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IV. Schutz als Recht im Sinne des IPBPR

Der Schutz des Einzelnen könnte auf der völkerrechtlichen Ebene dann durch eine individualrechtsfreundliche Auslegung des Völkerrechts ver- bessert werden, wenn die derart gewonnenen Rechte des Einzelnen durch entsprechende völkerrechtliche Individualrechtsschutzverfahren geschützt wären. Dies setzt aber voraus, daß die Individualrechte als Rechte im Sinne der genannten Konventionen verstanden werden.

Eben diese Konsequenz wird in Teilen der Literatur89 sowie in einem Gutachten des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 1999 zum Fall Breard90 gezogen: Art. 36 WKK enthalte nicht nur ein Individualrecht, sondern ein Menschenrecht. Die Regelung des Art. 36 WKK solle zugleich den effektiven Schutz der darin gewährten Rechte sicherstellen. Art. 36 WKK habe daher einen engen Bezug zum all- gemeinen Menschenrecht auf ein faires Verfahren. Dieses ist wiederum in Art. 14 III b) IPBPR ausdrücklich geschützt. Wegen dieses engen Bezugs erfasse Art. 14 III b) IPBPR nicht nur die von ihm beschriebenen, sondern auch die sich aus Art. 36 I WKK ergebenden Prozeßgarantien. Im Ergeb- nis müßten deshalb bei Verletzung von Art. 36 I WKK auch die Schutz- mechanismen des IPBPR zur Anwendung kommen einschließlich der In- dividualbeschwerde. Der Einzelne könne somit sein Recht aus Art. 36 I WKK im Wege dieser Individualbeschwerde schützen.

Diese Auslegung überzeugt aus zwei Gründen nicht. Zum einen bietet sie keine Lösung für die Konstellation, daß ein Staat nicht Vertragsstaat des IPBPR ist. Denn in diesen Fällen kann auch das Individualbeschwer- deverfahren des IPBPR nicht zur Anwendung kommen. Der Individual- schutz würde in Bezug auf Art. 36 I WKK davon abhängen, daß der be- treffende Staat nicht nur der WKK beigetreten ist, sondern auch Vertrags- staat des IPBPR einschließlich dessen Schutzmechanismen ist.
Zum anderen wird mit dieser Auslegung ein fundamentaler Unter- schied zwischen der WKK und dem IPBPR hinweginterpretiert: das Vor- handensein eines Individualrechtsschutzverfahrens. Art. 36 I WKK im Wege der Auslegung als Recht im Sinne des IPBPR zu verstehen und da- mit unter den Schutz der Individualrechtsschutzmechanismen des IPBPR zu ziehen, hebt den Unterschied zwischen völkerrechtlichen Verträgen ohne und mit verfahrensrechtlichem Individualrechtsschutz auf. Die Be- rufung auf einen engen Bezug zu Menschenrechten wird als Blankett be- nutzt, um den im IPBPR vorgesehenen Rechtsschutzmechanismus der Individualbeschwerde auf andere Verträge auszuweiten. Die verschiede- nen Verträge werden zunächst inhaltlich und dann in der Folge auch hinsichtlich der Durchsetzungsmechanismen gleichgeschaltet.

Völkerrechtliche Verträge unterscheiden sich aber eben nicht nur nach ihrem materiell-rechtlichen Inhalt, sondern insbesondere auch nach den Durchsetzungsmechanismen. Viele völkerrechtliche Verträge dienen – zu- mindest auch – dem Schutz von Individualinteressen,91 aber nur wenige​


sind mit rechtlichen oder gar gerichtlichen Durchsetzungsmechanismen versehen, und die allerwenigsten Verträge sehen von Einzelnen zu betrei- bende gerichtliche Durchsetzungsverfahren vor. Die Unterschiede bei den Durchsetzungsmechanismen sind essentiell, denn sie reflektieren Geltungsgrund und Wirkungsweise des Völkerrechts.92 Das Völkerrecht unterscheidet sich in Entstehung und Durchsetzung ganz wesentlich von staatlichem Recht. Insbesondere kennt es keine allgemeine souveräne Rechtssetzungs- und Rechtsdurchsetzungsgewalt.93 Anders als das staat- liche Recht beruht das Völkerrecht in Geltung und Durchsetzung grundsätzlich auf dem Konsens der beteiligten Rechtssubjekte. Dies sind in erster Linie die Staaten, die das Völkerrecht als zwischenstaatliche Konsensrechtsordnung schaffen.

Das Völkerrecht behält deshalb seinen prinzipiellen Charakter als zwischenstaatliche Konsensrechtsordnung auch dann, wenn es die Inter- essen einzelner Bürger berührt. Zwar ist das Völkerrecht mittlerweile nicht mehr auf die Aufgabe beschränkt, die Rechtsbeziehungen zwischen Staaten bzw. Internationalen Organisationen zu regeln. Der einzelne Mensch und seine individuellen Interessen rücken zunehmend in den Mittelpunkt völkerrechtlicher Regelungen. Aber auch insoweit ist das Völkerrecht seiner Entstehung und Durchsetzung nach zunächst zwi- schenstaatliches Recht im Sinne einer Konsensrechtsordnung.

Dies zeigt sich besonders deutlich bei völkerrechtlichen Verträgen, wie dies die Wiener Konsularrechtskonvention und die Menschenrechtsver- träge sind. Die Verfahren zur Durchsetzung der vertraglichen Rechte hän- gen zunächst vom Willen der beteiligten Parteien ab, also der Staaten. Da- mit die vertraglichen Rechte gegenüber einem Staat förmlich, d.h. in ei- nem bestimmten völkerrechtlichen Verfahren durchzusetzen sind, muß der Staat auch dem völkerrechtlichen Durchsetzungsverfahren zuge- stimmt haben. Dieses kann – wie bei den Menschenrechtsverträgen häufig der Fall – im Vertrag mitgeregelt sein, oder der Staat kann sich einem be- reits bestehenden Verfahren unterwerfen, insbesondere der Gerichtsbar- keit des IGH. Hat er dies nicht getan und ist auch in dem Vertrag selbst kein Durchsetzungsverfahren vorgesehen, besteht für die aus dem Vertrag folgenden Rechte und Pflichten kein besonderes völkerrechtliches Durchsetzungsverfahren. Der dafür erforderliche, aber tatsächlich fehlen- de Konsens kann deshalb auch nicht durch eine extensive Auslegung des ohne Durchsetzungsverfahren geschlossenen Vertrages ersetzt werden.

Hier zeigt sich, daß der Grundsatz der Mediatisierung des Einzelnen im Völkerrecht aus dem Charakter des Völkervertragsrechts als einer zwischenstaatlichen Konsensrechtsordnung folgt. Staaten sind im Grundsatz souverän. Die Rechtsbeziehungen eines Staates gegenüber Einzelnen zu regeln, liegt zunächst im Bereich des jeweiligen Staates. Da- bei hat er zwar das Völkerrecht zu beachten. Diese Bindung geht aber nur soweit, wie das Völkerrecht inhaltlich reicht. Im Bereich des Völkerver- tragsrechts reicht deshalb die Bindung inhaltlich grundsätzlich nur so weit, wie dies vom jeweiligen Staat konsentiert worden ist. Deshalb kann der Einzelne aus völkerrechtlichen Verträgen nur soweit völkerrechtlich durchsetzbare Rechte gegen einen Staat herleiten, als sowohl das Recht als auch das Durchsetzungsverfahren von dem Staat eingeräumt worden ist. Soweit ein völkerrechtlicher Vertrag kein völkerrechtliches Durchset- zungsverfahren zugunsten Einzelner vorsieht, bleibt es dabei, daß der Vertrag als zwischenstaatliches Recht nur die Staaten zur Durchsetzung der vertraglich eingeräumten Rechte berechtigen kann.​