Daraus ergibt sich weiter die rechte Stellung
Daraus ergibt sich weiter die rechte Stellung der Religion zur Wissenschaft und deren eigentümliche Bedeutung im Vergleich mit der Religion. Sie wird in der Philosophie des Als ob verkannt.
Nimmt man dieser gemäß an, daß die Wissenschaft gleicherweise wie die Religion allein auf Fiktionen basiert sei, so könnte das zwar als besonders vorteilhaft für die Religion erscheinen gegenüber allen Angriffen seitens der Wissenschaft. Könnensich beide, Wissenschaft und Religion, letzten Endes nur auf Erdichtungen berufen, so hat keine vor der anderen einen Vorzug. Sie bewegen sich dann beide in der Region des Scheines. Nichts aber hatKant entschiedener abgelehnt als gerade dieses. Was sollte auch die Wirklichkeit als objektives Geschehen, wovon die Philosophie des Als ob redet, an dem nach ihr das Denken, „sich experimentell erproben soll", dann noch für eine Bedeutung haben? Was ist „objektives Geschehen"? Nach Kant
1) R. Reicke, Lose Blätter aus Kants Nachlaß, Heft III S. 66. für den Menschen nichts Anderes als Erscheinung, die aus Empirie (Sinnlichkeit) und Verstandestätigkeit zusammengesetzt ist.
Stützt sich aber die Erkenntnis auf bloße Fiktionen, so wird die Welt der Erscheinungen zu einer Welt des Scheins. Mit ihrer Erkenntnis zusammen versinkt das objektive Geschehen, die Wirk¬lichkeit überhaupt. Dann baut die Wissenschaft nur Luftschlösser.
Diese fatale Eventualität wird allein durch den von Kant hervorgehobenen Unterschied von „Denke n" 'und Erkennen" vermieden. Kant sagt: „Einen Gegenstand denken und einen Gegenstand erkennen ist nicht einerlei. — Das Denken von einem Gegenstand überhaupt durch einen reinen Verstandes¬begriff kann bei uns (als Sinnenwesen) nur Erkenntnis werden, sofern dieser auf einen Gegenstand bezogen wird" *). Zur Erkennt¬nis aber gehören zwei Stücke: Begriff und Anschauung, die uns durch Empfindung gegeben wird. An einer anderen Stelle heißt es: „Beim Denken überhaupt abstrahieren wir von aller Beziehung des Gedankens auf irgend ein Objekt. Die Synthesis der Be¬dingungen eines Gedankens ist überhaupt garnicht objektiv, sondern bloß eine Synthesis des Gedankens mit dem Subjekt^). Denken aber läßt sich alles, was keinen Widerspruch enthält s). Denken kann ich, was ich will" *).
Dem läßt sich hinzufügen, daß es doch auch eine Notwendigkeit des Denkens gibt, Begriffe, die ich denken muß, wenn mein Denken ein konsequentes, ein vollendetes sein soll. Das Denken ist bei aller empirischen Unabhängigkeit gezwungen, bestimmten Gesetzen zu folgen. Es sind also formale Wahrheit und empirische Wirklichkeit zu unterscheiden.
Hierdurch gewinnt einerseits die Wissenschaft eine feste Basis im reinen Denken, in den Gesetzen der Logik. Sie kann wirklich etwas wissen vermöge der Gesetzmäßigkeit des widerspruchslosen Denkens. Sie kann ein in sich konsequentes System gewinnen. Sie erwirbt zutreffende Erkenntnisse der Natur in steter Annäherung an das Ziel der Forschung durch das Prinzip der synthetischen Einheit, das hier nur regulative Bedeutung hat.
Damit ist andererseits aber zugleich jede negative Kritik der Wissenschaft gegenüber der Religion als solche ausgeschlossen.
1) r. B. S. 668. 2) r. B. S. 333.
3) r. V. S. 24. 4) r. B. S. 233.
Zeitschrift für Theologie und Kirche. 24. Jahrgang. 5. Heft
Nur ein widerspruchsvolles Denken könnte eine solche Negation unternehmen wollen. Das widerspruchslose Denken aber führt, wie dargetan, unumgänglich zur Religion. Nur die religiösen Vorstellungen der empirischen Religion gehören der Welt der Dichtung an. Es ist richtig, wenn der Philosoph des Als ob sagt, daß die „Vorstellungen einer transzendenten Welt von uns selbst gemachte Ideen sind" *).
A Nur muß es zweifelhaft erscheinen, ob hiermit die echte Auffassung Kants getroffen ist, wenn behauptet wird, daß für ihn die religiösen Vorstellungen nur pädagogische Mittel seien und darin allein der moralische Gottesbeweis gipfele. Er ruht vielmehr auf einer Denknotwendigkeit des Gottesbegriffs. Freilich auf die Moral allein den Gottesbeweis zu stützen, wie Kant will, ist eine einseitige Auffassung der Religion. Sollte aber der „Als ob Gott" Vaihingers nur dazu dienen, die moralische Gesinnung und Handlungsweise zu befördern, so müßte mit der Religion zugleich die Moral zusammenbrechen. Auf bloße Phantasien läßt sich weder Religion noch Moral gründen. Sollte die Lehre Kants dahin interpretiert werden, daß er nur fordere: „Handle so, als o b deine Pflichten göttliche Gebote wären", so hätte er sowohl Moral als auch Religion mißverstanden. Wie sollte ein Mensch moralisch handeln, wenn er nicht überzeugt wäre, daß Naturgesetz und Moralgesetz zusammenstimmen und also Moralität überhaupt möglich, daß sie der Endzweck des ganzen Daseins, die moralische Welt aber eine Aufgabe für uns ist. Was sollte das für eine moralische Religion sein, die sich mit einem „Als ob Gott" begnügen müßte? Moral und Religion als bloße Illusionen hören auf das zu sein, was sie zu sein bestimmt sind. Sie werden zu einem unlösbaren Widerspruch in sich selbst. Hier scheitert der idealistische oder kritische Positivismus der Alsob-Philosophie. Gerade die von ihm betonte Praxis, an der die Alsob-Fiktionen sich bewähren sollen, wird zur Unmöglichkeit. Das aber ist sein Verdienst, daß er das religiöse Problem zum scharfen Ausdruck bringt. Das verleiht ihm eine zweifellose Bedeutung für die Religionsphilosophie und die Theologie. Nur übersieht er den bedeutsamen Unterschied zwischen Denken und Erkennen, die konstitutive Bedeutung des reinen
1) Baihinger a. a. O. S. 114, 735 u. a.
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