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„Reichsbürger“ sind als Phänomen nicht neu

Auch wenn die breite Öffentlichkeit die abstrusen Thesen des fortbestehenden Deutschen Reiches bis 2016 nicht wahrgenommen hat, sind diese keinesfalls neu. Die geschichtsrevisionistische und pseudohistorisch-fiktionale Gegenerzählung von der fehlenden Souveränität der Bundesrepublik und der vorgeblichen Fortexistenz des Deutschen Reiches lässt sich mindestens bis in der 1970er-Jahre der alten Bundesrepublik unter anderem zum verurteilten Rechtsterroristen Manfred Roeder zurückverfolgen, der sich 1975 selbst zum „Reichspräsidenten" erhob (Begrich und Speit 2017; Hüllen und Homburg 2017). Mit dem ersten „Reichskanzler" Wolfgang Ebel und der von ihm geleiteten „Kommissarischen Reichsregierung" erlangte das Phänomen in den 1980er-Jahren in Westberlin erstmals Aufmerksamkeit und beschäftigte ab da an auch die Gerichte (Schumacher 2015).

Unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle hatten sich Ordnungsämter, Finanzämter, Gerichtsvollzieher, Kommunalkassenverwalter und auf der letzten Eskalationsstufe auch Polizeibehörden und Gerichte somit bereits seit Jahrzehnten regelmäßig mit Vertretern des „Reichsbürger"-Milieus auseinanderzusetzen. Ab 2009 nahm man das Problem in Brandenburg (Wilking 2017) mit seiner demokratiezersetzenden und gewaltlegitimierenden Ideologie unter die Lupe und sprach in der Folge nicht mehr nur von Sonderlingen (Hüllen und Barthel 2017), Spinnern (Roshdi 2019), Querulanten (Rathje 2017) und harmlosen Wirren (Schäfer 2016), sondern von einer speziellen Form des Extremismus.