Hiernach stimmt der Geschichtsschreiber des Materialismus zusammen
Hiernach stimmt der Geschichtsschreiber des Materialismus zusammen mit denen, die die Religion auf das innere Erlebnis stützen. Der in diesem Sinne gebotene Beweis ist rein psychologischer Natur. Darum aber ist er nicht hinreichend. Er bleibt subjektiv. Es fehlt die Allgemeingültigkeit. Erhebung in das Reich der Poesie mag ihre begeisternde Macht entfalten in Stunden ästhetischer Stimmung und in ruhiger Kontemplation. Auch wird sie ihren Dienst nicht versagen, solange die Religion als Erdichtung unbewußt bleibt. Der naive, kindliche Glaube wird die auf dem Wege der Phantasie erzeugten religiösen Vorstellungen unerschütterlich festhalten. Er begehrt nicht nach irgend einem Beweise.
Doch Lange wirft selbst die Frage auf: „Was wird aus der Wahrheit der Religion, wenn alle Pietät geschwunden ist und
1) F. A. Lange, Geschichte des Materialismus ? 2, S. 538 f.
wenn eine Generation aufkommt, welche die tiefen Gemütserschütterungen des religiösen Lebens nie gekannt, oder sich mit verändertem Sinne von ihnen abgewandt hat?" *) Dergleichen Ablehnungen oder Zweifel aber müssen eintreten für den Einzelnen und für die Gesamtheit, je mehr das Wissen, die nüchterne Weltbetrachtung neben den Gefühlen zur Geltung kommt. Die moderne Naturwissenschaft ist geschäftig, den „Standpunkt des Ideals" als irrig zu erweisen und das Reich der Poesie, bald selbst darüber trauernd, bald mit Spott, zu zerstören. Dann erweist sich auch die sogenannte „Werttheorie" als durchaus unzulänglich. Sie bleibt im Subjektivismus haften.
Die Religion soll nicht nur in besonders erregten oder erhebenden Stunden in uns lebendig und nicht nur von der Seite der menschlichen Bedürftigkeit geschätzt werden. Sie soll sich über unser ganzes Tun und Lassen erstrecken. Sie soll unser ganzes inneres und äußeres Dasein begleiten und auch dort Stand halten, wo die volle Macht der Nüchternheit den Menschen erfaßt. Nicht nur für die Stufe kindlicher Glaubensbereitschaft, auch gegenüber den Forderungen des Denkens soll sie ihre Kraft behalten. Hiermit wird der Beweis ihrer objektiven Wahrheit notwendig.
Zwar könnte man meinen, die subjektive Gewißheit des religiösen Erlebnisses sei vollständig hinreichend. Ja, sie sei stärker als jeder andere Beweis. Wer nicht Religion in sich erlebt, dem ist sie nicht anzudemonstrieren. Doch einmal wird von dem Gläubigen dann und wann Rechenschaft über seinen Glauben durch Andere gefordert. Ihm muß daran liegen, auch diese Andern für seinen Glauben zu gewinnen, je fester seine Ueberzeugung ist. Sodann wird auch der Gläubigste nicht sein können, ohne über seine religiösen Erfahrungen nachzudenken und sie vor sich selbst zu rechtfertigen. Er wird über feinen inneren Zu stand reflektieren. Zwischen dem religiösen Denken und dem Fühlen etwa entstehende Widersprüche könnten nur dann für ihn ausgeschlossen bleiben, wenn sich sein religiöses Leben und sein Denken nicht berühren. Tatsächlich findet sich solches getrennt nebeneinander Hergehen von Denken und Glauben bei einer nicht geringen Anzahl. Jeden Augenblick aber kann die Berührung zwischen beiden stattfinden und dann muß das Bedürfnis nach objektiver Begründung der Religion
1) Lange S. 554.
entstehen. Je mehr der Mensch sich geistig entwickelt, desto leichter wird der Widerstreit zwischen seinem religiösen Innenleben und seinem Denken entstehen, veranlaßt durch mancherlei enttäuschende Erfahrungen. Ueberdem ist die Religion zugleich eine soziale Erscheinung. Dadurch wird das Interesse an einem Beweis ihrer objektiven Wahrheit desto lebhafter und ein solcher Beweis um so notwendiger. Es handelt sich dann um die Rechtfertigung der Religion für das geistige Gesamtleben der Menschheit.
Den Weg hierzu vermag zweifellos Kant zu zeigen, obwohl er ihn selbst nicht bis zu Ende gegangen ist. Er sagt in seiner Kritik der reinen Vernunft: „Das höchste Wesen bleibt ein Begriff, welcher die ganze menschliche Erkenntnis schließt und krönt" ^). Er verfolgt aber diesen Gedanken in bezug auf die Religion nicht weiter. Vielmehr nennt er diesen Begriff ein „bloßes, wenn auch fehlerfreies Ideal" und biegt von der Erkenntnistheorie zurEthiko- theologie ab. Sie soll den Mangel der theoretischen Philosophie ersetzen durch Gründung des Gottesglaubens auf die Moral. Ihm ist die Religion „die Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote". Er nennt sie als solche die reine allgemeine Religion, die keinen anderen als nur moralischen Inhalt hat. Gott ist ein Postulat der reinen praktischen Vernunft. Hierdurch aber wird die Religion in ausschließliche Abhängigkeit von der Moral gebracht. Sie ist ihrer Selbständigkeit beraubt. Außerdem wird sie als eine Forderung der Moralität in das Gebiet des Empirischen versetzt. Dadurch entsteht die Gefahr, daß sie ihren eigentümlichen Charakter verliert. Um diesen zu bewahren, ist zwar der Begriff der reinen Religion festzuhalten, aber er ist allein von dem reinen Denken aus zu gewinnen ohne Vermischung mit der praktischen Frage der angewandten Moral und des bloßen Bedürfnisses.
Zu diesem Zwecke sind Psychologie und Erkenntnistheorie sorgfältig voneinander zu unterscheiden und getrennt zu halten, um sie schließlich desto inniger zu vereinigen. Darauf hat Troeltsch wiederholt hingewiesen?). Nicht eine Betrachtung darüber ist zuerst anzustellen, wie Religion als psychische Erscheinung ent-
2) Kant, r. V. S. SOI.
3) Ernst Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie in der Religionswissenschaft, weiter: Das Historische in Kants Religionsphilosophie und: Die Frage des religiösen Apriori.
steht, sondern worin sie b e steht, m. a. W., was ihren Begriff möglich macht. Das ist das gleiche Verfahren, wie es Kant bei seiner Analyse der Erfahrung einschlägt. Er will erörtern, „was in der Erfahrung liegt", woraus sie als Tatsache zusammengesetzt ist, wodurch sie ermöglicht wird. Dabei stellt sich heraus, daß sie aus zwei Elementen besteht, aus Materie zur Erkenntnis aus den Sinnen und aus einer gewissen Form sie zu ordnen, kurz aus Sinnlichkeit und Verstand. Durch diese Unterscheidung gewinnt Kant die reinen Formen der Anschauung (Raum und Zeit), des Verstandes (die Kategorien als Funktionen seiner Gesetzmäßigkeit) und der Vernunft (die Ideen). Sie machen für das Denken die reine Mathematik und die reine Naturwissenschaft (System der ganzen Natur) möglich. Derselbe Begriff des Reinen auf den Willen angewandt, ergibt die reine Moral, die Selbstgesetzgebung der Vernunft oder Autonomie mit Abwehr jedes materiellen Beweggrundes. Gleicherweise läßt sich, die Ka Nischen Gedanken weiter verfolgend, der Begriff einer reinen Kunst oder einer reinen Aesthetik aufstellen. Er betrifft die reine, von jeder Empirie des Angenehmen oder Unangenehmen unberührte Lust an dem freien harmonischen Spiel der menschlichen Gemütskräfte Z.
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