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In diesen vier Begriffen waltet das Gesetz

In diesen vier Begriffen waltet das Gesetz des reinen Denkens, das logische Grundgesetz der synthetischen Einheit. Reine Mathematik fordert Einheit der reinen Anschauung mit dem Begriff (in der Konstruktion), reine Naturwissenschaft Einheit der gesamten Natur als System, reine Moral Einheit der praktischen Vernunft mit sich selbst (des Willens mit dem Moralgesetz), reine Kunst Einheit der Einbildungskraft mit dem Verstände (der Sinnenwelt mit der Geisteswelt). Alles Empirische (Empfindungsmäßige) ist dabei vorerst ausgeschlossen. Das Grundgesetz der synthetischen Einheit aber ist so lange nicht völlig erfüllt, als diese einzelnen Einheiten des Denkens: reine Naturwissenschaft und reine Mathematik, reine Moral und reine Kunst, deren Begriffe erst durch Beziehung auf die Sinnenwelt transzendental werden, nur nebeneinander bestehen. Sie müssen verbunden werden, um volle Einheit des reinen Denkens zu erreichen. Diese ist vorbereitet in der

1) Vgl. hierzu Kant, Kritik der Urteilskraft S. 149,156, dazu S. 3V f. 61, 67, 75, 88, 91, 93, 199, 169, 179, 186, 223, 227, 231 f.

reinen Kunst, im tiefsten Grunde nur eine Gabe des die ästhetischen Ideen in freier Gesetzmäßigkeit schaffenden Genies. Die Einheit des freien harmonischen Spiels der menschlichen Geisteskräfte leitet über zur alle einzelnen Einheiten in sich befassenden obersten Einheit. Diese aber ist nicht zu denken ohne Ueberschreitung der Grenze zwischen reiner Naturwissenschaft und reiner Moral und der Verstandseinheit überhaupt. Der Begriff des absoluten Ganzen als Vernunftidee ist transzendent. „Der Vereinigungspunkt aller unserer Meinungen a priori, ist im Uebersinnlichen zu suchen, weil kein anderer Ausweg übrig bleibt, die Vernunft mit sich einstimmig zu machen" ^).

Er ist der Begriff der absoluten Gesetzmäßigkeit, die alle Gesetze der synthetischen Einheit, alle Normen der menschlichen Geistesfähigkeit in sich enthält. Er ist der Begriff der absoluten Spontaneität, der Freiheit an sich, gleichbedeutend mit Gott, als freie Ursache der Welt überhaupt. Dieser Begriff aber ist das Apriori der reinen Religion?). Hier kommt der Satz Kants zur Geltung, daß „der Begriff des höchsten Wesens die ganze menschliche Erkenntnis schließt und krönt". Nur ist anstatt Erkenntnis Denken zu setzen. Der Begriff des höchsten Wesens schließt und krönt das ganze menschliche Denken.

Die reine Religion ist die Einheit der Einheiten, die vollendete synthetische Einheit des reinen Denkens. Sie bringt den Prozeß des reinen Denkens zum Abschluß. Reine Religion ist nichts Anderes als vollendetes Denken. Hierdurch aber erweist sie sich als denknotwendig. Ohne die Gottesidee ist ein vollendetes einheitliches Denken nicht erreichbar. Fragt man also wie Kant in bezug auf reine Mathematik, reine Naturwissenschaft und reine Moral: Wie ist reine Religion möglich? so lautet die Antwort: „Durch den Begriff der absoluten Freiheit, durch die Gottesidee." Mit ihrer Denknotwendigkeit ist aber zugleich die Wahrheit der reinen Religion als Einheit schlechthin erwiesen. Was denknotwendig ist, rechtfertigt sich damit als mit dem logischen Grundgesetz der synthetischen Einheit übereinstimmend.

1) Ebenda S. 216, 219.
1) Katzer, Luther und Kant S. S1, S3, 63, 6ö, 87 f., 111 f., 114 f.

Allerdings ist diese Wahrheit nur eine formale. Mehr vermag das Denken nicht zu leisten. Aber das ist auch vollkommen genügend, da es sich bei jedem Beweise immer nur um die Einstimmigkeit des Denkens handelt. Einen außerhalb des Denkens gültigen Beweis zu fordern ist widersinnig. Der Beweis für die formale Wahrheit der reinen Religion betrifft aber nicht nur ihre widerspruchslose Möglichkeit, sondern ihre unbedingte Notwendigkeit als Abschluß der von seiner eigenen Gesetzmäßigkeit geforderten synthetischen Einheit des Denkens. Ohne Gottesidee, die den ganzen Denkprozeß schließt und krönt, ist ein in sich vollendetes einheitliches Denken überhaupt unmöglich. Hiermit aber ist dargetan, daß die Religion als reine Religion nicht eine bloße Fiktion ist. Wir denken nicht bloß, als ob es eine höchste Einheit des Denkens gäbe; sondern wir vollziehen durch den Gottesbegriff das in allem Denken sich geltendmachende Gesetz der synthetischen Einheit. Wir sind uns unseres Denkens als Tatsache bewußt, ebenso wie der Gesetze, die ihm vorgeschrieben sind. Demnach können auch die Resultate dieses Denkens nicht bloße Fiktionen sein. Sie sind Wahrheiten, sofern fie sich als widerspruchslos erweisen. Hierin unterscheidet sich die reine Religion als einheitlicher Abschluß des Denkens von der Wissenschaft als Erkennen. Diese ist auf die Erscheinungswelt gerichtet. Die Verstandestätigkeit wird zu einer transzendentalen. Die wissenschaftliche Forschung verwendet, um zu systematischer Einheit zu gelangen, die verschiedensten Hypothesen oder Fiktionen. Sie nimmt Atome an, Moleküle, Weltäther, Energien, Jonen, Elektronen. Diese Begriffe sind willkürlich erdichtete, je nach dem Standpunkte des betreffenden Forschers. Das beweist schon ihre im Wechsel der Zeiten hervortretende Mannigfaltigkeit. Mit Hilfe dieser Fiktionen erreichen aber die einzelnen Wissenschaften, mit Ausnahme der Philosophie, immer nur Teilwahrheiten im Vergleich zu der vollen Einheit des Denkens.

Die reine Religion aber läßt dem Denken keine Wahl, um die oberste, abschließende Einheit zu gewinnen. Sie führt unumgänglich zu dem Gottesbegriff als der absoluten Spontaneität, als oausa N0UM6Q0Q, so verschieden auch die Vorstellungen davon sein mögen. Sie erreicht damit das Ganze der formalen Wahrheit, die Einheit der Einheiten. Der Gottesbegriff ist, wie Kant sagt, nicht willkürlich erdichtet, sondern „durch ihre Natur der Vernunft selbst aufgegeben". Er ist ein notwendiger

VernunftbegrisfZ. Für die Naturwissenschaft in ihrer weitesten Bedeutung, die die Erkenntnis der Erfahrungswelt zum Ziele hat, ist dieser Begriff regulativ, für die reine Religion als abschließende Denkeinheit ist er konstitutiv. Ohne ihn ist konsequentes Denken überhaupt nicht möglich. Wie die Gesetzmäßigkeit des Verstandes für die Erfahrung als empirischer Erkenntnis ist die Gesetzmäßigkeit der Vernunft für das reine Denken bestimmend. Die formale Wahrheit der Religion ist also unbestreitbar gegenüber der Wissenschaft, die sich auf völlig anderem Gebiete bewegt, auf dem transzendentalen Gebiete der Erkenntnis.

Eine andere Frage ist allerdings die nach der Wirklichkeit des religiösen Gegenstandes, nach dem Dasein Gottes. Sie ist, wenn überhaupt, nur von der Erfahrung aus zu beantworten. Nur das Erfahrungsmäßige ist wirklich. Hier tritt die Psychologie neben der Erkenntnistheorie in ihr Recht. Sie ist eine empirische Wissenschaft. Ueber das Wesen der Seele vermag sie keine Auskunft zu geben. Wir erkennen uns nicht wie wir an sich sind, sondern nur wie wir uns erscheinen. Die Psychologie ist ein Teil der Physik. Eine rationale Psychologie ist unmöglich. Aus dem bloßen „Ich denke" läßt sich keine Erkenntnis der Seele als eines Wesens an sich entwickeln. Mehr als dieses „Ich denke" ist uns nicht gegeben. Nur die inneren Zustände unseres Gemüts?) vermögen wir zu beobachtens. Nur die seelischen Funktionen und die durch sie hervorgebrachten Empfindungen, Stimmungen, Vorstellungen, wie sie in der Zeit verlaufen, sind uns gegeben, sind Gegenstand unserer Erkenntnis. Die Existenz der Seele bleibt dabei dahingestellt.

Doch die Vorgänge im Innern des Menschen sind nicht ein wirres Durcheinander. Auch in ihnen waltet eine unabänderliche Gesetzmäßigkeit. Sonst würde es überhaupt eine Erkenntnis ihrer nicht geben. Diese Gesetzmäßigkeit kann nun aber keine andere sein als dieselbe, die für das Denken besteht. Dieses ist nicht etwas für sich, sondern gehört zu den seelischen Funktionen gleich dem Wollen

1) Kritik der reinen Vernunft S. 283.
2) Ueber die Lehre Kants vom Gemüt bietet Hegler, Die Psy¬chologie in Kants Ethik S. 32 ff., Ausführlicheres.
3) r. B. S. 298 f., 418 f.

und Fühlen *). Die systematische Einheit ist nicht nur das logische Grundgesetz für das Denken, sondern für die gesamte geistige Tätigkeit. — Die Psychologie nun handelt im Unterschied von der Erkenntnistheorie von dem Entstehen der Erfahrung gemäß der synthetischen Einheit. Es ist das Bedürfnis der Vernunft, alle synthetische Einheit zu vollenden. Sie wird durch einen Hang ihrer Natur getrieben, deshalb über die Erfahrung hinaus zu gehen und erst durch die Vollendung ihres Kreises Ruhe zu finden. Es geht ein Zug nach Einheit durch das gesamte Geistesleben des einzelnen Menschen und der Menschheit. Man kann in diesem Sinn sagen, daß in jeder wissenschaftlichen Arbeit, ja, in allem, wodurch der Geist des Menschen sich betätigt, Religion unbewußt enthalten ist. Immer drängt die menschliche Vernunft nach Harmonie. Die zu vollendende Einheit ist Welt- gesetzt