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Denkens und den Unterschied der wissenschaftlichen Fiktionen und der religiösen Dichtung.

Denkens und den Unterschied der wissenschaftlichen Fiktionen und der religiösen Dichtung.

Der Standpunkt des Ideals, den F. A. Lange geltend macht, kommt hier der Wahrheit näher. Die religiöse Dichtung ist, wie schon oben dargelegt, keine willkürliche. Sie entstammt vielmehr, vermöge des Gefühls, einem Grunderlebnis in der Tiefe des menschlichen Gemüts, das sie mit dem religiösen Gegenstands mit Gott, in die innigste Beziehung bringt. Sie enthält reine Wahrheit, die sie weit über das Gebiet der Wissenschaft hinaushebt. Unverkennbar wird ihr allerdings das Transzendente, das Göttliche, immer bleiben. Die religiösen Vorstellungen sind nur symbolische Bezeichnungen oder Andeutungen dessen, was keine menschliche Erkenntnis und Sprache je zu fassen vermag. Sie vervollkommnen sich im Laufe der Zeit mit dem steigenden Bildungsgrade der Menschen. Die wachsende Kultur dient zu ihrer Läuterung. Das innerste Fundament aber bleibt unantastbar. Es ist Grundtatsache und Grunderlebnis des menschlichen Gemüts. Nur die religiösen Vorstellungen sind veränderlich. Sie sind nicht Erkenntnisse, sondern dichtende Gedanken, die gleichwohl unter einer bestimmten Gesetzmäßigkeit stehen, wie alle psychische Tätigkeit.

Es gibt keine religiöse Metaphysik als Wissenschaft, n u r eine Metaphysik desGlaubens , die der Phantasie entspringt, aber trotzdem keine regellose ist. Die religiösen Vorstellungen erheben sich von dem Boden der inneren Erfahrungen über die Erscheinungswelt in die intelligible Welt als Dichtungen, die zu Symbolen des Transzendenten werden. Sie sind aber nicht nur ein Erzeugnis des Einzelnen, sondern ein sozial-psychisches Produkt auf Grund psychischer Gesetzmäßigkeit.

Niemals wird das Verlangen nach der intelligibeln Welt schweigen. Niemals wird die religiöse Dichtung ihren Reichtum erschöpfen. F. A. Lange behält Recht: „Eins ist sicher, daß der Mensch einer Ergänzung der Wirklichkeit durch eine von ihm selbst geschaffene Idealwelt bedarf und daß die höchsten und edelsten Funktionen seines Geistes in solchen Schöpfungen zusammenwirken Erblickt man den Kern der Religion in der Erhebung

der Gemüter über das Wirkliche und in der Erschaffung einer Heimat der Geister, so können die geläuterten Formen noch wesentlich dieselben psychischen Prozesse Hervorrufen, wie der Köhlerglaube der ungebildeten Menge und man wird mit aller philosophischen

Verfeinerung der Ideen niemals auf Null kommen. .. Das Oloria in 6x<;6l8i8 bleibt eine weltgeschichtliche Macht und wird schallen durch die Jahrhunderte, solange noch der Nerv eines Menschen unter dem Schauer des Erhabenen erzittern kann" Z. Diese Macht entstammt dem tiefsten Grunde des menschlichen Wesens.

Die rastlos schaffende Phantasie stellt den innersten Gehalt des religiösen Erlebnisses in tausenden von individuellen Gestaltungen dar. Eine jede steht im Zusammenhänge mit dem obersten Gesetze der synthetischen Einheit und dem religiösen Grunderlebnis. Eine jede birgt in sich Wahrheit und Wirklichkeit. Nur eine ihre Grenzen überschreitende Forschung wird schließlich zur Illusion. Die Religion aber vergilt der Wissenschaft ihre Dienste, indem sie eine einheitliche Weltanschauung überhaupt erst möglich macht, die von den einzelnen Wissenschaften aus nicht zu gewinnen ist mit Ausnahme der Philosophie. Diese ist, recht verstanden, nichts Anderes als religiöse Betätigung. Auch sie sucht die höchste Einheit alles Denkens und Erfahrens. Darauf zielt das ganze kritische System Kants, dem ein alles durchdringender, tiefreligiöser Zug nicht abzusprechen ist. Gern wird daher die Religion die Begleitung der echten Philosophie annehmen, die die „Fackel voranträgt", um den „königlichen Weg", der uns über die Sinnenwelt emporführt, mit der Klarheit des Denkens zu beleuchten.

1) F. A. Lange, S. S4S, S47, SSV f.


Das Heft hat nicht die genügende Bogenstärke. Niemand wird augenblicklich nach mehr Lesestoff verlangen. Was recht und billig, wird das Novemberheft nachbringen.

Zu Gottschick, Luthers Theologie, ist leider eine Druckfehlerliste nötig geworden. Sie wird dem nächsten Heft beigelegt werden.

Marburg, August 1914.


Die Leitung.