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Wischnu und der Dämon Hiranyakaschipu

Wischnu und der Dämon Hiranyakaschipu (Teil I – Teil VII)

Nicht allein als Tier erscheint Wischnu auf der Erde – auch andere Gestalten nimmt er zuweilen an.

In einer seiner Herabkünfte hatte er einst einen Dämon namens Hiranyakscha getötet. Der war zuvor Pförtner in seinem Palast gewesen aber von einigen Einsiedlern verflucht worden die er nicht zu Wischnu in den Palast einlassen wollte. So wurde Hiranyakscha später als Dämon wiedergeboren bis Wischnu ihn tötete.

Das kam so. Wieder einmal nahm Wischnu im Anbeginn eines neuen Weltzeitalters die Neuschaffung der Welt vor und indem er die Erde auf dem Grunde des Wassers wahrnahm hob er sie in der Gestalt eines riesigen Ebers mit seinen beiden mächtigen Hauern aus dem Meere herauf. Hiranyakscha beobachtete dies und versuchte Wischnu zu hindern denn er erhob Anspruch auf die Erde. Er forderte Wischnu heraus es entbrannte ein fürchterlicher Kampf und zuletzt wurde Hiranyakscha von Wischnu überwältigt und getötet.

Hiranyakscha hatte einen Bruder mit Namen Hiranyakaschipu. Als dieser sah wie sein Bruder von Wischnu getötet wurde packten ihn tiefer Schmerz und großer Zorn. Außer sich vor Wut sprach er zu den versammelten Dämonen:
‚Hört meine Worte! Mein geliebter Bruder Hiranyakscha ist durch die Listen niedriger Gegner umgekommen aber ich werde seinen Tod rächen. Dem Unbarmherzigen der in der Gestalt eines Ebers meinen Bruder täuschte und mordete werde ich mit meinem Speer die Kehle durchbohren! Wenn dieser Kerl vernichtet ist werden die Bewohner des Himmels die ihm ihr Dasein danken zugrunde gehen gleichwie die Äste des Baumes absterben dessen Wurzeln man abschnitt. So begebt euch nun auf die Erde hinunter und tötet alle die ihm opfern die den Veda lesen sich Kasteiungen auferlegen fromm sind gute Taten verrichten und Almosen spenden. Auf Wischnu fußen sie alle er ist die Zuflucht aller Götter und Menschen. Deshalb ziehet hin und vernichtet und zerstört was euch in den Weg kommt!‘

Da eilten alle Dämonen auf die Erde und verwüsteten mit Feuer und Schwert Arglist und Bosheit Hauptstädte Städte Dörfer und Gehöfte Parkanlagen Obstgüter bebaute Felder Gärten Einsiedeleien Wohnungen von Bauern und Hirten. Einige zerstörten die Straßen Wälle und Tore der Städte andere hieben die Bäume um wieder andere steckten mit brennenden Fackeln die Häuser der Menschen an. Indessen unterzog sich Hiranyakaschipu in einem Tal des Mandaragebirgs den schwersten Kasteiungen. Die Arme hoch emporgestreckt die Augen gen Himmel gerichtet die Erde nur mit einer großen Zehe berührend – so stand der Herr der Dämonen da und bewegte sich nicht.

Aus seinem dichten Haarschopf erhob sich ein Leuchten dem Strahlen der Sonne zur Zeit der Vernichtung der Welten vergleichbar. Angefacht durch die Härte seiner Kasteiungen loderte aus seinem Haupte ein großes Feuer das sich nach allen Richtungen in die Höhe und in die Tiefe verbreitete und die Welten in Brand setzte. Flüsse und Meere gerieten in Aufruhr die Erde und die Berge erbebten und Sterne und Planeten stürzten vom Himmel herab.

Der Brand vertrieb die Götter aus dem Himmel sie zogen sich in die Welt Brahmas zurück und riefen den Schöpfer um Hilfe an. Auf ihre Bitte begab sich Brahma in die Klause Hiranyakaschipus. Anfangs bemerkte er den Dämon nicht da sein Körper dessen Haut Fleisch Mark und Blut die Ameisen verzehrt hatten unter einem Haufen Erde Gras und Rohr verborgen lag. Als er aber den Einsiedler entdeckt hatte rief er lachend:
‚Steh auf! Möge das Glück dir hold sein! Deine Bußübungen waren nicht umsonst! Ich bin gekommen dir eine Gnade zu gewähren! Wähle dir eine aus! Kein Weiser der Vorzeit hat je eine solche Buße wie du auf sich genommen; kein Heiliger der Zukunft wird es dir darin gleichtun. Wer wäre auch imstande auf Wasser verzichtend sein Leben über hundert Götterjahre zu fristen! Darum werde ich dir Führer der Dämonen zu deinem Heil jedweden Wunsch erfüllen!

Bei diesen Worten besprengte der Erstgeborene der Götter den von den Ameisen verzehrten Leib mit göttlichem Wasser das er in einem Gefäß mit sich führte. Alsogleich kam der Einsiedler im Besitz aller seiner Glieder aus dem Erdhaufen hervor verjüngt voller Kraft glänzend wie Gold das im Feuer geglüht wird und leuchtend wie die Sonne. Als er Brahma erblickte der auf seinem Schwan vom Himmel herniedergefahren war freute er sich und sprach:

‚Wenn du Mildtätigstes aller Wesen mir eine Gunst gewähren willst die ich begehre so gib daß ich von keinem der Wesen die du geschaffen den Tod erleide weder innerhalb noch außerhalb meiner Wohnung weder bei Tage noch bei Nacht weder auf der Erde noch im Himmel; gib daß mich der Tod weder durch die Menschen noch durch die Tiere noch durch irgendein anderes Geschöpf noch durch irgendeine Waffe trifft; gib daß ich im Kampfe unüberwindlich und unumschränkter Herrscher über alle Wesen werde!‘

Auf solche Weise empfing Hiranyakaschipu Gaben die sonst nur schwer zu erwerben sind.

Nachdem er sie aber einmal erlangt hatte ließ er seinem Haß gegen Wischnu freien Lauf. Er eroberte die drei Welten unterjochte die Götter Menschen und Dämonen warf sich zum Herrn des Himmels auf und zog in Indras Palast ein dem vollkommene Glückseligkeit eignet und der in allem Schönen prangt das die drei Welten besitzen. Dort ist der Boden aus Smaragd die Treppen sind aus Korallen die Mauern aus Kristall die Säulen aus Lapislazuli die Dächer leuchten in verschiedenen Farben die Sessel sind aus Rubin und die Betten deren Weill dem Schaum des Wassers gleicht schwellen von Decken an denen Perlenketten hängen. Dort gab sich der übermütige Asura seinen Genüssen hin und von dort aus übte er sein tyrannisches Regiment. So verstrich eine lange Zeit.

Schließlich suchten die Bewohner aller Welten unter dem schweren Druck seines furchtbaren Zepters ihre Zuflucht bei Wischnu. Da erklang eine Stimme wie das Rollen der Wolken von allen Enden des Horizontes die sprach:
‚Fürchtet euch nicht ihr Ersten der Götter! Das Glück sei mit euch! Ich kenne die Schlechtigkeit dieses niedrigen Wesens des niedrigsten der Dämonensöhne! Ich bin entschlossen ihn zu vernichten; aber geduldet euch bis die Zeit dazu gekommen ist! Und die Zeit naht! Wenn er seinem Sohn Prahlada Böses antun wird jenem großmütigen Weisen dem der Haß fremd ist dann werde ich ihn töten trotz der Gaben die er empfangen hat.‘

Vier Söhne hatte Hiranyakaschipu unter denen Prahlada durch seine vortrefflichen Eigenschaften hervorragte. Er war gottesfürchtig seinem Worte getreu seiner Sinne Herr der Freund aller Wesen der Diener ehrwürdiger Menschen seinem Vater und seinen Brüdern zugetan. Er war begabt mit Erkenntnis Reichtum und Schönheit; frei war er von Übermut und Stolz. Er beherrschte seinen Atem seinen Körper und seine Gedanken; jegliche Begierde war in ihm ertötet.
Seine Dämonennatur hatte er von sich getan; mit Herz und Seele war er Wischnu ergeben.

Hiranyakaschipu hatte seinen Sohn von Herzen lieb allein dessen gottesfürchtige Gesinnung führte bald zu einem Bruch zwischen Vater und Sohn.

Einst als Prahlada kaum fünf Jahre alt von seinem Lehrer nach Hause kam und sein Vater ihn in den Armen hielt sprach dieser:
‚Mein Kind wiederhole mir die beste der Lehren die du von deinem Lehrer gelernt hast seitdem er dich unterrichtet.‘
Prahlada antwortete:
‚Wischnus Namen hören und wiederholen sich seines Namens erinnern ihm dienen ihn anbeten ihn verehren sein Knecht sein ihn als Freund liebhaben sich ganz ihm hingeben; mit einem Wort: dem glückseligen Wischnu die Ergebenheit bezeugen die in diesen neun Pflichten ausgedrückt ist – das ist die beste Lehre die man jemals lernen kann.‘

Kaum hatte Hiranyakaschipu diese Worte vernommen so entbrannte er in heftigem Zorn und warf das Kind zu Boden. Blind vor Haß außer sich vor Empörung die Augen rot vor Wut schrie er:
‚Ihr Henker kommt und führt ihn zum Tode! Er ist der Mörder meines Bruders der Elende der sein Geschlecht verleugnet und wie ein Sklave die Füße Wischnus ehrt des Mörders seines Onkels. Ein Fremder wird zum Sohn wenn er einem wie eine heilsame Arznei wohltut aber ein Sohn der dem eigenen Blut entstammt ist ein Übel wenn er einer Krankheit gleich schadet! Man entferne das Glied das den ganzen Körper gefährdet damit das Übrige gesund bleibe! Den Feind der sich uns im Gewand eines Freundes naht vernichte man!‘

Auf diesen Befehl ihres Meisters stürzten sich die Henker mit ihren Waffen in der Hand unter lautem Geschrei auf Prahlada und trafen ihn von allen Seiten ohne ihn allerdings zu verwunden denn ihre Speere prallten machtlos an dem jugendlichen Weisen ab da seine Seele mit Wischnu vereinigt war der die Seele von allem ist.
Als Hiranyakaschipu bemerkte daß diese Versuche mißlangen sann er auf andere Mittel seinen Sohn zu töten. Er befahl nacheinander ihn unter die Füße der Elefanten zu werfen ihn den Schlangen preiszugeben ihn zu vergiften ihn vom Dach des Palastes hinabzustürzen ihn gefesselt ins Meer zu werfen ihn auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.

Nichts aber konnte dem tugendsamen Prahlada etwas anhaben und so suchte der Dämon als ihm berichtet wurde daß es unmöglich sei seinen Sohn zu töten auf anderem Wege sein Ziel zu erreichen. Er übergab ihn wieder seinen Lehrmeistern damit sie ihn weiter unterrichteten; Prahlada selbst aber unterwies nun auch seine Mitschüler in dem Glauben an Wischnu als den höchsten Gott und in der Hingabe an ihn als dem einzigen und höchsten Ziel des Menschen.
Einer von ihnen jedoch hinterbrachte das dem König und nun zögerte dieser nicht länger ihn selbst zu töten.

Zischend wie eine Schlange auf die man getreten hat sprach der Vater zu dem Sohne der untertänig und ehrerbietig seine Hände gefaltet hielt:
‚Elender Empörer der Zwietracht in seine Familie sät; noch heute schicke ich dich in den Tod da du meine Befehle nicht beachtest. Wer hat dir du Tor die Kraft verliehen die Gebote deines Vaters zu übertreten dessen Zorn die drei Welten samt ihren Fürsten erzittern läßt?‘
Aber Prahlada antwortete:
‚Er der nicht allein meine Kraft ist sondern auch deine Kraft o König und die Kraft aller Wesen der höheren und der niederen. Er ist der Herr er ist die Zeit er ist das Leben er ist das höchste Wesen. Gib deine böse Natur auf denn du hast keinen anderen Feind als deinen eigenen zügellosen Geist.‘

Seiner Wut nicht mächtig rief Hiranyakaschipu:
‚Du willst wohl sterben weil du dir in solchen Prahlereien gefällst? Denn die Sprache derer die dem Augenblick des Todes entgegengehen ist verworren. Und der den du den König des Weltalls nennst als ob es noch einen anderen Herrscher außer mir gäbe – wo befindet er sich denn? Und wenn er überall ist – warum erscheint er dann nicht hier in dieser Säule? Übermütiger den Kopf werde ich dir vom Leibe trennen. Dann mag er dich beschirmen dieser Wischnu der dein ein und alles ist!‘

Mit diesen Worten sprang Hiranyakaschipu indem er seinen Dolch zog von seinem Sessel auf und schlug mit aller Kraft mit der Faust gegen die Säule. In demselben Augenblick erscholl aus der Säule ein furchtbares Brüllen. Als der Asura der seinen Sohn töten wollte dieses Gebrüll bei dem alle Führer der Asuras erzitterten vernahm suchte er nach seiner Ursache Jedoch vergeblich. Da zeigte sich um zu bestätigen was sein Diener gesagt hatte und zu beweisen daß er in Wirklichkeit allgegenwärtig sei Wischnu im Thronsaal mitten in der Säule in einer wundersamen Gestalt die weder die eines Menschen noch die eines Tieres war.

Während Hiranyakaschipu dieses Wesen das mitten aus der Säule zum Vorschein kam von allen Seiten betrachtete dachte er bei sich:
‚Es ist weder Tier noch Mensch! Was mag diese wunderliche Gestalt halb Mensch halb Löwe wohl bedeuten?‘
Indem er noch darüber nachdachte sprang Wischnu in der Erscheinung eines Mensch-Löwen hervor mit Augen rot wie glühendes Gold mit einem Gesicht dessen gewaltigen Eindruck die Fülle einer dichten Mähne erhöhte mit breiten Hauern und einer scharfen Zunge die sich wie ein Dolch hin und her bewegte furchterregend anzusehen. Krause Augenbrauen gaben seinem Antlitz einen schrecklichen Ausdruck seine spitzen Ohren waren steif aufgerichtet sein Mund tief wie eine Höhle unter weiten Nasenlöchern bewegten sich seine Kinnbacken auf schaudererregende Art. Dazu war sein Nacken kurz und dick die Brust breit der Leib gedrungen und der Körper mit Haaren übersät die goldgelb schimmerten gleich den Strahlen des Mondes.

Seine zahlreichen Arme entfalteten sich um ihn herum wie hundert Heerhaufen und seine Nägel waren scharfe Waffen. In solcher Gestalt zeigte sich Wischnu. Selbst unnahbar jagte er die Dämonen mit seinen unwiderstehlichen Waffen vor sich her während Hiranyakaschipu bei sich dachte:
‚Das ist unzweifelhaft Wischnu der große Zauberer der glaubt mich überwinden und töten zu können aber es soll ihm nicht gelingen.‘
Unter solchen Gedanken schnellte Hiranyakaschipu mit seiner Keule vor und griff indem er ein lautes Geschrei anhub Narasimha den Mensch-Löwen die Offenbarung Wischnus an. Aber wie ein Insekt das tot ins Feuer fällt sank er vor der Herrlichkeit seines Gegners zur Erde.

Sofort sprang er wieder auf stürzte auf Narasimha los und traf ihn mehrere Male mit seiner Keule. Während er so wie ein tapferer Held seine Keule schwang packte ihn Narasimha wie Garuda der König der Vögel eine Schlange packt aber der Asura entschlüpfte seinen Händen wie auch die Schlange den Klauen eines Raubvogels entschlüpft. Im Vertrauen auf seine Kraft und auf die Gaben die ihm Brahma geschenkt hatte griff der Dämon zu Schild und Dolch und fiel den Gott von neuem an. In dem Augenblick in dem er sich stürmisch wie ein Geier auf Narasimha stürzte und unablässig bald von oben bald von unten her seine Hiebe führte begann dieser ein gräuliches Gelächter und umklammerte mit einer unwiderstehlichen Gewandtheit seinen Feind.

Wie eine Schlange die eine Ratte packt so bemächtigte sich Narasimha des Dämons der sich in der engen Umklammerung vor Schmerzen hin und her wand. Mit einem einzigen Schwung warf er ihn auf den Rücken legte ihn auf seine Knie und riß ihm mit den Nägeln die Haut die selbst für den Blitz undurchdringlich gewesen auf wie Garuda eine Giftschlange aufreißt.
Mit wutrollenden Augen sich mit der Zunge die Mundwinkel leckend einem Löwen gleich der einen Elefanten getötet hat ließ er darauf seinen Feind dem er das Herz aus dem Leibe gerissen fallen und mit seinen zahlreichen Armen die Klauen als Schwerter führend tötete er des Asura Freunde die um ihren Herrn zu rächen zu Tausenden gegen ihn anrückten. Triumphierend trat er danach wieder in den Versammlungssaal und lieh sich nachdem er die angenommene Gestalt abgelegt auf dem königlichen Throne nieder.

Da kamen die Scharen der Götter auf ihren Wagen zum Himmel zurückgefahren Chöre begrünten Wischnu mit Jubelgesängen die Nymphen tanzten zu seiner Ehre anmutige Reigen die Gemahlinnen der Götter überhäuften ihn mit Blumen. Tief verneigten sich die Unsterblichen vor Wischnu und sprachen:
‚Sei gepriesen unser Befreier! Sei gepriesen unser Herr! Allein durch dich genießenr wieder die Opfer die uns fromme Einsiedler darbringen; nur durch dich sind wir was wir sind! Aber alles Glück -was bedeutet es verglichen mit der Gnade wieder in deiner Nähe verweilen zu dürfen!‘

So wurde Hiranyakaschipu trotz der ihm von Brahma gewährten Gunst von Wischnu getötet. Dem Buchstaben nach wurde Brahmas Wort nicht gebrochen. denn er wurde abends getötet also weder bei Tag noch bei Nacht: in der Öffnung der Tür zum Palast also weder drinnen noch draußen; auf den Knien Wischnus also weder im Himmel noch auf der Erde; und endlich durch einen Mensch-Löwen ein Wesen das nicht von Brahma geschaffen war.