenfalls lohnt.

Wir wollen in der Folge so verfahren, daß wir uns zunächst des rechtsphilosophischen Kerngehalts des Fichteschen Eigentumsbegriffs vergewissern, wobei wir sowohl auf das Naturrecht von 1796/7 wie auch auf die Rechtslehre von 1812 zurückgreifen. Im zweiten Teil dieses Beitrags wollen wir dann den Horizont auch über die Rechtsphilosophie hinaus öffnen, was in der Sache spätestens dann leicht möglich ist, wenn die fundamentalphilosophische Dimension des Fichteschen Ei
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[1] Aus der Zurückforderung der Denkfreiheit von 1793 sei hier etwa an die einleitende „Rede" mit der zentralen Formulierung erinnert: „Der Mensch kann weder ererbt, noch verkauft, noch verschenkt werden; er kann niemandes Eigenthum seyn, weil er sein eigenes Eigenthum ist, und bleiben muß. Er trägt tief in seiner Brust einen Götterfunken, der ihn über die Thierheit erhöht und ihn zum Mitbürger einer Welt macht, deren erstes Mitglied Gott ist, - sein Gewissen. Dieses gebietet ihm schlechthin und unbedingt - dieses zu wollen, jenes nicht zu wollen; und dies frei und aus eigener Bewegung, ohne allen Zwang ausser ihm. Soll er dieser inneren Stimme gehorchen - und sie gebietet dies schlechterdings - so muß er auch von aussen nicht gezwungen, so muß er von allem fremden Einflusse befreit werden" (Fichte: Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten. Eine Rede, in: ders.: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. v. Reinhard Lauth u. Hans Jacob, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 ff. Im folgenden GA, mit Angabe der Abteilung, des Bandes und der Seitenzahl, hier: GA I, 1, 173).
[2] Cf. dazu vor allem das siebente Kapitel des Geschlossenen Handelsstaats (GA I, 7, 84 ff.), außerdem auch etwa GA I, 7, 70.

gentumsgedankens klar geworden ist - und eine solche Dimension besitzt dieser Gedanke bei Fichte in der Tat. Im abschließenden dritten Teil sollen dann drei exemplarische Problembereiche angesprochen werden, auf die von Fichte her auch heute ein erhellendes Licht fallen kann. Beginnen wir aber zunächst mit den rechtsphilosophischen Befunden!

Eigentum als Urrecht​


Fichtes erste systematische Eigentumslehre findet sich, wie kaum eigens erwähnt werden muß, in seiner Grundlage des Naturrechts von 1796/7, und zwar dort einerseits im Grundlegungsteil, nämlich im Kontext der Lehre vom Urrecht, zweitens dann im Staatsrecht, nämlich in der Lehre vom Eigentumsvertrag als konstitutivem Bestandteil des Staatsbürgervertrags, sowie schließlich drittens dann, auf dem Boden des „Angewandten Naturrechts", im Rahmen des bürgerlichen Rechts[1]. Daß Fichte dabei das Eigentum überhaupt als in seinem Sinne „naturrechtlich" deduzierbar behandelt, unterscheidet ihn schon auf den ersten Blick von der gerade auch heute herrschenden Lehre vom Eigentum als einer „Einrichtung [erst] des gesetzten (staatlichen) Rechts" (Roman Herzog), die zudem in womöglich so vielen kontingenten Formen anzutreffen sei, daß sich ein Einheitsbegriff davon gar nicht bilden lasse[2]. Für Fichte ist jedenfalls das Gegenteil der Fall: für das Eigentum, wie immer es auch historisch ausgestaltet sein mag, gibt es einen letzten vernunftrechtlichen Grund, der sich zunächst als „Urrecht" auf Eigentum ausspricht. Was aber ist mit diesem Urrecht, das sich im nächsten Schritt positiv-rechtlich auch greifen können lassen muß, gemeint?


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[1] Auch in seiner Rezension der Kantischen Friedensschrift, die 1796 im Philosophischen Journal erschien, kommt Fichte übrigens auf den Eigentumsbegriff in seiner neuen, grundlegenden Bedeutung (wenn auch nur kurz) zu sprechen. Wir lesen hier in einer Kant weiterführenden Passage: „[...] das höchste Rechtsgesetz ist durch die reine Vernunft gegeben: jeder beschränke seine Freiheit so, daß neben ihm alle übrigen auch frei seyn können. Wie weit eines jeden Freiheit gehen solle, d. h. über das Eigenthum im allerweitesten Sinne des Wortes, müssen die Contrahirenden sich vergleichen. Das Gesetz ist nur formal, daß jeder seine Freiheit beschränken soll, aber nicht material, wie weit sie jeder beschränken solle. Hierüber müssen sie sich vereinigen. Aber daß überhaupt jeder darüber etwas declarire, fordert das Gesetz" (GA I, 3, 225). In dieser Formulierung kehrt Fichtes Grundgedanke vom Eigentum als sich konkretisierender Freiheit wieder, die als Freiheit unbedingt Urrecht ist, als sich mit anderer Freiheit vermittelnde Freiheit jedoch zugleich über den Staat als Sachwalter einer konkreten Freiheitssphärendistribution zu denken ist.
[2] Cf. R. Herzog: Art. „Eigentum. I. Verfassungsrechtlich", in: ders. / H. Kunst / Kl. Schlaich / W. Schneemelcher (Hrsg.): Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl., Stuttgart 1987, Bd. I, 673 - 686. Dort heißt es zu Beginn: „Das Eigentum ist in seinen wesentlichen Bereichen eine Einrichtung des gesetzten (staatlichen) Rechts: erst durch das gesetzte Recht erhält der Mensch Eigentum", worauf eine Zurückweisung von Versuchen folgt, „das Eigentum als ein überpositives, d. h. jeglicher menschlicher Rechtssetzung vor- und übergeordnetes Recht (,Menschenrecht') zu begründen". Diese Zurückweisung wird im Sinne eines historischen Relativismus motiviert, nämlich damit, daß „die aus der Geschichte bekannten Eigentumsordnungen (etwa die der Ägypter und Mesopotamier, der Griechen, Römer, Azteken, Inka usw.) miteinander kaum mehr als den Grundgedanken menschlicher Herrschaft über die Güterwelt gemein haben" (673).

„Urrechte" meinen nach Fichte nicht etwa einen Bestand an vor- oder überstaatlichen Rechten, in deren Besitz man sich auch vor einem allenfalls zu vollziehenden Eintritt in eine Gesellschaft von Menschen schon befinden könnte. „Es gibt keinen Stand der Urrechte, und keine Urrechte des Menschen", heißt es so im ersten Schritt der „Deduktion des Urrechts" ausdrücklich[1]. Von einem „Urrecht" kann vielmehr nur im Sinne einer methodischen Abstraktion vom bereits gesetzten Recht die Rede sein - einer Abstraktion freilich, die nicht einfach auf eine NichtWirklichkeit, sondern auf die transzendentale Dimension des Rechtsbegriffs führt. Wenn „Urrechte", wie Fichte ausdrücklich sagt, „bloße Fiktion[en]" sind (GA I, 3, 404), dann sind sie dennoch zugleich Fiktionen, die wir unweigerlich tätigen müssen, um den Sinn und den inneren Geltungsgrund des Rechts systematisch erst einzuholen. Das „Urrecht" erschließt sich uns als der Sinnhorizont, in dem sich tatsächlich gesetzte Rechte und Pflichten allererst verstehen und legitimieren lassen. Wenn es das Problem des Rechtspositivismus ist, das Recht immer nur auf den faktischen Rechtsbefehl, d. h. auf ein kontingentes Sollen, mithin die Gewalt beziehen zu können, übersteigt die transzendentale Rechtslehre das Recht auf den Horizont einer Rechtsvernunft hin, ohne welche die Rechtlichkeit wirklichen Rechts nicht gedacht werden kann. Das Thema des wirklichen Rechts ist dabei nach Fichte die Realisierung von Subjektivität unter Bedingungen ihrer Individualisierung, die Rechtlichkeit des Rechts ist seine Subjektaffinität oder seine Funktion, Moment gelingender Selbstbeziehung des Subjekts zu sein. Das (rechtliche und darin seinerseits reflexive bzw. objektiv-subjektive) Recht will, wie man hier zusammenfassend sagen kann, daß Subjektivität in Raum und Zeit wirklich sei. Darin liegt dann schon der Kerngehalt des Urrechts, der nach Fichte, wie wir wissen, lautet: „Das Urrecht ist das absolute Recht der Person, in der Sinnenwelt nur Ursache zu sein. (Schlechthin nie Bewirktes)" (NR § 10, GA I, 3, 404). Noch einmal anders: Das Subjekt soll sich als Subjekt auch erfahren können, es soll sich entsprechend ursprünglich eigener Kausalität fähig, nicht aber fremder Kausalität ausgesetzt wissen.

Daraus folgen nach Fichte dann auch die konkreten Urrechtsinhalte, zu denen neben dem Recht auf Selbsterhaltung und dem Recht auf die Unantastbarkeit des Leibes, der vom Recht her unmittelbar als die Person selbst betrachtet werden kann[2], auch das Eigentumsrecht gehört. Dieses Recht besteht zunächst in nichts anderem als in einem dem Vernunftindividuum zu vindizierenden dominium terrae, d. h. überhaupt in der Sicherung einer Subjektstellung in Beziehung aufs Objekt, die in der Eigentumsrelation gleichsam anschaulich wird und zu Bewußtsein kommen kann. In diesem Zusammenhang hält Fichte dann im Sinne des „Urrechtscharakters" der Eigentumsbestimmung ausdrücklich fest, daß mir mein Eigentum durchaus
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[1] Fichte: Grundlage des Naturrechts [= NR], § 9, GA I, 3, 403.
[2] Cf. die wichtige Stelle § 11 (GA I, 3, 405): „Auf diesem Gebiete [sc. der sinnlichen Erscheinung des Willens der Person, bei der alles Recht ansetzt] ist daher der Leib eines freien Wesens anzusehen, als selbst der letzte Grund seiner Bestimmung, und das freie Wesen, als Erscheinung, ist identisch mit seinem Leibe". Zum Leib als notwendigem Erscheinungsmedium konkreter Subjektivität cf. den Beitrag von Max Gottschlich in diesem Band!

„ursprünglich" und „keineswegs" erst „in der Gesellschaft" zukomme (NR § 11, GA I, 3, 407). Das könnte zunächst so verstanden werden, als würde Fichte, sagen wir mit Locke, doch auch davon aus gehen, daß das Individuum bereits vor dem Abschluß des Gesellschaftsvertrages über Hab und Gut verfügte und dies dann in die Gesellschaft schon mit einbrächte - was dann freilich hieße, daß der Vergesellschaftung eine Eigentümerschaft überhaupt (mit Kant zu reden: ein „provisorisches Eigentumsrecht") vorausginge und ihr, der Gesellschaft, so auch jeweils ganz konkrete Besitzverhältnisse schon voraus lägen, die sich in sie hinein dann womöglich nur perpetuierten. Indes gibt es bei Fichte, wie wir gehört haben, einen reellen vorgesellschaftlichen Urrechtsstand nicht, und was das Subjekt in die Gesellschaft einbringt, ist nicht empirisch schon angeeignetes Hab und Gut, sondern die in seiner Subjektivität schon gelegene ursprüngliche Kompetenz einer solchen Aneignung, die ihrerseits nicht eine Funktion empirischer Gegebenheiten, sondern deren transzendentale Voraussetzung ist. Worum es hier geht, kann im Sinne Fichtes auch dahin zugespitzt werden: es geht darum, daß Subjektivität, daß Selbstsein in seinem reinen Ursprung nichts erst gesellschaftlich Vermitteltes sein kann; Selbst- sein(können) liegt vielmehr aller Vergesellschaftung schon voraus bzw. der Notwendigkeit einer Vergesellschaftung schon zugrunde. Noch einmal auf das Lockesche Gegenmodell bezogen heißt dies: Eigentum ist eine vorgesellschaftliche Größe nicht insofern, als ein zunächst solitäres Subjekt bestimmten empirischen Objekte schon zugeordnet wäre, auf die es Zeit seines Lebens und ggf. auch nach einer Preisgabe seiner solitären Existenz auch bezogen sein möchte. Eigentum ist vielmehr insofern eine vorgesellschaftliche Größe, als es sich hier um eine Selbstergreifungsweise des Subjektiven handelt, die zu den Konstitutionsbedingungen auch der gesellschaftlichen Selbstergreifung des Subjekts gehört. Diese Erinnerung ist auch deshalb wichtig, weil Fichte in Sachen Eigentum, und zwar nicht ohne einen gewissen Anlaß in seinen Texten, seit Marianne Weber immer wieder als „Sozialist" interpretiert worden ist[1]. Inwieweit diese Charakterisierung zutreffend ist, werden wir im dritten Teil noch etwas genauer sehen; hier jedoch halten wir fest, daß sie dann jedenfalls nicht zutreffend ist, wenn mit ihr gemeint sein sollte, daß durch eine komplexe gesellschaftliche Interaktion auch Subjektivität als solche erst induziert sein sollte. Prinzipientheoretisch von der frühen Wissenschaftslehre her gesprochen, würde dies nichts anderes bedeuten, als den ersten Grundsatz seinem Gehalt nach aus dem dritten ableiten zu wollen, was die Verhältnisse freilich auf den Kopf stellen würde. Aber wie man im ersten Grundsatz das Urrecht des Ichs auf sich selbst ausgesprochen und im dritten dieses Urrecht mit einem anderen Urrecht vermittelt, in der Vermittlung aber gerade erhalten finden kann, so kann man auch im Urrecht auf Eigentum zunächst das Recht des (individuierten) Ichs auf reelles Selbstsein, im daraus erst abzuleitenden gesellschaftlich vermittelten Eigentumsrecht aber eine Ordnung des Selbstseins erkennen, die bereits über eine Pluralität von Selbstseinsansprüchen reflektiert ist.


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[1] Cf. M. Weber: „Fichtes Socialismus und sein Verhältnis zur Marxschen Doktrin", in: Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen, Bd. VI, H. 3, Tübingen, Freiburg 1900.

Halten wir an dieser Stelle nur so viel fest: mit der These vom Eigentum als einem vorgesellschaftlichen Urrecht geht es bei Fichte darum, gleichsam die Hoheitsrechte des Subjekts auch für jenen Kontext objektiver Beziehungen festzuschreiben, um die es in der Rechtslehre immer gehen muß. Recht wird richtig von der Subjektivierung des Objekts, nicht von der Objektivierung des Subjekts her verstanden. Eben darum aber ist freies Wirkenkönnen im Sinnlichen, also Eigentum, Urrecht.

Wir können an dieser Stelle die Fichteschen Ausführungen zur Transformation des Urrechts auf Eigentum in den Eigentumsvertrag, der Bestandteil des Staatsbürgervertrags ist, kurz abmachen und halten insoweit vor allem die Tatsache fest, daß es dabei um eine gegenseitige Anerkennung aller Bürger als zum Selbstsein Bestimmter, d. h. als Eigentumsberechtigter geht. Nach Fichte ist der Eigentumsvertrag der „erste Teil des Staatsbürgervertrags"[1], was man zunächst dahin pointieren kann, daß sich im Eigentumsvertrag im Medium des Mein und Dein überhaupt das Ich und das Du füreinander darstellen, die hier „Mitbürger" werden, indem es als ein und derselbe Wille gewußt ist, der das Eigentum (das konkrete Subjektsein) des einen ebenso will wie das des anderen. Wir werden dabei noch etwas näher sehen, daß es den in Beziehung auf Kant von Rainer Zaczyk angesprochenen Unterschied zwischen eigentlichen Mitbürgern und nichtbesitzenden Mitmenschen[2] bei Fichte definitiv nicht gibt, was unmittelbar mit Fichtes Neufassung des Begriffs vom Eigentum als konkret-aktualer Darstellung von Selbstsein- können zusammenhängt. Im Staatsvertrag ist „jeder mit allen, und alle mit jedem einig geworden", jeden anderen in seinem auf die Erscheinung (die Dingsphäre) bezogenen Selbstvollzug anzuerkennen[3].

Kommen wir damit gleich auf den Kern des zivilrechtlichen Eigentumsbegriffs Fichtes zu sprechen! Fichte ist auch hier, wie so oft, für eine Überraschung gut. Haben wir uns gerade noch darüber verständigt, daß und in welchem Sinne das Urrecht auf Eigentum vor alle Gesellschaft zurückreicht, so erfahren wir jetzt, daß das staatlich garantierte Eigentumsrecht sich niemals eigentlich auf den Besitz von Objekten, sondern auf die Inhabung einer bestimmten Freiheitssphäre bezieht, in die dann zwar auch bestimmte Objekte fallen, die eine Freiheitssphäre aber nicht wegen dieser bestimmten Objekte ist, die sie enthält. Das Eigentumsrecht ist so präzise zu verstehen als das Recht auf bestimmte Tätigkeiten in Beziehung auf Objekte, die zwar in die Tätigkeitssphäre fallen, aber sie nicht als solche begründen. Eigentum ist damit, wie Johann Braun es schlicht, aber treffend ausgedrückt hat, definitiv nicht dinglich, sondern funktional definiert11. Uns ist klar, daß sich darin jener entschiedene Grundzug der Philosophie Fichtes ausspricht, den wir ihren Anti-Naturalismus, ja „Aktualismus" nennen können; niemand vor Fichte, auch Kant nicht, hat das Ding so sehr aus dem Rechtsdenken vertrieben, wie es bei Fichte geschieht und im Zeichen der Suprematie des sich selbst realisierenden Subjekts über das Objekt auch geschehen
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[1] Cf. NR § 17, in: GAI, 4, 9.
[2] Cf. den Beitrag von R. Zaczyk in diesem Band, 36!
[3] Cf. NR § 17, in: GAI, 4, 8.

muß. Um noch einmal beim ersten Grundsatz der (frühen) Wissenschaftslehre anzuschließen: aus dem Wesen des Ichs, Tathandlung zu sein, folgt auch auf der Ebene des zivilrechtlichen Eigentumsbegriffs noch, daß das eigentliche Eigentum nicht in blanker Gegebenheit bestehen kann, sondern in konkreter, zwar überhaupt sinnlich bestimmter, dennoch aber innerlich freier Tätigkeit bestehen muß. Auch, wenn nur erst das leibliche Ich im Sinne des Zivilrechts Eigentum hat, ist das Eigentum doch seine nur verlängerte Leiblichkeit, d. h. eine ichzentrierte und das Ich auch wieder zur Darstellung bringende Aktuosität, nicht eine irgendwie statische Fesselung an das Objekt[1] [2].

Der allgemeinste Inhalt und Zweck dieser Funktion, dieser aktuosen Beziehung aufs Objekt ist es dabei, leben zu können - und „leben zu können ist das absolut unveräußerliche Eigentum aller Menschen" (NR § 18, GA I, 4, 22). Über das Eigentum in seiner positiven Gestalt schließt sich insoweit das Subjekt mit seiner Substanz (mit seiner Lebendigkeit) zusammen, die (als Lebendigkeit) eben das „absolut unveräußerliche Eigentum aller Menschen" ist. Genauer ist für Fichte das Eigentum als das Leben erhaltende Tätigkeit mit der Arbeit identisch, oder es fällt überhaupt das Recht auf Eigentum mit dem Recht auf Arbeit zusammen. Der Eigentumsvertrag ist so gesehen nichts anderes als der Vertrag, daß jeder einen jeden effektiv dadurch als „Du" anerkennt, daß er ihn von seiner ihm von seinem Urrecht her unbedingt zustehenden und in ihrem konkreten Umfang vom positiven Recht bestimmten Tätigkeit leben läßt und so nicht zuletzt niemandes Tätigkeit soweit eingeschränkt ist, daß sie den Selbsterhalt des Subjekts nicht mehr zu realisieren vermag. Durch den Staat ist eine Distribution von „Lebenssphären" zu organisieren, in der zugleich ein gemeinschaftliches Lebenkönnen aller enthalten sein muß[3].

Versagt diese Distribution, gelingt es also etwa einem Bürger nicht, innerhalb der ihm zugestandenen Freiheitssphäre trotz besten Willens und Bemühens sein Leben zu erhalten, ist dieser Bürger nach Fichte von aller Respektierung des Eigentums anderer entbunden, ist er durch die Ordnung der Dinge ja gerade um sein Urrecht betrogen und zugleich die Bedingung, unter der der Staatsbürgervertrag steht - „Wir Alle behalten
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[1] Cf. J. Braun: Freiheit, Gleichheit, Eigentum. Grundfragen des Rechts im Lichte der Philosophie J. G. Fichtes, Tübingen 1991, 18. Braun hat an anderer Stelle daran erinnert, daß das „Handlungseigentum" in mancher Hinsicht älter als das Sacheigentum ist war, „mit dem Ende des Feudalsystems und der Zunftherrschaft" aber von diesem „abgelöst" wurde (J. Braun: Einführung in die Rechtswissenschaft, 5. Aufl., Tübingen 2011, 163 f.). Fichtes Konzept ist insofern einerseits „älter" als die heute vorherrschende dingliche Eigentumsauffassung; zugleich aber kann sie - im Sinne der neuzeitlichen Bewegung von der Substanz zur Funktion - auch als die „modernere" angesehen werden.
[2] Cf. dazu ergänzend auch den Hinweis aus den Exkursen zur Staatslehre - Diarium I (SW VII, 578 - GA II, 15, 292): „[D]ie Angaben des falschen Eigenthums liegen eben darin, daß jeder eine verschloßne, u. abgesonderte Natur für sich zu haben begehrt. - Die äussere Freiheit ist insofern bedingt durch die Thätigkeit anderer, an ihrer Stelle".
[3] Cf. noch einmal die Exkurse zur Staatslehre - Diarium I (ibd.): „Das MenschenLeben ist Gesellschaft", und eine wohlorganisierte Gesellschaft ist entsprechend, wenn man so will, die anschauliche Darstellung jenes Allgemeinen oder jener Totalität, auf die sich die empirische Subjektivität immer schon zurückverwiesen sieht. Auch von dieser Seite her wird deutlich, daß Fichte jedenfalls keinen gesellschaftlichen Atomismus im Sinne der „liberalen" Vertragstheorien vertritt.

dies, auf die Bedingung, daß wir dir das deinige lassen" - objektiv nicht erfüllt; es sind so auch alle kraft desselben Vertrages dazu verpflichtet, „von dem Ihrigen, bis er leben kann, abzugeben" (GA I, 4, 22). Zugleich führt Fichtes Staat freilich auch die Aufsicht darüber, daß jeder wirklich mit dem, was ihm zu freiem Gebrauch überlassen wurde, arbeitet, also nicht in ein dingliches Weltverhältnis zurückfällt, widrigenfalls er allen Anspruch auf Unterstützung verliert: „Wie kein Armer, so soll ... auch kein Müßiggänger in einem vernunftgemäßen Staate sein", heißt es bei Fichte an bekannter Stelle dazu (GA I, 4, 23). Es fällt sicher nicht schwer, Fichte in diesem Zusammenhang als Propheten, wenn nicht selbst schon als Exponenten eines heute dominierenden Typs der vita activa zu sehen, wenn nicht gar ihn als Vorläufer eines umfassenden, nicht zuletzt auch ökonomischen Funktionalismus oder gar des „flexiblen Menschen" (Richard Sennett) zu (miß-)deuten. Entscheidender dürfte jedoch sein, daß Fichte hier eine radikale Subjektivierung der Lebenswelt mit Einschluß ihrer staatlichen Organisationsform denkt, in der die durch Kant theoretisch geleistete Überwindung der alten Ontologie zur auch praktischen Selbstgewißheit gelangt. Betrachten wir dabei für einen Moment noch einmal die Differenz, die sich zwischen Fichtes „aktualisti- schem" und dem „liberalen" Staatsmodell ergibt! Fichtes Staat ist, wie in Grundzügen schon erkennbar, eine kunstvoll errichtete Ordnung, ein Kosmos von vernunftbestimmten Freiheitsmonaden, die sich einander in produktivem, zweckgerichtetem Freiheitsgebrauch darstellen und sich zugleich in den Gesamtraum möglichen Freiheitsgebrauchs nach Vernunftzwecken teilen. Die materielle Distribution der Freiheitssphären in Rücksicht auf den Gesamtzweck ist dabei eine Funktion des Staates, der dem Bedürfnis einer gemeinschaftlichen Freiheitsmaximierung gemäß die verschiedenen anfallenden Tätigkeiten koordiniert. Die Differenz gegenüber einem klassisch-liberalen Staatskonzept, ja teilweise auch noch gegenüber Kant bezieht sich dabei nicht zuletzt auf die Tatsache, daß der liberale Ansatz nicht etwa nur überhaupt auf eine übergreifende Koordination des Freiheitsgebrauchs der einzelnen verzichtet. Der liberale Staat stellt es vielmehr im Sinne einer rein negativ aufgefaßten Freiheit dem einzelnen auch frei, seine Freiheit überhaupt unzweckmäßig, willkürlich oder auch gar nicht zu gebrauchen. Anders als Fichte verbietet der Liberale so denn weder die Armut noch den Müßiggang, wie er umgekehrt niemandem gebietet, vernünftig zu sein. Freiheit versteht er damit konsequent als Willkürfreiheit, als eine Freiheit also, die sich vom Objekt zwar unterscheiden, es jedoch nicht einem substantiellen Zweck unterordnen kann. Fichte selbst stellt dem eine Verantwortung des Staates auch für die „innere Frei- heit" der Bürger gegenüber, was in der Sache auf seinen Bildungsstaat hinauslaufen muß, auf den wir noch zurückkommen und den Fichte offen als „durchaus vor- mundschaftlich[en]" verstehen kann[1]. Fichtes Staat ist, eben weil er die konkrete Freiheitsdistribution positiv feststellen muß, als material
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[1] Cf. dazu wörtlich aus den Exkursen zur Staatslehre - Diarium I (SW VII, 576 - GA II, 15, 290/91): „Zuvörderst, [allgemeinster und fortdauernder Zweck ist] VolksErziehung zur Einsicht in das Recht. [...] Dies ist nur eigentlich, um das Recht, der innern Freiheit, der Bürger zu schützen: u. ist durchaus vormundschaftlich". Zu Fichtes kulturstaatlichem Ansatz cf. im übrigen den Beitrag von H. Girndt in diesem Band!

integrierend gedacht, was jedoch insofern nicht auf eine gewaltsame Vereinigung ursprünglich Getrennter hinauskommt, als es zum einen bei Fichte keine radikale ursprüngliche Getrenntheit der Individuen, sondern eine erste Einheit in der Form der Subjektivität gibt, und zum anderen die Realisierung der Freiheit in der Sinnenwelt immer auch eine Realisierung von Transparenz sein soll, wie sie eben der Bildungsstaat objektiv erzeugt. Sollte Fichte diesen Anspruch, der ihn freilich erheblich von nahezu der gesamten neueren politischen Philosophie unterscheidet, rechtfertigen können, würde übrigens auch der Hegelsche Vorwurf, der der Sache nach lautet, daß Fichte Integration durch eine letztlich bloß verstandesmäßg-technische, „sozialplanerische" Koordination der Freiheitstätigkeiten der Bürger erreichen will, ohne einen eigentlich objektiven, lebendigen Geist zu kennen, nicht den Kerngehalt des Fichteschen Gedankens treffen, der im tätigen Leben der Bürger ja tatsächlich auf eine Objektivation der Subjektivität, ein Selbst-Sein im Vollzug, zurückkommt. Wir wollen uns an dieser Stelle jedoch nicht etwa der Kontroverse Fichte - Hegel zuwenden, sondern uns systematisch der umfassenden Bedeutung des Fichteschen Eigentumsbegriffs näher vergewissern.

Eigentumsethik und Selbstbesitz​


Im schon mehrfach erwähnten Geschlossenen Handelsstaat von 1800 hat Fichte seine Theorie des Eigentums als den Kern gerade aller wichtigen Neuerungen bezeichnet, die er in diesem Buch präsentiert. Fichte nennt hier: zum einen die (keineswegs „hypostatische", sondern funktionale) Gliederung der Nation in Stände als geschlossene Einheiten, die auf bestimmte Typen von Tätigkeit festgelegt sind und sich der Anzahl ihrer Mitglieder nach niemals disproportionierlich auswachsen können; sodann das Postulat, daß jedem Bürger gemäß seiner eigenen Arbeitsleistung ein entsprechender Anteil am Sozialprodukt zuzumessen sei; weiterhin die Lehre, daß der Tauschwert aller Dinge staatlich in Geld zu bemessen sei; schließlich aber, daß der Staat als ganzer ein geschlossenes System, gleichsam eine Monade zu bilden und deshalb aller Außenhandel zu unterbleiben habe. Eine entsprechende funktionale Durchgliederung des Ganzen ist nach Fichte dabei alleine dann möglich, wenn das Eigentum nicht etwa „im ausschließenden Besitz einer Sache" gesehen, also objektiv gefaßt, sondern, wie wir schon wissen, als „ausschließendes Recht auf eine bestimmte freie Tätigkeit" verstanden, mithin in den subjektiven Vollzug eines individuellen kausalen Verhältnisses auf die Dinge gelegt wird. Fichtes Ausgangspunkt ist hier offenbar die Überzeugung, daß eine Subjektivität produzierende Staatstätigkeit - und bei allen Vorbehalten, die man gegen den Geschlossenen Handelsstaat haben mag, steht doch das fest, daß dieser Staat eben Subjektivität - die eigene wie die seiner Bürger - nicht etwa unterdrücken, sondern mehren soll - immer dann an ein Ende gelangt, wenn ein Bewußtsein sich von Dingheit her versteht, also auf gewisse Weise nur allzu wörtlich „be-dingt", damit aber für eine mehr als kontingente Freiheitstätigkeit gar nicht mehr empfänglich und durchlässig ist. Daß dies tatsächlich so ist und war, macht Fichte am Beispiel des Grundbesitzes deutlich: ein sich über dingliche
Eigentumsrelationen verstehender Staat wird den Großgrundbesitzer, das ist gewöhnlich der Adlige, in ganz anderer Weise als Staatsbürger verstehen als alle übrigen, die ihm vielmehr nur als „Beisassen" (GA I, 7, 85) erscheinen werden. Etwas abstrakter gewendet: die Entstehung von Heteronomie in den sozialen Beziehungen korrespondiert der Einnahme jener grundsätzlich heteronomen Weltstellung des Subjekts, die sich aus einer dinglichen Auffassung des Eigentums und einem entsprechenden Selbstverlust an das Objekt ergibt. Ein anderes Beispiel, das Fichte zugleich als einen in Beziehung auf die Geschichte des 19. Jahrhunderts sehr weitsichtigen Autor erweist, wäre der Kolonialismus, der immer dann entsteht, wenn ein Volk oder Staat sich nicht von seinen eigenen, ursprünglichen Selbstseinskapazitäten, sondern in dinglicher Abhängigkeit sieht und diese Abhängigkeit durch den Zugang zu neuen Ressourcen mildern will; in Wahrheit erreicht er dabei aber gerade so die eigene, freie Selbstbestimmung nicht, so wenig er anderen ihre Selbstbestimmung, ihr Selbstsein(können) läßt - was er erreicht, ist eine nur noch einmal potenzierte Heteronomie. Beide Beispiele zeigen, daß einer kopernikanischen Wende im Leben der Staaten - der Wende von einer objektivistischen Selbstdeutung hin zu freier Sich-Konstruktion und Selbst-Bildung der Nationen - eine kopernikanische Wende des Denkens entsprechen muß, wie sie Fichte durch seine Philosophie insgesamt ins Werk gesetzt sieht. Die kopernikanische Wende auf der Ebene der Ökonomie ist dann die, daß das Wirtschaften nicht nach der Logik dinglicher Mechanismen (z. B. der systematischen Kapitalanhäufung oder des Wirtschaftswachstums), sondern nach der des Selbstseinkönnens einer konkreten Subjektivität, des „Bildungsgesetzes" eines individuellen Freiheitsraums (denn genau das ist nach Fichte eine Nation), zu denken ist. Auf der untersten Ebene entspricht dem zuletzt, daß es auch für den einzelnen erscheinende und insoweit individuelle Autonomie erst geben kann, wenn die kopernikanische Wende im Eigentumsdenken erfolgt und das Eigentum als Option auf praktische Selbstrealisierung, nicht mehr aber als dinglich begründet gedacht ist.

An dieser Stelle können wir nochmals auf die eingangs bereits erwähnten Revolutionsschriften zu sprechen kommen, hier in erster Linie auf die Beiträge zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die Französische Revolution von 1793. Man kann in Beziehung auf diese Schriften sicher reichlich pauschal, aber sicher auch nicht schlicht falsch sagen, daß Fichte die Französische Revolution insgesamt nicht nur im Sinne einer Rationalisierung der menschlichen Verhältnisse, sondern gerade auch im Sinne ihrer Subjektivierung, das aber heißt: ihrer wesentlichen Entdinglichung verstanden hat. Die Irrationalität der vorrevolutionären Ordnung, wie Fichte sie sah, manifestiert sich zuletzt gar nicht so sehr in kontingent begründeten oder ungerechten Verteilungsverhältnissen als vielmehr darin, daß das Selbstverständnis des Menschen in dieser Ordnung ein durch eine durch falschen Objektivismus induzierte Heteronomie geprägtes war - übrigens eine aller „inneren Freiheit" entbehrende Heteronomie, die im Prinzip mit einer formal vollkommen „gerechten" Verteilung von Gütern und Rechten zusammen bestehen könnte, weshalb von Fichtes Gerechtigkeitspostulat, das es durchaus gibt, auch unabhängig von der Frage des sozialen Atomismus nicht direkt etwa ein Weg zu Rawls führen kann. So, wie vielmehr das Recht der Revolution im Sinne Fichtes darauf beruht, „daß nicht der Staat, sondern die vernünftige Natur des Menschen an sich die Quelle des Eigentumsrechtes sei", wir also „allerdings nach dem bloßen Naturrechte etwas besitzen, und alle anderen rechtlich vom Besitze desselben ausschließen können" (GA I, 1, 273), so geht es bei der „Revolutionierung" des Eigentumsrechts darum, die Vernunftnatur des Menschen selbst als den Horizont alles Eigentumsrechts aufscheinen zu lassen. Genau für diesen Zusammenhang aber gebraucht Fichte in den Beiträgen eine emphatische Formulierung, die zu unserer Frage zurückführt:

„Ursprünglich sind wir selbst unser Eigentum. Niemand ist unser Herr, und niemand kann es werden. Wir tragen unseren, unter göttlichem Insiegel gegebenen Freibrief tief in unserer Brust. [...] Welches Wesen dürfte uns sich zueignen" (GA I, 1, 266)?

Der Ursinn von Eigentum ergibt sich insoweit immer aus dem vernünftigen Selbstbesitz; er besteht in einer reflexiven Beziehung auf sich, insofern diese ein freies Wirken in der Erscheinungswelt, mithin ein reelles Sich-zur-Erscheinung- Bringen einschließt. An der soeben zitierten Stelle heißt es entsprechend weiter:

„Wir sind unser Eigentum: sage ich, und nehme dadurch etwas Zwiefaches in uns an: einen Eigentümer und ein Eigentum. Das reine Ich in uns, die Vernunft, ist Herr unserer Sinnlichkeit, aller unserer geistigen und körperlichen Kräfte; sie darf sie als Mittel zu jedem beliebigen Zwecke gebrauchen. Um uns herum sind Dinge, die nicht ihr eigenes Eigentum sind; denn sie sind nicht frei" (GA I, 1, 266).

Die Eigentumsordnung, hier in der Perspektive der Beiträge, verweist so wiederum auf die asymmetrische Weltstellung des Subjekts als des geborenen Herrn des Objekts, und das Resultat einer Revolution, die tatsächlich im Horizont des Natur- bzw. Vernunftrechts steht, kann nur sein, kein Subjekt von dieser Weltstellung auszuschließen. Inhaltlich meint diese Weltstellung, wie wir im Grunde bereits wissen, Selbst- qua Zwecksetzungskompetenz, d. h. sie erlaubt es dem Subjekt, das Objekt zweckmäßig zu formieren und es damit der Subjektivität zu erschließen. In den Beiträgen heißt es:

„Wir haben das Recht, unsere eigenen sinnlichen Kräfte zu jedem beliebigen Zwecke zu gebrauchen, den das Vernunftgesetz nicht verbietet. Das Vernunftgesetz verbietet nicht, durch unsere Kräfte jene Dinge, die nicht ihr eigenes Eigentum sind, als Mittel für unsere Zwecke zu gebrauchen, noch, sie geschickt zu machen, es zu sein. Wir haben also das Recht, unsere Kräfte auf diese Dinge zu verwenden" (GA I, 1, 266).

Schon in der Darstellung der Beiträge liegt damit implizit jene eigentumstheoretische Synthese, die Fichte im Naturrecht ausdrücklich für sich reklamiert: die Synthese nämlich von „Okkupations-" und „Formationstheorie", von Grotius also und Locke, wenn man die Ideengeschichte des Eigentumsbegriffs rekapitulieren will. Denn die „Okkupation" liegt hier bereits in der Strukturierung der Sinnenwelt durch unseren Zweck, und die „Formation" bezieht sich nur auf das wirkliche Setzen des Zwecks, nicht aber auf dasjenige, was bei dieser Setzung an „Materie" gleichsam übrig bleibt - so daß nach Fichte beispielsweise der Bauer, der den Acker im Sinne seines „Handlungseigentums" okkupiert und bestellt nichts dagegen haben kann, wenn ein anderer unter dem gleichen Acker im Sinne einer anderen freien Tätigkeit Bergbau betreibt. Indes liegt, wie inzwischen klar sein dürfte, nicht in dieser bestimmten Stellung Fichtes zur eigentumstheoretischen Tradition seine „Revolution", sondern darin, das Eigentum ganz allgemein als Vollzugsgröße eingeführt, darin als Kategorie „dynamisiert" und vor allem auch „entsubstantialisiert" zu haben. Die Macht dieser Entsubstantialisierung ist, wiederum allgemein gesprochen, die Subjektivität, um deren Steigerung es allem Eigentum wie zugleich auch aller Eigentumskoordination durch den Staat geht. Man muß wiederum kein Anhänger Fichtescher Sozialplanung, hier: seiner Planwirtschaft sein, um doch das Problem als solches wahrzunehmen, auf das er zeigt: das Problem nämlich, daß jeder einzelne Freiheitsgebrauch reflexiv auf den Grund der Freiheit überhaupt rückbeziehbar sein muß, daß also im einzelnen subjektiven Akt Subjektivität überhaupt wenigstens entsprechend den Regeln ihres Erscheinenkönnens schematisiert auffindbar sein muß, was nach Fichte eben durch eine transparente, rationale Koordination der Eigentumsrelationen, also konkreter „Aktionsräume" der Subjektivität, gewährleistet sein soll. Daß Fichte dabei möglicherweise mehr in die Erscheinung hinein zwingen will, als in ihr vorhanden sein kann, steht dabei auf einem anderen Blatt und bezieht sich unter anderem erneut auf die Differenz zu Hegel, von der schon die Rede war.

Werfen wir an dieser Stelle nun aber auch einen Blick auf die ethische Seite der Frage, die es, wie eingangs erwähnt, bei Fichte auch gibt und die zugleich den Weg frei macht zu einer höchst bemerkenswerten Erweiterung des Eigentumsbegriffs, die wir dann in der späten Rechtslehre antreffen! Fichtes Ethik, will sagen die Sittenlehre von 1798, behandelt zunächst in mehrfacher Hinsicht das Eigentum als konkreten Gegenstand einer Pflicht. Nach Fichte ist so zum einen die Anerkennung des Eigentums, und zwar nicht nur abstrakt der Institution „Eigentum", sondern ihrer konkreten Realisierung im Einzelfall, nicht nur eine juridische, sondern ausdrücklich auch eine moralische Pflicht. Das ist angesichts der Tatsache, daß es beim Eigentum, wie wir inzwischen wissen, immer um das konkrete, erscheinende Selbstsein(können) der Subjekte geht, nicht verwunderlich. Allerdings erweist sich die Pflicht sogleich als auch in dem Sinne reflexiv, als sie stets auch die „Pflicht eines jeden, sich ein Eigentum zu erwerben", meint (GA I, 5, 260). Wenn der Fichtesche sittliche Imperativ lautet, daß die „Intelligenz" „ihre Freiheit" notwendig und „schlechthin ohne Ausnahme" „nach dem Begriffe der Selbständigkeit ... bestimmen solle" (GA I, 5, 69), dann ist der Weg zu der Einsicht, daß der Erwerb von Eigentum durch eigene freie Tätigkeit, der jedenfalls der sinnlichen Selbständigkeit dient, sittlich geboten ist, auch nicht eben weit. Eine negative moralische Pflicht ist es dagegen, das fremde Eigentum, d. h. die Bedingungen fremder Selbständigkeit, nicht anzutasten; das moralische Bewußtsein kann zugleich mit der eigenen Selbständigkeit nur die Selbständigkeit aller anderen wollen und wird darum alles unterlassen, was den fremden vernünftigen Selbstvollzug mindert. Daran schließt sich bei Fichte dann sogar noch eine weitere sittliche Pflicht an, nämlich die, daran zu arbeiten, daß eben die These: „Jeder zum Vernunftgebrauche emporgewachsene Mensch soll ein Eigentum haben" „in den Staaten anerkannt und befolgt werde" (GA I, 5, 262). Denn solange entsprechende Rechtsverhältnisse nicht bestehen, solange - wie es in Analogie zu der Position der Rechtslehre jetzt heißt - „auch nur Ein Bürger kein Eigentum hat" (GA I, 5, 262), ist der Eigentumsvertrag an sich schon gekündigt, weil alle ihr Eigentum ja nur unter der Bedingung haben, daß jeder in seinem bestehen und selbständig sein kann. Dabei bedeutet die Tatsache, daß, wie Fichte sagt, „der Eigentumslose [.] einen Rechtsanspruch auf unser Eigentum" hat (GA I, 5, 264), zwar nicht, daß er auch moralisch dazu befugt wäre, bei einem einzelnen ein Almosen zu erzwingen oder ihn gar gewaltsam um seinen Besitz zu bringen. Das angesprochene Zwangsrecht des Armen bezieht sich jedoch auf den Staat, der dem Armen zu einem Eigentum zu verhelfen hat und dafür das Eigentum der anderen heranziehen darf. Der einzelne dagegen ist moralisch vor seinem Gewissen verpflichtet zu prüfen, was er als einzelner im gegebenen Falle auch jenseits eines ihm auferlegten Rechtszwangs zu tun vermag. Alle ethischen Pflichten in bezug auf das Eigentum, auch die hier nicht genannten, laufen zuletzt auf den Zweck hinaus, „die Kausalität der Vernunft, so viel als möglich, zu befördern" (GA I, 5, 265) - die Welt vernünftiger zu machen, d. h. sie von Kontingenzen und Intransparenzen zu befreien; die Moral aber erkennt im Eigentum (wie Fichte es versteht) ein Mittel der Rationalisierung und damit der Weltappropriation durch das Subjekt. Fichte fordert in diesem Sinne denn auch geradezu, daß eine herrenlose Natur verschwinde und alles auf Erden „Eigentum irgendeines Menschen" werde (ibd.). Denn erst auf der Basis einer abgeschlossenen Appropriation des Objekts, erst in seiner vollendeten Herabsetzung zu einem Medium der Subjektivität kann nach Fichte echte Freiheitskultur beginnen, kann sich der Mensch tatsächlich als Freigelassenen der Schöpfung erfahren und begreifen.

Zu diesem letzten Punkt, der Freiheitskultur und ihrem Zusammenhang mit einem umfassend freiheitlich verstandenen Eigentum, finden wir dann auch in der Rechtslehre von 1812 noch einige Hinweise. Die späte Rechtslehre unterscheidet sich von ihrer Vorgängerin an einem für uns nicht irrelevanten Punkt: bezüglich der Klarstellung nämlich, daß die durch den Staat bestimmten materialen Grenzen des Freiheitsgebrauchs nicht darin aufgehen, den je einzelnen Freiheitssphären und damit bestimmte Tätigkeiten zuzuweisen, in denen sie ihr Ursache-Sein bezüglich des elementar Lebensnotwendigen für sich und zugleich zum Nutzen der Allgemeinheit zur Anwendung bringen. Nach Fichte ist es jetzt vielmehr die Aufgabe des Staates, als terminus ad quem der Arbeit auch die geistige freie Selbsterhaltung, sprich die Muße in den Blick zu nehmen. Fichtes zunächst nicht unbedingt spektakulärer, eher im aufgeklärten Durchschnitt liegender Gedanke lautet hier, daß durch eine immer weitergehende Bemeisterung der Natur, durch ein immer vollkommeneres Anarbeiten gegen sie die Freiräume der Muße stetig erweitert werden können[1]. Daß es zu einer
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[1] In ganz ähnlichem Sinne hat Fr. Schleiermacher in der vierten Rede über die Religion eine Zeit heraufbeschworen, in der „von der Vollendung der Wissenschaften und Künste" zu hoffen sei, „daß sie uns [die] toten Kräfte werden dienstbar machen", so daß „jeder seinen Sinn frei üben und brauchen kann" (Fr. Schleiermacher: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern, Hamburg 1958, 128).

„Institutionalisierung" auch von Muße, sprich zur Etablierung und Gewährleistung von Lebenswelten kommen kann, in denen es nicht nur um die physische, sondern auch die geistige Selbsterhaltung, den intelligiblen Selbstbesitz geht, ist ebenfalls nicht erst von Fichte gedacht worden, sondern im Grunde ebenso in Platons epistemisch gegründetem Staat wie beispielsweise auch noch im Hobbesschen Ansatz enthalten, insofern auch der „Leviathan" so etwas wie einen kulturell-zivilisatorischen Fortschritt erst möglich macht. Äußerst bemerkenswert bei Fichte ist dabei der Hinweis, daß sich mit der korrelativen Muße nicht nur der „Wert der Arbeit" bemißt, sondern daß die durch Arbeit erworbene Muße jene konkrete Freiheit bedeute, die eigentlich „Eigentum" genannt zu werden verdient. Wir lesen bei Fichte folgendes:

„Eigentlich [bedeute[t]] Eigentum: Freiheit: Muße, durch Arbeit [erworben. Diese durch die Arbeit sich ergebende Muße sei der] Wert seiner Arbeit, [und] diesen soll der Staat [einem] jedem zusichern"[1].

Der Sache nach ist diese Deutung nicht überraschend, wenn wir uns an die Grundbestimmung von Eigentum als aktuoses sinnliches Selbstsein(können) erinnern. In der Muße, die bei Fichte sicher nicht einfach, wie man in der Sekundärliteratur lesen kann[2], die „Freizeit" ist, in der Muße also sind wir vor allem als Bildner der Bilder, als Welt und Staat, Moral und Wissenschaft Entwerfende sinnlich selbstseiend tätig. Wir leben hier ein geistiges Leben, in dem wir intensiver noch als in der die Subsistenz erhaltenden Arbeit uns selbst zueigen sind. Der das

Programm markierende Satz aus den Beiträgen: „Ursprünglich sind wir selbst unser Eigentum" findet jetzt auf gewisse Weise seine finale Entsprechung in dem Nachweis, daß wir recht eigentlich in der Muße „selbst unser Eigentum" sind. Die Staatstätigkeit hat in Beziehung darauf den Sinn, entsprechende Freiräume zu etablieren und bereits etablierte zu vergrößern. In der Muße bzw. der Schaffung von Räumen des intelligiblen Selbstbesitzes, um den es in der Muße geht, gibt der Staat den Bürger dabei zugleich sich selbst zurück, d. h. er ermöglicht es ihm, zu einer eigentlich sittlichen Existenz fortzuschreiten. Das Urrecht „Eigentum" ist so der Horizont eines sich selber zugeeigneten, auch mental selbstbestimmten Lebens geworden.


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[1] Fichte: Rechtslehre. Vorgetragen von Ostern bis Michaelis 1812, hrsg. von R. Schottky, Hamburg 1980, 75 - GA II, 13, 242. Im Kontext wird weiter erläutert, daß es einen absoluten Wert der Arbeit bzw. des Arbeitsprodukts nicht geben kann, sondern dieser Wert nach dem „Nationalreichtum" eines jeweiligen Staates zu schätzen ist. Dieser Punkt ist auch deshalb wichtig, weil er es gestattet, kulturelle Unterschiede in der Entwicklung der Staaten im Arbeitswert zu reflektieren: in einem Staat, der mehr Muße „produziert" als ein anderer, steigt entsprechend der Wert der Arbeit und des Arbeitsprodukts pro Einheit.
[2] Cf. J.-Chr. Merle: „Eigentumsrecht (§§ 18- 19)", in: Jean-Christophe Merle (Hrsg.): Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts, Berlin 2001, 170 (= Reihe: Klassiker Auslegen, Bd. 24). Eine nur über das Nicht-Arbeiten bestimmte „Freizeit" kann im Sinne Fichtes kein Strebensziel bzw. der Zweck des Arbeitens sein; daß es in ihr zu wahrhaftem Selbstbesitz, zu sich verwirklichender innerer Freiheit kommt, liegt nicht in ihrem Begriff.

Ausblicke​


Kommen wir damit aber abschließend auf zumindest einige ausgewählte Aspekte zu sprechen, die die im Titel dieses Beitrags angekündigte Aktualität unseres Denkers betreffen! Es zeigt sich hier sehr schnell, daß Fichte auch im Zusammenhang unserer Fragestellung ein Denker auf eigene Rechung ist und kaum in schon bestehende Raster gepreßt werden kann.

Kehren wir, erstens, noch einmal zu dem - etwas plakativ so apostrophierten - Gegensatz von Liberalismus und Sozialismus zurück! Jeder gelernte Sozialist wird es Fichte übelzunehmen geneigt sein, daß er, wie wir gehört haben, scheinbar in ganz ungebrochener Fortsetzung der Lockeschen Tradition, ein vorstaatliches Urrecht auf Eigentum kennt, daß auch durch die Verstaatlichung sprich Positivierung dieses Rechts in seinem Kerngehalt nicht in Frage gestellt werden kann. Das Individuum empfängt, wie wir wissen, was es seinem Personkern nach ist, nach Fichte weder vom Staat noch von der Gesellschaft, sondern es tritt um willen dessen, was es als Vernunftwesen schon ist, überhaupt erst in die Gesellschaft und den Staat ein; seine Urberechtigung zum Eigentum ist die kontinuierliche Erinnerung an die Tatsache, daß Selbstsein, um dessen sinnliches Seinkönnen es beim Eigentum geht, nicht äußerlich induziert und gegründet sein kann. Umgekehrt aber wird es der gelernte Liberale Fichte stets übelnehmen, daß er den Eigentumsvertrag als konstitutiven Bestandteil des Staatsbürgervertrags nur dann als erfüllt betrachtet, wenn in der Tat jeder Staatsbürger auch Eigentümer ist und nicht etwa der Staat durch die Möglichkeit eines Gegensatzes von Eigentümern und Nichteigentümern oder „Beisassen" gekennzeichnet ist. Da Eigentum bei Fichte die Befähigung bedeutet, für die eigene Subsistenz durch Eigentätigkeit Sorge zu tragen, schließt der Staatsbürgervertrag nach Fichte ein staatlich zu garantierendes Recht auf Arbeit ein. Der Liberale wird dagegen etwa geltend machen, daß der Staat selbst dann, wenn es immer genügend Arbeit für alle geben sollte, doch keineswegs notwendig ohne weiteres über die Kompetenz und das Wissen verfügt, deren es zu einer gerechten oder auch nur zweckmäßigen Verteilung der Arbeit bedarf, und in der Tat scheint eine Pseudo-Vollbeschäftigung, wie es sie im „real existierenden Sozialismus" gegeben hat, nicht gerade ein überzeugender Ausweis für eine dem Staat als solchem schon eingeborene Weisheit in diesen Dingen zu sein. Allerdings versteht

Fichte den Staat seinerseits nicht nach Art des Liberalismus als nur eine bestimmte unter anderen gesellschaftlichen Organisationen, die sich nun einmal faktisch oder von konkreten Nutzenerwägungen her herausgebildet hat. Mit dem Staat ist statt eines einzelnen Zweckverbandes vielmehr das Anerkanntsein der Rechtsgenossen durcheinander gesetzt, und dieses Anerkanntsein impliziert ohne weiteres - ab esse ad posse valet consequentia - auch die Bedingungen der Möglichkeit ihres Seinkönnens. Oder anders: im Staat wird die transzendentalphilosophisch einsehbare Tatsache, daß es ein konkretes Selbstbewußtsein immer nur zusammen mit dem anderen Selbstbewußtsein geben kann, zur Institution, was bedeutet, daß zwar nicht zwingend faktisch jedes Bewußtsein um die Wechselverwiesenheit aller Bewußtseine aufeinander wissen muß, durch das Recht aber genötigt ist, so zu leben, als wüßte es darum. Man wird in diesem Sinne mit Fichte immer sagen können, daß Verhältnisse, in denen zur Freiheit bestimmte Wesen, also Rechtsgenossen, von der Möglichkeit freitätiger Subsistenzsicherung dauerhaft ausgeschlossen und ohne echte Perspektive auf Abhilfe „arbeitslos" sind, eben deshalb nicht hinnehmbar sind, weil sie den Kerngehalt, ja die Bedingung der Möglichkeit eines „Staatsbürgervertrags" überhaupt berühren. Gefährdet ist hier nicht etwa nur ein momentaner sozialer Friede. Gefährdet ist vielmehr das unmittelbare Selbstverständnis eines jeden als Vernunftrechtsgenossen, d. h. das reelle Selbstseinkönnen, der Selbstbesitz eines jeden unter Bedingungen empirischer Koexistenz. Wir übersehen dabei die dialektische Pointe nicht, daß nach Fichte gerade das Recht auf Arbeit eine konkrete Darstellung des Urrechts auf Eigentum ist und so gerade nicht sei es das Eigentum abgeschafft, sei es das an den „Produktionsmitteln" sozialisiert werden soll. In gewisser Weise ist hier ein Vermittlungsvorschlag in Beziehung auf die jeweilige particula veri des „Sozialismus" und des „Liberalismus" (um bei diesen plakativen Titeln zu bleiben) ausgesprochen, ein Vermittlungsvorschlag, an den vielleicht fruchtbarere Folgen geknüpft werden können, als man immer meinen sollte. Allerdings ist dieser Vermittlungsvorschlag in einem bestimmten Sinne weit anspruchsvoller, als das Bewußtsein, das sich gewöhnlich mit diesen Fragen zu schaffen macht, vermuten wird, ist er doch ohne den Nachvollzug der kopernika- nischen Wende auch in den praktischen Ding-Relationen nicht zu haben. Insofern handelt es sich dann wohl auch nicht nur um einen Vermittlungsvorschlag zwischen zwei Extremen: es handelt sich um einen Vorschlag, das den genannten Extremen gemeinsame Mißverständnis erst zu durchschauen.

Ähnlich liegen die Dinge bei einer zweiten Frage, die wir in unserem Durchgang ebenfalls schon berührt haben: bei der Frage nämlich, wie sich das Urrecht auf Eigentum - gesetzt einmal, daß alle Eigentümer im Sinne Fichtes sind - zum Gerechtigkeitspostulat verhält. In der Tat gibt es nach Fichte ja diverse, staatlich zu organisierende Eigentumszumessungen, die sich - so im Geschlossenen Handelsstaat - etwa aus der Proportion der individuellen Arbeitsleistung zum Sozialprodukt ergeben oder die - wie in der späten Rechtslehre - auch das Kontingent an Muße betreffen, das dem einzelnen in Beziehung auf seine Arbeitsleistung zusteht. In der Sekundärliteratur hat man aus Fichtes Postulat einer staatlichen Distribution

in den genannten Fällen geschlossen, daß bei Fichte „das Eigentumsrecht ... per definitionem der Forderung der Verteilungsgerechtigkeit unterworfen" werde[1]. Diese Formulierung ist jedoch zumindest mißverständlich. Denn bei Fichte kann gerade nicht gemeint sein, daß einem woher auch immer genommenen Prinzip der Verteilungsgerechtigkeit das Urrecht auf Eigentum „unterworfen" werden könnte. Systematisch gesehen wären wir hier wieder in dem Fall, daß der distributiv verfahrende dritte Grundsatz der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre gegenüber dem ersten, rein-reflexiven Grundsatz Prinzipienrang erhielte, was jedoch schon
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[1] Cf. Merle: „Eigentumsrecht (§ 18- 19)", in: Jean-Christophe Merle (Hrsg.): Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts, Berlin 2001, 172 (= Reihe: Klassiker Auslegen, Bd. 24).

transzendentallogisch ein Widerspruch wäre. Fichtes Intention ist es vielmehr, zu zeigen, daß sich ein zu Ende gedachtes Eigentumsrecht von sich aus nicht anders denn als dem Rechtskriterium genüge tuendes Recht und eben darin als gerechtes Recht erweisen kann; in diesem Sinne ist das „Urrecht" Eigentum (idealer Selbstbesitz) auf seine Empiriefähigkeit hin zu schematisieren, ohne den Kerngehalt des Eigentumsgedankens (tätige Appropriation der Objektivität im vernünftigen Selbstbezug) dabei zu tangieren. Das Rechtskriterium bzw. der „Grundsatz aller Rechtsbeurteilung" ist bei Fichte, wie wir wissen, das Prinzip: „Jeder beschränke seine Freiheit, den Umfang seiner freien Handlungen durch den Begriff der Freiheit des anderen, (so daß auch der andere, als überhaupt frei, dabei bestehen könne)" (NR § 10, GA I, 3, 404). Fichtes Gedanke ist dabei, daß ein als empirisches Selbstseinkönnen verstandenes wirkliches Eigentum sich selbst rechtlich notwendig über die Gesamtheit empirischer Selbstseinkönnensansprüche reflektieren und in diesem Sinne ein Gerechtigkeitsprinzip aus sich selbst entfalten muß[1]. So wahr das Eigentum dabei ein Vernunftrecht ist, muß dann nicht erst die Willkür in Gerechtigkeitsbahnen genötigt, sondern nur der freie Wille an das erinnert werden, was er um seiner eigenen Freiheit willen alleine wollen kann. Das klingt gewiß nach „Idealismus" - und ist es auch. Aber es wäre die Frage, ob es einen anderen als idealistischen Begriff zum Beispiel von Gerechtigkeit überhaupt geben kann und ob am Ende nicht die Alternative zur idealistischen Aufforderung zu qualifizierter Selbstbestimmung immer nur die Gewalt ist.

Schließlich sei noch ein dritter und letzter Punkt angesprochen, den wir an die „kulturstaatliche", auf die innere Freiheit zielende Perspektive der späten Rechtslehre anschließen können. Fichtes Bestimmung der Muße als in gewisser Weise abschließender Stufe des Selbstbesitzes und damit des tätigen Eigentums zeigt auf eine Teleologie in seinem Eigentumsdenken, die über die Rechtssphäre auch noch hinaus- oder in deren Grund wieder zurückführt, zugleich aber auf auch heute aktuelle Fragen, etwa in Beziehung auf eine Bildungsverantwortung des Staates, bezogen werden kann. Wenn das Recht zunächst das wirkliche sinnliche Selbstsein- können in der Gemeinschaft der Selbstseinkönnenden betrifft, dann betreten wir mit der Muße als dem Raum des intelligiblen Selbstbesitzes auch eine intelligible Ordnung der Dinge, die das Recht nur noch bedingt etwas angeht bzw. in der es in bestimmter Hinsicht auch überwunden ist[2]. Die Muße ist so überhaupt der Raum der moralischen, religiösen oder auch wissenschaftlichen Selbstverständigung, sie ist überhaupt der Raum der Bildung in jenem emphatischen Sinne, den das Wort im Kontext der Bildphilosophie des späten Fichte annehmen konnte. Das Selbstsein des Subjekts kommt jetzt im
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[1] Fichtes Gerechtigkeitsbegriff liegt dabei einerseits nahe bei Platons Idiopragie und wird andererseits kaum anders denn als dynamisierbar, d. h. selbst dem Rationalisierungsprogreß in der Rechts- und Staatsentwicklung entsprechend, aufzufassen sein.
[2] Das Recht vermag sich sehr wohl, wie wir oben gesagt haben, auf die Etablierung von Lebenswelten und Institutionen zu beziehen, in denen qualifizierte Freiheit selbst objektive Gestalt erlangt hat. Insofern diese Institutionen aber immer nur der Erscheinungswelt angehören, bedürfen sie für ihre letzte Fundierung des Rückbezugs auf ein moralisches Selbstbewußtsein, das - anders als das Recht - immer den Horizont der Tilgung der Erscheinung als Erscheinung mit umfaßt.

Bilden von Bildern zu sich, in die die Totalität des Seins und Lebens zu fassen ist und in deren flüssiger Medialität wir, die freien Bildner, zugleich einander verbunden sind. Die Zielbestimmung rationalen Selbstbesitzes, um die es hier geht, ist nach Fichte freilich nicht erreichbar, wenn nicht eine staatliche Ordnung der Dinge der Muße überhaupt sinnliche Subsistenz gibt. Zwar ist das Auftreten des moralischen Genies und des Propheten der wahren Bildung zu keinem Zeitpunkt auszuschließen. Dennoch gibt es beispielsweise Universitäten als Orte exemplarischer Selbstzueignung vernünftiger Wesen nicht schon durch das Auftreten solcher Genies und Propheten. Wir sind damit freilich bei einem anderen Thema angelangt, zugleich aber wiederum bei einem Punkt, an dem eine klare Aktualität des Fichteschen Eigentumsdenkens erkennbar wird: an einem Punkt, an dem Fichte eine Alternative zum ökonomistischen Nihilismus aufzuzeigen vermag, wie er heute auf der Ebene des nationalen wie auch des internationalen Rechts die Grundlagen eines auf qualifizierte Freiheit hin ausgerichteten Zusammenlebens (und übrigens auch die Universitäten) zu untergraben droht. Auch hier ist die Pointe die, daß es ausgerechnet das Eigentumsrecht ist, dessen Zuendeden- ken nach Fichte den Ökonomismus hinter sich läßt. Gerade um solcher Pointen willen aber lohnt es sich immer wieder, sich auf Fichte auch als ganz unbequemen Zeitgenossen einzulassen