IV. Interpretation der §§5-6
Zunächst zum Ausgangspunkt der Deduktion der Leiblichkeit: Das erste Hauptstück zeigte, daß sich das praktische Ich eine „Sinnenwelt" als Sphäre der Freiheitsrealisierung voraussetzt. Das Setzen der freien Wirksamkeit jedoch setzte die
Aufforderung zur Selbstbestimmung und die wechselseitige Anerkennung der Iche im Rechtsverhältnis voraus. Nun geht es um die apriorische Möglichkeitsbedingung der „Anwendbarkeit" des Rechtsbegriffs, d. h. der Wirklichkeit des Rechtsverhältnisses, der freien Wechselwirkung der Personen.
Die Deduktion gliedert sich, entsprechend den beiden Voraussetzungen des Rechtsverhältnisses, in zwei Abschnitte: Der erste Abschnitt handelt vom Leib als Möglichkeitsbedingung der Selbstzuschreibung einer bestimmten Freiheitssphäre in der Sinnenwelt (§ 5); der zweite Abschnitt geht einen Schritt in der Voraussetzungsreflexion weiter und zeigt auf, daß jede Selbstzuschreibung einer bestimmten Freiheitssphäre eine Aufforderung voraussetzt, für die Leiblichkeit in bestimmter Weise vorausgesetzt ist (§ 6). Der Aufforderungscharakter des Leibes wird die Voraussetzung dafür sein, daß die freie Wirksamkeit im Sinne der wechselseitigen Anerkennung auch anderen Personen zugeschrieben werden kann. Man kann den Gang der Deduktion auch so zusammenfassen: Im § 5 werden jene Bestimmungen abgeleitet, die sich unmittelbar aus dem Begriff der Person ergeben; im § 6 konkretisieren sich diese Bestimmungen aus dem Anerkennungsgedanken bzw. dem Begriff der Intersubjektivität heraus. So wird die Leiblichkeit als Ermöglichung des Rechtsverhältnisses deduziert.
Der Gang der Deduktion ist ein Fortschreiten vom Abstrakten zum Konkreten, der in der Deduktion des Aufforderungscharakters des Leibes seine Sinnspitze hat. Diese Sinnspitze ist - so die These - eine Konkretion jenes Gedankens, daß die ursprüngliche Apperzeption als sich bewegende Einheit von Prinzip und Tatsache ist. Was die abgeleiteten Bestimmungen der Leiblichkeit insgesamt betrifft, so sind diese zunächst immer als rein transzendentale Bestimmungen zu verstehen. Dies bedeutet, daß zum einen bedacht werden muß, daß die deduzierten Bestimmungen Setzungscharakter haben. Fichte spricht als Transzendentalphilosoph nie unmittelbar ontologisch über seiende Bestimmtheiten, über Eigenschaften eines Dinges, sondern entwickelt ein System prinzipieller Setzungen, die die allgemeingültigen und notwendigen Bedingungen des Selbstbewußtseins darstellen.[1] Zugleich aber zeigt sich im Fortschreiten der Deduktion immer deutlicher, daß dies Setzungen sind, die sich selbst auf ihr Gesetztsein hin transzendieren. Nun zur Betrachtung des Textes.
§ 5 („Vierter Lehrsaz")
Ausgangspunkt der Deduktion ist folgende Tathandlung:
„Das vernünftige Wesen kann sich nicht, als wirksames Individuum, setzen, ohne sich einen materiellen Leib zuzuschreiben, und denselben dadurch zu bestimmen." (GA I, 3, 361)
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[1] Vgl. GA I, 3, 319. Fichte betont auch mitten in der Deduktion: „Man vergesse nicht, daß diese Folgerung nur transscendental zu verstehen ist. Es ist so, heißt, wir müssen es so setzen: und weil wir es so setzen müssen, darum ist es so. Das Vorhandenseyn eines Leibes wurde geschlossen aus der Selbständigkeit und Freiheit. Aber diese ist nur, inwiefern sie gesetzt wird: mithin auch, da das Begründete nicht weiter gehen kann, als der Grund, der Leib nur für den, durch den er gesetzt wird." (GA I, 3, 374)
Was darin an Vermittlungen enthalten ist, wird im Verlauf des § 5 näher auseinandergelegt. Zunächst ist in diesem Satz zweierlei enthalten:
Das „vernünftige Wesen" - d.h. das sich zum praktischen Ich konkretisierte absolute Ich der WL - muß, um wirklich zu sein, sich als vernünftiges Individuum (Person) setzen können. Isoliert vom vernünftigen Individuum betrachtet, ist das „vernünftige Wesen" nichts Wirkliches, eine Abstraktion.
Voraussetzung dafür, wirksames Individuum oder Person zu sein, ist ein „materieller Leib". Dessen Bestimmtheit wird, so erfahren wir hier programmatisch, nicht in etwas Alogischem (z. B. in einem so verstandenen Naturprozeß), sondern im Begriff des vernünftigen Wesens gründen. Fichte spricht im „Beweis" des Lehrsatzes zunächst freilich noch nicht explizit vom „Leib", da sich diese Bestimmung erst in der Entwicklung ergeben muß. Er handelt zunächst von der „Sphäre der Freiheit".
Das „vernünftige Wesen" überhaupt wird Person, oder bestimmtes Vernunftwesen indem es „sich ausschliessend zuschreibt eine Sphäre für seine Freiheit" (GA I, 3, 361). Die unmittelbarste Bestimmung der Leiblichkeit ist es also, Sphäre der Freiheit zu sein. Darin ist zweierlei enthalten:
Die Individualisierung des Ich:
„Indem es diese sich zuschreibt, begrenzt es sich, und wird aus dem absolut formalen ein bestimmtes materiales Ich, oder eine Person." (GA I, 3, 361)
Die Individualität von Ich ist nicht mehr, wie aus der KrV folgt, dem allgemeinen Ich äußerlich, nicht mehr, mit Spinoza gesagt, gefaßt als Modus an der „Substanz" des absoluten Ich, sondern Fichte steht hier vor der Einsicht, daß es dem absoluten (reinen) Ich selbst wesentlich ist, sich zu besondern. Das principium individuationis ist die Freiheit oder Ichheit selbst (mit Hegel gesagt: der sich be- sondernde und in die Einzelheit kontinuierende Begriff). Die Prinzipialität und Faktizität von Ich fallen nicht als zwei getrennte Seiten auseinander. Das formale Ich (das reine Selbstbewußtsein) ist nur als materiales Ich (bestimmtes Bewußtsein) wirkliche Selbstbeziehung, wobei ebenso umgekehrt gilt: das materiale Ich wäre nicht Ich, wenn es nicht Aktualisierung des formalen Ich wäre. Fichte betreibt also in der Betonung der Person und der Individualität nicht eine Anthropologisierung im Sinne Feuerbachs, sondern beide Seiten im Begriff des Ich sind ernst zu nehmen, zu unterscheiden, aber als Momente einer Einheit Entgegengesetzter zu fassen. Wichtig ist: diese Bewegung des formalen Ich zum materialen Ich vermittelt sich über die Setzung einer Freiheitssphäre.
Die Selbstzuschreibung einer Freiheitssphäre ist zugleich die Unterscheidung meiner von ihr, ihr Setzen als Nicht-Ich, als Gegenstand:
„die Sphäre wird gesetzt als nicht vorhanden, durch die in sich zurückgehende Thätigkeit, und diese, als nicht vorhanden durch sie; beide sind gegenseitig unabhängig, und zufällig für einander. Aber was zum Ich sich so verhält, gehört, nach obigem, zur Welt. Die genannte Sphäre wird sonach zuvörderst gesetzt, als ein Theil der Welt." (GA I, 3, 362)
Ich unterscheide mich von der Sphäre meiner Freiheit - mithin auch von meiner Individualität - wie von allem Nicht-Ich. Das weist auf das erste Moment der Freiheit nach Hegel, die absolute Abstraktion im Sinne des § 5 der Rechtsphilosophie hin: Das Ich als das „auf sich selbst thätige" (GA I, 3, 361), das formale Ich setzt sich als alle (eigene) Bestimmtheit von sich unterscheidend. Dadurch wird meine Freiheitssphäre zugleich als „Theil der Welt" gesetzt. Wenn wir vorwegnehmend den Leib für die Freiheitssphäre einsetzen, bedeutet dies: Der Leib ist zwar mein Leib, meine Freiheitssphäre; zugleich ist er dies im Bewußtsein dessen, daß er immer zugleich etwas Vorhandenes, ein Erscheinungsgegenstand ist, den ich nicht willkürlich produziert habe. Das Moment der Entgegensetzung der Freiheitssphäre bedeutet also, daß sie gesetzt ist als nicht gesetzt. Weil der Leib wirklich meiner sein können soll, muß er dies immer auch sein. Beides gilt: Ich bin mit meiner Freiheitssphäre identisch, ich bin mein Leib, zugleich bin ich nicht mein Leib, sondern habe einen Leib. Nur deshalb kann ich den Leib als Mittel meiner Freiheit gebrauchen. Ansonsten müßten wir von einem Geschehen oder naturalen Prozessen sprechen und Freiheit wäre gestrichen. Der Leib ist so zunächst gesetzt als bestimmte Freiheitssphäre, die ich als Individuum bin und als Ichheit zugleich nicht bin. Anders gesagt: Ich bin als materiales Ich Teil der Welt und als formales Ich zugleich Gegenüber der Welt.
Wird diese Einheit von Ich und Nicht-Ich im Begriff des Leibes qua Freiheitssphäre ernst genommen, so deutet sich bereits hier eine Revolution im Begriff des Nicht-Ich an. Denn das Nicht-Ich war bislang an ihm selbst bedeutungsloses Mittel im Zeichen des Primats des Praktischen („Material der Pflicht"). Nun ist ein Nicht- Ich als Manifestation des Ich gesetzt, die Sphäre der Freiheit als unmittelbare Einheit von Ich und Nicht-Ich. Der Leib ist damit als das erste und ursprüngliche Eigentum gesetzt. Das ist die Grundlage dafür, daß sich Freiheit weitere, vermit- teltere Objektivität im Sinne der Ichwerdung des Ichs in Recht und Sittlichkeit geben kann.
Fichte weist auf die Genesis der Gegenständlichkeit der Freiheitssphäre hin, die in den Entwicklungsgang des theoretischen Ich fällt, wie ihn die WL dargestellt hat. Es geht in dieser Erinnerung an die WL allerdings nicht bloß darum, daß das Hinschauen der räumlichen Freiheitssphäre ein Hinausprojizieren der Begrenzung des Selbstgefühls in die Äußerlichkeit des Raumes ist bzw. daß die Setzung der Freiheitssphäre, sofern es sich um ein Nicht-Ich handelt, notwendig ist, um sich als Spontaneität wissen zu können. Die Deduktion hebt ja darauf ab, daß ich mir in dieser Freiheitssphäre entgegenkommen können muß, daß sie das Bewußtsein eines ichlichen Nicht-Ichs ermöglicht. Der Fortschritt in der Deduktion der Leiblichkeit wird so gerade in der sukzessiven Entgegenständlichung der Freiheitssphäre bestehen.
Die Freiheitssphäre als Körper (Fichte spricht hier bewußt noch nicht vom „Leib") hat seine erste und damit noch abstrakteste Bestimmtheit in der Selbstidentität:
„Die Person wird durch dieses Produkt bestimmt; sie ist dieselbe, nur inwiefern jenes Produkt dasselbe bleibt, und hört auf, es zu seyn, wenn jenes aufhört. [...] lene Sphäre wird sonach nothwendig gesezt, als ein im Raume ausgedehnter und seinen Raum erfüllender beschränkter Körper". (GA I, 3, 363)
Die Identität des Körpers bestimmt sich in der Extension (räumlich) und der Fortdauer (zeitlich). Fichte spricht nicht ontologisch (der Körper ist mit sich identisch), sondern: Wenn der Person eine ihr ausschließlich zugehörige körperliche Freiheitssphäre zukommen können soll, dann muß diese als mit sich identisch seiend gesetzt sein.
Worin gründet die Selbstidentität der Person, welcher ihr Körper entsprechen muß? Die Person ist nur als sich wissende, d. h. als bestimmte Einheit von formalem und materialem Ich Person. Ihre Selbstidentität hat also ihren Grund und ihr Bestehen in der sich selbst setzenden Form des Selbstbewußtseins, der reinen Selbstbeziehung des Wissens. Wann würde Personalität zu sein „aufhören"? Wenn sich die reine Selbstbeziehung (formales Ich) nicht setzt. Dies wäre die Fiktion eines Humeschen Impressionenbündels. Ein solches hätte unmittelbar auch alles Bewußtsein von Körperlichkeit verloren; es wäre immer schon unmittelbar (nicht wissend) im unausgedehnten Punkt des Augenblicks, der als solcher für es gar nicht gegenständlich werden könnte, verschwunden. Die Punktualität könnte sich nie zur
Linie im Sinne des Hinschauens der Einbildungskraft ausdehnen und als Räumlichkeit im Sinne des Verstandes fixiert werden, da ein solches „Tun" nicht zugleich in sich zurückgehen würde. Positiv formuliert: Alles Bewußtsein der Körperlichkeit setzt voraus, daß ich mich im Ziehen der Linie, im Durchlaufen der Punkte, erhalte, mich zugleich auf mich beziehe. Ich muß sich auf sich beziehende Einheit in der Mannigfaltigkeit der Ausdehnung sein können. So muß denn auch der Körper der Person als eine solche Bestehen habende Einheit gesetzt sein. Der Körper ist damit Manifestation des sich selbst setzenden Ich. Die Autonomie des Ich muß daher auch in seinem Körper in bestimmter Weise zur Geltung kommen. Der personale Körper kann nicht wesenloser Erscheinungsgegenstand sein, sondern er ist als bestimmte, mit sich identisch bleibende Raumgestalt zu setzen. In dieser gesetzten Selbstidentität, die sich über den Personbegriff vermittelt, liegt seine nunmehr transzendentalphilosophisch gesetzte Substantialität als res extensa. Diese Substanzialität des Körpers ist nichts anderes als das als Nicht-Ich gesetzte Ich oder die Sphäre der nicht-ichlichen Selbstidentität des Ich. D.h. sie verdankt sich nicht der Reflexion, sondern ist gesetzt als eine unmittelbar vorhandene, „gefundene", und zwar „mit einem Male als vollendetes Ganzes" (GA I, 3, 363).
Darin sind wiederum zwei Momente enthalten.
Daraus, daß der Körper Verobjektivierung personaler Identität sein können soll, ist das eine Moment das nicht-ichliche, die Seite seiner Gegenständlichkeit, seines Andersseins gegen mich; der Körper tritt mir immer schon als ein vorgefundenes Anderes gegenüber. Diese Andersheit hat einen Selbststand, der aber nicht einer res cogitans als zweite Substanz gegenübersteht, sondern notwendige Verob- jektivierung personaler Identität ist. Damit ist dasjenige, was eigentlich gemeint ist, wenn gegenwärtig von einem „Leib-Apriori" gesprochen wird, nämlich das unmittelbare Sich-Finden im und als Leib, eingeholt. Das Bewußtsein, auf das man sich da stützen will, hat hier seinen Ort und seine logische Genesis.
Daraus, daß der Körper Verobjektivierung personaler Identität sein können soll, folgt das andere, das ichliche Moment. Was damit gemeint ist, kann man die Notwendigkeit eines unmittelbaren Erschlossenseins des Körpers bezeichnen. Wenn nämlich gilt, daß das Sichselbstsetzen des Ich zu keiner Zeit, d. h. mit einem Schlage sich vollzieht und wenn nun weiters aufgezeigt ist, daß Möglichkeitsbedingung dieses Sichselbstsetzens das Setzen einer körperlichen Freiheitssphäre ist, so muß für diese gelten, daß sie mir zwar ein Anderes ist, ich mich aber in ihr unmittelbar finden können muß. Dies ist die zweite Seite des Satzes, daß der Körper „mit einem Male vollendetes Ganzes" gesetzt sein muß. Diese Ganzheit bedeutet eine unmittelbare Einheit von Ich und Nicht-Ich. Wenn eine körperliche Freiheitssphäre sein können soll, dann muß diese „mit einem Male" für mich sein. In diesem Fürmichsein liegt bereits ein erstes Moment der Innerlichkeit, der Idealität des Körpers, in dem Sinne nämlich, daß Mannigfaltiges in eins gesetzt ist, eben für mich ist. Diese Idealität wird sich freilich erst im § 6 konkretisieren. Wir sehen: Körperlichkeit wird als Manifestation der Autonomie des sich setzenden Ich gefaßt.
Dies ist sie dadurch, daß sie zum einen als ein dem Ich gegenüber relativ selbständiges Anderes gesetzt ist, und zum anderen dadurch, daß sie im Zeichen der Identität des Selbstbewußtseins und seiner Selbstidentität steht.
Mit diesen Bestimmungen sind die elementarsten Voraussetzungen des Realisierens der Freiheit gesetzt. Freiheitsrealisierung bedeutet zunächst Handeln. Handeln ist nur möglich, wenn ich mich in einem bestimmten, beständigen Körper finde, der ich bin und der mir zugleich Gegenstand ist, den ich daher als Mittel meines Handelns und meiner Freiheit einsetzen kann. Daher heißt es nun:
„Der abgeleitete materielle Körper ist gesezt, als Umfang aller möglichen freien Handlungen der Person; und nichts weiter. Darinn allein besteht sein Wesen." (GA I, 3, 363) Handeln bedeutet näher die Übersetzung eines Inneren, des Zweckes, in die äußere Objektivität. Der Körper muß also so gesetzt sein, daß er durch den Zweck (also den bestimmten Begriff des Willens) unmittelbar regierbar ist:
„Die Person ist frei, heißt nach obigem: sie wird lediglich durch das Entwerfen eines Begriffes vom Zwecke, ohne weiteres, Ursache eines, genau diesem Begriffe entsprechenden Objekts; [...] Unmittelbar durch ihren Willen, ohne irgend ein anderes Mittel, müßte sie in ihm das Gewollte hervorbringen; wie sie etwas wollte, müßte es in ihm geschehen. [.]
Die Person kann nicht absolut freie, d. h. unmittelbar durch den Willen wirkende, Ursache seyn, ausser in ihm". (GA I, 3, 363)
Fichte betont damit, daß die Bestimmung, der Zweck des Körpers als ichliches Nicht-Ich es ist, ganz Mittel der Freiheit zu sein, und zwar so, daß durch die Seite des Nicht-Ichlichen am Körper der Zweckverwirklichung ein Widerstand entgegengesetzt wäre. Ein Problem der Vermittlung von res extensa und res cogitans - das schon bei Kant, wie wir festgehalten haben, im Ansatz überwunden ist - kann sich von Fichte her schon gar nicht stellen. Zum einen, weil der Körper, abstrahiert von seinem Ichsein, also als bloßes Nicht-Ich fixiert, keinen Selbststand hat, sondern seine relative Substanzialität, im Sinne seiner Identität mit sich, besteht ja gerade darin, daß sein ganzes Nicht-Ichsein im Zeichen der Autonomie des Ich stehen können muß, deren Erscheinung (im Sinne des späten Fichte) er ist. Zum anderen gilt schon von der WL her, daß die res extensa als Nicht-Ich gewußt wird; dieses ist aber nur vermöge der Tathandlung des Entgegensetzens, nicht aus ihm selbst heraus. Darin ist der Sache nach mitausgesprochen, daß die Sphäre der mechanischen Ursachen, für die das Nicht-Ichliche am Körper steht, der Teleologie als Mittel zur Realisierung des Vernunftzwecks (Strebens nach dem Ich als Idee) untergeordnet ist.
Der nächste Schritt ist: das Regiertwerdenkönnen des Körpers durch den Begriff bringt eine neue Bestimmung herein, die der Bestimmung der Selbstidentität zunächst entgegengesetzt ist:
„wenn ein bestimmtes Wollen gegeben ist, so läßt sich sicher auf eine ihm entsprechende bestimmte Veränderung im Körper schliessen." (GA I, 3, 363)
Wenn der Körper durch den Zweck regiert werden können soll, muß er verändert werden können, in seiner Veränderung jedoch mit sich identisch bleiben. Vom Ich her gesehen: Wenn ich im Zweckrealisieren, im Ergreifen der Mittel, den Zweck vergesse, ist Handeln nicht möglich. Voraussetzung aber dessen wiederum, daß ich einen Zweck festhalte, ist das die sich durchhaltende reine Selbstbeziehung des ,Ich denke'. Wie sind die Bestimmungen der Selbstidentität und der Veränderbarkeit zusammenzudenken?
Um diesen Widerspruch zu lösen, muß der Körper eine Seite der Selbstidentität, der Fortdauer und eine Seite der Veränderbarkeit, der Bewegbarkeit haben. So muß er sich fortbestimmen als Einheit von Materie und Form:
„Er ist Materie. Die Materie ist theilbar ins unendliche. Er, d.i. die materiellen Theile in ihm würden bleiben, und er würde dennoch verändert werden, wenn die Theile ihr Ver- hältniß unter einander selbst, ihre Lage zu einander, veränderten. Das Verhältniß des Mannigfaltigen zu einander nennt man die Form. Die Theile demnach, inwiefern sie die Form constituiren, sollen bleiben; aber die Form selbst soll verändert werden." (GA I, 3, 364)
Zunächst ist zu erinnern, daß auch diese scheinbar ontologisch sprechenden Sätze streng transzendentalphilosophisch zu lesen sind. Jedes „ist" ist zu ergänzen um ein: „ist zu setzen als", denn es geht hier um ein System von Setzungen, die notwendig sind, um die Realisierbarkeit des Rechtsverhältnisses zu denken. So ist die Materialität des Körpers nicht ein Befundstück, sondern notwendige Setzung, ebenso seine Formbestimmtheit.
Fichte spricht hier sehr knapp. Es wird nicht näher gezeigt, wie die Bestimmungen Materie und Form mit den Bestimmungen Ganzes und Teil zusammenhängen. Man könnte den Gedanken vielleicht so näher ausfalten: Der Körper ist zunächst Materie, d. h. Möglichkeit der Bestimmung oder Teilbarkeit. Die wirkliche Bestimmung oder Aktualisierung der Möglichkeit gehört der Form an. Die Form aktualisiert die unendliche Teilbarkeit zu einer bestimmten Teilung des ganzen Körpers. Die Form konstituiert also die Teile und damit das Ganze des Körpers. In der Bestimmung von Materie und Form treten Reminiszenzen an die Aristotelischen Bestimmungen von hyle und morphe bzw. eidos auf: Die Materie ist Voraussetzung der Fortdauer des Körpers. Sie muß aber so bestimmt sein, daß sie die Möglichkeit der Veränderung ist. Dies ist sie a) durch die unendliche Teilbarkeit und b) durch die Veränderbarkeit der Lage oder des Verhältnisses der materiellen Teile. Aus der Materie allein kann aber der Körper nicht erklärt werden. Ihr aktuales Geteiltsein bzw. das lage- und verhältnismäßige Bestimmtsein der materiellen Teile muß in dem Prinzip der Form gründen.
Wichtig ist, daß die Form nicht als selbsttätiges Prinzip gefaßt wird. So heißt es: „die Form selbst soll verändert werden [Hervorhebung M.G.]." Sie selbst ist also nicht das die Materie bestimmende Prinzip, sondern dieses soll unmittelbar der Begriff sein:
„Demnach - unmittelbar durch den Begriff entsteht Bewegung der Theile, und dadurch Veränderung der Form." (GA I, 3, 364)
Von Aristoteles her betrachtet leitet Fichte hier nicht die forma corporis ab, sondern in gewisser Weise erst die äußere, ruhende Form („Verhältnis des Mannigfaltigen zueinander"), die nicht an ihr selbst tätige Form (autokinoun) ist, sondern erst eines aktualisierenden oder bewegenden Prinzips, nämlich des Begriffs bedarf. Die Ontologie hingegen hat die forma corporis wesentlich als tätige Form, als Lebensprinzip (Seele) verstanden, der dann auch eine Eigenständigkeit gegen die sich wissende Seele zugekommen ist (wodurch sich das Problem ergeben hat, forma corporis und forma formarum zusammenzudenken). Fichte dagegen setzt im Sinne der WL beim Begriff als der forma formarum an, die jene Form unmittelbar regieren können soll. Form meint hier also nicht ein relativ eigenständiges Lebensprinzip, sondern eine reine Rezeptivität für den Begriff. Indem Fichte betont, daß der Wille den Körper unmittelbar regieren können muß, besteht die transzendentalphilosophisch konsequent radikale Unterordnung der „Natur" unter die Freiheit im Sinne des durch Fichte radikalisierten Primats des Praktischen. Ein unmittelbares Durchwirkenkönnen des Begriffs muß möglich sein, wenn Handeln möglich sein können soll.
Von der platonisch-aristotelischen Ontologie her gesehen, erscheint diese Stufe der Deduktion als abstrakt und im Festhalten dieser Bedeutung von Form zugleich etwas Gewaltsam-Mechanistisches, da von der Form als Lebensprinzip (noch) nicht die Rede ist. Das wird auch aus den Ausführungen des Folgeabschnitts deutlich, die die Vorstellung einer durch den Begriff bewegten Gliederpuppe evozieren. In der Einschätzung dieser Stelle dürfen wir aber nicht vergessen, daß das Leitmotiv der Deduktion es ist, daß der Körper als ichliches Nicht-Ich eingeholt wird. Auf der Stufe der Deduktion, auf der wir uns befinden, ist dies zunächst eben damit gesetzt, daß die Form des Körpers nichts anderes als Medium des Begriffs sein können soll. Zugleich aber, und darin liegt wohl noch ein Problem, wird dieses Medium noch von der Technik her verstanden. Die Form des Körpers ist hier noch als ein dem Begriff Äußerliches, dessen er sich irgendwie bedienen können soll, gesetzt. Soll aber der Körper, so können wir vorausblickend sagen, wirklich ichliches Nicht-Ich sein, so darf diese Form dem Begriff nicht gegenüberstehen, sondern muß als die seine gesetzt sein. Anders gewendet: Die forma corporis muß als Besonderung der forma formarum gefaßt werden. Dann wird die forma corporis auch eine relative Eigenständigkeit haben, indem sie die leibliche Innerlichkeit und Idealität (im Sinne des Selbstgefühls etwa) ermöglichen wird. Damit wird die Ichlichkeit des Nicht-Ich konkreter werden. Was das Bisherige anlangt, so überwiegt noch das Nicht-Ichliche des Leibes. Man kann vermuten, daß Fichte aus diesem Grund erst vom „Körper", noch nicht vom „Leib" spricht.
Wenn Veränderung der Form sein können soll, dann muß die Bestimmung der Form diejenige der prinzipiell uneingeschränkt freien Bestimmbarkeit sein. Der nächste Schritt ist somit, daß die Form des Körpers als Medium des Begriffs dynamisiert werden muß:
„Im beschriebenen Körper werden die Kausalitätsbegriffe der Person durch Veränderung der Lage der Theile gegen einander ausgedrükt. Diese Begriffe, d. h. das Wollen der Person, kann ins unendliche verschieden seyn; und der Körper, der die Sphäre ihrer Freiheit enthält, darf dieselbe nicht hemmen. Ieder Theil müßte sonach seine Lage zu den übrigen ändern können, d. h. er müßte sich bewegen können, indeß alle übrige ruhen; jedem, in das Unendliche, müßte eine eigne Bewegung zukommen." (GA I, 3, 364)
Das Wollen oder die Freiheit im Sinne der Willkürfreiheit genommen, ist unendliche Bestimmbarkeit. Dem muß die Form des Körpers entsprechen, indem ihre Bestimmtheit als reine Bestimmbarkeit zu setzen ist. Dies bedeutet, daß alle Teile für sich und unabhängig von einander bestimmbar sein müssen.[1] Damit aber gewinnen die Teile eine gewisse Eigenständigkeit gegen das Ganze, was dann gleich im Begriff des Gliedes seinen Niederschlag findet:
„Der Körper müßte so eingerichtet seyn, daß es jedesmal von der Freiheit abhienge, den Theil größer, oder kleiner, zusammengesezter, oder einfacher, zu denken: hinwiederum, jede Menge von Theilen zu denken, als ein Ganzes: mithin selbst als Ein Theil in Beziehung auf das größere Ganze; jedes in dieser Rücksicht als Eins gedachte wieder zu theilen. Die Bestimmung, was jedesmal Ein Theil seyn solle, müßte abhängen lediglich vom Begriffe. Ferner, daraus, daß etwas als ein Theil gedacht wäre, müßte folgen eine eigen- thümliche Bewegung desselben; und diese abermals vom Begriffe abhängen." (GA I, 3, 364)
Dies bringt in zugespitzter Weise die prinzipielle Setzung der völligen Bestimmbarkeit der Freiheitssphäre durch den Willen zum Ausdruck.[2] Nicht nur die Teile, sondern auch das Verhältnis von Ganzem und Teil soll ganz relativ auf den Willen sein. Man kann den Gedanken, um den es Fichte geht, so wenden: unendliche Bestimmbarkeit auf Seiten des Ich setzt eine vollständige Vermitteltheit, d. h.
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[1] Rätselhaft erscheint die aktivische Formulierung, daß jeder Teil „sich bewegen können" muß, ja ihm eine „eigene Bewegung" zukommen muß. Geht es Fichte hier um Selbstbewegung jedes Teiles (wodurch wäre diese vermittelt?) oder nicht doch bloß um die Bewegbarkeit durch den Begriff?
[2] Günter Zöller spricht von einem „Betätigungsmonopol der Person in der eigenen Freiheitssphäre": „Es gibt kein bestimmtes Wollen innerhalb der exklusiven Freiheitssphäre ohne dessen unmittelbare Wirksamkeit eben darin, und umgekehrt gibt es keine Veränderung in der Freiheitssphäre der Person ohne den entsprechenden Begriff dieser Veränderung im Wollen der Person." Günter Zöller: „Leib, Materie und gemeinsames Wollen als Anwendungsbedingungen des Rechts (Zweites Hauptstück: §§ 5 -7)", in: Jean-Christophe Merle (Hrsg.): Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts, Berlin 2001, 99 (= Reihe: Klassiker Auslegen, Bd. 24).
Beherrschbarkeit der körperlichen Freiheitssphäre durch den Willen voraus:
„Etwas, das als ein einzelner Theil in diesem Verhältnisse, gedacht wird, heißt ein Glied; in diesem müssen wieder seyn Glieder; in jedem wieder Glieder, und so ins unendliche fort. Was jedesmal als Glied betrachtet werden soll, muß abhängen vom Kausalitätsbegriffe. Das Glied bewegt sich, wenn es als solches betrachtet wird; das, welches dann, in Bezie-
hung darauf, das Ganze ist, ruht: das, was, in Beziehung darauf, Theil ist, ruht gleichfals, d.i. es hat keine eigne Bewegung, wohl aber die mit seinem gegenwärtigen Ganzen gemeinschaftliche. Diese Beschaffenheit eines Körpers heisst Artikulation. Der deducirte Körper ist nothwendig artikulirt, und muß als ein solcher gesetzt werden." (GA I, 3, 364 f.)
Der körperlichen Freiheitssphäre darf, anders gesagt, keine Bestimmtheit von Ganzem und Teil bzw. Glied zukommen, die die unendliche Freiheit des Ich beschränkte. Indem der Körper so bestimmt ist, ist er Artikulation - d. h. Ausdruck, Manifestation - der unendlichen Bestimmbarkeit. Mit der Bestimmung der Artikulation zeigt sich in dieser Deduktion erstmals näher der Gedanke der Begriffsexistenz. Mit dem artikulierten Leib ist jedoch noch nicht, wie der Begriff des Glieds vermuten lassen könnte, schon der Organismus erreicht, sondern erst eine, wenn man so will, innere Transparenz und reine Medialität der körperlichen Freiheitssphäre, die sich dann freilich in einer „bestimmten ursprünglichen Gestalt" (I 3, 376) manifestieren wird müssen. Aufgabe des § 6 wird es sein, diese Artikulation - und das bedeutet nichts anderes als: die Ichhaftigkeit des Körpers - im Sinne seiner ursprünglichen Gestalt näher zu bestimmen.
Zusammengefaßt: Im § 5, der vom Begriff der Person ausgeht, erreichen wir nicht mehr als eine prinzipiell beherrschbare Gliederpuppe. Vom weiteren Gang der Deduktion her betrachtet ist festzuhalten, daß dies jene leibliche Objektivität der Freiheit ist, die noch im Zeichen des Nicht-Ich steht. Noch ist keine leibliche Innerlichkeit gesetzt, keine Organizität und Monadizität, also noch nicht ein wirklich ichliches Nicht-Ich. Dem Mangel an Innerlichkeit korrespondiert eine noch bestimmungslose Äußerlichkeit, denn die Artikulation des Leibes soll zwar Medium des Begriff sein, ist aber an ihr selbst noch nicht durch den Begriff oder das Ich näher bestimmt. So ist die Form des Leibes dem Begriff bzw. der Freiheit noch äußerlich. Dies hebt sich nun auf.
Die zunächst angeführte Tathandlung spricht die Interpersonalität als Bedingung des Selbstbewußtseins aus. Wir gehen hier also einen Schritt in die Voraussetzungen der Tathandlung des § 5, der vom Begriff der Person ausgegangen ist, zurück. Von da her werden sich auch die entscheidenden Konkretisierungen der Artikulation des Leibes ergeben, die die Realisierbarkeit des Rechtsverhältnisses erklären:
„Die Person kann sich keinen Leib zuschreiben, ohne ihn zu setzen, als stehend unter dem Einflusse einer Person ausser ihr, und ohne ihn dadurch weiter zu bestimmen." (GA I, 3, 365)
Mit „Einfluß" ist die Aufforderung bzw. Anerkennung gemeint, die das Rechtsverhältnis (§ 4) konstituiert. Das Rechtsverhältnis setzt voraus, daß die Personen ihre Freiheitssphären in wechselseitiger Anerkennung beschränken. Fichte spricht in diesem Zusammenhang von der „Wechselwirkung vernünftiger Wesen" (GA I, 3, 371). Der § 6 wird die apriorischen Bestimmungen der Leiblichkeit zu rekonstruieren haben, welche die Möglichkeitsbedingungen wechselseitiger Anerkennung bzw. Aufforderung bilden. Überblicken wir den Entwicklungsgang des § 6, so kann der Grundgedanken in der Weiterbestimmung der Leiblichkeit zur Orientierung vorwegnehmend so gefaßt werden:
Aus der Notwendigkeit der Interpersonalität wird sich die Konkretisierung der Form des Leibes zur forma formans ergeben, die Setzung der Monadizität bzw. Innerlichkeit des Leibes.[1]
Dieser Konkretisierung des Inneren korrespondiert eine Konkretisierung der Gestalt des Leibes (vermittelt darüber auch der Sinnenwelt). Der Leib wird als personale Gestalt, als Gestalt der Autonomie, der unmittelbar ein Aufforderungscharakter zukommen wird, abgeleitet werden.
Zunächst ist nicht von Aufforderung, sondern von der „Einwirkung" einer Person auf die andere die Rede:
„Die Person kann, zufolge des zweiten Lehrsatzes, sich gar nicht setzen mit Bewußtseyn, sie setze denn, daß eine Einwirkung auf sie geschehen sey. Das Setzen einer solchen Einwirkung war ausschliessende Bedingung alles Bewußtseyns, und der erste Punkt, an den das ganze Bewusstseyn angeknüpft wurde." (GA I, 3, 365)
Alles wirkliche, d. h. individuelle Selbstbewußtsein, alle wirkliche Selbstbestimmung setzt eine „Einwirkung" eines anderen Individuums voraus. Der Leib muß das entsprechende Medium dieser Einwirkung sein können. Auch hier wird - wie im § 5 - der Anfang mit der unmittelbarsten, abstraktesten Bestimmung, der Einwirkung, gemacht. In der Folge konkretisiert sich dasjenige, was diese Einwirkung bedeutet und was somit auch deren leibliche Medialität voraussetzt.
Zunächst zur Bestimmung der Einwirkung: diese ist die dürftigste, noch äußerliche Bestimmung der Intersubjektivität bzw. Geistigkeit, denn sie verweist auf die Relationskategorie der Kausalität bzw. den Mechanismus, während die Bestimmung der wechselseitigen Anerkennung als Kategorie wirklicher Freiheit auch noch über die, mit Hegel gesagt, der Sphäre der Notwendigkeit angehörende Relationskategorie der Wechselwirkung hinausweist, und die Bestimmung der Aufforderung ohnehin bereits auf die Sprache als den, wiederum mit Hegel gesagt, existierenden Begriff verweist. Vorausgeschickt sei daher, daß die Rede Fichtes von der „Einwirkung" sich nur in mittelbarer Weise auf ein Problem des theoretischen Ich bezieht - wie denn eine solche Einwirkung etwas für mich sein kann -, sondern es gilt immer mitzubedenken, daß der Sache nach wechselseitige Anerkennung und Aufforderung bzw.
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[1] „Die weitere Bestimmung des Leibes, und, vermittelst seiner, der Sinnenwelt, ist geschlossen aus der notwendigen Gemeinschaft freier Wesen, welche abermals Bedingung der Möglichkeit des Selbstbewußtseyns ist" (GA I, 3, 374).
Intersubjektivität gemeint ist.
Zunächst ist man mit der Kategorie der Einwirkung an Leibnizens Mühlen- gleichnis[1] und die Lehre von der Fensterlosigkeit der Monade erinnert. Fällt Fichte hinter Leibniz zurück, wenn er von einer „Einwirkung" einer Person auf die andere spricht? Nein, und zwar zunächst schon deshalb nicht, weil sich bereits mit dem Ansatz der frühen WL jedes Abbildungs- oder Repräsentationsmodell der Erkenntnis endgültig erledigt hat.[2] Alles passive Bestimmtsein hat die Selbstbestimmung zu diesem Bestimmtsein zur Voraussetzung. Gerade dieser Punkt wird es sein, von dem her Fichte die entscheidenden Konkretisierungsschritte dieser Einwirkung in Richtung Aufforderung zur Selbstbestimmung aufzeigen wird.[3]
Wie bestimmt sich diese Einwirkung näher? Sie muß zunächst als nicht-gesetzte gesetzt sein; ich muß das Bewußtsein haben, daß auf meinen Leib eingewirkt wird. Eine solche äußere Einwirkung ist aber eine Veränderung meiner Freiheitssphäre, die nicht meinem Willen entspringt. Nun soll aber der Leib nichts anderes als meine Freiheitssphäre sein. Das sich daran anknüpfende Problem kann mit Kuno Fischer zunächst so formuliert werden:
„Wenn aber in dem leiblichen Gebiete eine Tätigkeit stattfindet, welche nicht der Ausdruck meines Willens ist, so hört dieser Leib auf, die ausschließende Sphäre meines Willens, d. h. mein Leib zu sein."[4]
Das Problem wird dadurch gelöst, daß das Einwirken nicht das Erzeugen einer Tätigkeit oder Wirksamkeit ist, denn alles Erzeugen einer Tätigkeit des Leibes muß dem Willen der Person angehören können - sonst wäre er nicht mein Leib. Die Einwirkung kann daher nur eine Hemmung meiner Wirksamkeit bedeuten:
„Es ist auf das Vernunftwesen, als Individuum, gewirkt, heißt sonach: eine Thätigkeit, die ihm, als Individuum, zukommt, ist aufgehoben. Nun ist die umfassende Sphäre seiner Thätigkeit, als eines Individuum, sein Leib; die Wirksamkeit in diesem Leibe demnach, das Vermögen in ihm, durch den bloßen Willen Ursache zu seyn, müßte gehemmt, oder kürzer, es müßte auf den Leib der
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[1] G.W. Leibniz, Monadologie § 17.
[2] Vgl. Fichtes Ausführungen zur Annahme affizierender Dinge an sich in der Ersten Einleitung in die Wissenschaftslehre (GA I, 4, 195 ff.).
[3] Vergleicht man Fichte mit Leibniz, soweit dies von ihren unterschiedlichen Ansatzpunkten her möglich ist, so findet sich bei Leibniz ebenfalls der Gedanke, daß die Monade notwendig leiblich ist, mithin der Leib Manifestation der Monadizität ist. Fichte holt diesen Gedanken transzendentalphilosophisch ein. Damit verknüpft sich bei Fichte zugleich die Lösung zweier Probleme, die sich bei Leibniz aufgrund seines ontologischen Ansatzes nicht stellen konnten. Fichte geht es nämlich erstens um den Aufweis der Genesis der apperzipie- renden Monaden aus ihrer wechselseitigen Aufforderung zur Freiheit, was eine bestimmte Weise von Einwirkung voraussetzt; zweitens um den Aufweis der Vermittlung perzipierenden und apperzipierenden Monadizität (sofern die perzipierende Monade für die Leiblichkeit steht), als Möglichkeitsbedingung für die Selbstbesonderung der absoluten Monade. An die Stelle des Determinismus der prästabilierten Harmonie als der monas monadum actu tritt die notwendige und zugleich freie Selbstbesonderung des absoluten Ich.
[4] Kuno Fischer: Geschichte der neuern Philosophie, Bd. 5: J.G. Fichte und seine Vorgänger, 2., neu bearbeitete Auflage, Heidelberg 1890, 506.
Person eingewirkt seyn." (GA I, 3, 366)
Diese Hemmung der Wirksamkeit darf die Tätigkeit nicht unmöglich machen, da dies einen mechanischen Zwang bedeutete. Dann würde der Leib nicht mehr Sphäre
meines Willens sein können. Ich muß daher die Hemmung meiner Tätigkeit freiwillig setzen, d. h. die Tätigkeit als gehemmt setzen:
„Aber die Person soll die geschehene Einwirkung auf sich beziehen; sie soll die für den Augenblick aufgehobene Thätigkeit setzen, als eine ihrer möglichen Thätigkeiten überhaupt, - als enthalten in der Sphäre der Aeusserungen ihrer Freiheit. Sie muß dieselbe sonach setzen, um sie nur als aufgehoben setzen zu können; dieselbe muß sonach wirklich vorhanden seyn, und kann keinesweges aufgehoben seyn." (GA I, 3, 366)
Das Hervorbringen der gehemmten Tätigkeit in mir ist jene Tätigkeit, die „kei- nesweges aufgehoben" sein kann, wenn eine solche Einwirkung für mich sein können soll (darin bestünde die Fichtesche Fortbildung des Leibnizischen Arguments der Fensterlosigkeit der Monade in unserem Zusammenhang). Die Freiheit ist unhintergehbar: Ich muß mich als bestimmt bestimmen. Dazu Kuno Fischer:
„Also kann durch äußere Einwirkung in meinem Leibe keine seiner Thätigkeiten gesetzt, sondern nur aufgehoben oder gehemmt werden, und zwar nur unter der Bedingung, daß die gehemmte Thätigkeit meine eigene ist, die ich als solche setze, d. h. durch meinen Willen in meinem Leibe hervorbringe. Ich bringe in meinem Leibe durch die Wirksamkeit meines Willens die Thätigkeit hervor, welche durch die Wirksamkeit von außen gehemmt ist."44
Das Resultat ist der Widerspruch, die Hemmung zugleich als meine eigene zu setzen:
„Es muß sonach dieselbe bestimmte Thätigkeit der Person zugleich, in demselben unget- heilten Momente, aufgehoben seyn, und auch nicht aufgehoben seyn, wenn ein Bewusst- seyn möglich seyn soll." (GA I, 3, 366)
Dieser Punkt führt die Deduktion einen bedeutenden Schritt weiter. Ich muß die Hemmung als meine eigene setzen können, sie in mir selbst aufnehmen und zugleich hervorbringen können. Die Notwendigkeit des freien Hervorbringenkönnens der gehemmten Tätigkeit ist nun der Punkt, an dem die Notwendigkeit von Sinnlichkeit, mithin von leiblicher Innerlichkeit auftritt. Ich kann nur dann die Hemmung meiner Tätigkeit in mir aufnehmen und zugleich hervorbringen, wenn mein Leib ichliches Nicht-Ich ist, also von der absoluten Form durchgriffen ist, eine innere Einheit darstellt, welche die Entgegengesetzten in sich hat. Die spröde Äußerlichkeit des Leibes gegen das Ich, die bislang noch bestanden hat, muß aufgehoben sein, der Leib in das Ich gesetzt sein. Der Widerspruch im Begriff der Einwirkung kann sich also nur im Setzen der Idealität des Leibes lösen: Ich bin in der Perzeption in mir und zugleich außer mir, Rezeptivität und Spontaneität in einem. Darin gründet die Notwendigkeit der Idealität des Leibes im Sinne der Perzeptionsfähigkeit. Fichte spricht vom „Sinn" (GA I, 3, 368). Damit ist nicht der Kantische Erkenntnisstamm im Sinne der reinen Anschauungsformen gemeint, sondern die Sinnlichkeit als Empfindungs- und Wahrnehmungsfähigkeit, der Leib als sensibler Leib. Das ist ein bedeutender Schritt in der Vermittlung von reinem und empirischem Ich. Der Leib ist nun nicht mehr Gliederpuppe, sondern die Ein-
wirkung fordert, daß das Mannigfaltige des räumlichen Auseinander aufgehoben ist, in einem Punkt, dem Sinn, zusammenlaufen können muß.
Wenn also ein System von Ichen sein können soll, dann kann der Leib nicht bloß Gliederpuppe sein, sondern die Äußerlichkeit muß durch ein Selbstverhältnis regiert werden. Das war im Grunde schon vorausgesetzt, wenn es im § 5 hieß, daß der Begriff den artikulierten Leib regieren können soll. Diese Voraussetzung ist nun eingeholt: der Sinn ist das Durchwirken des Begriffs in den Leib hinein. Leiblichkeit ist als manifeste Innerlichkeit gesetzt. Dies ist die Möglichkeitsbedingung aller Perzeption, mithin aller Erfahrung, aller Empirie. Daher sagt Fichte, daß wir nun - was wiederum entscheidend für das Einholen der Vermittlung von Prinzipialität und Faktizität von Ich - den „Anfang aller Erfahrung" (I 3, 367) eingeholt haben.[1] So setzt Selbstbewußtsein Sinnlichkeit voraus. Dazu Kuno Fischer:
„Setzen wir nun, daß die Bedingung, welche den Leib dazu [für das Einwirken, M.G.] empfänglich macht, der Sinn ist, so wird ohne den Sinn die Einwirkung nicht geschehen können, von welcher unsere Selbstbestimmung abhängt. Und da alles Bewußtsein durch unsere Selbstbestimmung bedingt und nur durch die Reflexion auf dieselbe möglich ist, so leuchtet ein, daß der Sinn die ausschließende Bedingung alles Bewußtseins ausmacht."[2]
Dieser Sinn ist in sich gedoppelt:
„Was wird denn nun eigentlich gesezt, indem das beschriebene gesezt wird? Offenbar eine doppelte Weise, die Artikulation zu bestimmen, die man indeß selbst eine doppelte Articulation, oder ein doppeltes Organ nennen mag, die sich folgendermaßen zu einander verhalten: das erstere, in welchem die Person die aufgehobne Bewegung hervorbringt, und das wir das höhere Organ nennen wollen, kann modificiret werden durch den Willen, ohne daß es dadurch das andere, welches wir das niedere Organ nennen wollen, werde." (GA I, 3, 367)
Wir haben am Ende des § 5 festgehalten, daß die Artikulation für die Medialität des Leibes steht, die einer bestimmten Gestalt entsprechen muß. Mit der Bestimmung des Sinns bestimmt sich auch die Artikulation fort. Die Freiheitssphäre wird zum in sich gedoppelten „Organ", die mir die Einwirkung vermitteln muß. Der Leib als das Vermittelnde zwischen den Ichen ist damit als in sich gebrochene Mitte bestimmt. Man kann sagen: Der niedere Sinn ist die nicht-ichliche Seite und der höhere Sinn die ichliche Seite der leiblichen Medialität. Das niedere Organ ist die Modifizierbarkeit des Leibes durch eine äußere Einwirkung. Das höhere Organ ist so gesetzt, daß es nicht durch eine Einwirkung, sondern nur durch den Willen modifizierbar ist:
„Es gehört sonach zur Wahrnehmung der hier geforderten Einwirkung folgendes. Die Person muß der Einwirkung stille halten, sich ihr hingeben, sie muß die in ihrem Organ hervorgebrachte Modifikation nicht aufheben. Sie könnte dies durch ihren bloßen Willen, und muß, wenn es nicht geschehen soll, die Freiheit ihres Willens beschränken. Ferner, sie muß die in ihr hervorgebrachte Modifikation ihres Organes innerlich [Hervorhebung M.G.] mit Freiheit nachbilden." (GA I, 3,
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[1] Der Empirismus hingegen fragt nach dem empirischen Anfang der Empirie. Jede empirische „Ableitung" der Sinnlichkeit ist aber, so sieht man hier leicht, zirkulär, weil es die Faktizität des Abzuleitenden als Tatsache des Bewußtseins immer schon vorausgesetzt hat.
[2] Fischer: Fichte, a.a.O., 506.
Und: Es
„ist ihm [dem Leib, M.G.] zugeschrieben ein höheres und niederes Organ; von denen das niedere, durch welches er mit Objecten und vernünftigen Wesen ausser sich erst in Beziehung kommt, unter einem fremden Einflusse stehen kann, das höhere aber nie." (GA I, 3, 368)
Hier ist zunächst wieder auf die Diktion zu achten. Fichte sagt nicht: der Leib hat ein höheres und niederes Organ, die wir als Tatsache des Bewußtseins finden, sondern er sagt: es ist dem Leib „zugeschrieben"; darin spricht sich der prinzipielle Setzungscharakter aus. Entscheidend ist die Bestimmung des höheren Organs. Dieses ist nämlich von theoretischer und zugleich praktischer Bedeutung:
Die theoretische Bedeutung des höheren Organs ist, daß damit gewährleistet ist, daß jene Einwirkung nicht ein Mechanikum, ein unmittelbares Bestimmtsein, ein Abbilden (womit Freiheit durchgestrichen wäre) ist. Das „niedere Organ" steht für die Seite des Bestimmtseins, das höhere Organ für die Seite der Selbstbestimmung; es ist das Organ des Nachbildens der Einwirkung bzw. des Hervorbringens der gehemmten Tätigkeit. Dies ermöglicht, daß die Person „bei dieser Art der Einwirkung ganz und vollkommen frei" (GA I, 3, 368) bleibt. Die Freiheit der Wahrnehmung in theoretischer Hinsicht besteht in der Unhintergehbarkeit dessen, daß ich das, was ich wahrnehmen können soll, zugleich auch innerlich hervorgebracht, nachgebildet haben können muß. Dies versteht sich aber schon aus der theoretischen WL. Fichte geht es in unserem Zusammenhang nicht in erster Linie darum, sondern um
die praktische Bedeutung des höheren Sinns. Diese besteht darin, daß die Existenz der Einwirkung als relativ auf den Willen gesetzt ist:
„Das, von einer Ursache ausser ihr [der Person, M.G.], in ihr Hervorgebrachte kann sie sogleich aufheben, und sie sezt ausdrücklich, daß sie es sogleich aufheben könne, daß sonach die Existenz dieser Einwirkung lediglich von ihr abhänge." (GA I, 3, 368)
Damit ist ausgesagt, daß es von meinem Willen abhängen können muß, ob diese Einwirkung als solche für mich zur Existenz kommt. Ich muß sie für mich gelten lassen. Ich muß mir die „Freiheit der Reflexion" (ebd.) in ihr erhalten können, die darin besteht, daß ich sie grundsätzlich auch nicht gelten lassen kann.
Es versteht sich, daß sich dies nicht auf ein theoretisches Weltverhältnis des Ich bezieht da dieses das Setzen eines Sichgenötigtfindens durch ein Nicht-Ich wesentlich enthält. Es geht hier also gar nicht um einen Eindruck, den ich bemerken muß. Sondern der Hinweis auf den Freiheitsakt des Geltenlassens bezieht sich auf das praktische Weltverhältnis des Anerkennens eines Eindrucks als den eines anderen Ich. Es geht hier ja nicht um die Deduktion des Wahrnehmens aus dem theoretischen Ich, sondern um die Deduktion der Leiblichkeit aus der Notwendigkeit der Interpersonalität heraus.[1]
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[1] Mit Blick auf das Theoretische müßte Fichte wohl nicht vom Aufhebenkönnen der Einwirkung sondern vom immer schon Aufgehobensein im Sinne des Vermitteltseins sprechen. Die Einwirkung muß mir immer schon gegenständlich sein können. Die „absolute Freiheit der Reflexion" würde dann bedeuten, daß ich mich von allen Bewußtseinsinhalten unterscheiden können muß. Ich muß mich immer auch theoretisch, betrachtend verhalten können. So würde das besagte Aufhebenkönnen nicht auf eine willentliche Negation verweisen, sondern auf die immer schon vorausgesetzte Vermitteltheit aller unmittelbaren Bestimmtheit.
Daraus ergibt sich: Das höhere Organ soll die Voraussetzung dafür sein, daß ich eine Einwirkung ungezwungen Bestehenlassen und solcherart, wie wir vorausblickend ergänzen können, als Einwirkung eines Vernunftwesens anerkennen kann. Das höhere Organ ist - im Unterschied zum niederen Organ - als jene Seite der Leiblichkeit bestimmt, durch die der Leib Anerkennungsmedium sein kann. So wird sich dann auch weiter ergeben, daß der höhere Sinn nicht zufällig mit demjenigen identifiziert wird, das die platonisch-aristotelische Tradition als die theoretischen Sinne (Gesicht, Gehör) bezeichnet. Denn deren Besonderheit ist es ja, den Gegenstand bestehen zu lassen, ganz Medium für seine Präsenz zu sein. Nun ist die Frage zu beantworten, wie denn diese Einwirkung selbst näher bestimmt sein muß, damit ich sie solcherart anerkennen kann?
Die Einwirkung muß so bestimmt sein, daß sie nicht bloß als naturaler Vorgang erscheint, sondern ein anderes Vernunftwesen als Ursache gewußt werden kann. Die Einwirkung muß - und damit deutet sich bereits der Gedanke der Aufforderung an - als personale Einwirkung gewußt werden können:
„Als Ursache der beschriebenen Einwirkung auf das Subjekt, soll lediglich ein vernünftiges Wesen ausser dem Subjekte gesezt werden können. Der Zweck dieses Wesens wäre der gewesen, auf das Subjekt einzuwirken." (GA I, 3, 368 f.)
Das muß sich mir an der Einwirkung des anderen Subjekts zeigen können. Die Einwirkung muß daher so bestimmt sein, daß aus ihr zweierlei hervorgeht: erstens, daß das zweckmäßige Tun einer anderen Person ihre Ursache ist und zweitens, daß diese Zweckmäßigkeit darin besteht, daß auf mich als Person eingewirkt ist, also mein Personsein - um diesen Ausdruck wiederum vorwegnehmend einzusetzen - anerkannt ist. Darin zeigt sich bereits, daß diese Einwirkung Medium der wechselseitigen Anerkennung sein können muß: Ich muß durch sie die Ursache der Einwirkung als eine personale anerkennen und zugleich mich durch diese anerkannt finden können. Wie muß sich das manifestieren?
Dadurch, daß die Einwirkung so beschaffen sein muß, daß sie ihren Zweck nicht an meiner Selbstbestimmung vorbei mechanisch bzw. im Sinne eines Automatismus erwirkt, sondern zugleich mich involviert (was sich als Aufforderung konkretisieren wird):
„Aber es ist, erwiesener Maassen, auf dasselbe gar nicht eingewirkt, wenn es nicht durch seine eigene Freiheit dem geschehenen Eindrucke still hält, und ihn innerlich nachahmt. Das Subjekt muß selbst zwekmäßig handeln, d.i. es muß die Summe seiner Freiheit, die den geschehenen Eindruck aufheben könnte, auf die Erreichung des vorgesezten Zwecks der Erkenntniß beschränken, welche Selbstbeschränkung eben das ausschliessende Kriterium der Vernunft ist. Das Subjekt also muß durch sich selbst die Erreichung des Zwecks des Wesens ausser ihm vollenden, und dieses müßte sonach auf diese Vollendung durch das Subjekt gerechnet haben, wenn es überall
einen Zweck gehabt haben soll. Es ist demnach für ein vernünftiges Wesen zu halten, inwiefern es durch diese Voraussetzung der Freiheit des Subjekts seine eigene Freiheit auf die Weise der gegebenen Einwirkung beschränkt hat." (GA I, 3, 369, Hervorhebung M.G.)
Die Ursache der Einwirkung ist als eine personale anerkannt, wenn ich die schrankenlose Sphäre meiner Willkürfreiheit beschränke, um mich zur Realisierung des vom anderen intendierten Zwecks zu bestimmen, um diesen Zweck zugleich zu meiner Sache zu machen. Dies setzt aber voraus, daß ich schon in der Art und Weise der Einwirkung in meiner Freiheit anerkannt bin. Dies bin ich zunächst dadurch, daß mir die Realisierung des Zwecks nicht aufgezwungen wird, sondern die Selbstbeschränkung meiner Freiheitssphäre (die ja zunächst die Realisierung des Zwecks bedeutet) durch die andere Person bloß angestoßen wird, diese mir als meine Aufgabe erscheint.
Wie kann ich aber wissen, daß ich durch die andere Person als frei anerkannt wurde? Dies muß sich an dem Charakter der Einwirkung bzw. des Eindrucks zeigen können.
Dies setzt voraus, daß ich wissen muß, daß die andere Person grundsätzlich auch in entgegengesetzter Weise auf mich hätte wirken können, nämlich so, daß ich nicht als frei anerkannt bin. Kuno Fischer:
„Ich muß zu erkennen vermögen, daß die Ursache jener Einwirkung keine andere Art des Eindrucks beabsichtigt hat, als einen solchen, dessen Annahme oder Nichtannahme von meiner Freiheit abhängt, daß sie nicht anders auf mich einwirken wollte. Wenn sie gewollt hätte, so hätte sie auch anders auf mich einwirken können; sie hätte einen Eindruck auf mich ausüben können, den ich bemerken mußte, der mir die Freiheit der Reflexion nicht ließ, also meine Freiheit nicht anerkannte, sondern mir Zwang und Gewalt anthat."[1]
Eine solche Einwirkung wäre eine „gänzliche[] Hemmung" (GA I, 3, 370), eine Einschränkung meiner Freiheitssphäre, deren Existenz nicht mehr von meinem Willen abhängig wäre. Das Bewußtsein dieses unmittelbaren Bestimmtseins ist das Gefühl des Zwanges.
Dieser Zwang setzt voraus, daß das auf mich Einwirkende so beschaffen ist, daß es meine Tätigkeit schlechthin hemmen kann. Daraus leitet sich die Notwendigkeit der Materie ab, die als zäh und undurchdringlich bestimmt ist, um dadurch Hemmung der freien Bewegung, Widerstand, zu sein. Dies ist wiederum streng transzendentalphilosophisch zu verstehen: nicht ist damit über ein Wesen der Ma- terie, ihr Ansichsein, etwas ausgesagt worden, sondern über ihr notwendiges Gesetztsein für mich und aus dem Begriff der Freiheit heraus:
„Diese Hemmung der freien Bewegung in meinem Leibe muß ich, zum Behuf der postu- lirten Entgegensetzung, nothwendig als möglich setzen; und mein Leib ist abermals weiter bestimmt. Als Bedingung derselben muß ich ausser mir setzen eine zähe haltbare Materie, fähig, der freien Bewegung meines Leibes zu widerstehen; und so ist durch die weitere Bestimmung meines Leibes auch die Sinnenwelt weiter bestimmt." (GA I, 3, 370)
Die Leiblichkeit ist nun bereits so konkret bestimmt, daß ihre Bestimmung zugleich eine Bestimmung der Natur als „Sinnenwelt" bedeuten muß. Daß bei Fichte die Sinnenwelt im Sinne des radikalisierten Primats des Praktischen von der Freiheit und den Voraussetzungen ihrer Wirklichkeit her zu denken ist, versteht sich.[2]
Nicht nur das Gegenüber (Sinnenwelt) muß als materiell gesetzt sein, sondern ebenso der Leib, auf den eingewirkt wird. Denn die Materie darf in Bezug auf meinen Leib nicht Widerstand schlechthin sein, der alle Bewegung negierte. Der Leib muß aus Freiheitsgründen materiell sein, denn ich muß mittels meines Leibes in der Lage sein, diese Negation meiner Freiheit (Hemmung) selbst negieren zu können, dem Widerstand einen Widerstand entgegensetzen können:
„der Leib muß physische Kraft haben, ihrem Eindrucke, wenn auch nicht unmittelbar durch das Wollen, dennoch mittelbar durch Kunst, d.i. durch Anwendung des Willens auf den noch freien Theil der Artikulation, zu widerstehen. Dann aber muß das Organ dieser Kausalität selbst aus solcher zähen haltbaren Materie zusammengesetzt seyn". (GA I, 3, 370)
Zunächst ist zu bemerken, daß die Ableitung der Materialität des Leibes aus dem Gedanken der Negation der physischen Hemmung das Abzuleitende bereits voraussetzt. Wie könnte meine Freiheit durch einen physischen Zwang bedroht sein, wenn der Leib dabei nicht schon als materiell bestimmt wäre? In diese Schwierigkeit gelangt Fichte wohl durch das Festhalten an der Methode der WL.
Fichte spricht von der Anwendung des Willens auf die Artikulation des Leibes als einer „Kunst". Dies kann so interpretiert werden, daß das Ergreifen des Leibes und seiner Artikulation durch den Willen der erste und ursprüngliche Akt der techne ist; der Leib ist das erste und unmittelbarste Werkzeug der Freiheit. In den Corollaria des § 6 wird Fichte näher auf die Notwendigkeit der Inbesitznahme des Leibes durch den Menschen, den Gebrauch der Glieder, im Unterschied zum Tier eingehen. Wichtig ist hier, daß schon mit der Inbesitznahme des materiellen Leibes die Sphäre dessen beginnt, was man im Anschluß an Cassirer Kultur nennen kann. Die Materialität des Leibes ist Voraussetzung aller Freiheitsobjektivation. Ohne materielle Leiblichkeit keine Kultur, keine zweite Natur, die, wie sich hier schon zeigt, als Negation ihrer Negation Bestehen hat.
Das Vernunftwesen als Person muß also materiell sein. Als solches ist es als durch physische Einwirkung, als mechanisch affizierbar gesetzt. Die geforderte Einwirkung ist damit näher negativ bestimmt: Sie darf nicht bloß eine unmittelbar physische, bloß zwingende sein, denn diese ermöglicht nicht freie Selbstbeschränkung, ein anerkennendes Zulassen. Die bloß physische Einwirkung betrifft mich, sofern ich auch Sache, Nicht-Ich bin; damit aber bin ich noch nicht als Person anerkannt. Positiv formuliert: Die Einwirkung muß also so bestimmt sein, daß in ihr der Leib nicht bloß als Nicht-Ich aufgefasst wurde, sondern der Leib als „Sinn", d. h. als ichliches Nicht-Ich, als
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[1] Fischer: Fichte, a.a.O., 507 f.
[2] Eine mittlerweile klassisch gewordene Sammeldarstellung der Äußerungen Fichtes zur Natur gibt Reinhard Lauth: Die transzendentale Naturlehre Fichtes nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, Hamburg 1984.
Präsenz des Vernunftwesens anerkannt ist. Dies ist das „Kriterium der Wechselwirkung vernünftiger Personen" (GA I, 3, 317). Indem die Einwirkung nämlich solcherart bestimmt ist, erscheint sie, mit Kant formuliert, nicht als bloße Naturkausalität, sondern als eine Kausalität aus Freiheit.
Damit ist die Aufgabe des Punktes IV.2.3 gelöst: Das Rechtsverhältnis setzt voraus, daß die Personen ihre Freiheitssphären in wechselseitiger Anerkennung beschränken. Dazu muß die Ursache dieser Selbstbeschränkung, jene Einwirkung, als eine personale anerkannt werden können. Als personale kann ich sie aber nur anerkennen, wenn sie nicht als eine naturkausale, mechanische Bestimmung meiner Freiheitssphäre wirkt, sondern wenn ich sie als eine Aufforderung zur Freiheit verstehen kann, in der ich als Vernunftwesen schon anerkannt bin. Dies bedeutet, daß die Einwirkung an den Leib nicht als bloßes Nicht-Ich, sondern an ihn als „Sinn" adressiert sein muß.
Eine Einwirkung auf den „Sinn" soll so möglich sein, daß sie sich zwar im Medium der Materialität vollzieht, zugleich aber nicht als physisch-mechanischer Zwang, sondern als eine meine Freiheitssphäre anerkennende zu verstehen ist. Diese kann sich nur auf den „höheren Sinn" beziehen. Nun soll aber der höhere Sinn ganz im Zeichen der Selbstbestimmung durch den Willen stehen; die durch ihn gesetzte Bestimmung der Form der Artikulation des Leibes soll unmittelbar und ausschließlich vom Willen abhängen. Wenn auf den höheren Sinn eingewirkt werden können soll, so muß ein entsprechendes materielles Medium gesetzt sein, durch das eine Einwirkung ohne Hemmung des Sinns, ohne physischen Zwang, d. h. ohne „unmittelbare körperliche Berührung" (GA I, 3, 371) möglich ist. Daraus leitet Fichte die Notwendigkeit der Unterscheidung der Materie in eine „zähe, und haltbare" einerseits und eine „feinere und subtilere" (ebd.) andererseits ab. Daß mit der letzteren Luft und Licht gemeint sein werden und mit dem höheren Sinn der Gesichts- und Gehörssinn, deutet sich in den beiden Beispielen - das Sehen einer Gestalt und das Hören von Sprache (GA I, 3, 372) - bereits an. Der niedere Sinn (mithin die zähe und haltbare Materie) scheidet als Medium der freien Wechselwirkung aus, da man auf ihn bloß physisch wirken kann, ohne den höheren Sinn vorauszusetzen. Wird aber auf den höheren Sinn gewirkt, muß man den anderen schon als frei anerkannt haben. So hat sich das Kriterium der Wechselwirkung vernünftiger Wesen konkretisiert: Die Wechselwirkung von Personen, die Voraussetzung der Rechtsgemeinschaft ist, muß sich durch den höheren Sinn vermitteln.
Dieser Punkt enthält eine Zwischenbemerkung zum bisherigen Gang der Deduktion und eine Erinnerung hinsichtlich der Methodenform. Fichte betont hier - und man kann es, wie die Rezeptionsgeschichte lehrt, nicht oft genug betonen -, den transzendentalphilosophischen Denkduktus. Ein zweiter Mißverstand hinsichtlich der Wissenschaftslehre besteht darin, diese Setzungen als schlecht subjektive, willkürliche Akte des empirischen Ich mißzuverstehen, denen ein Ansich- sein gegenüberstehen soll. Demgegenüber betont Fichte, daß diese Setzungen „keinesweges mit Freiheit, sondern mit absoluter Nothwendigkeit" (GA I, 3, 374) sich vollziehen, also der transzendentalen Vergangenheit (Schelling) des „immer schon" angehören. Diese Setzungen sind Grund aller Objektivität: „und [nur, M.G.] ein auf diese Weise geseztes hat für uns Realität." (ebd.)
Hat Fichte gesehen, daß er mit dem Gedanken der Anerkennungs- und Aufforderungslehre den Boden der WL, auf dem er noch ganz zu stehen meint, bereits verlassen hat? Fichte weist darauf hin, daß die weitere Bestimmung des Leibes und der Sinnenwelt sich notwendig aus der „notwendigen Gemeinschaft freier Wesen" (ebd.) ergeben, „welche abermals Bedingung der Möglichkeit des Selbstbewußt- seyns ist, und so an unserem ersten Punkte hängt." (ebd.) Hier spricht Fichte so, als handelte es sich um weitere Möglichkeitsbedingungen, die in derselben Weise am „Punkte" des Ich hängen. Er sieht hier noch nicht, daß dieser Punkt seinen methodischen Selbststand bereits eingebüßt hat. Wir sind schon im Ansatz des Naturrechts bei Möglichkeitsbedingungen des Selbstbewußtseins angelangt, die nicht bloß notwendige Setzungen sind, sondern die zugleich das Gesetztsein dieses setzenden Punktes erkenntlich machen. Der späte Fichte wird dies sehen; hier interpretiert er sich aber noch als ganz auf dem Boden der frühen WL stehend.
An diese Methodenreflexion schließt sich eine Reflexion auf die objektive, und das bedeutet nun näher: intersubjektive Gültigkeit des Abgeleiteten an. Fichte wendet sich damit gegen eine subjektiv-idealistische Fehldeutung der Transzendentalphilosophie, die in einem Solipsismus endet. Fichte weist hier darauf hin, daß die Frage, wie wir denn überhaupt zu einer gemeinsamen Welt kommen, an sich bereits ihre Antwort gefunden hat. Man kann den Gedanken so formulieren: Das reine, allgemeine Ich muß sich zur Person bestimmen. Personsein aber setzt eine Gemeinschaft von Personen voraus, die frei (zunächst im Sinne des Rechtsverhältnisses) wechselwirken können sollen. Dies setzt wiederum eine gemeinsame Welt - eine gemeinschaftliche Sphäre der Freiheit - voraus.
„Ein solches Setzen ist nothwendige Bedingung des Selbstbewußtseyns; und liegt daher im Begriffe der Person. Setze ich daher ein Wesen ausser mir als Person, so muß ich von ihm nothwendig annehmen, daß es das gleiche setze, oder, was hier dasselbe ist, ich muß ihm den reellen Besitz und Gebrauch zwei solcher unterschiedenen Organe zuschreiben, ich muß die reelle Existenz einer so bestimmten Sinnenwelt für ihn annehmen." (ebd.)
Alles bisher Abgeleitete gilt nicht nur für ein Individuum, sondern die Individualität von Ich, für alle Personalität, für alle endlichen Vernunftwesen. Es handelt sich um Setzungen, die Personalität bzw. Individualität a priori ermöglichen. Es sind nicht Bestimmungen, bei denen es von meiner Willkür abhängt, ob ich sie einem anderen zuschreibe oder nicht. Man kann den hier ausgesprochenen Gedanken so wenden: Kein Bewußtsein der Personalität ohne a) das Bewußtsein der „Fremdzuschreibung" von Personalität und b) das Bewußtsein einer gemeinsamen Welt.
„Auch dieses Uebertragen meines nothwendigen Denkens auf eine Person ausser mir, liegt im Begriffe der Person. Ich muß demnach der Person ausser mir zuschreiben, daß, falls sie mich als Person setze, sie dasselbe von mir annehme, was ich selbst von mir, und ihr annehme; und zugleich von mir annehme, daß ich dasselbe von ihr annehme. Die Begriffe von der bestimmten Artikulation vernünftiger Wesen und von der Sinnenwelt ausser ihnen, sind nothwendig gemeinschaftliche Begriffe; Begriffe, worüber die vernünftigen Wesen nothwendig, ohne alle vorhergegangene Verabredung, übereinstimmen, weil bei jedem in seiner eigenen Persönlichkeit die gleiche Art der Anschauung begründet ist, und sie müssen als solche gedacht werden. Ieder kann von dem anderen mit Grunde voraussetzen, ihm anmuthen, und sich darauf berufen, daß er die gleichen Begriffe über diese Gegenstände habe, so gewiss er ein vernünftiges Wesen sey." (GA I, 3, 374 f.)
Damit ist ein wesentlicher Schritt über den im Sinne der Jacobi-Kritik drohenden Nihilismus hinaus zum Denken von Begriffsexistenz getan. Es ist die Selbstbewegung der Ichheit als der absoluten Form, in der Wirklichkeit der „Sinnenwelt" wie der interpersonalen Welt zureichend begründet ist. Dies hat besondere Aktualität in Bezug auf Debatten im Feld der „Bewußtseinsphilosophie", sofern sie (oft von vorkritischen Voraussetzungen ausgehend) um die Problematik kreisen, wie es zu denken ist, daß die Unhintergehbarkeit der „Erste-Person-Perspektive" nicht schon per se in den Nihilismus des Solipsismus bzw. dogmatischen Idealismus[1] führt, der sich nicht nur in Gestalt eines Außenwelt-Skeptizismus ausspricht, sondern auch das Problem des Fremdpsychischen im Sinne eines „Außen-Ich-Skeptizismus" wendet. Dann kann man sich z. B. auch die Frage stellen, ob die erscheinenden Leiber auch tatsächlich solche eines anderen Ich sind. Ist das, was wir mit Heraklit die gemeinsame Welt nennen, die wir bei wachem Logos haben, nur Teil einer privaten Traumwelt?
Dem ist mit Fichte zunächst entgegenzuhalten, daß schon die Rede von einer „Perspektive" des Ich insofern irreführend ist, als damit gerade nicht eine opake Unmittelbarkeit eines „ganz Anderen", sondern das Vermittelnde oder das schlechthin Allgemeine gemeint ist. Die „Ich-Perspektive" ist diesem Sinne nicht bloß eine besondere Perspektive, die nur je mir angehört und über die niemand wissen kann. Bei dieser bloßen Besonderheit des Ich ist nicht stehenzubleiben. Denn diese „Erste-Person-Perspektive" - im Sinne des Ichs des ersten Grundsatzes der WL - ist immer auch die Perspektivität überhaupt. Als solche ist sie geradezu das Medium einer gemeinsamen Welt, von Intersubjektivität. Wäre sie dies nicht, dann könnte ich den Gedanken einer Uneinholbarkeit der je meinigen Besonderheit gar nicht vollziehen, geschweige denn einem anderen mitteilen. Ein Außerhalb dieser Perspektivität gibt es immer nur innerhalb der Perspektivität der absoluten Form. Das für den Nominalismus und Positivismus unlösbare Problem des Fremdpsychischen ist bei Fichte schon im Ansatz überwunden, denn es gilt: ohne Aufforderung, ohne Anerkennung kein Selbstbewußtsein. Es gäbe gar kein „Eigenpsychisches" ohne sein Anerkanntsein durch das „Fremdpsychische". Näherhin setzt dieses Anerkennen auch voraus, daß mich der Leib des anderen zur Anerkennung dessen nötigt, daß es sich bei dieser Gestalt nicht um ein bloßes Nicht-Ich oder ein bloß scheinbares Ich handelt. Das kann der Leib aber nur als notwendige Objektivität der absoluten Form.
Nach diesen Einschüben entwickelt Fichte das Herzstück der Deduktion der Leiblichkeit, was sich schon an dem Umfang dieses Punktes zeigt: die Deduktion des Aufforderungscharakters des Leibes. Der Gedanke knüpft an das Resultat von IV.2.4 an, wo gezeigt wurde, daß das Kriterium der Wechselwirkung von Personen darin besteht, daß diese sich vermittels des höheren Sinns vollziehen muß um die Einwirkung als personale anerkennen zu können. Nur dann ist auch eine freie Selbstbeschränkung der
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[1] Vgl. Fichtes Widerlegung dieses Standpunktes in den Corollaria des § 2.
Freiheitssphäre möglich, die das Rechtsverhältnis fordert.
Zunächst macht Fichte auf ein Problem aufmerksam: Selbstbewußtsein „in der Wirklichkeit, nicht dem Vermögen nach" (GA I, 3, 375) ist von der Einwirkung einer anderen Person, d. h. einer Aufforderung zur Selbstbestimmung abhängig. Wenn ich aber erst durch diese Einwirkung wirkliches Selbstbewußtsein, Person werde - mit welcher Notwendigkeit ist denn eine solche Einwirkung gesetzt? Denn „vor" der Einwirkung bin ich ja noch gar nicht wirklich Person. Richtet die andere Person die Einwirkung auf „mich" nur durch Zufall? Ist sie abhängig vom Zufall des guten Willens der anderen Person? Dann jedoch würde gelten, daß die Personalität des anderen vom Zufall des guten Willens einer wiederum anderen Person abhängig wäre usw. So würde gelten: „alle Vernünftigkeit [und alles Selbstbewußtsein] hängt ab vom Zufalle" (ebd.). Alle Personalität, mithin aber auch der höchste Punkt der WL würde sich somit als nur im Zufall begründet, daher als unbegründet erweisen. Es ergäbe sich damit der Widerspruch, daß wir im Durchgang durch die apriorischen Möglichkeitsbedingungen von Selbstbewußtsein an einen Punkt angelangt wären, an dem sich die Voraussetzung aller bisherigen Ableitungen durchstreicht:
„So kann es nicht seyn: denn dann bin ich als Person zuerst doch nicht selbstständig, sondern nur ein Accidenz eines anderen, welcher wieder ist ein Accidenz eines dritten, und so ins unendliche." (ebd.)
Wir sind damit an jenem entscheidenden Umschlagspunkt der Deduktion angelangt, an dem ihr oberster prinzipieller Aufhänger, von dem her das System der apriorischen Setzungen im Sinne der WL abgeleitet wird, als ein gesetzter ausgesprochen werden muß. Das Ich steht nicht in sich - und zwar in dem Sinne, daß es rein aus sich heraus den Schritt von seiner dynamis zu seiner energeia als Person vollziehen könnte. Fichtes Argument lautet nun: Dieses Gesetztsein des Setzenden, mithin die Aktualisierung des Vermögens Ich zu sein, darf nicht unbegründet im Sinne eines empirisch-kontingenten Zuschreibungsaktes sein, sondern muß selbst apriorisch, d. h. allgemeingültig und notwendig sein. Diese Aufgabe gilt es nun zu lösen:
„Dieser Widerspruch [des Gesetztseins des Setzenden, M.G.] läßt sich nicht anders heben, als durch die Voraussetzung, daß der andere schon in jener ursprünglichen Einwirkung genöthiget, als vernünftiges Wesen genöthiget, d.i. durch Consequenz verbunden sey, mich als ein vernünftiges Wesen zu behandeln: und zwar, daß er durch mich dazu genöthiget sey; also, daß er schon in jener ersten ursprünglichen Einwirkung, in welcher ich von ihm abhange, zugleich von mir abhängig sey; daß demnach schon jenes ursprüngliche Ver- hältniß eine Wechselwirkung sey. Aber vor jener Einwirkung vorher, bin ich gar nicht Ich; ich habe mich nicht gesetzt, denn das Setzen meiner selbst ist ja durch diese Einwirkung bedingt, nur durch sie möglich. Doch soll ich wirken. Ich soll sonach wirken, ohne zu wirken; wirken ohne Thätigkeit." (GA I, 3, 375)
Der Widerspruch, das Setzende als zugleich gesetzt denken zu müssen, löst sich im Begriff einer notwendigen ursprünglichen Wechselwirkung. Eine personale (intersubjektive) Wechselwirkung ist damit als Voraussetzung dafür erkannt, daß ich mein Personsein aktualisiere. Es ist daher immer auch schief, von einer ursprünglichen Wechselwirkung von Ichen oder Personen zu sprechen, wie dies in soziologischen Lesarten der Anerkennungslehre Fichtes auftreten mag. Die Wechselwirkenden haben ihr personales Sein actu nur in der ursprünglichen Wechselwirkung.
Wie soll aber eine notwendige ursprüngliche Wechselwirkung zwischen Ichen möglich sein, wenn durch diese ja erst mein Personsein, meine Bestimmung zur Selbstbestimmung aktualisiert werden soll? Wodurch ist also gewährleistet, daß es sich um eine ursprüngliche Wechselwirkung handelt, die nicht abhängig von einem kontingenten Zuschreibungsakt ist?
Dieses Problem löst sich durch die Unterscheidung von (realer, nicht bloß formeller) Möglichkeit und Wirklichkeit des Personseins. Der mich anerkennen und auffordern Sollende muß durch mich sofern ich Vermögen wirklicher Personalität bin a priori zur Anerkennung und Aufforderung aufgefordert werden. Anders gewendet: Der mit mir ursprünglich Wechselwirkende muß genötigt sein anzuerkennen, daß ich der (realen) Möglichkeit nach Person bin.
Dies ist wiederum nur möglich, wenn mein bloßes Vermögen, Person zu sein, den anderen a priori unmittelbar („ohne Tätigkeit") zur Aufforderung und Anerkennung auffordert. Hier erlangt nun die Leiblichkeit ihre volle und eigentliche Bedeutung nach Fichte. Der Leib muß als reale Möglichkeit des Personseins, d. h. der Selbstbestimmung erscheinen können, um den anderen zur Aufforderung und Anerkennung auffordern zu können. Dieser Aufforderungscharakter des Leibes wird im folgenden entwickelt. Systematisch gesehen ist entscheidend, daß dabei immer der Gedanke der Begriffsexistenz vorausgesetzt und immanent ist.
Zunächst wird gezeigt, daß das zur Möglichkeit der ursprünglichen Wechselwirkung geforderte bewußtlose Wirken ein Wirken des Vermögens zu Wirken be- deutet. Das zur Aufforderung Auffordernde muß das Vermögen zu Wirken sein. Nun tritt der Gedanke der Begriffsexistenz auf:
„Aber ein Vermögen ist nichts als ein idealer Begriff: und es wäre ein leerer Gedanke, einem solchen das ausschliessende Prädikat der Realität, die Wirksamkeit zuzuschreiben, ohne anzunehmen, daß es realisirt sey." (GA I, 3, 375)
Es liegt im Begriff des Vermögens zur Selbstbestimmung, daß sich dieses Vermögen realisiert (die Freiheit ist es, sich Objektivität zu geben). Dieses Vermögen zur Selbstbestimmung muß als Leib existieren:
„Nun ist das gesammte Vermögen der Person in der Sinnenwelt allerdings realisiret, in dem Begriff ihres Leibes, der da ist, so gewiß die Person ist, der da fortdauert, so gewiß sie fortdauert, der ein vollendetes Ganzes materieller Theile ist, und demnach eine bestimmte ursprüngliche Gestalt hat, nach dem obigen. Mein Leib müßte also wirken, thätig seyn, ohne daß ich durch ihn wirkte." (GA I, 3, 375 f.)
Wie ist es möglich, daß ich durch meinen Leib bewußtlos wirke? Das Vermögen zur Selbstbestimmung, die Freiheit, muß sich als Gestalt des Leibes manifestieren und durch diese Gestalt unmittelbar wirken:
„Er müßte daher durch sein bloßes Daseyn im Raume, und durch seine Gestalt wirken, und zwar so wirken, daß jedes vernünftige Wesen verbunden wäre, mich für ein der Vernunft fähiges anzuerkennen, und nach dieser Voraussetzung zu behandeln." (GA I, 3, 376)
Wie ist es weiters möglich, daß die bloße Gestalt des Leibes zur Anerkennung als Manifestation des Vernunftwesens nötigt?
Wenn die leibliche Gestalt als solche unmittelbar wirken können soll, und dieses Wirken, wie sich schon aus dem Bisherigen ergeben hat, über den höheren Sinn bzw. die subtilere Materie vermittelt, muß zunächst die subtilere Materie eine Präsenz der leiblichen Gestalt ermöglichen, in der ich mich, wie wir ergänzen können, bloß aufnehmend, theoretisch zu ihr verhalte. So wird die subtilere Materie zu Luft und Licht (GA I, 3, 377) fortbestimmt. Diese sind nötig, um die leibliche Gestalt wahrnehmen zu können.
Hegels Kritik ist bekannt, daß es sich bei Fichtes Ableitungen naturaler Bestimmungen um ein äußerlich teleologisches Vorgehen handle, das die naturalen Bestimmungen nicht an ihnen selbst betrachte (und damit auseinander entwickeln kann), sondern „nur in Beziehung auf ein Anderes betrachtet"[1], d. h. diese nur als Mittel der Freiheit faßt und so letztlich aus der Empirie aufgreifen muß. Ungeachtet der Frage, wie weitgehend Fichte von der prinzipienphilosophischen Methode der frühen WL her überhaupt in der Lage sein kann, Natur als „zweiten Anfang"[2], als nicht-ichliche Selbstbestimmung zu denken (was v. a. mit Blick auf die Sittenlehre von 179853 zu verfolgen wäre) -, ist Fichte gegen den Hegelschen Vorwurf mit Hegel insofern zu verteidigen, als in diesen Ableitungen immerhin - wenn auch unmittelbar - der wahrhaft innere Zweck der Natur, die Freiheit, gesehen wird. Vor diesem Hintergrund können jene allzu oft der Lächerlichkeit preisgegebenen Passagen stark gemacht werden, indem nämlich bedacht wird, daß schon in den wenigen naturphilosophischen Ansätzen in der Deduktion der Leiblichkeit im Grunde eine Revolution im Begriff des Nicht-Ich enthalten ist, die freilich erst der frühe Schelling gegen Fichte stark machen wird: Fichtes Ableitungen der naturalen Bestimmungen sprechen zumindest indirekt aus, daß Natur wenn überhaupt, dann als Moment der transzendentalen Geschichte des Selbstbewußtseins, der Bewegung der Ichheit verstanden werden muß. Dies bedeutet in der Konsequenz nichts weniger als eine transzendentalphilosophisch vermittelte Renovierung des teleologischen Naturdenkens, wie sie Schelling näher entfalten wird.[3] [4]
Was nötigt mich nun, eine Gestalt als diejenige eines Vernunftwesens zu begreifen? Wie muß die Erscheinung des Leibes (sein Fürmichsein; Fichte spricht auch hier nicht ontologisch) gesetzt sein, damit er notwendig als Vermögen zu Wirken, genauer: als Vermögen sich wissender Zweckmäßigkeit, als Vermögen zur Selbstbestimmung erscheint?[5] Fichte beginnt seine Antwort nicht zufällig mit einer Bemerkung zur
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[1] G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie III, in: Werke in zwanzig Bänden, Bd. 20, 412.
[2] Zur Bestimmung des „zweiten Anfangs" vgl. Hoffmann: Philosophische Physiologie, a.a.O., 11 ff.
[3] Vgl. ebd., 491.
[4] Zur Auseinandersetzung Fichtes mit dem frühen Schelling hinsichtlich der Frage nach einer Integrierbarkeit der Naturphilosophie in die transzendentale Geschichte des Selbstbewußtseins vgl. Christoph Asmuth: „Natur als Objekt - Natur als Subjekt. Der Wandel des Naturbegriffs bei Fichte und Schelling", in: Günter Abel / Hans-Jürgen Engfer / Christoph Hubig (Hrsg.): Neuzeitliches Denken. Festschrift für Hans Poser zum 65. Geburtstag, Berlin 2002, 305 - 322.
[5] Merkwürdig ist Fichtes affirmativer Hinweis auf die Anthropologie, in welcher es wesentlich um die nähere Bestimmung der Leiblichkeit des Vernunftwesens gehen soll. Denn zum einen bezeichnet er diese als „eigene Wissenschaft" und faßt sie somit als auf dem Boden der WL stehen könnend auf. Eine ontologische Anthropologie kann daher nicht gemeint sein. Zum anderen ist damit die Deduktion der näheren Bestimmungen des menschlichen Leibes als nicht zur Rechtslehre gehörend ausgesprochen. So werden diese Bestimmungen im Rahmen des Naturrechts nur als „Corollaria" abgehandelt. Darauf wird noch einzugehen sein.
Natur des Begriffs:
„Ich habe eine Erscheinung begriffen, wenn ich ein vollständiges Ganzes der Erkenntniß dadurch erhalten habe, daß allen seinen Theilen nach in sich begründet ist; wenn jedes durch alles, und alles durch jedes einzelne begründet oder erklärt wird." (GA I, 3, 377)
Vollständig realisiert ist der Begriff erst dann, wenn er die Begründetheit und wechselseitige Vermitteltheit aller Teile im Ganzen und des Ganzen in seinen Teilen darstellt. So ist der Begriff das Innesein einer Totalität. Dieser Hinweis Fichtes ist keine äußere Zutat, sondern bereitet den Grundgedanken der folgenden Passagen vor. Dieser kann so gewendet werden: Der Leib muß ein Gegenstand sein, der nicht ein bloß Anderes gegen mich ist, sondern in dem ich mir als Vermögen zur Selbstbestimmung unmittelbar, d. h. in seiender Weise entgegenkomme. Der Leib muß als sinnliches Ich, als sinnlicher Begriff erscheinen können. Dies konkretisiert sich jetzt schrittweise. Dabei durchläuft Fichte die scala naturae, beginnend vom Organischen, das dann näher als das Pflanzliche und Tierische bestimmt wird. Darin ist in nuce ein weit ausgreifender Gedanke enthalten, den wenig später Schelling im System des transzendentalen Idealismus entfalten wird, nämlich daß die Stufen des natural Seienden a) unmittelbare Wirklichkeitsweisen des Begriffs als forma corporis sind und b) daß diese als notwendige Momente der transzendentalen Geschichte des Selbstbewußtseins aufzufassen sind, die der Mensch immer auch an sich hat. Freilich stellt sich diesbezüglich - ähnlich wie bei Luft und Licht - das Problem, daß diese Formen von Seelenhaftigkeit nicht aus der WL abgeleitet sind und dennoch, wie sich zeigt, notwendig zum Begriff des Leibes des Vernunftwesens, mithin zum Begriff der Vernunft selbst gehören, den die WL entfalten soll. Hier wird also in besonderer Weise deutlich, daß die Deduktion der Leiblichkeit nach Prinzipien der Wissenschaftslehre auf Voraussetzungen beruht, die fundamentalphilosophisch noch nicht eingeholt sind.
Damit sind wir an einem entscheidenden Punkt, nämlich einer Ableitung der Organizität angelangt: Wenn der Leib als sinnlicher Begriff erscheinen können muß, dann muß er als Organismus gesetzt sein:
„Zuvörderst müßte es nothwendig seyn, den menschlichen Leib als Ganzes zu denken: und unmöglich die Theile desselben in Begriffe zu trennen, wie es bei Objekten, die bloße rohe Materie sind, Schutt, Sandhaufen u.s.f. geschieht. Aber was so beschaffen ist, daß es als ein Ganzes gedacht werden muß, heißt ein organisirtes Naturprodukt." (GA I, 3, 378)
Wenn der Leib nicht bloßer Gegenstand, bloßes Nicht-Ich, sondern ichliches Nicht-Ich sein können soll, dann muß er so bestimmt sein, daß er nur so gedacht werden kann, daß seine Bestimmung sich nicht bloß meinem Setzen, sondern einer objektiven
Selbstbeziehung, einer „objektiven Reflexivität"[1] verdankt. Dazu muß er als ein Ganzes von Teilen gedacht werden, und zwar so, daß dieses Ganze als nicht beliebig zusammensetzbares Aggregat, sondern als - man kann es wohl schon mit Hegel sagen - anundfürsich bestimmte Einheit, als in sich vermittelte Totalität gedacht ist. Das Ich oder der Begriff ist sich vermittelnde Totalität, sich wissende Selbstbestimmung oder, was gleichbedeutend ist, innere Zweckmäßigkeit. Der Leib als ichliches Nicht-Ich kann daher nicht bloß ein Aggregat sein, sondern die Mannigfaltigkeit der Teile muß als durch eine Einheit, eine Selbstheit regiert erscheinen. Diese Einheit in der Mannigfaltigkeit darf nicht bloß meine Setzung sein, d. h. dem Ganzen als äußerer Zweck (wie in den Produkten der Technik[2]) gegenüberstehen, sondern diese Einheit muß als innerer Zweck aller Teile gesetzt sein. Fichte weist auf die Selbsterhaltung des Individuums hin[3]: Nur ein Ganzes, das sich erhält, das als Präsenz einer regierenden Innerlichkeit im Sinne dessen gedacht werden muß, was vormals Lebensprinzip genannt wurde, kann als ichliches Nicht-Ich anerkannt werden. Denn nur so ist der Leib gestaltgewordende, objektive Selbstbestimmung.
Diese Deduktion der Organizität ist ein entscheidender Punkt, aus zwei miteinander zusammenhängenden Gründen:
Wir sind hier an dem Punkt angelangt, die Form des Leibes als innere, tätige Form, mithin den Leib als Präsenz einer Selbstheit fassen zu müssen. So ist der Organismus - entgegen allen Trennungen der Reflexionsphilosophie - als Einheit von Intelligiblem und Empirischem, von Zweck und Mittel zu denken, und zwar nicht schon deshalb, weil gehandelt werden können soll, sondern noch grundlegender: weil nur dadurch jene ursprüngliche Wechselwirkung der Iche möglich ist, die Selbstbewußtsein überhaupt voraussetzt. Die sich Erscheinung geben sollende Freiheit setzt sich einen Organismus, d. h. in der Terminologie der ehemaligen Metaphysik: die anima forma corporis voraus. Im Grunde ist damit erkannt, daß die Form der leiblichen Artikulation nur deswegen unmittelbar dem Willen gehorchen kann - wie es zunächst im der Gang der Deduktion gefordert wurde -, weil die den Leib innerlich regierende Form nichts anderes als eine unmittelbare Wirklichkeitsweise des Begriffs ist. Fichte zeigt damit: Die organische Selbstvermittlung ist von der freiheitlichen Selbstbestimmung her zu denken.[4] Soll ich also genötigt werden können, den Leib als Vermögen der Freiheit anzuerkennen, dann muß er Organismus sein. Damit ist auch die Priorität des Organischen gegenüber dem Anorganischen vom Freiheitsbegriff her begründet:
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[1] Ebd.
[2] Die Unterscheidung von Natur- und Kunstprodukt ist ganz aristotelisch. Im Unterschied zu der relativen Getrenntheit der vier Ursachen in der Poiesis (die Vier-Ursachen-Lehre ist ja die Reflexion auf die Voraussetzungen der Poiesis) ist die innere Zweckmäßigkeit des Organischen dadurch bestimmt, daß die Form-, Bewegungs- und Zweckursache zusammenfallen (vgl. Aristoteles: Physik II 7, 198a).
[3] Das Moment der Arterhaltung tritt in Punkt IV.2.7.6 auf.
[4] Daß sich die dich sich wissende Selbstvermittlung die daseiende Selbstvermittlung voraussetzt, wird in Hegels Logik dadurch eingeholt, daß die Idee des Erkennens als Grund der Idee des Lebens gedacht wird.
Freiheit kann nur als Organismus unmittelbar erscheinen, d. h. nur vermittels der organischen Form des Leibes kann sich das reine Ich individualisieren. „Im Organismus erblickt das Ich sein allgemeines ,Gesicht'."[1]
Dies, daß der Leib als Erscheinung einer Selbstheit, als objektive Reflexivität gefaßt werden muß, hinsichtlich der Selbstaufhebung der transzendentalen Reflexion entscheidend. Die Organizität ist eine Setzung, die sich als Setzung zugleich insofern transzendiert, als mir in dem Gesetzten eine objektive Selbstheit entgegenkommt. Die Heautonomie der reflektierenden Urteilskraft und die damit verknüpfte Subjektivierung des Naturzwecks in der KdU sind damit überwunden, ohne hinter Kant zurückzufallen. Wenn jene ursprüngliche Wechselwirkung möglich sein können soll - und sie muß möglich sein, wenn Ich Ich sein können soll -, dann muß die Organizität des Leibes nicht bloß ein Als ob, sondern als daseiende innere Zweckmäßigkeit gesetzt sein. So spricht Fichte hier nicht von einer gesetzten, sondern einer seienden Bestimmung des Leibes:
„Der menschliche Leib muß zuvörderst ein organisirtes Naturprodukt seyn." (GA I, 3, 378)
Das „seyn" weist darauf hin, daß der Leib als daseiender Organismus gesetzt sein muß, wenn die ursprüngliche Wechselwirkung möglich sein können soll, in welcher sich die Iche als Personen konstituieren.
Wir haben gesehen, daß der Leib als Organismus gedacht werden muß, da er nur so als gestaltgewordende, objektive Selbstbestimmung gewußt werden kann. Die nächste Aufgabe ist es nun zu zeigen, wie denn der Organismus näher bestimmt sein muß, wenn der Leib unmittelbar dazu nötigen können soll, ihn als Vermögen zur Selbstbestimmung anzuerkennen. Anders formuliert: Was ist vorausgesetzt, daß die objektive Reflexivität des Leibes nicht bloß auf ein naturales, sondern notwendig auf ein freiheitliches Selbst verweist?
In der Beantwortung dieser Frage wird die Organizität des Leibes näher bestimmt, zunächst als vegetabilischer Organismus, dann als animalischer.[2] Als das erste und grundlegendste Moment des Organismus tritt das der Selbst- und Arterhaltung auf. Dies muß der menschliche Leib an sich auch zeigen, aber er weist zugleich über diese Bestimmung an ihm selbst, d. h. durch seine „Artikulation", die Bestimmtheit seiner Gliederung, hinaus. Diese läßt sich vom inneren Zweck bloß pflanzlichen Seins nicht begreifen, da sie auf die Möglichkeit der freien Bewegung verweist. Als sich bewegen könnend ist der menschliche Leib tierisch. Der entscheidende Punkt ist nun, daß der Organismus an ihm selbst, d. h. in seiner Artikulation, über sich als Naturorganismus insgesamt hinausweisen muß, wenn er als Vermögen zur sich wissenden Selbstbestimmung aufgefaßt werden können soll. Das Vegetabilische und Animalische stellen zwar Momente an der menschlichen Leiblichkeit dar, sind aber zugleich nicht zureichend, um die Artikulation eines menschlichen Leibes zu begründen. Der Begriff
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[1] Hoffmann: Philosophische Physiologie, a.a.O., 495.
[2] Festzuhalten ist freilich, daß die Bestimmungen des vegetabilischen und animalischen Organismus aufgegriffen, aber nicht abgeleitet werden.
findet sich noch nicht in der Artikulation des vegetabilischen und animalischen Organismus. Bloße Selbst- und Arterhaltung sowie die Fähigkeit zur Ortsbewegung zwingen mich noch nicht zur Anerkennung einer Person. Es zeigt sich in diesen Momenten zwar die Selbstbestimmung als innere Zweckmäßigkeit, nicht aber das Vermögen sich wissender Selbstbestimmung. Wie muß also die Artikulation des menschlichen Leibes beschaffen sein, daß sie den Begriff in dem Erfassen der Totalität auch noch über das Moment des Animalischen, ja aller naturalen inneren Zweckmäßigkeit hinaustreibt und das Vermögen sich wissender Selbstbestimmung zeigt?
Die Antwort lautet:
„Seine Artikulation müßte sonach sich überhaupt nicht begreifen lassen in einem bestimmten Begriffe. Sie müßte nicht hindeuten auf einen bestimmten Umkreis der will- kührlichen Bewegung, wie bei dem Thiere, sondern auf alle denkbaren ins unendliche. Es würde gar keine Bestimmtheit der Artikulation da seyn, sondern lediglich eine Bestimmbarkeit ins unendliche; keine Bildung desselben, sondern nur Bildsamkeit. - Kurz alle Thiere sind vollendet und fertig, der Mensch ist nur angedeutet, und entworfen." (GA I, 3, 379)
Was bedeutet dies, daß die Artikulation auf eine „Bestimmbarkeit ins Unendliche", eine „Bildsamkeit" hinweisen muß? Die Artikulation darf nicht bloß Ausdruck einer bestimmten Artgesetzlichkeit sein, sondern muß Präsenz des schlechthin Allgemeinen sein, das nichts von einer Art ist.[1] Dies ist die Artikulation dadurch, daß sie das Vermögen zur sich wissenden Selbstbestimmung als Instinktfreiheit unmittelbar zum Ausdruck bringt. Bildsamkeit meint also: Der Leib verweist in seiner unendlichen Bestimmbarkeit an ihm selbst darauf, daß er erst von der Freiheit ergriffen werden muß. In Gestalt der „Bildsamkeit" kommt sich der Begriff selbst entgegen. Der Leib ist also der existierende Widerspruch eines universale fantastico (Vico), eines anschaulichen Begriffs (was formallogisch Nonsens ist). Weil ich mir im bildsamen Leib selbst entgegenkomme, bin ich genötigt, diesen als Präsenz eines Vernunftwesens anzusehen:
„Durch die Unmöglichkeit, einer Menschengestalt irgend einen andern Begriff unterzulegen, als den seiner selbst, wird jeder Mensch innerlich genöthigt, jeden anderen für seines gleichen zu halten." (GA I, 3, 379)
Fichte betont in diesem Zusammenhang, daß diese Anerkennung sich nicht erst reflexiv vermitteln muß, daher auch nicht Angelegenheit eines empirischen und damit kontingenten Zuschreibungsaktes sein kann:
„Nur wolle man ja nicht [...] glauben, daß der Mensch erst jenes lange und mühsame Räsonnement anzustellen habe, welches wir geführt haben, um sich begreiflich zu machen, daß ein gewisser Körper außer ihm einem Wesen seinesgleichen angehöre. Jene Anerkennung geschieht entweder gar nicht, oder sie wird in einem Augenblicke vollbracht, ohne daß man sich der Gründe bewußt wird." (GA I, 3, 380)
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[1] Hamann und Herder haben es vor Fichte bereits unternommen, den Leib als Manifestation der Sprachlichkeit des Menschen zu denken.
Die Anerkennung des Leibes als Präsenz des Ich muß sich in jener ursprünglichen Wechselwirkung mit einem Schlag vollziehen können. Diese Unmittelbarkeit hat den Charakter der Nötigung. Was Fichte hier auseinandergefaltet hat, soll nur die Rekonstruktion dessen sein, was a priori beim Angesichtigwerden eines menschlichen Leibes an Vermittlungen immer schon vorausgesetzt und immanent sein muß. Entscheidend dabei ist, daß der bildsame Leib Präsenz des Vernunftzwecks ist, der alle bloße Naturalität transzendiert. Im bildsamen Leib ist die Natur als über sich hinaus zur Freiheit verweisend gesetzt.[1] So zeigt mir der Leib an ihm selbst die Einheit von Identität (Leibsein) und Nicht-Identität (Leibhaben). Beide
Seiten sind festzuhalten, um die Leiblichkeit zu begreifen: der Leib ist Präsenz der Person, zugleich aber nur so, daß er in seiner Bildsamkeit auf seinen inneren Zweck verweist, der über ihn hinausgeht, nämlich Organ der Freiheit zu sein. Darin ist die „Bildsamkeit" des Leibes die Manifestation der Freiheit als Aufgabe, des Gebrochenseins in Sein und Sollen[2]:
„Iedes Thier ist, was es ist: der Mensch allein ist ursprünglich gar nichts. Was er seyn soll muß er werden: und da er doch ein Wesen für sich seyn soll, durch sich selbst werden. Die Natur hat alle ihre Werke vollendet, nur von dem Menschen zog sie die Hand ab, und übergab ihn gerade dadurch an sich selbst. Bildsamkeit, als solche, ist der Charakter der Menschheit." (GA I, 3, 379, Hervorhebung M.G.)
Die Bildsamkeit ist das anschaulich Allgemeine. Der bildsame Leib zeigt an, daß er als das erste und ursprüngliche Eigentum erst durch die Person in Besitz genommen werden muß. Wie sich die Bildsamkeit im Einzelnen näher zeigt, wird in den Corollaria des § 6 in Gestalt einer phänomenologischen Kriteriologie sehr schön dargestellt.[3] Daß sich die konkreten Bestimmungen der menschlichen Leiblichkeit bloß in einem Anhang befinden, widerspricht dem eigentlichen spekulativen Grundgedanken Fichtes, den Leib als konkrete Einheit des Intelligiblen und Phänomenalen zu fassen. Die Bestimmtheit des Phänomenalen muß in der Bestimmtheit des Intelligiblen gründen, kann daher nicht eine bloß schematische, abstrakt allgemeine sein, die sich dann je nach den naturalen Bedingungen mate- rialiter verschieden ausbestimmt.[4] Fichte zeigt gerade die Notwendigkeit der hu- manoiden Gestalt des Vernunftwesens auf, so daß man nicht mehr behaupten kann: es mag Vernunftwesen in ganz anderen, für uns auch völlig unvorstellbaren Leibern
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[1] Dies ist einer biologistischen, an Herder und Gehlen vorbeigehenden Auffassungsweise des Menschen als einem „Mängelwesen" entgegenzuhalten. Die Bestimmbarkeit des Leibes stellt gegenüber der unmittelbaren Bestimmtheit des Tieres nur dann einen Mangel dar, wenn man voraussetzt, daß der innere Zweck des Menschen in seinem biologischen Selbst liegt.
[2] Der Leib ist in seiner Bildsamkeit nicht schon unmittelbar Präsenz der positiven Freiheit im Sinne des sich zum Ich als Idee erhebenden Ich, der sittlichen Selbstbestimmung. Daß er auch diese zur Präsenz bringen kann, hat Kants KdU in ihrer Lehre vom Ideal des Schönen gezeigt.
[3] In einigen Punkten erinnert diese an Herders Ausführungen in der Abhandlung über den Ursprung der Sprache.
[4] Wie dies Günter Zöller nahe legt, indem er davon spricht, daß wir mit Fichte nur zu einer „Proto- und Formalanthropologie zu den Grundformen der Präsenz und Effizienz von Vernünftigkeit in der Sinnenwelt" gelängen (Zöller: „Leib, Materie und gemeinsames Wollen", a.a.O., 110).
geben, sondern vielmehr behaupten kann: Wenn Vernunftwesen, dann humanoide Gestalt. So ist
„ein sicheres Kriterium aufgestellt, welchen Sinnenwesen Rechte zuzuschreiben sind, und welchen nicht." (GA I, 3, 388)
Mit der Bestimmung des „sicheren Kriteriums" ist die Bestimmung des atomon eidos transzendentalphilosophisch eingeholt[1]: eine „Person" ist nicht ein beliebig bestimmbares Merkmalsbündel, unter das Einzelne subsumiert werden, daher auch nicht abhängig von gesellschaftlichen Zuschreibungen, sondern ihre Phänomenalität ist im Begriff des Vernunftwesens anundfürsich bestimmt.
Indem solcherart der Leib als ursprüngliche Einheit von Sinnlichkeit und Verstand, als unmittelbare Selbstanschauung des Ich bestimmt ist, kann man die Sache so interpretieren, daß im Leib die intellektuelle Anschauung, das Organ der Philosophie nach Fichte, als gegenständlich angeschaut wird. Indem mir in ihm die intellektuelle Anschauung entgegenkommt, erfahre ich unmittelbar: Ich bin zur Freiheit aufgegeben, Ich soll in der Sinnenwelt nur Ursache sein - erweitere daher deine Freiheitssphäre nicht in meine hinein, beschränke sie und fordere mich zur Freiheit auf! Der Aufforderungscharakter des Leibes ist nicht ein bloßer Reflex der Ichheit, sondern besteht im Bewußtsein der Erfahrung einer doppelten Umkehrung der Reflexion[2]:
Ich beziehe mich auf den Leib zunächst als Gegenstand, als Nicht-Ich. In diesem Gegenstand aber kommt mir, indem es sich um einen Organismus handelt, eine Bestimmung entgegen, die sich nicht meinem Setzen, sondern sich einer objektiven Selbstbeziehung, einer objektiven Reflexivität verdankt (1. Umkehrung). Der Leib ist gesetzt als objektiver Selbstvollzug.
Diese objektive Reflexivität verweist, indem sich in ihr der Charakter der Bildsamkeit zeigt, nicht auf ein natural bestimmtes Selbst, sondern auf ein freiheitliches Selbst. So beziehe ich mich in dem objektiven Selbst des Leibes zugleich auf mich (2. Umkehrung).
Nehme ich das ernst - und ich muß dies ernst nehmen, wenn ich mich selbst als Person ernst nehmen können soll -, dann fordert mich der Leib dazu auf, mich dazu zu bestimmen, a) die Sphäre meiner Willkürfreiheit zu beschränken und b) das andere Ich zur Freiheit aufzufordern.
So gilt:
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[1] Die immanente Revolutionierung der Transzendentalphilosophie zeigt sich hier darin, daß grundlegende Bestimmungen der Ontologie, die zunächst mit Kant erledigt waren, in vermittelter Weise wiederum Geltung erlangen. So ist zum einen der ontologische Leibbegriff im Sinne der Einheit von substantieller Form und ihrer hyletischen Manifestation transzen- dentalphilosophisch eingeholt. So macht sich gegenüber der Kantischen Restriktion der Erkenntnis auf die natura formaliter spectata der ontologische Naturbegriff neu geltend, der eine sich zeigende physis kannte. Diese physis ist die Freiheit, die sich Objektivität gibt.
[2] Zur zweifachen Umkehrung der Reflexion im Organismus vgl. Hoffmann: Philosophische Physiologie, a.a.O., 495.
„Ieder, der menschliche Gestalt hat, ist innerlich genöthigt, jedes andere Wesen, das dieselbe Gestalt hat, für ein vernünftiges Wesen, und sonach für ein mögliches Subjekt des Rechtes anzuerkennen." (GA I, 3, 388)
Und:
„Menschengestalt ist dem Menschen nothwendig heilig." (GA I, 3, 383)
Das Bewußtsein der Heiligkeit des Leibes besteht im Bewußtsein dessen, daß das Selbst des Leibes die unendliche Bestimmung zur Selbstbestimmung hat. Der Inhalt dieser Heiligkeit spricht sich im Urrecht als dem absoluten Freiheitsrecht aus, nämlich dem „Recht der Person, in der Sinnenwelt nur Ursache zu seyn." (GA I, 3, 404) Damit ist betont, daß der Leib nicht bloß ein Mittel ist, das wir zwischen uns und die Sachen oder zwischen ein Ich und das andere Ich einschieben, sondern er ist Wirklichkeit der Person und damit ihrer Autonomie. Der Leib ist in seiner bildsamen Gestalt naturale Präsenz des Selbstzwecks. Nur dadurch ist es möglich, daß bereits der Leib Aufforderung zur Einschränkung der Willkürfreiheit einer jeden Person, mithin zur Interpersonalität actu sein kann. Die Heiligkeit des Leibes bedeutet also, daß der Leib die Welt der Positivität, den Aspekt der Behandelbarkeit der Welt unter der Ägide formaler Logik - mithin die totale Reduktion alles An- sichseins auf das Fürmichsein - transzendiert. Der Leib als das ursprüngliche Organon des praktischen Ich und damit die ursprüngliche Voraussetzung aller Behandelbarkeit von Welt kann selbst nicht als ein bloß Behandelbares angesehen werden. Kein Ding hat Aufforderungscharakter.
So ist das Kriterium der Rechtsfähigkeit nicht bloß im intelligiblen Charakter begründet, sondern dieses muß schon in der intelligiblen Phänomenalität der Leiblichkeit fundiert sein, wenn der Rechtsbegriff „anwendbar" sein können soll. Der Aufforderungscharakter des Leibes ist somit die „äußere" Bedingung einer rechtlichen Gemeinschaft. In der Anerkennung desselben liegt dann die innere Bedingung jeder Rechtsgemeinschaft (§ 7). Auch hier wäre zu fragen, ob Fichte nicht bereits eine Genealogie von Wissensgestalten und deren Erfahrungen gibt.
Abschließend sei festgehalten: Eine Erinnerung dieses Begriffs der Leiblichkeit ist für das Bewußtsein der Einheit in der Mannigfaltigkeit der Kulturen, mithin für eine sich vereinigende und in Frieden lebende Weltgemeinschaft zentral. Schon der Leib eines Menschen fordert mich zur Anerkennung einer Identität mit ihm auf, die allen kulturellen Differenzen vorausliegt. Auch die sich mit dem Fortschritt der Technik ergebenden Probleme aus dem Bereich der „angewandten" Ethik müssen von diesen Maßstäben her ihre Betrachtung finden, v. a. was jene Situationen am Anfang und Ende des Lebens betrifft, in denen der Mensch sich noch nicht oder nicht mehr im gesprochenen Wort an seinesgleichen wendet. Wenn begriffen wurde, daß der Leib dem Vernunftwesen nicht äußerlich ist, erledigen sich auch die von vornherein fruchtlosen Diskussionen, ob denn dieses oder jenes Tier dem Menschen gleichzusetzen sei. Man sieht dann vielleicht auch leichter, daß das vermeintlich „naturfreundliche" Vermenschlichen des Tieres immer schon unter der Ägide des Herrschaftswillens über die Natur stand, womit der eigentlich sinnvolle Gedanke einer Anerkennung der Natur als des Anderen der Freiheit und ihrer Verfügungswelt verfehlt ist. Damit kehren wir zu den anfänglichen Bemerkungen zurück: Das Bewußtsein des Aufforderungscharakters des Leibes steht und fällt mit dem Ausmaß des Eingehaustseins in die Verdinglichung im Naturalismus und im Leben gemäß des Primats des Technisch-Praktischen. Zumindest das Recht, das nur als Realisierung des Urrechts seinen Namen verdient, muß immer institutionalisiertes Bollwerk der Anerkennung des Aufforderungscharakters des Leibes bleiben.
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