4. Geforderte Anpassungen
Das Interesse von Weltanschauungsdiktaturen an idealtypisch indoktrinierten
Gemeinschaftsmitgliedern bringt eine Bedingung der Möglichkeit einer dauerhaften Existenz zum Ausdruck. Zugleich gibt dieses Interesse Aufschluss darüber, welche Verhaltensweisen solche Diktaturen bedrohen und deshalb bekämpft werden.
In ideologiegeleiteten Diktaturen kann selbst einem äußerlich ideologie- und
systemkonformen Verhalten ein subversives Moment innewohnen. Dies wird
zum Beispiel dann der Fall sein, wenn die Konformität einer taktischen Anpassung entspringt, die mit der Bereitschaft gepaart ist, die Verstellung unter günstigeren oder aussichtsreicheren „Kampfbedingungen" aufzugeben. Wer sich aus
diesen Beweggründen heraus anpasst, tut gut daran, eine formale Treue zum Führer, zur führenden Partei und ihren Ideen nicht lediglich zu demonstrieren, sondern unter keinen Umständen erkennen zu geben, dass er sich lediglich anpasst.
Generell gilt, dass taktische Anpassungen nicht wirklich goutiert werden
können. Zum einen verleiht eine Anpassung der Vorteile wegen nur kompensatorische Macht. Weltanschauungsdiktaturen legen es jedoch darauf an, sowohl
repressive als auch kompensatorische Macht tendenziell durch konditionierte
Macht zu substituieren. Zum anderen aber stellt jede taktische Anpassung, die
sich als eine solche offen präsentiert, die Legitimität der Weltanschauungsdiktatur infrage, die auf dem Anspruch beruht, einer Ideologie zu folgen, deren
Realisierung im Interesse der Herrschaftsunterworfenen liegt und von diesen daher freiwillig übernommen werden sollte. Wer sich systemkonform verhält, ohne
überzeugt zu sein, und dies zugleich öffentlich kommuniziert, bestreitet implizit
die Einlösung, vielleicht sogar die Einlösbarkeit dieses Anspruchs und damit die
darauf beruhende Herrschaftslegitimation.
Weltanschauungsdiktaturen müssen daher erwarten, dass der ideologisch
Noch-nicht-Überzeugte eine innere Übereinstimmung mit der Ideologie und
dem System zumindest vortäuscht. Und gleichzeitig ist der Nicht-Überzeugte genötigt, seine vorgetäuschte innere Ideologiekonformität als eine Selbstverständlichkeit erscheinen zu lassen, und darf keinerlei Anlass bieten, dass sie auch nur
ansatzweise infrage gestellt werden kann.
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