Er lehnt nur den Mystizismus entschieden ab
Er lehnt nur den Mystizismus entschieden ab, der sich entweder des moralischen Gesetzes entschlägt, oder von einem besonderen Umgang mit Gott träumt, oder auf Zaubermittel sein Vertrauen setzt, oder meint, ohne moralische Gesinnung und Handlung die Gnade Gottes verdienen zu können §). Er weist nur jede intelligible Anschauung zurück, die, wo es sich nur um das Gefühl handelt, schon an und für sich außer Betracht bleibt. DasmitdemGe- fühlder Lust verbundene Jnnewerden des erfüllten Einheitstriebes ist die Uroffenbarung Gottes an die Menschenseele ^). Nur in Gott als der intelligiblen Kausalität, der absoluten Spontaneität oder Freiheit findet die Vernunft die Erfüllung ihres Einheitsverlangens. „Gott, Du hast uns zu Dir geschaffen und unsere Seele ist unruhig, bis sie ruhet in Dir."
Das Gefühl, affiziert von der intelligiblen Welt her, also vermöge der inwendigen Erfahrung, verleiht somit dem religiösen Gegenstände (Gott) für uns objektive Realität. Wir werden vermittelst seiner (des Gefühls) der göttlichen (transzendentalen) Einwirkung, also Gottes selbst inne, ohne daß damit über sein Wesen irgend etwas Erkenntnismäßiges ausgesagt wird.
Wir stehen hier auf der „Grenze des erlaubten Vernunft-
1) u. S. si.
2) P. V. S. 91, 93, 97, 104, 109.
3) Ww. VI S. 319.
4» P. V. S. 86, 104, 145, U. S. 133, Rel. S. 88, 121, 140, 188, 220.
5) Rel. S. 27, 63, 90,109,117, vgl. Grdl. S. 92 f. — K a tz e r, Kants Lehre von der Kirche. Jahrbb. f. Protestant. Theologie XV S. 207.
gebrauchst wo Sinnenwelt und intelligible Welt sich berühren *). In jeder Grenze ist aber etwas Positives enthalten. Auf ihr treffen für diesen Fall etwas Bekanntes und etwas Unbekanntes zusammen, die Welt der Erfahrung und die tranfzendente Welt. Nur bis zu dieser Grenze vermögen wir zu gelangen, ohne sie jemals überschreiten zu können mit unserer Erkenntnis. Es bleibt uns sogar verborgen, wie es überhaupt möglich ist, daß eine intelligible Kausalität auf die Sinnenwelt, zu der der Mensch mit gehört, wirken kann?). Wir können keine Erkenntnis Gottes er langen. Nur das Verhältnis Gottes zur Sinnenwelt vermögen wir nach Analogie zu erschließen und symbolisch auszudrücken. Hierin stimmt die Lehre Kants sehr wohl mit der Christi zusammen. Auch dieser hat nur davon geredet, wie Gott als Vater sich zu der Menschheit verhält. Gott gilt auch der apostolischen Lehre als ein unerforschlicher?).
Das Verhältnis Gottes zur Welt aber kann, der absoluten Spontaneität, der unbedingten Freiheit Gottes gemäß, kein anderes sein, als das des Determinismus. Die Welt steht in absoluter Abhängigkeit von Gott, sowohl Sinnenwelt als Geisteswelt. Mit diesem folgerichtigen Gedanken enthebt die Religion das gesamte Dasein, alles Geschehen der Zufälligkeit. In allem verborgen wohnt Gott. Sein Wille regiert die Welt. Alles steht auf diesem festen Fundamente. Gott selbst aber ist, wie Luther sagt: exlox als der oberste Gesetzgeber, als die absolute Ursache der sichtbaren und unsichtbaren, der sinnlichen und übersinnlichen Welt. Immer ist selbstverständlich die Welt der Erscheinungen als abhängig zu denken von der intelligiblen Welt, von den unbekannten „Dingen an sich". Anders ist eine Welt der Erscheinungen überhaupt nicht möglich. Das Wort Erscheinung zeigt schon eine Beziehung auf etwas an, dessen unmittelbare Vorstellung zwar sinnlich ist, was aber an sich selbst auch ohne diese Beschaffenheit unferer Sinnlichkeit etwas, d. i. ein von der Sinnlichkeit unabhängiger Gegenstand sein muß ').
Der Determinismus aber, zu dem die synthetische
1) Prol. S. 141, 145.
2) p. V. S. 88, 97, Grdl. S. 102, 104.
3) Röm. 2, 33 ff., I. Kor. 2, 16.
4) r. B. S. 233, vgl. dazu S. 19, 23, Pr. S. 96.
Einheit als Weltgesetz unvermeidlich führt, ist eben dieser Einheit entsprechend ein moralisch-religiöser. Anders ist eine Einheit der Einheiten, die Denken, Wollen und Fühlen in sich enthält, nicht möglich. Ausführlicheres hierüber enthält das unten zitierte Buch *). In der deterministischen Auffassung, zu der Kants Betonung des Normativen und der Einheitstrieb der Vernunft führen, kommt das innerste Wesen der Religion zum deutlichen Ausdruck. Sie ruht auf dem Abhängigkeitsgefühl. Gott selbst aber bleibt uns verborgen, er ist adsoonckitus, wie Luther sagt. Sein Wesen und sein Wille ist dem Menschen unerkennbar. Nur so weit erkennen wir ihn, als er sich uns vermittels der Vernunft offenbart.
Schon diese Verborgenheit des göttlichen Willens wehrt zum Teil den gegen den Determinismus zuweilen erhobenen Vorwurf ab, daß er den Willen des Menschen lähme und die moralische Trägheit begünstige. Wissen wir den Willen Gottes nicht, so kann er nicht störend in den unseren eingreifen oder ihn aufheben. An- dernteils ist der in der menschlichen Vernunft enthaltene Einheitstrieb ein besonderer Ansporn zum Handeln. Der Mensch ist vermöge dieses Triebes dazu bestimmt und innerlich aufgefordert, die Sinnenwelt zu einer Verstandswelt, zu einer moralischen Welt, umzuwandeln?). Die Form der Sinnenwelt soll zu einem Ganzen vernünftiger Wesen werden, in dem eines jeden freie Willkür
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Katz er, Luther und Kant, namentlich S. 92 ff., 113, 126. — Wendland meint in einer Besprechung dieser Schrift (Theolog. Rund¬schau 1912, S. 25): Die Uebereinstimmung Luthers und Kants sei gegenüber der Verschiedenheit beider nur sekundär. Er verkennt aber, daß der Mittel¬punkt für das Denken beider die Lehre von der Freiheit ist. Dadurch tritt gerade die Verschiedenheit beider an die zweite Stelle. Bornhausen findet sogar (Christl. Welt 1912, Sp. 362), daß die in dem Vergleich zwischen Luther und Kant behandelten Fragen der Gegenwart fernlägen und das Apriori der Religion fälschlich nur in der Ethik gesucht werde mit Vernachlässi¬gung des Erkenntnistheoretischen. Dieser Einwand kann nur auf einem sehr flüchtigen Lesen oder starken Mißverständnis beruhen. Die Behauptung des Gegenwartsfremden ist aber um so merkwürdiger, als gerade jetzt in der Religionspsychologie, in den Naturwissenschaften, in der Pädagogik die Lehre von der Willensfreiheit und dem Determinismus auf der Tagesord¬nung steht und überhaupt das dauernde Grundproblem der Philosophie bildet. Beide Rezensenten scheinen weder Luthers noch Kants Philosophie zu ihrem Spezialstudium gemacht zu haben.
2) r. V. S. 612, 617, p. V. S. 52, Urt. S. 13, 328.
unter moralischen Gesetzen systematische Einheit mit der freien Willkür jedes anderen hat. Es soll ein Reich der Zwecke entstehen, eine systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche Gesetze, eine moralische Welt *). Alle aber sind eben durch dieses Gesetz der Einheit verpflichtet, dieses Reich der Zwecke, das „höchste Gut" zu befördern?).
Das geschieht durch Fortschritt der Erkenntnis und durch moralisches Handeln, wozu die Vernunft dem Menschen durch den Einheitstrieb Anstoß gibt. Die Normen werden dem Menschen zu Imperativen, da er zugleich ein sinnliches Wesen ist. Eben deshalb ist die Religion für ihn nicht nur Kontemplation, sondern zugleich Aktivität. Sie enthält in sich die sämtlichen Normen des menschlichen Geisteslebens. Sie durchdringt all sein Tun und hebt ihn empor zur intelligiblen Welt. Deren Erkenntnis bleibt ihm zwar verschlossen, aber die Sinnenwelt wird ihm zu einem Gleichnis, zu einem Zeichen der übersinnlichen, der transzendenten Welt ^). Die Welt der Erfahrungen ist die Erscheinung des Jntelligibeln, dessen Symbol. Die Symbolisierung aber ist die Nothilfe für Begriffe des Uebersinnlichen ^). Anders als gleichnisweise, als symbolisch, ist die intelligible Welt für uns nicht zur Darstellung zu bringen.
Diese Erkenntnis aber dient zum Verständnis alles Geschichtlichen überhaupt, das in der Sinnenwelt sich vollzieht. So auch wird uns Christus verständlich als geschichtliche Erscheinung Gottes in ihrer denkbar größten Vollkommenheit. In ihm sind Sinnenwelt und intelligible (geistige) Welt, Zeitliches und Ewiges auf das Innigste miteinander verbunden. Durch ihn erfahren wir Gott am intensivsten und deutlichsten. Er ist die Offenbarung Gottes, die nicht überboten werden kann. Die Offenbarung aber in diesem Sinne ist eine ganz und gar andere, als die von Kant verworfene. Sie besteht nicht in außerordentlichen Manifestationen, die allezeit der Kritik unterworfen bleiben müssen. Sie besteht vielmehr in einem stetigen sich an Klarheit steigernden sinnbildlichen Aus-
1) Grdl. S. 70 ff., 100.
2> p. V. S. 131, 136 ff., Ult. S. 344, 348, Rel. S. 4 ff., 215, Ww. VI S. 36 ff., r. B. S. 612 ff., Ww. IV S. 191, 284, 495, VII S. 184, 649 f., VIII S. 68, 556.
1) r. B. S. 437.
2) Ww. VIII S. 541.
druck des uns an sich verborgen bleibenden Inhalts „Die Geschichte dient nicht zur Demonstration, sondern zur Illustration" ^). Sie ist eine fortgesetzte Offenbarung Gottes in der Welt der Erscheinungen.
Das Christentum aber ist die vollkommene Religion nicht, wie Kant betont, als eine moralische Religion allein, sondern als die vollendete Einheit der Einheiten, der Einheit der Menschen untereinander und mit Gott. Hiermit ist zugleich der Maßstab an die Hand gegeben für die Beurteilung der verschiedenen empirischen (positiven) Religionen und das Verständnis der religiösen Gemeinschaften, ihrer Lehren und ihres Kultus. Je näher eine Religion der bezeichneten höchsten, umfassenden Einheit kommt, desto vollkommener ist sie. So verleiht der Einheitsgedanke auch der Missionspflicht besonderes Gewicht. Kirche, Dogmen und Zeremonien aber sind religio xüaenonionom in der die reliZLo nomn6N0n in angemessener oder weniger angemessener Weise zur Erscheinung kommt. Weitere Erörterungen hierüber sind Sache der Religionsphilosophie, der Religionspsychologie, der Dogmatik, der praktischen Theologie, der Religionsgeschichte und der Philosophie der Geschichte. Weist aber die Religion in der Erscheinung hin auf die reine Religion und ruht sie auf inneren Erlebnissen der göttlichen Ursächlichkeit, so ist sie nicht nur Schein, nicht nur Illusion, sondern enthält Wahrheit und Wirklichkeit
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