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V. Fazit

Weltanschauungsdiktaturen organisieren Zustimmung zu ihrer Herrschaft und Herrschaftsausübung über eine Zustimmung zur Systemideologie. Das wichtigs- te Mittel dafür ist Indoktrination.
Ideologiegeleitete Diktaturen sind aber nicht nur an einem ideologiekonfor- men Handeln interessiert – also daran, dass die Gemeinschaftsmitglieder Ge- folgschaft leisten und die geltenden Regeln befolgen. Im Interesse einer dau- erhaften Stabilisierung ihrer Herrschaft zielen sie auf eine ideologiekonforme Überzeugungsbildung ab. Dementsprechend sind sie an Gemeinschaftsmitglie- dern interessiert, die die Systemideologie internalisiert haben und sich offen und ehrlich zu ihr bekennen.
Gleichzeitig sind die Führer solcher Diktaturen jedoch nicht schlechthin an Gemeinschaftsmitgliedern interessiert, die die Systemideologie internalisiert ha- ben. Von den Inhalten der Systemideologie kann man sich auch durch eigenes Nachdenken oder eigene Forschungen überzeugt haben. Deshalb kann ein ideo- logiekonform Überzeugter intellektuell autonom geblieben sein und jederzeit
Irrtümer erkennen. Zudem wird ein intellektuell autonomer und rationaler Ak- teur nicht einer auf Indoktrination setzenden Herrschaftsausübung zustimmen.
Aus diesen Gründen bestehen ideologiegeleitete Diktaturen nicht nur auf Kon- formität im äußeren Verhalten und auch nicht nur auf ein inneres Überzeugt- sein von der Wahrheit und Richtigkeit der Systemideologie, sondern versuchen mit Mitteln der geistigen Manipulation, ein Gesellschaftsmitglied zu erzeugen, dessen Denken und Fühlen sich ideologiekonform gestaltet und das sowohl die Herrschaft als auch die Art und Weise der Herrschaftsausübung akzeptiert.
Weltanschauungsdiktaturen sind darauf ausgerichtet, repressive und kompen- satorische Macht durch konditionierte Macht zu ersetzen. Sie sind deshalb an Menschen interessiert, die sich nicht privater Vorteile wegen systemkonform ver- halten, sondern weil sie von den Inhalten der Systemideologie vorbehaltlos und kritiklos überzeugt sind. Zweck der Indoktrination ist die Schaffung von bor- niert Überzeugten – von Menschen, die sich ihrer Überzeugungen absolut sicher und damit lenkbar sind. Opportunisten hingegen, die als solche erkennbar sind, unterminieren die Glaubwürdigkeit des Anspruchs der Führer, die Menschen leisteten Gefolgschaft auf der Basis einer freiwilligen Zustimmung.
Allerdings müssen Weltanschauungsdiktaturen auch auf Menschen bauen, die in der Lage sind, innerhalb der von der Systemideologie vorgegebenen Grenzen eigenständig zu denken und selbstständig zu handeln. Deshalb sollte Indoktrina- tion auch das Ziel verfolgen, Dispositionen zur Bildung von ideologiekonformen Überzeugungen zu generieren. Indem ideologiegeleitete Diktaturen Projekte der politisch-sozialen Umgestaltung verfolgen und schon von daher mit unvor- hergesehenen Problemen konfrontiert sind, können sie es nicht darauf anlegen, menschliche Autonomie komplett zu zerstören. Sie sind vielmehr angewiesen auf Menschen, die innerhalb des Rahmens der Systemideologie mitdenken und Eigeninitiative entwickeln, die feststehenden ideologischen Gewissheiten aber nicht in Zweifel ziehen. In dieser inneren Widersprüchlichkeit ihres Projekts liegt ein Keim ihrer Selbstzerstörung.