»Die Leute wollen solche Bilder«
Warum band sich Konrad Adenauer im Alter von über 80 Jahren eine Kochschürze um und warf vor der Kamera Pfannekuchen in die Luft?
Warum spielt Horst Seehofer im Hobbykeller seines Hauses mit der Elektroeisenbahn? Warum zeigt uns Frank-Walter Steinmeier seine Jugendfotos und führt uns mit seiner Frau durch den gemeinsamen Garten?
Warum posiert Karl-Theodor zu Guttenberg als Top-Gun Pin-up in Olivgrün oder lässt sich in einem Berliner Park von seiner Gattin anhimmeln? Und warum lässt Eva Köhler uns alle in ihr privates Fotoalbum schauen, obwohl wir nur lernen, dass ihr Mann, der gewesene Bundespräsident, auch mit Anfang 30 schon so linkisch wirkte wie in den acht Minuten, in denen er seinen Rücktritt erklärte?
Wohlgemerkt: Sie alle und die vielen anderen Politpromis müssen das nicht tun. Niemand kann sie zu Homestories oder anderen Posen zwingen.
Trotzdem, so antworten Politiker fast unisono: »Die Leute wollen solche Bilder sehen.« Das stimmt. Die Leute sind neugierig. So wie sie aus reiner Neugier wissen wollen, wie es bei Brad Pitt und Angelina Jolie im Kinder- oder Wohnzimmer aussieht, so wollen sie auch wissen, wie ihre Politpromis daheim so leben, welche Farbe das Sofa hat und wo der Fernseher steht.
Diese Neugier zu befriedigen, gehört immer öfter zu einer fast totalen Verfügbarkeit, mit der zumal prominentere Politiker zu leben (gelernt) haben. Und natürlich stehen inzwischen alle Zeitungen und Magazine der Republik bereit, diese Homestories und andere glamourös inszenierte Auftritte opulent bebildert auch zu drucken. Nicht umsonst ziert das funkelnde Traumpaar der Massen, die zu Guttenbergs, die Covers von Spiegel, Stern, Bild und immer wieder der Bunten. Reagierten die Leser darauf mit Kauftstreik, würde kein Blatt die Geschichten bringen. Zur ganzen Wahrheit gehört übrigens auch, dass über diese Art Fotoproduktionen die (Selbst-) Darsteller eine weitaus umfassendere Kontrolle ausüben können als über die Verwendung ihrer Worte, Zitatfetzen oder ausgeklügelte Argumentationen. Auch das macht den Reiz an solchen Auftritten aus, wenngleich nicht den entscheidenden. Kurzum: Die
vordergründige Motivlage von süßlicher Selbstdarstellung im privaten Kreis ist klar – es geht um die Sympathie des Publikums.
Aber: Stimmt auch, was ein Mitglied des CDU-Präsidiums über das Fernsehduell Merkel – Schröder 2005 sagt? »Der einzige Satz, der im TV- Duell bei den Leuten hängen geblieben ist, war Schröders: ›Ich liebe meine Frau.‹ Das wollen die Leute doch wissen …« Was steckt politisch dahinter, wenn die Politiker aus guten Gründen glauben, mit der fotogerechten Inszenierung einer heilen (Familien-)Welt bei Wählern massenhaft punkten zu können?
Mit Politikern darüber offen zu reden, ist nicht leicht. Frage: Warum überhaupt Homestories? Die erste Antwort, ein Ausweichmanöver, reimt sich meist auf den Satz: »Aber ihr Journalisten wollt das doch so haben!« Das geht am Punkt vorbei, denn Journalisten würden ein zerwühltes Bett oder eine unaufgeräumte Küche in der Wohnung des Spitzenpolitikers X mindestens so gerne zeigen wie das vorbildlich bis unbeholfen spießig eingerichtete Wohnzimmer von Edmund Stoiber. Also Nachfrage: Warum muss es immer heile Welt sein? Antwort: »Die Leute wollen ihre Politiker auch mal als ganz normale Menschen sehen.« Das kommt dem springenden Punkt schon näher, wenn auch unfreiwillig. Denn ein Politiker-Privatleben ist in Wahrheit das glatte Gegenteil der Norm, alles andere als »normal«.
Mitleid tut hier nichts zu Sache, aber das Privatleben eines Bundespolitikers der ersten oder zweiten Reihe wird zerrieben zwischen Terminen und Telefonaten, hin- und hergerissen zwischen (noch einem) Wahlkreisauftritt oder einfach einmal acht Stunden am Stück Ausschlafen. Ohne jemals unter irgendein Wohnzimmersofa oder Schlafzimmerbett gekrochen zu sein, lässt sich behaupten: Das Privat- und Familienleben eines Politikers hat so gut wie nichts von Rosamunde Pilcher. Die Ehefrauen sind de facto alleinerziehende Mütter, und der Herr Vater kommt ganz schön rum. Auf den Fotos fürs liebe Publikum jedoch, da muss es das puderzuckersüße Familienidyll sein. Selbst Grünen-Chef Cem Özdemir lässt sich mit Baby auf dem Arm und schmelzend blickender Gefährtin kunstgerecht fotografieren. Grünen-affin unter dem Stichwort »moderner Vater nimmt Vater-Auszeit«, versteht sich.
Wie und wo sich ein Politiker privat-familiär darstellt, sagt eine Menge darüber, was er von denen denkt, für die er sich inszeniert. Es offenbart die Unterstellung, die Wähler seien in hinreichend großer Zahl irgendwie doch harmoniesüchtige Romantiker, wünschten sich selbst in eine heile Welt
zurück, die an die 50er in Deutschland erinnert, nicht aber an die Patchwork-Familien-Alleinerziehenden-Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts, wo jedes glückliche Ehepaar mindestens zwei andere kennt, die sich gerade scheiden lassen. Hinter der Inszenierung von Kaminfeuer und Hausmusik mit den frisch gescheitelten Kleinen steckt die Annahme, ein guter Teil der Deutschen wolle in seinen Politikerinnen und Politikern eben auch den perfekten Vater, die perfekte Ehefrau sehen – am liebsten so perfekt gestylt wie die zu Guttenbergs. Zugespitzt: Obwohl jeder Wähler aus eigener Erfahrung die Inszenierung durchschauen könnte, versprechen sich Politiker aller Couleur von einer rosarot angepinselten Pseudowelt mehr Glaubwürdigkeit für die eigene politische Person und Position als von einer Selbstdarstellung inmitten einer privaten Realität, wie sie ein großer Teil der Wähler selber erlebt. Und diese Glaubwürdigkeit zählt. Sie wird für Politiker die letzte harte Währung beim Wähler, wenn sachpolitische Antworten immer komplizierter werden. Es ist nur noch ein kleiner Schritt dahin, die Rosamunde-Pilcher-Facette im Bild der Politiker von den Bürgern in den nächstgrößeren Zusammenhang zu stellen. Und der heißt: »Die Leute wollen ja ein bisschen betrogen werden.« Das sagen ziemlich viele Politiker nämlich auch. Und man muss ihnen lassen, dass sie damit vermutlich recht haben.
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