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1896-1979 eine Biographie : Enttäuscht von Erhard (1963-1966)

Bei der Regierungserklärung Erhards am 18. Oktober 1963 vermerkten die Stenographen zweimal die ausdrückliche Zustimmung des Abgeordneten Dr. Schmid. Wenn Erhard die „schöpferischen Menschen in der Bundesrepublik zur Mitarbeit in diesem Staate“ aufrief, gab er einem von Schmid schon seit langer Zeit geäußerten Wunsch Ausdruck‘. Daß Erhard versprach, die Herrschaft der Verbände einzudämmen, konnte Schmid ebenfalls nur begrüßen. Der neugewählte Bundeskanzler schien ganz neue politische Akzente setzen zu wollen: „Wir werden die großen Zukunftsaufgaben der deutschen Politik nur meistern können, wenn die gesellschaftliche Kraft der Verbände nicht ausschließlich den eigenen Interessen nutzbar gemacht wird. Es würde einen gewaltigen Fortschritt in den öffentlichen Dingen unseres Staates bedeuten, wenn die große Macht und der Sachverstand der Interessengruppen und die Fülle der Talente auch für die allgemeinen Aufgaben des Gemeinwesens zur Verfügung stünden.“* Erhard hatte eine lang gehegte politische Vision Schmids zum Programm erhoben. Der Bildungspolitik hatte der neue Kanzler einen Rang zugemessen wie sie einst die soziale Frage im 19. Jahrhundert gehabt hatte. Was Erhard vorschlug, wies in die Zukunft. Schmid focht im Parteivorstand dafür, daß die SPD in der Bildungspolitik die Vorreiterrolle übernehme. Bildung und Wissenschaft seien Lebensfragen der Nation und müßten deshalb in den Vordergrund gestellt werden. Darüber herrschte im Prinzip weitgehend Einigkeit. Umstritten war dagegen, ob sich die SPD für Abstriche in der Sozialpolitik zugunsten von Wissenschaft und Bildung einsetzen sollte. Schmid war dafür, verkannte aber nicht, daß eine solche Forderung nicht populär war*. Aber vielleicht war ja jetzt der Weg frei für eine große Koalition der Bildung, die er schon einige Jahre zuvor angeregt hatte’. Das setzte freilich eine Einigung der Parteien über eine gemeinsame Bildungspolitik voraus, über deren Inhalte man sich nicht einmal innerhalb der SPD einig werden konnte. Hellmut Becker stellte in einem Aufsatz, den er Carlo Schmid zum 65. Geburtstag widmete, fest, daß in Deutschland merkwürdigerweise Qualität der Bildung als eine Forderung gelte, die von politisch rechts komme, während gleiche Bildungschancen für alle von den politisch links Stehenden postuliert würden. Das sei „um so überraschender, als Macht in Deutschland traditionell von rechts und Geist von links zu kommen scheint“. Becker hatte ein Problem angesprochen, das Schmid seit seiner Zeit als Kultusminister in Württemberg-Hohenzollern umtrieb: das Verhältnis von „hervorragend“ und „gleich“ sein. Für ihn war es eines der wichtigsten Probleme, die es in der Gegenwart zu lösen galt’. Konnte es eine Bildung geben, die für alle da ist? Shakespeare für alle sei möglich, Stefan George für alle ein „Widerspruch in sich selbst“, konstatierte der in der Geisteswelt Stefan Georges groß gewordene Bildungstheoretiker Becker, der mit Schmid seit 1945 befreundet war®. Beckers Vater, der preußische Kultusminister Carl Heinrich Becker, gehörte zu den Verehrern Wolfgang Frommels, der im Hause Becker ein und aus ging. Hellmut Becker stand der Geisteswelt Stefan Georges nach 1945 kritischer gegenüber als Schmid, der in den bildungspolitischen Diskussionen regelmäßig das Thema Elitebildung anschnitt. Zumeist brachen die Parteifreunde die Diskussion ab, wenn er wieder einmal mahnte, der Förderung überdurchschnittlich Begabter größere Aufmerksamkeit zu widmen’°. Der Elitebegriff war bei den Sozialdemokraten verpönt. Die SPD folgte dem sozialen und pädagogischen Zeitgeist, dem sich Schmid vehement widersetzte. Dem Leiter des Max-Planck-Instituts für Biologie Georg Melchers schrieb er Anfang 1964: „Ich bin (…) in vollem Widerspruch mit dem, was man in Deutschland für moderne Pädagogik hält. Diese geht in erster Linie vom Schüler aus und will ihn vor Neurosen bewahren. Ich gehe bei meiner Vorstellung von dem, was die Schule zu leisten hat, von der Nation aus und meine, man müßte bereit sein, gelegentlich auch eine Neurose zu riskieren. Nur wenn wir mehr von den Schülern verlangen, als bisher verlangt wird, nur wenn wir sie stärker herausfordern und ausfordern, werden wir die Voraussetzungen für höhere Leistungen des künftigen Wissenschaftlers zuwege bringen.“‘ ‚ In sozialdemokratischen Ohren wirkten solche Äußerungen provozierend. Als Schmid sich im gleichen Jahr auf dem Karlsruher Parteitag dazu verstieg, die alte griechische Spruchweisheit „Wer nicht geschunden wird, der lernt nicht“ zu zitieren, wurde er regelrecht ausgezischt‘?. Der Grandseigneur der Partei als Buhmann. Eine peinliche Szene für beide Seiten. Sie wurde aus dem Parteitagsprotokoll gestrichen. Schmid, der sonst eher nachgiebig und kompromißbereit war, ließ in diesem Punkt nicht mit sich reden. „On est toujours le reactionnaire de quelqu’un“, entgegnete er seinen Kritikern‘?. Er plädierte trotz des Kopfschüttelns seiner Zuhörer für eine strenge Auslese nach dem Vorbild des französischen Concours-Systems. Der elder statesman Schmid war, was seine bildungspolitischen Leitlinien anging, nicht weniger streng als der Kultusminister Württemberg-Hohenzollerns. Mit seiner Maxime, daß

Lernen „schwer“ sein müsse, stand er auf dem Karlsruher Parteitag allein. Die übrigen Delegierten wünschten ein Ausschöpfen der Begabtenreserven, was nur möglich sei, wenn die Gymnasien für Kinder aus Arbeiterfamilien keinen „Abschreckungseffekt“ mehr besäßen. Die spielerischen Lernmethoden steigerten die Lust am Lernen und könnten so Begabungen wecken ‚*. Laut Beschluß des Parteipräsidiums sollte er für das große Gebiet der _ Kultur- und Bildungspolitik der Repräsentant der Partei sein’°. In Wirklichkeit verkörperte er die Gegenmeinung, nicht die der Partei. Die Kultusminister der SPD hatte er ebenso gegen sich wie Ulrich Lohmar, der in der Bundestagsfraktion die Bildungs- und Wissenschaftspolitik in die Hand nahm. Sein Verhältnis zu Lohmar war sowohl aus persönlichen als auch aus sachlichen Gründen überaus distanziert. Dieser über 30 Jahre jüngere Fraktionskollege vertrat den Standpunkt, daß man das Bildungsniveau nur erhöhen könne, wenn man, anstatt auszulesen, die brachliegenden Reserven fördere!°. Dieser Meinung hing auch Erler an, der Schmid vorwarf, sich im Verein mit den Christdemokraten „in den Gedanken des Herausprüfens verbissen“ zu haben’’. Das Schlagwort der SPD hieß: Aufstieg durch Bildung. Ignorierte Schmid, der Bürgersohn, die Milieusperren, die Sozialdemokraten, die in einer Arbeiterfamilie groß geworden waren, nur allzu deutlich vor Augen standen? Daß das Elternhaus eine große Rolle für den Lernerfolg spielt, war ihm durchaus bewußt. Er war deshalb ein eifriger Verfechter von Vor- und Ganztagsschulen. Wenn es nicht allzu utopisch gewesen wäre, hätte er sich für eine allgemeine Internatserziehung ausgesprochen’°. Keiner kämpfte so unermüdlich wie er für den Ausbau des Stipendienwesens. So war er mehr als ungehalten darüber, daß man das Vermögen des Volkswagenwerkes in Volksaktien „verzettelte“, anstatt es in eine Stiftung zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses einzubringen‘?. Freilich, die Stipendien sollten nur den Hochbegabten zugute kommen. Er war ein Gegner von Bildungsprivilegien, aber die Elitebildung hatte für ihn ganz eindeutig Vorrang vor der von sozialdemokratischen Bildungspolitikern propagierten Chancengleichheit. Er protestierte dagegen, daß die sozialdemokratischen Bildungsreformer nur um der Chancengleichheit willen das auf Auslese angelegte dreigliedrig organisierte Schulsystem abschaffen wollten. Der neuhumanistisch- philologische Bildungskanon mochte eine Standesbarriere sein. Er war vielleicht auch revisionsbedürftig. Aber ohne einen nationalen Bildungskanon konnten nach Schmids fester Überzeugung die Jugendlichen nicht erkennen, „was es denn heißt und was einem abgefordert wird, wenn man zum Volk der Deutschen gehören will“ °,. Schmids Verständnis von Bildung war eng mit der deutschen Kulturnation verbunden. Auch wenn er zugab, daß es keine einheitliche Vorstellung mehr gab von dem,

SPD-Parteitag in Karlsruhe, 1964. Carlo Schmid, u. a. mit Herbert Wehner, Karl Schiller, Helmut Schmidt, Willy Brandt und Gustav Heinemann
was Bildung ist”‘, so wurzelten doch seine eigenen Definitionsversuche im deutschen Bildungskanon der Zwischenkriegszeit, wobei ihm weniger die damalige Gymnasialbildung als die hehren Ideale des Dritten Humanismus vor Augen standen. Bildung, so lehrte er, sei die „Formung des Geistes des Menschen, die Ausformung dessen, was im jeweiligen Menschen an geistiger Möglichkeit angelegt ist, zum höchsten Maß seiner Schöpferkraft“. Dazu gehöre „die Weckung der Fähigkeit des Infragestellens der Dinge, auch das Infragestellen des Fragers selbst“ *. Einen solchen philosophischen Eros fand Schmid nur noch bei wenigen: „Die Fähigkeit der Menschen, zu sich selber zu finden und die vielen Schalen abzuschlagen, in die sie gewickelt worden sind, scheint nicht groß zu sein. Außerdem ist es sehr bequem, sich auf einer Wahrheit zur Ruhe zu setzen, die einem einmal einokuliert worden ist.“* Schmid ruhte sich nie aus. Er befand sich in einem ständigen Selbstfindungsprozeß, auf der nie endenden Suche nach dem Sein. Das Gefühl der Selbstzufriedenheit stellte sich bei ihm nur selten ein. Manchmal trug er seine Bildung vor sich her, aber er war kein Bildungsbürger, der sich in der Kultur häuslich einrichtete. Wenn er über die Bildungskrise der Gesellschaft seiner Zeit klagte, wurde er des Kulturpessimismus verdächtigt. Aber hatte er nicht recht? Litt die moderne Wissenschaft nicht tatsächlich unter dem fehlenden Mut, immer neue Fragen an Leben und Geschichte zu stellen? Auf dem Karlsruher Parteitag sprach Schmid provokativ von einem „Professorenbildungsdefizit“. Die meisten Professoren seien „hervorragende Fachleute“, aber keine „gebildeten Menschen“ **. Sein Urteil über die „Halbgebildeten“ war nicht weniger verächtlich als das Adornos. Weil er die Polemik der „Halbgebildeten“ gegen den deutschen Spießbürger überheblich und hohl fand, stellte er in seinen Kakteengarten in Südfrankreich Gartenzwerge”‘. Wollte er auch schon Schülern die Weisheit der Philosophen beibringen? Tatsächlich stellte er Überlegungen an, ob man nicht wie in Frankreich die letzte Klasse des Gymnasiums als Philosophie-Klasse ausbauen könne”. In der Unter- und Mittelstufe sollte das Gymnasium eine strenge Lernschule sein, wie sein altes Karls-Gymnasium, das er acht Jahre lang besucht hatte. Daß er unter der strengen Lernzucht des Gymnasiums fürchterlich gelitten hatte, verdrängte er. Als er 1962 dem Karls-Gymnasium einen Besuch abstattete, verklärte er es: „Ich werde den Tag in Stuttgart nicht vergessen. Ich bin seit vielen Jahren nicht so bewegt gewesen als in den zwei Stunden, da ich wieder in meiner alten Schule stand.“ ”’ Die alten Sprachen, die Mathematik und die große Dichtung Europas konnte er sich aus dem Fächerkanon eines Gymnasiums nicht wegdenken. Er schimpfte über die „Knilche“, die meinten, man solle „doch statt des nutzlosen Latein und Griechisch das für den Außenhandel so viel nützlichere Englisch und Spanisch lehren“”®. Man mochte ihn einen „Don Quichotte der lateinischen und griechischen Welt“ schelten??, er wehrte sich dagegen, Bildung auf Ausbildung zu reduzieren: „Stellt man bei der Erziehung des Menschen alles auf eine utilitaristisch begriffene Weltsicht ab, so läuft man Gefahr, statt eines Menschen, dessen Leib und Seele auf etwas hinleben, das höher geschätzt werden kann, als was nur Nutzen bringt, einen Roboter mit Herz und Gehirn eines Troglodyten zu erhalten.“ 3° Während er wortreich und beredt humanistische Ideale verteidigte, propagierten die Sozialdemokraten die Überwindung der „unglückseligen Kluft“, „die unter dem Einfluß der neuhumanistischen Bildungsidee seit dem 19. Jahrhundert zwischen ‚Allgemeinbildung auf der einen Seite und ‘Berufsbildung’ auf der anderen Seite aufgerissen wurde“3!, Eine zukunftsweisende Bildungspolitik mußte den Erfordernissen des Industriezeitalters gerecht werden. Schmid mochte diese Einsicht schmerzen, aber verschließen konnte er sich ihr nicht. Zuweilen hörte man ihn sogar klagen, daß die Kultusminister keine Ahnung davon hätten, welcher Bildungsstoff Schülern angemessen ist, „die sich mit den Bedingungen des Industriezeitalters und nicht mit denen des Biedermeier herumzuschlagen haben“ ?. Vielleicht hätte er sich auch an die eigene Nase fassen sollen. Immerhin: er gab zu, daß das humanistische Gymnasium nur eine Eliteschule für die happy few sein konnte. Und schließlich war er es gewesen, der bereits 1956 eine Bildungsreform angemahnt hatte3?. Der Don Quichotte der antiken Welt war Realist genug, um die Notwendigkeit bildungssoziologischer Forschungen zu erkennen. Hellmut Becker bedurfte keiner großen Überredungskunst, um Carlo Schmid für seinen Plan, ein Institut für Bildungsforschung zu errichten, zu gewinnen. 1959 stellte Schmid zusammen mit dem Historiker Hermann Heimpel und dem Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker bei der Max-Planck-Gesellschaft einen Antrag zur Errichtung des von Becker vorgeschlagenen Instituts*. In der Kommission, die den Antrag zu prüfen hatte, engagierte er sich mit einem Eifer, den man in SPD-Gremien zumeist bei ihm vermißte. Einwände der Kirchen mußten zurückgewiesen werden, die Vorbehalte der Vertreter der etablierten Wissenschaften gegen die neue Disziplin ausgeräumt werden°S. Schmid wies mit einem Unterton von Empörung darauf hin, daß in keinem Land auf dem Gebiet der Bildungssoziologie so gesündigt worden sei wie in Deutschland?®. Da schwang auch Selbstkritik mit, die aber keinen Eingang in Schmids Versuche, Bildung zu definieren, fand. Er legte selbstverständlich Wert darauf, daß sich das Institut nicht nur mit dem Problem der Chancengleichheit, sondern auch dem der Elitebildung befaßte?’. Auf sein Drängen hin beschloß der Senat der Max- Planck-Gesellschaft am 6. Dezember 1961 die Gründung des von Hellmut Becker angeregten Instituts für Bildungsforschung, das seine Arbeit 1963 in Berlin aufnahm. Carlo Schmid freute sich ungemein, daß es trotz des großen Widerstands gelungen war, den Antrag durchzubringen. Er glaubte, daß durch das Institut ein Grundstein für eine einheitliche Kulturpolitik auf Bundesebene geschaffen worden sei?*. Die großen Hoffnungen, die Schmid an das Institut knüpfte, erfüllten $ich nicht. 1976 gestand er Becker ganz offen: „(M)ir war bei unseren Besprechungen zu wenig die Rede davon, was unter Bildung zu verstehen sei und zuviel von soziologischer Schwarzkunst, von der mir (…) in den Phiolen-nicht viel mehr zu bleiben schien als Asche und an Geist die Dämffe, die durch den Schornstein der Hexenküche zusammen mit dem Frankfurter Hexeneinmaleins ins Blaue fliegen, um es für eine kurze Weile zu verdunkeln.“3 % Harscher hätte die Kritik kaum ausfallen können. Wenn es um Erziehung und Bildung ging, wurde Schmid sehr leidenschaftlich und nahm kein Blatt vor den Mund. Seine Schelte über die Kultusminister der Länder, die er in den Händen „zögerlicher Bürokraten“ sah, kannte keine Grenzen*°. Erbost stellte er fest, daß die Bundesrepublik in einem „bürokratischen Krähwinkel“ versumpfe. Er machte keinen Hehl daraus, daß er von Kulturföderalismus und Selbstverwaltung im Bereich Wissenschaft und Bildung nichts hielt. Der Tübinger Verlagsbuchhändler Herbert Holtzhauer mag geschmunzelt haben, als er in einem Brief seines Freundes Carlo Schmid las: „Mir wird immer klarer, daß in Fragen der Bildung und Erziehung das einzige Regime, das zu zureichenden Leistungen führen könnte, das des aufgeklärten Absolutismus ist, wie wir ihn eine kurze Zeit lang in Tübingen hatten.“* ‚ Wie gerne hätte Schmid wie einst Wilhelm von Humboldt das Bildungssystem an Haupt und Gliedern reformiert*”. Auf dem 6. Deutschen Studententag im Sommer 1960 hatte er die Chuzpe offen zu erklären, daß die Universitäten, nachdem die Zeiten des aufgeklärten Absolutismus vorbei waren, zu „Zünften“ degeneriert seien*?. Die damals noch recht braven Studenten mögen mit einigem Erstaunen seine radikale Kritik an den autoritären Strukturen der Hochschulen vernommen haben. Welcher Ordinarius gab vor Studenten schon ganz offen zu, daß der kollegiale Abstimmungsmechanismus in einem Senat nicht mit Demokratie verwechselt werden dürfe?** Für Schmid war die Überwindung der Hochschulmisere nicht nur ein finanzielles Problem. Der Hochschulneubau war notwendig, die bessere Besoldung des wissenschaftlichen Nachwuchses unumgänglich, wenn man nicht wollte, daß die fähigsten Nachwuchswissenschaftler ins Ausland abwanderten. Das waren aber nur Notmaßnahmen, die die Probleme an den Hochschulen linderten, aber nicht lösten. Eine strukturelle Hochschulreform war dringend nötig. Der bildungspolitische „Reaktionär“ Schmid war ein radikaler Hochschulreformer, ein Tabubrecher, der es wagte, vom Ideal der Humboldtschen Universität Abschied zu nehmen: „So wie die Universitäten heute sind, können sie nicht bleiben. Das Humboldtsche Ideal, das in seiner Zeit großartig und wahrhaft gesellschaftsbezogen war, ist heute weitgehend zur bloßen Fiktion geworden; etwas, mit dem man sich brüstet, ohne danach zu leben. Die Universität, die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, gibt es heute nicht mehr. Wenn ich in meinem Hörsaal stehe, dann sehe ich eine graue Wand vor mir, viele, viel zu viele, hunderte sitzen da, und ich kenne keinen einzigen. (…) Man muß hier einiges sowohl in der Struktur als auch in den Methoden ändern: Man wird vielleicht den Mut haben müssen, zwei Ebenen einzurichten, eine Ebene, auf der Ausbildung geschieht in dem Sinn, daß man lernt, auf gestellte Fragen richtige Antworten zu geben, und eine zweite Ebene, auf der man in einem höheren Sinn lernen soll, in Frage zu stellen, was diese Welt und man selber in dieser Welt eigentlich ist.“ #5 So sehr ihm die alte Universität ans Herz gewachsen war, im Zeitalter der Massenuniversität konnte seiner Ansicht nach ein geregelter Universitätsbetrieb nur aufrechterhalten werden, wenn man sich zu einer Teilung der Universität in eine „Ausbildungs- und Forschungsuniversität“ durchrang*°. Der Rückschritt auf dem Gebiet der Grundlagenforschung war

ebenso alarmierend wie die schlechte Ausbildung der Studenten. Da die meisten Studenten nicht „studierfähig“ seien, müsse der junge Student in den ersten Semestern trotz akademischer Freiheit geführt werden. Schmid wollte den akademischen Mittelbau stärken und ihn damit betrauen, den Studienanfängern in Kleingruppen mit höchstens 15-20 Teilnehmern das wissenschaftliche Einmaleins beizubringen*”. Daß er einer Verschärfung des Abiturs das Wort redete, braucht gar nicht mehr eigens erwähnt zu werden. Er wünschte sich nicht mehr, sondern bessere Studenten. Der von Georg Picht beschworene Bildungsnotstand war für ihn eher ein qualitatives als ein quantitatives Problem. Picht merkte schon bald, daß Schmid nicht der geeignete Ansprechpartner für ihn war. Seine revolutionären Hochschulreformpläne stießen bei den sozialdemokratischen Kultusministern auf rüde Ablehnung. Eine Trennung von Forschung und Lehre kam für sie ebensowenig in Frage wie eine Verschärfung des Abiturs. Carlo Schmid mußte sich sagen lassen, daß er ein Kulturpessimist sei‘. Außerdem: meinte er etwa, die bisherigen Lehrstuhlinhaber würden eine solch radikale Hochschulreform widerspruchslos hinnehmen? Nein, das glaubte er nicht. Er kannte seine Kollegen. Gerade deshalb forderte er den „Mut des Gesetzgebers“ #. Die Scheu der Kultusminister vor der Autorität der Professoren war ihm, der über den Großteil seiner Kollegen nicht gerade mit großer Wertschätzung sprach, fremd. Er drängte auf eine sofortige Reform. Auf keinen Fall dürfe man bis zum Abschluß eines Staatsvertrags warten, da dann die Kontroverse um die Ausgestaltung der Hochschulen erst richtig beginne. Eine solche „Verzögerung“ sei „unerträglich“ 5°. Er wäre lieber heute als morgen zur Tat geschritten, wenn er selbst auch nur die geringste Möglichkeit gehabt hätte, in das Hochschulwesen einzugreifen. Für einen Staatsvertrag der Länder zur Koordinierung der Kulturpolitik hatte sich als beredter Vertreter der Länderinteressen Waldemar von Knoeringen wiederholt eingesetzt. Zu föderalistisch, meinten die meisten Sozialdemokraten, zumindest die, die in Bonn saßen. Knoeringen wandelte seinen Plan um und plädierte nunmehr für die Errichtung eines von der,Kultusministerkonferenz der Länder ins Leben zu rufenden Bildungsrates, dem die Aufgabe zukommen sollte, einen nationalen Bildungsplan zu entwerfenS‘. Knoeringen hoffte so, verhindern zu können, daß auf kaltem Weg ein Bundeskultusministerium geschaffen wurde. Wenn es nach Carlo Schmid gegangen wäre, hätte man die Forderung nach Einrichtung eines Bildungsrates nicht in den 1964 von der SPD verabschiedeten bildungspolitischen Leitsätzen gefunden. Als Knoeringen ihm 1964 seinen Plan mitteilte, riet er ab: „Bei dem Bildungsrat fürchte ich, daß wir die Kultusminister nie dazu bekommen werden, sich auf etwas Brauchbares – ich meine, für die Nation Brauchbares – zu einigen. Wir wissen doch, daß dort in erster Linie der Gesichtspunkt der Ämterpatronage gilt und das, worauf es ankäme, nämlich sich auf einen deutschen Bildungskanon zu verständigen, wenig Aussicht auf Erfolg hat. Ich bin immer mehr und mehr der Meinung, daß wir versuchen müßten, diese Probleme als Probleme der Bundespolitik zu betrachten. Ich glaube, daß wir hier nicht allzu verzagt zu sein brauchen, denn das Grundgesetz gibt mehr Möglichkeiten, als man glaubt.“ >? Schmid schwebte vor, auf der Grundlage der in den USA angewandten Theorie der implied powers die Bundeskompetenzen auf dem Sektor Wissenschaft und Bildung zu erweitern. Wenn der Bund gemäß Art. 74 des Grundgesetzes für die Förderung der Wissenschaft zuständig sei, könne man ihm das Recht, Richtlinien für das allgemeine Bildungswesen zu erlassen, nicht vorenthalten°3. Beim Bundesverfassungsgericht wurden Bedenken gegen die Anwendung der implied-power-Theorie laut°*. Schmid hielt trotzdem an ihr fest, auch noch, nachdem im Sommer 1965 Bund und Länder ein Abkommen über die Errichtung eines Deutschen Bildungsrates vereinbart hatten. Persönliche Erwartungen und Ziele mögen dabei eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Bei einem Wahlsieg der SPD war er der präsumtive Minister für Wissenschaftliche Forschung. Dann wollte er natürlich auch die Möglichkeit haben, in der Bildungspolitik ein mächtiges Wort mitzureden. Bisher freilich hatte er sich nicht einmal in seiner eigenen Partei durchsetzen können. Weil man sich über die Inhalte der Bildungs- und Kulturpolitik nicht einigen konnte, beschränkte man sich auf organisatorische Probleme und eine Änderung der finanziellen Rahmenbedingungen der Bildungspolitik. Die 1964 verabschiedeten bildungspolitischen Leitsätze der SPD waren, wie Walter Jens nicht zu Unrecht bemerkte, ein „Meisterstück von Allgemeinheiten“°. Das im gleichen Jahr verabschiedete bildungspolitische Sofortprogramm war ein Notprogramm zur Milderung der schlimmsten Notstände im Bildungswesen. Wehner scholt den mangelnden „Fleiß“ der sozialdemokratischen Bildungspolitiker5°. Das war nicht zuletzt ein Angriff auf Schmid, der dauernd Klage darüber führte, daß die Partei nicht über ein sorgsam ausgearbeitetes Bildungskonzept verfügte, aber selbst auch kein konkretes, für die Praxis brauchbares Bildungsprogramm entwickelte. Schmid machte zuweilen seine politischen Hausaufgaben nicht so gründlich, wie er sollte. Doch diesmal wäre sein Fleiß auch völlig umsonst gewesen. Sein Bildungs- und Wissenschaftskonzept war innerhalb der SPD nicht mehrheitsfähig und in den Parteigremien wurde zu seinem Leidwesen ohnehin immer alles zerredet”. In der Regierungsmannschaft war er zuständig für den Geschäftsbereich Wissenschaftliche Forschung und kulturelle Verantwortlichkeit des Bundes. Nicht weil man sein Bildungskonzept befürwortete, stellte man ihn als zukünftigen Wissenschaftsminister heraus, sondern weil er beim Wahlvolk als der ideale Kultur- und Bildungspolitiker galt. Außerdem verfügte er als Senator der

Max-Planck-Gesellschaft über ausgezeichnete Kontakte zur Wissenschaft, für deren finanzielle Probleme er immer ein offenes Ohr hatte. Sein politischer Einfluß mochte noch so sinken, für die Bundesbürger war er auch 1965 noch der ideale Politiker’®. Am unteren Ende der Beliebtheitsskala stand Franz-Josef Strauß, der im Rufe stand, ein rücksichtsloser Machtpolitiker zu sein. Schmid, der homme de lettres, der offen zugab, daß ihm seine „literarischen Späße“ manchmal wichtiger waren als die Berichte der „Gazetten“ über seine „politischen Leistungen“ 59, verkörperte den Gegenpol zum typisch deutschen Machtpolitiker. Für die Mehrheit der Deutschen war er nicht nur ein Politiker, der Geist und Macht verband, sondern trotz seiner elitären Einstellung auch ein Mann des Volkes, der dem tierischen Ernst der Politik mit Humor begegnete. Der Ritter des Ordens wider den tierischen Ernst fehlte auf keinem der Konvente des Ordenskapitels des Aachener Karnevalvereins”. Wie groß seine Macht war, fragten die wenigsten. Daß er unter dem erzwungenen Verzicht auf künstlerische Selbstentfaltung litt, erkannte kaum einer. Die Kunst war für Schmid ein Gegenpol zur Politik, eine Herausforderung an die Politik, in Politik aufgehen durfte sie nicht. Das seit der Spiegel-Affäre zunehmende Engagement der Intellektuellen und Künstler verteidigte er aus politisch-pädagogischen Gründen, aber sein Verhältnis zu einer gesellschaftsbezogenen Kunst blieb distanziert. Als zwei Monate nach der Spiegel-Affäre Rolf Hochhuths Stück „Der Stellvertreter“ die Gemüter der Republik von neuem erhitzte, stellte sich Schmid auf die Seite des angegriffenen Autors. In dem Stück, das an der Freien Volksbühne in Berlin von Piscator inszeniert worden war, wurde Papst Pius XI. angeklagt, weil er als Vertreter Christi angesichts der Massenmorde an den Juden die Katholiken nicht zum Martyrium aufgerufen hatte. Ein Skandal! Das Zentralkomitee der Katholiken führte Klage gegen Hochhuth. Bundesaufßenminister Schröder bedauerte die Angriffe gegen Papst Pius XII., die SPD schwieg, weil sie an einem verbesserten Verhältnis zur katholischen Kirche interessiert war. Schmid ergriff Partei für Hochhuth: „Seien wir doch froh, daß es in unserer Mitte noch Leute gibt, die in unsere Welt das Ärgernis werfen.“°‘ Für ihn war das Stück eine geistige und politische Herausforderung: „Ob man den Inhalt des Stücks billigt oder nicht, es ist gut, daß einmal etwas geschrieben wurde, das politische Leidenschaften entfacht und jedermann zwingt, wenigstens über die Möglichkeiten eines Für und Wider zu entscheiden. Letztlich ist ja das Problem angesprochen, das seit vielen tausend Jahren die Menschen beschäftigt und quält: darf die Staatsräson – auch die am richtigsten konzipierte Staatsräson — überwuchern, was die Moral und das Liebesgebot von uns verlangen. Wenn es darauf nur ein glattes Ja und Nein geben könnte, wäre das Leben viel einfacher, als es ist.“ ° Die Deutschen mußten erst noch begreifen, daß der Künstler ein Tabubrecher ist. Die Kritiker,

die in einem Vokabular, das an vergangene Zeiten gemahnte, Hochhuths Stück „negativ zersetzend“ nannten, durften nicht das letzte Wort behalten. Schmid hatte sich hinter Hochhuth gestellt, weil er die Deutschen zur Toleranz erziehen wollte. Als Marion Gräfin Dönhoff ihn im März 1963 bat, sich in der „Zeit“ zu der Diskussion über die Linksintellektuellen zu äußern, schrieb er zurück: „Ich kann das Geschwätz von den Linksintellektuellen allmählich nicht mehr hören, vor allem deswegen, weil ich täglich erleben kann, daß mir die Leute kein lebendiges Exemplar dieser Reptiliengattung zu nennen vermögen. Ich habe den Eindruck, daß wir hier vor dem Phänomen eines Ersatz-Antisemitismus stehen, denn die Teufeleien, deren man jene Linksintellektuellen bezichtigt, sind doch die, die man einst den Juden nachsagte.“° Schmid vermißte die Linksintellektuellen, die das kulturelle Leben wie zur Zeit der Weimarer Republik in Bewegung brachten, und insgeheim fürchtete er sie auch. Bestand nicht die Gefahr, daß eine „heimatlose Linke“ wie in Weimar „aus mangelndem Verständnis für das, was einen Staat ausmacht“, die Demokratie „ruinierte“?°* Den intellektuellen Protest gegen die Notstandsgesetze betrachtete Schmid mit wachsender Sorge. Sollte er sich darüber freuen, daß die Grenzbarrieren zwischen Politik und Literatur fielen? Er verteidigte Peter Weiss, der trotz seines Bekenntnisses zum Marxismus-Leninismus ein achtenswerter Schriftsteller sei, und nahm im Dezember 1965 im Bundestag Günter Grass, der für die SPD in den Wahlkampf gezogen war, gegen Angriffe von konservativer Seite in Schutz. Doch er zögerte mit seiner Antwort, als er gefragt wurde, ob er Grass’ parteipolitische Betätigung ebenso positiv beurteile wie dessen Werk: „(D)as ist ein Werturteil, das schwer zu fällen ist.“ Schließlich rang er sich zu der salomonischen Antwort durch: „(Ich finde es eine gute Sache – und ich möchte gern, daß sie sich wiederholt -, daß sogenannte Literaten, Intellektuelle, Männer der Kunst, der Literatur sich nicht zu schade sind, auch in den politischen Kämpfen, im Parteienkampf Stellung zu beziehen.“° Gewiß, der Auszug der Intellektuellen und Künstler aus dem Elfenbeinturm war zu begrüßen. Schmid scheint jedoch um die Autonomie der Kunst gefürchtet zu haben. War Grass’ Maxime, daß der „Ort des Schriftstellers“ „inmitten der Gesellschaft und nicht über oder abseits der Gesellschaft“ sei‘, nicht eine Abkehr von der von Schmid verteidigten zweckfreien Kunst? Der Schriftsteller Grass und der Dichter Schmid sprachen eine andere Sprache. Schmid lobte die „Hundejahre“ als „bedeutendes Buch“, räumte jedoch ein, daß ihm einige Stellen darin nicht gefallen hatten‘. Dem Heidegger-Verehrer Schmid mußte Grass’ Heidegger-Polemik aufstoßen. Schmid nahm die junge Schriftstellergeneration, die sich der Politik verschrieb, gegen Angriffe von konservativer Seite in Schutz, fand aber selbst kaum Zugang zu ihr.

Die Parteinahme namhafter Schriftsteller wie Hochhuth und Grass für die SPD schien sich zunächst nicht auszuzahlen. Erst als Erhard in einer wüsten Attacke die Dichter, die unter die Politiker gegangen waren, als „ganz kleine Pinscher“ bezeichnete und von „Entartungserscheinungen“ in der modernen Kunst sprach, solidarisierten sich weite Kreise des intellektuellen Deutschland mit der SPD‘, Karl Schiller, damals Wirtschaftssenator in Berlin frohlockte: „Wir müssen die Suppe, zu der Erhard in der Tat vortrefflich beigetragen hat, am Kochen halten.“ 7° Schmid war zu wenig Parteipolitiker, um aus der ganzen Angelegenheit Kapital für die SPD schlagen zu wollen. Er fürchtete, daß durch Erhards Ausfälle Ressentiments geweckt werden, die sich für die politische Kultur der Bundesrepublik gefährlich auswirken konnten. So schlüpfte er wieder einmal in die Rolle des praeceptor Germaniae und erteilte Erhard gleich nach der Wahl im Bundestag eine Lektion: „Kein Staat kann heute auf die Dauer auf außenpolitisches Verständnis in der Weltöffentlichkeit rechnen (…), wenn nicht das Volk dieses Staates der Weltöffentlichkeit als Träger lebendigen Geistes auch in der jeweiligen Gegenwart erscheint. Es ist aber eine schlechte Sache, wenn Schriftsteller gescholten werden, weil sie die Regierung, die Politiker und gewisse Praktiken kritisierten und manchmal auch mißdeuteten.“7′ Seinen Zuhörern hielt er das Vorbild Frankreichs vor Augen, wo „linke“ Autoren sich der Wertschätzung „rechter“ Regierungen erfreuten und „linke“ Regierungen „rechte“ Autoren würdigten. Noch einmal rief er die Maxime der Franzosen ins Gedächtnis: „Tout ce qui est national, est nötre.“7? Erhard hatte Gräben aufgerissen, die den politischen Konsens gefährdeten. In linken Kreisen wurde der Verdacht geäußert, daß die von ihm propagierte „formierte Gesellschaft“ auf eine Entmündigung der Staatsbürger hinauslaufe. Schmid mahnte den Kanzler, die Intellektuellen „ernst“ zu nehmen: „Auch sie gehören zu den Realitäten des nationalen ‚ Lebens; auch sie gehören zu unserem Staatswesen, zur res publica; auch sie gehören in eine formierte Gesellschaft, d.h. in eine wohlgefügte Gesellschaft, in der sich alle schöpferischen Kräfte der Nation zueinander in der rechten Ordnung verstehen und verhalten.“ 7? Ein CDU-Abgeordneter bemerkte, daß Schmid der erste Sprecher der Opposition sei, der den Begriff „formierte Gesellschaft“ „positiv“ aufgenommen habe. Schmid schnellte hoch und begab sich zum Saalmikrophon: „Sollte ich mich so simpel ausgedrückt haben (…), daß nicht zu merken war, daß ich den Versuch gemacht habe, diesem Hause endlich einmal eine Definition vorzuschlagen, was die andere Seite bislang versäumt hat?“ ”* Erhard hatte den geistigen Aufbruch versprochen. Es war ihm aber in keiner Weise gelungen, geistige und politische Perspektiven zu vermitteln. Schmid, wie Erhard ein Kritiker der Parteien und Interessenverbände, hatte große Sympathie für dessen Vision einer formierten Gesellschaft, mußte aber schon bald erkennen, daß Erhard das Format fehlte, um dieser Vision Konturen zu verleihen und sie in die politische Praxis umzusetzen.

Man kann in der Politik nicht passen!

Als Schmid im März 1963 bei einem Besuch in Island nach den politischen Qualitäten des Thronprätendenten Erhard befragt wurde, gab er ein nicht gerade schmeichelhaftes Urteil ab: „Erhard ist kein Politiker. Er ist ein guter Volkswirtschaftler, aber nicht mehr.“‘ Man könne davon ausgehen, daß er nur bis zu den nächsten Wahlen Kanzler sein werde. Noch hatte Schmid Hoffnung, daß sein Freund Gerstenmaier Adenauers Nachfolger werde. So versuchte er gemeinsam mit Adenauer Erhard zu demontieren. Persönlich hatte er nichts gegen Erhard. Sein Urteil über den Politiker Erhard schwankte. Die Regierungserklärung des neuen Kanzlers hatte ihn optimistisch gestimmt. Wie viele andere verstand auch er sie als Auftakt zu einer neuen Ära. Der neue Bundeskanzler war kein Mann der einsamen Entschlüsse, der mit der Opposition nur sprach, um der Form Genüge leisten zu wollen?. Erhard schien der richtige Mann für eine Politik der Gemeinsamkeit zu sein. Zu Weihnachten bekam Schmid einen überaus herzlichen Brief von Erhard: „Wir sind wohl beide so geartet, daß wir auch im politischen Leben um Form und Maß wissen, und darum ist es über das Persönliche hinaus tröstlich, zu hören und zu wissen, daß freundschaftliche Gesinnung einfach eine menschliche Haltung bedeutet.“ 3 Erhard und Schmid, für die die Parteien ein notwendiges Übel waren, suchten den Dialog über die Parteigrenzen hinweg. Die beiden Professoren hatten ein gespaltenes Verhältnis zur herrschenden Politik, zu deren Versachlichung sie beitragen wollten. Im Gegensatz zu Erhard empfand Schmid Macht freilich nicht als „öde, gefährlich und im letzten dumm“. Für Adenauers Machtsinn hatte er stets lobende Worte gefunden°. Den fehlenden Machtsinn der Sozialdemokraten hatte er stets beklagt. Im übrigen mißfiel es ihm, daß der neue Bundeskanzler sich mit dem Nimbus der Überparteilichkeit umgab. Erhards appel au peuple, das Regieren am Parlament vorbei, erschien ihm als Verstoß gegen die Verfassung‘. De Gaulles Regierungsstil durfte kein Vorbild sein. Erhard war kein Gaullist, schon gar nicht in der Außenpolitik, wo er zu den überzeugten Atlantikern zählte. Es wurde ihm sogar „Frankophobie“ nachgesagt’. Trotzdem war Schmid zunächst mit den außenpolitischen Leitlinien des Bundeskanzlers weitgehend einverstanden. Die atlantische Partnerschaft mußte aufrechterhalten werden. England mußte für den gemeinsamen Markt gewonnen werden. Diese Grundsätze schweißten Erhard und die SPD zu einer Art stillen Großen Koalition zusammen. Die Außenpolitik war neben der Bildungspolitik noch immer Schmids große Passion. Als Präsident der Westeuropäischen Union wollte er nichts unversucht lassen, um aus dem Europa der Sechs ein Europa der Sieben zu machen, das zusammen mit den USA die atlantische Gemeinschaft trägt. Zweckoptimismus stellte er zur Schau, als er in der Dezembertagung 1963 erklärte, daß man in Westeuropa „eines Tages einmütig anerkennen“ werde, „daß die politische Organisation (Europas) von den sieben Mitgliedsstaaten der WEU errichtet werden muß, weil das dem gesunden Menschenverstand und der Logik entspricht“ °. Politik gründet selten in den Gesetzen der Logik. Das bekam Schmid zu spüren, als er am ;. Dezember von de Gaulle im Elysee-Palast empfangen wurde. Schmid mag sich einiges von der Unterredung mit dem französischen Staatspräsidenten versprochen haben. Immerhin hatte das gaullistische Organ „La Nation“ ihm einen Leitartikel gewidmet und im französischen Fernsehen konnte er sogar ein kurzes Statement über seine Aufgaben als Präsident der WEU abgeben?. Als er dem französischen Staatspräsidenten im kleinen Salon mit Schreibtisch und Sesseln aus der Zeit Louis XVI. gegenübersaß, sah er sich in vergangene Zeiten zurückversetzt. In einer längeren Vorlesung wurde er belehrt, daß der Nationalstaat „une finalite de P’histoire“ sei. Selbst wenn Schmid mit Engelszungen geredet hätte, hätte er de Gaulle nicht von der Notwendigkeit eines weiteren Ausbaus der europäischen Integration und der atlantischen Verteidigungsgemeinschaft überzeugen können’°. Er verließ den Elysee-Palast ziemlich deprimiert. Daß die Europapolitik völlig festgefahren war, mußte er auch drei Monate später bei einem dreitägigen Besuch in London feststellen. Für den Führer der Labour-Party Harold Wilson war die Europaidee „vorerst tot“. Mehr Verständnis für die europäische Gemeinschaft zeigten Premierminister Alexander Douglas-Home und sein Außenminister Richard Butler. Sie glaubten, daß die WEU die geeignete Plattform sei, um zu einem Ausgleich zwischen Großbritannien und dem Europa der Sechs zu kommen“. “War es nach diesen nicht sehr erfolgreich verlaufenen Besuchen noch realistisch, in der WEU den Grundstein für ein Europa der Sieben legen zu wollen? Eine entsprechende Empfehlung an den Ministerrat war von der, Versammlung im Dezember verabschiedet worden‘?. Daß dies nicht mehrals ein parlamentarischer Wunschzettel war, wußte Schmid. Deshalb bemühte er sich um eine engere Verzahnung zwischen der Versammlung der Westeuropäischen Union und dem Ministerrat. Ohne den Dialog mit dem Ministerrat fehlte der Versammlung die Resonanz. So forderte er die Aufßgen- und Verteidigungsminister mit eindringlichen Worten auf, an den Tagungen der Versammlung teilzunehmen. Das Echo war nicht allzu groß. Es kam ganz selten vor, daß von allen Mitgliedsstaaten Minister kamen. Schmid hatte Grund zur Klage über die mangelnde Beteiligung. Auch Außenminister Schröder folgte selbst als Vorsitzender des Ministerrates den Einladungen nicht immer, obwohl er Schmids Arbeit überaus

schätzte‘?. Die Versammlung debattierte häufiger vor leeren als vor vollen Ministerbänken. Damit die Empfehlungen nicht ganz unter den Tisch fielen, bat Schmid die Parlamentspräsidenten, die Empfehlungen in den nationalen Parlamenten zur Diskussion zu stellen’*. Viel Geduld und Gleichmut wurde ihm als Präsident der WEU abgefordert, obwohl er doch im Grunde ein ungeduldiger Mensch war, dem die Politik viel zu sehr im Schneckentempo ging. Mühsam war es, eine Zusammenarbeit zwischen den Ausschüssen der WEU und denen der Nato in die Wege zu leiten, ohne die eine Abstimmung zwischen den beiden aufeinander angewiesenen Organisationen nicht zustande kommen konnte. Weil er das Wort von der atlantischen Partnerschaft ernst nahm, lud er auch Vertreter der amerikanischen Regierung zu den Tagungen der WEU ein. Sein Ersuchen um einen Empfang bei der amerikanischen Regierung hatte keinen Erfolg’’. Offensichtlich hatte man dort keine allzu hohe Meinung von der politischen Nützlichkeit der WEU. Zu Unrecht! Dank der WEU kam es in den Jahren 1963-1966 trotz der Widerstände Frankreichs gegen einen britischen EWG-Beitritt zu einer wirtschaftlichen Kooperation und einem politischen Meinungsaustausch zwischen Großbritannien und den sechs EWG-Staaten’°. Schmid verstand es während seiner Präsidentschaft, aus der WEU ein Forum der Begegnung zwischen dem britischen Inselreich und den kontinentaleuropäischen Staaten zu machen. Die Delegierten der WEU dankten es ihm, indem sie ihn 1966 zum vierten Male zum Präsidenten wählten. Er konnte die Wahl als persönlichen Triumph verbuchen. Normalerweise war es üblich, daß die Präsidenten alle drei Jahre wechselten. Es mag sein, daß einige Delegierte auch der Gourmetfreuden wegen so beredt für Schmids Wiederwahl plädiert hatten, denn das Comite des Presidents der WEU soll nie „in so ausgezeichneten Lokalen so exquisit gespeist“ haben wie unter seiner Präsidentschaft’”. Weder das angenehme Ambiente noch die triumphale Wiederwahl liefen Schmid vergessen, daß er sein hochgestecktes Ziel nicht erreicht hatte: aus dem Europa der Sechs ein Europa der Sieben zu machen. Solange von den Regierungen hauptsächlich nationale Interessen verfolgt wurden, hatten die vom Europarat, der WEU und dem Europäischen Parlament verabschiedeten Resolutionen zumeist nur deklaratorischen Charakter, Im Frühjahr 1964 sprach sich Schmid für die Direktwahl des Europäischen Parlaments aus, um dessen Autorität zu erhöhen“®. Zu einem europäischen Gesamtinteresse könne man erst kommen, wenn das bisherige „Europäische Scheinparlament“ in ein „mit ausreichenden Entscheidungsbefugnissen versehenes direkt gewähltes Parlament“ umgewandelt werde. Der Vorschlag hatte viel für sich, doch die Zeit dafür war noch nicht reif. Einstweilen blieben nur die Instrumentarien der klassischen Außenpolitik. Schmid empfahl der Bundesregierung, mit „mehreren Kugeln“ zu

spielen‘?. Er begrüßte Schröders Gesprächsbereitschaft gegenüber der USA und Großbritannien, mahnte aber zugleich, die Verpflichtungen des deutsch-französischen Vertrags nicht zu vernachlässigen. „Die Politik ist das Schicksal“. Mit Wirtschaft allein ist nichts getan?°. Das war ein an die Adresse Ludwig Erhards, der die Bundesrepublik am liebsten in der Schweiz angesiedelt hätte, gerichteter Appell. Jetzt mußte er sich von Schmid sagen lassen, daß es eine Flucht aus der Weltgeschichte nicht gab: „Man kann die Ordnung der Welt nicht nur dadurch zerstören, daß man über sich hinausgreift, man kann sie auch dadurch zerstören, daß man unterhalb dessen bleibt, was einem zukommt. Mit anderen Worten: Die Bundesrepublik muß bereit sein, aus ihrer Reserve herauszutreten und in das politische Spiel einzutreten, nicht nur als ein Gebilde, das auf sich die Reflexe des politischen Spiels anderer wirken läßt, sondern als eine Macht, die weiß, daß sie die Pflicht hat, sich zu engagieren. (…) Man kann in der Politik viel tun, eines aber kann man nicht: man kann nicht | passen.“ *‘ Schmid tat es sichtlich weh, immer nur Ratschläge erteilen zu können, ohne beweisen zu können, daß sie auch durchführbar waren. Für Erhard waren die Schuhe Bismarcks zu groß. Er vermochte das Spiel mit den zwei Kugeln nicht zu spielen, weil er im Innern schon längst seine Entscheidung für die USA getroffen hatte””. Der Bonner Gipfel im Juli 1964 wurde zu einem Debakel. Der französische Staatspräsident verließ Bonn ergrimmt, weil Erhard das Angebot einer deutsch-französischen Verteidigungspartnerschaft ziemlich brüsk abgelehnt hatte. Auch wenn Erhard zu Recht auf die Notwendigkeit der atlantischen Partnerschaft verwiesen hatte, so durfte er doch das deutsch-französische Verhältnis nicht völlig in die Brüche gehen lassen. Carlo Schmid beschwor den Kanzler bei einer Zusammenkunft am 7. Oktober, das Gespräch mit de Gaulle wieder aufzunehmen. Man müsse miteinander sprechen und dürfe sich vor Kontroversen nicht scheuen”. Erhards Projekt eines ständigen Gesprächs der Sechs in Form regelmäßiger Zusammenkünfte der Regierungschefs stand Schmid aufgrund seiner eigenen Erfahrungen in der, Westeuropäischen Union skeptisch gegenüber. „De Gaulle könne nichtos von seinem Frankreich zuerst.“ ** Bei allen europäischen Staaten gebe es zur Zeit eine starke Loyalität zum eigenen Nationalstaat, so daß die Gefahr groß sei, daß bei den Treffen Dissensvereinbarungen getroffen würden, die man aber auf jeden Fall vermeiden müsse. Schmid wußte, wovon er sprach. Was Erhard plante, hatte er selbst in der Westeuropäischen Union in Gang zu setzen versucht und damit nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Schmids Einwände kamen gegen Erhards Optimismus nicht an. Der Bundeskanzler war überzeugt, daß de Gaulle nicht daran interessiert sei, in der Isolierung zu verharren und deshalb zum Einlenken bereit sei”.

Fritz Erler, der ebenfalls an der Besprechung teilnahm, vertrat die Gegenposition zu Schmid. Ihm war Erhards Lösung zu wenig supranational?“. Erler und mit ihm die SPD setzte ungeachtet des französischen Widerstandes auf den weiteren Ausbau der europäischen Gemeinschaft. Thema Nr. ı in der SPD war die von den Amerikanern in Vorschlag gebrachte Bildung einer multilateralen Nato-Atomstreitmacht, die in dem zumeist verwandten Kürzel MLF hieß. Schmid teilte den Optimismus seiner Partei hinsichtlich des MLF-Projekts nicht. Während die Delegierten des Karlsruher Parteitages mit großer Mehrheit eine Resolution für die MLF verabschiedeten, erschien in der Münchener „Abendzeitung“ ein Artikel aus der Feder Schmids: „Drei Buchstaben voller Zündstoff – MLEF“?7. War es politisch klug, ein Projekt zu unterstützen, das von de Gaulle erbittert bekämpft wurde? Schmid schloß nicht aus, daß de Gaulle, der schon den Finger der Deutschen am Abzug des nuklearen Revolvers sah, die Bildung der MLF zum Anlaß nahm, um die deutschen Wiedervereinigungsbemühungen zu blockieren. Er plädierte für eine dritte Lösung, die den französischen Standpunkt mit dem britischen und amerikanischen versöhne, was freilich so schwierig sei wie die „Quadratur des Zirkels“*®, Eigene Vorschläge machte er nicht. Als der französische Außenminister Couve de Murville auf der Nato- Ministerratstagung im Dezember 1964 seine Zustimmung zu dem traditionellen Kommuniqu& der drei Mächte und der Bundesregierung zur deutschen Einheit verweigerte, fühlte sich Schmid in seiner Sorge bestätigt. Nochmals mahnte er: „Wir dürfen nichts tun, was die Vereinigten Staaten veranlassen könnte, ihr Engagement zu vermindern; wir dürfen auch nichts tun, was General de Gaulle veranlassen könnte das nordatlantische Verteidigungsbündnis praktisch zu blockieren oder mit einer Wendung nach Osten der Wiedervereinigungspolitik den Rücken zu kehren. Die Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich fordern uns, jeder auf seine Weise, Preise ab, die sich gegenseitig auszuschließen scheinen. Die Aufgabe der deutschen Außenpolitik wird es sein, nach Wegen zu suchen, auf denen es möglich sein könnte, die Vereinigten Staaten und Frankreich auf die gleiche politische Grundlinie einschwenken zu lassen.“ ° Das Spiel mit den zwei Kugeln. Vielleicht war es illusorisch. Aber Frankreich war nun einmal neben den USA der wichtigste Partner der Bundesrepublik, ohne den nichts zu erreichen war. Schmids Monita waren ebenso an die Adresse des Bundeskanzlers wie an die der SPD gerichtet. Er versuchte durch Kommentare zum Zeitgeschehen auf die Politik Einfluß zu nehmen. Doch wer beherzigte schon, was er sagte und schrieb? Außerdem flüchtete auch er sich manchmal in seiner Ratlosigkeit in Leerformeln. Die Politik de Gaulles schätzte er weitaus realistischer ein als Erhard, der von de Gaulles „Politik des leeren Stuhls“ überrascht wurde. Schmid hatte sie kommen sehen. De Gaulles freundliche Worte beim Zusammentreffen mit Erhard in Rambouillet im Januar 1965 hatte er nicht wie der Bundeskanzler als eine Revision der französischen Haltung mißinterpretiert?“. Schmid war nicht der einzige, der Erhards Unsicherheit in der Beurteilung außenpolitischer Ereignisse und Lagen und dessen mangelnden Führungswillen beklagte. Im Herbst 1964 rief er ihn auf, von Art.65 des Grundgesetzes Gebrauch zu machen: Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik3′. Insbesondere die Unentschlossenheit des Bundeskanzlers in der Nahostfrage raubte der Bundesrepublik auf internationaler Ebene immer mehr den Kredit. Obwohl die Nahostfrage gar nicht auf der Tagesordnung stand, flehte Schmid in der bereits erwähnten Unterredung am 7. Oktober den Bundeskanzler an, die Beziehungen zu Israel nicht noch weiter abkühlen zu lassen. Mommers Protokoll zufolge war Erhards Antwort kläglich. „Erhard“, so liest man dort, „sagt den bemerkenswerten Satz, er sehe ein, daß er nicht länger in der Israelfrage passen könne.“ 3? Carlo Schmid hatte vom 14.-21. Mai 1964 auf Einladung des Leiters der ORT Jacob Oleiski Israel besucht. Er war betroffen, wie dort die Stimmung gegen die Bundesrepublik umgeschlagen war. Schuld daran war vor allem das Schweigen der Bundesregierung zu der Tätigkeit von rund soo Raketentechnikern und -ingenieuren, die in Ägypten an der Herstellung von Massenvernichtungswaffen mitarbeiteten. Schmid bekam immer wieder zu hören, daß es schrecklich sei, daß die Deutschen schon wieder dabei seien, „Geräte“ für eine „zweite Endlösung“ herzustellen?3. Er hatte volles Verständnis für die Furcht der Israelis und für ihre Kritik am Verhalten der Bundesregierung. Auf seine Initiative hin hatte der Bundestag schon im Sommer 1963 die Bundesregierung zur Vorlage eines Gesetzentwurfes aufgefordert, durch den die Beteiligung Deutscher an der Herstellung von Massenvernichtungswaffen unterbunden werden konnte?*. Nach seiner Rückkehr aus Israel regte er die Ausarbeitung eines entsprechenden interfraktionellen Gesetzentwurfes an. In der Presse verurteilte er die Tätigkeit der Raketentechniker aufs Schärfste?°. Wie schon so oft warb er auch jetzt wieder um Verständnis für die Interessen und Wünsche Israels. Er war mit seinen jüdischen Gesprächspartnern einig, daß eine Verjährung für Völkermord moralisch untragbar sei. Dabei ging es ihm nicht in erster Linie um die Bestrafung der Mörder, sondern darum, ins öffentliche Bewußtsein zu rücken, „welcher Taten Menschen, die unter normalen Umständen vielleicht nie ein Verbrechen begangen haben würden, fähig werden, wenn man sie an die Vorstellung gewöhnt, daß Politik mit Moral nichts zu tun habe und daß alle Mittel recht seien, die einen von den Führern des Volkes erklärten Zweck zu erfüllen geeignet sind.“ 3° Das Verhältnis von Politik und Moral stand auch im Mittelpunkt der

Diskussion über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel, für die sich Schmid schon lange eingesetzt hatte und für die er jetzt noch heftiger focht. Daß Moral von der Staatsräson nicht zu trennen sei, hielt er all denen entgegen, die die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel ablehnten, weil sie die Abwendung der arabischen Staaten von der Bundesrepublik nicht riskieren wollten. Seit Bekanntwerden der geheimen Waffenlieferungen an Israel im Herbst 1964 drohten die arabischen Staaten mit der Anerkennung der DDR, falls die Waffenlieferungen nicht sofort eingestellt würden. Schmid riet, sich von den Arabern nicht „erpressen“ zu lassen?®. In der SPD war die Meinung gespalten. Wehner ordnete dem Wahlsieg alles unter. Ende Januar erklärte er im Parteipräsidium recht unverblümt, daß die SPD nicht „als die ‚Judenpartei‘ in den Wahlkampf gehen und als Störenfried in der deutschen Frage der Juden wegen gelten“ dürfe??. Auch Erler stand mittlerweile einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Israel sehr reserviert gegenüber: „Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, daß die SPD nur für Israel eintrete.t® Carlo Schmid ergriff einseitig Partei für Israel. Er war nicht gewillt, der Parteitaktik wegen seine moralischen Grundsätze über Bord zu werfen. Und schließlich mußte’man auch an den moralischen Kredit der Bundesrepublik in der Weltmeinung denken*‘. Erhard lavierte, was fast zu einem völligen Nah-Ost-Debakel geführt hätte. Der Entschluß, die Waffenlieferungen an Israel einzustellen, mußte von Nasser als Kapitulation Bonns aufgefaßt werden. Nasser triumphierte und provozierte durch einen pompösen Staatsempfang, den er Ulbricht 14 Tage später bereitete, die Bonner Regierung. Erhard war ratlos. Sollte man die diplomatischen Beziehungen zu Ägypten abbrechen? Er wollte sich nicht entscheiden, bevor er die Meinung der Opposition dazu kannte. Am 5. März empfing er Erler und Carlo Schmid im Palais Schaumburg, Schmid sprach sich eindeutig und vorbehaltlos für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen aus*. Erler war nicht dafür und nicht dagegen. Er wollte der Bundesregierung die Entscheidung nicht abnehmen*. Schmid hatte sich ansonsten immer gegen eine starre Handhabung der Hallstein-Doktrin ausgesprochen. Seine Haltung war inkonsequent und einseitig. Man mochte ihn deswegen schelten. Er hatte sich seine Entscheidung wohl überlegt: Mit der Abberufung des deutschen Botschafters aus Ägypten mußten alle Einwände gegen einen Botschafteraustausch mit Israel fallen. Erhard entschloß sich zwei Tage später trotz großer Vorbehalte im Auswärtigen Amt zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel. Ägypten gegenüber begnügte er sich mit Wirtschaftssanktionen. Schmid begrüßte die Entscheidung Erhards**, die am ı2. Mai zum Botschafteraustausch mit Israel führte. Als Israels Ministerpräsident Ben Gurion Ende März gefragt wurde,

wen er sich als Botschafter in Israel wünsche, nannte er zwei Namen: Franz Böhm, der sich große Verdienste beim Zustandekommen des Wiedergutmachungsabkommens mit Israel erworben hatte, und Carlo Schmid*°. Schmid wurde nicht gefragt, ob er als Botschafter nach Israel gehen wolle. Wahrscheinlich hätte er nein gesagt. Auch wenn er immer mehr ins politische Abseits gedrängt wurde, so wollte er doch nicht darauf verzichten, sich in die Bundespolitik einzumischen. Zumeist konnte er es nur auf dem Wege des Journalismus tun, denn innerhalb der SPD stieß er mit seinen Vorschlägen fast immer auf taube Ohren. Die Bonner Sozialdemokraten, angeführt von Wehner und Erler, wollten auf keinen Fall den Grundsatz außenpolitischer Gemeinsamkeit aufgeben. Erler gab zwar Anfang 1965 zu, daß man sich in außenpolitischen Fragen nicht „völlig totstellen“ könne, erklärte aber dann zur verbindlichen Parteimaxime, daß alles vermieden werden müsse, daß die Sozialdemokraten wieder in die „offenen Messer der Gegner“ laufen*“. Erler mag Carlo Schmid, dem die außenpolitische Passivität der SPD mißfiel, scharf angeschaut haben, als er diese Devise ausgab. Schmid und Willy Brandt waren es, die als deutschland- und ostpolitische Vorkämpfer immer wieder gegen den Stachel der Parteidisziplin lökten. Brandt fand für seine Politik der kleinen Schritte in der Bonner Parteizentrale kaum Unterstützung*”. Schmid war wegen seiner Äußerungen zur Hallstein- Doktrin gescholten worden. Im Sommer 1964 riefen beide dazu auf, die Impulse der de Gaulleschen Osteuropapolitik aufzugreifen. In der Bonner Baracke stießen sie damit auf ein sehr verhaltenes Echo. Schwierigkeiten mit der amerikanischen Führungsmacht wurden befürchtet. Schmid ließ die Einwände nicht gelten: „Wir müssen (…) unsere amerikanischen Verbündeten von den spezifischen Notwendigkeiten deutscher Außenpolitik überzeugen. Eine dieser Notwendigkeiten ist unter anderem, daß auch wir Deutsche Anschluß an die neuen Strömungen der Ost-West-Politik gewinnen.“ #° Die Selbständigkeitsbestrebungen der osteuropäischen „Satellitenstaaten“ müßten unterstützt werden. Zur Hallstein-Doktrin äußerte er sich diesmal nicht. Sie war, wie er resigniert feststellte, noch „nicht spruchreif“ #. Auch das heiße Eisen Oder-Neiße-Linie ließ er vorerst noch ausgeklammert. Vorerst! Anfang 1965 riß ihm der Geduldsfaden. Er verlangte eine außenpolitische Bestandsaufnahme aller verantwortlichen Kräfte. Die westlichen Verbündeten hatten zu verstehen gegeben, daß sie eigene deutschlandpolitische Vorschläge der Bundesregierung erwarteten. Wollte man sie für eine neue deutschlandpolitische Initiative gewinnen, so mußte man bereit sein, Opfer zu bringen. Ohne Verhandlungen über die deutsche Ostgrenze und über den politischen Ort, „den die Bundesrepublik im Koordinatensystem der Weltpolitik einnehmen soll“, war nach Schmids Überzeugung auf dem Gebiet der Deutschlandpolitik nichts zu erreichen°°. Die deutsche Einheit könne nicht losgelöst von der „Ordnung des Zusammenlebens der Staaten Europas“ geschaffen werden’‘. Schmid erinnerte an die deutschlandpolitischen Vorschläge der SPD in den soer Jahren. Er meinte selbstverständlich seine eigenen, in denen er noch immer die einzig mögliche Alternative zur offiziellen Politik sah. Zwei Wochen, nachdem Schmid im SPD-Parteipräsidium und in der Presse eine neue Deutschlandpolitik angemahnt hatte, gab de Gaulle eine Pressekonferenz, in der er die Vision eines wiedervereinigten Deutschland in einem Europa vom Atlantik bis zum Ural entwickelte. Die Lösung der deutschen Frage setze das Einvernehmen mit den europäischen Nachbarvölkern voraus. Deutschland müsse anerkennen, „daß jede Regelung notwendigerweise auch die Regelung seiner Grenzen und seiner Bewaffnung durch die Einigung mit allen seinen Nachbarn im Osten wie im Westen einschließt“ 5?. Die Pressekonferenz des französischen Staatspräsidenten fand eine beachtliche Resonanz, wenngleich er für seine Ausführungen nicht nur Zustimmung erntete. Die SPD legte großen Wert darauf, daß “die Äußerungen de Gaulles nicht als ein Abrücken von der Viermächteverantwortung interpretiert wurden’. Die Skepsis überwog die Zustimmung. Carlo Schmid machte einen Aktenvermerk, in dem er feststellte, daß die Vorschläge des französischen Staatspräsidenten fast haargenau mit dem übereinstimmten, was er selbst im Frühjahr 1958 im Bundestag ausgeführt hatte. Er sei damals als „Landesverräter“ beschimpft worden, während de Gaulle jetzt „bejubelt“ werde°*. Schmid, dem alle bürokratischen Formalitäten ein Greuel waren, machte sonst so gut wie nie Aktenvermerke. Daß er jetzt einen Vermerk anfertigte, zeigt, wie tief verbittert er darüber war, daß seine 1958 entwickelte deutschlandpolitische Konzeption nicht zum politischen Programm erhoben worden war. Unter Verweis auf die Autorität des französischen Staatspräsidenten versuchte er sie jetzt wieder ins Spiel zu bringen. Auf der Mitte Februar in New York unter dem Vorsitz von Vizepräsident Humphrey stattfindenden Tagung „Pacem in Terris“ würdigte er Frankreich als Vorkämpfer eines Ost-West-Dialogs: „Die europäischen Staaten müssen sich so verhalten, daß die Staaten Mittel- und Osteuropas ein Vereinigtes Europa nicht als eine Gefahr und eine Schädigung ihrer Interessen betrachten können. Die französische Republik kann dabei eine bedeutsame Rolle spielen.“ 35 Zuvor hatte er sich für „Opfer“ der Bundesrepublik gegenüber Polen und Vereinbarungen über den militärischen Status eines wiedervereinigten Deutschland ausgesprochen. Erschrocken war er, daß auf der Konferenz die Stimmen überwogen, die einer deutschen Wiedervereinigung ablehnend gegenüberstanden. Die Mehrheit der Teilnehmer war für eine Politik des Disengagements unter Anerkennung des Status quo eingetreten’ ®. Wehner, der sich einer Kur unterziehen mußte, erhielt einen besorgten Brief seines Parteifreundes: „New York war eine bittere Sache.

Man spürt dort —- und man läßt es uns spüren – daß wir wieder das Argernis der Welt geworden sind.“ 57 Alle Hoffnungen Schmids richteten sich auf de Gaulle. Er schien der einzige zu sein, dem es gelingen konnte, die deutsche Frage im Osten wieder ins Gespräch zu bringen. Schmid kam die Idee, einen Versuchsballon zu starten. Im März gab er dem Korrespondenten der französischen Monatszeitschrift „Realites“ Gilles Anouil ein Interview, in dem er insbesondere auf die außenpolitischen Perspektiven der SPD zu sprechen kam. „Es sei sicher, daß eine sozialistische Regierung künftig Botschafter in Warschau, Prag, Budapest haben werde.“ Was die Wiedervereinigung anbeträfe, teile er „mit einigen Abänderungen den Standpunkt General de Gaulles“, daß sie nur „im Rahmen eines allgemeinen Abkommens in Europa zu verwirklichen“ sei, wobei er hinzufügen wolle, daß auch die Staaten außerhalb Europas in dieses Abkommen miteinbezogen werden müßten. Den Sicherheitsinteressen der europäischen Nachbarstaaten müsse durch ein System kollektiver Sicherheit Rechnung getragen werden’®. Natürlich wollte der Korrespondent wissen, auf welchem Weg Schmid dieses System kollektiver Sicherheit zu erreichen glaubte. Schmid war um eine Antwort nicht verlegen: „Auf militärischer Ebene denke ich an eine Zone der Art, wie sie vom polnischen Minister Rapacki vorgeschlagen wird, in der die Rüstungen in vernünftiger Weise beschränkt werden, und zwar nicht nur prozentual, entsprechend der jetzigen Rüstungsstärke eines Landes, sondern in absoluten Zahlen.“ „Auf politischer Ebene würde das wiedervereinigte Deutschland, ebenso wie beispielsweise Polen und die Tschechoslowakei, einem Block angehören, der weder westlich noch östlich, sondern neutral wäre. Es handelt sich nicht um einen schmählichen, faulen oder egoistischen Neutralismus. Ich denke beispielsweise an Schweden oder die Schweiz, die in einem strikten militärischen Sinn neutral sind, jedoch nicht in ihren Überzeugungen.“ 5° * Schmid redete de Gaulle nach dem Mund, denn er wollte den französischen Staatspräsidenten dazu veranlassen, der Bundesrepublik ein konkretes Angebot für eine gemeinsame osteuropapolitische Initiative zu machen‘, Kurz nach dem Interview begab er sich zur Kur auf die Bühlerhöhe,“ wo er wieder einmal ein „medizinisches Ritual“ über sich ergehen lassen mußte, damit sein überhöhter Blutdruck sich wieder normalisierte°‘. Anouil übersandte ihm eine Zusammenfassung des Interviews, mit der er im großen und ganzen einverstanden war. Einige Ergänzungen brachte er noch an und einige Stellen schwächte er etwas ab”. Würde der Versuchsballon aufgehen? Schmid stand der Politik de Gaulles keineswegs völlig distanzlos und unkritisch gegenüber. Bereits in dem Interview mit Anouil hatte er unterstrichen, daß die militärische Sicherheit in Europa nur durch die Amerikaner gewährleistet werden könne. In einem Anfang Mai in der Münchener „Abendzeitung“ veröffentlichten Artikel kritisierte er die antiamerikanische Haltung des französischen Staatschefs scharf und betonte ausdrücklich, daß die Bundesrepublik keine Deutschlandpolitik ohne Unterstützung der USA treiben könne”. Aber wenn man etwas erreichen wollte, mußte man dem anderen erst einmal einen großen Schritt entgegenkommen. Als das Interview Anfang Juni in der Zeitschrift „Realites“ veröffentlicht wurde, hagelte es Kritik von allen Seiten. Als „Objekt einer Art von neuer Spiegel-Affäre“ sei er sich vorgekommen, schrieb Schmid 10 Jahre später in einem ersten Entwurf seiner Erinnerungen. Man habe ihn zwar nicht des militärischen, aber doch des politischen Landesverrats bezichtigt°*. Das war übertrieben. Gar so heftig war die öffentliche Reaktion nun doch nicht. Der Vorwurf, daß er sich dem östlichen Neutralitätskurs angenähert habe, wurde ihm aber tatsächlich allenthalben entgegengeschleudert‘ S. Es war auch nicht besonders klug von Schmid gewesen, den höchst umstrittenen Begriff der Neutralität wieder in die Diskussion zu bringen. Die SPD rückte von ihm ab“. Wehner erklärte gegenüber dem „Spiegel“ bissig: „Es ist das Schicksal der SPD, sich mit solchen geistigen Potenzen abfinden zu müssen.“°” Den Krach zwischen Wehner und Schmid kann man sich ausmalen. Schmid blieb nichts anderes übrig, als die inkriminierten Passagen des Interviews zu dementieren. Das Interview sei „stilisiert“ worden®®. Mag sein, daß Anouil die Abschwächungen Schmids nicht berücksichtigt hatte. An seinen grundsätzlichen Überlegungen hielt er fest. Auch in seinem Dementi unterstrich er, daß ein wiedervereinigtes Deutschland ebenso wie seine Nachbarn vertragliche Verpflichtungen auf sich nehmen müßten, keinem Militärblock beizutreten. „Dabei könnte man auf einige Gedanken Rapackis zurückkommen.“ % Kurz vor der Wahl ließ er das Thema erst einmal ruhen. Die Partei war vorerst nicht gewillt, seiner Linie zu folgen. Brandt war der einzige in der SPD, der sich um eine Kontaktaufnahme zu dem französischen Staatspräsidenten bemühte. Am 2. Juni stattete er de Gaulle in Paris einen Besuch ab, bei dem er den französischen Staatschef wissen ließ, daß einer SPD geführten Regierung an einem engeren Verhältnis zu Paris gelegen war. Auch Brandt dachte dabei in erster Linie an eine gemeinsame Ostpolitik”°. Als Regierender Bürgermeister Berlins konnte Brandt leichter politische Fäden knüpfen als Schmid, der mit den politisch Verantwortlichen Europas nur als Präsident der Westeuropäischen Union in Kontakt kam. De Gaulle freilich ließ sich dort niemals sehen. Schmid versuchte mittels Presse und Interviews Politik zu machen, konnte damit aber keinen außenpolitischen Kurswechsel einleiten. In den Parteigremien wogen seine Statements wenig. Er sagte im Parteivorstand und der Fraktion kaum mehr etwas. Schmids Aufsehen erregendes Interview schlug nicht nur in der Bundespolitik hohe Wellen, sondern auch in Bayern. Zu Beginn des Inter

Die beiden Alten. Schmid und Konrad Adenauer
views war Schmid gefragt worden, ob Strauß denn nicht ein gefährlicher Mann sei, ein „Stier“ vor dessen „Hornstößen“ sich die Welt zu fürchten habe. Schmid winkte ab. Strauß sei ein „Marseiller“, der seinern kleinbürgerlichen bayrischen Publikum gefallen wolle. In Württemberg gebe es eine Redensart, die laute: „Hinter Ulm fängt der Balkan an.“’‘ Hans- Jochen Vogel fand Schmids Apergu über Strauß überhaupt nicht witzig. Er war der Meinung, daß Schmid mit seinen unbedachten Äußerungen den Wahlchancen der SPD in Bayern geschadet habe und sandte Schmid einen entrüsteten Brief’”. Schmid bat um „Sinn für Humor“ und stellte es den bayrischen Genossen frei, sich von ihm zu distanzieren”3. Er hatte schon Schlimmeres ertragen müssen. Außerdem hielt Schmid überhaupt nichts davon, Strauß zum b£te noir der Bonner Politik zu machen, weil man ihn damit nur über Gebühr aufwertete”*,. Und schließlich verstand er sich mit Strauß privatim recht gut. War doch der Bayer wie er selbst ein Freund der Grande Cuisine. Seit kurzem konnte man ihn zusammen mit Strauß und dem CSU-Abgeordneten Kempfler in exquisiten Bonner Lokalen schlemmen sehen’”5. Natürlich waren beide Seiten darauf bedacht, daß diese gemeinsamen Gourmetfreuden geheim blieben. Im Gegensatz zu den meisten seiner Parteifreunde sah Schmid keinen Grund, eine schwarz-rote Koalition abzulehnen, wenn Strauß dort einen Ministerposten erhalten sollte. Wenn er in der Öffentlichkeit gefragt wurde, ob er sich mit Strauß an einen Kabinettstisch setzen werde, zog er sich auf die französische Maxime „man solle nie niemals sagen“ zurück”® . Trotz seiner Unzufriedenheit mit dem außenpolitischen Kurs der SPD unterstützte er die Bemühungen Wehners und Erlers, die Weichen für eine Große Koalition zu stellen. 1964 gehörte er zu den entschiedenen Befürwortern einer Wiederwahl Lübkes zum Bundespräsidenten. Daß zahlreiche Sozialdemokraten sich dafür aussprachen, ihn als Gegenkandidaten zu Lübke zu nominieren, erfreute ihn gar nicht”. Damit konnte man bestenfalls erreichen, daß die CDU den farblosen Lübke durch den ebenso farblosen Krone ersetzte”®. Sein Wunschkandidat war. Gerstenmaier, der aber zu einer Kandidatur nicht zu bewegen war”®. Er jedenfalls hatte keine Lust, wieder den Zählkandidaten zu spielen, und möglicherweise wieder einer böswilligen Flüsterpropaganda ausgesetzt zu werden. So war er froh, daß die SPD sich für die Wiederwahl Lübkes entschied, was allenthalben als eine Entscheidung für eine Große Koalition interpretiert wurde. Was den Wahlausgang anging, war er diesmal optimistisch. Er rechnete mit mindestens 42 bis 43% der Stimmen für die SPD$°. Die CDU/CSU würde dann vermutlich gezwungen sein, ein Große Koalition unter einem sozialdemokratischen Kanzler einzugehen. Nicht nur aus „Parteipatriotismus“ votierte er so entschieden für einen Regierungswechsel. Er stand nicht allein mit der Auffassung, daß die alten Kräfte „restlos verbraucht“ seien®‘. Das politische Geschick der Bonner Republik durfte nicht mehr länger in den Händen des jetzigen Bundeskanzlers liegen, der auf allen Gebieten der Außenpolitik versagt hatte. Schmid fand die politische Führungslosigkeit, die der Bundesrepublik im Ausland viel Kredit kostete, einfach „schauderhaft“ °?, Adenauer erstrahlte plötzlich in viel hellerem Licht. Zum 89. Geburtstag würdigte Schmid den Jubilar mit den Worten: „Mag er manchmal verkehrt regiert haben, (…) so hat er doch wenigstens regiert! Was einem mangelt, wenn der Regierung die straffe Führungshand fehlt, spüren wir seit einiger Zeit jede Woche neu …“®3. Als Schmid ein Jahr später dem Alten mit ähnlichen Worten im Bundeshaus zum 90. Geburtstag gratulierte, dankte ihm dieser in einem Handschreiben mit gestochen scharfer Schrift: „Solche Worte von Ihnen in diesem Saale gesprochen, bedeuten mir sehr viel.“°* Die beiden ungleichen Männer waren sich stets mit großer Wertschätzung begegnet. Schmid hatte in der zweiten Hälfte der soer Jahre die Außenpolitik Adenauers hart bekämpft, aber er bewunderte den Staatsmann Adenauer, insbesondere dessen untrüglichen Machtinstinkt, der Erhard abging, vielleicht in manchen Situationen auch dem Bonner Politiker Carlo Schmid, der es nicht vermocht hatte, die Wegmarken der sozialdemokratischen Außenpolitik zu setzen. Ein distanziertes Verhältnis zur Macht wie Erhard hatte er aber nicht. Vor dem Wahlkampf graute ihm wie immer. War der Wahlkampf wirklich so entscheidend wie die Wahlkampfstrategen aller Parteien glaubten? Er hätte ihn am liebsten abgeschafft: „Wenn die Parteien klug wären, würden sie ein Übereinkommen schließen, in dem sie sich verpflichteten, keinen Wahlkampf zu führen. Das Resultat bei der Wahl wird eh nicht anders durch die Redereien, die den Leuten allmählich zum Halse heraushängen.“° 5 Dann zog er doch wieder landauf, landab als Wahlredner durch die Gegend. Wissenschaft und Bildung sind das „Brot von morgen“. Als Wissenschaftsminister in spe stellte er Fragen der Bildung, Ausbildung und Forschung ins Zentrum seiner Wahlwerbung. Um die Wähler nicht zu verprellen, unterließ er es, auf eine strengere Lernzucht zu insistieren, Aufstieg durch Bildung war eine Parole, die ankam”. In der Außen- und Deutschlandpolitik, die ihm nicht weniger als die Bildungspolitik am Herzen lag, erging er sich in Allgemeinplätzen, um nicht wieder Kontroversen vom Zaun zu brechen. Sie gehörte ja auch nicht zu seinem Ressort. Er hatte sich den Wählern als zukünftiger Minister für wissenschaftliche Forschung in einer sozialdemokratisch geführten Regierung zu präsentieren. Die Wähler entschieden sich anders, als er gehofft hatte. Die SPD gewann nur 39,6% der Stimmen. Für die Mehrheit der Bundesbürger war Erhard noch immer der Vater des Wirtschaftswunders. CDU/CSU kamen zusammen auf einen Stimmenanteil von 47,6 %. Ein persönlicher Triumph

blieb Schmid. Mehr als die Hälfte aller Mannheimer (52,8%) hatten ihm ihre Erststimme gegeben””. Er verbarg seinen Stolz nicht, meinte sogar im ersten Überschwang, daß das Wahlergebnis ein Anzeichen dafür sei, „daß die Wähler immer mehr nach der Person schauen und sich nicht mehr so sehr wie bisher von den Produkten der Manager beeinflussen lassen.“° ° Die Enttäuschung über das bundesweite Abschneiden der SPD verdrängte freilich schon schnell den Stolz auf den großen Vertrauensbeweis, dem ihm die Mannheimer entgegengebracht hatten. Als einen Tag nach der Wahl das Parteipräsidium sich über die zukünftige Strategie der SPD Gedanken machte, riet er, „in der Parlamentsarbeit in Zukunft sehr offensiv zu werden“ °®. Wenn man sich beinahe selbst verleugnete, war man für den Wähler keine attraktive Alternative. Durch das Wahlergebnis sah sich Schmid in seiner Skepsis gegenüber der Wehnerschen Umarmungsstrategie bestätigt. Er selbst wollte sich nicht mehr exponieren. Er hielt nun endgültig die Zeit für gekommen, um sich ins zweite, vielleicht sogar dritte Glied zurückzuziehen. Bei den nächsten Wahlen in vier Jahren war er 73. Er hatte sein politisches Können und seine Kraft in der Opposition verbraucht. Mitte Oktober gab er im Parteipräsidium bekannt, daß er nicht mehr für den stellvertretenden Fraktionsvorsitz kandidieren werde”. Dem Fraktionsvorstand gehörte er als Bundestagsvizepräsident weiter an. Seine Kräfte ließen nach. Die chronische Schlaflosigkeit wurde immer schlimmer, so daß er manchmal in Sitzungen des Parteivorstandes und der Fraktion einschlief. Wenn er aufwachte, konnte er zum Erstaunen der anderen trotzdem mit kenntnisreichen Beiträgen die Diskussion bereichern?!. Es kam jetzt auch schon mal vor, daß er sich seine Reden schreiben ließ. Seit 1965 hatte er einen Assistenten, der ihm ein Gutteil der Bundestagspost abnahm. Verabschieden von der Politik wollte er sich nicht. Er, der Musensohn, konnte sich mittlerweile ein Leben ohne Politik gar nicht mehr vorstellen. Wenn er sich im Urlaub oder der Kur befand, bekam er jetzt sogar manchmal „Heimweh nach Bonn“ ?. Als Präsident der Westeuropäischen Union war er weiterhin in das außenpolitische Geschehen eingespannt. 1966 reiste er nach Norwegen und Schweden, wo er sich darum bemühte, eine Brücke zwischen der EWG und den skandinavischen Ländern zu schlagen??. In der Deutschlandpolitik riß Anfang 1966 Wehner das Gesetz des Handelns an sich. Er setzte in Partei und Fraktion durch, daß entgegen der bisherigen Praxis ein Offener Brief, den die SED am 7. Februar an die SPD gerichtet hatte, beantwortet wurde. In mehreren Briefen und technischen Vorverhandlungen wurde ein Redneraustausch zwischen SED und SPD vereinbart. Carlo Schmid hatte von Anfang an große Bedenken gegen dieses Unternehmen. Am 17. Februar äußerte er gegenüber einem Journalisten des ZDE, daß er keine „beachtlichen Veränderungen in der Neigung Pankows, in substantielle Besprechungen einzutreten“, erkennen könne. Die SPD habe immer „klipp und klar“ gesagt, daß die SED für sie kein Gesprächspartner sei, denn mit einer ganz und gar stalinistischen Partei könne man nicht verhandeln?*. An einen Wandel durch Annäherung glaubte Schmid nicht: „Jene, die glauben, man könne totalitäre Regime auf die Dauer überlisten, haben sich bisher immer geirrt.“?S Als die Entscheidung für den Redneraustausch gefallen war, insistierte er darauf, daß bei den Treffen alles gesagt werden dürfe und müsse”. Vermutlich war er erleichtert, als die SED am 29. Juni den geplanten Redneraustausch absagte?”. Es war nicht die Furcht vor einer De-facto-Anerkennung der DDR, die ihn umtrieb, sondern vor einer Verwischung der Gegensätze zwischen SPD und SED. Gegen Kontakte mit Stellen der DDR hatte er überhaupt nichts einzuwenden, wenn dadurch das Leben der Menschen jenseits der Mauer erleichtert wurde. Im Juni erklärte er auf dem SPD-Parteitag in Dortmund: „Es gibt Situationen, in denen das Optimum, das hier und jetzt, nicht morgen und übermorgen, aber hier und jetzt erreicht werden kann, der Status quo ist. Den kann man unter Umständen auch ohne ganz große entscheidende Schritte verbessern; zumal indem man versucht, mit der anderen Seite einen Modus vivendi zu vereinbaren. Das kann mit kleinen Dingen beginnen. Das sind aber Dinge, bei denen man im Praktischen recht weit gehen kann. Hier mache ich mir eine Formulierung von Helmut Schmidt zu eigen: Man kann bis hart an die Schwelle der Anerkennung gehen. Was Anerkennung ist, bestimmen letztlich (…) wir selber und auch die Erlaubnis, anderen zu sagen, den und den Akt interpretieren wir als Anerkennung. Anerkennen ist nicht eine Sache der reinen Aktion, ist eine Sache des Anerkennenwollens. Und das werden wir nicht tun.“ °° Die sogenannte salvatorische Klausel erlaubte den Verkehr mit Stellen der DDR, ohne sie ausdrücklich anzuerkennen. Freilich, das war ein System der Aushilfen. Die Wiedervereinigung setz- ‚ teeinen Prozeß der Entspannung und der weltpolitischen Umschichtung voraus. Hierüber waren sich Carlo Schmid und Helmut Schmidt, der auf dem Dortmunder Parteitag das programmatische Referat zur Aufßen- und Deutschlandpolitik hielt, einig. Carlo Schmid war Berichterstatter der Arbeitsgemeinschaft B, die die von Helmut Schmidt entwickelten Leitlinien in einer Parteitagsresolution zusammenfaßte. Daß Carlo Schmid die Berichterstattung übernommen hatte, war kein Zufall. Er fühlte sich als Mentor Helmut Schmidts’, dessen politisches Talent er schon früh erkannt hatte. Als er 1962 von der Bilderbergkonferenz gebeten wurde, ein neues Mitglied vorzuschlagen, fiel ihm nach einer längeren Klage über die „gesichtslose Zeit“, in der man lebte, nur ein Name ein: Helmut Schmidt. „Er ist ein unbequemer Mann, aber seine Provokationen regen ungemein an und zwingen oft, einige Schichten tiefer zu pflügen, als man es vorhatte.“!° Helmut Schmidt war der von Wehner und Erler ausgegebenen Marschroute nicht kritiklos gefolgt. Im Bundestag hatte er bereits Ende 1965 eine Revision der Sicherheitspolitik der SPD einzuleiten versucht’°“. Sein Grundsatzreferat auf dem Dortmunder Parteitag leitete eine neue Phase der Deutschland- und Ostpolitik der SPD ein’””. In einigen seiner Thesen knüpfte er an Vorstellungen an, die Carlo Schmid in den soer Jahren entwickelt und in den 6oer Jahren weitergedacht hatte. Das nukieare Patt hatte Schmidts Analyse zufolge den politischen Handlungsspielraum auf den Feldern Osteuropa- und Sicherheitspolitik erweitert, der ausgenutzt werden mußte. Die deutsche Wiedervereinigung verlange „Opfer“, „die sich auf die Gestaltung der Grenzen des wiedervereinigten Landes, auf seinen militärischen Status im Verhältnis zu seinen Nachbarn und innerhalb des Sicherheitssystems Europas insgesamt sowie auf ökonomische Fragen innen- und außenpolitischer Kategorien beziehen.“ ‚” Die Rapacki- und Gomulka-Vorschläge müßten noch einmal zur Diskussion gestellt werden, denn „ohne kollektive Sicherheit über den Eisernen Vorhang hinweg“ sei eine „Wiederherstellung Europas nicht dauerhaft möglich’“% Eine Normalisierung der Beziehungen der Bundesrepublik zu Osteuropa sei nur durch eine Weiterentwicklung der Rüstungsbegrenzung und -kontrolle auf der Basis eines militärischen Gleichgewichts zu erreichen. Alle unterhalb der Anerkennungsschwelle liegenden Möglichkeiten zur Verbesserung der innerdeutschen Situation müßten geprüft werden. In „aller Bescheidenheit“ wies Carlo Schmid darauf hin, daß sozialdemokratische Redner u.a. auch er in den soer Jahren schon ähnliche Vorschläge gemacht hatten’”. Insgeheim mag es ihn schon etwas verbittert haben, daß Helmut Schmidt Beifall erhielt, wofür er ein Jahr zuvor noch Prügel bezogen hatte. Zugegeben: Er hatte in seinem Interview mißverständliche Formulierungen benutzt. Doch allein schon die Erwähnung des Rapacki-Plans hatte im Frühjahr 1965 noch wie ein Reizwort gewirkt. Nichtsdestotrotz setzte er sich nun mit dem ganzen Gewicht seiner Person dafür ein, daß die Schmidtschen Thesen in die deutschlandpolitische Entschließung des Parteitages aufgenommen wurden. Jetzt hatte er die SPD auf dem Gebiet der Außen- und Deutschlandpolitik wieder da, wo er sie haben wollte, wenngleich der Ruhm nicht ihm zufiel. Sei’s drum. Er focht mit Verve für das neue, von ihm schon lang vertretene Konzept. Im September wiederholte er in der Beratenden Versammlung des Europarates seine schon häufig geäußerte Auffassung, daß die Aufhebung der Spaltung Deutschlands unzertrennbar mit der Aufhebung der Spaltung Europas verbunden sei. De Gaulle dankte er dafür, „daß er einen Weg gewiesen hat(te), auf dem Völker, auch nach einer schrecklichen Geschichte, in Ehren – in Ehren! zueinander finden können“ !%, Die SPD avancierte zum deutschland- und ostpolitischen Hoffnungsträger, während die Bundesregierung die Bremserrolle spielte. Sie war durch die Offensive der SPD in die Defensive gedrängt worden. Das Ende der Regierung Erhard kam schneller als erwartet, wenngleich sich die Zerfallserscheinungen schon lange abzeichneten. Schmid hatte recht gehabt: die alten Kräfte waren „restlos verbraucht“. Auch in der Bevölkerung setzte nun ein radikaler Stimmungswandel gegen die Regierung ein. Der Streit um die Deckung des Haushaltsdefizits war nur der äußere Anlaß für den Bruch der Koalition. In der SPD war es umstritten, ob man eine Kleine Koalition mit der FDP oder eine Große Koalition mit der CDU/CSU eingehen sollte. Schmid hatte vor geraumer Zeit einmal mit Dehler die Möglichkeit eines rot-gelben Bündnisses erörtert, hatte den Gedanken aber sehr schnell fallen lassen, als Wehner sich völlig desinteressiert an einer Koalition mit den Freien Demokraten zeigte‘?”. Es war wohl auch nur ein Gedankenspiel zweier Freunde gewesen, die gern zusammen am Kabinettstisch gesessen hätten. Die ganzen Jahre über war Schmid einer der entschiedensten Befürworter einer Großen Koalition gewesen. Bei den Parteifreunden stand er im Verdacht heimlich mit der CDU zu sympathisieren, so daß er in der entscheidenden Nachtsitzung der SPD-Fraktion am 26./27. November 1966 sein Votum für eine Große Koalition mit den Worten begann: „Ich bin für die große Lösung, und zwar nicht etwa, weil mir die Union etwa sympathisch wäre.“ ‚%® Es war schon nach Mitternacht, als er nach einer hitzig geführten Debatte als einer der letzten Redner in der Fraktion seine Entscheidung für die Große Koalition begründete: „Wir brauchen eine starke Regierung in Bonn. Dazu ist die FDP nicht stark genug. Ich glaube, daß wir mit der Union eine gute Chance haben, unter der Voraussetzung, daß wir auch hier genügend Selbstbewußtsein aufbringen. Wenn wir die Große Koalition ablehnen, so wird die FDP in den kommenden Jahren täglich höhere Forderungen stellen. Außerdem wird sie nie ihre latente ‚ Bereitschaft zur Rückkehr in die alte Koalition verlieren.’“° Auch bei Schmid stand die FDP im Verdacht, eine Pendlerpartei zu sein. Im übrigen rieb er sich nicht wie die meisten Fraktionsmitglieder daran, daß Strauß einen Ministerposten bekommen sollte. Daher gab es für ihn keinerlei Hindernisse, die der Bildung einer Großen Koalition im Wege standen. – Über die Sachfragen hatte man sich weitgehend geeinigt. Das erschien ihm am wichtigsten“°. Am Koalitionsschacher um die Ministerämter war er nicht beteiligt. Er mußte damit rechnen, leer auszugehen, und hatte sich wohl innerlich auch schon fast damit abgefunden. Am Vormittag des 30. November erfuhr er, daß die Parteifreunde ihn ohne sein Wissen auf die Ministerliste gesetzt hatten.