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Siebtes Kapitel Minderheiten und Randgruppen als kriminologische Problemfelder

§ 37 Drogenkriminalität
Wohl zu allen Zeiten haben sich Menschen damit beschäftigt, Wirkstoffe zu entdecken und zu verwenden, von denen man annahm, daß sie die Stimmung, das Verhalten und die Gesundheit günstig beeinflussen. Allerdings haben Kulturen und Völker in Geschichte und Gegenwart den Drogengebrauch unterschiedlich toleriert. So kann man Abstinenzvon Ambivalenz- und Permissivkulturen unterscheiden. Aufgrund des wachsenden Kommunikations- und Transportwesens sowie des Welthandels nahm als unerwünschte Folge auch der Drogengebrauch zu. Wegen seiner Gefahren und der ihm begegnenden internationalen Mißbilligung wurde er immer mehr als Drogenmißbrauch verstanden. Produktion, Handel und Konsum illegaler Drogen haben sich seit ihrer sprunghaften Zunahme Ende der sechziger Jahre zu einem Problem von globalen Dimensionen entwickelt, dem man eine hohe Priorität einräumt. Daher ist die Drogenkontrolle zu einer gesellschaftlichen Aufgabe geworden, die von nicht wenigen Staaten geradezu als existentiell begriffen wird. Denn der Drogenmißbrauch kann sowohl für den einzelnen als auch für die Allgemeinheit (insb. Volksgesundheit) gefährliche Folgen haben. So hat sich aus der sogenannten Rauschgiftwelle und den ihr folgenden Behandlungsmaßnahmen zunehmend ein weltweiter „Drogenkrieg“ entwickelt.

  1. Dimensionen und Entstehungsgründe des Rauschmittelkonsums
    Schrifttum: Bellebaum, Abweichendes Verhalten. Kriminalität und andere soziale Probleme. Paderborn 1984; Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG) (Hrsg.), Bericht der Bundesregierung über die gegenwärtige Situation des Mißbrauchs von Alkohol, illegalen Drogen und Medikamenten in der Bundesrepublik Deutschland und die Ausführung des Aktionsprogramms des Bundes und der Länder zur Eindämmung und Verhütung des Alkoholmißbrauchs. BT-Drucks. 10/5856. Bonn 1986; Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hrsg.), Jahrbuch Sucht 1993, 1995, 1996. Geesthacht 1994, 1996, 1997, Dörmann, Wie sicher fühlen sich die Deutschen? Repräsentativbefragung der Bevölkerung zur Rauschgiftsituation, Polizeibewertung und Sicherheitsgefühl. Wiesbaden 1996; Kerner, Alkohol und Kriminalität. In: KKW 1993°, 5-9; ders., Drogen und Kriminalität. In: KKW 1993°, 93-99, Kreuzer, Jugend — Rauschdrogen — Kriminalität. Wiesbaden 1978; ders., „Endstation“ Sucht? — Wege aus der Sucht? In: Schriftenreihe der DVJJ e.V. Bd. 18. Bonn 1990, 276-297; Kreuzer/Wille, Drogen-Kriminologie und Therapie. Heidelberg 1988; Maag, Zwanzig Jahre Drogen und Strafrecht. Bern, Kriminalstatistik Nr. 10 (1991), 1-6; Reuband, Drogenkonsum und Drogenpolitik in Westeuropa. Aus Politik und Zeitgeschichte B9 (1995), 22-31; Schweizerische Fachstelle für Alkoholprobleme (Hrsg.), Soziale und präventive Aspekte des Drogenproblems unter besonderer Berücksichtigung der Schweiz, im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheitswesen. Lausanne 1990; US Dept. Justice, Drugs and Crime Facts, 1994. Rockville/Md. 1995.

Die Drogendelinquenz wird erwartungsgemäß durch den Gebrauch von Suchtstoffen bestimmt. Um ihre Bedeutung abzuschätzen, gilt es zunächst, das Ausmaß des Rauschmittelkonsums abzustecken, und zwar getrennt nach Alkoholika und sonstigen Drogen.

Sowohl der Alkoholkonsum als auch die Alkoholerzeugung sind beträchtlich. Sie nehmen in der Bundesrepublik Deutschland sowie in Österreich und der Schweiz ständig zu. Wegen der damit wachsenden Suchtgefahren sind Produktion und Genuß von Alkoholika problematisch.

Bedenklich erscheint weniger der enorme Verbrauch alkoholischer Getränke als vielmehr der Alkoholmißbrauch. Doch die Abgrenzung zwischen dem Alkoholkonsum als Genuß- und Nahrungsmittel und dem exzessiven oder süchtigen Trinken ist schwierig. Dies drückt sich auch in unterschiedlicher Terminologie wie „Alkoholgefährdete“, „Alkoholabhängige“, „Alkoholiker“ oder „Alkoholkranke“ aus. Nach dem Begriff der WGO werden die Personen als „exzessive Trinker‘‘ gekennzeichnet, „deren Abhängigkeit vom Alkohol einen solchen Grad erreicht hat, daß sie deutliche geistige Störungen oder Konflikte in ihrer körperlichen und geistigen Gesundheit, ihren mitmenschlichen Beziehungen, ihren sozialen und wirtschaftlichen Funktionen aufweisen“ oder die Symptome einer solchen Entwicklung zeigen. Demgemäß wird Alkoholismus im Sozialrecht als „Krankheit“ anerkannt. Im übrigen jedoch kann die Zahl der Alkoholkranken nur geschätzt werden, weil dieser Personenkreis sozial weitgehend integriert ist. Man vermutet, daß in der Bundesrepublik etwa 2,5 Mio. Personen trunksüchtig sind. Davon sollten etwa 10% auf Jugendliche entfallen.

Während aber der bloße Alkoholgenuß ganz überwiegend gesellschaftlich gebilligt wird, fällt der sonstige Rauschgiftkonsum bereits allgemein in den Bereich strafrechtlich relevanten Verhaltens. Auch hier ist man allerdings auf Schätzungen angewiesen, wenn man sich über den wirklichen Umfang der Erscheinung vergewissern will. Als Ausgangspunkte dienen polizeiliche und gerichtliche Statistiken, Angaben über sichergestellte Rauschgiftmengen und Drogentote sowie Ergebnisse von Dunkelfeldforschungen.

Der Kreis der Personen mit illegaler Drogenerfahrung ist zwar wesentlich geringer als derjenige der Alkoholkonsumenten. Immerhin haben in Westdeutschland ausweislich der Befragung etwa 10 bis 15% junger Menschen im Alter bis zu 24 Jahren irgendwann einmal eine Droge genommen, wobei zwei Drittel von ihnen als Probierer überwiegend weicher Drogen einzustufen sind (BMJFFG 1986, 4; Jahrbuch Sucht 1997, 95). Dieser Befund deckt sich im wesentlichen mit dem Bild für Westeuropa, unabhängig von der konkreten Drogenpolitik (Reuband 1995, 25, 30). Im Jahr 1995 gaben 8,8% der Repräsentativbefragten von 19- bis unter 30jährigen im Westen an, in den letzten zwölf Monaten Cannabisprodukte konsumiert zu haben, im Osten 3,5% (Dörmann 1996, 14 f.). Die Extremgruppe drogengefährdeter Jugendlicher liegt jedoch „nur“ bei 0,4%, macht also ungefähr 46 000 Personen aus (BMJFFG 1986, 5). Innerhalb dieser Gruppe junger Menschen verfügen 80% über Erfahrung mit Haschisch und 40% mit Marihuana; Cannabis-Produkte sind somit die weitaus am häufigsten verwendeten illegalen Drogen (Kreuzer/Wille 1988, 2). 11% haben bereits einmal LSD probiert, 8% Opiate (einschl. Heroin und Kodein) (BMJFFG 1986, 18). Bei den illegalen Drogen ohne Haschisch/Marihuana, obwohl insgesamt nur 2,1% der Bevölkerung betroffen ist, entfällt inzwischen mehr als die Hälfte auf Ecstasy bezogen auf die letzten zwölf Monate vor der Befragung (Jahrbuch Sucht 1997,97). Gefragt sind zunehmend Drogen, denen stimulierende, euphorisierende oder leistungssteigernde Wirkungen zugeschrieben werden (Dörmann 1996, 15). Immerhin deuten die Daten darauf hin, daß die Anzahl der Mehrfachkonsumenten und somit abusiven Drogengebraucher zugenommen hat, obschon jene junger Menschen mit Drogenerfahrungen über die Zeit weitgehend stabil geblieben ist (Schweizerische Fachstelle 1990, 21; Reuband 1995, 25, jeweils m.N.).

Insgesamt jedoch scheint das Drogenproblem in der Bundesrepublik wie auch in anderen Staaten nicht mehr erheblich zu wachsen. Vielmehr sprechen die Anhaltspunkte für eine partielle Stagnation, die allerdings gegenläufige Einzelentwicklungen bei Cannabiskonsum, Mehrfachkonsumenten und die Zunahme von Drogentoten nicht ausschließt. Ferner könnte Rauschgiftkriminalität in Form der sogenannten Designer-Drogen weitere Gefahren heraufbeschwören. Es handelt sich hier offenbarum wirkungsintensive Substanzen, die synthetisch aus überwiegend legal erwerbbaren chemischen Grundstoffen hergestellt werden und mit einem erheblichen Abhängigkeitspotential versehen sind.

Der Drogenumgang ist erwartungsgemäß eine vielschichtige Erscheinung. Er kann als Ausdruck der Grundbefindlichkeit einer Gesellschaft und namentlich junger Menschen in ihr verstanden werden (Kreuzer 1978, 24). Immerhin weisen die Untersuchungen darauf hin, daß Symptome abweichenden Verhaltens häufiger kumuliert auftreten. Auch hier belegen die Befunde, daß es Bündelungen riskanten Verhaltens gibt. Dies gilt namentlich für den Suchtmittelumgang, das Flucht- und Ausweichverhalten sowie die Delinquenz. Personen mit starkem Alkohol- oder Nikotinkonsum haben auch weitaus häufiger Rauschmittelerfahrung (vgl. Kreuzer 1990, 278 ff.). Ursachen- und Motivforschungen zeigen, daß die Entstehungsbedingungen des Mißbrauchsverhaltens und die Beweggründe zum exzessiven Konsum der verschiedenen Substanzen weitgehend identisch sind, obschon im Einzelfall das Bedingungsgefüge unterschiedliche Schwerpunkte aufweist (BMJFFG 1986, 5).

Dem einzelnen dient der exzessive Rauschmittelkonsum vielfach als Mittel zur Konfliktbewältigung (dazu Göppinger 1997, 590). Beachtlich ist dabei die Suche nach passivem Erleben mit Hilfe der Droge (Kreuzer 1978, 25). Eine Parallele zu dieser passiven Problemlösungsstrategie findet man beim Suizid, so daß man den Drogenmißbrauch auch als einen „Suizid auf Raten“ begreifen kann.
Besondere Bedeutung kommt Störungen in der Familie und der Erziehung zu. So spielt neben der allgemeinen Aufgabe, welche die Familie für die soziale Integration junger Menschen erfüllt, insbesondere der Rauschmittelumgang der Eltern eine erhebliche Rolle für das spätere Verhalten der Kinder (Kreuzer 1978,27).

Neben den Mängeln in der Herkunftsfamilie und den zwischenmenschlichen Beziehungen zu ihren Eltern zeigten sich ineiner Vergleichsgruppenuntersuchung von Heroinabhängigen mit ihren „normalen“ Altersgenossen ferner erhebliche Unterschiede im Schul- und Ausbildungsbereich.

Auch das Freizeitverhalten hat entscheidenden Anteil am Einstieg in Drogenkarrieren: In praktisch allen Fällen erfolgt der erste Kontakt mit Rauschgift im Freundes- oder Bekanntenkreis (speziell zur Gruppe als sozialem Bezugsfeld siehe oben § 31). Nur etwa 3% der Erstkonsumenten illegaler Drogen geben an, die Mittel von einem Dealer erhalten zu haben. Allerdings kann dieser Befund auch auf Wissensmängeln der Befragten, der Verkennung von Kleindealern und auf der Anstößigkeit von Kontakten mit Dealern beruhen. Immerhin spielen Neugier und Nachahmung bei mehr als der Hälfte aller wirklichen und potentiellen Drogengebraucher die bestimmende Rolle.

Einen erheblichen Einfluß üben dabei soziale Bewegungen und modische Trends aus. Als Beispiel sei auf den bedeutenden Anstieg des Rauschmittelkonsums in den späten sechziger Jahren im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Protestbewegung, den Studentenrevolten und der Hippie-Bewegung hingewiesen. Der Rauschgiftkonsum diente als Statussymbol und Abgrenzungsmerkmal. Er dokumentierte die Ablehnung konventioneller Normen und gesellschaftlicher Ziele. Noch in der Gegenwart wird der Gebrauch von Cannabis-Produkten weithin als Zeichen einer Anti-establishment-Haltung verstanden.

Obwohl die aufgezeigten Zusammenhänge einleuchten und teilweise auch gut belegt sind, ist eine überzeugende Erklärung noch immer schwierig. Dies veranschaulichen besonders die vielfältigen Beziehungen zwischen Alkohol und Kriminalität, die hierzulande bekanntlich in sozialkulturelle Verhaltensmuster eingebettet sind. Dabei ist offenkundig, daß auch bei uns der Alkohol als Rauschmittel nur unter großen Verlusten gesellschaftlich integriert werden kann; denn der Alkohol fordert schwere Opfer (Bellebaum 1984, 211).

Schon aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß es sich bei der Beziehung zwischen Alkohol und Verbrechen um ein Problem handelt, dem vielschichtige Bedingungszusammenhänge zugrunde liegen (vgl. Bellebaum 1984, 206 ff.). Als Erklärungsansätze bieten sich im wesentlichen vier Theoriemodelle an;

  1. Enthemmende Wirkung des Alkohols: Dieser Ansatzpunkt hat besonders bei der Beziehung zwischen Gewaltdelikten und Alkohol Bedeutung. Unter Alkoholeinfluß verliert der Täter an Selbstkontrolle, seine Aggressionsbereitschaft wächst. Daß manche, sogar zurückhaltende Menschen unter Alkoholeinfluß zu verbalen und tätlichen Ausfälligkeiten neigen, kann oft beobachtet werden. Diese Wirkung des Alkohols ist jedoch auch davon abhängig, welche kulturellen und sozialen Erwartungen vorhertschen. 2. Gemeinsame Ursache: Alkoholkonsum und Kriminalität werden nicht als voneinander abhängig angesehen, sondern eine gemeinsame Ursache, wie z.B. Schwierigkeiten in der Kindheit, wird sowohl für die Kriminalität als auch für die Alkoholprobleme des Täters als verantwortlich betrachtet. 3. Gegenseitiges Bedingen: Alkohol und Kriminalität sind Faktoren, die sich – zusammen mit anderen Sozialfaktoren — wechselseitig bedingen. So kann starkes Trinken zur Arbeitslosigkeit und zu sonstigem sozialen Kompetenzverlust führen, was ein Absgleiten in die Kriminalität begünstigt. Auf der anderen Seite kann Alkohol als Fluchtmittel aus sozialen Konflikten eingesetzt werden, die durch Kriminalität und Sanktionen (mit Haft, Verlust von Beziehungen, Wohnungen und Arbeitsplatz) entstanden sind. 4. Scheinzusammenhang: Schließlich kann in Frage gestellt werden, ob überhaupt eine kausale Beziehung besteht. So ist es möglich, daß sich Alkoholtäter leichter überführen lassen und daher überrepräsentiert sind. Kriminalität kann durch Alkohol sichtbarer werden, ebenso wie umgekehrt auch der Alkoholkonsum durch die Begehung der Straftaten sichtbar gemacht wird. Für die Behauptung, daß bei der Begehung von Straftaten relativ häufig Alkoholeinfluß vorliegt, wären daher genauere Erkenntnisse über das Trinkverhalten der Bevölkerung notwendig, um Vergleiche ziehen zu können.

Entsprechendes gilt für das Verhältnis zwischen sonstigem Rauschmittelkonsum und der Kriminalität.
Obschon empirische Untersuchungen Licht in die vielfältigen Beziehungen zwischen Alkohol und Kriminalität gebracht haben und Strukturelemente eine begrenzte Typologisierung gestatten, bleiben die ausgewiesenen oder vermeintlichen Beziehungen noch weiter der theoretischen Vertiefung und Interpretation bedürftig. Denn es könnte sich auch um erhöht sichtbare Gruppen handeln, die nur durch einen „Scheinzusammenhang“ miteinander verknüpft werden.

Die persönlichen und sozialen Folgen des Drogenmißbrauchs sind ebenso mannigfaltig wie nach Art der Droge und Umfang des Konsums unterschiedlich. So bewirkt der exzessive Alkoholkonsum vor allem Veränderungen im psychischen Bereich, die sich erkennbar auf das äußere Erscheinungsbild des Konsumenten auswirken und z.B. seine Distanz- und Kritikfähigkeit beeinträchtigen. Der Alkoholismus führt dann regelmäßig zum sozialen Abstieg, dessen Phänomene sich als „Desozialisierung der Persönlichkeit“ begreifen lassen (Schwind 1996, 438). Es findet eine Lockerung, oft eine völlige Lösung der sozialen Bindungen statt. Zerrüttung und Zerfall der Familie sowie der Verlust des Arbeitsplatzes mit den dortigen Bindungen stehen dann am Ende eines „Teufelskreises“, in dem der Trinker aufgrund dieser Probleme immer häufiger zur Flasche greift und sich immer mehr isoliert.

Obwohleine physische Abhängigkeit bei Haschisch und Marihuana grundsätzlich nicht eintritt, wird aus Ländern, in denen Cannabis-Gebrauch traditionell üblich ist, berichtet, daß exzessiver Genuß zu Motivationsverlusten, Apathie, Gedächtnisschwierigkeiten und zum Verlust gedanklicher Schärfe führen kann. Auch im westlichen Kulturkreis kann man beobachten, daß Jugendliche die normalen Streßsituationen des Lebens und die Probleme, die untrennbar mit dem Heranwachsen verbunden sind, meiden, wenn der Marihuana-Gebrauch erst einmal zur „Weltanschauung“ erhoben wurde. In den Vereinigten Staaten wurde schwerer chronischer Marihuana-Gebrauch in Verbindung mit Fehlanpassung und Apathie gebracht, welchen man als Unmotiviertheitssyndrom (amotivational syndrome) bezeichnet. Es wird mit dem Verlust der Arbeitswilligkeit, des Ehrgeizes und der Energie beschrieben, der auf der ausschließlichen Zentrierung des individuellen Interesses auf den Rauschmittelgebrauch beruht. Am problematischsten sind erwartungsgemäß die Folgen des Gebrauchs harter Drogen. Neben einer regelmäßig einsetzenden physischen und psychischen Abhängigkeit mit entsprechenden Entziehungserscheinungen bei Absetzen der Mittel treten bei längerem Gebrauch meist psychische Veränderungen auf (dazu Göppinger 1997, 582 ff.).

Folgenreich wirkt sich außerdem das Eintreten in die „Drogenszene“ aus. Diese kann als kriminogene Subkultur bezeichnet werden. Die Drogensubkultur kennt eigene Strukturen, Integrationsmittel und Rituale (vgl. Kreuzer 1978, 43 ff.), in gewissem Umfang auch eine eigene Sprache. Sie besteht aus Gruppierungen von Personen, die ihr Leben dem Drogengebrauch gewidmet haben. Oftmals ist sie auf bestimmte Wohngebiete beschränkt. Auch Konsumenten „weicher“ Drogen sind hiervon betroffen. Die Gefahr des Umsteigens auf harte Drogen wächst nach dem Eintritt in die Drogenszene stark an. Die Verbindung zwischen Drogengebrauch, sozialem Abstieg und Verwahrlosung ist offensichtlich. Dennoch bleibt im Einzelfall immer zu fragen, ob die Droge nicht lediglich an die Stelle der bisherigen „Auslöser“ tritt, die eine bereits vorhandene Abweichungsbereitschaft nur aktualisieren (Kerner 1993, 96).

Im Zusammenhang gesundheitlicher Folgen ist neben dem allgemeinen körperlichen Verfall von Drogenabhängigen neuerdings die überdurchschnittlich große Aids-Gefährdung von Süchtigen zu einem Zentralproblem geworden. Da die wichtigste Ansteckungsquelle im Geschlechtsverkehr und in der Benutzung von gemeinsamen Nadeln beim Spritzen besteht, sind sogenannte Fixer besonders gefährdet (BMJFFG 1986, 24). Durch die oftmals mit der Sucht einhergehende Beschaffungsprostitution ergibt sich eine doppelte Gefährdung der Betroffenen, aber auch eine erhöhte Gefahr der weiteren Verbreitung.

Der Gesamtschaden, der durch den Drogenmißbrauch entsteht, ist erheblich und läßt sich kaum überblicken. Dabei kann man in Geld ausdrückbare Folgekosten von solchen nichtmonetärer Art (Anzahl der Todesfälle, Verlust an Lebensjahren, Invalidität usw.) unterscheiden.

Die gesellschaftlichen und staatlichen Reaktionen auf den Drogenmißbrauch umfassen das gesamte Präventionsspektrum, einschließlich sozialer, sozialmedizinischer und juristischer Strategien. Trotz vielfältiger Präventionsmodelle herrscht weltweit die „Prävention durch Repression“ vor, insbesondere, aber nicht ausschließlich, gegen den Drogenhandel, und nur nachrangig durch gesundheitliche Aufklärung, Drogenerziehung, psychosoziale Beratung sowie Behandlung, Therapie und Überlebenshilfe gegenüber Suchtkranken ergänzt. Insgesamt betrachtet lassen sich die Strategien nach dem sogenannten Vier-Säulen-Modell (Prävention, Repression, Therapie und Überlebenshilfe), das der neueren schweizerischen Drogenpolitik zugrunde liegt, begreifen.

2. Strafrechtliche Drogenkontrolle
Schrifttum: Albrecht, H.-J., Betäubungsmittelstrafrecht und Betäubungsmittelkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland. In: Betäubungsmittelstrafrecht in Westeuropa, hrsg. v. Meyer. Freiburg i.Br. 1987, 63-168; ders., Voraussetzungen und Konsequenzen einer Entkriminalisierung im Drogenbereich. In: Entkriminalisierung im Drogenbereich? Hrsg. v. de Boor u.a. Köln 1991, 1-37; Albrecht/ van Kalmthout, Drug Policies in Western Europe. Freiburg 1989; Böker u.a. (Hrsg.), Drogenpolitik wohin? Bern u.a. 1991; Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMJFFG) (Hısg.), Bericht der Bundesregierung über die gegenwärtige Situation des Mißbrauchs von Alkohol, illegalen Drogen und Medikamenten in der Bundesrepublik Deutschland und die Ausführung des Aktionsprogramms des Bundes und der Länder zur Eindämmung und Verhütung des Alkoholmißbrauchs. BT-Drucks. 10/5856. Bonn 1986; Dünkel, Zur Entwicklung der Drogenkriminalität und Drogenkontrolle in Deutschland. KrimBull 17 (1991), 47-74; Egg (Hrsg.), Drogentherapie und Strafe. Wiesbaden 1988; Kaiser, Gewinnabschöpfung als kriminologisches Problem und kriminalpolitische Aufgabe. In: FS für Tröndle. Berlin u.a. 1989, 685-704; Leuw, Drugs and Drug Policy in the Netherlands. In: Dutch Penal Law and Policy. Notes on Criminological Research from the Research and Documentation Center. The Hague 4 (1991), 1-8; Meyer, Rechtsvergleichender Querschnitt. In: Betäubungsmittelstrafrecht in Westeuropa, hrsg. v. Meyer. Freiburg i.Br. 1987, 729-773; Quensel, Drogenelend. Cannabis, Heroin, Methadon. Für eine neue Drogenpolitik. Frankfurt/M. u.a. 1982; Rüter, Die strafrechtliche Drogenbekämpfung in den Niederlanden. Ein Königreich der Aussteiger? ZStW 100 (1988), 385-404; Schöch, Strafbarkeit des Umgangs mit illegalen Drogen als präventives Mittel? In: Politische Studien (H. 344), 46 (1995), 60-72; Stock/Kreuzer, Drogen und Polizei. Eine kriminologische Untersuchung polizeilicher Rechtsanwendung. Bonn 1996.

Die gesicherten oder vermuteten Gefahren des Drogenmißbrauchs haben die staatlich organisierte Gesellschaft nicht ruhen lassen. Nationale Initiativen und internationale Zusammenarbeit bei der Kontrolle des Drogenmißbrauchs sind vor allem durch zwei Faktoren ausgelöst worden:

e Erstens haben fast alle Staaten die Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Staatsbürger übernommen und e zweitens sind die finanziellen Einbußen, die durch Drogen verursachte Kriminalität entstehen, sowie die Folgekosten für Behandlungen und vorbeugende Maßnahmen erheblich angewachsen.

Auf diese Weise leuchtet ein, daß sich der Strafgesetzgeber erst im zwanzigsten Jahrhundert intensiver mit den Problemen des Drogenmißbrauchs befaßt hat.

Den entscheidenden Impuls erhielt die Gesetzgebung erst durch den sprunghaften Anstieg des Drogenmißbrauchs Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre. Aufgrund der sich erkennbar abzeichnenden Zunahme des Drogenkonsums, der sich damit verbindenden Gefahren sowie im Hinblick auf die internationalen Abkommen über die Suchtstoffkontrolle aus den Jahren 1961 und 1971 zeichnete sich weltweit das Bemühen der Gesetzgebung ab, die Strafbarkeit auszuweiten und die Strafandrohungen zu verschärfen.

So wurde durch die Neufassung des Betäubungsmittelgesetzes in der Bundesrepublik 1981 versucht, zwischen Händlern und (Klein-)Verbrauchern zu differenzieren. Um den mittlerweile international organisierten und erheblichen Profit abwerfenden Rauschgifthandel wirksamer zu bekämpfen, sollten hier härtere Sanktionen angedroht, der illegale Gewinn abgeschöpft (vgl. Kaiser 1989, 685 ff.), die „Geldwäsche“ kriminalisiert und der Kreis der Kleinkonsumenten weniger hart bestraft werden. Da ein Großteil der Konsumenten jedoch zur Finanzierung des Eigenbedarfs als Kleindealer tätig ist, gestaltet sich diese Unterscheidung als äußerst schwierig.

Die ganz überwiegende Anordnung der Strafbestimmungen im Nebenstrafrecht kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Drogenstrafrecht inzwischen nach der Bindung öffentlicher Ressourcen, nach der Höhe der Strafdrohung und der Häufigkeit seiner Anwendung zu einem Zentralbereich der Kriminalpolitik geworden ist (Meyer 1987, 3):

Als typische Gesetzestechnik ist im Betäubungsmittelstrafrecht aufgrund der hohen Gefahren, die von den Drogen ausgehen, die Vorverlagerung der Strafbarkeit erkennbar. Es handelt sich größtenteils um abstrakte Gefährdungsdelikte, was letztlich auch die Beweisführung im Prozeß erleichtert. Weiterhin besteht die Tendenz zur Reduzierung subjektiver Strafbarkeitsvoraussetzungen. Die Art des Betäubungsmittels (harte/weiche Droge) findet im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung (vgl. dazu Meyer 1987, 340 ff., 747 ff.). Eine strafprozessuale Besonderheit bietet die sogenannte „Kronzeugenregelung“ des § 31 BtMG. Sie soll zur Aufklärung schwerer Drogenkriminalität kleine und mittlere Drogenhändler zu Aussagen bewegen. Bei der Auswertung von 16 500 Aburteilungen aus dem Jahre 1984 wurden immerhin 417 Fälle der Strafmilderung nach § 31 BtMG registriert (vgl. dazu BMJFFG 1986, 25 f.). Allerdings kommt die Kronzeugenregelung des § 31 BtMG anscheinend vor allem gegen die kleine und mittlere Händlerebene zur Anwendung (dazu Stock/Kreuzer 1996, 354 ff.). Hingegen wurden bisher noch kaum Großdealer aufgrund dieser Vorschrift überführt oder ganze Rauschgiftringe zerschlagen. Als Rechtsfolge sieht das BEMG zwar „mehr Therapie, weniger Strafvollstreckung‘ vor. Die Umsetzung dieses Ziels in der Praxis wird jedoch weiterhin kritisch beurteilt (vgl. Egg 1988).

Soweit man das durch das Betäubungsmittelstrafrecht geschützte Rechtsgut zu definieren sucht, greift man herkömmlich verbreitet auf die Volksgesundheit, außerdem auf Gesundheits- sowie Jugendschutz und ärztliche Versorgung des Landes zurück (vgl. Meyer 1987, 735; Schöch 1995, 64).

Zwar wird dem Cannabis vielfach die Eignung als „‚Einstiegsdroge“ abgesprochen (vgl. etwa Quensel 1982, 69). Es geht in diesem Zusammenhang jedoch nicht primär um die substanzgebundene Kausalbeziehung. Wenn auch nur ein kleiner Teil der Cannabiskonsumenten auf andere Drogen umsteigt, so hat doch umgekehrt ein hoher Prozentsatz der Heroinkonsumenten zuvor als Cannabiskonsumentangefangen. Konsum von Alkohol und Cannabisprodukten steht praktisch am Anfang jeder Drogenkarriere. Dies rechtfertigt es, bereits hier vorbeugend einzugreifen.

Die sich mit dieser Auffassung verbindende Sorge dürfte es wahrscheinlich sein, welche die Staaten der Welt — mit Ausnahme der Niederlande und vielleicht Dänemarks — noch zu einer schärferen „Gangart“ in der Drogenkontrolle veranlaßt (vgl. dazu den internationalen Vergleich nach Tab. 9, sowie Schaub. 15). Immerhin weisen die Befragungen darauf hin, daß der Anteil konsumierender oder abhängiger Personen während des letzten Jahrzehnts eher stagniert, wenn nicht gar partiell abgenommen hat.

Freilich, der hohe Anteil der regelmäßigen Betäubungsmittelkonsumenten unter den Strafgefangenen und das Unvermögen der Strafvollzugsverwaltung, die Strafanstalten drogenfrei zu machen, rütteln unvermindert an Anspruch und Effizienz strafrechtlicher Sozialkontrolle im Betäubungsmittelrecht. Gleichwohl ist nicht ersichtlich, wie eine vollständige oder partielle Legalisierung illegaler Drogen das Suchtproblem und den Angebotsdruck durch den internationalen Drogenhandel besser lösen könnte als die strafrechtliche Drogenkontrolle (ähnlich Schwind 1996, 462 ff.).

3. Vorbeugung, Behandlung und Drogensubstitution
Schrifttum: Baumgart, Ilegale Drogen – Strafjustiz- Therapie. Freiburg 1994; Bundesminister für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (BMIFFG) (Hrsg.), Bericht der Bundesregierung über die gegenwärtige Situation des Mißbrauchs von Alkohol, illegalen Drogen und Medikamenten in der Bundesrepublik Deutschland und die Ausführung des Aktionsprogramms des Bundes und der Länder zur Eindämmung und Verhütung des Alkoholmißbrauchs. BT-Drucks. 10/5856. Bonn 1986; Dölling, Eindämmung des Drogenmißbrauchs zwischen Repression und Prävention. Heidelberg 1995; Gossop, Prescribing Heroin and Other Injectable Drugs to Addicts: A British Perspective. Sucht 1994, 325-333; Hüllinghorst, Zur Versorgung der Suchtkranken in Deutschland. In: Jahrbuch Sucht 1995. Geesthacht 1996, 153-162; Kerner, Drogen und Kriminalität. In: KKW 1993°, 93-99; Kühne, Staatliche Drogentherapie auf dem Prüfstand. Heidelberg 1985; Kurze, Strafrechtspraxis und Drogentherapie. Wiesbaden 1993; 1994?; Leune, Illegale Drogen. In: Jahrbuch Sucht 1993, 50-64; Schöch, Straßenverkehrsgefährdung durch Arzneimittel. In: FS für Miyazawa. ‚Baden-Baden 1995, 227-242; Schweiz. Bundesamt für Gesundheitswesen, Medienorientierung zur ärztlichen Verschreibung von Betäubungsmitteln. Bern 1993; Strang/Ruben/ Farrel u.a., Prescribing Heroin and Injectable Drugs. In: Heroin Addiction and Drug Policy. The British System, ed. by Strang u.a. Oxford 1994, 192-206.

Dem steht freilich nicht entgegen, daß nicht auch unabhängig davon oder in Verbindung damit auf den Drogenmißbrauch reagiert wird. So ergeben sich bereits im Vorfeld von Drogenmißbrauch und Sucht Möglichkeiten vorbeugender Einflußnahme auf das Konsumverhalten. Dabei lassen sich die beiden Hauptbereiche der gesetzlichen Verbote und der Prävention durch gesundheitliche Aufklärung unterscheiden. Allgemein neigt man dazu, der Prävention durch gesundheitliche Aufklärung und Drogenerziehung, etwa durch entsprechende Aufklärungsaktionen in Schulen und Anstrengungen in der öffentlichen Jugendarbeit, den Vorzug gegenüber bloßen Verboten einzuräumen.

Die (psychosoziale) Beratung ist ein Angebot für diejenigen, die mit Mitteln der Prävention nicht mehr erreicht werden können, weil sie bereits Schwierigkeiten im Umgang mit Drogen oder Alkohol haben. Hier ist eine persönliche Beziehung zwischen dem Ratsuchenden und dem Helfer von ausschlaggebender Bedeutung. Dabei wird dem Einsatz freier Verbände der beste Erfolg zugesprochen (Kerner 1993, 98 f).

Mit der Beratung ist die Behandlung und Therapie von Suchtkranken eng verbunden. Hierbei sind wiederum die bereits erwähnten Beratungsstellen tätig, die etwa zu 40% ambulante Therapie von Suchtkranken durchführen.

Das Konzept der „Therapie statt Strafe‘ wird in den §§ 7, 93 a JGG, 35 ff. BEMG deutlich. Vor und neben therapeutischen Möglichkeiten im Strafvollzug selbst kann schon das Gericht bei Verurteilungen, die eine bestimmte Dauer der Freiheitsstrafe nicht überschreiten, die Vollstrekkung von Strafe oder Maßregel zurückstellen, wenn sich der Betroffene einer Behandlung unterzieht. Die Zeit dieser Behandlung kann u.U. auf die Strafe angerechnet werden (§8§ 35, 36 BtMG).

Bereits in früheren Verfahrensstadien kann die Staatsanwaltschaft zusammen mit dem zuständigen Gericht das Verfahren vorläufig einstellen, wenn sich der Beschuldigte seit mindestens drei Monaten einer Behandlung unterzieht und seine Resozialisierung zu erwarten ist (§ 37 BtMG). Unabhängig von der Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, ist im Rahmen der Maßregeln der Besserung und Sicherung die Einweisung in eine Entziehungsanstalt möglich (§§ 61, 64, 67 StGB); für Jugendliche und Heranwachsende sind Sonderanstalten vorgesehen (8 93 aJGG).

Da bekanntlich mit den traditionellen Behandlungsprogrammen nur etwa ein Drittel aller Drogenabhängigen zu erreichen ist, wird immer wieder gefordert, eine staatliche Drogenabgabe einzuführen oder zuzulassen. Derartige Forderungen haben auch bereits zu einer Reihe von Versuchsproiekten geführt.

Als problematisch gelten allerdings noch immer die im Rahmen der Pharmakotherapie umstrittenen Methadon-Programme (Dölling 1995, 24 f.). In Deutschland soll zur Zeit jeder fünfte Drogenabhängige, das sind schätzungsweise rd. 30 000 Personen, mit Ersatzdrogen behandelt werden. Dazu kommen mindestens 20 000 Drogenabhängige mit einer Kodein-Substitution außerhalb betäubungsmittelrechtlicher Bestimmungen. Das sind etwa 40 bis 50% aller Opiatabhängigen. Danach befindet sich weit über die Hälfte aller Drogenabhängigen pro Jahr in Behandlung, so daß die jährliche Erreichungsquote auf etwa 75% zugenommen hat. Dabei sollen 2000 Abhängige in offiziellen Methadon-Programmen substituiert werden, aber mehrere 10 000 ihre tägliche Ersatzdroge vom Arzt bekommen (Leune 1993, 54).

Methadon-Programme können zwar als „Überlebenshilfen“ betrachtet werden. Sie bilden jedoch insgesamt keinen Weg zur Lösung. Immerhin sprechen sie eine motivierte Gruppe an und erreichen sie auch, so daß der illegale Drogenkonsum partiell und temporär reduziert sowie die Beschaffungskriminalität entschieden vermindert wird. Allerdings leiden die Methadon-Programme allmählich an der Ausdünnung, weil ein Großteil der Teilnehmer sich dem Programm entzieht. Da Methadon-Programme häufig nicht die gewünschten Erfolge erzielen, schließen sich ihnen wie in der Schweiz Heroin-Programme durch die kontrollierte Abgabe von Heroin an Süchtige an. Allerdings bewirkt auch der legale Zugang zu Drogen für einen Teil der Abhängigen keine Besserung der gesundheitlichen, psychischen und sozialen Situation.

In einem neueren Pilotversuch der Schweiz sollen etwa 1000 Schwerstabhängige einbezogen werden. Da die Gesamtzahl der Schwerstabhängigen illegaler Drogen in der Schweiz auf rd. 25 000 geschätzt wird, könnte es sich bei dem Heroinabgabe-Projekt allerdings nicht um eine flächendeckende drogenpolitische Maßnahme handeln, sondern nur um den Versuch, der weiteren Verelendung eines Teils der Schwerstabhängigen und damit auch der Verbreitung der HIV-Infektion vorzubeugen. Das Ziel beschränkt sich daher darauf, den körperlichen und psychischen Gesundheitszustand sowie die Arbeitsfähigkeit und soziale Integration zu verbessern sowie eine Distanzierung von der Drogenszene und den Abbau des deliktischen Verhaltens zu erreichen.

Da auch bei kontrollierter Heroinabgabe zwei Märkte nebeneinander bestehen und damit eine scharfe Überwachung notwendig machen, ist der Kontrollaufwand erheblich. Immerhin sollen nach ausländischen Langzeitprojekten (und d.h. nach etwa 7-10 Jahren) etwa 40% der Teilnehmer am Schluß abstinent und geheilt sein. Allerdings bringt selbst eine ausgedehnte Heroinabgabe an Schwerstabhängige die (offene) Drogenszene nicht völlig zum Verschwinden, da viele integrierte und nichtintegrierte Abhängige, insbesondere Kokainabhängige, außerhalb des kontrollierten Abgabeprojektes bleiben. Freilich ist zuzugeben, daß aufgrund der bisherigen Erfahrungen begründet angenommen wird, daß mit den traditionellen Behandlungsprogrammen nur etwa ein Drittel aller Drogenabhängigen erreicht wird. Ziel und Anforderung der neueren Projekte basieren denn auch weniger auf der Drogenabstinenz als vielmehr auf der Verbesserung des körperlichen und psychischen Gesundheitszustandes, einer Verbesserung der sozialen Integration und Arbeitsfähigkeit sowie auf der Distanzierung von der Drogenszene mit dem Abbau des deliktischen Verhaltens. Auch wenn auf diese Weise der Anspruch der Behandlung zurückgenommen wird, so kann doch auf die Erfolgsbeurteilung nicht verzichtet werden. Deren Kriterium kann letztlich nur die Heilung von der Sucht und d.h. die Drogenabstinenz meinen.

In Großbritannien besteht schon seit 1926 die Möglichkeit, Drogen an Süchtige, bei denen eine Entzugsbehandlung erfolglos blieb oder aussichtslos erschien, unter medizinischer Aufsicht auf Rezept abzugeben, sogenanntes „Britisches System‘. Dieses beruht auf dem Konzept der Schadensbegrenzung („harm reduction policy“) im Gegensatz zu einer rein repressiven Drogenpolitik. Auf diese Weise wird zum einen der Beschaffungskriminalität entgegengewirkt, da die Abhängigen – im Gegensatz zu Gelegenheitskonsumenten – erheblich höhere Kosten aufzubringen hätten. Andererseits wird die Gesundheit der Süchtigen erhalten. Viele dieser Konsumenten können daher ein einigermaßen normales Leben führen und einer geregelten Arbeit nachgehen (Strang u.a. 1994, 194).

Die Rückfallrate von Therapieteilnehmern wird auf etwa 75% geschätzt. Der erhoffte Erfolg, durch die beschriebene Drogentherapie die Verbreitung illegaler Drogen zu vermindern, blieb allerdings aus. Teilweise wirken die Bedingungen für eine Therapie entmutigend, auch ist die orale Einnahme von Methadon für diejenigen, die injizieren, unattraktiv. Auf jeden registrierten Konsumenten kommen daher noch einmal fünf bis zehn, die sich auf dem illegalen Markt versorgen. Zwar soll die Kriminalität in den fraglichen Regionen zurückgegangen sein, im Bezirk Widnes existiert angeblich kein Schwarzmarkt mehr. In Liverpool will man sogar mit einer Infektionsrate von weniger als 1% unter „Fixern“ das HIV-Problem weitgehend in den Griff bekommen haben. Für diese behaupteten Erfolge fehlen jedoch noch ausreichende Belege. Allein der Drogenhandel soll 1995 um 60% gestiegen sein, ganz abgesehen von 5 Tötungen und 432 bewaffneten Raubüberfällen in den Straßen Liverpools. Mehrere Drogennetzwerke sollen kriminelle Clans gebildet haben (berichtet nach Times v. 18.04.1996). Angesichts der AIDS-Problematik wird die Verschreibungspraxis derzeit neu überdacht, mit einer Ausweitung der Verschreibung von injizierbaren Rauschgiften ist jedoch nicht zu rechnen. Auch eine strafrechtliche Drogenkontrolle wird weiterhin für unverzichtbar gehalten.

Trotz mancherlei Mängeln besteht angesichts der vorliegenden Befunde kein Anlaß, in der Therapie der Drogenabhängigkeit zu resignieren; vielmehr ist ihr Ausbau angezeigt. Auch sind die Regelungen, die der Strategie „Therapie vor Strafe“ Geltung verschaffen, sachgerecht.

4. Umfang, Entwicklung und Struktur der Drogenkriminalität
Schrifttum: Burgstaller, Drogenstrafrecht in Österreich. In: Criminal Law in Action, ed. by van Dijk u.a. Arnhem 1986, 179-198; Kerner, Alkohol und Kriminalität. In: KKW 1993°, 5-9; Kreuzer/Römer-Klees/Schneider, Beschaffungskriminalität Drogenabhängiger. Wiesbaden 1991; Kühne, Methadon: Letzte Hilfe im Drogenelend? ZRP 22 (1989), 1-4; Kube/Erhardt, Kriminalistisch-kriminologische Forschung zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität. NStZ 1991, 171-175; Republik Österreich, Sicherheitsbericht 1994; Schöch, Straßenverkehrsgefährdung durch Arzneimittel. In: FS für Miyazawa. Baden-Baden 1995, 227-242.

Die Beziehungen zwischen Alkohol und Kriminalität sind aufgrund der vielfältigen unmittelbaren und indirekten Zusammenhänge nur bedingt faßbar, zumal Alkohol bei der nicht unmittelbar auf ihn abstellenden Delinquenz häufig keine tatbedingende, sondern lediglich eine tatbegleitende Funktion erfüllt. In der Polizeilichen Kriminalstatistik wird der Alkoholeinfluß in der Tatsituation erst neuerdings (vgl. Schaub. 16) und in der Strafverfolgungsstatistik nur bezüglich der alkoholbeeinflußten Verkehrsdelikte (88 315 c, 316 StGB) gesondert hervorgehoben. Daher empfiehlt es sich, die strafrechtliche Relevanz des Alkoholeinflusses in fünf, sich teilweise überschneidende Hauptbereiche zu unterteilen (in Anlehnung an Kerner 1993, 6 f.).

° Der Alkoholismus als kriminalisiertes Verhalten betrifft vor allem Staaten mit puritanischer Tradition, aber temporär auch die Sowjetunion. In der Bundesrepublik, in Österreich und in der Schweiz sind Zwangseingriffe, etwa die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt oder einem psychiatrischen Krankenhaus, nur aus fürsorge-, polizei- oder strafrechtlichen Erwägungen zulässig. ®e Chronische Alkoholiker weisen eine breite Straffälligkeit mit hoher Vorstrafenbelastung auf, die gelegentlich die 40%-Grenze überschreitet. Im Vordergrund stehen Affektdelikte, Aggression gegen Personen und Sachen sowie Entgleisungen im Sexualbereich. e Alkoholismus bei chronisch Straffälligen läßt sich als gleichsinnig verstärkende Beziehung zwischen exzessivem Alkoholkonsum und Kriminalität nachweisen. Bei Gewohnheitsdelinquenten oder Personen mit „kriminellem Lebensstil“ finden sich Alkoholprobleme doppelt so häufig wie bei Nichtvorbestraften. Spezifische Rauschtaten im Grenzbereich der Zurechnungsfähigkeit, also die Fälle des § 323 a StGB. Im Jahre 1994 wurden insgesamt 4245 Personen dieser Deliktsgruppe verurteilt (StVSta 1994 28 f.). Der deliktische Schwerpunkt scheint bei den Aggressionsdelikten zu liegen, während Diebstahl und sexualbezogene Straftaten hier seltener vorkommen. Alkoholbeeinflußte Alltagskriminalität bildet die zahlenmäßig bedeutendste Teilgruppe der einschlägigen Delinquenz. Trotz unsicherer Feststellungen kann man aufgrund zahlreicher Untersuchungen davon ausgehen, daß eine hohe Quote von Tätern bei der Tatbegehung unter Alkoholeinfluß stand. Teilweise zeigen die Untersuchungen einen Anteil von mehr als 70% alkoholbeeinflußter Täter. Zwar besagt ein solcher Befund noch wenig über die unmittelbar kausale Bedeutung des Alkoholeinflusses; doch er läßt sich auch nicht vernachlässigen.

Die Analyse der Beziehungen zwischen Alkohol und Kriminalität würde daher zu kurz greifen, wollte man den Schwerpunkt auf den chronischen Alkoholismus und den alkoholabhängigen Täter legen, so beachtlich das Zerbrechen menschlicher Einzelschicksale und Bindungen durch extremen Alkoholgenuß sowie die sozialen Folgekosten auch sein mögen.

Empirische Untersuchungen zu dem Problemkreis Alkohol und Verbrechen setzen an drei Punkten an: der Alkoholgeschichte des Täters, den Angaben der Täter zu ihrem Alkoholkonsum bei Tatbegehung und den Polizeifeststellungen bei der Festnahme. Die Ergebnisse sind uneinheitlich und zum Teil auch widersprüchlich:

So schwanken z.B. die Angaben zum Anteil der Alkoholiker unter Strafgefangenen zwischen 2 und mehr als 30%. Demgegenüber liegen natürlich die Anteile der Täter mit vorausgehendem Alkoholgenuß — ohne schon Alkoholiker zu sein — noch weitaus höher. Bei den erfragten Angaben, aber auch bei den Polizeifeststellungen ergibt sich eine nach Delikten unterschiedlich starke Beziehung (siehe Schaub. 16), die zudem in den einzelnen Untersuchungen stark differiert: Z.B. werden bei Raub in einer Befragung 50% der Taten unter Alkoholeinfluß angegeben, während die Ergebnisse von Polizeiuntersuchungen zwischen Anteilen von 30 und 70% schwanken. Demzufolge bestehen gegen derartige Erhebungen methodische Einwände: So sind die Kriterien wie „Alkoholismus“ und „Trunkenheit“ sehr unbestimmt. Auch beziehen sich die Untersuchungen nur auf die registrierte Kriminalität und hier oft noch auf die besonders problematische Gruppe der inhaftierten Straftäter.

Die Beziehungen zwischen Rauschgift und Kriminalität sind hingegen schon durch die weitgehende Kriminalisierung von Erzeugung, Handel, Erwerb, Konsum und Besitz derartiger Drogen gekennzeichnet. Dabei kann man® die eigentlichen Rauschgiftdelikte, im wesentlichen Verstöße gegen das BtMG, und ® die sogenannte Beschaffungskriminalität

unterscheiden. Weitere kriminologische Gesichtspunkte liefern die ergänzend‘ auftretenden verschiedenen Formen der Bagatellkriminalität und des Rauschgifteinflusses auf dienormale Kriminalität (Kerner 1985, 349 £.) und die Verkehrsdelinquenz (Schöch 1995, 227 ff.).

Bei den Verstößen gegen das Betäubungsmittelrecht läßt sich in den europäischen Ländern seit den sechziger Jahren allgemein ein sprunghafter Anstieg feststellen, der sich in den achtziger Jahren abgeflacht hat. 1995 wurden in der Bundesrepublik 158 477 Fälle polizeilich registriert bei einer Aufklärungsrate von 96%. Auf den illegalen Handel und Schmuggel entfielen rd. 50 000 Taten.

Überwiegend standen die Drogendelikte im Zusammenhang mit Cannabis-Produkten (70 461 Fälle), während Kokain mit 17 687 Fällen geringer beteiligt war, obgleich’mit einer großen Steigerungsrate. Die Heroin-Fälle nahmen seit 1987 deutlich zu. Im Jahr 1995 wurden 49 056 Heroinfälle erfaßt (PKS 1995, 234).

Von den Tatverdächtigen stellen die Heranwachsenden und Jungerwachsenen die Mehrzahl der Delinquenten. Allerdings waren über 80% der Heroin- und Kokaindelinquenten älter als 21 Jahre, während über ein Drittel der Cannabis-Delinquenten unter 21 Jahre alt war.
Erwartungsgemäß überwiegen bei den Tatverdächtigen die jungen Männer mit einem Anteil von 88%; allerdings sind Frauen bei Delikten in Zusammenhang mit harten Drogen verhältnismäßig stark beteiligt (PKS 1995, 236).

Der Anteil der Nichtdeutschen betrug insgesamt 27,6%, beim Handel und Schmuggel sogar 37,8% (PKS 1995, Tab. 61). Hierbei herrschten bis 1985 die Nordamerikaner vor, die sich hauptsächlich aus Angehörigen der in der Bundesrepublik stationierten Streitkräfte rekrutierten (PKS 1985, 153). 1995 stellten Türken etwa ein Drittel der nichtdeutschen Tatverdächtigen (PKS 1995, 237). Hinsichtlich der Verteilung auf Stadt und Land läßt sich eine erhöhte Kriminalitätsbelastung der Ballungsgebiete feststellen.

Eine strukturell ähnliche Entwicklung ergibt sich für Österreich. Hier ging sowohl die Zahl der Tatverdächtigen als auch jene der Verurteilten in der ersten Hälfte der achtziger Jahre zurück (Burgstaller 1986, 191). Jedoch sind Delikte und Tatverdächtige inzwischen wieder erheblich angewachsen (Republik Österreich 1994, 145 ff.).

Auch ist in der Schweiz die steigende Tendenz der Drogenkriminalität ungebrochen. Hierbei dürfte es sich aber vor allem um den Ausdruck polizeilicher Drogenkontrolle handeln. Lediglich bei Drogenkonsumenten, die zugleich auch Handel betreiben, ist seit 1982 ein Rückgang zu beachten. Im übrigen jedoch haben sowohl die polizeilich registrierten Taten als auch die Zahl der Verurteilungen, insbesondere in den 90er Jahren, erheblich zugenommen.

Doch ihre volle Aussagekraft erlangen die Zahlen über die Strafverfolgung von Drogendelikten erst, wenn man sie auf den Hintergrund der Befragungsergebnisse bezieht. Dann wird deutlich, daß lediglich ein Bruchteil der Drogenkriminalität, der beim Handel etwas höher liegen mag, offiziell erfaßt und bekannt wird. Die wachsende Spezialisierung der Rauschgiftdezernate bei der Polizei und Staatsanwaltschaft geht Hand in Hand mit entsprechender Ausrüstung mit einer personellen Verstärkung und der Anwendung proaktiver Ermittlungsstrategien durch Einsatz von sogenannten Vertrauensleuten und Untergrundfahndern. Außerdem verstärkt sich die nationale und internationale Zusammenarbeit in diesem Bereich.

Die unmittelbare Beschaffungskriminalität äußert sich in Raub und Diebstahl von Betäubungsmitteln sowie Fälschungen zur Erlangung von entsprechenden Drogen. Im Jahr 1995 wurden in der Bundesrepublik Deutschland 234 entsprechende Raubstraftaten bekannt. Von ca. 1700 Diebstählen waren besonders Krankenhäuser, Arztpraxen und Apotheken betroffen. Fälschungsdelikte wurden 2458mal angezeigt (PKS 1995, 24 ff.). Viele der Straftaten blieben allerdings im Versuchsstadium stecken. Der größte Teil der Beschaffungskriminalität besteht in normalen Eigentumsdelikten, die der Finanzierung illegaler Beschaffung von Rauschgiften dienen.

Jedoch hat sich die verbreitete Annahme als falsch erwiesen, wonach die Sucht weitgehend durch indirekte Beschaffungskriminalität, namentlich durch Einbrüche, Raub und Autoaufbrüche, finanziert werde. Denn nur knapp ein Drittel des Finanzbedarfs der Drogenabhängigen wird auf diesem Wege gedeckt. Immerhin wird ein Fünftel durch Einnahmen außerhalb der Drogenszene finanziert, etwa durch Kredite oder Unterstützung von Angehörigen. Die primäre Beschaffungswelle stellt vielmehr der sogenannte „Ameisenhandel“ dar, also die Gewinnerzielung durch Kleinverkäufe (zum Ganzen Kreuzer u.a. 1991 m. eingehenden Belegen). Ferner sprechen die neueren Untersuchungsergebnisse dafür, daß die Ansätze von Substitutionstherapie, insbesondere von Methadon, kaum in der Lage sind, Formen der Beschaffungskriminalität in nennenswertem Umfang zu vermindern. Dies gilt selbst für jene Länder, in denen von Substitutionstherapien größerer Gebrauch gemacht wird als in Deutschland.

5. Drogenpolitik – Wohin?
Angesichts der nur beschränkten Erfolge der Drogenpolitik und deren unerwünschter, jakontraproduktiver Nebenwirkungen wird der Rufnach Entkriminalisierung.des Betäubungsmittelstrafrechts und nach Legalisierung bisher illegaler Drogen verständlich. Dennoch läßt sich die Freigabe harter Drogen und deren „Normalisierung“ nicht rechtfertigen. Die dazu vorgelegten kriminalökonomischen Modelle greifen wie üblich auch hier zu kurz. Eine wie auch immer geartete Liberalisierung harter Drogen könnte weder die Ausbreitung des Drogenkonsums mitall seinen Gefahren und Gebrechen verhindern noch das hinter dem Drogenhandel stehende Potential des organisierten Verbrechens an Finanzkraft und Drogenumsatz nennenswert beeinträchtigen. Eine Drogenkontrolle ähnlich der Prostitutionskontrolle wäre in Wahrheit ein Verzicht auf Prävention und Repression, würde aber der Gesellschaft vermehrt die sozialen Kosten für die Drogenabhängigen aufbürden. Eine Beschlagnahme von Drogen wäre dann überzeugend ebensowenig durchsetzbar wie die Gewinnabschöpfung oder die Strafverfolgung der Geldwäsche, soweit es sich um Drogengelder handelt. Auch eine wirksame Drogenprävention in den Schulen wäre kaum noch glaubwürdig zu vermitteln. Zwar lassen sich die Schwächen und Gefahren der strafrechtlichen Drogenkontrolle nicht verkennen. Immerhin kann man sie identifizieren und bewältigen. Doch eine Drogenfreigabe wäre weitaus verheerender, als es die relative Erfolglosigkeit der heutigen Drogenbekämpfung je sein kann und würde zudem den Rechtsfrieden durch Selbstjustizhandlungen an sich rechtstreuer Bürger empfindlich gefährden. So gesehen kann man der vom schweizerischen Bundesrat favorisierten Kontrollstrategie nach dem sogenannten Vier-Säulen-Modell zustimmen, und d.h. Prävention, Repression, Therapie sowie Überlebenshilfe in der Suchtphase.

§ 38 Ausländerkriminalität
1. Straffälligkeit von Ausländern als Problem
Schrifttum: Albrecht, H.-J., Foreign Minorities and the Criminal Justice System in the Federal Republic of Germany. The Howard Journal 26 (1987), 272-286; Bauhofer u.a. (Hrsg.), Ausländer, Kriminalität und Strafrechtspflege. Zürich 1993; Flowers, Minorities and Criminality. New York 1988; Hoffmann-Nowotny, Zur Soziologie des Fremdarbeiterproblems. Eine theoretische und empirische Studie am Beispiel der Schweiz. Stuttgart 1974; Hood (ed.), Minorities, Crime and Public Policy. In: Crime and Criminal Policy in Europe. Proceedings of a European Colloquium. Oxford 1989, 142-185; Killias, Anzeigeverhalten von Opfern gegenüber Ausländern. MschrKrim 71 (1988), 156-165; Schöch/Gebauer, Ausländerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland. Baden-Baden 1991; Schütz, The Stranger. An Essay in Social Psychology. AJS 49 (1944), 499-607; Simmel, Exkurs über den Fremden. In: Soziologie (1908). Berlin 1968° ‚Steffen, Ausländerkriminalität in Bayern. NStZ 1993, 462-466; Tonry, Ethnicity, Crime, and Immigration. Chicago, London 1997.

Wohl seit jeher wird der „fremde Mann“ gern mit dem Feind des Landes und mit dem Übeltäter gleichgesetzt. Wenn Ausländer als fremde Gruppen durch Sprache und Verhaltensweisen, mitunter auch durch Kleidung, besonders auffällig erscheinen, werden Aufmerksamkeit, aber auch Zurückweisung gesteigert. Treten Fremde oder Ausländer nicht allein, sondern in großer Zahl auf, so dürften Unsicherheit sowie Gefühle der Gefährdung und der Angst wachsen. Befürchtungen kultureller Überfremdung steigern sich in Zeiten wirtschaftlicher Krise und verbreiteter Arbeitslosigkeit. Sie nehmen gar Dimensionen existentieller Bedrohung an. Eine solche mögen vor allem jene wahrnehmen und erleben, die als bodenständige Inländer ökonomisch gefährdet erscheinen, vom wirtschaftlichen Aufstieg ausgeschlossen bleiben oder ihren sozialen Abstieg nicht mehr auszugleichen vermögen. Hier wird man die Zugehörigkeit zur herrschenden Kultur besonders betonen, um dadurch individuelle Spannungen und Ängste zu vermindern (Hoffmann-Nowotny 1974, 128, 151).

Vor allem jene Deutschen, die sich mit sozial schwierigen Problemlagen konfrontiert sehen, wird es erkennbar schwerer fallen, gegenüber ausländischen Mitbürgern Toleranz zu zeigen, als denen, die wirtschaftlich abgesichert zu Konfliktsituationen mit Fremden in weiter Distanz leben. Sie werden überdies eher dazu neigen, Nichtdeutsche, namentlich fernerstehender Kulturen, zurückzuweisen, zu isolieren oder doch zumindest schärfer zu kontrollieren. Begriffe wie „Sündenbock“ und „Stigmatisierung“ deuten allgemein die Kontrollstrategien an. Diese werden konkret bei Anzeigeerstattung und Strafverfolgung von Ausländern. Sie werden außerdem an der Anwendung des Ausländerrechts ablesbar.

2. Entwicklung und Strukturwandel der Ausländerkriminalität
Die soziale Auffälligkeit (Rechtsbrüche, Unfälle, Krankheiten) der Ausländer hat in den letzten Jahrzehnten wiederholt Anlaß zu öffentlicher Diskussion und auch zu erfahrungswissenschaftlicher Betrachtung geboten. Dies verwundert nicht, wenn man bedenkt, daß schon die Zahl

der Gastarbeiter von weniger als 200 000 im Jahr 1959 auf mehr als zweieinhalb Millionen im Jahre 1972 zugenommen hat. Seither bilden die Ausländer im Bundesgebiet etwa ein Zehntel der gesamten Arbeitnehmerschaft und ungefähr 6 bis 9% der Wohnbevölkerung (1995 rd. 7 Mio.). Es ist daher normal, weil nach ihrem Anteil der Bevölkerung erwartungsgemäß, daß sie auch einen entsprechenden Teil der Straftäter stellen.

Rückt man im historischen Längsschnitt die Entwicklung des Ausländeranteils, unbeschadet seiner Zusammensetzung, mit der aufihn entfallenden Straffälligkeit in Beziehung, so stellen wir fest, daß in der Zeit von 1955 bis 1973 die fraglichen Anteile der Ausländer in der Gesamtbevölkerung und an den Tatverdächtigen (ohne Verkehrstäter) einander im wesentlichen entsprechen (siehe Schaub. 17). Angesichts der für Ausländer generell zu vermutenden Ungunst der sozialen Ausgangslage ein höchst erwartungswidriger, wenn auch im ganzen beruhigender Befund. Offenbar lassen sich an ihm spezifische Problemsituationen nicht ablesen. Natürlich treten gravierende Mängellagen, Unterprivilegierung, Milieuverlust und Stigmatisierung bei den Ausländern auch in jener Zeit auf, wie wir Berichten entnehmen können. Sie äußern sich jedoch allgemein in anderer, jedenfalls nicht in krimineller Weise. Schon daran wird erkennbar, daß soziale Problemsituationen und Bedrängnisse nicht zwangsläufig in Kriminalität münden.

Ab 1973 jedoch ändern sich Lage und Beziehungen. Im Zusammenhang mit dem am 23. November 1973 in Kraft tretenden Anwerbestopp nehmen die Anteile der Nichtdeutschen an der Bevölkerung zwar vorübergehend ab, bereits seit 1979 aber wieder allmählich zu. Während einerseits ausländische Arbeitnehmer in ihre Heimatländer zurückwandern, steigt die Zuwanderung von Familienangehörigen durch den sogenannten Familiennachzug an. Das überproportionale Ansteigen der Gesamtzahl der Ausländer gegenüber dem Anteil der ausländischen Arbeitnehmer in den siebziger Jahren weist darauf hin, daß jetzt ein Wandel in der Motivation für den Aufenthalt in der Bundesrepublik einsetzt. Die Ausländer wollen nicht mehr wie in den sechziger Jahren nur vorübergehend einen Arbeitsplatz übernehmen, um anschließend in das Heimatland zurückzukehren. Jetzt will ein Großteil von ihnen hier mit seiner Familie auf unbestimmte Zeit leben.

Veränderungen in der Zusammensetzung der nichtdeutschen Population aufgrund wirtschaftlicher Krise, Wanderungsbewegung und Strukturverschiebung führen offenbar zu zwei Konsequenzen:

® Erstens weiterer Anstieg des Straffälligenanteils der Nichtdeutschen trotz temporärer Abnahme oder Gleichbleibens des ausländischen Bevölkerungsanteils sowie ® zweitens Rückgang des Anteils straffälliger Gastarbeiter und Zunahme von tatverdächtigen jungen Menschen und sonstigen Gruppen unter den Ausländern.

Seit zwei Jahrzehnten also hat sich die Schere zwischen den Anteilen an Bevölkerung und Straffälligen immer mehr geöffnet (vgl. Schaub. 17), ist das herkömmliche Strukturbild der Tatverdächtigen in „Unordnung“ geraten (vgl. Schaub. 18). Der absoluten Zahl nach haben alle polizeistatistisch ausgewiesenen Ausländergruppen unter den Tatverdächtigen zugenommen, freilich mit unterschiedlichen Zuwachsraten und Relationen.

Wohl ist die Straffälligkeit der Nichtdeutschen prozentual seither zunehmend weniger auf dem Konto der ausländischen Arbeitnehmer zu verbuchen. Doch nachdem Vergleich der jeweiligen Anzahl der Tatverdächtigen (1975: rd. 73 000; 1995: 101 000) und der Kriminalitätsbelastung pro 100 000 Gastarbeiter (1975: 3533; 1995: 4712) ist auch deren registrierte Straffälligkeit seit 1975 angestiegen (vgl. Tab. 11), freilich nicht überproportional. Mord und Vergewaltigung haben bei den Gastarbeitern absolut und relativ teilweise sogar abgenommen.

Stärker als die Arbeitnehmer sind hingegen die nachwachsende Generation der Ausländer und die Gruppe der Sonstigen (Asylbewerber, Erwerbslose usw.) in steigendem Maße an der Delinquenz der Nichtdeutschen beteiligt, und zwar auf breiter Front über fast alle Deliktsgruppen hinweg. Wenn die verführerisch eingängige These „von der Entwurzelung über die Arbeitslosigkeit in die Straffälligkeit“ einen richtigen Sachverhalt trifft, dann vermutlich hier (vgl. auch Schaub. 18). Dies schlägt sich besonders in der hohen Kriminalitätsbelastung der männlichen Ausländer im Alter zwischen 14 und 25 Jahren nieder. Aber auch die älteren Gruppen männlicher Ausländer weisen ebenso wie die nichtdeutschen Frauen eine erheblich stärkere Kriminalitätsbelastung als in den sechziger Jahren auf. Selbst Kinder werden von der Polizei bei Ausländern relativ gesehen häufiger als auffällig registriert als bei Deutschen. Auch wenn man die Unsicherheiten in den Berechnungsgrundlagen sorgfältig beachtet, ergibt sich noch immer eine Verteilung, die über alle Altersgruppen hinweg eine erheblich stärkere Belastung der Nichtdeutschen, insbesondere des männlichen Geschlechts, ausweist. Spitzenwerte zeigen dabei die 16-30jährigen (vgl. auch LB § 56, 3.4).

Unter den im Jahre 1995 im Bundesgebiet einschließlich der neuen Bundesländer polizeilich als Täter ermittelten 2 118 104 Personen befinden sich rd. 603 000 nichtdeutsche Täter. Das sind 28,5% aller tatverdächtigen Personen. Selbst wenn man die spezifisch ausländerrechtlichen Straftaten, die also nur von Nichtdeutschen begangen werden können, vernachlässigt, beträgt der Prozentsatz noch immer 21,9. Allerdings entfällt nur knapp ein Sechstel aller ausländischen Tatverdächtigen auf Arbeitnehmer, während die Asylbewerber nunmehr mit einem mehr als 20%igen Anteil unter den ausländischen Tatverdächtigen vorherrschen. Vor drei Jahrzehnten — im Jahre 1965 — waren von insgesamt 860 000 polizeilich als Täter ermittelten Personen erst 47 000 Nichtdeutsche, also rd. 5,5%. Derartige Anteile stimmen auch annähernd mitjenen der Rechtspflegestatistik überein (PKS 1995, 113 ff.,; StVSta 1994, 380 ff.).

Demgegenüber beträgt der Anteil der 7 Millionen zählenden Nichtdeutschen an der Gesamtbevölkerung 8,6% (31.12.1994). Er vermindert sich etwa auf 8%,

stellt man nur auf den Vergleich der strafmündigen Bevölkerung ab. Hierbei handelt es sich freilich nur um die amtlich registrierten Ausländer. Wieviele Nichtdeutsche sich tatsächlich in der Bundesrepublik aufhalten, ist nicht bekannt. Man wird zu den Mitgliedern der Wohnbevölkerung jedoch die Touristen und Illegalen sowie die nichtdeutschen Stationierungskräfte (Soldaten) mit ihren Angehörigen. noch hinzurechnen müssen. Immerhin wurden 1993 mehr als 31 Millionen Übernachtungen von Ausländern im Hotel- und Gaststättengewerbe gezählt. Außerdem hat man zu berücksichtigen, daß sich die Alters- und Geschlechtsstruktur der Nichtdeutschen von den Deutschen unterscheidet, obschon nicht mehr so stark, wie dies noch vor drei Jahrzehnten der Fall war. Gleichwohl gehören die Ausländer überwiegend den jüngeren, besonders kriminalitätsgeneigten Altersgruppen zwischen 20 und 40 Jahren an. Außerdem ist bei ihnen der weibliche Anteil mit etwa 44% noch immer kleiner als bei den Deutschen. Frauen werden aber wesentlich geringer straffällig, und zwar bei allen Bevölkerungsgruppen, gleich welcher Nationalität.

So gesehen erscheint es geradezu als normal, weil erwartungsgemäß, daß die Ausländer nicht nur anteilig, sondern sogar leicht überhöht straffällig werden. Problematisch ist also nicht, daß Ausländer überhaupt oder entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil kriminell in Erscheinung treten: problematisch ist erst, wenn die Nichtdeutschen schlechthin oder bestimmte Gruppen von ihnen weit überdurchschnittlich wegen schwerer Delikte als Rechtsbrecher auffällig werden.

3. Extremismus und kriminelle Vereinigungen von Ausländern
Schrifttum: Bundeskriminalamt (Hrsg.), Lagebild Organisierte Kriminalität. Bundesrepublik Deutschland 1995. Kurzfassung Wiesbaden 1996; Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 1995. Bonn 1996; Frisch, Ausländerextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. In: Terror und Extremismus in Deutschland, hrsg.v. Löw. Berlin 1994, 155-169.

Soweit bekannt, folgt der größte Teil der in Deutschland lebenden Ausländer keinen extremistischen Bestrebungen. Immerhin waren 1995 nach Schätzungen der Verfassungsschutzbehörden insgesamt etwa 55 500 Personen der über 16jährigen Ausländer Mitglieder in extremistischen oder extremistisch beeinflußten Gruppen. Hingegen schätzt man den Bestand der links- und rechtsextremistischen Gruppen der Deutschen auf insgesamt 82 000 Mitglieder (Bundesministerium des Innern 1996, 22, 96, 204; siehe ferner Frisch 1994, 155, 160 £.).

Unter extremistischen Gruppierungen werden solche Organisationen der im Bundesgebiet lebenden Ausländer verstanden, deren Bestrebungen sich nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in den Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz) gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder — aus politischen Motiven — gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden.

Die politischen Aktivitäten der im Bundesgebiet beobachteten Organisationen werden vor allem von den Konflikt- und Krisensituationen in den jeweiligen Heimatländern bestimmt. Die dortigen politischen, religiösen, ethnischen oder sonstigen Auseinandersetzungen werden auch hier ausgetragen. Ein Teil der in Deutschland tätigen ausländischen Terrorgruppen verfolgt separatistische Ziele (z.B. Basken und ehemals auch die Nordiren), andere Gruppen streben Autonomie im Heimatland an (z.B. Kurden im Irak oder in der Türkei). Ein weiterer Teil kämpft für die politisch-religiöse Umgestaltung einer ganzen Region (islamische Extremisten im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika). Gelegentlich führen auch Ereignisse in Deutschland zu politischen Aktivitäten von Ausländern. Insbesondere nach den Brandanschlägen von Mölln und Solingen kam es zu gewalttätigen Übergriffen auf vermeintliche oder tatsächliche deutsche Rechtsextremisten. Ferner lieferten sich im Rahmen von Protestdemonstrationen gegen fremdenfeindliche Gewalttaten linksextremistische und extremnationalistische Türken zum Teil heftige Schlägereien. Die Aktivitäten ausländischer Extremisten sind seit Jahren von mitunter schweren Gewalttaten begleitet (vgl. Schwind 1996, 418 £.).

Obwohl die Zahl der durch den Verfassungsschutz beobachteten Organisationen in den letzten Jahren weitgehend konstant blieb, stiegen die politisch-motivierten Straftaten, insbesondere die Gewalttaten mit ausländerextremistischem Hintergrund, erheblich an. In den Jahren 1991 bis Ende 1993 waren in Deutschland insgesamt 148 politisch motivierte Terror- und sonstige schwere Gewaltakte von Ausländern zu verzeichnen, bei denen 18 Personen getötet wurden (Frisch 1994, 156). Die Gewaltaktivitäten in den Jahren 1994 und 1995 forderten insgesamt 6 Todesopfer. Mit 283 gewaltsamen Aktionen im Jahre 1995 war gegenüber 1994 (262) erneut ein Anstieg zu verzeichnen. Fast alle Gewaltaktionen sind mutmaßlichen Tätern aus dem linksextremistischen kurdischen und türkischen Betätigungsfeld zuzurechnen (Bundesministerium des Innern 1995, 204 ff.).

Die 1978 gegründete linksextremistische „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) ist trotz des gegen sie am 26.11.1993 erlassenen Betätigungsverbotes nach wie vor die größte und militanteste Kurdenvereinigung in Deutschland. Die Zahl ihrer aktiven Anhänger im Bundesgebiet dürfte trotz des Verbots etwa 8900 betragen. Für die überwiegende Zahl der 1995 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als das Dreifache gestiegenen Brandanschläge sind mutmaßliche Anhänger der PKK verantwortlich. Die Anschlagsserie, an der auch türkische linksextremistische Organisationen beteiligt waren, richtete sich vor allem gegen türkische Reisebüros und andere türkische Einrichtungen wie Moscheen und Kulturvereine, aber auch gegen Polizeidienststellen. Zudem wurde mit gezielten Anschlägen auf deutsche Urlauber in der Türkei gedroht (Bundesministerium des Innern 1996, 207 ff.).

Organisierte kriminelle Aktivitäten von Ausländern erschöpfen sich freilich nicht im Ausländerextremismus. So sind unabhängig von den genannten Ausländergruppen, doch in gewissem Zusammenhang mit den Illegalen und Durchreisenden im letzten Jahrzehnt wiederholt Delinquenzformen sichtbar geworden, die den Erscheinungen des organisierten Verbrechens zuzurechnen sind. Obwohl kriminelle Organisationen in Europa, und so auch in der Bundesrepublik Deutschland, nach Entstehung, Kapazität und Lebensdauer kaum mit jenen Nordamerikas vergleichbar sind, sind doch auch hierzulande zunehmend kriminelle Vereinigungen bekanntgeworden. Zum Teil rechnet man sie der süditalienischen Mafia zu. Zunehmend treten kriminelle Gruppierungen aus den osteuropäischen Staaten in Erscheinung.

1995 gehörten bereits fast zwei Drittel der knapp 8000 wegen organisierter Kriminalität ermittelten Tatverdächtigen mehr als 80 verschiedenen Nationalitäten an. Dabei stellten die größten Gruppen der nichtdeutschen Tatverdächtigen türkische Staatsangehörige mit 14,6%, Staatsangehörige aus Jugoslawien 7,5%, italienische Staatsangehörige 5,7% und polnische Staatsangehörige 5,7% aller Tatverdächtigen. Der Anteil der Tatverdächtigen aus osteuropäischen Staaten stieg von 10,6% im Jahr 1993 auf 14% im Jahr 1995 (Bundeskriminalamt 1995, 2 ff., 13). Besonders die vietnamesischen Straftäter, namentlich im Rahmen der sogenannten Zigarettenmafia, waren in hohem Maße bewaffnet. Bei etwa zwei Dritteln der vom Bundeskriminalamt ermittelten Verfahren gegen kriminelle Vereinigungen wurden Täterstrukturen festgestellt, bei denen Tatverdächtige unterschiedlicher Nationalitäten zusammengewirkt hatten. Organisierte Kraftfahrzeugverschiebung, Rauschgift und Menschenhandel mit begleitender Gewaltkriminalität bis hin zur politischen Korruption, Erpressung und Nuklearkriminalität kennzeichnen das Deliktsfeld. Ob und inwieweit auch Betrügereien zu Lasten der Europäischen Union durch innerhalb des Bundesgebiets agierende Ausländer begangen werden, läßt sich bislang noch nicht überblicken.

Trotz spektakulärer Einzelfälle haben derartige Entwicklungen für das Bundesgebiet allgemein aber noch keinen bedrohlichen Charakter (siehe oben § 22). Zwar gibt es Anzeichen dafür, daß fest verwurzelte Gebilde organisierter Kriminalität, dieim Ausland gewachsen sind, im Bundesgebiet Stützpunkte bilden, um hier kriminelle Einzel- und Serienaktionen durchzuführen. Auch mag ein nicht integrierter Ausländeranteil in der Bundesrepublik die für das Entstehen von Stützpunkten erforderliche Subkultur bieten. Dennoch sollte man derartige Verbrechensformen nicht dramatisieren, so gravierend sie auch im Einzelfall erscheinen.

4. Täter und Opfer im Kulturkonflikt
Schrifttum: Albrecht, H.-J., Ethnicity, Crime and Immigration: Comparative and Cross-National Perspectives. In: Crime and Justice 2 (1997), 31-99; Kunz, Ausländerkriminalität in der Schweiz — Umfang, Struktur und Erklärungsversuch. SchwZStr 106 (1989), 373-392; Schöch/Gebauer, Ausländerkriminalität in der Bundesrepublik Deutschland. Baden-Baden 1991; Schüler-Springorum, Ausländerkriminalität. Ursachen, Umfang und Entwicklung. NStZ 1983, 529-536; Sellin, Culture Conflict and Crime. New York 1938; Shoham, Culture-Conflict in the Frame of Reference for Research in Criminology and Social Action. In: Crime and Culture, ed. by Wolfgang. New York 1968, 55 ff.; Sonnen, Kulturkonflikt und Verbotsirrtum. Neue Kriminalpolitik 1990, 4, 42 f.; Spiegel, Kriminalität — von der Entwurzelung über die Arbeitslosigkeit in die Straffälligkeit. In: Vom Gastarbeiter zum Mitarbeiter, hrsg. v. Schlaffke u.a. Köln 1982, 195-206; v. Trotha, Kultur, Subkultur, Kulturkonflikt. In: KKW 1993°, 338-345.

Wenn Kulturen mit ganz verschiedenen Verhaltensregeln in bestimmten Gebieten aufeinandertreffen oder Mitglieder der einen Kultur in die Bereiche einer anderen einwandern oder wenn bei der Eroberung den Ureinwohnern fremde Rechte auferlegt werden, beginnt die Stellung einer Person oder Gruppe unter Umständen marginal zu werden. Eine solche periphere Position liegt dann vor, wenn die Person oder Gruppe auf der Grenze zwischen mehreren Kulturen bzw. Normensystemen keine Möglichkeit hat oder sieht, sich ganz für die eine oder andere zu entscheiden, wenn sie ein gebrochenes Verhältnis zur herrschenden Ordnung hat.

Der Randseiter wird feststellen, daß er „anders“ ist als die Angehörigen der dominierenden Kultur, anders hinsichtlich seiner ethnischen Zugehörigkeit, Bildung, Sprache und seiner sozialen Anschauung. Er empfindet sich deshalb als benachteiligt und ausgeschlossen. Er ist sich ungewiß darüber, ob er auf Bindung von Familie und Heimat verzichten soll, um vollgültiger Bürger der neuen Adoptivkultur zu werden. Andererseits erfährt er, daß die herrschende Kultur ihm Hindernisse in den Weg zur Integration legt. Zum Beispiel werden ihn schon äußere Kennzeichen wie Sprache und Hautfarbe als Fremden ausweisen. So ist die Situation der Marginal-Existenz häufig das Ergebnis sozialer Situationen, die mit dem „Fremd“-Sein zusammenhängen. Dem Gefühl der Heimatlosigkeit, der Orientierungslosigkeit, der Ambivalenz von Verhalten und Empfindungen sowie der sozialen Gefährdung auf seiten der Minorität stehen Distanzierung und Ablehnung auf seiten der Majoritätsgruppe gegenüber. Höchstwahrscheinlich erzeugt allein schon das Anderssein, die Andersartigkeit, das Abweichen vom Üblichen der Minderheit eine tiefe Aversion in der Majorität, die uniform ist; daher gilt die Uniformität auch als Bestätigung von Regel und Ordnung.

Mit dem Bewußtsein, beiden antagonistischen Normensystemen unmöglich zugleich entsprechen zu können, gerät der Randseiter in einen Normenkonflikt. Dessen Hintergrund ist insofern immer ein Motivkonflikt, als die Mitgliedschaft in beiden Gruppen sowohl anziehend als auch bedrohlich erscheint. Selbst innerhalb einer Kultur mögen sich schnellwandelnde Subkulturen und Einwanderer der ersten und zweiten Generation in Normenkonflikte verstricken, die wiederum kriminelles Verhalten erzeugen. Denn das Verharren im Normenkonflikt ist dem Randseiter unerträglich. Im Gegensatz zum anfänglichen Verständnis des Kulturkonflikts als Form sozialer Desorganisation oder als eines Gruppenkonflikts begriff Sellin den Kulturkonflikt umfassender. Nicht nur unter verschiedenen Gruppen, sondern auch innerhalb der Gruppe, zwischen dem einzelnen und der Gruppe, kann es zur Orientierungslosigkeit, zum Kulturkonflikt, zu anomischem Verhalten, also auch zur Kriminalität kommen. Auf derartigen Beobachtungen und Erwägungen gründet sich die Annahme, daß die Verbrechensrate desto höher ist, je schärfer die Divergenzen und Zusammenstöße zwischen Rechtsnormen, Gebräuchen und Werten in einer bestimmten Gesellschaft sind (Shoham 1968, 55 ff.).

Danach bietet sich das Konzept vom Kulturkonflikt zur Erklärung der Delinquenz von Ausländern an. Aus dieser Verknüpfung lassen sich folgende Annahmen herleiten:

  1. Der Kulturkonflikt zwischen den Zuwanderern und der Wirtskultur, speziell mit den deutschen Normen, äußert sich in Verhaltensweisen sozialer Bezugsund Integrationsstörungen, ablesbar an höheren Kriminalitäts-, Krankheitsund Betriebsunfallraten. 2. Es ist wahrscheinlich, daß der Konflikt zur Zeit des ersten Zusammentreffens kulturverschiedener Normensysteme größer und folgenreicher ist als nach Ablauf einer gewissen Zeit der Orientierung und Anpassung. 3. Die Art des Konflikts kann sowohl für die Herkunfts- als auch die Wirtskultur eigentümlich sein. 4. Soweit die Zuwanderer der Unterschicht en muß sich der Konflikt verstärken, da die abweichenden kulturellen Muster der Minderheiten subkulturellen Charakter haben. Ausländergruppen mit höherer Mobilität und sichtbarer Fremdheit unterliegen wahrscheinlich schärferer Beobachtung und Zurückweisung als andere, fühlen sich der Wirtskultur aber auch offensichtlich weniger verbunden.

Somit ist zu fragen, ob und inwieweit sich aus der Kriminalität der Ausländer Anhaltspunkte für diese Annahmen gewinnen lassen.
Die vergleichende Untersuchung zwischen Ausländerkriminalität und Straffälligkeit der deutschen Staatsbürger hat davon auszugehen, daß es sich ® bei den ausländischen Zuwanderern hauptsächlich um Personen männlichen Geschlechts handelt und ferner ° um Altersklassen, die nach allgemein-kriminologischer Erfahrung ohnehin als besonders straffällig imponieren.

Um festzustellen, ob die Straffälligkeit der Ausländer hoch oder niedrig liegt, muß man daher auf die Kriminalität der entsprechenden deutschen Altersklassen, also der etwa 18- bis 50jährigen Männer, zurückgreifen (PKS 1995, 77 ff.). Allerdings erweist sich der prozentuale Vergleich nach Alters- und Geschlechtsstruktur der deutschen und nichtdeutschen Tatverdächtigen als unergiebig. Denn die Vergleichsgruppen weichen in der Bevölkerungsstruktur zu stark voneinander ab.

Aussagekräftig könnte nur der Vergleich nach Kriminalitätsbelastungsziffern sein, also die Beziehung der Tatverdächtigen auf ihre jeweilige Bezugsgruppe, etwa auf 100 000 Personen der entsprechenden Bevölkerung. Danach liegen auf dem ersten Blick die Kriminalitätsbelastungsziffern der Nichtdeutschen zwar insgesamt mehr als doppelt so hoch wie jene der deutschen Tatverdächtigen. Diese Zahlen sind aber überhöht, weil bei den ausländischen Tatverdächtigen im Gegensatz zur ausländischen Bevölkerung die Personen der Stationierungsstreitkräfte mit ihren Angehörigen, ferner die, Touristen und illegal Eingereisten mitgezählt wurden. Bringt man jedoch diese Teilgruppen, die bei der Wohnbevölkerung ohnehin fehlen, auch bei den Tatverdächtigen in Abzug, so kommt man der wirklichen Kriminalitätsbelastung der nichtdeutschen Population mit einem festen Aufenthaltsstatus näher. Es ergibt sich dann eine Verteilung, die zwar niedriger und differenzierter ist als nach dem ersten Anschein, die aber noch immer, und zwar über alle Altersgruppen hinweg, eine erheblich stärkere Kriminalitätsbelastung der Nichtdeutschen, insbesondere des männlichen Geschlechts, ausweist. Spitzenwerte zeigen dabei die 16-25jährigen (vgl. hierzu Schaub. 20 u. 21).

Die Kriminalität der Ausländer läßt sich danach für das Bundesgebiet unter folgenden Gesichtspunkten zusammenfassen:
Im Gegensatz zur Gesamtheit der Ausländer weisen die Gastarbeiter nach den polizeilichen Kriminalitätsbelastungsziffern kaum eine höhere Deliktsrate auf als die deutsche Vergleichspopulation. Eine entsprechende Verteilung mit geringfügiger Überrepräsentation der Gastarbeiter liefern auch betriebskriminologische Erhebungen.

Bei einzelnen Straftaten und Deliktsgruppen fallen jedoch relativ gesehen mehr ausländische Arbeitnehmer auf als Deutsche. Dies trifft insbesondere für die Delikte der gefährlichen und schweren Körperverletzung zu sowie für Vergewaltigung, Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, Urkundenfälschung und Rauschgiftdelikte. Außerdem sind sie vor allem am Glücksspiel beteiligt, möglicherweise weil heimatliche Gebräuche oder Probleme der Freizeitgestaltung hier von überragendem Einfluß sind (vgl. Tab. 11).

Hingegen ist die Kriminalitätsbelastung der Gastarbeiter bei Straftaten des Diebstahls, des Betruges, der Untreue, bei Brandstiftung und Verletzung der Unterhaltspflicht teilweise erheblich geringer als die Straffälligkeit der deutschen Vergleichsgruppe.

Der kriminalstatistischen Vergleichsanalyse lassen sich für die Überprüfung der Hypothese des Kulturkonflikts die nachstehenden Ergebnisse entnehmen:

Anhaltspunkte für reicheren oder intensiveren Kulturkonflikt im strafrechtlichen Normbereich liegen für Gastarbeiter nicht vor. Ferner ist die Abschwächung und Neutralisierung des Kulturkonflikts durch zumindest partielle Anpassungsbereitschaft dieser Bevölkerungsgruppe sowie durch Betreuung seitens der Sozialbehörden zu vermuten. Bei einzelnen Straftaten und Deliktstypen läßt sich jedoch konfliktträchtiges Handeln beobachten. Inwieweit Straftaten, die aus Situationen des Kulturkonflikts erwachsen, für die Herkunftskultur der Gastarbeiter eigentümlich sind, ist freilich nur in Ausnahmefällen zu entscheiden.

Im übrigen treffen wir bei der Analyse der Gastarbeiterkriminalität nicht nur auf Delikte, die erst im Hinblick auf die Herkunftskultur der Gastarbeiter verständlich werden, sondern auch auf solche, die mehr auf die spezifische Empfindlichkeit, Verletzbarkeit und Verfolgungspraxis der deutschen Wirtskultur schließen lassen.

Dem stehen Einzelfälle kulturspezifisch motivierter Kriminalität nicht entgegen. Doch liegt hier in der Regel nicht einmal ein Verbotsirrtum vor, obwohl er prinzipiell das angemessene strafrechtliche Regulativ für die gerechte Erledigung derartiger Fallgruppen bildet und dogmengeschichtlich aus dem Normenkonflikt hervorgegangen ist (vgl. dazu BGHSt 2, 194; 6, 46; 17,230; 23, 42; Sonnen 1990, 42 f.). Auch häufige Hinweise der straffälligen Gastarbeiter auf die fehlende Beherrschung der Sprache sowie abweichende Sitten und Gebräuche im Herkunftsland können nicht darüber hinwegtäuschen, daß ein Großteil etwaiger Kulturkonflikte offensichtlich anders als durch Kriminalität gelöst wird. Für die eingeschränkte Bedeutung des Kulturkonflikts sprechen auch Beobachtungen, wonach die kriminelle Auffälligkeit der Gastarbeiter in der ersten Phase des Aufenthalts im Gastland erwartungswidrig gering ist.

Die ausländischen Arbeitnehmer rekrutieren sich ganz überwiegend aus Hilfsarbeitern. Sie sind dem Status nach schon in ihren Herkunftsländern weithin unterprivilegiert. Denn sie gehören insgesamt der Unterschicht an. Daher ist die Verstärkung eines etwaigen Kulturkonflikts bei Zusammentreffen mit einer fremdkulturellen Majoritätsgruppe zu vermuten. Die Beobachtungen jedoch weisen eine im ganzen geringere oder nur partiell höhere Kriminalitätsrate der Gastarbeiter aus als die der deutschen Vergleichspopulation. Sie erscheinen deshalb als erwartungswidrig. Nur insoweit die Delinquenz der Gastarbeiter über dem Durchschnitt liegt, enthält sie gewisse Anhaltspunkte für einen Konflikt mit subkultureller Problemlösung. In diesem Zusammenhang ist vor allem an die erwähnte Häufigkeit der Angriffs- und Personendelikte zu denken, eine bevorzugte Art subkultureller Auseinandersetzung in der Unterschicht, und an die spezifische Begehungsform dieser Angriffsdelinquenz. Insgesamt gesehen scheinen die straffälligen Gastarbeiter, verglichen mit den deutschen Delinquenten entsprechender Straftaten, weniger sozial desintegriert zu sein.

Damit wird an dieser Stelle auch die kriminologische Relevanz des subkulturellen Konzepts zweifelhaft (dazu oben § 31, 3.2). Obwohl die Gastarbeiter nach ihrem sozialen Status, den Minderheitsproblemen, den zu erwartenden Vorurteilen, der Gemeinschaftsunterbringung, dem Geschlecht und dem Alter weitgehend Gleichförmigkeit in den Handlungsmustern erwarten lassen, ist eine überdurchschnittliche Kriminalität, soweit sie kulturspezifisch zu motivieren ist, nur sehr begrenzt und im ganzen als gering festzustellen.

5. Ausländer als Opfer von Verbrechen
Schrifttum: Alber, Zur Erklärung von Ausländerfeindlichkeit in Deutschland. In: Gewalt in Deutschland. Soziale Befunde und Deutungslinien, hrsg.v. Mochmann/ Gerhardt. München 1995, 39-77; Bornewasser/Eckert, Belastungen und Gefährdungen von Polizeibeamtinnen und -beamten im alltäglichen Umgang mit Fremden. Trier u.a. 1995; Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 1993. Bonn 1994; dass. (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 1994. Bonn 1995; dass. (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 1995. Bonn 1996; FitzGerald/ Hale, Ethnic Minorities, Victimization and Racial Harassment. Home Office Research Findings no. 39. London 1996; Franzke, Polizei und Ausländer. Kriminalistik 1993, 615-619; Pfeiffer, Strafrecht und organisierte Kriminalität. In: Strafrecht und organisierte Kriminalität, hrsg.v. der Landesgruppe Österreich der internationalen Strafrechtsgesellschaft. Wien 1996, 5-44; Pitsela, Straffälligkeit und kriminelle Viktimisierung ausländischer Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland. Freiburg 1986; Steffen, Ausländer als Kriminalitätsopfer. In: Das Opfer und die Kriminalitätsbekämpfung. BKA-Arbeitstagung 1995, hrsg.v. Bundeskriminalamt. Wiesbaden 1996, 247-282; Streeck-Fischer, „Geil auf Gewalt“. Psychoanalytische Bemerkungen zu Adoleszenz und Rechtsextremismus. Psyche 46 (1992), 745-768; Wahl, Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus, Gewalt. In: Gewalt gegen Fremde, hrsg.v. Deutschen Jugendinstitut. München 1995°, 11-74; Willems, Fremdenfeindliche Gewalt: Entwicklung, Strukturen, Eskalationsprozesse. In: Gruppendynamik 1992, 433-448.

Zwar hat sich seit Mitte der sechziger Jähre eine umfangreiche kriminologische Forschung zur Thematik der Straffälligkeit von Ausländern, ihrer Struktur und Gründe entwickelt. In welchem Ausmaß Ausländer aber Opfer von Straftaten werden, ist Kaum erforscht worden. Immerhin scheint die Verbrechensfurcht von Ausländern allgemein nicht höher zu sein als jene der Deutschen (vgl. Pitsela 1986, 414; ferner FitzGerald/ Hale 1996, 3 f. für England und Wales). Erst die fremdenfeindlichen Gewalttaten von Rechtsextremen und Skinheads in der Gegenwart scheinen manche Gruppen der in Deutschland lebenden Ausländer mit Angst zu erfüllen. Gleichwohl reicht jene Angst nicht so weit, daß sie den Immigrationsdruck aufgehoben oder den Einwandererstrom hätte versiegen lassen.

Nach einer für Bayern repräsentativen PKS-Stichprobe besaßen lediglich 11% der ermittelten Opfer nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Am häufigsten wurde die Polizei bei den Rohbheitsdelikten, den Straftaten gegen die persönliche Freiheit sowie bei den strafrechtlichen Nebengesetzen mit ausländischen Opfern konfrontiert. Auffallend ist, daß die Mehrheit der ausländischen Opfer (insgesamt 54,4%) durch einen ausländischen Tatverdächtigen geschädigt wurde, davon über 60% durch einen Tatverdächtigen derselben Staatsangehörigkeit. Es ist jedoch nicht bekannt, wie das Dunkelfeld der Straftaten gegen Ausländer beschaffen ist. Der Umstand, daß fast drei Viertel der in der Stichprobe ermittelten ausländischen Opfer schon seit mindestens fünf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebten, deutet jedenfalls darauf hin, daß erst vor kurzem eingereiste bzw. sich illegal in Deutschland aufhaltende Ausländer eine Anzeige aus Furcht vor dem Umgang mit den Behörden häufig unterlassen dürften (zum Ganzen Steffen 1996, 2953.H.).

5.1 Viktimisierung von Ausländern durch Deutsche
Die Übergriffe von Deutschen auf Ausländer und deren Schädigung erlangten bis in die achtziger Jahre hinein kaum besondere Beachtung, schienen also nicht problematisch zu sein. Auch die Zahl der fremdenfeindlichen Straftaten blieb ausweislich der polizeilichen Feststellungen über die achtziger Jahre hinweg relativ konstant. Doch ab der zweiten Jahreshälfte 1991 ließ sich in dieser Hinsicht temporär ein dramatischer Anstieg beobachten. Besonders gravierend erscheint dabei die erhebliche Steigerung von Brandanschlägen und Gewaltdelikten. Erst in der zweiten Jahreshälfte 1993 zeichnete sich ein leichter Rückgang ab. Im Laufe desselben Jahres gingen die rechtsextremen Gewaltdelikte bundesweit von 2638 im Jahr 1992 auf 2232 zurück, im Laufe des Jahres 1994 sogar auf 1489 und 1995 auf 837.

Starke Steigerungsraten ergaben sich im Herbst 1991 sowie im Herbst 1992 nach den Krawallen in Hoyerswerda bzw. Rostock. Im Zusammenhang damit ließen sich regelrecht Eskalationswellen beobachten. Der dann feststellbare Rückgang führte freilich nicht zu einem Absinken auf das Niveau vor der Eskalation. Waren zunächst vornehmlich Asylbewerber bevorzugte Opfer von Anschlägen, so zeigte sich nach den Morden von Mölln und Solingen, daß nun auch bereits seit längerer Zeit in Deutschland wohnhafte Türken bedroht wurden.

Zwar liegt inzwischen der räumliche Schwerpunkt der ausländerfeindlichen Aktivitäten nicht mehr in den neuen Bundesländern. Dort finden sich zwar überproportionale Häufungen etwa in Brandenburg, Sachsen- Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Aber die vergleichbaren Belastungen in Thüringen (2,5) und Sachsen (1,5) sind wiederum äußerst niedrig und liegen überdies weit unter dem Bundesdurchschnitt (10,4), jeweils bezogen auf 100.000 Einwohner im Jahr 1994. Danach kann im Osten Deutschlands von einer häufigeren Gewalttätigkeit gegen Fremde kaum die Rede sein, und zwar auch dann nicht, wenn man berücksichtigt, daß in den neuen Bundesländern weniger Fremde leben als im Westen, obwohl auch hier erhebliche Belastungsunterschiede bestehen. Man vergleiche etwa Bayern (2,3) mit Nordrhein-Westfalen (5,8).

Bei der Analyse der Täterstruktur fremdenfeindlicher Straftaten hat sich gezeigt, daß über 95% von Männern begangen werden. Hierbei herrschen ganz eindeutig die unter 20jährigen vor. Die Straftaten werden typischerweise in Gruppen begangen. Das Bildungsniveau der Täter ist überwiegend niedrig (vgl. Willems 1992, 437). Neben dem eigentlichen Ausländerfeind spielen als Tätertypen auch bloße Mitläufer und Schläger eine Rolle, die keine eindeutig fremdenfeindliche Einstellung aufweisen. Selten sind die Taten geplant, oft entspringen sie einem unter erheblicher Alkoholeinwirkung gefaßten Spontanentschluß.

Die Erklärungsansätze zur Deutung dieser Entwicklung sind vielfältig. Neben den durch staatliche Repression in der ehemaligen DDR erzeugten autoritären Denk- und Persönlichkeitsstrukturen werden auch Frustrationserfahrungen hervorgehoben (Willems 1992, 438 ff.; vgl. auch Alber 1995, 51 ff., 59 ff.). Diese resultierten besonders aus enttäuschten Erwartungen in die wirtschaftliche Entwicklung nach der deutschen Vereinigung. Um den dramatischen Anstieg derartiger Straftaten hinreichend zu deuten, muß man auch die Interaktionsprozesse als Auslöser und Verstärker von fremdenfeindlichen Eskalationen und Mobilisierungswellen einbeziehen (vgl. Willems 1992, 441; ferner Wahl 19957, 24 ff.). Für Entwicklung und Ausmaß der Viktimisierungsprozesse sind ferner das Verhalten staatlicher Organe sowie die Berichterstattung in den Medien von Bedeutung. Vor allem die Asylverfahrenspraxis bis zum Jahr 1993 hat viele Gemeinden überfordert, so daß es zunehmend unmöglich wurde, Akzeptanz für die konkrete Unterbringung der Asylbewerber zu erreichen. Vielmehr waren Ablehnung und Mißtrauen die Folge. Aber auch die Fehlreaktion staatlicher Kontrollinstanzen, insbesondere durch mangelnde Polizeipräsenz, läßt sich namentlich für die Exzesse in Hoyerswerda und Rostock nicht ignorieren. Dies erscheint um so bedeutsamer, als die jungen Gewalttäter mit gewissem Verständnis, wenn nicht gar Sympathie durch manche Teile der Bevölkerung rechnen konnten. Ob es auch zutrifft, daß sich ablehnende Einstellungen gegenüber Ausländern bis hin zur Polizei fortsetzen, wie gelegentlich vermutet wird (vgl. Franzke 1993, 615 ff.; ferner Bornewasser/ Eckert 1995, 146 f.), erscheint bezüglich der Verallgemeinerungsfähigkeit aber fraglich.

Trotz der Welle ausländerfeindlicher Gewalttaten Anfang der neunziger Jahre darf man nicht übersehen, daß Ausländer nicht nur von Deutschen, sondern auch von ihresgleichen viktimisiert werden. Allerdings ist es, abgesehen von seltenen Einzeluntersuchungen, schwierig, darüber ein treffsicheres Bild zu gewinnen. Schon in der polizeilichen Kriminalstatistik werden die erfaßten Opfer nicht nach Deutschen und Nichtdeutschen getrennt ausgewiesen. Ferner darf man bei der Viktimisierung von Ausländern durch Ausländer ein erhebliches Dunkelfeld vermuten, da man mit einem eher geringen Anzeigeverhalten rechnen muß. Gründe für die Nichtanzeige könnten von allem Angst vor den bekannten Tätern sein oder aber mangelndes Vertrauen in die Möglichkeiten der polizeilichen Aufklärung und des polizeilichen Zeugenschutzes. Möglicherweise gelangen auch einige Delikte deshalb nicht zur Anzeige, weil die Polizei die Strafanzeigen von ausländischen Opfern nicht oder nur zögernd aufnimmt und mit nur geringer Strafverfolgungsintensität antwortet, ihnen jedenfalls nicht die gebotene Beachtung schenkt (vgl. Pitsela 1986, 419; Franzke 1993, 615 ff.).

5.2 Ausländer als Opfer von ausländischen Straftätern
Die bislang bekannt gewordenen Fälle derartiger Ausländerviktimisierung entstammen überwiegend dem Bereich der organisierten Kriminalität, den Aktivitäten extremistischer Ausländergruppierungen oder dem privat-familiären Bereich aufgrund persönlicher, familiärer oder nachbarlicher Konflikte. Diese nämlich liefern nicht selten Motive zu ganzen Serien von Beziehungstaten ausländischer Täter untereinander.

Im Bereich der organisierten Kriminalität ist wahrscheinlich der größte Anteil von ausländischen Opfern nichtdeutscher Täter zu finden. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang vor allem der internationale Menschenhandel. Aus existentieller Not im Heimatland heraus lassen sich Mädchen und junge Frauen als Tänzerinnen oder Serviererinnen meist von eigenen Landsleuten anwerben. In Deutschland jedoch werden sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit zur Prostitution gezwungen. Eine weitere Variante ist die professionell organisierte internationale Ehevermittlung. Frauen aus Südostasien, Südamerika und Osteuropa werden zur Heirat an deutsche Männer vermittelt. Ein Auswahl- und Umtauschrecht würdigt diese Frauen zu Waren herab. Aber selbst im Falle einer Eheschließung besteht eine totale Abhängigkeit vom Ehemann. Ein weiterer Schwerpunkt des internationalen Menschenhandels bildet der „‚An- und Verkauf“ von Kindern aus der Dritten Welt zur Adoptiort, aber auch zum sexuellen Mißbrauch oder — wie gelegentlich vermutet wird — gar zur Organentnahme.

Ferner fallen die Schutzgelderpressungen von Ausländern durch eigene Landsleute, eine der häufigsten Kriminalitäts- und Viktimisierungsformen von Ausländern, ebenfalls in den Bereich der organisierten Kriminalität. Aus Furcht vor Repressalien ist von einer nur geringen Anzeigebereitschaft und damit einem erheblichen Dunkelfeld auszugehen (zu den ersten Informationen einer Befragung von mehreren Tausend türkischen, italienischen, griechischen und deutschen Gaststätteninhabern mit zwei Dritteln Verweigerern und Opferquoten zwischen 15 und 25%, Pfeiffer 1996, 8 ff.). Das Ausmaß dieser Problematik ist demgemäß unbekannt und läßt sich bislang nur beispielhaft darstellen. So wurden allein von der Münchner Polizei zwischen 1980 und 1990 insgesamt 47 Fälle von Schutzgelderpressung bearbeitet. In 20 Fällen wurden Italiener, in vier Fällen Chinesen, in zwei Fällen Türken zu Verbrechensopfern. Alle jedoch wurden sie von Tätern derselben Nationalität wie jene der Opfer erpreßt. Ende 1994 wurde in Stuttgart mit der Festnahme von neun jungen Bosniern im Alter von 22 bis 27 Jahren eine Gruppe von Schutzgelderpressern zerschlagen, die einen bosnischen Gastwirt und dessen Mitarbeiter bedroht hatten (Badische Zeitung Nr. 87 v. 13.4.1995). In den neuen Bundesländern wurde die Schutzgelderpressung hauptsächlich unter vietnamesischen Zigarettenschmugglern beobachtet (vgl. z.B. FAZ Nr. 29 v. 4.2.1997). In diesem Milieu kam es außerdem wie im illegalen Rauschgifthandel zu Raubüberfällen und allein in den 90er Jahren zu rd. 70 Morden an den eigenen Landsleuten.

Weiterhin sind politisch motivierte Schutzgelderpressungen und Morde etwa durch Aktivitäten der inzwischen verbotenen PKK und ferner tamilischer Extremisten bekannt geworden (siehe oben § 38, 3). Die Viktimisierung von Ausländern im Rahmen politisch motivierter Straftaten durch Mitglieder extremistischer Ausländerorganisationen bildet daher einen bedeutsamen Komplex. Opfer sind entweder Angehörige des politischen Gegners oder Abtrünnige der eigenen Organisation.