3. Dunkelfeldforschung
Schrifttum: Albrecht, G. u.a., Neue Ergebnisse zum Dunkelfeld der Jugenddelinquenz: Selbstberichtete Delinquenz von Jugendlichen in zwei westdeutschen Großstädten. In: KrimFo 35, 2 (1988), 661-696; Amelang, Sozial abweichendes Verhalten. Berlin u.a. 1986; Arnold, Kriminelle Viktimisierung und ihre Korrelate. ZStW 98 (1986), 1014-1058; Gottfredson, Substantive Contributions of Victimization Surveys. In: Crime and Justice 7 (1986), 251-287; Huizingaf/Elliott, Reassessing the Reliability and Validity of Self-Report Delinquency Measures. JQuantCrim. 2 (1986), 293-327; Kirchhoff, Selbstberichtete Delinquenz. Eine empirische Untersuchung. Göttingen 1975; Kreuzer, Über Gießener Delinquenzbefragungen. In: FS für Mallmann. Baden-Baden 1979, 129-150; Lösel/Wüstendörfer, Persönlichkeitskorrelate delinquenten Verhaltens oder offizieller Delinquenz? ZfSozialpsychologie 7 (1976), 177-191; Müller, Dunkelfeldforschung, ein verläßlicher Indikator der Kriminalität? Darstellung, Analyse und Kritik des internationalen Forschungsstandes. Jur. Diss. Freiburg 1978; Ouensel, Delinquenzbelastung und soziale Schicht bei nichtbestraften männlichen Jugendlichen. MschrKrim 54 (1971), 236-262; Reuband, On the Use of Self-reports in measuring Crime among Adults: Methodological problems and prospects. In: Cross-national Research. Self-reported Crime and Delinquency, ed. by Klein. Dordrecht u.a. 1989, 89-106; Schöch, Ist Kriminalität normal? Probleme und Ergebnisse der Dunkelfeldforschung. In: KrimGegfr 12 (1976), 211-228; Schumann u.a., Jugendkriminalität und die Grenzen der Generalprävention. Neuwied u.a. 1987; Schwind u.a., Dunkelfeldforschung in Göttingen 1973/74. Wiesbaden 1975; Stephan, Die Stuttgarter Opferbefragung. Wiesbaden 1976; Villmow/Stephan, Jugendkriminalität in einer Gemeinde. Freiburg 1983.
3.1 Ansätze zur Dunkelfeldforschung
Trotz aller Verbesserungen und Verfeinerungen der statistischen Instrumente läßt sich der gravierende Einwand nicht ausräumen, daß die Kriminalstatistik als Tat- und Täterstatistik nur einen Teil des wirklichen Umfangs der Kriminalität nach Zeit und Raum wiedergibt. Nicht alle Straftaten werden entdeckt, von den entdeckten nicht alle angezeigt und von den angezeigten Delikten nicht alle abgeurteilt. Inwieweit die amtlich bekanntgewordenen Rechtsbrüche mit der wirklichen Kriminalität übereinstimmen, beschäftigt die Wissenschaft seit langer Zeit. Betrachtungen und Spekulationen über Dunkelziffer und Dunkelfeld begegnen wir in der’Fachliteratur bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts.
Als Dunkelfeld der Kriminalität pflegt man im Gegensatz zum sogenannten Hellfeld allgemein die nicht amtlich bekanntgewordenen, also nicht offiziell zur Kenntnis gelangten und registrierten Rechtsbrüche zu bezeichnen. Allerdings wird der Begriff im Schrifttum nicht eindeutig gebraucht. Die Dunkelziffer soll überdies die Beziehungen zwischen Dunkelfeld und Hellfeld des Verbrechens — bezogen jeweils auf einen Deliktstypus oder eine Deliktsgruppe — ausdrücken
In neuerer Zeit gab neben der Kriminalität des schwarzen Marktes in der Nachkriegszeit besonders die steigende Jugendkriminalität Anlaß, als eine „normale“ Erscheinung der modernen Industriegesellschaft gedeutet zu werden. Um die Annahme von der Normalität zu konkretisieren und, wenn möglich, zu überprüfen, bot sich als Werkzeug die aufblühende Umfrageforschung an. Sozialwissenschaftler bedienten sich der seit Ende des Zweiten Weltkrieges aufkommenden Verfahren der empirischen Sozialforschung, insbesondere des Interviews und der Fragebogentechnik.
Von dieser Verfahrensweise ist zunehmend Gebrauch gemacht worden. Die Erhebungen lassen sich im wesentlichen nach den drei Ansätzen der Täterbefragung („self reported delinquency“), der Opferbefragung („reports on victimization“) und der Informantenbefragung unterscheiden. Diese Untersuchungen haben in den vergangenen drei Jahrzehnten gelegentlich mehr die kriminologische, rechtssoziologische und rechtspolitische Diskussion beeinflußt als die Kenntnis über die Kriminalität bereichert. Denn auch heute ist die Dunkelfeldforschung vor allem von der Erwartung getragen, daß ihre Befunde die scharfe Unterscheidung zwischen „Heiligen“ und „Sündern“ entscheidend vermindern werden.
3.2 Einwände gegen die bisherige Forschung
Zwar stimmen die Befunde über das Dunkelfeld der Kriminalität in beachtlichem Grad überein. Dennoch können auch sie nur mit Kritik aufgenommen werden. Die Vorbehalte resultieren aus methodischen Mängeln der Genauigkeit, Widerspruchsfreiheit, Verläßlichkeit und Gültigkeit der erfragten Delinquenz (dazu Huizinga/Elliott 1986, 293 ff.; Reuband 1989, 89 ff.; eine positivere Beurteilung findet sich bei Amelang 1986, 142 £., 151). Die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Selbstbeurteilung eigener Straftaten darf nicht überschätzt werden. Faßt man die Einwände zusammen, so zeigtsich, daß die Bereitschaft der befragten Personen, wahrheitsgemäß zu antworten, durch die verwendeten Verfahrensweisen nicht mit Sicherheit erfaßt werden kann Vor allem bestehen die Schwächen der bisherigen Erhebungen darin, daß diese häufig bloß mit einer Technik der Datenerfassung (z.B. Täterbefragung) gearbeitet haben, wodurch eine Kontrolle der Ergebnisse nicht möglich ist. Außerdem ist einzuwenden, daß man nicht nur Straftaten, sondern auch präkriminelles oder delinquentes Verhalten erfragt hat, so daß sich Vergleiche mit und Überprüfung von amtlichen Kriminalstatistiken nur sehr begrenzt durchführen lassen. Der weitere Haupteinwand bezieht sich auf die Tatsache, daß sich Dunkelfeldstudien nahezu ausnahmslos auf Kinder, Jugendliche und Heranwachsende beschränken oder auf die frühere Jugendkriminalität der jetzt befragten Erwachsenen. Demgegenüber ist das Delinquenzverhalten des unbekannten erwachsenen Straftäters, der schwere Verbrechen begeht, so gut wie unbekannt (vgl. jedoch das Erfahrungsmaterial bei Schöch 1976, 211 £.).
Die Opferbefragungen wiederum, obwohl sie allgemein ein verläßlicheres Bild über die Kriminalität vermitteln als die Täterbefragungen, unterschätzen den Kriminalitätsumfang, da sie allgemein nur interpersonelle Delikte erfassen, nicht jedoch Straftaten zum Nachteil von Kollektivpersonen wie Firmen, Gemeinden oder staatlichen Einrichtungen.
Allerdings finden sich auch keine Alternativen zu den benutzten Techniken, wenn man nicht auf die totale Beobachtung bzw. auf die teilnehmende Beobachtung ausweichen kann oder will. Ein Weg, die Fehlerwahrscheinlichkeit zu vermindern, wenn nicht schon auszuräumen, scheint darin zu liegen, daß man die genannten Kontrollmethoden miteinander verbindet (siehe Gottfredson 1986, 251 ff.).
Trotz dieser Einwände trifft es zu, daß „die Existenz des Dunkelfeldes auf sehr nachhaltige Weise die empirische Forschung stimuliert und nicht nur zur Entwicklung von Fragestellungen beigetragen, sondern auch zur Einbringung eines ansehnlichen materiellen Ertrags geführt“ hat. Dieser meint „in erster Linie die Einsichten, die mittels der verschiedenen Befragungstechniken zur Persönlichkeit von Tätern gewonnen werden konnten, … im weiteren Kenntnisse über die Merkmale, nach denen die Ermittlungsorgane die Täter aus der Grundgesamtheit aller Personen mit strafbaren Handlungen herausfiltern, ferner die Abhängigkeit selbstberichteter Kriminalität von „sozio-ökonomischen Variablen“ und schließlich „methodenkritische Beiträge“ zur Validität der Erhebungsinstrumente (Amelang 1986, 105 f.).
3.3 Ertragsanalyse
Unter Beachtung der erwähnten Bedenken und Vorbehalte läßt sich der Ertrag der wichtigsten Untersuchungen zur Dunkelfeldkriminalität wie folgt zusammenfassen:
- Jugendkriminalität ist erheblich weiter verbreitet, als Polizeiliche Kriminal-, Rechtspflege- und Jugendhilfestatistik erkennen lassen. Die amtlichen Statistiken vermitteln also kein verläßliches Bild der wirklichen Kriminalität. Im Bagatellbereich der Delinquenz scheinen alle Jugendlichen schon einmal auffällig geworden zu sein. Nach den Umfrageergebnissen sind z.B. Mundraub, Laden- sowie Haus- und Familiendiebstahl, Sachbeschädigung, vielleicht auch gewisse sexuelle Abweichungen, bei den nicht Registrierten im statistischen Sinne normal und nahezu ubiquitär. Allerdings liegt der Schwerpunkt der Delinquenz wohl im Alter unter 16 Jahren. Aber auch die erfragte Kriminalität der jungen Männer zwischen 20 und 30 Jahren ist beachtlich.
- Die Dunkelfeldforschung weist darüber hinaus Informationen über nicht kriminelles Verhalten aus (z.B. Petting, Weglaufen, Schulschwänzen, nächtlicher Diskothekenbesuch), das von keiner Sozial- und Kriminalstatistik erfaßt wird (vgl. Kirchhoff 1975).
- Abernurein Teil der Delikte und Delinquenten wird entdeckt, verfolgtund sanktioniert. Es ist danach zwar normal, im ugendalter zu delinquieren, jedoch anormal, deshalb auch sanktioniert zu werden.
- Die nähere Analyse ergibt, daß in der Verbreitung, Struktur und Intensität des Verbrechens erhebliche Unterschiede sowie innerhalb des Täterkreises eine große Streuung vorliegen. So gesehen ist die Aussage, daß nahezu jeder Junge delinquiere und deshalb Jugendkriminalität ubiquitär und normal sei, zu undifferenziert, vage und nichtssagend (kritisch deshalb vor allem Schöch 1976).
- Denn die große Zahl der erfragten Delikte ist extrem trivial und findet sich dem Schweregrad nach im Bagatellbereich oder gar außerhalb der Jugendkriminalität. Bei Detailbeschreibungen werden ganz überwiegend Begebenheiten im sozialen Nahraum mit Bagatellwert, zumal aus Kindheits- und frühen Jugendjahren, geschildert. Mehrfache und schwere Deliktsbegehung ist hingegen auch bei den nicht registrierten Jugendlichen seltener und gegebenenfalls weniger lang anhaltend. Die Deliktsbelastung der Registrierten hingegen beträgt ein Mehrfaches der nicht Entdeckten (Quensel 1971; Schöch 1976). Dabei ist das Dunkelfeld erwartungsgemäß hinsichtlich der Delikte größer als hinsichtlich der Delinquenten (Kreuzer 1979, 130 m.N.). Schwere Delikte werden, wie Opferbefragungen ausweisen, von den Opfern eher angezeigt als leichtere Delikte (Stephan 1976; Gottfredson 1986).
- Wie auch nach der Kriminalstatistik, obschon mit geringerem Abstand und strukturellen Unterschieden, stellt sich weibliche Delinquenz als wesentlich geringer gegenüber der männlichen dar. Delinquenz von Mädchen und jungen Frauen spielt sich zudem stärker im sozialen Nahraum und damit im Bereich des strafjustitiell weniger Kontrollierten ab (vgl. Kirchhoff 1975, 361).
- Danach kann man den Befunden zumindest entnehmen, daß das Dunkelfeld bei den leichten Delikten größer ist als bei den schweren Straftaten. Ferner ist anzunehmen, daß die Kriminalstatistik die als schwerer beurteilte Kriminalität nach Art, Entwicklung und Kriminalitätsgeographie (Stadt-Land-Gefälle) richtig erfaßt. „In der Zusammenschau kann somit von einer konkurrenten und prädiktiven Übereinstimmung der Daten zur Befragung der Delinquenz mit offiziellen Vermerken eben darüber ausgegangen werden“ (Amelang 1986, 122; ähnlich Gottfredson 1986, 266, 281 £.). Allerdings haben nur wenige Erhebungen systematisch das Verhältnis von Information über das Dunkelfeld und die polizeiliche Aufklärung zu erforschen versucht. Auch fehlt weitgehend noch die Verknüpfung von Opfer- und Tätereinschätzungen in ein und derselben Studie sowie bezogen auf eine nach Raum und Zeit überblickbare kleinere Bevölkerungsgruppe (siehe jedoch Villmow/Stephan 1983). Ferner sind bislang die Befunde über den Zusammenhang zwischen sozialer Schichtzugehörigkeit und krimineller Aktivität widersprüchlich, wenn auch reiche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die befragten Kinder und Jugendlichen der unteren Schichten häufiger Delinquenz berichten (Ouensel 1971). Außerdem sollen die erfragten Opfersituationen in den unteren Einkommensgruppen partiell häufiger sein. Doch weisen andere Studien eine ziemlich gleichmäßige Streuung des Dunkelfeldes über die verschiedenen Schichten der Befragten aus (so Schöch 1976 und Villmow u.a. 1983).
- Die herkömmliche und übliche Einteilung in „Kriminelle“ und „Nichtkriminelle“, in „Sünder“ und „Heilige“ ist zumindest dann fehlerhaft, wenn sie auf die männliche Jugend und ferner auf den Gesamtbereich der Jugenddelinquenz bezogen wird. Denn delinquentes Verhalten erscheint weithin als eine Sache des Grades, nicht aber der Qualität. Daher weisen auch viele von denen, die vor Gericht erscheinen müssen, besonders die Ersttäter im Verkehrsbereich, keinerlei Unterschiede in ihrem Verhalten zu der Mehrheit der nichtregistrierten Personen auf. Der gelegentlich einmal Bestrafte steht dem Unbestraften in vieler Hinsicht näher als dem vielfach Bestraften.
- Daraus folgt aber auch, daß sich Gelegenheits- und Mehrfachtäter unterscheiden. Selbst bei dem erfragten Delinquenzverhalten heben sich die Hochdelinquenzbelasteten von den Nicht- oder Niedrigbelasteten durch Persönlichkeitsmerkmale ab (vgl. Zösel/Wüstendörfer 1976; Schöch 1976). Dies trifft auch dann zu, wenn man dabei Institutionalisierungseinflüsse, also Persönlichkeitsausprägungen aufgrund langfristiger Inhaftierung, berücksichtigt. Deshalb ist die grundlegende Einteilung der Täter in nicht, einmalig oder nur selten Bestrafte einerseits und in vielfach Rückfällige andererseits empirisch begründet.
Nach Amelang (1986, 151) formiert sich der Gesamtfundus an vorliegenden Ergebnissen zur Dunkelfeldforschung „zu einem hinreichend konsistenten Bild, das die Feststellung rechtfertigt, daß die erhobenen Informationen hinsichtlich meßtheoretischer Anforderungen und unter Validitätserwartungen durchaus befriedigen können, sie im weiteren eine Fülle von theoretisch wie praktisch bedeutsamen Detailaussagen erlauben, die ohne das Instrument der disekten Befragung kaum verfügbar gewesen wären und die insofern unseren Wissensstand ganz erheblich erweitert haben“. Systematische Abweichungen in der Datenlage aus Selfreports beruhten unter anderem darauf, „daß in den Fragebogen mehrheitlich die Delikte von wesentlich geringerer Schwere sind, es sich‘dabei mehr um Delinquenz als um einfache ‚harte‘ Kriminalität handelt, die Inkonsistenzen mithin dadurch erklärbar sind, daß offizielle und selbstberichtete Daten nur auf partiell einander überlappenden Verhaltensbereichen beruhen“.
10. Gleichwohl ist die Auslegung schwierig, ob die Angaben der Befragten die vermutete Toleranz der Gesellschaft widerspiegeln, nämlich bestimmte Delikte in bestimmtem Alter weitgehend hinzunehmen, um danach die „Selbsteinschätzung‘ bei der Befragung vorzunehmen, oder ob die Angaben der Befragten die wirkliche Verteilung der Kriminalität anzeigen. Aufgrund der abweichenden Einschätzungen und Definitionen, die auch mittels Lügenfragen nicht ausreichend kontrolliert, jedenfalls aber nicht ausgeschaltet werden können, ist eine Verzerrung des Ertrages der Dunkelfeldforschung wahrscheinlich, selbst bei Anonymbefragung (Quensel 1971; Schöch 1976). Denn die Bereitschaft, schwere Straftaten zu offenbaren, dürfte schwächer sein als die Neigung, Bagatelldelikte mitzuteilen. Fragen zur eigenen Sexualdelinquenz dürften auch heute noch auf restriktives Antwortverhalten stoßen (Kreuzer 1979, 142). Im übrigen ist, wie erwähnt, die Bereitschaft, Straftaten zu offenbaren, schichtspezifisch geprägt. Sie ist ferner davon abhängig, ob es sich bei den Befragten schon um offiziell entdeckte Rechtsbrecher handelt oder nicht. Nimmt man das erfragte Verhalten als ein Meßinstrument für die vermutete Einstellung der Gesellschaft, dann ergibt sich erwartungsgemäß ein Unterschied zur registrierten Kriminalität.
Entsprechende Bedenken gelten gegenüber manchen Opferbefragungen bezüglich hochsensibler Bereiche wie z.B. weit zurückliegender frühkindlicher sexueller Ausbeutung, zur Ehegattenvergewaltigung und zur Ausländerviktimisierung, etwa durch Schutzgelderpressung. Dies trifft vor allem dann zu, wenn durch Einsatz einer großen Zahl von Interviewern deren Einflüsse durch Variabilitätund Interpretation kaum kontrolliert wird bzw. werden kann wie bei ausländischen Interviewern, was sich daher verzerrend in den Ergebnissen niederschlägt. Angesichts karger Forschungsdokumentation der methodischen Kontrolle bleibt nicht selten unklar, um wessen Informationen es sich eigentlich handelt und was sie schließlich aussagen. Die methodischen Schwächen in Erhebung und Interpretation bei Großbefragungen werden häufig vernachlässigt oder schlicht „überspielt“.
4. Zusammenfassung und Kritik
Schrifttum: Amelang, Sozial abweichendes Verhalten. Berlin u.a. 1986; Schöch, Ist Kriminalität normal? Probleme und Ergebnisse der Dunkelfeldforschung. In: KrimGegfr 12 (1976), 211-228; Schünemann, Das strafrechtliche Dunkelfeld — Stabilisator der Rechtstreue? In: Die Durchsetzung des Rechts. Mannheim u.a. 1984, 39-58; Schultz, Von der dreifachen Bedeutung der Dunkelziffer. In: FS für Henkel. Berlin 1974, 239-351.
Die Dunkelfelduntersuchungen haben im wesentlichen das bestätigt, was die sozialen Kontrollinstanzen schon seit langer Zeit mehr oder weniger bewußt praktizieren. Das Ergebnis weist auf eine unterschiedliche Toleranz der befragten Personen gegenüber den Rechtsbrüchen hin. Dunkelfeld wie registrierte Kriminalität lassen in gleicher Weise den Norm- und Sanktionsdruck erkennen. Einzelne und leichte Delikte werden häufig, hingegen wiederholte, hartnäckige und schwere Rechtsbrüche selten oder nur von verhältnismäßig wenigen Tätern begangen. Die Dunkelfeldforschung hat daher „nicht nur hohe Dunkelziffern ans Licht gebracht, sondern bei vielen und vor allem bei den schweren Straftatbeständen ein beachtliches Maß an Rechtstreue der Befragten“ (Schöch 1976, 224). Demgemäß verteilt sich ebenso wie die registrierte Kriminalität auch das erfragte Delinquenzverhalten zum Dunkelfeld J-kurvenförmig. Deshalb ist es auch gerechtfertigt, im minderschweren Verbrechensbereich der Spontanbewährung von Delinquenten große Chancen einzuräumen und das Engagement sozialer Kontrollinstanzen auf die schwerer erscheinenden Fälle zu konzentrieren. Abweichungen in Häufigkeit und Schwere der Delinquenz sowie in Alter, Geschlecht und Schichtzugehörigkeit von Rechtsbrechern deuten an, daß es gruppenspezifische Unterschiede gibt und daß die Kontrollinstanzen nicht blind und willkürlich vorgehen, daß sie sich vielmehr von sachlichen Gesichtspunkten leiten lassen wollen (dazu Amelang 1986, 122). Daher ist auch kriminologisch weniger das wirkliche Ausmaß der Delinquenz von Interesse als vielmehr die Kenntnis darüber wichtig, ® warum sich der Großteil der erwachsenen Menschen — abgesehen vom Straßenverkehr – überwiegend rechtskonform verhält, und ferner, ® wieeskommt, daß von allen Rechtsbrechern nur ein Teil von ihnen als Straftäter identifiziert wird und der andere Teil nicht.
Dabei geht es um mehr als das empirisch-statistische Problem der Gleichbehandlung, obwohl dies für die Erlangung verallgemeinerungsfähiger Forschungsergebnisse wichtig genug ist. Vielmehr stehen die rationale Handhabung der Verbrechenskontrolle — also die rechtspolitische Gleichheit und Zweckmäßigkeit – sowie die Chancen zu wirksamer Verbrechensvorbeugung auf dem Spiel.
Die zum Teil erheblichen Unterschiede zwischen Dunkelfeld und registrierter Kriminalität lassen vermuten, daß Ausmaß und Struktur der Straffällißkeit entscheidend von der Wahrscheinlichkeit gesellschaftlicher Reaktion und Sanktion her bestimmt werden. Deshalb kann man auch nicht begründet behaupten, daß die Dunkelfeldforschung ein genaueres Bild als die Kriminalstatistik vermittelt. Vielmehr handelt es sich um zwei verschiedene Wege, Daten zu sammeln. Dies ist schon deshalb so, weil die Wahrnehmung selektiv und die soziale Konstruktion von Verbrechenswirklichkeit unterschiedlich erfolgt, je nachdem, ob es sich um Täter, Opfer, Polizei oder Strafjustiz handelt. Zusammen aber vermitteln uns die Verfahrensweisen weit mehr Informationen über die Kriminalität, als jeder Weg allein an Daten zu liefern vermag. Damit wird deutlich, daß die aus der Kriminalstatistik oder aus der Umfrageforschung entnommenen Rohdaten als solche nur höchst selten aussagekräftig sind. Sie bedürfen erst der weiteren Aufbereitung, Vergleichung, Auslegung und systematischen Einfügung in den Gesamtzusammenhang kriminologischen Wissens.
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