Einleitung
Durch die Schusswechsel auf dem Anwesen des Adrian Ursache1 in Reuden/Sachsen-Anhalt (25.08.2016) und den nur wenige Monate später folgenden Polizistenmord durch Wolfgang Plan auf seinem ebenfalls zum eigenen Staat deklarierten Grundstück in Georgensgmünd/Bayern (19.10.2016) rückte die Reichsbürgerszene verstärkt in den Fokus der Sicherheitsbehörden und unterliegt seitdem intensiver Beobachtung durch den polizeilichen Staatsschutz und Verfassungsschutz. Im Jahr 2019 zählte das Bundesamt für Verfassungsschutz ungefähr 19.000 „Reichsbürger"2 und Selbstverwalter, wovon ca. 950 (5 %) klar dem Rechtsextremismus zugeordnet werden können (Bundesministerium des Innern und für Bau und Heimat 2019). Spätestens seit der Erstürmung der Reichstagstreppe im Umfeld einer Demonstration von Coronaleugnern und Coronamaßnahmenkritikern (29.08.2020) ist die Begrifflichkeit des „Reichsbürgers" zum Bestandteil der öffentlichen Nachrichtensprache und TV-Welt3 geworden. Dabei entsteht in der Öffentlichkeit mitunter ein ziemlich falsches Bild von der Klientel. Die Verkürzung in der Darstellung wird dem Problem und seinen Begleitphänomenen nicht vollends gerecht.
Im Gegensatz zur psychopathologischen Befundung oder klinischen Diagnostik lassen sich im forensisch-kriminalistischen Bereich keine klaren statistischen Einordnungen anhand von Symptom-Checklisten wie bei der ICD-10 oder dem DSM‑5 vornehmen. Gleichwohl ist eine phänomenologisch begründete Klassifizierung von Tätertypen für die Verbrechensbekämpfung aus kriminalistischer Sicht unerlässlich. Dies gilt in ganz besonderem Maße bei der Einordnung der politisch motivierten Kriminalität (PMK), bei der dem Tatverdächtigen aufgrund der Art seiner Tatbegehung, des historischen Kontextes, der Tatörtlichkeit, des historischen Tatdatums, der Tatumstände, der durch eigene Bekennung geäußerten oder aufgrund der Kleidung oder äußeren Erscheinung zugeschriebenen Motive eine politische Ideologie zugeordnet werden kann. Ob eine Tat ursächlich aus einer politischen Motivation heraus begangen wurde (z. B. ein Attentat) oder die Motivation tatbegleitend zu einer Straftat (z. B. Singen rechtsextremer Liedtexte während einer Kneipenschlägerei) in Erscheinung tritt, ist für die polizeiliche Klassifizierung als PMK unerheblich. Ebenso spielt die tatsächliche Zugehörigkeit des Opfers zur Gruppe des vermeintlichen Angriffsziels als Linker, Jude, Schwuler, Ausländer usw. keine Rolle. Definitorisch entscheidend sind allein die rein subjektive Klassifizierung durch den Täter und die damit verbundene Opferauswahl. Bewertet wird nur die täterseitige Diskriminierungsabsicht gegen das Opfer. Da sich Tatverdächtige zu ihren Tatmotiven nicht einlassen müssen bzw. falsche Tatmotive angeben können, ergibt sich nur in den allerseltensten Fällen eine anamnestische Situation. Somit bleiben polizeiliche Datensätze im Hinblick auf tiefer liegende Beweggründe und erst recht die Sozialisation des Tatverdächtigen stets fragmentarisch und erfordern bei der Einordnung qualifizierten Sachverstand sowie Berufserfahrung und Fingerspitzengefühl. Ein Themenfeld wie Antisemitismus kann z. B. in den Phänomenbereichen Rechtsextremismus, Linksextremismus oder religiös motivierter Extremismus gleichermaßen auftreten.
Die Kriminalistik ermöglicht über den Modus Operandi zwar einen objektiv-empirischen Zugang (z. B. Brandanschlag), muss jedoch im Bereich der Motivlageneinschätzung durch eine psychologisch-phänomenologische Einordnung in den gesellschaftlichen Kontext ergänzt werden. Hierbei hat die angewandte Kriminalpsychologie ihren Beitrag zu leisten, was am Beispiel der „Reichsbürger"/Selbstverwalter und artverwandter Phänomene ähnlich gelagerter sozialer Milieus im Folgenden gezeigt werden soll.
Als „Reichsbürger"/Selbstverwalter bezeichnen wir nach polizeilicher Definition:
Im Gegensatz zur psychopathologischen Befundung oder klinischen Diagnostik lassen sich im forensisch-kriminalistischen Bereich keine klaren statistischen Einordnungen anhand von Symptom-Checklisten wie bei der ICD-10 oder dem DSM‑5 vornehmen. Gleichwohl ist eine phänomenologisch begründete Klassifizierung von Tätertypen für die Verbrechensbekämpfung aus kriminalistischer Sicht unerlässlich. Dies gilt in ganz besonderem Maße bei der Einordnung der politisch motivierten Kriminalität (PMK), bei der dem Tatverdächtigen aufgrund der Art seiner Tatbegehung, des historischen Kontextes, der Tatörtlichkeit, des historischen Tatdatums, der Tatumstände, der durch eigene Bekennung geäußerten oder aufgrund der Kleidung oder äußeren Erscheinung zugeschriebenen Motive eine politische Ideologie zugeordnet werden kann. Ob eine Tat ursächlich aus einer politischen Motivation heraus begangen wurde (z. B. ein Attentat) oder die Motivation tatbegleitend zu einer Straftat (z. B. Singen rechtsextremer Liedtexte während einer Kneipenschlägerei) in Erscheinung tritt, ist für die polizeiliche Klassifizierung als PMK unerheblich. Ebenso spielt die tatsächliche Zugehörigkeit des Opfers zur Gruppe des vermeintlichen Angriffsziels als Linker, Jude, Schwuler, Ausländer usw. keine Rolle. Definitorisch entscheidend sind allein die rein subjektive Klassifizierung durch den Täter und die damit verbundene Opferauswahl. Bewertet wird nur die täterseitige Diskriminierungsabsicht gegen das Opfer. Da sich Tatverdächtige zu ihren Tatmotiven nicht einlassen müssen bzw. falsche Tatmotive angeben können, ergibt sich nur in den allerseltensten Fällen eine anamnestische Situation. Somit bleiben polizeiliche Datensätze im Hinblick auf tiefer liegende Beweggründe und erst recht die Sozialisation des Tatverdächtigen stets fragmentarisch und erfordern bei der Einordnung qualifizierten Sachverstand sowie Berufserfahrung und Fingerspitzengefühl. Ein Themenfeld wie Antisemitismus kann z. B. in den Phänomenbereichen Rechtsextremismus, Linksextremismus oder religiös motivierter Extremismus gleichermaßen auftreten.
Die Kriminalistik ermöglicht über den Modus Operandi zwar einen objektiv-empirischen Zugang (z. B. Brandanschlag), muss jedoch im Bereich der Motivlageneinschätzung durch eine psychologisch-phänomenologische Einordnung in den gesellschaftlichen Kontext ergänzt werden. Hierbei hat die angewandte Kriminalpsychologie ihren Beitrag zu leisten, was am Beispiel der „Reichsbürger"/Selbstverwalter und artverwandter Phänomene ähnlich gelagerter sozialer Milieus im Folgenden gezeigt werden soll.
Als „Reichsbürger"/Selbstverwalter bezeichnen wir nach polizeilicher Definition:
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