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§9 Rechtspersönlichkeit und rechtserhebliches Geschehen

Von Franz Pototschnig

I. Rechtspersönlichkeit

Sowohl physische(= natürliche) als auch juristische(= von der Rechtsordnung konstruierte) Personen sind Träger von Rechten und Pflichten und werden als rechtsfähig bezeichnet.

1. Allgemeine Rechtspersönlichkeit physischer Personen. Das kanonische Recht betrachtet und anerkennt jeden Menschen als Person mit bestimmten unveräußerlichen Rechten!. Deshalb ist es zweckmäßig, zwischen der allgemeinen Rechtsfähigkeit, die allen Menschen zukommt und der besonderen Rechtsfähigkeit der gültig Getauften zu unterscheiden.

“0 Das Gesetz schweigt dazu, aber Mörsdorf, Rechtsprechung und Verwaltung (Anm. 5), S. 159 glaubt es im Hinblick auf die Einschränkungen bei der Androhung von Beugestrafen (c. 2243 8 2) annehmen zu dürfen. #1 Zu einer anders lautenden Erklärung der PCI vom 22. 5. 1923 (AAS 16 [1924], S. 251) siehe Mörsdorf, Rechtsprechung und Verwaltung (Anm. 5), S. 179, 189. Weitere Erörterungen des Problems: K. Mörsdorf, Diskussionsbeitrag, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 7, Münster 1972, S. 120f.;, H. Schmitz, Rechtsschutz und kanonisches Dienstrecht, in: Festschr. Mörsdorf, S. 750. ** Mörsdorf, Rechtsprechung und Verwaltung (Anm. 5), $. 167-173. \ Vgl. Jone, Bd. 1, S. 111f., Mörsdorf Lb I, S. 175, P. Lombardia, Struttura dell’ ordinamento canonico, in: Corso di Diritto Canonico I, Gremona 1975, S. 165, sowie die zahlreichen Aussagen des VatlI, z.B. GS 21.43, 28.10, 29.8, 29.12, 29.16, 42.39, 76.40 und in DH. 2 Bezüglich der Katechumenen ist ebenfalls eine Klärung zu erwarten (vgl. VatII AG 14.24). Was die prinzipielle Prozeßfähigkeit betrifft, normiert can. 8% des Schema Tutlur: „Quilibet, sive baptizatus sive non baptizatus potest in iudicio agere .. .”“ (vgl. c. 1646 CIC).

2. Besondere Rechtsfähigkeit physischer Personen. Die besondere, kirchenrechtliche Rechtsfähigkeit wird allen gültig Getauften zuerkannt. In einem noch spezielleren Sinn entsteht sie aus der Taufe in der katholischen Kirche bzw. aus der Konversion zur katholischen Kirche?. Diese Rechtsfähigkeit ist, mit Lombardia ®, am ehesten mit der Rechtsstellung des Staatsbürgers und den aus dieser Stellung ableitbaren besonderen Rechten und Pflichten vergleichbar, denn ähnlich wie im Staatsbürgerschaftsrecht ergeben sich aus der kirchenrechtlichen Stellung einer „persona in Ecclesia‘ zusätzliche Rechte und Pflichten.

Gemeinsames für 1. und 2. Sowohl die allgemein-menschliche als auch die besondere- kirchenrechtliche Rechtsfähigkeit hat eine aktiveund eine passive Seite. In beiden Fällen ist das Rechtssubjekt einerseits Träger von Rechten, aus denen sich grundsätzlich rechtliche Befugnisse ergeben, andererseits aber auch Träger von Pflichten. In beiden Bereichen unterliegt die Rechtspersönlichkeit der Normierung durch die zuständige Rechtsordnung®*.

II. Das ‚exercitium iurium‘

Die Rechtsfähigkeit kann auch von der Rechtsordnung keinem Menschen, der als Person anerkannt wird, völligabgesprochen werden, doch schränkt das kanonische Recht die Ausübung der Rechte stärker ein als vergleichbare staatliche Rechte. Gleichzeitig teilt das Kirchenrecht die hoheitliche Haltung bezüglich der Pflichten, wie sie uns aus dem Staatsbürgerschaftsrecht vertraut ist. Die kirchliche Rechtsordnung behält sich vor, die Ausübung der Rechte, die den Gläubigen prinzipiell zustehen, in Hinblick auf das bonum commune zu verbieten’, zu beschränken, oder durch leges irritantes und inhabilitantes® auszuschlie- Ben.

Die Ausübung der Rechte wird eingeschränkt bzw. ausgeschlossen durch 1. die Bestimmungen der cc. 88-97 CIC?, 2. Strafsanktionen. Jede Strafe führt zum Entzug eines Gutes (c. 2215 CIC: est privatio alicuius boni) und beeinträchtigt die Rechtsausübung. Der Grad der Beeinträchtigung muß im Gesetz ausdrücklich genannt werden. Außerdem ist zu beachten, daß Strafbestimmungen strikte zu interpretieren sind (cc. 19, 20, 2246 $ 2; c. 2219 CIC fordert eine „benignior interpretatio‘‘). Den Extremfall bildet die Exkommunikation, mit der ein vollständiger Verlust des ‚exercitium iurium‘‘ – mit Ausnahme des Rechtsanspruchs auf Versöhnung — verbunden sein kann. Das Interdikt führt zur abstufbaren Gottesdienst- und Sakramentensperre. Die persönli-

3 Vgl. auch F. Pototschnig, „Persona in Ecclesia’ — Probleme der rechtlichen Zugehörigkeit zur „Kirche Christi“, in: Festschr. Plöchl (70), S. 277, 294. 4 Lombardia, Struttura (Anm. 1), S. 167. 5 Im Gegensatz zum c. 12 CIC sollen gemäß can. 1% $2 Schema NormGen getaufte Nichtkatholiken nur mehr ausnahmsweise Normadressaten des ius mere ecclesiasticum sein. 6 Im folgenden wird unter Rechtsfähigkeit die kirchenrechtliche Rechtsfähigkeit verstanden. 7 Solche Verbote können durch Androhung von Strafsanktionen verschärft werden. 8 Vgl. oben 87. Et 9 Vgl. unten unter „Handlungsfähigkeit”.

che Gottesdienstsperre, die über physische Personen verhängt werden kann, kommt im wesentlichen den geistlichen Strafwirkungen der Exkommunikation (Kirchenbann) gleich’®. Die Infamie (kirchlicher Ehrverlust) in ihren drei Formen: infamia iuris, infamia facti, remotio ab actibus legitimis bewirkt eine abgestufte Minderung der aktiven Rechtsstellung. Die infamia iuris (rechtlicher Ehrverlust) tritt, meistens als Strafverschärfung, nur in den ausdrücklich im Gesetz bestimmten Fällen ein und führt (bis zu einer evtl. Begnadigung) zum Verlust der Befähigung zur Ausübung kirchlicher Rechte und Dienste (c. 2294 $ 1).- Die infamia facti (tatsächlicher Ehrverlust) knüpft an den schlechten Ruf eines Gläubigen an. Die Rechtsfolgen, wie Fernhaltung vom Empfang der Eucharistie (c. 855), Verbot der Zulassung zu den Weihen (c. 984 n. 5) und zur Ausübung kirchlicher Ehrendienste (c. 2294 8 2) treten erst ein, wenn der zuständige Ordinarius eine diesbezügliche Erklärung abgegeben hat!!. Ist, nach dem Urteil des Ordinarius, der gute Ruf wieder hergestellt, hören die Rechtsfolgen wieder auf. – Die remotio ab actibus legitimis (Verlust der Befähigung zur Übernahme kirchlicher Ehrendienste, bzw. Enthebung von Ehrendiensten) wird i.d.R. als Nebenfolge einer Strafe verhängt. Der Bestrafte kann weder Tauf- noch Firmpate sein (cc. 2256 n. 2, 765 n. 2, 795 n. 2). Wird die Strafe nicht ausdrücklich verhängt, handelt es sich um ein bloßes Übernahme- bzw. Ausübungsverbot (cc. 766 n. 2, 796. n. 3).

Die nachkonziliare Rechtsentwicklung führte bereits zur Aufhebung von Strafbestimmungen des CIC und insofern auch zur Beseitigung negativer Rechtsfolgen2 . 3. Sanktionen mit strafähnlichem Charakter. Sie betreffen die freie Zugänglichkeit bzw. die Ausübungkirchlicher Ämter und können sogar durch Aufenthaltsverbote verschärft werden. Die Rechtsstellung des laisierten Priestersist auch nach den geltenden Normen über das Laisierungsverfahren aus dem Jahre 197113 manchen Einschränkungen unterworfen!#. Bei ordnungsgemäßer Durchführung des Verfahrens wird Geistlichen auch die kirchliche Eheschließung ermöglicht. Damit ist c.213 82, der den Weiterbestand der Zölibatspflicht vorsah, bedeutungslos geworden. Der Fortbestand der gültigen Weihe kann durch die Rechtsordnung nicht beseitigt werden, doch wird die Befähigung zur Ausübung priesterlicher Jurisdiktionsakte (mit Ausnahme der Beichtjurisdiktion ‚in articulo mortis“ gemäß c. 882) auf Dauer suspendiert’5. Der laisierte Priester ist jedoch nicht nur von der Ausübung des „‚ministerium stricte sacerdotale‘‘ ausgeschlossen, sondern es wird ihm auch die Fähigkeit z. B. als Leiter oder Lehrender an Seminarien, theologischen Fakultäten und ähnlichen Anstalten tätig zu sein, abgesprochen. Nicht zugänglich ist für ihn auch das Amt eines Direktors einer katholischen Schule oder eines Religionslehrers an Schulen jeder Art. Der Ordinarius kann jedoch durch Dispens die Erlaubnis zur Erteilung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen, ausnahmsweise auch an katholischen Schulen, gewähren, ‚sofern kein Ärgernis oder keine Verwunderung” zu befürchten ist. Außerdem besteht die Möglichkeit der Zulassung zu kirchlichen Hilfsdiensten’s, Nach dem Recht des CIC (c. 642) trat auch bei Säkularisation von Priesterprofessen die Rechtsfolge einer Behinderung der Amtsfähigkeit ein. Sie wurde von Mörsdorf einerseits als ein „der Person anhaftender Mangel in der Eignung‘, andererseits als „Verbot ohne Strafchatakter‘‘ bezeichnet. Gemäß c. 642 waren säkularisierte Professen an der Übernahme und Ausübung bestimmter Ämter gehindert, doch wurde häufig durch die Gewährung eines In-

10 Vgl. Mörsdorf Lb I, S. 178. 11 Vgl. Mörsdorf Lb II, S. 114. ‚» Vgl. F. Pototschnig, Kirchliche Rechtsentwicklung als Anpassungsprozeß, in: ÖAKR 25 (1974), S. 34. 13 AAS 63 (1971), S. 303-308. 14 Dazu ausführlich H. Heimerl, Der laisierte Priester. Seine Rechtsstellung, Graz 1973. „5 Zur Suspension als Strafsanktion für Kleriker vgl. 88 101ff. ı° Die Bischofssynode 1971 (AAS 63 [1971], S. 917) hat folgende Formulierung beschlossen: „Sacerdos, qui exercitium ministerii reliquit, aeque et fraterne tractetur; etsiin servitio nn adiutricem operam praebere potest, non tamen admittatur ad actus sacerdotales exercendos‘‘.

dultes Abhilfe geschaffen. Inzwischen sind alle Verbote und Beschränkungen durch Suspension des c. 642 bis zur Neuregelung im neuen Codex aufgehoben worden‘!”. 4. durch hemmende Umstände bzw. Mängel. a) Mangel der kirchlichen Einheit. Dieser Mangel, der von Mörsdorf als ‚Sperre‘ bezeichnet wird’s, ist ein von der kirchlichen Rechtsordnung festgesetzter hemmender Umstand, der Mitgliedern getrennter Kirchen? – nach dem jeweiligen Naheverhältnis der getrennten Glaubensgemeinschaft zur katholischen Kirche abgestuft – die aktive Teilnahme am sakralen Geschehen in der katholischen Kirche verbietet, bzw. in nachkonziliarer Zeit die Ausübung dieser Rechte durch Sondergesetze regelt?°. b) Rechtlich relevant sind auch bestimmte Mängel (Defekte). Es handelt sich um Tatbestände, die keinerlei Verschulden voraussetzen und dennoch zu einer Einschränkung der Rechtsausübung führen. Dazu gehören die Irregularitäten „ex defectu‘?‘, darunter der Mangel an ehelicher Geburt (c. 984 n. 1)22, sowie Mängel, die auf einer körperlichen Mißbildung oder auf einem späteren Verlust von Körperteilen beruhen. Die ‚ratio‘ liegt darin, daß der Behaftete den Altardienst nicht ohne Anstoß zu erregen, bzw. nicht in geziemender Weise ausüben kann. Ferner gehören zu dieser Kategorie bestimmte gefährliche Krankheiten, auch wenn sie anscheinend geheilt sind, so die Epilepsie und Geisteskrankheit (c. 984 n. 3). Als irregulär gelten u. a. auch Personen, die als (staatliche) Richter ein Todesurteil gefällt haben (c. 984 n. 6). Je nach Situation sind die angeführten Mängel dispensabel.